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Contergan Teil 1: Eine einzige Tablette Teil 2: Der Prozess

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| Mittwoch, 7. und Donnerstag, . November 2007 | 20.1 Uhr | Das Erste<br />

<strong>Contergan</strong><br />

<strong>Teil</strong> 1: <strong>Eine</strong> <strong>einzige</strong> <strong>Tablette</strong><br />

<strong>Teil</strong> 2: <strong>Der</strong> <strong>Prozess</strong><br />

| 1


2 | <strong>Contergan</strong><br />

<strong>Contergan</strong><br />

<strong>Teil</strong> 1: <strong>Eine</strong> <strong>einzige</strong> <strong>Tablette</strong><br />

Mittwoch, 7.11. 2007, 20.15 Uhr, Das Erste<br />

<strong>Teil</strong> 2: <strong>Der</strong> <strong>Prozess</strong><br />

Donnerstag, 8.11. 2007, 20.15 Uhr, Das Erste


4 Editorial<br />

Monika Piel<br />

Intendantin des Westdeutschen<br />

Rundfunks Köln<br />

4 Besetzung<br />

Stab<br />

Daten zum Film<br />

<strong>Der</strong> Inhalt<br />

6 <strong>Teil</strong> 1: <strong>Eine</strong> <strong>einzige</strong> <strong>Tablette</strong><br />

7 <strong>Teil</strong> 2: <strong>Der</strong> <strong>Prozess</strong><br />

8 Rolle<br />

Die Schauspieler und ihre Rollen<br />

Katharina Wackernagel (Vera Wegener)<br />

8 Biografi e<br />

9 Interview<br />

12 Rolle<br />

Benjamin Sadler (Paul Wegener)<br />

12 Biografi e<br />

13 Interview<br />

16 Rolle<br />

Hans-Werner Meyer (Horst Bauer)<br />

16 Biografi e<br />

17 Interview<br />

20 Rolle<br />

Caroline Peters (Hanne Bauer)<br />

20 Biografi e<br />

21 Interview<br />

24 Ein Gespräch mit Denise<br />

Statements und Biografi en<br />

25 August Zirner (Dr. Naumann)<br />

26 Matthias Brandt (Henrik Spiess)<br />

27 Sylvester Groth (Staatsanwalt Feddersen)<br />

28 Bernd Stegemann (Helmut Passlak)<br />

29 Jürgen Schornagel (Dr. Helsing)<br />

30 Peter Fitz (Dr. Kessler)<br />

Biografi en<br />

31 Ernst Stötzner (Dr. Lange)<br />

32 Dörte Lyssewski (Ruth Häffgens)<br />

Im Gespräch<br />

33 Adolf Winkelmann (Regie)<br />

Interview<br />

38 Michael Souvignier (Produzent)<br />

Interview<br />

40 Benedikt Röskau (Drehbuch)<br />

Interview<br />

42 David Slama (Kamera)<br />

Interview<br />

44 Ingrid Henn (Szenenbild)<br />

Interview<br />

46 Persönliche Anmerkung zum Film<br />

Katja De Bock<br />

Redakteurin WDR<br />

47 Zeittafel <strong>Contergan</strong><br />

48 Impressum<br />

Inhalt<br />

| 3


4 | <strong>Contergan</strong><br />

Besetzung<br />

Vera Wegener Katharina Wackernagel<br />

Paul Wegener Benjamin Sadler<br />

Horst Bauer Hans-Werner Meyer<br />

Hanne Bauer Caroline Peters<br />

Dr. Naumann August Zirner<br />

Henrik Spiess Matthias Brandt<br />

Staatsanwalt Feddersen Sylvester Groth<br />

Dr. Kessler Peter Fitz<br />

Helmut Passlak Bernd Stegemann<br />

Dr. Helsing Jürgen Schornagel<br />

Ruth Häffgens Dörte Lyssewski<br />

Dr. Lange Ernst Stötzner<br />

Gregor Karges Stephan Kampwirth<br />

Franziska Steiner Laura Tonke<br />

Frl. Carree Irene Rindje<br />

Katrin Denise<br />

u. a.m.<br />

Stab<br />

Regie Adolf Winkelmann<br />

Buch Benedikt Röskau<br />

Kamera David Slama<br />

Schnitt Rudi Heinen<br />

Casting Sabine Schwedhelm<br />

Licht Voxi Bärenklau<br />

Szenenbild Ingrid Henn<br />

Ton Ed Cantu<br />

Kostümbild Lucia Faust<br />

Maske Sabine Ellmerer / René Jordan<br />

Produktionsleitung Georg K. Kuch<br />

Herstellungsleitung Volker Hahn<br />

Produzent Michael Souvignier (ZEITSPRUNG)<br />

Redaktion Katja De Bock, WDR<br />

Daten zum Film<br />

Drehzeit: November 2005 bis Januar 2006<br />

Drehorte: Köln, Bonn, Duisburg<br />

»<strong>Contergan</strong>« ist eine Produktion des<br />

Westdeutschen Rundfunks mit ARD Degeto,<br />

ZEITSPRUNG Film und TV Produktions GmbH<br />

und EOS Production GmbH & Co. KG/Jan Mojto,<br />

gefördert von der Filmstiftung NRW.<br />

Editorial<br />

Am 1. Oktober 1957 kam ein neues Medikament<br />

auf den Markt: <strong>Contergan</strong>. Damals, vor 50 Jah-<br />

ren, konnte keiner ahnen, welche verheerende<br />

Folgen das meist als harmloses Schlafmittel<br />

verabreichte Medikament für viele Neugebore-<br />

ne der nächsten Jahre haben sollte.<br />

Die Erkenntnis, dass <strong>Contergan</strong> die Fehlbil-<br />

dungen von ca. 5000 Babys (10 000 weltweit)<br />

verursacht haben könnte, war ein nationaler<br />

Schock. Danach folgte ein zähes, fast ein Jahr-<br />

zehnt andauerndes Strafverfahren gegen Mit-<br />

arbeiter der Firma Grünenthal. Nach einem<br />

außergerichtlichen Vergleich wurde das Ver-<br />

fahren wegen »geringer Schuld« eingestellt.<br />

Ein Urteil oder ein Schuldanerkenntnis sind<br />

niemals erfolgt.<br />

Es ist kein leichtes Unterfangen, anknüpfend<br />

an diese wahren Begebenheiten einen histo-<br />

rischen Spielfi lm zu entwickeln. Wer nach<br />

den neuerlichen juristischen Auseinanderset-<br />

zungen um Persönlichkeitsrechte der dama-<br />

ligen Beteiligten nun einen spekulativen und<br />

auf Sensation setzenden Fernsehzweiteiler<br />

erwartet, wird überrascht werden.


»Die Erkenntnis, dass <strong>Contergan</strong> die Fehlbildungen<br />

von ca. 5000 Babys (10000 weltweit)<br />

verursacht haben könnte, war ein<br />

nationaler Schock. Danach folgte eine zähe,<br />

fast ein Jahrzehnt andauernde juristische<br />

Auseinandersetzung.«<br />

Dem Regisseur Adolf Winkelmann und seinem<br />

Kameramann David Slama ist es gelungen, aus<br />

dem Drehbuch von Benedikt Röskau einen<br />

bewegenden Familienfilm zu schaffen, der die<br />

Verknüpfung von großer Emotionalität und<br />

juristischer Sachlichkeit mit Bravour meistert.<br />

Die Hauptdarsteller Benjamin Sadler und<br />

Katharina Wackernagel als betroffene Eltern,<br />

sowie ihre Kollegen Caroline Peters, Hans-<br />

Werner Meyer, August Zirner und alle anderen<br />

Schauspieler bilden ein Ensemble, das mit<br />

höchster Schauspielkunst die Filmerzählung<br />

lebendig werden lässt. Große Bewunderung<br />

empfinde ich für die begabte und mutige<br />

Darstellerin Denise, die unsere junge Heldin<br />

Katrin eindrucksvoll und berührend verkörpert.<br />

Gerade die zurückhaltende Darstellung dieses<br />

Mädchens und ihrer Behinderung zeigt den<br />

ernsten und respektvollen Umgang der Filme-<br />

macher mit dieser Thematik.<br />

Nicht zuletzt macht das im Detail genaue,<br />

herausragende Szenenbild von Ingrid Henn<br />

und ihren Mitarbeitern das Klima der 60er<br />

Jahre für unsere Zuschauer wieder fühlbar.<br />

Es ist für unseren Sender Tradition, mit anspruchsvollen,<br />

manchmal unbequemen Produktionen<br />

ein großes Publikum und eine große<br />

öffentliche Aufmerksamkeit zu erreichen.<br />

Auch dieser gesellschaftlich relevante Zweiteiler<br />

ist dafür ein herausragendes Beispiel.<br />

Verschiedene Features und Radiobeiträge aus<br />

Anlass des 50. Jahrestages der Markteinführung<br />

des Medikaments <strong>Contergan</strong> (1.10.1957)<br />

werden in zeitlicher Nähe im WDR Programm<br />

zu sehen und zu hören sein.<br />

So unfassbar das Unglück damals für die<br />

betroffenen Familien war, so schwierig ist<br />

es für viele Überlebende, sich dem Alltag zu<br />

stellen. Den heute Mittvierzigern und ihren<br />

Familien möchten wir mit diesen Filmen unseren<br />

Respekt zollen und die ihnen zustehende<br />

Aufmerksamkeit zukommen lassen.<br />

Monika Piel<br />

intendantin des westdeutschen<br />

rundfunks köln<br />

|


6 | <strong>Contergan</strong><br />

Inhalt<br />

<strong>Teil</strong> 1: <strong>Eine</strong> <strong>einzige</strong> <strong>Tablette</strong><br />

Anfang der 60er Jahre hat der aufstrebende<br />

Anwalt Paul Wegener (Benjamin Sadler) allen<br />

Grund, zuversichtlich in die Zukunft zu blicken.<br />

Die Bemühungen seines Sozius Horst Bauer<br />

(Hans-Werner Meyer), für ihre neu gegründete<br />

Kanzlei zahlungskräftige Mandanten aus der<br />

Industrie zu gewinnen, tragen erste Früchte<br />

und bei Pauls Frau Vera (Katharina Wacker-<br />

nagel) ist ein Kind unterwegs. Schnell ver ges-<br />

sen ist da das Mandat für einen scheinbar<br />

unbedeutenden Scheidungsfall, bei dem<br />

ein Kind im Spiel ist, das mit schweren Fehl-<br />

bil dungen geboren wurde. Erst als auch seine<br />

Frau Vera ein fehlgebildetes Kind zur Welt<br />

bringt, dämmert Paul, dass zwischen den bei-<br />

den Geschichten ein Zusammenhang besteht.<br />

Sollte das Medikament <strong>Contergan</strong> schuld an<br />

den Fehlbildungen sein, jenes Präparat, das<br />

ausgerechnet von derjenigen Firma produziert<br />

wird, die der Kanzlei lukrative Industriemanda-<br />

te vermittelt hat? Auf Drängen seiner Frau<br />

setzt Paul alles daran, der Herstel lerfi rma den<br />

<strong>Prozess</strong> zu machen. Dennoch dauert es Jahre,<br />

bis der Staatsanwalt Fedder sen (Sylvester<br />

Groth) nach schwierigen Ermit tlungen Anklage<br />

gegen die verantwort lichen Mitarbeiter<br />

erhebt. Als Pauls Tochter einge schult wird,<br />

ist es endlich soweit: Die Haupt verhandlung<br />

wird eröff net, Pauls Kampf gegen das<br />

mächtige Unter nehmen und dessen An walt<br />

Dr. Nau mann (August Zirner) – wahr haftig der<br />

Kampf von David gegen Goliath – geht weiter.


<strong>Teil</strong> 2: <strong>Der</strong> <strong>Prozess</strong><br />

Während die siebenjährige Tochter von Paul<br />

und Vera alle Mühe hat, sich als <strong>Contergan</strong> -<br />

ge schädigtes Mädchen zu behaupten, ist<br />

die Gerichtsverhandlung in vollem Gange.<br />

Inhalt<br />

| 7<br />

Geschickt spielt Naumann auf Zeit und hofft<br />

auf eine Verjährung. Das quälend lange<br />

Gerichtsverfahren lässt auch Pauls Ehe nicht<br />

unbeschadet. <strong>Der</strong> Alltag mit der behinderten<br />

Tochter ist eine schwere Belastung. Außerdem<br />

führen die Meinungsverschiedenheiten der<br />

Eheleute über die Art der <strong>Prozess</strong>führung am<br />

Ende zur vorübergehenden Trennung. Wäh-<br />

rend Paul unermüdlich für eine akzeptable<br />

außergerichtliche Einigung seiner Mandanten<br />

kämpft und sich Vera aufopferungsvoll für ihre<br />

stigmatisierte Tochter stark macht, regt sich<br />

bei Naumanns Mandanten langsam Wider-<br />

stand gegen dessen juristische Taktik.


| <strong>Contergan</strong><br />

Katharina Wackernagel<br />

… ist Vera Wegener<br />

Die schöne Aussicht auf ein ungetrübtes Fami-<br />

lienleben wird Vera Wegener nach der Geburt<br />

ihres ersten Kindes erst einmal genommen. Das<br />

Kind kommt ohne Arme und mit nur einem Bein<br />

zur Welt, die Eltern sind schockiert. Kann eine<br />

<strong>einzige</strong> <strong>Contergan</strong>-<strong>Tablette</strong>, die Vera während<br />

der Schwangerschaft wegen ihrer Schlafstörungen<br />

nahm, derartige Fehlbildungen verursacht<br />

haben? Als deutlich wird, dass dem tatsächlich<br />

so ist, drängt Vera ihren Mann, den verantwortlichen<br />

Konzern mit rechtlichen Mitteln zur<br />

Rechenschaft zu ziehen. Liebevoll kümmert<br />

sich Vera um ihre Tochter – und um ihre gesellschaftliche<br />

Anerkennung, die ihr so oft verwehrt<br />

bleibt. Trotzdem hat Vera in all den Jahren viele<br />

Tiefschläge einzustecken. Auch die Frage, was<br />

aus ihrer Ehe wird, lässt sie nicht los.<br />

Katharina Wackernagel stammt aus einer Schauspielerfamilie<br />

und stand schon als Kind auf der Theaterbühne.<br />

Als 17-Jährige wurde sie für die ARD-Serie<br />

Tanja entdeckt, die ihr 1998 den Goldenen Löwen<br />

als beste Seriendarstellerin einbrachte. Hauptrollen<br />

übernahm sie in jüngster Zeit zum Beispiel in Schnee<br />

im Sommer (Regie: Buket Alakus) und im ARD-Doku-<br />

Drama Ich Narr des Glücks – Das Leben des Heinrich<br />

Heine (Regie: Gordian Maugg), in dem sie Heines<br />

Freundin und spätere Frau Mathilde spielte. Beide<br />

Produktionen wurden 2006 ausgestrahlt. Als Filmtochter<br />

des Therapeuten Bloch alias Dieter Pfaff<br />

stand sie 2001 erstmals vor der Kamera. Seither<br />

wurden elf Folgen der ARD-Reihe ausgestrahlt.<br />

Weitere Rollen übernahm Katharina Wackernagel<br />

u. a. in Kai Wessels Fernsehfilm Hat er Arbeit? (2000),<br />

im ARD-Zweiteiler Unser Pappa (2001, Regie: Thomas<br />

Jauch), im Thriller Am Ende die Wahrheit (2002, Regie:<br />

Micki Rowitz) und in den Mehrteilern Das Wunder<br />

von Lengede (2003, Regie: Kaspar Heidelbach) und<br />

Die Luftbrücke (2005, Regie: Dror Zahavi). Weitere<br />

Auftritte hatte sie in dem Dokudrama Die letzte<br />

Schlacht (2005, Regie: Hans-Christoph Blumenberg)<br />

und in der Liebeskomödie Bettgeflüster & Babyglück<br />

(2005, Regie: Annette Ernst). Hinzu kamen Kinofilme<br />

wie Sönke Wortmanns Das Wunder von Bern (2003)<br />

und Die Boxerin (2006, Regie: Catharina Deus) mit<br />

einer wahrhaft kraftvollen Darstellung in der Titelrolle.<br />

Außerdem brillierte sie in dem TV-Thriller Mein<br />

Mörder kommt zurück (2007, Regie: Andreas Senn).<br />

Darüber hinaus wirkte Katharina Wackernagel<br />

in mehreren, teils selbst produzierten Kurzfilmen<br />

mit – immer in Zusammenarbeit mit ihrem Bruder,<br />

dem Drehbuchautor Jonas Grosch. Er schrieb auch<br />

das Buch für den Kurzfilm Think positive, bei dem<br />

Katharina Wackernagel Regie führte – mit großem<br />

Erfolg: Think positive wurde 1999 beim Filmfest<br />

Dresden mit dem Zuschauerpreis ausgezeichnet.


Im Gespräch<br />

Zwei Jahre liegen die Dreharbeiten von<br />

»<strong>Contergan</strong>« nun zurück, und niemand hat<br />

Ihre großartige Darstellung bislang sehen<br />

können. Wie haben Sie die langwierige<br />

juristische Auseinandersetzung über den<br />

Film erlebt?<br />

Das war furchtbar für mich. Ich bin auch<br />

skeptisch geworden. Immer wieder zu jubeln:<br />

<strong>Prozess</strong> gewonnen! Und dann ist die Sache<br />

doch noch nicht ausgestanden. Zwischendrin<br />

war natürlich der Schreck, dass der Film viel-<br />

leicht gar nicht gezeigt werden könnte. Die<br />

Arbeit mit Adolf Winkelmann und Denise,<br />

die meine Tochter gespielt hat, war so etwas<br />

Besonderes, dass ich dachte: Es darf nicht sein,<br />

dass so ein Film verboten wird.<br />

Wie muss man sich das eigentlich<br />

vorstellen, wenn man plötzlich eine<br />

Filmtochter hat?<br />

Es ist schon ein besonderes Verhältnis, das<br />

man da aufbaut: Sich am Anfang erst kennen<br />

zu lernen und dann vier Wochen lang zusam-<br />

men zu sein. Ich will nicht sagen, dass ich<br />

etwas Mütterliches für sie gehabt hätte – ihre<br />

Mutter war ja auch die ganze Zeit dabei –,<br />

aber vielleicht war ich ein bisschen wie eine<br />

große Schwester. Es war schön, wie wir so<br />

nach und nach zusammengewachsen sind.<br />

Und dann diese riesige Enttäuschung, als der<br />

Film erst auf dem Filmfest in München laufen<br />

sollte und dann doch nicht gezeigt werden<br />

durfte. Denise schrieb mir eine SMS, da treffen<br />

wir uns endlich – und dann wurde der Film ab-<br />

gesagt. Jetzt freue ich mich auf die Premiere.<br />

Wie hat Sie der Regisseur<br />

durch den Film geführt?<br />

Die Arbeit mit Adolf Winkelmann war erstaun-<br />

lich: Mit was für einer Ruhe er das durchgezo-<br />

gen hat und sich für jeden Zeit nahm. Trotz-<br />

dem hatte er nie das Gefühl, dadurch mit der<br />

Zeit in Verzug zu kommen. Es war toll, welche<br />

Chancen er uns gab. Ich erinnere mich an die<br />

ersten Tage, bevor wir anfingen zu drehen.<br />

Da haben Benjamin Sadler und ich mit Adolf<br />

Winkelmann jeden Abend stundenlang im<br />

Hotel gesessen und geredet, uns Geschichten<br />

zu unseren Figuren ausgedacht. Ich habe sel-<br />

ten erlebt, dass ein Regisseur das auch möchte.<br />

Da fühlte man sich sehr aufgehoben und<br />

begleitet.<br />

Könnten Sie Ihre Figur<br />

kurz beschreiben?<br />

Ich glaube, dass Vera anfangs niemals damit<br />

gerechnet hätte, so eine Aufgabe im Leben<br />

gestellt zu bekommen. Nicht, dass sie naiv<br />

gewesen wäre, aber sie hatte noch keinen<br />

konkreten Lebensplan außer vielleicht den<br />

von einer schönen Küche und dem Leben als<br />

Anwaltsgattin. Dann ist sie aber die Erste, die<br />

die Tochter annimmt und sagt: Das ist mein<br />

Kind. Sie entwickelt eine große Kraft und er-<br />

fährt dadurch viel über sich selbst. Diese Fähig-<br />

keit hätte ich dieser Frau zu Beginn gar nicht<br />

zugetraut.<br />

Aber Muttergefühle muss man ja<br />

auch als junge Schauspielerin irgendwo<br />

hernehmen.<br />

Obwohl ich kein Kind habe, konnte ich diese<br />

Gefühle aus mir schöpfen. Zudem hat mich<br />

diese Vera auch sehr berührt. Was wiederum<br />

viel damit zu tun hat, wie Adolf Winkelmann<br />

die Figuren mit uns entwickelt hat.<br />

Darsteller<br />

»Es darf nicht sein, dass so ein<br />

Film verboten wird.«<br />

|


10 | <strong>Contergan</strong><br />

> Im Gespräch<br />

Hatten Sie sich das schon beim Lesen<br />

des Drehbuchs vorstellen können?<br />

Da war ich noch ein bisschen skeptisch und<br />

dachte, hoffentlich werden die Figuren nicht<br />

zu plakativ, wird das Ganze nicht sentimental.<br />

Aber Adolf Winkelmann ist eben kein Regis-<br />

seur, der Sentimentalität bedient. Und ansons-<br />

ten war ich einfach perplex über die damalige<br />

Zeit: Ich konnte mir gar nicht vorstellen, wie<br />

vor nur vierzig Jahren noch mit Behinderten<br />

umgegangen wurde. Diese Szene im Kranken-<br />

haus, wenn ein behindertes Kind geboren ist<br />

und ein Arzt sagt: Das ist eine Schande für<br />

unser Haus. Ich dachte, dass kann nicht sein.<br />

Dann habe ich das aber meinem Vater erzählt,<br />

und der sagte: Doch, so haben Leute damals<br />

gesprochen. Dass Leute sagten: Sie haben ja<br />

ein süßes Kind, aber in meinem Kindergarten<br />

möchte ich es nicht so gerne sehen. Mir wurde<br />

von allen Seiten bestätigt, dass es so gewesen<br />

sein muss. Und teilweise auch noch heute so<br />

ist. Integration funktioniert ja noch immer<br />

nicht überall.<br />

Vielleicht ändert sich das ein kleines<br />

bisschen durch Ihre Darstellung. Sie setzen<br />

ein positives Zeichen, wie selbstverständ-<br />

lich man das Leben mit einem behinderten<br />

Kind angehen kann.<br />

Ich hatte mich allerdings noch nie zuvor mit<br />

der Situation beschäftigt, dass jemand im<br />

Supermarkt das Kind anglotzt und sagt:<br />

Warum hat die jetzt keine Arme und nur ein<br />

Bein? Das ist nicht unbedingt aggressiv ge-<br />

meint und zeigt vielleicht nur, dass jemand<br />

einfach nicht weiß, wie gebe ich diesem Men-<br />

schen jetzt die Hand. Da war es sehr wichtig,<br />

mit der Mutter von Denise darüber zu reden.<br />

Denn eine Behinderung kann natürlich schon<br />

eine große Belastung werden, für die man<br />

nicht immer die Kraft findet. Da überlegt<br />

man sich vielleicht doch, lieber schnell allein<br />

einkaufen zu gehen. Aber genau deshalb ist<br />

es so wichtig, diesen Film zu zeigen.<br />

Nun gibt es auch ausgesprochen leichte<br />

und zum <strong>Teil</strong> lustige Szenen. Wahrschein-<br />

lich auch bei den Dreharbeiten …<br />

Es war total irre, wie Adolf Winkelmann<br />

Caroline Peters und mich als Freundinnen in-<br />

szeniert hat. Drehbücher verlangen ja oft enge<br />

Freundschaften, die dann vielleicht schnell<br />

zerbrechen, aber die Darsteller kennen sich


vorher gar nicht. Da hat Adolf Winkelmann<br />

uns die tollsten Sachen zugeflüstert: Als wir<br />

zum Beispiel das Sofa ausprobieren sollten,<br />

war das herrlich. Fünf Minuten sind wir da<br />

zusammen herumgehopst. Obwohl wir gar<br />

nicht wussten, was er mit dieser Szene anfan-<br />

gen will. Aber er wusste, dass uns das einfach<br />

näher bringen würde. Oder bei meiner Zeugen-<br />

aussage, die fast in eine Prügelei ausartet.<br />

Ich sollte von zwei Polizisten festgehalten<br />

werden, aber die Komparsen, die sie spielten,<br />

haben sich das nicht richtig getraut. Ich hinge-<br />

gen habe total hysterisch gespielt und mich<br />

wahnsinnig gewehrt! Die waren völlig verle-<br />

gen und haben sich danach immer wieder bei<br />

mir entschuldigt. Als ich diese Szenen im Dreh-<br />

buch las, dachte ich, wie machen die das bloß,<br />

dass es spannend bleibt. Jetzt habe ich den<br />

Film schon zwei Mal gesehen und finde gerade<br />

die Gerichtsszenen besonders gut. Sie sind<br />

voller toller Typen und fallen nie ins Klischee.<br />

Sie haben selbst einmal Regie geführt bei<br />

einem sehr erfolgreichen Kurzfilm. Wollen<br />

Sie da irgendwann weitermachen?<br />

Das würde ich gerne. Mein Bruder ist ja Dreh-<br />

buchautor, und wir würden gerne mal wieder<br />

einen Film zusammen machen. Das ist schon<br />

noch in Planung.<br />

Darsteller | 11<br />

»Diese Szene im Krankenhaus,<br />

wenn ein behindertes Kind geboren<br />

ist und ein Arzt sagt: Das ist eine<br />

Schande für unser Haus. Ich dachte,<br />

dass kann nicht sein.«


12 | <strong>Contergan</strong><br />

Benjamin Sadler<br />

… ist Paul Wegener<br />

In der Zeit des Wirtschaftswunders macht sich<br />

der Anwalt Paul Wegener mit seinem Sozius<br />

Horst Bauer voller Tatkraft an den Aufbau einer<br />

gemeinsamen Rechtsanwaltskanzlei. Als seine<br />

Frau Vera ein <strong>Contergan</strong>-geschädigtes Kind zur<br />

Welt bringt, entschließt er sich gegen den Widerstand<br />

seines Partners, eine ebenfalls betroffene<br />

Frau vor Gericht zu vertreten. Auch wenn<br />

Paul die Dimension des Arzneimittelskandals<br />

immer klarer wird – beim Pharmakonzern hat<br />

er es mit einem übermächtigen Gegner zu tun.<br />

Zunehmend wird das Gerichtsverfahren auch<br />

zu einer schweren Belastung für Pauls Ehe.<br />

Benjamin Sadler wurde in Kanada geboren, wo er<br />

auch seine ersten Lebensjahre verbrachte. Nach dem<br />

Abitur in Deutschland studierte er Schauspiel an der<br />

Royal Academy of Dramatic Art in London und belegte<br />

Workshops in New York. Seine Fernsehkarriere<br />

in Deutschland begann Mitte der 90er Jahre zunächst<br />

mit einzelnen Auftritten in Serien wie Alle lieben Julia<br />

(1994) und Freundschaft mit Herz (1996), bis ihn<br />

Regisseur Thorsten Näter für einen Tatort vor die Kamera<br />

holte. Sein überzeugender Auftritt in der Folge<br />

Fetischzauber (1996) trug Benjamin Sadler zahlreiche<br />

Rollenangebote in Fernsehkomödien, -krimis und<br />

-serien ein. So sah man ihn 1997 an der Seite von Anna<br />

Thalbach in der Komödie Nackt im Cabrio (Regie: Sven<br />

Severin) und als Partner von Jennifer Nitsch in dem<br />

Krimi Schock – <strong>Eine</strong> Frau in Angst (1998, Regie: Ben<br />

Verbong).<br />

Seither ist der Schauspieler vom Bildschirm kaum<br />

wegzudenken. Neben Fernsehkrimis und -thrillern<br />

wie Verführt – <strong>Eine</strong> gefährliche Affäre (1999, Regie:<br />

Michael Karen) und <strong>Der</strong> Kopp (1999, Regie: Michael<br />

Mackenroth) spielte er im preisgekrönten TV-Drama<br />

Rosenzweigs Freiheit (1998, Regie: Liliane Targownik)<br />

und im Kinderfi lm Spuk aus der Gruft. 2003 war er in<br />

gleich zwei viel beachteten Produktionen zu sehen:<br />

im Fernsehen in dem mit einem Grimme Preis ausgezeichneten<br />

Zweiteiler Das Wunder von Lengede<br />

(Regie: Kaspar Heidelbach), im Kino in dem erfolgreichen<br />

Historiendrama Luther (Regie: Eric Till). Er<br />

übernahm tragende Rollen auch in dem ARD-Film<br />

Sehnsucht nach Liebe (2004, Regie: Erwin Keusch)<br />

als Partner von Barbara Rudnik, in der Krimireihe Ein<br />

starkes Team: Ihr letzter Kunde und in der Komödie<br />

Bettgefl üster & Babyglück (Regie: Annette Ernst,<br />

beide 2005). <strong>Der</strong> Zweiteiler Dresden (2006, Regie:<br />

Roland Suso Richter) machte Sadler weit über die<br />

Grenzen des deutschen Sprachraums hinaus bekannt.<br />

So folgten als internationale Co-Produktion die groß<br />

angelegte Tolstoj-Verfi lmung Krieg und Frieden<br />

(Regie: Robert Dornhelm / Brendan Donnison) sowie<br />

in Italien der TV-Film Caravaggio (Regie: Angelo Longoni,<br />

beide 2007) und die fi lmische Aufarbeitung<br />

deutscher Kriegsverbrechen in Hotel Meina (Regie:<br />

Carlo Lizzani), ein Film, der in diesem August seine<br />

glanzvolle Premiere beim Festival von Venedig<br />

erlebte. In Deutschland spielte Benjamin Sadler<br />

zuletzt an der Seite Herbert Knaups im TV-Thriller<br />

Augenzeugin (Regie: Markus Rosenmüller), der im<br />

kommenden Jahr ausgestrahlt wird.


Im Gespräch<br />

Herr Sadler, seit Das Wunder von Lengede<br />

haben Sie in einigen so genannten Event-<br />

fi lmen gespielt. Wird man da vielleicht<br />

schon zum »Eventstar« ernannt?<br />

Das weiß ich nicht. Mich interessiert auch<br />

generell weniger das Format als der Inhalt.<br />

Im Idealfall hat man einfach einen guten Film<br />

gemacht. Unabhängig von dem Format und<br />

einer Etikettierung.<br />

Die Geschichte dieser Familie wäre auch<br />

ohne den <strong>Contergan</strong>-Fall interessant.<br />

Genau. Das ist das Spannende an diesem<br />

Film, dass die Dramaturgie vollkommen anders<br />

ist. Adolf Winkelmann erzählt einen Film vor<br />

einem konkreten Hintergrund, aber die Ge-<br />

schichte erzählt sehr motiviert von einer Zeit<br />

und einem gesellschaftlichen Phänomen, das<br />

heute so aktuell ist wie vor vierzig Jahren.<br />

Zu jedem Problem, denkt man, gibt es eine<br />

Pille: Nehmen Sie nur Psychopharmaka wie<br />

das amerikanische Prozac. Funktionieren steht<br />

in unserer Gesellschaft über allem.<br />

Ist das in Ihrem Beruf nicht auch sehr<br />

wichtig? Sie sitzen hier gerade mit Schal<br />

im Hochsommer …<br />

(Er lacht.) Dafür rauche ich aber auch wie ein<br />

Schlot! Wissen wir denn wie die Medikamente<br />

im Körper funktionieren? Man kennt die Wir-<br />

kung, aber was genau im Körper abläuft, das<br />

weiß man oft nicht. Was sich seit den 60er<br />

Jahren sicherlich geändert hat, ist der Umgang<br />

mit Behinderten. Wobei nur ein Betroffener<br />

selbst das wirklich beurteilen kann. Mir hat ein<br />

so genannter Behinderter mal gesagt »Ich<br />

selbst fühle mich nicht behindert, erst die<br />

Gesellschaft macht mich dazu.«<br />

Sie haben selbst eine fünfjährige Tochter.<br />

Wie haben Sie die Arbeit mit Ihrer Film-<br />

tochter Denise empfunden?<br />

Sie war und ist unser größtes Glück für den<br />

Film. <strong>Eine</strong> der großartigsten Begegnungen,<br />

die ich als Mensch in den letzten Jahren ge-<br />

habt habe. Für mich ist Denise der Star des<br />

Films. Dieses Mädchen ist der Hammer.<br />

Sie ist jetzt im Teenageralter und sieht nichts<br />

lieber als Verliebt in Berlin.<br />

»Mit Adolf Winkelmann ist gar nichts schwierig.«<br />

Darsteller<br />

| 13


14 | <strong>Contergan</strong><br />

Konnten Sie sich den Film eigentlich<br />

von Anfang an so vorstellen, wie er jetzt<br />

geworden ist?<br />

Die Emotionalität der Geschichte war von<br />

Anfang an gegeben. Bei der ersten Lektüre des<br />

Drehbuchs habe ich Rotz und Wasser geheult.<br />

Nehmen Sie die Szene mit dem einsamen Kin-<br />

dergeburtstag. Diese Vorstellung – ich bin ja<br />

selbst Vater – macht dich kaputt. Da sah man<br />

schon die Möglichkeit einer emotionalen Her-<br />

angehensweise. Und ich kannte Adolf Winkel-<br />

manns klassische Filme und die Haltung, die<br />

aus ihnen spricht. Daran wurde dann kollektiv<br />

gearbeitet, wobei das Team aus Winkelmann<br />

und dem Kameramann David Slama die Kopf-<br />

arbeit leistete. Wir haben uns jeden Abend im<br />

Kaminzimmer unseres Kölner Hotels getroffen.<br />

Es war erstaunlich, wie offen und interessiert<br />

jeder an einer inhaltlichen Weiterentwicklung<br />

war. Wie jeder Adolf Winkelmanns Ideen an-<br />

nahm und bereit war, sie umzusetzen! Es war<br />

die ideale Ensembleleistung, so sollte es immer<br />

sein.<br />

Diese Geschlossenheit merkt<br />

man besonders dem homogenen<br />

Darstellerspiel an …<br />

Es gibt ja wunderbare Schauspieler, die hier<br />

in kleineren Rollen spielen, aber ganz unver-<br />

wechselbar zur Qualität des Films beitragen.<br />

Es ist einfach alles richtig besetzt. Da könnte<br />

man sich doch nirgendwo jemand anderen in<br />

einer Rolle vorstellen.<br />

Und wie würden Sie Ihre Rolle<br />

charakterisieren?<br />

Was diesen Mann zum Helden macht ist die<br />

grundsätzliche Entscheidung zu tun, was er<br />

denkt, das getan werden muss. Er sieht sich zu<br />

einem gewissen Zeitpunkt um und entscheidet<br />

sich, einen Weg zu gehen, der nicht nur mutig<br />

ist und einsam, sondern eine doppelte Belas-<br />

tung darstellt: für ihn als Vater und als Juris-<br />

ten. Er nimmt enorme private Belastungen<br />

in Kauf. Trotzdem gibt er nicht auf. Vielleicht<br />

werden ihm die Konsequenzen erst Jahre<br />

später bewusst. Für mich war nun interessant,<br />

die möglichen Schwächen zu finden. Wann<br />

wird er müde? Langfristig wird ihm vielleicht<br />

niemand danken, aber er gibt seine Integrität<br />

nicht auf.<br />

Ist es nicht schwer, einen Helden zu<br />

spielen, der nicht dauernd auch physisch<br />

aktiv ist? Es gibt ja keine Actionszenen,<br />

kaum Außenaufnahmen.<br />

Ich kann nur sagen: Mit Adolf Winkelmann ist<br />

gar nichts schwierig. Und mit so wunderbaren<br />

Kollegen. Es gibt Momente, in denen man pro-<br />

bieren und sich umentscheiden muss. Aber<br />

mit einem Paten wie Adolf Winkelmann an der<br />

Seite, habe ich vollstes Vertrauen. Es ist ein in-<br />

nerer <strong>Prozess</strong>, eine Strategie im Kopf: Als hätte<br />

jemand ein unsichtbares Schachspiel vor sich.<br />

Und der Stuhl, auf dem der Mann sitzt, also der<br />

private Stuhl, wird im <strong>Prozess</strong> auch noch in<br />

seine Bestandteile zerlegt. Am Ende bleibt ihm<br />

nur noch das Sofa in seiner Kanzlei, auf dem er<br />

schlafen kann. Durch David Slamas Kamera<br />

scheint dieser Zustand die ganze Zeit förmlich<br />

zu vibrieren. Filmisch wird da etwas erzählt.<br />

Dabei tritt die Kamera ja auch niemandem<br />

zu nahe, es ist ja kein Dogmafilm mit<br />

Wackelkamera.<br />

Nein, die Kamera merkt man gar nicht, und<br />

das ist ja das Großartige daran.


Hatten Sie Vorbilder aus dem<br />

Leben für diese Darstellung?<br />

Kennen Sie das Gefühl: Man hat jemanden<br />

kennen gelernt, freundet sich an und wird<br />

dann zum ersten Mal nach Hause eingeladen.<br />

Dann hat man ein Bild im Kopf, wie die Leute<br />

wohl leben mögen. Aber die Wirklichkeit ist<br />

natürlich ganz anders. Später geht man nach<br />

Hause und denkt: Wie hatte ich mir das eigent-<br />

lich vorgestellt? Aber dieses Bild ist dann schon<br />

vergessen. So geht es mir mit Vorbildern, die<br />

ich vielleicht einmal hatte. Die sind vergessen.<br />

Und wie haben Sie sich so gut<br />

in die Zeit einfühlen können?<br />

Die Produktionsfi rma ZEITSPRUNG hatte uns<br />

acht Stunden mit Fernsehsendungen zusam-<br />

mengestellt, von den Game Shows bis zu den<br />

Nachrichten von damals. Das war das Sprung-<br />

brett in die Zeit. Wie fühlte sich das an? Diese<br />

Aufbruchstimmung in Deutschland. Und von<br />

dieser Euphorie musste man in den privaten<br />

Alptraum eintauchen: Wo eine unvorherseh-<br />

bare Tragödie den Traum vom Erfolg durch-<br />

kreuzt. Adolf Winkelmann fi letiert mir das<br />

geradezu, ich muss nur noch zugreifen. Wenn<br />

der wieder eine Rolle hätte, ich glaube ich<br />

würde blind zusagen. Wann geht es los? Wo<br />

muss ich stehen? Sofort!<br />

Kann man in Worte fassen, wie<br />

Adolf Winkelmann das geschafft hat?<br />

Gibt es da einen Trick?<br />

Vielleicht glorifi ziere ich das, aber diesmal kam<br />

mir vieles so mühelos vor. Und wenn ich mich<br />

frage, warum, dann habe ich eigentlich nicht<br />

das Bedürfnis, dem so genau nachzuspüren.<br />

Denn diese Magie, die Adolf Winkelmann da<br />

kreiert, die will ich gar nicht ganz verstehen.<br />

Darsteller<br />

| 1<br />

»Was diesen Mann zum Helden macht<br />

ist die grundsätzliche Entscheidung<br />

zu tun, was er denkt, das getan werden<br />

muss.«


16 | <strong>Contergan</strong><br />

Hans-Werner Meyer<br />

… ist Horst Bauer<br />

Horst Bauer ist absolut dagegen, dass sein Sozius<br />

Paul mit gerichtlichen Mitteln gegen den Pharmakonzern<br />

vorgehen will, der <strong>Contergan</strong> auf den<br />

Markt gebracht hat. Denn gerade von diesem und<br />

anderen Unternehmen erhofft sich Horst lukrative<br />

Mandate. Die Spannungen zwischen den Partnern<br />

wachsen, aus den Freunden von einst werden langsam<br />

Gegner.<br />

Hans-Werner Meyer gehört heute zu den gefragtesten<br />

Schauspielern der jüngeren Generation. Nach<br />

seiner Ausbildung an der Hochschule für Musik und<br />

Theater in Hannover hatte der gebürtige Hamburger<br />

seit 1990 Engagements am Münchner Residenz-<br />

theater und seit 1993 an der Berliner Schaubühne.<br />

Bereits 1994 war er erstmals auf der Leinwand<br />

zu sehen: in Joseph Vilsmaiers Neuverfilmung des<br />

Kästner-Romans Charlie & Louise – Das doppelte<br />

Lottchen. Auch andere namhafte Regisseure holten<br />

ihn danach vor die Kamera. So arbeitete er u. a. mit<br />

Martin Enlen (Wer Kollegen hat, braucht keine Feinde,<br />

1995), Nico Hofmann (Es geschah am hellichten Tag,<br />

1997) und Bodo Fürneisen (Gefährliche Wahrheit,<br />

1998). Für die Filmbiografie Marlene (2000) engagierte<br />

Joseph Vilsmaier den vielseitigen Schauspieler<br />

noch einmal – diesmal für die Rolle des Joseph von<br />

Sternberg. Im gleichen Jahr erhielt Hans-Werner<br />

Meyer den Bayerischen Fernsehpreis für herausragende<br />

Leistungen in dem Fernsehfilm Und morgen<br />

geht die Sonne wieder auf und in der erfolgreichen<br />

Krimiserie Die Cleveren.<br />

Weitere hochkarätige Filmarbeiten schlossen sich<br />

an: In der Bernd Eichinger-Produktion Vera Brühne<br />

(2001, Regie: Hark Bohm) stand Hans-Werner Meyer<br />

neben Corinna Harfouch vor der Kamera. Viel Lob<br />

erhielt seine Darstellung eines Familienvaters, der<br />

sein homoerotisches ›Coming out‹ erlebt, in dem<br />

Film <strong>Eine</strong> außergewöhnliche Affäre (2002, Regie:<br />

Maris Pfeiffer). Große Beachtung fand auch der<br />

ARD-Fernsehfilm Zwei Tage Hoffnung (2003, Regie:<br />

Peter Keglevic) über den 17. Juni 1953. Zuletzt brillierte<br />

Meyer in so unterschiedlichen Rollen wie der des<br />

Profi-Sportlers in Diethard Klantes Ich will laufen –<br />

<strong>Der</strong> Fall Dieter Baumann (2004), der des langsam<br />

wahnsinnig werdenden Offizierssohns in <strong>Der</strong> weiße<br />

Afrikaner (2004, Regie: Martin Enlen), in der Rolle<br />

des Thomas Menz in Doppelter Einsatz – <strong>Der</strong> Fluch des<br />

Feuers (2005, Regie: Gregor Schnitzler), als unmoralischer<br />

Banker in Was für ein schöner Tag (2005, Regie:<br />

Rolf Silber) und als schillernder Mafioso in dem internationalen<br />

Vierteiler Im Zeichen des Drachen (2007,<br />

Regie: Antonello Grimaldi), seiner ersten Hauptrolle<br />

in einer internationalen Produktion. Als Vater, der<br />

spät sein entführtes Kind wiederfindet, überzeugte<br />

er im TV-Drama Die andere Hälfte des Glücks (2007,<br />

Regie: Christiane Balthasar). Neben Henry Hübchen<br />

spielte er die Hauptrolle in der Bestsellerverfilmung<br />

Mordshunger (2007, Regie: Roberto-Adrian Pejo). Zuletzt<br />

war Hans-Werner Meyer in der Regie von Lutz<br />

Konermann in einer Hauptrolle in dem Eventfilm<br />

Prager Botschaft (2007) und in der Komödie Das Geheimnis<br />

von Loch Ness (2007, Regie: Michael Rowitz)<br />

zu sehen.


Im Gespräch<br />

Herr Meyer, wie würden Sie Ihre<br />

Rolle in »<strong>Contergan</strong>« beschreiben?<br />

<strong>Der</strong> Anwalt Horst Bauer ist ein Mensch, der<br />

von unten kommt, in eine reiche Familie<br />

eingeheiratet hat und immer unter Druck<br />

steht. Es ist vielleicht eine etwas undankbare<br />

Rolle, aber mir war es wichtig, sie so zu füllen,<br />

dass sie nicht einfach ein Abziehbild ist. Ich<br />

wollte ihr die Komplexität geben, die jedem<br />

Menschen zusteht, so dass es dem Zuschauer<br />

nicht so leicht gemacht wird, sich auf eine<br />

Seite zu schlagen.<br />

Nun ist ja bei allem Ernst kein depri-<br />

mierender Film dabei entstanden.<br />

Können Sie die Stimmung bei den<br />

Dreharbeiten beschreiben?<br />

Es war eine sehr heitere Atmosphäre. Dass<br />

Heiterkeit und ein ernstes Thema sich nicht<br />

ausschließen, beweist ja der Film, und das<br />

hängt stark mit dem Regisseur Adolf Winkel-<br />

mann zusammen. Ihm schwebte ein Sittenbild<br />

der 60er Jahre vor, und das ziemlich präzise.<br />

<strong>Der</strong> Mann muss ein fotografi sches Gedächtnis<br />

haben. Zur Kostümprobe kam er z. B. und<br />

zeigte uns, wie die Schlipse gebunden werden<br />

müssen – diese kleinen, sehr festen Windsor-<br />

Darsteller | 17<br />

Knoten. Ihm waren alle Details extrem wich-<br />

tig. Auch der Hintergrund der Szenen ist ge-<br />

nauestens inszeniert. Wir haben beim Drehen<br />

viel gelacht, und ich habe beim Sehen des<br />

Filmes viel gelacht. Das macht ja gerade die<br />

tragische Dimension der Geschichte so viel<br />

erfahrbarer.<br />

Wenn man den Film sieht, fällt auf,<br />

wie sehr diese vielen unterschiedlichen<br />

Darsteller zusammenwachsen.<br />

Wie gelang das?<br />

»Kämpfen für den<br />

furchtbaren Kerl.«<br />

Auch das hängt mit der Person des Regis-<br />

seurs zusammen. Fünfzig Prozent der Miete<br />

ist natürlich eine Besetzung, die in der Lage<br />

ist, den Ton, der dem Regisseur vorschwebt,<br />

auch anzuschlagen. Er war dann einerseits<br />

sehr neugierig, wie die Schauspieler ihre Rollen<br />

spielen würden, andererseits hat er dieses<br />

Orchester guter Solisten aber auch mit dem<br />

ihm eigenen Humor dirigiert. Er hat eine en-<br />

orme Menschenliebe, und die hat er auf uns<br />

übertragen. Er war übrigens überrascht, wie<br />

ich meine Figur angelegt hatte, und hat mir<br />

hinterher dafür gedankt, dass ich so für diesen<br />

»furchtbaren Kerl« gekämpft hätte.


1 | <strong>Contergan</strong><br />

Haben Sie selbst noch Erinnerungen<br />

an die <strong>Contergan</strong>-Zeit?<br />

Ich war ein Kleinkind, wurde zwei Jahre danach<br />

geboren. Ich habe noch Erinnerungen an<br />

Freunde meiner Geschwister, die von Conter-<br />

gan betroffen waren. Das war für mich ein <strong>Teil</strong><br />

meiner Kindheit. Ich dachte immer, <strong>Contergan</strong><br />

wäre eine Bezeichnung für eine bestimmte<br />

Sorte Kind, die eben keine Arme oder Beine<br />

hat. Ich habe sie immer sehr bewundert, das<br />

weiß ich noch, die waren sehr gut in allem,<br />

was sie machten. Sie haben eine wahnsinnige<br />

Energie entwickelt, und ich fand sie unheim-<br />

lich stark.<br />

Hat sich Ihrer Ansicht nach der Umgang<br />

mit Behinderten seit damals verbessert?<br />

Auf jeden Fall. Man kann sich das gar nicht<br />

mehr vorstellen. Absurderweise hat ja der Con-<br />

tergan-Skandal enorm dazu beigetragen, dass<br />

sich das Klima verändert hat. <strong>Der</strong> Umgang war<br />

ja noch durch den Ton des Dritten Reiches be-<br />

stimmt. »Krüppel« war kein Schimpfwort, son-<br />

dern die gängige Bezeichnung für behinderte<br />

Menschen. Die Betroffenen wurden oft selbst<br />

für ihr Schicksal verantwortlich gemacht, das<br />

war <strong>Teil</strong> der Aggression, die man gegen das An-<br />

dersartige hatte, oder der Angst davor. Es war<br />

ja auch so, dass einem gesagt wurde »guck da<br />

nicht so hin«, wenn mal ein Schwarzer vorbei-<br />

kam. Man hielt sich davon lieber fern. Das hat<br />

sich schon enorm verändert, allerdings hängt<br />

es wohl damit zusammen, wo man lebt. Wenn<br />

in einem sächsischen Dorf acht Inder von fünf-<br />

zig Nazis gejagt werden, fragt man sich natür-<br />

lich, ob sich überhaupt was verändert hat.<br />

Ist es Ihnen denn leichtgefallen,<br />

in diese doch sehr fremde Zeit so<br />

glaubhaft einzutauchen?<br />

Ich kann mich noch gut an die Erwachsenen<br />

mit ihren pomadierten Fasson-Haarschnitten<br />

erinnern. Für meine Figur hatte ich ein Vorbild<br />

aus meiner eigenen Familie, einen Onkel, der<br />

Oberstleutnant bei der Bundeswehr war. <strong>Der</strong><br />

hatte eine andere Haltung, eine andere lau-<br />

tere, immer leicht befehlende Art zu reden,<br />

eine andere Zackigkeit. Allerdings kommt<br />

Horst Bauer aus dem Kleinbürgertum im Ruhr-<br />

pott, also konnte ich ihn nicht so sprechen<br />

lassen wie meinen Onkel, sondern musste ihm<br />

eine leichte Ruhrpott-Färbung in der Sprache<br />

mitgeben, da in der Zeit Kleinbürger selten<br />

Hochdeutsch sprachen.<br />

Glauben Sie, dass man mit Filmen etwas<br />

bewirken und die Gesellschaft aufrütteln<br />

kann?<br />

Ich bin nicht so naiv zu glauben, dass man<br />

mit einzelnen Filmen die Gesellschaft verän-<br />

dern kann. Aber der eine oder andere wird es<br />

sehen und sich erinnern, wie sehr die Firma<br />

Grünenthal versucht hat, diesen Film zu ver-<br />

hindern, und seine Schlüsse daraus ziehen.<br />

Mir zumindest ist klar geworden, dass unser<br />

Justizsystem durchaus anfällig ist. Gerechtig-<br />

keit ist auch hier oft eine Frage des Geldbeu-<br />

tels. <strong>Der</strong> Film hat ja schon im Vorfeld gewaltige<br />

Wellen geschlagen. Und er ist auch wirklich<br />

ein Meisterwerk. Mehr als ein Film zum Thema,<br />

er ist tatsächlich ein Sittenbild der 60er Jahre<br />

geworden – allerdings hatte ich sie nicht so<br />

humorvoll in Erinnerung.<br />

»Die Betroffenen wurden oft selbst für ihr<br />

Schicksal verantwortlich gemacht.«


Darsteller | 1


20 | <strong>Contergan</strong><br />

Caroline Peters<br />

… ist Hanne Bauer<br />

Hanne ist mit Vera befreundet. <strong>Der</strong> Zufall<br />

will es, dass auch sie kurz vor der Nieder-<br />

kunft ihrer Freundin schwanger wird. Als<br />

Vera ihre Tochter zur Welt bringt, ist Hanne<br />

entsetzt. Denn auch sie hat <strong>Contergan</strong> ein-<br />

genommen, ungewiss ist nur, ob sie zu dem<br />

Zeitpunkt schon schwanger war. Als sie ein<br />

gesundes Kind zur Welt bringt, ist sie über-<br />

glücklich. Umso mehr fehlt ihr das Verständ-<br />

nis dafür, dass ihrem Mann scheinbar jedes<br />

Mittel recht ist, um sich als Wirtschaftsan-<br />

walt einen Namen zu machen.<br />

Caroline Peters wuchs in Köln auf und absolvierte<br />

ihre Ausbildung an der Hochschule für Musik und<br />

Theater des Saarlandes. Sie stand für die Fernsehproduktionen<br />

Wilsberg – isst vietnamesisch (Regie: Buddy<br />

Giovinazzo) und Polizeiruf 110 – Vergewaltigt (Regie:<br />

Christian von Castelberg, beide 2005) vor der Kamera,<br />

ebenso wie für den Münster-Tatort 3x schwarzer Kater<br />

(2003, Regie: Buddy Giovinazzo) sowie für Die Affäre<br />

Semmeling (2002, Regie: Dieter Wedel) und Schluss<br />

mit lustig (2001, Regie: Isabel Kleefeld). Außerdem<br />

feierte Caroline Peters mit der Kinoproduktion Schöne<br />

Frauen (2004, Regie: Sathyan Ramesh) Erfolge. Vielbeachtet<br />

wurde ihre Hauptrolle im ARD-Thriller<br />

Arnies Welt (2005). Gemeinsam mit Regisseurin Isabel<br />

Kleefeld und ihren Filmpartnern Jörg Schüttauf und<br />

Matthias Brandt erhielt sie für ihre bewegende<br />

Darstellung einer Kleptomanin in diesem Jahr den<br />

begehrten Grimme Preis.<br />

Im Kino sah man Caroline Peters im israelischen<br />

Film Walk on Water (2004, Regie: Eytan Fox). Doch<br />

nicht nur vor der Kamera, sondern vor allem auch auf<br />

der Bühne hat sich die Wahlberlinerin einen Namen<br />

gemacht. Am Burgtheater Wien spielte sie in König<br />

Lear (Regie: Luc Bondy), Salome (Regie: Dimiter<br />

Gotscheff) und Hallo, Hotel …(Regie: René Pollesch)<br />

sowie an der Volksbühne in Berlin in Telefavela und<br />

Cappuccetto Rosso (Regie: René Pollesch). Als Co-<br />

Produktion mit den Salzburger Festspielen entstand<br />

Martin Kusejs Inszenierung von Nestroys Höllenangst,<br />

das vom ORF in diesem Jahr gesendet wurde.<br />

»Als Frau darf man nie die Schurkin sein.«


Im Gespräch<br />

Sie haben gerade erst einen Grimme Preis<br />

für den Fernsehfi lm Arnies Welt gewonnen.<br />

Da spielen Sie eine Hannah Bäumer, in<br />

»<strong>Contergan</strong>« heißen Sie Hanne Bauer.<br />

Kommt man da nicht durcheinander?<br />

Glücklicherweise waren die Figuren natürlich<br />

so unterschiedlich, dass man nichts verwech-<br />

selt. Zumal meine Mutter im wirklichen Leben<br />

auch Hanne hieß und ich nun selbst im 60er-<br />

Jahre-Look genau wie sie auf den Fotos ihrer<br />

Hochzeit aussah. Darüber musste ich immer<br />

sehr lachen.<br />

Wie würden Sie die Hanne aus dem<br />

Film »<strong>Contergan</strong>« beschreiben?<br />

Auf den ersten Blick ist sie »die Böse«. Sie ist<br />

immer dagegen, den <strong>Prozess</strong> zu führen, weil<br />

das die Anwaltskanzlei ihres Mannes ruinieren<br />

könnte. Und anders als ihre Freundin Vera, die<br />

ein <strong>Contergan</strong>-geschädigtes Kind bekommt,<br />

kriegt sie ein gesundes. Trotz allem fühlt sie<br />

sich aber als Freundin und ergreift schließlich<br />

für Vera Partei.<br />

Haben Sie auch solche Freundinnen,<br />

denen man nicht so ganz trauen kann?<br />

(Sie lacht.) Gott sei Dank nicht! Aber ich fand<br />

es schön, mal auf der anderen Seite zu stehen.<br />

Dass einem aber immer wieder verziehen wird,<br />

das kenne ich aus dem wirklichen Leben nicht so.<br />

Sie werden einem ja auch immer<br />

sympathischer in diesem Film …<br />

… weil Hanne auch zusehends ihre bürger-<br />

lichen Ideale beiseite stellt und sagt, warum<br />

kann ich nicht wie meine Freundin sein.<br />

Früher dachte man bei Mutterrollen<br />

eher an Inge Meysel …<br />

… heute fängt das für Schauspielerinnen mit<br />

28 an! Ich war ja froh, dass die Kinder noch so<br />

klein waren, es werden einem durchaus auch<br />

Mutterrollen mit erwachsenen Kindern ange-<br />

boten. Dann sage ich immer: Das wollt ihr den<br />

deutschen Frauen erzählen? Dass man wie<br />

35 aussieht, wenn man Kinder hat, die gerade<br />

Abitur machen?<br />

Hatten Sie zu dem Thema des Films<br />

eine persönliche Beziehung?<br />

Ich bin in den 70er und 80er Jahren aufge-<br />

wachsen, da kannte man das so. Man hatte<br />

ein <strong>Contergan</strong>-Kind in der Schule. Heute sind<br />

die Betroffenen weitgehend aus dem Leben<br />

und dem Alltag verschwunden. Deshalb bin<br />

ich sehr froh, dass das Thema noch einmal<br />

aufgenommen wird. Schließlich hat es die<br />

Gesellschaft ja sehr verändert.<br />

Darsteller<br />

| 21


22 | <strong>Contergan</strong><br />

Im Film vermitteln sie die Volkesstimmung<br />

von damals – alle Ressentiments gegen-<br />

über Behinderten. Konnten Sie sich das<br />

eigentlich noch vorstellen?<br />

Nein, das kenne ich so gar nicht, obwohl es<br />

auch erst vierzig Jahre her ist. Als der Arzt sagt:<br />

Das können sie auch prima in ein Heim geben!<br />

Das würde man heute nicht mehr wagen.<br />

Wie haben Sie sich in die Zeit eingefühlt?<br />

Hauptsächlich über die Ausstattung. Wir ha-<br />

ben ja im Studio gedreht, da hat man dann<br />

plötzlich so eine Wohnung und ist umringt von<br />

diesen Tapeten. Und bei den Kostümproben: Es<br />

hilft einem enorm weiter, schon Wochen vor-<br />

her solche Kleider zu tragen und diese Frisuren.<br />

Und was das wiederum für die Frauen bedeu-<br />

tete, so viel Zeit im Badezimmer zu verbringen!<br />

Warum fand man das damals<br />

eigentlich so wichtig?<br />

Die fanden sich natürlich wunderschön. Und<br />

ich fand es auch wunderschön, wenn ich ehr-<br />

lich bin. Es hat totalen Spaß gemacht, und<br />

man hat ja auch so selten Gelegenheit, wirk-<br />

lich historisch zu arbeiten. Adolf Winkelmann<br />

hat dann auch immer gesagt: Ach, wie meine<br />

Mutter bei meinem Abitur oder dem und dem<br />

Kaffeekränzchen. Oder: Und jetzt siehst du<br />

aus wie meine Patentante. <strong>Der</strong> hat sich immer<br />

wahnsinnig gefreut, weil er eine viel leben-<br />

digere Erinnerung daran hat. Und die Autos:<br />

Da hatten wir diese tollen Borgwards, von<br />

denen ich noch nie etwas gehört hatte.<br />

Das klingt, als hätte die Arbeit<br />

am Film viel Spaß gemacht.<br />

Es war wirklich eine sehr ungewöhnliche Ar-<br />

beit, allein die Jahre chronologisch zu drehen.<br />

Und wenn man mal etwas Neues ausprobieren<br />

wollte, war David Slama mit seiner Kamera<br />

ganz unkompliziert und sagte nicht erst: Da ist<br />

deine Markierung, du wir haben jetzt keine<br />

Zeit. Es war einfach toll mit David Slama und<br />

Adolf Winkelmann, die so vertraut wie ein<br />

altes Ehepaar hinter der Kamera agieren.<br />

Und es muss ja auch reizvoll sein, mal<br />

eine »Schurkenrolle« zu spielen …<br />

Das ist besonders schön, weil man einmal alle<br />

seine negativen Seiten voll ausphantasieren<br />

kann. Das gibt es für Frauen fast nie, man muss<br />

immer der verzeihende Part sein. Höchstens ei-<br />

fersüchtig darf man sein, als Ex-Freundin oder<br />

so. Hanne ist ja total karrieristisch, was man so<br />

nie zeigen darf, ohne der absolute Widerling<br />

zu sein. Hier geht es ja nicht einmal um die<br />

Liebe eines Mannes, sondern ganz handfest<br />

um den Status und welches Auto man haben<br />

will. Dabei ist Vera nicht einmal eine Karriere-<br />

frau, sondern eine reiche Hausfrau.<br />

Wenn man Sie so reden hört, viele gute<br />

Seiten hat Ihre Hanne wirklich nicht.<br />

Sie zeigt ja auch nie Anteilnahme. Einmal, kurz<br />

nachdem das Kind geboren ist, kommt sie mal<br />

vorbei und macht recht hilflos Schnittchen.<br />

Das ist Adolf Winkelmann spontan eingefal-<br />

len, mit den Gürkchen und Silberzwiebeln im<br />

Glas! Aber man muss auch bedenken, dass<br />

dies eben der Stolz der Nachkriegszeit auf<br />

den Wohlstand war. Kein Wunder, dass die<br />

Menschen dazu dann auch noch Schlaftablet-<br />

ten brauchten und Ärzte sie so bereitwillig<br />

verschrieben.


»… warum kann ich nicht<br />

wie meine Freundin sein.«<br />

Darsteller | 23


24 | <strong>Contergan</strong><br />

Ein Gespräch mit Denise<br />

In »<strong>Contergan</strong>« spielst du die Tochter<br />

von Paul und Vera Wegener so natürlich<br />

wie ein Profi . Hattest du gar kein Lampen-<br />

fi eber?<br />

Doch, ich hatte großes Lampenfi eber. Es war<br />

mein erster Film und ich wusste nicht, wie alles<br />

funktioniert.<br />

Wie hat Adolf Winkelmann mit dir als<br />

Regisseur gearbeitet?<br />

Er hat die Szenen immer vorher mit mir be-<br />

sprochen. Auswendig lernen musste ich nichts.<br />

Und vor meiner allerersten Szene – »Mensch<br />

ärgere dich nicht« spielen mit der Familie –<br />

hat er mit mir zum »Aufwärmen« eine Partie<br />

gespielt.<br />

»<strong>Contergan</strong>« erzählt von einer Zeit, als<br />

Behinderte stark ausgegrenzt wurden. Du<br />

bist mit einer Behinderung geboren. Wie<br />

empfi ndest du die Situation heute? Mit<br />

welchen Reaktionen wirst du konfrontiert?<br />

Manchmal geht es mir nicht so gut, wenn Leu-<br />

te oder kleine Kinder mich anglotzen oder mit<br />

dem Finger auf mich zeigen. Aber ausgegrenzt<br />

werde ich nicht. Meine Freunde behandeln<br />

mich ganz normal.<br />

Was bedeutet der Film für dich persönlich?<br />

<strong>Der</strong> Film war ein supertolles Ereignis in<br />

meinem Leben und er ist der Grund dafür,<br />

dass ich jetzt Schauspielerin werden will.<br />

Wie war die Arbeit mit deinen Filmeltern<br />

und den anderen Schauspielern?<br />

Die Arbeit mit meinen Filmeltern war super.<br />

Wir haben uns auf Anhieb gut verstanden. Ich<br />

durfte sie schon vor dem Dreh kennen lernen.<br />

Sie haben mich zu Hause besucht und wir sind<br />

zusammen Eisessen gegangen. Da ich haupt-<br />

sächlich mit Benjamin und Katharina gedreht<br />

habe, war der Kontakt zu den anderen Schau-<br />

spielern nicht so eng.<br />

Ging es bei den Dreharbeiten – trotz des<br />

ernsten Themas – auch mal lustig zu?<br />

Bei den Dreharbeiten ging es fast nur lustig<br />

zu. Wir alberten herum, und mein »Filmpapa«<br />

zeigte meiner »Filmmama« und mir eine<br />

Grimasse, die ich nicht vergessen werde. Dann<br />

sagte er zu uns: »Jetzt sind wir eine Familie!«<br />

(Sie lacht.)<br />

»Meine Freunde behandeln mich ganz normal.«


»… pragmatisch,<br />

sachlich, zynisch …«<br />

August Zirner<br />

… ist Dr. Naumann<br />

Im Rechtsstreit um <strong>Contergan</strong> vertritt der<br />

brillante Anwalt Dr. Naumann die Herstellerfirma.<br />

Das Familienunternehmen scheint für<br />

seine Kanzlei ein vergleichsweise kleiner Fisch,<br />

vertritt er doch viel größere Konzerne. Aber<br />

Naumann stellt fest, dass er seinen Gegner<br />

unterschätzt hat. In der Hoffnung auf Verjährung<br />

spielt er im <strong>Prozess</strong> auf Zeit. Um Paul als<br />

Anwalt der Gegenseite in die Defensive zu<br />

bringen, greift Naumann zu raffinierten Tricks.<br />

August Zirner kam als Sohn österreichischer Emigranten<br />

in den USA zur Welt. Seine künstlerische Ausbildung<br />

absolvierte er am Wiener Max-Reinhardt-Seminar.<br />

Auf sein Theaterdebüt am Wiener Volkstheater<br />

folgten Engagements an renommierten Bühnen, u. a.<br />

an den Staatstheatern Hannover und Wiesbaden und<br />

an den Münchner Kammerspielen.<br />

Bis heute macht Zirner immer wieder Abstecher<br />

auf die Bühne, doch steht er seit Mitte der 80er Jahre<br />

zumeist vor der Kamera. Dank seiner Vielseitigkeit<br />

wurde er zu einem der gefragtesten Darsteller in<br />

Fernseh- und Filmproduktionen. So spielte er zum Beispiel<br />

in Café Europa (1990, Regie: Franz Xaver Bogner),<br />

in Homo Faber(1991, Regie: Volker Schlöndorff) sowie<br />

in Geld (1989) von Doris Dörrie. Dörrie war es auch,<br />

die August Zirners Talent zur Komik entdeckte. Richtig<br />

bekannt wurde er durch die Beziehungskomödie<br />

Stadtgespräch (1995, Regie: Rainer Kaufmann), wo<br />

»Dr. Naumann ist ein Anwalt, der pragmatisch, sachlich, zynisch<br />

mit dem Phänomen Wiederaufbau umgeht. Die sentimentalen<br />

Wehwehchen der durch Kapitalismus verweichlichten (Pharma-)<br />

Industriellen gehen ihm auf die Nerven. Wer A sagt, muss auch B<br />

sagen können. Wer einen Krieg und deutsche Schuld verschlafen<br />

will, braucht ein starkes Schlafmittel …«<br />

August Zirner<br />

Darsteller | 2<br />

er in der Doppelrolle des braven Ehemanns und entfl<br />

ammten Liebhabers brillierte. Zugleich machte er<br />

das breite Fernsehpublikum in der ARD-Serie Zwei<br />

Männer und die Frauen (1995, Regie: Jörg Grünler) auf<br />

sich aufmerksam. Nicht weniger als im komischen<br />

Fach überzeugte er in der Rolle des Bösewichts, etwa<br />

als Frauenmörder in dem Psychothriller Eiskalte Liebe<br />

(1997, Regie: Jan Ruzicka).<br />

Wie breit sein Rollenspektrum ist, bewies er in<br />

bisher etwa achtzig Filmen, darunter so unterschiedliche<br />

Produktionen wie die Krimis Die Apothekerin<br />

(1997, Regie: Rainer Kaufmann) und <strong>Der</strong> Hahn ist tot<br />

(2000, Regie: Hermine Huntgeburth) nach den Büchern<br />

von Ingrid Noll, die Kinderkinofi lme Pünktchen<br />

und Anton (1999, Regie: Caroline Link) und Das Sams<br />

(2001, Regie: Ben Verbong), die vierteilige Uwe-<br />

Johnson-Verfi lmung Jahrestage (2000, Regie: Margarethe<br />

von Trotta), die historischen Filme Taking<br />

Sides – <strong>Der</strong> Fall Furtwängler (2001, Regie: Istvan<br />

Szabo), Carola Stern – Doppelleben (2004, Regie:<br />

Thomas Schadt), SPEER UND ER (2005, Regie: Heinrich<br />

Breloer ) und die Kleist-Verfi lmung Käthchens Traum<br />

(2004, Regie: Jürgen Flimm). Großes Medienecho<br />

fand im vergangenen Jahr der WDR-Fernsehfi lm von<br />

Regisseur Züli Aladag WUT zur Integrations-Thematik.<br />

August Zirner ist als politisch-korrekter Uniprofessor<br />

Anlass und Opfer der Angriffe eines Deutschtürken<br />

– eine Darstellerleistung, für die er mit dem Grimme<br />

Preis geehrt wurde. Zuletzt sah man ihn in der ARD<br />

als besorgten Vater im Fernsehfi lm Meine böse<br />

Freundin (2007, Regie: Maris Pfeiffer) sowie auf dem<br />

großen Festivalparkett der Berlinale 2007 in Stefan<br />

Ruzowitzkys Wettbewerbsbeitrag Die Fälscher, der<br />

anschließend erfolgreich in die deutschen Kinos kam.<br />

Ein breites Familienpublikum amüsierte sich im vergangenen<br />

Sommer über Zirners Darstellung eines<br />

wundertätigen Apothekers in der Fantasykomödie<br />

Herr Bello (Regie: Ben Verbong).<br />

Als gebürtiger Amerikaner dreht August Zirner aber<br />

auch immer wieder in seiner Muttersprache . Beispiele<br />

dafür sind Ein Haus in Irland (2005, Regie:<br />

Gillies MacKinnon ) – dort war er der Ehemann von<br />

Andi McDowell, A Sound of Thunder (2005, Regie:<br />

Peter Hyams), wo er an der Seite von Ben Kingsley<br />

zu sehen war, oder Amen (2002) unter der Regie von<br />

Constantin Costa-Gavras.


26 | <strong>Contergan</strong><br />

Matthias Brandt<br />

… ist Betriebsdirektor Spiess<br />

Betriebsdirektor Henrik Spiess hat es im Pharma-<br />

unternehmen nicht leicht. Als erste Berichte über<br />

gesundheitliche Schäden, die vermutlich durch <strong>Contergan</strong><br />

verursacht wurden, auf seinem Schreibtisch<br />

landen, plädiert er für entsprechende Vorsichtsmaßnahmen.<br />

Umsonst. Während sich andere aus der Konzernspitze<br />

später von ärztlicher Seite eine angebliche<br />

<strong>Prozess</strong>unfähigkeit attestieren lassen, hat Henrik<br />

Spiess den schwarzen Peter gezogen: Er muss vor<br />

Gericht für die Geschäftspraktiken des Konzerns<br />

geradestehen. Das jahrelange Verfahren trägt Spiess<br />

eine Menge privater und gesundheitlicher Probleme<br />

ein. Das lässt seine Loyalität der Firma gegenüber<br />

merklich schwinden.<br />

Matthias Brandt wurde in Berlin geboren. Nach<br />

seinem Studium an der Hochschule für Musik und<br />

Theater Hannover spielte er unter anderem an den<br />

Schauspielhäusern in Frankfurt, Bonn und Zürich,<br />

dem Nationaltheater Mannheim und dem Bayerischen<br />

Staatsschauspiel München. Bis 2004 gehörte<br />

er dem Ensemble des Schauspielhauses Bochum an.<br />

In den letzten Jahren ist er längst auch im Fernsehen<br />

zu einer festen Größe geworden. <strong>Der</strong> große<br />

Durchbruch gelang Matthias Brandt 2003 mit dem<br />

Zweiteiler Im Schatten der Macht, in dem er unter<br />

der Regie von Oliver Storz in die Rolle des Mannes<br />

schlüpfte, der seinen Vater politisch zu Fall gebracht<br />

hat – in die des DDR-Spions Günter Guillaume. In immer<br />

kürzeren Abständen steht Matthias Brandt seither<br />

vor der Kamera und beweist sein Talent sowohl in<br />

komischen als auch in ernsten TV-Rollen. So glänzte<br />

er an der Seite von Maria Furtwängler 2004 in der Komödie<br />

Mr. and Mrs. Right (Regie: Torsten C. Fischer).<br />

Im selben Jahr war er in einer Hauptrolle in Stephan<br />

Wagners Polit-Thriller <strong>Der</strong> Stich des Skorpion dabei,<br />

genauso wie in Wagners Komödie Wie krieg ich meine<br />

Mutter groß? als Film-Ex-Freund von Hauptdarstellerin<br />

Katja Flint. Im Jahr darauf verkörperte er im Justizdrama<br />

In Sachen Kaminski (Regie: Stephan Wagner)<br />

einen Familienvater, der um seine Tochter kämpft,<br />

und wurde dafür mit dem Bayerischen Fernsehpreis<br />

ausgezeichnet. Gemeinsam mit seiner »<strong>Contergan</strong>«-<br />

Filmpartnerin Caroline Peters erspielte er sich einen<br />

Grimme Preis in Arnies Welt (2005, Regie: Isabel<br />

Kleefeld). Nach den TV-Movies Die Frau am Ende<br />

der Straße (Regie: Claudia Garde) und Vertrauter<br />

Fremder (Regie: Christiane Balthasar, beide 2006)<br />

stand er für den Film Mein Vater der Zauberer (2007,<br />

Regie: Claudia Garde) vor der Kamera. Fürchte<br />

Dich nicht (2006, Regie: Christiane Balthasar) und<br />

Schimanski – Tod in der Siedlung (2007, Regie: Torsten<br />

C. Fischer) boten weitere Herausforderungen im Krimifach.<br />

Bis zum renommierten Filmfestival in Cannes<br />

schaffte es schließlich das packende Familiendrama<br />

Gegenüber (Regie: Jan Bonny), das seit Oktober 2007<br />

in den deutschen Kinos läuft.<br />

»Mich hat an meiner Rolle der bei uns ja sehr verbreitete Typus des<br />

Mitläufers interessiert, der zwar, wie wir sehen, durchaus moralisch<br />

empfindet, seine Konsequenzen daraus aber erst zieht, wenn<br />

es für ihn und andere zu spät ist. Ich habe sehr gerne mit Adolf<br />

Winkelmann gearbeitet. Selten habe ich einen Regisseur erlebt,<br />

der sich so fundiert mit dem auskannte, wovon er erzählt, und der<br />

Schauspieler so genau in die Psychologie einer Figur führt.«<br />

Matthias Brandt


Sylvester Groth<br />

… ist Staatsanwalt Feddersen<br />

Sylvester Groth wurde in Jerichow in der damaligen<br />

DDR geboren. Er machte zunächst eine Lehre als Elektriker,<br />

studierte dann an der Staatlichen Schauspielschule<br />

in Berlin, um im Anschluss am Staatstheater<br />

Schwerin und im Staatsschauspiel Dresden seine<br />

Theaterlaufbahn zu beginnen. Frank Beyers Kinofilm<br />

<strong>Der</strong> Aufenthalt machte ihn 1983 auch im Westen zu<br />

einem begehrten Künstler: 1984 wurde er erstmals für<br />

die Salzburger Festspiele engagiert, ein Engagement,<br />

das im Folgejahr fortgesetzt wurde.<br />

Seither hat das Theater einen besonderen Stellenwert<br />

in seinem Schaffen. Bis 1989 war Sylvester Groth<br />

festes Ensemblemitglied an der Berliner Schaubühne.<br />

Heute ist er als freier Künstler an den großen Bühnen<br />

in Berlin, Salzburg, Wien, Bochum, Hamburg, Zürich<br />

und München zu Hause. Zu den Regisseuren, mit<br />

denen er gearbeitet hat, gehören so unterschiedliche<br />

Künstler wie Peter Zadek und Dieter Dorn, Klaus-<br />

Michael Grüber und Robert Wilson und zu seinen<br />

zahllosen Rollen auf der Bühne unter anderem Schillers<br />

Don Carlos, Koltès Roberto Zucco, Büchners Robespierre<br />

in Dantons Tod und Shakespeares Macbeth.<br />

»Feddersen kocht zwar schlechten Kaffee und raucht viel zu viel,<br />

aber als Jurist ist er für mich bewunderungswürdig: Er versucht<br />

den fast aussichtslosen Spagat zwischen Recht und Gerechtigkeit<br />

– das macht mir die Figur so sympathisch. Ein hoffnungslos Unterschätzter<br />

und persönlich nicht Betroffener hilft mit, diesen <strong>Prozess</strong><br />

in Gang zu bringen, trotz der Gefahr, von dieser Lawine selbst<br />

erfasst zu werden und unterzugehen. Schon beim ersten Lesen<br />

des wunderbaren Drehbuchs hat mich Feddersen fasziniert, und<br />

ich bin sehr stolz und glücklich mit dieser Figur in diesem so unsentimentalen<br />

und doch so berührenden Film dabei zu sein.«<br />

Sylvester Groth<br />

Darsteller | 27<br />

Staatsanwalt Feddersen gilt als unauffälliger und<br />

mittelmäßiger »Aktenfresser«. Dass es Jahre nach<br />

Markteinführung von <strong>Contergan</strong> zum <strong>Prozess</strong> gegen<br />

die Herstellerfirma kommt, ist indessen sein<br />

Verdienst. So unauffällig Feddersen auf den ersten<br />

Blick nämlich scheint, so ist er doch ein zäher, unnachgiebiger<br />

Jurist, ein Mann mit enormem Durchhaltevermögen.<br />

Selbst als sich das Verfahren mehrere<br />

Jahre hinzieht, will er nicht aufgeben. Anders<br />

als Paul, der mit der Gegenseite in Verhandlungen<br />

tritt, um den <strong>Contergan</strong>-Opfern einen zermürbenden<br />

<strong>Prozess</strong> zu ersparen.<br />

Äußerst wandlungsfähig zeigt sich Sylvester Groth<br />

auch bei den Film- und Fernsehrollen, die er sich sehr<br />

sorgfältig aussucht. Als Agent war er 1986 in der Kinoverfilmung<br />

von Michael Endes Momo zu erleben, 1993<br />

in Josephs Vilsmaiers Weltkriegsdrama Stalingrad, als<br />

verliebter Dichter Clemens Brentano wiederum sechs<br />

Jahre später in Dagmar Knöpfels Requiem für eine<br />

romantische Frau und ebenfalls 1999 als deutscher<br />

Exilant im Paris der 30er Jahre in Ottokar Runzes<br />

Kinofilm <strong>Der</strong> Vulkan. In den letzten Jahren überwogen<br />

indes die Fernsehrollen, in denen er ebenfalls große<br />

Vielseitigkeit bewies. In <strong>Der</strong> Briefbomber (2000,<br />

Regie: Torsten C. Fischer) war er ein Kriminalpsychologe,<br />

der einen Attentäter stellte, in Bernd Böhlichs<br />

Verfilmung von Axel Springers Leben in <strong>Der</strong> Verleger<br />

gab er den Journalisten und Autor Christian Kracht,<br />

in Romeo spielte er unter der Regie von Hermine<br />

Huntgeburth einen Stasi-Spitzel – eine Rolle, die ihm<br />

2002 den Grimme Preis einbrachte. Als Sexualaufklärer<br />

Oswalt Kolle war Groth in dem Fernsehfilm Kolle<br />

– Ein Leben für Liebe und Sex (2001, Regie: Susanne<br />

Zanke) zu sehen und als Vermessungsingenieur<br />

Harald Hansen wirkte er mit im Wunder von Legende<br />

(2003, Regie: Kaspar Heidelbach). Gelegentlich kann<br />

er auch Theater und Film verbinden – so bei Jürgen<br />

Flimms moderner Verfilmung von Kleists Käthchen<br />

von Heilbronn unter dem Titel Käthchens Traum<br />

(2004) oder in Uwe Jansons Verfilmung von Wedekinds<br />

Lulu (2006). <strong>Eine</strong> seiner wohl anspruchsvollsten<br />

Rollen spielte Groth zuletzt in Dani Levys Komödie<br />

Mein Führer (2007), wo er Joseph Goebbels verkörperte.<br />

Nach den Fernsehkrimis Schuld und Unschuld<br />

(Regie: Markus Rosenmüller) und <strong>Der</strong> Kronzeuge<br />

(Regie: Johannes Grieser, beide 2007) wird man<br />

Sylvester Groth demnächst in Lars Beckers TV-Film<br />

Die Weisheit der Wolken erleben können.


2 | <strong>Contergan</strong><br />

Bernd Stegemann<br />

… ist Justiziar und Firmensprecher Helmut Passlak<br />

Als Firmensprecher und Justiziar bestimmt<br />

Helmut Passlak die Strategie des Unternehmens<br />

entscheidend mit. Er denkt nüchtern<br />

und strategisch: Das Leid der Opfer lässt sich<br />

für ihn in einfachen Zahlen ausdrücken, und<br />

die sollen möglichst niedrig ausfallen. Bei den<br />

langwierigen Verhandlungen mit Opferanwalt<br />

Paul Wegener kämpft er mit harten Bandagen.<br />

<strong>Der</strong> gebürtige Berliner Bernd Stegemann absolvierte<br />

seine künstlerische Ausbildung an der Hochschule für<br />

Schauspielkunst Ernst Busch. 1985 bis 1993 gehörte er<br />

zum festen Ensemble des Düsseldorfer Schauspielhauses<br />

und spielte dort u. a. unter der Regie von B. K.<br />

Tragelehn und Werner Schroeter. Im Kino hat Bernd<br />

Stegemann in vielen bedeutenden Filmen mitgewirkt.<br />

Dani Levy holte ihn mehrfach vor die Kamera – nicht<br />

nur für den vielfach ausgezeichneten Film Alles auf<br />

»Adolf Winkelmann ruft – ich eile. Schließlich hab ich meinen ersten<br />

großen West-Film mit ihm gedreht. Einige für mich wichtige<br />

Filme folgten. Also habe ich meinen im Winterurlaub gebrochenen<br />

Fuß ein wenig fester bandagiert, und auf ging’s zu Adolf Winkelmann.<br />

Aber diesmal war alles irgendwie anders! Waren mir die anderen<br />

Rollen, die ich bei ihm spielen durfte, seltsam vertraut, hatte<br />

ich das Gefühl, dass sich diese Rolle distanziert zu mir verhielt.<br />

Ich spiele den Justiziar, der auch als Firmensprecher fungiert.<br />

Dieses traurige Kapitel deutscher Geschichte habe ich damals nur<br />

von außen betrachten können. Aber das Interesse war sicher hüben<br />

wie drüben gleich stark. Ich war voller Ehrfurcht mit den Opfern<br />

und voller Ekel den Tätern gegenüber, und so einen sollte ich<br />

jetzt spielen! Übrigens: Firmensprecher blieben mir seit damals<br />

suspekt. Ich habe ihren Äußerungen nie vertraut. <strong>Der</strong> Film ist ein<br />

Meisterwerk geworden, großartig besetzt – eine längst fällige<br />

Aufarbeitung! Trotzdem blieb mir meine Rolle seltsam fremd.«<br />

Bernd Stegemann<br />

Zucker (2004), sondern u. a. auch für Mein Führer<br />

(2007). Mitgewirkt hat Bernd Stegemann beispielsweise<br />

in Roland Suso Richters 14 Tage lebenslänglich,<br />

Wolfgang Beckers Das Leben ist eine Baustelle (beide<br />

1997) und Dominik Grafs Die Sieger (1994). Auch Adolf<br />

Winkelmann hat schon mehrmals mit Bernd Stegemann<br />

zusammengearbeitet: So drehten sie u. a. 1992<br />

den Fußballfilm Nordkurve.<br />

Lang ist auch die Liste der Fernsehfilme und<br />

-serien, in denen Bernd Stegemann mitgewirkt hat.<br />

Claudia Gardes Tatort-Folge Investigativ, Carlo Rolas<br />

Afrika, mon amour und Eion Moores Komödie Hochzeit<br />

um jeden Preis (alle 2007) seien beispielhaft für<br />

seine jüngsten Produktionen genannt. An bedeutenden<br />

Fernsehfilmen wie Keglevics Zwei Tage Hoffnung<br />

(2003), Kolle – Ein Leben für Liebe und Sex (2001,<br />

Regie: Susanne Zahnke) und Blumenbergs Deutschlandspiel<br />

(2000) hatte er ebenfalls seinen Anteil.<br />

Auch in Krimiserien und-reihen wirkte er immer aufs<br />

Neue mit. Beteiligt war er darüber hinaus an der<br />

Ki.Ka-Serie Beutolomäus kommt zum Weihnachtsmann.<br />

Bernd Stegemann ist mit der Schauspielerin<br />

Renate Krößner verheiratet.


Darsteller | 2<br />

Jürgen Schornagel<br />

… ist Forschungsleiter und Aufsichtsratsmitglied Dr. Helsing<br />

Als Anteilseigner des Unternehmens schlägt Dr.<br />

Helsing alle Warnungen in den Wind. Die Statistiken<br />

der Gegenseite über das erschreckende Anwachsen<br />

mit Fehlbildungen geborener Kinder hält er für eine<br />

wertlose Fleißarbeit. Auch die Arbeitsplätze schiebt<br />

er vor: Bei einem Produktionsstopp müsse man ein<br />

ganzes Werk schließen. Dabei ist Dr. Helsing der<br />

Erste, den das lange Verfahren zermürbt. Er hat<br />

nicht die Nerven, den <strong>Prozess</strong> einfach auszusitzen.<br />

Lieber wäre er noch am ersten <strong>Prozess</strong>tag verurteilt<br />

worden, wird er später lamentieren. Natürlich<br />

höchstens zu einer kleinen Bewährungsstrafe …<br />

Jürgen Schornagel wurde in Essen geboren und absolvierte<br />

dort an der renommierten Folkwang Hochschule<br />

seine schauspielerische Ausbildung. Danach<br />

stand er in verschiedenen Theatern auf der Bühne<br />

– so am Staatstheater Stuttgart, am Schauspielhaus<br />

Hamburg und an der Berliner Volksbühne. Zu seinen<br />

Kinoproduktionen gehörten gleich mehrere Filme von<br />

Joseph Vilsmaier: Schlafes Bruder (1995), Comedian<br />

Harmonists (1997), Leo und Claire (2001) und Berg-<br />

kristall (2004).<br />

»›<strong>Contergan</strong>‹ ist in meiner langjährigen Fernseharbeit einer der<br />

herausragenden und inhaltlich wichtigsten Fernsehfilme. Zudem<br />

war die Arbeit mit Regisseur Adolf Winkelmann, Kameramann<br />

David Slama und dem tollen, stimmigen Team mit meine aufregendste<br />

Arbeits-/Lebenszeit.«<br />

Jürgen Schornagel<br />

Als Kriminalhauptkommissar Winter hat sich Jürgen<br />

Schornagel dem Fernsehzuschauer in der TV-Serie<br />

Doppelter Einsatz eingeprägt, wofür er 2002 mit dem<br />

Deutschen Fernsehpreis geehrt wurde. Aber auch in<br />

anderen Krimis war er oft zu sehen. Thomas Bohn holte<br />

ihn zum Beispiel für die Tatort-Folgen Nahkampf<br />

(1997) und Harte Hunde (2003) vor die Kamera, genauso<br />

wie für die Polizeiruf-Folge Die Schlacht (2003).<br />

Hinzu kamen in den letzten Jahren viel besprochene<br />

Event-Movies wie Kaspar Heidelbachs Das Wunder<br />

von Lengede (2003) und Jorgo Papavassilious Die<br />

Sturmflut (2006). 2002 war er als Hitler in Kai Wessels<br />

Satire Goebbels und Geduldig zu sehen, 2004 verkörperte<br />

er Generaloberst Ludwig Beck in Hans-Erich<br />

Viets Stunde der Offiziere. Im Frühjahr brillierte Jürgen<br />

Schornagel in einer Hauptrolle in der aufwühlenden<br />

Fiction-Doku 2030 – <strong>Der</strong> Aufstand der Alten (Regie:<br />

Jörg Lühdorff). In diesem Winter feiert seine neueste<br />

Produktion, Hansjörg Thurns Die Schatzinsel, ihre<br />

Fernsehpremiere. Des weiteren war er in einer Hauptgastrolle<br />

im WDR-Tatort Die Blume des Bösen von<br />

Thomas Stiller (2007) zu sehen.


30 | <strong>Contergan</strong><br />

Peter Fitz<br />

… ist Konzernchef Dr. Kessler<br />

Unternehmenschef Dr. Kessler wacht über<br />

seinen Pharmakonzern wie ein Patriarch der<br />

Vorkriegszeit. <strong>Der</strong> Endfünfziger hat das Unternehmen<br />

aus Trümmern neu aufgebaut und will<br />

sich seinen Erfolg durch nichts verderben lassen:<br />

Schon gar nicht durch Warnungen aus dem<br />

eigenen Forscherteam. »<strong>Der</strong> Fortschritt fordert<br />

immer Opfer«, kontert er erste Berichte über<br />

die Nebenwirkungen von <strong>Contergan</strong>. Später will<br />

er von der Größenordnung des Skandals nichts<br />

gewusst haben. Dennoch billigt er die Taktik<br />

seiner Anwälte, den <strong>Prozess</strong> durch bürokratische<br />

Finessen immer weiter in die Länge zu ziehen.<br />

<strong>Der</strong> aus Kaiserslautern stammende Schauspieler ist<br />

im Theater seit Jahrzehnten eine feste Größe. Ausgebildet<br />

in den 50er Jahren an der Schauspielschule des<br />

Deutschen Schauspielhauses in Hamburg, holte ihn<br />

Peter Stein später an die Schaubühne nach Berlin.<br />

Im Anschluss daran war Peter Fitz an vielen großen<br />

Häusern zu sehen: an der Burg in Wien, dem Berliner<br />

Schillertheater, den Münchner Kammerspielen und<br />

bei den Festspielen in Salzburg. Vom Fachmagazin<br />

Theaterheute wurde er für seine herausragenden Leistungen<br />

zwei Mal – 1980 und 1983 – zum Schauspieler<br />

des Jahres gewählt. Zu seinen aktuellen Theaterproduktionen<br />

gehören der Salzburger Jedermann (2007,<br />

Regie: Christian Stückl) genauso wie Peymanns Inszenierung<br />

des Lessing’schen Nathan am Berliner Ensemble.<br />

Aber auch in Film und Fernsehen war und ist<br />

Peter Fitz immer wieder zu erleben. Über 100 Produktionen<br />

umfasst seine Filmografie. Zu seinen Kino-<br />

filmen gehört Louis Malles Auf Wiedersehen, Kinder<br />

(1987) genauso wie Hans Christian Schmids 23 (1998).<br />

Zu den bedeutendsten Rollen, die er im Fernsehen<br />

übernahm, zählen die des Prof. Edgar Oppermann in<br />

Egon Monks Mehrteiler Die Geschwister Oppermann<br />

(1983), die Titelrolle in Geblendeter Augenblick –<br />

Anton Weberns Tod (1986, Regie: Gert Jonke) und<br />

seine Hauptrolle im Thriller Blutige Scheidung (1997,<br />

Regie: Manuel Siebenmann). Aber auch in Krimis hatte<br />

er zahlreiche Auftritte. Seien es die Verfilmungen<br />

der Donna-Leon-Romane, sei es die Wilsberg-Reihe<br />

oder die ARD-Krimiserie Bronski & Bernstein. Als Synchronsprecher<br />

hat Peter Fitz unter anderem Michel<br />

Serrault und Jean-Louis Trintignant seine Stimme<br />

geliehen. Peter Fitz ist der Vater der Schauspieler<br />

Hendrikje und Florian Fitz.<br />

»Ein ganz wichtiger Film. Künstlerisch hervorragend –<br />

und das Thema verantwortungsvoll umgesetzt.«<br />

Peter Fitz


Ernst Stötzner<br />

… ist Dr. Lange<br />

In Berlin, Bochum, Wien, Düsseldorf, Frankfurt,<br />

Hamburg und Zürich war der Schauspieler auf großen<br />

Theater-Bühnen zu sehen. Die Regisseure, mit denen<br />

er dabei arbeitete, gehören zu den Namhaftesten des<br />

deutschsprachigen Theaters: Luc Bondy, Andrea<br />

Breth, Robert Wilson, Klaus Michael Grüber, George<br />

Tabori und Peter Stein, der ihn 1978 an die Berliner<br />

Schaubühne holte. In jüngster Zeit arbeitet Stötzner<br />

intensiv mit dem Regisseur Jürgen Gosch zusammen.<br />

Kinderarzt Dr. Lange hat hunderte Kranken-<br />

geschichten von mit Fehlbildungen geborener<br />

Kinder recherchiert.<br />

Darsteller<br />

| 31<br />

Ende der 1980er Jahre ist Stötzner auch als Theaterregisseur<br />

hervorgetreten. Seit der Spielzeit 2006/2007<br />

ist er festes Ensemble-Mitglied am Deutschen Theater<br />

in Berlin.<br />

Seine Theaterarbeit wusste Ernst Stötzner immer<br />

mit der Arbeit für Film und Fernsehen zu verbinden.<br />

Zu seinen Kinoproduktionen gehören u. a. Bernhard<br />

Wickis Spinnennetz (1989), Emir Kusturicas Underground<br />

(1995), Jan Schüttes Fette Welt (1998) und<br />

Raoúl Ruiz’ Klimt (2005). Aber auch im Fernsehen hat<br />

er es auf eine beachtliche Anzahl von Filmproduktionen<br />

gebracht. Richtig los ging es damit Anfang der<br />

90er Jahre. Immer wieder war er seither in Fernsehkrimis<br />

zu sehen, zum Beispiel in der Bella-Block-Folge<br />

Auf der Jagd (1998), in der Schimanski-Folge Kinder<br />

der Hölle (2001) oder auch den Tatort-Folgen <strong>Der</strong><br />

schwarze Troll (2003) und Heimspiel (2004). Seine<br />

erste Begegnung mit Adolf Winkelmann hatte er im<br />

Rahmen der Dreharbeiten von Engelchen flieg (2004).


32 | <strong>Contergan</strong><br />

Dörte Lyssewski<br />

… ist Ruth Häffgens<br />

Nach ihrer Schauspielausbildung in Hamburg führte<br />

sie ihr erstes festes Engagement gleich an die Berliner<br />

Schaubühne. Zu sehen war sie dort unter anderem in<br />

Inszenierungen von Peter Stein und Luc Bondy. Mal<br />

fest, mal frei war sie im Anschluss an diese Zeit an<br />

weiteren wichtigen Bühnen zu sehen – am Schauspielhaus<br />

in Zürich, in Bochum, bei den Salzburger<br />

Festspielen und erneut an der Schaubühne in Berlin.<br />

2003 erhielt sie für ihre schauspielerischen Leistungen<br />

den Gertrud-Eysoldt-Ring.<br />

Sekretärin Ruth Häffgens ist die gute Seele in der<br />

Kanzlei von Paul Wegener und Horst Bauer.<br />

Ihre große Verbundenheit mit dem Theater macht<br />

sie bei der Auswahl ihrer Film- und Fernsehrollen<br />

wählerisch. Die Bartholomäusnacht (1994) von Patrice<br />

Chéreau gehört zu den ausgesuchten Filmproduktionen,<br />

bei denen sie mitgewirkt hat, ebenso wie<br />

Michael Hanekes Kafka-Verfilmung Das Schloss<br />

(1997), in dem u. a. Ulrich Mühe und Susanne Lothar<br />

zu ihren Filmpartnern gehörten, und Jörg Grünlers<br />

Romanverfilmung Neger, Neger, Schornsteinfeger<br />

(2006). Ins Komödienfach wagte sie sich mit dem<br />

Fernsehfilm Was ist bloß mit den Männern los? (2002,<br />

Regie: Reto Salimbeni). Und ab und an sieht man<br />

Dörte Lyssewski in Fernsehkrimis.


»<strong>Der</strong> Fall <strong>Contergan</strong> hat Deutschland verändert.«<br />

Ein Gespräch mit Regisseur Adolf Winkelmann<br />

Adolf Winkelmann, geboren 1946 in Hallenberg<br />

(Westf.), ist einer der namhaftesten deutschen<br />

Film- und Fernsehregisseure. Nach dem Studium<br />

an der Hochschule für Bildende Kunst in Kassel<br />

machte er zunächst mit Experimentalfilmen auf<br />

sich aufmerksam. 1975 übernahm er Lehraufträge<br />

an der Fachhochschule Dortmund, doch stand seine<br />

Arbeit als Regisseur weiterhin im Vordergrund.<br />

Erste Erfolge trugen ihm seine eigenwilligen<br />

und ironischen Ruhrgebietsgeschichten ein: die<br />

Kinofilme Abfahrer (1978), ein zeittypisches Porträt<br />

junger Arbeitsloser in Dortmund, ausgezeichnet mit<br />

dem Filmband in Silber (seine erste Zusammenarbeit<br />

mit dem Kameramann David Slama) und Jede Menge<br />

Kohle (1981), die schwarzhumorige Geschichte eines<br />

Aussteigers, die mit dem Deutschen Filmpreis in<br />

Silber prämiert wurde.<br />

Doch reüssierte Winkelmann auch in anderen<br />

Genres, so zum Beispiel mit der comic-haften Computerkomödie<br />

Peng! Du bist tot! (1987, Deutscher Film-<br />

Herr Winkelmann, vor dem ersten<br />

und dem zweiten <strong>Teil</strong> des Fernsehfilms<br />

»Contagan« gibt es einen Vorspann …<br />

Das liegt nicht in meiner Macht. <strong>Der</strong> Text ist<br />

uns vom Gericht so vorgeschrieben.<br />

Die Firma Grünenthal hat gegen die<br />

Ausstrahlung geklagt. Welche Änderungen<br />

mussten Sie an Ihrem Film vornehmen,<br />

damit er jetzt gezeigt werden darf?<br />

Es gab ja 32 Verbotspunkte, die beim Landgericht<br />

beantragt wurden. Es waren also<br />

32 einzelne Einstweilige Verfügungen, meist<br />

mit mehreren Unterpunkten, immer bezogen<br />

auf bestimmte Dialogpassagen und Szenen.<br />

Davon ist in der zweiten Instanz, beim Oberlandesgericht,<br />

ein <strong>einzige</strong>r übrig geblieben,<br />

und von dessen vier Unterpunkten auch nur<br />

noch zwei. Es geht um den Privatdetektiv<br />

Karges: Historisch verbürgt ist, dass die Firma<br />

Grünenthal einen namentlich bekannten Privatdetektiv<br />

engagierte, und der hat versucht,<br />

missliebige Ärzte auszuspionieren. Dabei ging<br />

es allerdings nicht um die Fehlbildungen,<br />

sondern um die Nervenschäden. <strong>Contergan</strong><br />

ist ja vor fünfzig Jahren auf den Markt gekom-<br />

Regisseur<br />

| 33<br />

preis in Gold für Hauptdarstellerin Rebecca Pauly),<br />

mit dem zweiteiligen Fernsehthriller <strong>Der</strong> Leibwächter<br />

(1989; Grimme Preis in Silber für den Regisseur) und<br />

mit dem Fußballfilm Nordkurve (1993), der gleich<br />

drei Deutsche Filmpreise erhielt, Winkelmann selbst<br />

wurde für Regie und Schnitt geehrt. International<br />

verkaufte sich der Action-Thriller Gefährliche Spiele<br />

(1994) mit Gudrun Landgrebe und Nathaniel Parker<br />

in den Hauptrollen. <strong>Der</strong> für den WDR gedrehte Russenmafia-Thriller<br />

<strong>Der</strong> letzte Kurier (1996) mit Sissi<br />

Perlinger wurde u.a. mit dem Grimme Preis in Gold<br />

und dem Baden-Badener Fernsehspielpreis prämiert.<br />

Beachtung fand auch das ARD-Drama Engelchen flieg<br />

(2004) mit Uwe Ochsenknecht: Die Geschichte einer<br />

Familie, die an ihrem behinderten Kind fast zerbricht,<br />

wurde beim Deutschen Fernsehpreis für die beste<br />

Regie nominiert. 2007 drehte Adolf Winkelmann die<br />

Fortsetzung unter dem Titel Das Leuchten der Sterne.<br />

Seit 1979 ist Adolf Winkelmann Professor für Film<br />

an der FH Dortmund.<br />

men, am 1. Oktober 1957. Kurze Zeit später<br />

häuften sich die Hinweise und Nachfragen von<br />

Ärzten, Kliniken und Patienten, dass nach Einnahme<br />

von <strong>Contergan</strong> so genannte Polyneuritiden<br />

auftraten, sprich: Nervenschäden. Die<br />

Haut fühlte sich an wie Reibeisen oder es gab<br />

Taubheitsgefühle in den Extremitäten, unerklärliche<br />

Schmerzen. Das Schlimme daran: Die<br />

blieben – auch wenn man das Medikament absetzte.<br />

Dazu gab es eine Vielzahl von Anfragen<br />

und Beschwerden. Das wollte Grünenthal nicht<br />

wahrhaben, und in dem Zusammenhang wurde<br />

ein Privatdetektiv engagiert. In unserem<br />

Film bespitzelt dieser auch den Anwalt und<br />

versucht, ihn fertig zu machen und seine Ehe<br />

zu zerstören. Da sagte das Gericht: Da gehen<br />

wir zu weit, da gibt es keine Entsprechung in<br />

der historischen Realität. Deshalb musste ich<br />

da etwas ändern.<br />

Das heißt, die anfängliche Kritik an der<br />

Darstellung der Anwaltsfamilie ist vom<br />

Tisch?<br />

Das Oberlandesgericht hat Schulte-Hillen in<br />

keinem Punkt Recht gegeben.


34 34 | | <strong>Contergan</strong><br />

Was wurde neu gedreht?<br />

In der ursprünglichen Version konnte man als<br />

Zuschauer den Eindruck gewinnen, der Detek-<br />

tiv Karges handele mit Wissen und Billigung<br />

der Geschäftsführung der Pharmafirma. Dieser<br />

Eindruck ist jetzt ausgeschlossen. Ansonsten<br />

ist der Film so geblieben, wie ich ihn gedreht<br />

habe und wie er seit dem Frühjahr 2006 fertig<br />

vorliegt.<br />

Dass es ein derart lebendiger und mit-<br />

reißender Film geworden ist, liegt nicht<br />

zuletzt am Ensemble …<br />

Ich hatte bei diesem Film das Glück, wirklich<br />

genau die Darsteller zu bekommen, die ich mir<br />

gewünscht habe, und ich bin dem Produzenten<br />

Michael Souvignier sehr dankbar für seine<br />

tatkräftige Unterstützung bei der schwierigen<br />

Arbeit an dieser perfekten Besetzung. Die Zu-<br />

sammenarbeit mit ZEITSPRUNG war in jeder<br />

Beziehung hervorragend. Und was die Firma<br />

nicht zuletzt im juristischen Kampf um den<br />

Film geleistet hat, verdient größten Respekt.<br />

Außerdem habe ich das Gefühl, heute endlich<br />

als Regisseur alt und erfahren genug zu sein,<br />

die Schauspieler so führen zu können, dass ich<br />

von ihnen genau das bekomme, was ich für<br />

die Geschichte brauche.<br />

Es ist gerade Ihre plastische Figurenzeich-<br />

nung, die diesen Film zu mehr macht als<br />

einem historischen Eventfilm. Man würde<br />

sich auch ohne das Thema <strong>Contergan</strong> dafür<br />

interessieren, wie es dieser Familie mit<br />

ihrem behinderten Kind ergeht.<br />

Ich bin stolz darauf, keinen dieser gängigen,<br />

spekulativen Event-Zweiteiler gemacht zu<br />

haben, in denen – egal ob Brandbomben<br />

fallen, die Flut rollt oder Rosinenbomber nach<br />

Berlin fliegen – ein spektakulärer historischer<br />

Hintergrund für eine seichte Dreiecks-Liebes-<br />

geschichte verwurstet wird. So etwas wollten<br />

wir auf keinen Fall. Mein Anliegen war, dieses<br />

schreckliche von Menschen gemachte, von<br />

Menschen verschuldete Unglück wieder ins<br />

Bewusstsein zu heben. Ich habe selbst als<br />

Heranwachsender <strong>Contergan</strong>-Kinder auf der<br />

Straße gesehen und musste lernen, damit<br />

umzugehen. Und ich habe mich im Nachhinein<br />

sehr geschämt dafür, wie ich – beeinflusst<br />

durch die Gesellschaft – auch selbst dachte,<br />

das sei kein schöner Anblick. Behinderte<br />

wurden damals stigmatisiert, in Heimen<br />

versteckt und weggeschlossen.<br />

Es scheint, als sei auch die Nazizeit noch<br />

präsent gewesen mit ihren schrecklichen<br />

Idealen …<br />

Die waren in den 50er, 60er Jahren nur unter<br />

den Teppich gekehrt, längst nicht aus den<br />

Köpfen verschwunden.<br />

Müssen wir aber nicht heute umgekehrt<br />

sagen, dass sich nach <strong>Contergan</strong> die<br />

Einstellung der Gesellschaft gegenüber<br />

Behinderten positiv verändert hat?<br />

Wir haben riesige Fortschritte gemacht im<br />

Umgang mit behinderten Menschen, den-<br />

noch leben sie in einer Parallelgesellschaft,<br />

sie haben eigene Schulen, eigene Taxidienste,<br />

sind optisch nicht präsent im Straßenbild.<br />

Die Bewegungsfreiheit eines Rollstuhlfahrers<br />

endet allzu häufig vor Barrieren und unüber-<br />

windbaren Hindernissen.<br />

Auch bei dem als Schlaf- und Beruhigungs-<br />

mittel verabreichten Präparat verstand<br />

damals niemand die Wirkung – die Herstel-<br />

ler eingeschlossen. Hat sich auch das Arz-<br />

neimittelrecht durch <strong>Contergan</strong> geändert?<br />

Es gab weder ein brauchbares Arzneimittel-<br />

gesetz, das die industrielle Produktion von<br />

Medikamenten regelte, noch Verbraucher-<br />

schutzbestimmungen, Produkthaftung oder<br />

Ähnliches. Die Gesetzgeber der jungen Bun-<br />

desrepublik hatten einfach noch keine Zeit<br />

dafür gefunden. In den USA war man schon<br />

viel weiter. Als 1960 bei der Food and Drug<br />

Administration eine Zulassung beantragt wur-<br />

de, übergab man den anscheinend einfachen<br />

Fall einer jungen Mitarbeiterin. Francis Oldham<br />

Kelsey stellte fest, dass es keine zufrieden stel-<br />

lende Dokumentationen gab und aus England<br />

Berichte über Nervenschäden bekannt waren.<br />

Das Medikament wurde nicht zugelassen. Ihre<br />

verantwortungsvolle Arbeit bewahrte die USA<br />

vor tausenden von <strong>Contergan</strong> geschädigten<br />

Kindern. 1962 erhielt Kelsey von Präsident John<br />

F. Kennedy den höchsten zivilen Verdienstorden<br />

der USA.


Die kleine Denise, die Darstellerin des<br />

behinderten Kindes, schließt man sofort<br />

ins Herz. Wie haben Sie sie gefunden?<br />

Die ursprüngliche Idee war, die Darstellung<br />

der Behinderung mit Hilfe digitaler Animation<br />

zu lösen, etwa bei einem nicht behinderten<br />

Kind die Arme wegzuretuschieren. Aber ich<br />

hatte gerade mit Engelchen fl ieg einen Film<br />

mit einem körperlich behinderten Kind in<br />

der Hauptrolle gedreht und wusste, das ist<br />

Quatsch: Für mich war unabdingbare Voraus-<br />

setzung für das Gelingen des Films, ein Kind zu<br />

fi nden, das wirklich ohne Arme lebt und sein<br />

Leben meistert. Fußfertigkeit kann man nicht<br />

mal eben lernen. Man weiß nicht genau, wie<br />

es dazu kommt, aber damals wie heute werden<br />

in Einzelfällen Kinder ohne Arme oder Beine<br />

geboren. So haben wir nach diesen ganz sel-<br />

tenen Fällen gesucht. <strong>Contergan</strong> führte zu<br />

ganz bestimmten Fehlbildungen, und jeder<br />

Mediziner wird sofort sehen, dass Denise kein<br />

wirkliches <strong>Contergan</strong>-Kind ist. Wir suchten<br />

auch nach echten <strong>Contergan</strong>-Kindern, die es ja<br />

auch wieder gibt.<br />

Wie bitte?<br />

Ja, in Brasilien und Kolumbien zum Beispiel<br />

gibt es wieder <strong>Contergan</strong>-Kinder, der Wirkstoff<br />

Thalidomid wird dort gegen Lepra eingesetzt.<br />

Das Problem ist: Wie geht man mit dem Risiko<br />

für die Schwangeren um? Da ist dann vielleicht<br />

ein Beipackzettel, den ein Analphabet nicht<br />

lesen kann. Oder es gibt ein Piktogramm: <strong>Eine</strong><br />

Frau mit durchgestrichenem dicken Bauch.<br />

Vielleicht ein Verhütungsmittel, könnte man<br />

denken! Wir hätten beinahe ein echtes Conter-<br />

gan-Kind aus Kolumbien besetzt, weil es diese<br />

spezielle Schädigung nur bei <strong>Contergan</strong> gibt.<br />

Dann fanden wir aber über einen Arzt dieses<br />

fröhliche, begabte Mädchen in Süddeutsch-<br />

land. Für mich war es ein besonderer Glücks-<br />

fall, weil ich auch mit der Mutter sprechen<br />

konnte. Lange Nachmittage haben wir darüber<br />

geredet, wie es ihr ergangen ist. Ich habe dann<br />

genau so inszeniert, wie sie mir von ihren<br />

Erfahrungen erzählt hat: Zum Beispiel, dass<br />

sie ihr Kind, trotz des Schocks nicht abgelehnt<br />

hat, sondern sofort liebte.<br />

Wird man durch Ihren Film besser verste-<br />

hen lernen, wie es zu dieser Katastrophe<br />

kommen konnte?<br />

Es gibt einen Aspekt, der dieses Thema beson-<br />

ders interessant machte: Wir Menschen glau-<br />

ben ja gerne, uns die Erde untertan machen zu<br />

müssen, wir fühlen uns berufen, Erfi ndungen<br />

zu machen, um unsere Ziele zu erreichen. Bei<br />

<strong>Contergan</strong> wusste niemand, was es eigentlich<br />

war und wie es wirkte. Aber es wirkte: Die<br />

Menschen konnten besser schlafen. Was<br />

aber solche Errungenschaften sonst noch für<br />

Auswirkungen haben, kann man vorher nicht<br />

wissen. Wir sind wie die Zauberlehrlinge, die<br />

Geister rufen, die wir dann nicht mehr los-<br />

werden. Das ist unser Schicksal, nicht nur bei<br />

<strong>Contergan</strong>.<br />

Regisseur<br />

| 3<br />

»Ich hatte bei diesem Film das Glück, wirklich genau die<br />

Darsteller zu bekommen, die ich mir gewünscht habe.«


36 | <strong>Contergan</strong><br />

»Es sind kleine Details, die aber typisch<br />

sind für die Zeit, die ich sehr intensiv<br />

erlebt habe.«<br />

War nicht früher auch die Bereitschaft<br />

größer, einfach mal ein Schlafmittel zu<br />

nehmen?<br />

Allerdings. <strong>Contergan</strong> wurde zudem aggressiv<br />

beworben als erstes und <strong>einzige</strong>s Schlafmittel,<br />

mit dem man sich nicht umbringen kann, egal<br />

wie viele Pillen man nimmt. Es gab <strong>Contergan</strong><br />

ja auch in flüssiger Form, im Volksmund Kino-<br />

saft genannt. Warum? Den Saft gaben Eltern<br />

ihren Kindern, wenn sie abends mal in Ruhe ins<br />

Kino gehen wollten. <strong>Contergan</strong> war rezeptfrei,<br />

was sollte es schaden? Die 50er Jahre waren<br />

geprägt von einem heute nicht mehr vorstell-<br />

baren naiven Fortschrittsglauben. Ich habe<br />

damals Reader’s Digest Hefte verschlungen,<br />

sie waren voller Zukunftsfantasien, alles<br />

schien machbar. Diese Gläubigkeit hat dann<br />

durch den größten Arzneimittelskandal im<br />

Nachkriegsdeutschland allerdings einen<br />

Dämpfer bekommen.<br />

Im Filmbereich aber glauben Sie offen-<br />

sichtlich an den Fortschritt, sonst hätten<br />

Sie nicht so oft etwas Neues ausprobiert:<br />

Jede Menge Kohle war damals der erste<br />

deutsche Film in Dolby-Ton, hinter Ihnen<br />

sehe ich ein Plakat der Tonmarke THX.<br />

Das ist ein Erinnerungsstück von George Lucas,<br />

das lange in den Ruhrsound-Studios hing, dem<br />

ersten digitalen Filmtonstudio in Deutschland.<br />

Sie sind ein Technik-Fan bis hin zur<br />

kleinsten Taschenlampe …<br />

Ich kann gar nicht verstehen, wie man das<br />

nicht sein sollte, wenn man mit einem technischen<br />

Bildmedium arbeitet. Ich habe ein<br />

präzises Verhältnis zu meinen Werkzeugen.<br />

Wenn ich Maler wäre, hätte ich doch auch<br />

ein Verhältnis zu Farbe und Pinsel und wüsste<br />

genau, wie ich was einsetze.<br />

Bei aller neuen Technik haben Sie den<br />

Film doch sehr klassisch auf Filmmaterial<br />

gedreht und in ruhige Szenen aufgelöst.<br />

David Slama und ich haben beim Drehen gemerkt,<br />

dass die 60er Jahre auch einen anderen<br />

Kamerastil verlangen. Eigentlich wollten wir<br />

den Film dokumentarischer, brüchiger und bewegter<br />

filmen, aber dann haben uns die 60er<br />

Jahre ergriffen.<br />

Authentisch bis zum Kartoffelsalat …<br />

Ja, die Erinnerung an die Zeit hat uns überwältigt.<br />

Ich habe sie ja sehr bewusst erlebt, und<br />

so kamen immer wieder diese Flashbacks:<br />

Da steht einem am Set plötzlich eine Chefsekretärin<br />

gegenüber. Heute gibt es die ja<br />

gar nicht mehr.<br />

Sie meinen einen Typ Mensch, der sich in<br />

den Chef hineinversetzen konnte bis zur<br />

Telepathie.<br />

Genau. Ursprünglich gab es nur eine <strong>einzige</strong><br />

Sekretärin im Buch, die zweite habe ich dazugeschrieben.<br />

Während der Arbeit ertappte<br />

ich mich dabei, dass ich beide nach dem<br />

Vorbild meiner Mutter moduliert habe: <strong>Eine</strong><br />

ist jünger, eine älter, aber beide sind meine<br />

Mutter. Sie war Chefsekretärin in einer großen<br />

Speditionsfirma. Ich habe als Kind oft erlebt,<br />

wie sie für die Herren die Zigarren auf dem<br />

Konferenztisch arrangiert hat. Einmal gab es<br />

eine Weihnachtsfeier mit exakt drapierten<br />

Tannenzweigen. Und dann kam der Weinbrand<br />

dazu, den sie Cognac nannten.<br />

Haben Sie viele dieser Erinnerungen<br />

einbringen können?<br />

Das eigentliche Kunststück ist, es doch nicht<br />

ganz so zu machen, wie es in den Sechzigern<br />

wirklich war.<br />

Das müssen Sie erklären.<br />

Zum Beispiel das Rauchen. In Konferenzen<br />

wurde hemmungslos Kette geraucht. Eins<br />

zu eins im Film dargestellt, geriete so etwas<br />

zur Karikatur.


Gerade aus heutiger Sicht macht man ja<br />

vieles falsch. So stellt man Filme über die<br />

70er Jahre gerne voll schicker Designer-<br />

möbel. Dabei hatte die damals kaum<br />

jemand, sondern man benutzte die Nach-<br />

kriegsware, bis sie kaputt ging.<br />

Die Ausstatterin Ingrid Henn ist da sehr präzi-<br />

se. Solche Fehler würde sie nicht machen. Auch<br />

ihre Kollegin Lucia Faust nicht, die Kostümbild-<br />

nerin. <strong>Der</strong> Anfang mit der Kanzlei-Einweihung<br />

spielt 1960. Die Frauen tragen aber Petticoats,<br />

die fünf Jahre älter sind, weil die Verweildauer<br />

der Gegenstände wesentlich länger war als<br />

heute.<br />

Sie erzählen von einem Kampf David gegen<br />

Goliath. In Ihren Bildern steht der einsame<br />

Anwalt dem mächtigen Grünenthal-Vor-<br />

stand als finsterer Herrenriege gegenüber.<br />

Das kann man so beschreiben. Ich fand es<br />

schon als Jugendlicher spannend zu beobach-<br />

ten, wie Hierarchien sich in Kleidung und<br />

Körpersprache präsentieren. Solche Gruppen<br />

kann man für einen Film nur inszenieren, wenn<br />

man eine Vorstellung von jeder einzelnen Figur<br />

hat und weiß, was sie tut, wie sie reagiert und<br />

sich bewegt.<br />

Sie haben viel Persönliches in die<br />

Geschichte eingearbeitet.<br />

Es sind kleine Details, die aber typisch sind<br />

für die Zeit, die ich sehr intensiv erlebt habe.<br />

Zum Beispiel meine Lieblingsstelle: Wenn<br />

die Wegeners nach der Geburt des Kindes<br />

zu Hause sind und Hanne Paul auffordert, er<br />

solle doch essen, was sie ihm da so aus lauter<br />

Verzweiflung zubereitet hat. Sie zählt alles auf:<br />

Ich hab dir Brot aufgeschnitten, streichzarte<br />

gute Butter, Dauerwurst, Schinken, Käse, Gürk-<br />

chen … Sie redet und redet und zeigt, was sie<br />

sagt, alles ist doppelt.<br />

Die Sprache, die sie wählen, vermittelt viel<br />

von dieser anderen Zeit …<br />

Genau. Butter war eben damals nicht einfach<br />

Butter, sondern gute Butter. Im Gegensatz zur<br />

Tafelbutter. Denn das war Margarine. So ging<br />

es mir mit jedem Requisit. Da kam der Requisi-<br />

teur mit einem Adventskranz, und ich spürte<br />

sofort, dass irgend etwas falsch war daran.<br />

Die Kerzen waren zu dick. Früher waren die<br />

dünner. Die musste er besorgen. Und das war<br />

schwer, weil Adventskranzkerzen heute eben<br />

dicker sind. Die Schlipsknoten habe ich allen<br />

Schauspielern selbst gebunden. Oder wie man<br />

damals den Kragen halb hochstellte: Diese<br />

Details ergeben am Ende ein Gesamtbild, das<br />

einen wirklich in die Zeit hineinversetzt. Und<br />

so haben wir eben auch intuitiv angefangen,<br />

die Kamera genau so zu bewegen, wie man es<br />

damals gemacht hätte.<br />

Wie kamen Sie zum Beispiel an die<br />

originalen <strong>Tablette</strong>nröllchen?<br />

Nicht wenige <strong>Contergan</strong>-Geschädigte haben<br />

alles aufgehoben, auch die echten <strong>Tablette</strong>n.<br />

Wie viele Menschen sind insgesamt<br />

betroffen?<br />

Weltweit wurden mehr als 10000 Menschen<br />

betroffen. In Deutschland leben heute noch<br />

etwa 2800 <strong>Contergan</strong>-Geschädigte. Mit<br />

550 Euro Rente, maximal. Und diese Rente<br />

zahlt nicht der Verursacher, sondern der Steu-<br />

erzahler. Die Eltern der <strong>Contergan</strong>-Kinder ha-<br />

ben in einer extremen Notsituation auf alle<br />

Rechte verzichtet, um Entschädigungszah-<br />

lungen zu erhalten. Jetzt aber kommen die<br />

Spätfolgen. Wenn man sein Leben lang mit<br />

den Füßen isst, hat das Auswirkungen auf die<br />

Wirbelsäule. Es gibt Spätschäden in mannig-<br />

faltiger Art, viele Betroffene haben täglich<br />

Schmerzen und<br />

brauchen kostspielige medizinische Hilfe. Vor<br />

möglichen Nachforderungen hat Grünenthal<br />

heute natürlich besondere Angst. Wenn jetzt<br />

eine breite Öffentlichkeit erfährt, was damals<br />

los war, könnte die Forderung laut werden,<br />

alles wieder aufzurollen.<br />

Regisseur<br />

| 37


3 | <strong>Contergan</strong><br />

»Es sind die Gefühle, vor denen sich<br />

Grünenthal fürchtet«<br />

Ein Gespräch mit dem Produzenten Michael Souvignier<br />

Wenn ein Film fertig ist, möchte ein Produzent<br />

ihn meist so schnell wie möglich der<br />

Öffentlichkeit zeigen. Mussten Sie sich<br />

schon einmal so lange gedulden?<br />

In meiner bisherigen Produzententätigkeit<br />

hat ein Film nie so lange gelegen, und das<br />

Besondere an dieser Situation ist: Jedes Mal,<br />

wenn ich mir »<strong>Contergan</strong>« ansehe, und das<br />

mache ich oft, habe ich ein Déjà-vu. Ich fühle<br />

mich geradezu in die Umstände der Zeit hineingezogen.<br />

Grünenthal arbeitet wie damals<br />

mit falschen Behauptungen und der schieren<br />

Macht von Anwälten. Wir werden mit Papier<br />

zugeschüttet und müssen immer wieder Zeit<br />

und Geld investieren, um auch auf die dümmsten<br />

Vorwürfe zu reagieren. Das alles geschieht<br />

bei einem Film, der in meinem Leben einen<br />

ganz großen Stellenwert einnimmt. Bis zum<br />

heutigen Tage laufen 23 gerichtliche Verfahren.<br />

Ich überlege einen weiteren Film zu<br />

diesem Thema zu produzieren – dann aber<br />

als internationale Großproduktion. Denn wir<br />

erleben auch aus dem Ausland einen großen<br />

Zuspruch zum »<strong>Contergan</strong>«-Film.<br />

Wie haben Sie die langwierige juristische<br />

Auseinandersetzung erlebt?<br />

Ich bin sicher: Die juristischen Auseinandersetzungen<br />

sind noch nicht vorbei. Jetzt freuen<br />

wir uns aber erst einmal auf den Film und die<br />

Resonanz der Zuschauer. Mit diesem Rückenwind<br />

stehen wir auch die nächsten möglichen<br />

<strong>Prozess</strong>e gestärkt durch.<br />

Warum findet der Konzern eigentlich<br />

einen künstlerischen und unterhaltenden<br />

Spielfilm so viel gefährlicher als zum Beispiel<br />

einen Zeitungsartikel oder ein Buch?<br />

<strong>Der</strong> <strong>Contergan</strong>-Skandal ist unvergessen, weil<br />

die Geschädigten noch immer unter uns sind.<br />

Sie sind das Symbol dieses Skandals, der durch<br />

unseren Film emotionalisiert wird. Es hat einige<br />

Dokumentationen und Bücher zum Thema<br />

gegeben, doch die haben Grünenthal aufgrund<br />

geringer Nachfrage nicht weiter gestört. Die<br />

Fakten – die bei uns ja auch konsequent eingehalten<br />

werden – sind nicht das Problem. Es<br />

sind die Gefühle, vor denen sich Grünenthal<br />

und Schulte-Hillen fürchten.<br />

Sie haben schon eine Reihe von so genannten<br />

Eventfilmen produziert, unter<br />

anderem den Erfolg Das Wunder von<br />

Lengede. Welchen Stellenwert hat für<br />

Sie persönlich der Film »<strong>Contergan</strong>«?<br />

Es ist nicht nur ein wichtiger Film, sondern<br />

etwas ganz Besonderes. Man ist als Produzent<br />

ja immer der, der zeugt, und der Regisseur ist<br />

dann der, der das Baby auf die Welt bringt.<br />

Wir hätten den Film auch sehr voyeuristisch<br />

machen können, indem man mit der Kamera<br />

draufhält und die Emotionen der Menschen<br />

zur Schau stellt. Wir haben einen distanzierten<br />

Film gemacht, mit dem sich der Zuschauer<br />

selbst ein Bild machen kann. Und das mit<br />

einem hervorragenden Ergebnis, wie ich finde.<br />

Das hochkarätige Schauspieler-Ensemble hat<br />

sich gegenseitig befördert. Insbesondere das<br />

Paar Benjamin Sadler und Katharina Wackernagel<br />

hat eine Intensität zustande gebracht,<br />

die mehr als überzeugend ist. Ich kann nur<br />

sagen, ich bin richtig stolz auf diesen Film.<br />

Wollten Sie mit Ihrer Arbeit den<br />

Opfern ein Denkmal setzen?<br />

Ganz bestimmt. Bei der Recherche sind wir<br />

auf erstaunliche Dinge gestoßen. In der Nähe<br />

unseres Kölner Büros gab es zum Beispiel eine<br />

der wenigen Schulen, die <strong>Contergan</strong>-Geschädigte<br />

nicht ausgegrenzt hat. Wir alle sehen<br />

<strong>Contergan</strong>-Geschädigte immer wieder und fragen<br />

uns: Wie war das denn damals eigentlich?<br />

<strong>Der</strong> Film stellt dieselbe Frage: Wie konnte das<br />

damals geschehen? Inzwischen haben sich ja<br />

– durch den <strong>Contergan</strong>-Fall – die Arzneimittelgesetze<br />

geändert. Aber was damals, als die


»<strong>Der</strong> Film wird in Erinnerung bleiben<br />

sowie auch das Thema <strong>Contergan</strong>.«<br />

Verantwortlichen nicht schuldig gesprochen<br />

wurden, den Geschädigten angetan wurde,<br />

kann man noch immer kaum fassen. Das<br />

Thema <strong>Contergan</strong> darf nicht in Vergessenheit<br />

geraten.<br />

Die Arbeit als Produzent kann auch anders<br />

aussehen: Man hat zum Beispiel ein gutes<br />

Drehbuch, dann gibt es Probleme und man<br />

entfernt sich immer mehr vom schönen<br />

Traum. Hier dagegen scheinen sich die<br />

Erwartungen selbst übertroffen zu haben.<br />

Das stimmt: Film ist eine sehr komplexe Ange-<br />

legenheit. Es ist, als würden Sie ein Haus bau-<br />

en, angefangen mit dem alles entscheidenden<br />

Drehbuch. Dann müssen aber die Worte vom<br />

Regisseur interpretiert und von den Schauspie-<br />

lern mit Performance gefüllt werden. Das ist<br />

hier über alle Maßen gut gelungen. Und es<br />

ist in der Tat noch besser geworden, als ich<br />

es erwartet habe. Diese Tiefe, diese Ausdrucks-<br />

kraft, diese Intensität – das ist ganz selten zu<br />

erreichen, gerade auch, wenn man ein schwie-<br />

riges Thema vermittelt, das ja auf viele Worte<br />

angewiesen ist, um komplexe Sachverhalte zu<br />

erläutern.<br />

Wenn man einen historischen Film<br />

dreht, kann man meist mit imposanten<br />

Schauplätzen und Effekten arbeiten.<br />

Hier ist der Spielort der unscheinbare<br />

Alltag einer Familie. Wie gelingt es, ein<br />

Filmteam dafür derart zu sensibilisieren?<br />

Wir haben die Schauspieler mit einem gewal-<br />

tigen Informationspaket versorgt: mit histo-<br />

rischem Material und mit einem extra von uns<br />

aus verschiedenen Fernsehdokumentationen<br />

zusammengeschnittenen Trailer. Für einen<br />

Schauspieler ist das historische Motiv immer<br />

ein besonderer Rückhalt. Seine Frisur wird<br />

zurückgeschnitten, er trägt Hosen, von denen<br />

man heute sagen würde, sie haben Hochwas-<br />

ser, er geht in die Kulisse, die bis ins letzte De-<br />

tail zeitgetreu ist. Und wir hatten den Vorteil,<br />

den Film fast chronologisch und ohne Pause<br />

drehen zu können. Dadurch wurde eine immer<br />

größere Intensität erzeugt, die sich auf dem<br />

Bildschirm auch genauso vermittelt. Ent-<br />

scheidend ist natürlich auch die wunderbare<br />

Zusammenarbeit von Regie, Kamera, Szenen-<br />

bild sowie dem ganzen Team. Mir hat ein Film<br />

selten so viel Freude bereitet – klammern wir<br />

dabei die gerichtliche Auseinandersetzung<br />

einmal aus.<br />

Verlässt man ein so großes, schließlich<br />

noch durch den Rechtsstreit gefährdetes<br />

Projekt eigentlich müde oder gestärkt?<br />

Für mich und unsere Firma war und ist die<br />

lange gerichtliche Auseinandersetzung mit<br />

Grünenthal und Schulte-Hillen und die mir<br />

manchmal endlos erscheinenden Verfahren<br />

ein schwerer Kampf, der uns viel Energie, Zeit<br />

und Geld kostet. Aber am Ende des Tages bin<br />

ich sehr gestärkt und voller Tatendrang, solche<br />

Themen weiter zu verfolgen. Ich bin sicher: <strong>Der</strong><br />

Zuschauer wird unseren Film annehmen. <strong>Der</strong><br />

Film wird in Erinnerung bleiben sowie auch das<br />

Thema <strong>Contergan</strong>. Die Opfer werden nicht ver-<br />

gessen. Allein dafür hat sich die ganze Arbeit<br />

gelohnt.<br />

Was wird Ihre bleibende Erinnerung<br />

an diesen Film sein?<br />

Stellen Sie sich die Absurdität vor, dass man<br />

vor einem Landgericht über einen Film streitet<br />

und nur über das Drehbuch diskutiert, obwohl<br />

der Film fertig vorliegt. Ich bin froh, dass der<br />

Film jetzt in die Öffentlichkeit kommt und der<br />

Zuschauer sich endlich selbst ein Bild machen<br />

kann.<br />

Haben Sie schon ein neues Projekt,<br />

über das man sprechen kann?<br />

Ich beschäftige mich im Moment intensiv mit<br />

Trisomie-21-geschädigten Kindern – man nannte<br />

sie früher mongoloid – und autistischen Kin-<br />

dern. Das Thema Behinderung muss man noch<br />

viel mehr intensivieren, um der Ausgrenzung<br />

entgegenzuwirken. Da macht es auf jeden Fall<br />

Sinn, den Fokus auf Menschen zu richten, die es<br />

nicht einfach haben im Leben.<br />

Produzent<br />

| 3


40 | <strong>Contergan</strong><br />

»Es geht nicht um einzelne Schuldige. Es geht um<br />

ein Menschenbild, das sich schuldig gemacht hat.«<br />

Ein Gespräch mit dem Drehbuchautor Benedikt Röskau<br />

Benedikt Röskau, Jahrgang 1961, ist seit 20 Jahren<br />

Drehbuchautor. Nach dem Studium der Germanistik,<br />

Philosophie und Theaterwissenschaft in München<br />

sammelte er zunächst praktische Filmerfahrungen<br />

als Tontechniker bei Spiel-, Dokumentar- und Werbefilmen<br />

und inszenierte eigene Kurzfilme. Inzwischen<br />

wurden mehr als 30 seiner Drehbücher für Fernsehen<br />

und Kino realisiert.<br />

Als Autor war Röskau an zahlreichen Fernseh-<br />

serien beteiligt, darunter Im Namen des Gesetzes,<br />

<strong>Der</strong> Fahnder und SK-Babies. Nach seinen Drehbüchern<br />

entstanden mehrere TV-Movies: <strong>Der</strong> Feuerteufel<br />

– Flammen des Todes (1999, mit Heino Ferch), eine<br />

Story um einen Brandstifter, der Wien in Atem hält;<br />

Das Tattoo – Tödliche Zeichen (2000), ein Action-<br />

Thriller, in dem neben Katja Weizenböck und Tobias<br />

Moretti auch Benjamin Sadler mitwirkte; Jagd auf<br />

den Flammenmann (2003), ein Psycho-Thriller um<br />

Herr Röskau, wie kamen Sie auf die<br />

Idee zum Film?<br />

Ich selbst bin aus der <strong>Contergan</strong>-Generation,<br />

Jahrgang 1961 – ich hätte also durchaus betrof-<br />

fen sein können. Auch meiner Mutter war das<br />

Medikament angeboten worden. Schon Ende<br />

der 90er habe ich mich zum ersten Mal mit<br />

diesem Thema beschäftigt. Die Anregung, es<br />

dann in ein Drehbuch umzusetzen, kam von<br />

der Produktionsfirma Zeitsprung, für die ich<br />

auch das Buch zum Wunder von Lengede ge-<br />

schrieben habe.<br />

Wenn Sie sagen, auch Ihre Mutter hätte<br />

<strong>Contergan</strong> nehmen können, kann man<br />

sich ja fragen: Wie viele Menschen denken<br />

noch heute mit Beklemmung an diese Zeit<br />

– auch wenn Ihnen selbst nichts passiert ist?<br />

In der Tat, als ich meiner Mutter von dem<br />

Projekt erzählte, blieb sie während unseres<br />

Spaziergangs stehen und sagte, dass sie noch<br />

heute mulmige Gefühle hat, wenn sie daran<br />

zurückdenkt.<br />

einen Serienkiller mit Christoph Waltz und Lisa<br />

Martinek. Und schließlich Röskaus bislang größter TV-<br />

Erfolg: der Zweiteiler Das Wunder von Lengede, 2003<br />

eines der am meisten beachteten Fernsehereignisse<br />

und ausgezeichnet mit dem Grimme Preis.<br />

Danach arbeitete Benedikt Röskau an mehreren<br />

Projekten. Parallel zum Zweiteiler über den <strong>Contergan</strong>-Fall<br />

liefen die Dreharbeiten zur historischen<br />

Filmbiografie Mozart in München (2005). Fürs Kino<br />

schrieb er nach dem Krimi Tödlicher Umweg (2004)<br />

noch den historischen Bergfilm Nordwand. Philipp<br />

Stölzl verfilmte das packende Actiondrama mit Benno<br />

Führmann und Florian Lukas; Kinostart ist noch für<br />

2007 geplant. Zur Zeit schreibt er ein Drehbuch über<br />

das Leben von Romy Schneider.<br />

Benedikt Röskau war von 1997 bis 2007 im Vorstand<br />

des Verbandes Deutscher Drehbuchautoren.<br />

Anders als bei vielen so genannten Event-<br />

filmen illustrieren Sie nicht einfach ein<br />

historisches Ereignis mit einer Geschichte.<br />

Das Familiendrama würde auch ohne die-<br />

sen Hintergrund berühren.<br />

Das ist der Kern meiner Arbeit, dass die<br />

Geschichte zeitlos erzählt werden soll. <strong>Der</strong><br />

Konflikt, dass Menschen Fehler machen und<br />

andere die Konsequenzen daraus tragen<br />

müssen, wird uns immer beschäftigen. Die<br />

<strong>Contergan</strong>-Katastrophe ist mit vielen anderen<br />

industriellen Katastrophen vergleichbar, bei<br />

denen am Ende keiner der Schuldige gewesen<br />

sein wollte. Wie etwa beim ICE-Unglück in<br />

Eschede: Es gab auch einen großen <strong>Prozess</strong>,<br />

und dann ist die Schuld zwischen Abteilungs-<br />

leiter und Monteur hin- und hergeschoben<br />

worden – bis alle freigesprochen wurden.


Dennoch schreiben sich Drehbücher<br />

einfacher, wenn es einen einzelnen<br />

Schuldigen gibt – etwa im Krimi-Genre.<br />

Sind Sie nicht einen sehr schwierigen<br />

Weg gegangen?<br />

Das Problem, dass es keinen Schuldspruch<br />

gibt, war mir von Anfang an klar. Es sollte das<br />

Thema des Films sein: der Versuch, Schuld zu<br />

definieren. Ständig wird darüber gesprochen.<br />

Je mehr die Verursacher Schuld ablehnen, des-<br />

to drückender erscheint sie. Als nun gegen un-<br />

seren Film geklagt wurde, haben die Kläger am<br />

wütendsten dagegen gekämpft, dass dieser<br />

Film klarmacht, dass es Schuld gibt. Allerdings<br />

haben wir keine individuelle Schuldzuweisung<br />

vorgenommen. Das konnte ich gar nicht. Es<br />

geht vielmehr um ein bestimmtes Menschen-<br />

bild, eine Haltung, die Schuld auf sich geladen<br />

hat. Sehr ähnlich, wie sich Menschen in der<br />

deutschen Geschichte vor 60 Jahren schuldig<br />

gemacht haben.<br />

Nach dem Krieg hätten viele auch lieber<br />

gesagt: Hitler ist es allein gewesen.<br />

Genau. Die Herausforderung bestand darin,<br />

einen schuldhaften Zusammenhang zu be-<br />

schreiben, den man nicht individualisieren<br />

kann. Diese Gefahr liegt ganz allgemein in<br />

industriellen Produktionsprozessen. Etwa<br />

bei der Gentechnologie: Wer ist schuld, wenn<br />

etwas schiefgeht?<br />

Dann ist Ihr Film auch eine Mahnung<br />

für heutige Verhältnisse?<br />

Die Vorsicht müsste im selben Maße steigen,<br />

wie unsere Industriegesellschaft komplexer<br />

wird. Aber das tut sie nicht. Auch in der Kern-<br />

technologie ist das zu sehen. Nirgends ist die<br />

Gefahr absoluter.<br />

Nun sind bei einem gelungenen Film<br />

immer ganz viele Leute »schuld« …<br />

Die Zusammenarbeit bei diesem Film war<br />

einzigartig. Das ist wohl mein dreißigstes ver-<br />

filmtes Drehbuch, aber eine so konstruktive,<br />

enge und respektvolle Zusammenarbeit habe<br />

ich noch nie erlebt. Das ist etwas, was man<br />

im fertigen Film immer spürt.<br />

Aber mussten Sie nicht doch noch um Ihr<br />

Werk fürchten, als Grünenthal gegen den<br />

Film klagte?<br />

Interessanterweise waren wir alle sehr sicher<br />

und gelassen, dass es gut ausgehen würde.<br />

Woher nehmen Sie als Autor eigentlich<br />

die Inspiration?<br />

Meine konkrete Inspiration habe ich bei die-<br />

sem Film aus den Familien im Bekanntenkreis<br />

oder der eigenen Kindheit gezogen. Die meis-<br />

ten meiner Spielfilme haben mit Familie zu<br />

tun. Wenn alle anderen Institutionen versa-<br />

gen, ist die Familie die <strong>einzige</strong>, die noch funkti-<br />

oniert und einen auffängt. Im »<strong>Contergan</strong>«-<br />

Film wird das besonders deutlich. <strong>Der</strong> Anwalt<br />

Paul Wegener sagt ja: Am Ende wird der Fall<br />

bei uns auf dem Küchentisch landen. Wir wer-<br />

den uns streiten und nicht die da draußen. In<br />

juristischen Konflikten gibt es immer einen<br />

Moment, in dem es persönlich wird. Aber das<br />

hat auch sein Gutes: Wenn die Gegenseite per-<br />

sönlich wird, weiß man, dass man gute Karten<br />

hat …<br />

Drehbuch<br />

| 41<br />

»Wenn alle anderen Institutionen versagen, ist die Familie<br />

die <strong>einzige</strong>, die noch funktioniert und einen auffängt.«


42 | <strong>Contergan</strong><br />

»Die Dramatik einer Geschichte entwickelt<br />

sich in den Räumen, die man beleuchtet«<br />

Ein Gespräch mit dem Kameramann David Slama<br />

<strong>Der</strong> 1946 in Prag geborene David Slama zählt heute<br />

zu den bedeutendsten Kameramännern des deutschsprachigen<br />

Films. 1968 kam er nach Berlin, wo er unter<br />

Peter Stein und Michael Ballhaus an der Deutschen<br />

Filmakademie studierte. Später holte ihn Ballhaus,<br />

mit dem Slama eine enge Freudschaft verbindet, in<br />

sein Kamerateam bei Hollywood-Produktionen wie<br />

Die letzte Versuchung Christi und Gangs of New York.<br />

1973 übernahm er die Kamera bei Wolf Gremms frühem<br />

Spielfilm Ich dachte ich wär tot. 1978 begann mit<br />

dem Ruhrpott-Roadmovie Die Abfahrer seine langjährige<br />

Zusammenarbeit mit dem Regisseur Adolf<br />

Winkelmann. Dem Überraschungserfolg folgte 1981<br />

das bei Publikum und Kritik gleichermaßen beliebte<br />

Porträt eines erfindungsreichen Aussteigers in Jede<br />

Menge Kohle: Für seine ungewöhnliche CinemaScope-<br />

Fotografie erhielt Slama 1981 den Bundesfilmpreis.<br />

Für ein weiteres Projekt mit Winkelmann, den TV-<br />

Thriller <strong>Der</strong> letzte Kurier (1996), erhält er 1997 den<br />

Grimme Preis in Gold und den Deutschen Kamerapreis<br />

(Lobende Erwähnung). <strong>Eine</strong> Rückkehr zum großen<br />

Kino markiert die 18-Millionen-Euro-Produktion<br />

<strong>Der</strong> Herr der Diebe (Regie: Richard Claus), die 2006<br />

erfolgreich gestartet wird. Auch der österreichische<br />

Horrorfilm In drei Tagen bist du tot (2006, Regie:<br />

Andreas Prochaska) fand ein großes Publikum. Mit<br />

Prochaska komplettierte David Slama gerade die<br />

Mini-Serie Zodiak. Im Juni 2007 wurde David Slama<br />

in Köln mit dem Deutschen Kamerapreis für sein<br />

Lebenswerk geehrt.<br />

»Wenn man einen Film dreht, der in<br />

vergangenen Jahrhunderten spielt, ist<br />

es schön, wenn der Zuschauer hinterher<br />

denkt: Was, die hatten schon damals<br />

Kameras dabei?«<br />

Herr Slama, wie all Ihre Filme mit Adolf<br />

Winkelmann wurde auch »<strong>Contergan</strong>«<br />

minutiös vorbereitet. Trotzdem fanden<br />

Sie während der Arbeit zu einem ganz<br />

anderen Stil …<br />

Zuerst wollten wir einen Weg finden, das<br />

umfangreiche Archivmaterial über den Fall,<br />

das der WDR besitzt, zu verwenden – unter<br />

anderem mit Fritz Pleitgen als Gerichtsrepor-<br />

ter. Da war die Idee, wie bei Oliver Stone in<br />

seinen Filmen Natural Born Killers oder JFK das<br />

Material zu mischen – also unsere Geschichte<br />

mit der Vergangenheit zu verweben. Zusätz-<br />

lich engagierten wir eine weitere Kamerafrau,<br />

eine unserer besten Studentinnen an der Fach-<br />

hochschule Dortmund, die neben meinen<br />

16mm-Aufnahmen noch in hoch auflösendem<br />

Video drehte. Die Idee war, fließende Über-<br />

gänge zwischen altem und neuem Material<br />

zu schaffen. Aber als wir dann anfingen zu<br />

drehen, sahen wir, dass die historische Zeit da-<br />

gegen etwas Steifes an sich hatte. Diese Zeit<br />

verlangte nach Bildern, die nicht so mobil sind,<br />

wie man uns so kennt. Das merkten wir von<br />

Tag zu Tag beim Drehen. Von den Videoauf-<br />

nahmen wurde dann schließlich nichts mehr<br />

verwendet.<br />

Dann gehört zu einem guten Kamera-<br />

konzept auch die Freiheit, auf Neues zu<br />

reagieren?<br />

Ja, bei unserem gemeinsamen Film <strong>Der</strong> letzte<br />

Kurier war das übrigens ähnlich: Wir hatten<br />

uns lange vorbereitet – und sahen dann in<br />

einem Museum die Parole des Künstlers Joan<br />

Miró: »Je größer die Freizügigkeit desto groß-<br />

artiger das Kunstwerk«. So haben wir dann<br />

unser strenges Konzept etwas aufgebrochen.


Historische Filme fotografi ert man nicht<br />

alle Tage. Lag darin ein besonderer Reiz?<br />

Mich interessiert zuerst immer die Geschichte.<br />

Aber in historischen Filmen liegt wirklich ein<br />

Reiz. Für den Film <strong>Der</strong> letzte Kurier hatte ich<br />

mir damals Tarkowskijs Andrej Rubljow zum<br />

Vorbild genommen, der fast dokumentarisch<br />

wirkt: Wenn man einen Film dreht, der in ver-<br />

gangenen Jahrhunderten spielt, ist es schön,<br />

wenn der Zuschauer hinterher denkt: Was, die<br />

hatten schon damals Kameras dabei? Das reizt<br />

mich total.<br />

Waren die detaillierten Bauten, die<br />

für »<strong>Contergan</strong>« entstanden, auch eine<br />

Herausforderung?<br />

Die Filmarchitektin Ingrid Henn ist ein ganz<br />

leidenschaftlicher Mensch, der sich wirklich<br />

begeistert für die Architektur. Für mich war<br />

das immer wichtig, aber ich stoße selten auf<br />

Menschen, denen es genauso geht. Für mich<br />

gibt es nichts Schöneres, als gute Geschichten,<br />

tolle Schauspieler und adäquate Filmarchitek-<br />

tur zu fotografi eren. Die Dramatik einer Ge-<br />

schichte entwickelt sich ja erst in den Räumen,<br />

die man beleuchtet. In den USA weiß man bes-<br />

ser als in Deutschland, dass die Filmarchitektur<br />

genauso wichtig ist wie die Kamera oder die<br />

Schauspieler.<br />

Zusätzlich haben Sie den Lichtdesigner<br />

Voxi Bärenklau hinzugezogen.<br />

Voxi Bärenklau ist ein Künstler. Das weiß ich,<br />

seit er 1990 bei mir Praktikant war. Inzwischen<br />

hat er für Christoph Schlingensief in Bayreuth<br />

beleuchtet und auch bei der Second Unit von<br />

Scorseses Gangs of New York.<br />

Ihre Arbeit ist sehr diskret, Sie treten<br />

niemandem zu nahe. Was ist denn Ihre<br />

Ansicht zur hautnahen Handkamerafüh-<br />

rung der Dogma-Filme?<br />

Die frühen Dogmafi lme wie Das Fest und<br />

Mifune haben mich auch sehr interessiert.<br />

Ich fi nde immer gut, wenn man sich Gedanken<br />

macht und versucht, Bilder neu zu erfi nden.<br />

Neulich, als Antonioni starb, habe ich Blow<br />

Up wieder gesehen. Diese völlig neuartige<br />

Cadrage hat mich damals sehr inspiriert. Oder<br />

gerade sah ich David Finchers Film Zodiac,<br />

der mich sehr begeistert hat. Jedes Bild ist<br />

ein Rätsel.<br />

Sie verlieren Ihre Neugier wohl nie?<br />

Schon vor dreißig Jahren haben Winkelmann<br />

und ich uns mit Wahrnehmung beschäftigt:<br />

Was bekommt der Zuschauer überhaupt mit?<br />

So wollten wir mit unseren Bildern von Anfang<br />

an auch Rätsel aufgeben. Man kann ja immer<br />

nur einen <strong>Teil</strong> der Wirklichkeit zeigen. Das war<br />

uns sehr bewusst, dann sagten wir: Zeigen wir<br />

das, dann kann sich der Zuschauer den Rest<br />

denken.<br />

Sie haben im Juni 2007 in Köln den<br />

Deutschen Kamerapreis für Ihr Lebenswerk<br />

erhalten …<br />

Das war eine wirklich schöne Feier. Und es ist<br />

immer gut, wenn man ein wenig Aufmerksam-<br />

keit für seine Arbeit bekommt.<br />

Kamera<br />

| 43


44 | <strong>Contergan</strong><br />

»Wir wollten keine falsche Patina.«<br />

Ein Gespräch mit der Szenenbildnerin Ingrid Henn<br />

Die Kölnerin Ingrid Henn gehört spätestens seit ihrer<br />

suggestiven Ausstattung von Hans-Christian Schmids<br />

Reality-Thriller 23 (1998) zu den angesehendsten Szenenbildnerinnen<br />

des jüngeren deutschen Films. Begonnen<br />

hatte sie als Setdresserin für Helmut Dietls<br />

Komödie Schtonk (1992). Für die Daily Soap Unter Uns<br />

entwarf sie Konzept und die ersten Folgen, bevor sie<br />

für das Fernsehen unter anderem Michael Gutmanns<br />

Grimme-Preis-gekröntes Jugenddrama Nur für eine<br />

Nacht (1997) ausstattete. Im Kino folgten die erfolgreichen<br />

Teenager-Komödien Schule (2000) und Mäd-<br />

chen, Mädchen (2001). Hohe Ansprüche stellten unter<br />

anderem Hans-Christian Schmids Literaturverfilmung<br />

Crazy, Stefan Ruzowitzkys Horror-Hit Anatomie (beide<br />

2000) und die erfolgreiche Neuverfilmung von Das<br />

fliegende Klassenzimmer (2003, Regie: Tomy Wigand)<br />

sowie im selben Jahr Verschwende Deine Jugend (Regie:<br />

Benjamin Quabeck). Auf der großen Leinwand<br />

konnte man Ingrid Henns Vielseitigkeit zuletzt in<br />

Oskar Roehlers viel beachteter Gesellschaftssatire<br />

Elementarteilchen (2006) bewundern.<br />

»Wir haben, kurz bevor die Abrissbirne kam,<br />

Materialien aus den Häusern dort ausgebaut.«<br />

Frau Henn, der »<strong>Contergan</strong>«-Film entstand<br />

komplett in Ihren Studiokulissen. Wie<br />

baut man heute eine Wohnung aus der<br />

Zeit um 1960?<br />

Wir haben uns eines ganz schlichten Tricks<br />

bedient. Es gibt im Kölner Umland Braunkohle-<br />

gruben, denen ganze Dörfer zum Opfer fallen.<br />

Wir haben, kurz bevor die Abrissbirne kam,<br />

Materialien aus den Häusern dort ausgebaut.<br />

Ich habe in meinen Entwürfen Platzhalter<br />

gelassen und dann nach passenden Original-<br />

teilen gesucht. Die mussten natürlich aufgear-<br />

beitet werden, da es sich ja größtenteils um<br />

neue Wohnungen handelte.


Das klingt mühsam. Wie renoviert<br />

man denn die alten <strong>Teil</strong>e, damit sie<br />

wie »nagelneu von 1960« aussehen?<br />

Indem man sie der Zeit entsprechend aufarbei-<br />

tet, grundiert, abschleift, neu lackiert etc. Und<br />

indem man neue alte Tapeten verwendet, die<br />

wir nach langen Recherchen in Deutschland,<br />

Belgien und Holland gefunden haben. Wir<br />

wollten keine falsche Patina.<br />

Vor David Slamas klaren Kamerabildern<br />

kann man wahrscheinlich nicht viel<br />

verstecken?<br />

Nein, der Film ist ja sehr hell, was für die<br />

Kamera immer schwierig ist. Aber die Zeit<br />

des Aufschwungs war ja auch hell. Wir haben<br />

im Studio mit Decken gedreht. Studiobauten<br />

sieht man oft an, dass sie keine Decken haben.<br />

Es liegt auch kein PVC, sondern Linoleum auf<br />

den Böden. Darüber haben wir dann wieder<br />

Teppiche gelegt …<br />

Diese Authentizität hat die Schauspieler<br />

sehr inspiriert. <strong>Der</strong> Kameramann David<br />

Slama hat sogar seinen Kamerastil spontan<br />

angepasst.<br />

Die Zusammenarbeit mit David Slama und<br />

Adolf Winkelmann war wunderbar. Das Zu-<br />

sammenspiel mit ihnen und dem Lichtdesigner<br />

Voxi Bärenklau war inspirierend. <strong>Eine</strong> Streichel-<br />

einheit für meinen Beruf.<br />

Und wie sah es mit der Detailtreue<br />

bei der Ausstattung aus?<br />

Wir haben in der Vorbereitungszeit die unter-<br />

schiedlichsten Sachen zusammengetragen. Für<br />

die Kanzlei alte Rüsterholzmöbel aus einem<br />

Glaswerk ausgebaut und dann im gleichen Stil<br />

weitergebaut. Aus einem Altbau in Wien den<br />

Kamin und die cremefarbenen Glasfliesen her-<br />

ausgenommen. Kein Trödelmarkt war vor uns<br />

sicher. Ich hatte Sorge, dass wir zu sehr nach<br />

Studio aussehen könnten.<br />

Das größte Set, das Sie bauten,<br />

war der Gerichtssaal.<br />

Man muss wissen, dass das Gericht damals<br />

wegen des großen Publikumandrangs in einer<br />

Kantine tagte. Wir haben diesen Gerichtssaal<br />

also ebenfalls wie eine zu einem Gerichtssaal<br />

umgebaute Kantine gebaut, in der Halle einer<br />

alten Kaserne in Rösrath bei Köln.<br />

Woher nahmen Sie die vielen wertvollen<br />

Originalrequisiten der 50er Jahre?<br />

In Köln gab es den bekannten 50er-Jahre-<br />

Sammler Hermann Götting. Zu seinem unge-<br />

heuren Nachlass hat uns Fritz Breckheimer<br />

Zugang verschafft. Als wir sagten, was wir<br />

machen wollten, sind wir dabei ungemein<br />

unterstützt worden. Schade, dass die Stadt<br />

Köln dieser Sammlung, die nun in alle Winde<br />

verstreut wird, kein Museum eingerichtet hat.<br />

Sind Sie denn privat auch mit so herrlichen<br />

Fundstücken eingerichtet?<br />

Nein, ich hebe nicht viel für mich auf. Die<br />

Dinge, mit denen ich an einem Film gearbeitet<br />

habe, kann ich nachher nicht mehr um mich<br />

haben. Bei mir sieht es außer ein paar Schätz-<br />

chen sehr schlicht aus. <strong>Eine</strong> kleine Stuhl- und<br />

Vasensammlung, etwas Kunst, sonst nichts.<br />

Szenenbild<br />

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46 | <strong>Contergan</strong><br />

Die Bedeutung des <strong>Contergan</strong>-Falls<br />

für die Generation 30+<br />

»Warum den alten Fall wieder hochkochen?<br />

Wen interessiert das überhaupt?« Zwei von<br />

vielen Vorwänden, die ich im vergangenen<br />

Jahr, seit gegen den WDR Anklage erhoben<br />

wurde, mehrfach gehört habe.<br />

Als junges Mädchen im Flandern der 70er<br />

Jahre kam ich nur sporadisch mit <strong>Contergan</strong>-<br />

Opfern in Kontakt. Im Straßenbild der größeren<br />

Städte waren sie aber sichtbar, vereinzelt,<br />

umwoben von dem geheimnisvollen Wort<br />

»Softenon« (Bezeichnung des Medikaments<br />

<strong>Contergan</strong> in Belgien).<br />

30 Jahre später bekam ich in meiner Funktion<br />

als Redakteurin Fernsehfilm beim WDR<br />

den <strong>Contergan</strong>-Fall als Filmthema vom Kölner<br />

Produzenten Michael Souvignier angeboten.<br />

Das Exposé von Benedikt Röskau erzählte die<br />

Geschichte eines tapferen Rechtsanwaltes,<br />

der, in Analogie zur biblischen Geschichte von<br />

»David gegen Goliath«, nach der Geburt seiner<br />

behinderten Tochter den Kampf gegen einen<br />

großen Pharmakonzern auf sich nimmt.<br />

Was Souvignier nicht wusste: Während<br />

ich die Geschichte zum ersten Mal las, war ich<br />

gerade schwanger mit meinem ersten Kind.<br />

Ich hatte bereits einige Monate voller Hochs<br />

und Tiefs hinter mir, schlaflose Nächte voller<br />

Freude, aber auch Ängste. Kein Wunder, dass<br />

mich der Stoff sofort fesselte.<br />

<strong>Der</strong> Kern des Filmstoffs berührte mich auf<br />

Anhieb: Es waren die Figuren Paul und Vera<br />

Wegener, die ein schwer behindertes Kind<br />

bekommen und keine Mühe scheuen, diesem<br />

Kind ein würdevolles Leben zu ermöglichen.<br />

Mehr noch als der Kampf gegen den Pharmariesen<br />

faszinierten mich Vera Wegeners Bemühungen<br />

um Respekt bei ihren Mitbürgern:<br />

im Krankenhaus, in der Nachbarschaft, im<br />

Kindergarten, in der Schule. Hier schließt sich<br />

der Bogen zu meiner Generation: Frauen wie<br />

unsere Filmfigur Vera Wegener haben dafür<br />

gesorgt, dass es uns – Frauen und Mütter im<br />

21. Jahrhundert – heute besser geht, vom Arzneimittelschutzgesetz<br />

über Pränataldiagnostik<br />

bis zum integrativen Kindergarten.<br />

Ich bin mir sicher, dass dieser Film nicht<br />

nur die älteren Zuschauer berühren und<br />

interessieren wird, die sich an die 60er Jahre<br />

erinnern und die möglicherweise selbst betroffen<br />

waren. Auch und gerade für ein jüngeres<br />

Publikum, für die Generation in der »Rushhour<br />

des Lebens«, die wie unsere Protagonisten im<br />

Beruf stehen und sich über eine Familie Gedanken<br />

machen, hat dieser ermutigende Film ein<br />

großes Potenzial.<br />

Adolf Winkelmanns exzellenter Film ist ein<br />

flammendes Plädoyer für die Familie und passt<br />

meines Erachtens gut in unsere Zeit, in der<br />

man zu Recht versucht, Frauen mit Elterngeld<br />

und Krippenplätzen bei der Entscheidung für<br />

ein Kind zu helfen. In aller Deutlichkeit zeigt<br />

der Film, dass es bei Kindern dennoch im besten<br />

Fall um Liebe geht, um bedingungslose,<br />

übermächtige Liebe, die einen mit großer<br />

Wucht überfällt und unerahnte Kräfte verleiht.<br />

Ich wünsche den Zuschauern des Spielfilms<br />

und der begleitenden Dokumentarfilme ein<br />

intensives Fernseherlebnis sowie eine gute<br />

Diskussion abseits von juristischen Fragen. Im<br />

Fokus stehen die Betroffenen, die nicht nur<br />

unseren Respekt, sondern auch, unabhängig<br />

von der Unbequemlichkeit der Thematik, unsere<br />

konstante Aufmerksamkeit verdienen.<br />

Katja De Bock<br />

redakteurin wdr


Gang der gerichtlichen Verfahren<br />

Verfahren Gericht Datum<br />

Einstweilige Verfügung in 17 Punkten auf Antrag Schulte-Hillen LG Hamburg 9. 2. 2006<br />

gegen WDR und Zeitsprung, Grundlage: Drehbuch<br />

Einstweilige Verfügung in 15 Punkten auf Antrag Grünenthal LG Hamburg 14. 2. 2006<br />

gegen WDR und Zeitsprung, Grundlage: Drehbuch<br />

Widerspruch gegen die Verfügungen durch WDR und Zeitsprung LG Hamburg 1.5. 2006<br />

Mündliche Verhandlung in den Verfügungsverfahren, LG Hamburg 24.7. 2006<br />

Ansicht des Films anlässlich eines Ortstermins im NDR<br />

(59 Minuten von 180 Minuten)<br />

Urteile in den Verfügungsverfahren: Bestätigung der Verfügungen LG Hamburg 28.7. 2006<br />

Schulte-Hillen in allen 17 Punkten, Bestätigung der Verfügungen<br />

Grünenthal in 13 Punkten, Aufhebung der Verfügungen Grünenthal<br />

in 2 Punkten, Grundlage: Drehbuch<br />

Urteilsbegründungen in den Verfügungsverfahren LG Hamburg 11. 10. 2006<br />

Berufung durch Grünenthal gegen die Urteile des LG Hamburg OLG Hamburg 7. 11. 2006<br />

Berufung durch WDR und Zeitsprung gegen die Urteile OLG Hamburg 7. 11. 2006<br />

des LG Hamburg, der Film wird zur Akte gereicht<br />

Mündliche Verhandlung in den Berufungsverfahren OLG Hamburg 20. 3. 2007<br />

Urteile im Berufungsverfahren: OLG Hamburg 10. 4. 2007<br />

Zurückweisung der Berufung Grünenthal, Aufhebung der<br />

Verfügungen Schulte-Hillen in allen 17 Punkten, Aufhebung der<br />

Verfügungen Grünenthal bis auf einen Punkt, Grundlage: Film<br />

Antrag auf Erlass einer Einstweiligen Verfügung durch LG Hamburg 21. 2. 2007<br />

Grünenthal gegen den Weltvertrieb EOS<br />

Rücknahme des Antrages in der mündlichen Verhandlung, LG Hamburg 11.5. 2007<br />

nachdem das Gericht auf die mangelnden Erfolgsaussichten<br />

hingewiesen hat<br />

Einstweilige Verfügungen in 2 Punkten auf Antrag LG Hamburg 7. 3. 2007<br />

Grünenthal gegen WDR und Zeitsprung, Grundlage: Film<br />

Widerspruch gegen die einstweiligen Verfügungen durch LG Hamburg 28.3.2007<br />

WDR und Zeitsprung<br />

Aufhebung der einstweiligen Verfügungen in allen Punkten LG Hamburg 15.5. 2007<br />

Klage in der Hauptsache in 15 Punkten durch Grünenthal LG Hamburg 13. 4. 2006<br />

gegen WDR und Zeitsprung, Grundlage: Drehbuch<br />

Klage in der Hauptsache in 17 Punkten durch Schulte-Hillen LG Hamburg 28. 11. 2006<br />

gegen WDR und Zeitsprung, Grundlage: Drehbuch<br />

Klage in der Hauptsache in 2 Punkten durch Grünenthal LG Hamburg 3. 4. 2007<br />

gegen WDR und Zeitsprung, Grundlage: Film<br />

Mündliche Verhandlung in den Hauptsacheverfahren LG Hamburg 11. 5. 2007<br />

Schulte-Hillen und Grünenthal<br />

Termin zur Verkündung einer Entscheidung<br />

21. 9. 2007<br />

Einlegung Verfassungsbeschwerde durch Grünenthal gegen BVerfG 9. 5. 2007<br />

die Urteile des OLG Hamburg verbunden mit dem Antrag<br />

auf Erlass einer einstweiligen Anordnung<br />

Einlegung Verfassungsbeschwerde durch Schulte-Hillen BVerfG 10. 5. 2007<br />

gegen die Urteile des OLG Hamburg verbunden mit dem Antrag<br />

auf Erlass einer einstweiligen Anordnung<br />

Ablehnung der Anträge auf Erlass einer Einstweiligen Anordnung BVerfG 29. 8. 2007<br />

Zusammenstellung: Mirek Nitsch/Justiziar ZEITSPRUNG<br />

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4 | <strong>Contergan</strong><br />

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Texte<br />

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WDR/Willi Weber<br />

sowie: Herby Sachs,<br />

Klaus Görgen, Elisabeth<br />

Kenneweg, ZEITSPRUNG<br />

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