Contergan Teil 1: Eine einzige Tablette Teil 2: Der Prozess
Contergan Teil 1: Eine einzige Tablette Teil 2: Der Prozess
Contergan Teil 1: Eine einzige Tablette Teil 2: Der Prozess
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| Mittwoch, 7. und Donnerstag, . November 2007 | 20.1 Uhr | Das Erste<br />
<strong>Contergan</strong><br />
<strong>Teil</strong> 1: <strong>Eine</strong> <strong>einzige</strong> <strong>Tablette</strong><br />
<strong>Teil</strong> 2: <strong>Der</strong> <strong>Prozess</strong><br />
| 1
2 | <strong>Contergan</strong><br />
<strong>Contergan</strong><br />
<strong>Teil</strong> 1: <strong>Eine</strong> <strong>einzige</strong> <strong>Tablette</strong><br />
Mittwoch, 7.11. 2007, 20.15 Uhr, Das Erste<br />
<strong>Teil</strong> 2: <strong>Der</strong> <strong>Prozess</strong><br />
Donnerstag, 8.11. 2007, 20.15 Uhr, Das Erste
4 Editorial<br />
Monika Piel<br />
Intendantin des Westdeutschen<br />
Rundfunks Köln<br />
4 Besetzung<br />
Stab<br />
Daten zum Film<br />
<strong>Der</strong> Inhalt<br />
6 <strong>Teil</strong> 1: <strong>Eine</strong> <strong>einzige</strong> <strong>Tablette</strong><br />
7 <strong>Teil</strong> 2: <strong>Der</strong> <strong>Prozess</strong><br />
8 Rolle<br />
Die Schauspieler und ihre Rollen<br />
Katharina Wackernagel (Vera Wegener)<br />
8 Biografi e<br />
9 Interview<br />
12 Rolle<br />
Benjamin Sadler (Paul Wegener)<br />
12 Biografi e<br />
13 Interview<br />
16 Rolle<br />
Hans-Werner Meyer (Horst Bauer)<br />
16 Biografi e<br />
17 Interview<br />
20 Rolle<br />
Caroline Peters (Hanne Bauer)<br />
20 Biografi e<br />
21 Interview<br />
24 Ein Gespräch mit Denise<br />
Statements und Biografi en<br />
25 August Zirner (Dr. Naumann)<br />
26 Matthias Brandt (Henrik Spiess)<br />
27 Sylvester Groth (Staatsanwalt Feddersen)<br />
28 Bernd Stegemann (Helmut Passlak)<br />
29 Jürgen Schornagel (Dr. Helsing)<br />
30 Peter Fitz (Dr. Kessler)<br />
Biografi en<br />
31 Ernst Stötzner (Dr. Lange)<br />
32 Dörte Lyssewski (Ruth Häffgens)<br />
Im Gespräch<br />
33 Adolf Winkelmann (Regie)<br />
Interview<br />
38 Michael Souvignier (Produzent)<br />
Interview<br />
40 Benedikt Röskau (Drehbuch)<br />
Interview<br />
42 David Slama (Kamera)<br />
Interview<br />
44 Ingrid Henn (Szenenbild)<br />
Interview<br />
46 Persönliche Anmerkung zum Film<br />
Katja De Bock<br />
Redakteurin WDR<br />
47 Zeittafel <strong>Contergan</strong><br />
48 Impressum<br />
Inhalt<br />
| 3
4 | <strong>Contergan</strong><br />
Besetzung<br />
Vera Wegener Katharina Wackernagel<br />
Paul Wegener Benjamin Sadler<br />
Horst Bauer Hans-Werner Meyer<br />
Hanne Bauer Caroline Peters<br />
Dr. Naumann August Zirner<br />
Henrik Spiess Matthias Brandt<br />
Staatsanwalt Feddersen Sylvester Groth<br />
Dr. Kessler Peter Fitz<br />
Helmut Passlak Bernd Stegemann<br />
Dr. Helsing Jürgen Schornagel<br />
Ruth Häffgens Dörte Lyssewski<br />
Dr. Lange Ernst Stötzner<br />
Gregor Karges Stephan Kampwirth<br />
Franziska Steiner Laura Tonke<br />
Frl. Carree Irene Rindje<br />
Katrin Denise<br />
u. a.m.<br />
Stab<br />
Regie Adolf Winkelmann<br />
Buch Benedikt Röskau<br />
Kamera David Slama<br />
Schnitt Rudi Heinen<br />
Casting Sabine Schwedhelm<br />
Licht Voxi Bärenklau<br />
Szenenbild Ingrid Henn<br />
Ton Ed Cantu<br />
Kostümbild Lucia Faust<br />
Maske Sabine Ellmerer / René Jordan<br />
Produktionsleitung Georg K. Kuch<br />
Herstellungsleitung Volker Hahn<br />
Produzent Michael Souvignier (ZEITSPRUNG)<br />
Redaktion Katja De Bock, WDR<br />
Daten zum Film<br />
Drehzeit: November 2005 bis Januar 2006<br />
Drehorte: Köln, Bonn, Duisburg<br />
»<strong>Contergan</strong>« ist eine Produktion des<br />
Westdeutschen Rundfunks mit ARD Degeto,<br />
ZEITSPRUNG Film und TV Produktions GmbH<br />
und EOS Production GmbH & Co. KG/Jan Mojto,<br />
gefördert von der Filmstiftung NRW.<br />
Editorial<br />
Am 1. Oktober 1957 kam ein neues Medikament<br />
auf den Markt: <strong>Contergan</strong>. Damals, vor 50 Jah-<br />
ren, konnte keiner ahnen, welche verheerende<br />
Folgen das meist als harmloses Schlafmittel<br />
verabreichte Medikament für viele Neugebore-<br />
ne der nächsten Jahre haben sollte.<br />
Die Erkenntnis, dass <strong>Contergan</strong> die Fehlbil-<br />
dungen von ca. 5000 Babys (10 000 weltweit)<br />
verursacht haben könnte, war ein nationaler<br />
Schock. Danach folgte ein zähes, fast ein Jahr-<br />
zehnt andauerndes Strafverfahren gegen Mit-<br />
arbeiter der Firma Grünenthal. Nach einem<br />
außergerichtlichen Vergleich wurde das Ver-<br />
fahren wegen »geringer Schuld« eingestellt.<br />
Ein Urteil oder ein Schuldanerkenntnis sind<br />
niemals erfolgt.<br />
Es ist kein leichtes Unterfangen, anknüpfend<br />
an diese wahren Begebenheiten einen histo-<br />
rischen Spielfi lm zu entwickeln. Wer nach<br />
den neuerlichen juristischen Auseinanderset-<br />
zungen um Persönlichkeitsrechte der dama-<br />
ligen Beteiligten nun einen spekulativen und<br />
auf Sensation setzenden Fernsehzweiteiler<br />
erwartet, wird überrascht werden.
»Die Erkenntnis, dass <strong>Contergan</strong> die Fehlbildungen<br />
von ca. 5000 Babys (10000 weltweit)<br />
verursacht haben könnte, war ein<br />
nationaler Schock. Danach folgte eine zähe,<br />
fast ein Jahrzehnt andauernde juristische<br />
Auseinandersetzung.«<br />
Dem Regisseur Adolf Winkelmann und seinem<br />
Kameramann David Slama ist es gelungen, aus<br />
dem Drehbuch von Benedikt Röskau einen<br />
bewegenden Familienfilm zu schaffen, der die<br />
Verknüpfung von großer Emotionalität und<br />
juristischer Sachlichkeit mit Bravour meistert.<br />
Die Hauptdarsteller Benjamin Sadler und<br />
Katharina Wackernagel als betroffene Eltern,<br />
sowie ihre Kollegen Caroline Peters, Hans-<br />
Werner Meyer, August Zirner und alle anderen<br />
Schauspieler bilden ein Ensemble, das mit<br />
höchster Schauspielkunst die Filmerzählung<br />
lebendig werden lässt. Große Bewunderung<br />
empfinde ich für die begabte und mutige<br />
Darstellerin Denise, die unsere junge Heldin<br />
Katrin eindrucksvoll und berührend verkörpert.<br />
Gerade die zurückhaltende Darstellung dieses<br />
Mädchens und ihrer Behinderung zeigt den<br />
ernsten und respektvollen Umgang der Filme-<br />
macher mit dieser Thematik.<br />
Nicht zuletzt macht das im Detail genaue,<br />
herausragende Szenenbild von Ingrid Henn<br />
und ihren Mitarbeitern das Klima der 60er<br />
Jahre für unsere Zuschauer wieder fühlbar.<br />
Es ist für unseren Sender Tradition, mit anspruchsvollen,<br />
manchmal unbequemen Produktionen<br />
ein großes Publikum und eine große<br />
öffentliche Aufmerksamkeit zu erreichen.<br />
Auch dieser gesellschaftlich relevante Zweiteiler<br />
ist dafür ein herausragendes Beispiel.<br />
Verschiedene Features und Radiobeiträge aus<br />
Anlass des 50. Jahrestages der Markteinführung<br />
des Medikaments <strong>Contergan</strong> (1.10.1957)<br />
werden in zeitlicher Nähe im WDR Programm<br />
zu sehen und zu hören sein.<br />
So unfassbar das Unglück damals für die<br />
betroffenen Familien war, so schwierig ist<br />
es für viele Überlebende, sich dem Alltag zu<br />
stellen. Den heute Mittvierzigern und ihren<br />
Familien möchten wir mit diesen Filmen unseren<br />
Respekt zollen und die ihnen zustehende<br />
Aufmerksamkeit zukommen lassen.<br />
Monika Piel<br />
intendantin des westdeutschen<br />
rundfunks köln<br />
|
6 | <strong>Contergan</strong><br />
Inhalt<br />
<strong>Teil</strong> 1: <strong>Eine</strong> <strong>einzige</strong> <strong>Tablette</strong><br />
Anfang der 60er Jahre hat der aufstrebende<br />
Anwalt Paul Wegener (Benjamin Sadler) allen<br />
Grund, zuversichtlich in die Zukunft zu blicken.<br />
Die Bemühungen seines Sozius Horst Bauer<br />
(Hans-Werner Meyer), für ihre neu gegründete<br />
Kanzlei zahlungskräftige Mandanten aus der<br />
Industrie zu gewinnen, tragen erste Früchte<br />
und bei Pauls Frau Vera (Katharina Wacker-<br />
nagel) ist ein Kind unterwegs. Schnell ver ges-<br />
sen ist da das Mandat für einen scheinbar<br />
unbedeutenden Scheidungsfall, bei dem<br />
ein Kind im Spiel ist, das mit schweren Fehl-<br />
bil dungen geboren wurde. Erst als auch seine<br />
Frau Vera ein fehlgebildetes Kind zur Welt<br />
bringt, dämmert Paul, dass zwischen den bei-<br />
den Geschichten ein Zusammenhang besteht.<br />
Sollte das Medikament <strong>Contergan</strong> schuld an<br />
den Fehlbildungen sein, jenes Präparat, das<br />
ausgerechnet von derjenigen Firma produziert<br />
wird, die der Kanzlei lukrative Industriemanda-<br />
te vermittelt hat? Auf Drängen seiner Frau<br />
setzt Paul alles daran, der Herstel lerfi rma den<br />
<strong>Prozess</strong> zu machen. Dennoch dauert es Jahre,<br />
bis der Staatsanwalt Fedder sen (Sylvester<br />
Groth) nach schwierigen Ermit tlungen Anklage<br />
gegen die verantwort lichen Mitarbeiter<br />
erhebt. Als Pauls Tochter einge schult wird,<br />
ist es endlich soweit: Die Haupt verhandlung<br />
wird eröff net, Pauls Kampf gegen das<br />
mächtige Unter nehmen und dessen An walt<br />
Dr. Nau mann (August Zirner) – wahr haftig der<br />
Kampf von David gegen Goliath – geht weiter.
<strong>Teil</strong> 2: <strong>Der</strong> <strong>Prozess</strong><br />
Während die siebenjährige Tochter von Paul<br />
und Vera alle Mühe hat, sich als <strong>Contergan</strong> -<br />
ge schädigtes Mädchen zu behaupten, ist<br />
die Gerichtsverhandlung in vollem Gange.<br />
Inhalt<br />
| 7<br />
Geschickt spielt Naumann auf Zeit und hofft<br />
auf eine Verjährung. Das quälend lange<br />
Gerichtsverfahren lässt auch Pauls Ehe nicht<br />
unbeschadet. <strong>Der</strong> Alltag mit der behinderten<br />
Tochter ist eine schwere Belastung. Außerdem<br />
führen die Meinungsverschiedenheiten der<br />
Eheleute über die Art der <strong>Prozess</strong>führung am<br />
Ende zur vorübergehenden Trennung. Wäh-<br />
rend Paul unermüdlich für eine akzeptable<br />
außergerichtliche Einigung seiner Mandanten<br />
kämpft und sich Vera aufopferungsvoll für ihre<br />
stigmatisierte Tochter stark macht, regt sich<br />
bei Naumanns Mandanten langsam Wider-<br />
stand gegen dessen juristische Taktik.
| <strong>Contergan</strong><br />
Katharina Wackernagel<br />
… ist Vera Wegener<br />
Die schöne Aussicht auf ein ungetrübtes Fami-<br />
lienleben wird Vera Wegener nach der Geburt<br />
ihres ersten Kindes erst einmal genommen. Das<br />
Kind kommt ohne Arme und mit nur einem Bein<br />
zur Welt, die Eltern sind schockiert. Kann eine<br />
<strong>einzige</strong> <strong>Contergan</strong>-<strong>Tablette</strong>, die Vera während<br />
der Schwangerschaft wegen ihrer Schlafstörungen<br />
nahm, derartige Fehlbildungen verursacht<br />
haben? Als deutlich wird, dass dem tatsächlich<br />
so ist, drängt Vera ihren Mann, den verantwortlichen<br />
Konzern mit rechtlichen Mitteln zur<br />
Rechenschaft zu ziehen. Liebevoll kümmert<br />
sich Vera um ihre Tochter – und um ihre gesellschaftliche<br />
Anerkennung, die ihr so oft verwehrt<br />
bleibt. Trotzdem hat Vera in all den Jahren viele<br />
Tiefschläge einzustecken. Auch die Frage, was<br />
aus ihrer Ehe wird, lässt sie nicht los.<br />
Katharina Wackernagel stammt aus einer Schauspielerfamilie<br />
und stand schon als Kind auf der Theaterbühne.<br />
Als 17-Jährige wurde sie für die ARD-Serie<br />
Tanja entdeckt, die ihr 1998 den Goldenen Löwen<br />
als beste Seriendarstellerin einbrachte. Hauptrollen<br />
übernahm sie in jüngster Zeit zum Beispiel in Schnee<br />
im Sommer (Regie: Buket Alakus) und im ARD-Doku-<br />
Drama Ich Narr des Glücks – Das Leben des Heinrich<br />
Heine (Regie: Gordian Maugg), in dem sie Heines<br />
Freundin und spätere Frau Mathilde spielte. Beide<br />
Produktionen wurden 2006 ausgestrahlt. Als Filmtochter<br />
des Therapeuten Bloch alias Dieter Pfaff<br />
stand sie 2001 erstmals vor der Kamera. Seither<br />
wurden elf Folgen der ARD-Reihe ausgestrahlt.<br />
Weitere Rollen übernahm Katharina Wackernagel<br />
u. a. in Kai Wessels Fernsehfilm Hat er Arbeit? (2000),<br />
im ARD-Zweiteiler Unser Pappa (2001, Regie: Thomas<br />
Jauch), im Thriller Am Ende die Wahrheit (2002, Regie:<br />
Micki Rowitz) und in den Mehrteilern Das Wunder<br />
von Lengede (2003, Regie: Kaspar Heidelbach) und<br />
Die Luftbrücke (2005, Regie: Dror Zahavi). Weitere<br />
Auftritte hatte sie in dem Dokudrama Die letzte<br />
Schlacht (2005, Regie: Hans-Christoph Blumenberg)<br />
und in der Liebeskomödie Bettgeflüster & Babyglück<br />
(2005, Regie: Annette Ernst). Hinzu kamen Kinofilme<br />
wie Sönke Wortmanns Das Wunder von Bern (2003)<br />
und Die Boxerin (2006, Regie: Catharina Deus) mit<br />
einer wahrhaft kraftvollen Darstellung in der Titelrolle.<br />
Außerdem brillierte sie in dem TV-Thriller Mein<br />
Mörder kommt zurück (2007, Regie: Andreas Senn).<br />
Darüber hinaus wirkte Katharina Wackernagel<br />
in mehreren, teils selbst produzierten Kurzfilmen<br />
mit – immer in Zusammenarbeit mit ihrem Bruder,<br />
dem Drehbuchautor Jonas Grosch. Er schrieb auch<br />
das Buch für den Kurzfilm Think positive, bei dem<br />
Katharina Wackernagel Regie führte – mit großem<br />
Erfolg: Think positive wurde 1999 beim Filmfest<br />
Dresden mit dem Zuschauerpreis ausgezeichnet.
Im Gespräch<br />
Zwei Jahre liegen die Dreharbeiten von<br />
»<strong>Contergan</strong>« nun zurück, und niemand hat<br />
Ihre großartige Darstellung bislang sehen<br />
können. Wie haben Sie die langwierige<br />
juristische Auseinandersetzung über den<br />
Film erlebt?<br />
Das war furchtbar für mich. Ich bin auch<br />
skeptisch geworden. Immer wieder zu jubeln:<br />
<strong>Prozess</strong> gewonnen! Und dann ist die Sache<br />
doch noch nicht ausgestanden. Zwischendrin<br />
war natürlich der Schreck, dass der Film viel-<br />
leicht gar nicht gezeigt werden könnte. Die<br />
Arbeit mit Adolf Winkelmann und Denise,<br />
die meine Tochter gespielt hat, war so etwas<br />
Besonderes, dass ich dachte: Es darf nicht sein,<br />
dass so ein Film verboten wird.<br />
Wie muss man sich das eigentlich<br />
vorstellen, wenn man plötzlich eine<br />
Filmtochter hat?<br />
Es ist schon ein besonderes Verhältnis, das<br />
man da aufbaut: Sich am Anfang erst kennen<br />
zu lernen und dann vier Wochen lang zusam-<br />
men zu sein. Ich will nicht sagen, dass ich<br />
etwas Mütterliches für sie gehabt hätte – ihre<br />
Mutter war ja auch die ganze Zeit dabei –,<br />
aber vielleicht war ich ein bisschen wie eine<br />
große Schwester. Es war schön, wie wir so<br />
nach und nach zusammengewachsen sind.<br />
Und dann diese riesige Enttäuschung, als der<br />
Film erst auf dem Filmfest in München laufen<br />
sollte und dann doch nicht gezeigt werden<br />
durfte. Denise schrieb mir eine SMS, da treffen<br />
wir uns endlich – und dann wurde der Film ab-<br />
gesagt. Jetzt freue ich mich auf die Premiere.<br />
Wie hat Sie der Regisseur<br />
durch den Film geführt?<br />
Die Arbeit mit Adolf Winkelmann war erstaun-<br />
lich: Mit was für einer Ruhe er das durchgezo-<br />
gen hat und sich für jeden Zeit nahm. Trotz-<br />
dem hatte er nie das Gefühl, dadurch mit der<br />
Zeit in Verzug zu kommen. Es war toll, welche<br />
Chancen er uns gab. Ich erinnere mich an die<br />
ersten Tage, bevor wir anfingen zu drehen.<br />
Da haben Benjamin Sadler und ich mit Adolf<br />
Winkelmann jeden Abend stundenlang im<br />
Hotel gesessen und geredet, uns Geschichten<br />
zu unseren Figuren ausgedacht. Ich habe sel-<br />
ten erlebt, dass ein Regisseur das auch möchte.<br />
Da fühlte man sich sehr aufgehoben und<br />
begleitet.<br />
Könnten Sie Ihre Figur<br />
kurz beschreiben?<br />
Ich glaube, dass Vera anfangs niemals damit<br />
gerechnet hätte, so eine Aufgabe im Leben<br />
gestellt zu bekommen. Nicht, dass sie naiv<br />
gewesen wäre, aber sie hatte noch keinen<br />
konkreten Lebensplan außer vielleicht den<br />
von einer schönen Küche und dem Leben als<br />
Anwaltsgattin. Dann ist sie aber die Erste, die<br />
die Tochter annimmt und sagt: Das ist mein<br />
Kind. Sie entwickelt eine große Kraft und er-<br />
fährt dadurch viel über sich selbst. Diese Fähig-<br />
keit hätte ich dieser Frau zu Beginn gar nicht<br />
zugetraut.<br />
Aber Muttergefühle muss man ja<br />
auch als junge Schauspielerin irgendwo<br />
hernehmen.<br />
Obwohl ich kein Kind habe, konnte ich diese<br />
Gefühle aus mir schöpfen. Zudem hat mich<br />
diese Vera auch sehr berührt. Was wiederum<br />
viel damit zu tun hat, wie Adolf Winkelmann<br />
die Figuren mit uns entwickelt hat.<br />
Darsteller<br />
»Es darf nicht sein, dass so ein<br />
Film verboten wird.«<br />
|
10 | <strong>Contergan</strong><br />
> Im Gespräch<br />
Hatten Sie sich das schon beim Lesen<br />
des Drehbuchs vorstellen können?<br />
Da war ich noch ein bisschen skeptisch und<br />
dachte, hoffentlich werden die Figuren nicht<br />
zu plakativ, wird das Ganze nicht sentimental.<br />
Aber Adolf Winkelmann ist eben kein Regis-<br />
seur, der Sentimentalität bedient. Und ansons-<br />
ten war ich einfach perplex über die damalige<br />
Zeit: Ich konnte mir gar nicht vorstellen, wie<br />
vor nur vierzig Jahren noch mit Behinderten<br />
umgegangen wurde. Diese Szene im Kranken-<br />
haus, wenn ein behindertes Kind geboren ist<br />
und ein Arzt sagt: Das ist eine Schande für<br />
unser Haus. Ich dachte, dass kann nicht sein.<br />
Dann habe ich das aber meinem Vater erzählt,<br />
und der sagte: Doch, so haben Leute damals<br />
gesprochen. Dass Leute sagten: Sie haben ja<br />
ein süßes Kind, aber in meinem Kindergarten<br />
möchte ich es nicht so gerne sehen. Mir wurde<br />
von allen Seiten bestätigt, dass es so gewesen<br />
sein muss. Und teilweise auch noch heute so<br />
ist. Integration funktioniert ja noch immer<br />
nicht überall.<br />
Vielleicht ändert sich das ein kleines<br />
bisschen durch Ihre Darstellung. Sie setzen<br />
ein positives Zeichen, wie selbstverständ-<br />
lich man das Leben mit einem behinderten<br />
Kind angehen kann.<br />
Ich hatte mich allerdings noch nie zuvor mit<br />
der Situation beschäftigt, dass jemand im<br />
Supermarkt das Kind anglotzt und sagt:<br />
Warum hat die jetzt keine Arme und nur ein<br />
Bein? Das ist nicht unbedingt aggressiv ge-<br />
meint und zeigt vielleicht nur, dass jemand<br />
einfach nicht weiß, wie gebe ich diesem Men-<br />
schen jetzt die Hand. Da war es sehr wichtig,<br />
mit der Mutter von Denise darüber zu reden.<br />
Denn eine Behinderung kann natürlich schon<br />
eine große Belastung werden, für die man<br />
nicht immer die Kraft findet. Da überlegt<br />
man sich vielleicht doch, lieber schnell allein<br />
einkaufen zu gehen. Aber genau deshalb ist<br />
es so wichtig, diesen Film zu zeigen.<br />
Nun gibt es auch ausgesprochen leichte<br />
und zum <strong>Teil</strong> lustige Szenen. Wahrschein-<br />
lich auch bei den Dreharbeiten …<br />
Es war total irre, wie Adolf Winkelmann<br />
Caroline Peters und mich als Freundinnen in-<br />
szeniert hat. Drehbücher verlangen ja oft enge<br />
Freundschaften, die dann vielleicht schnell<br />
zerbrechen, aber die Darsteller kennen sich
vorher gar nicht. Da hat Adolf Winkelmann<br />
uns die tollsten Sachen zugeflüstert: Als wir<br />
zum Beispiel das Sofa ausprobieren sollten,<br />
war das herrlich. Fünf Minuten sind wir da<br />
zusammen herumgehopst. Obwohl wir gar<br />
nicht wussten, was er mit dieser Szene anfan-<br />
gen will. Aber er wusste, dass uns das einfach<br />
näher bringen würde. Oder bei meiner Zeugen-<br />
aussage, die fast in eine Prügelei ausartet.<br />
Ich sollte von zwei Polizisten festgehalten<br />
werden, aber die Komparsen, die sie spielten,<br />
haben sich das nicht richtig getraut. Ich hinge-<br />
gen habe total hysterisch gespielt und mich<br />
wahnsinnig gewehrt! Die waren völlig verle-<br />
gen und haben sich danach immer wieder bei<br />
mir entschuldigt. Als ich diese Szenen im Dreh-<br />
buch las, dachte ich, wie machen die das bloß,<br />
dass es spannend bleibt. Jetzt habe ich den<br />
Film schon zwei Mal gesehen und finde gerade<br />
die Gerichtsszenen besonders gut. Sie sind<br />
voller toller Typen und fallen nie ins Klischee.<br />
Sie haben selbst einmal Regie geführt bei<br />
einem sehr erfolgreichen Kurzfilm. Wollen<br />
Sie da irgendwann weitermachen?<br />
Das würde ich gerne. Mein Bruder ist ja Dreh-<br />
buchautor, und wir würden gerne mal wieder<br />
einen Film zusammen machen. Das ist schon<br />
noch in Planung.<br />
Darsteller | 11<br />
»Diese Szene im Krankenhaus,<br />
wenn ein behindertes Kind geboren<br />
ist und ein Arzt sagt: Das ist eine<br />
Schande für unser Haus. Ich dachte,<br />
dass kann nicht sein.«
12 | <strong>Contergan</strong><br />
Benjamin Sadler<br />
… ist Paul Wegener<br />
In der Zeit des Wirtschaftswunders macht sich<br />
der Anwalt Paul Wegener mit seinem Sozius<br />
Horst Bauer voller Tatkraft an den Aufbau einer<br />
gemeinsamen Rechtsanwaltskanzlei. Als seine<br />
Frau Vera ein <strong>Contergan</strong>-geschädigtes Kind zur<br />
Welt bringt, entschließt er sich gegen den Widerstand<br />
seines Partners, eine ebenfalls betroffene<br />
Frau vor Gericht zu vertreten. Auch wenn<br />
Paul die Dimension des Arzneimittelskandals<br />
immer klarer wird – beim Pharmakonzern hat<br />
er es mit einem übermächtigen Gegner zu tun.<br />
Zunehmend wird das Gerichtsverfahren auch<br />
zu einer schweren Belastung für Pauls Ehe.<br />
Benjamin Sadler wurde in Kanada geboren, wo er<br />
auch seine ersten Lebensjahre verbrachte. Nach dem<br />
Abitur in Deutschland studierte er Schauspiel an der<br />
Royal Academy of Dramatic Art in London und belegte<br />
Workshops in New York. Seine Fernsehkarriere<br />
in Deutschland begann Mitte der 90er Jahre zunächst<br />
mit einzelnen Auftritten in Serien wie Alle lieben Julia<br />
(1994) und Freundschaft mit Herz (1996), bis ihn<br />
Regisseur Thorsten Näter für einen Tatort vor die Kamera<br />
holte. Sein überzeugender Auftritt in der Folge<br />
Fetischzauber (1996) trug Benjamin Sadler zahlreiche<br />
Rollenangebote in Fernsehkomödien, -krimis und<br />
-serien ein. So sah man ihn 1997 an der Seite von Anna<br />
Thalbach in der Komödie Nackt im Cabrio (Regie: Sven<br />
Severin) und als Partner von Jennifer Nitsch in dem<br />
Krimi Schock – <strong>Eine</strong> Frau in Angst (1998, Regie: Ben<br />
Verbong).<br />
Seither ist der Schauspieler vom Bildschirm kaum<br />
wegzudenken. Neben Fernsehkrimis und -thrillern<br />
wie Verführt – <strong>Eine</strong> gefährliche Affäre (1999, Regie:<br />
Michael Karen) und <strong>Der</strong> Kopp (1999, Regie: Michael<br />
Mackenroth) spielte er im preisgekrönten TV-Drama<br />
Rosenzweigs Freiheit (1998, Regie: Liliane Targownik)<br />
und im Kinderfi lm Spuk aus der Gruft. 2003 war er in<br />
gleich zwei viel beachteten Produktionen zu sehen:<br />
im Fernsehen in dem mit einem Grimme Preis ausgezeichneten<br />
Zweiteiler Das Wunder von Lengede<br />
(Regie: Kaspar Heidelbach), im Kino in dem erfolgreichen<br />
Historiendrama Luther (Regie: Eric Till). Er<br />
übernahm tragende Rollen auch in dem ARD-Film<br />
Sehnsucht nach Liebe (2004, Regie: Erwin Keusch)<br />
als Partner von Barbara Rudnik, in der Krimireihe Ein<br />
starkes Team: Ihr letzter Kunde und in der Komödie<br />
Bettgefl üster & Babyglück (Regie: Annette Ernst,<br />
beide 2005). <strong>Der</strong> Zweiteiler Dresden (2006, Regie:<br />
Roland Suso Richter) machte Sadler weit über die<br />
Grenzen des deutschen Sprachraums hinaus bekannt.<br />
So folgten als internationale Co-Produktion die groß<br />
angelegte Tolstoj-Verfi lmung Krieg und Frieden<br />
(Regie: Robert Dornhelm / Brendan Donnison) sowie<br />
in Italien der TV-Film Caravaggio (Regie: Angelo Longoni,<br />
beide 2007) und die fi lmische Aufarbeitung<br />
deutscher Kriegsverbrechen in Hotel Meina (Regie:<br />
Carlo Lizzani), ein Film, der in diesem August seine<br />
glanzvolle Premiere beim Festival von Venedig<br />
erlebte. In Deutschland spielte Benjamin Sadler<br />
zuletzt an der Seite Herbert Knaups im TV-Thriller<br />
Augenzeugin (Regie: Markus Rosenmüller), der im<br />
kommenden Jahr ausgestrahlt wird.
Im Gespräch<br />
Herr Sadler, seit Das Wunder von Lengede<br />
haben Sie in einigen so genannten Event-<br />
fi lmen gespielt. Wird man da vielleicht<br />
schon zum »Eventstar« ernannt?<br />
Das weiß ich nicht. Mich interessiert auch<br />
generell weniger das Format als der Inhalt.<br />
Im Idealfall hat man einfach einen guten Film<br />
gemacht. Unabhängig von dem Format und<br />
einer Etikettierung.<br />
Die Geschichte dieser Familie wäre auch<br />
ohne den <strong>Contergan</strong>-Fall interessant.<br />
Genau. Das ist das Spannende an diesem<br />
Film, dass die Dramaturgie vollkommen anders<br />
ist. Adolf Winkelmann erzählt einen Film vor<br />
einem konkreten Hintergrund, aber die Ge-<br />
schichte erzählt sehr motiviert von einer Zeit<br />
und einem gesellschaftlichen Phänomen, das<br />
heute so aktuell ist wie vor vierzig Jahren.<br />
Zu jedem Problem, denkt man, gibt es eine<br />
Pille: Nehmen Sie nur Psychopharmaka wie<br />
das amerikanische Prozac. Funktionieren steht<br />
in unserer Gesellschaft über allem.<br />
Ist das in Ihrem Beruf nicht auch sehr<br />
wichtig? Sie sitzen hier gerade mit Schal<br />
im Hochsommer …<br />
(Er lacht.) Dafür rauche ich aber auch wie ein<br />
Schlot! Wissen wir denn wie die Medikamente<br />
im Körper funktionieren? Man kennt die Wir-<br />
kung, aber was genau im Körper abläuft, das<br />
weiß man oft nicht. Was sich seit den 60er<br />
Jahren sicherlich geändert hat, ist der Umgang<br />
mit Behinderten. Wobei nur ein Betroffener<br />
selbst das wirklich beurteilen kann. Mir hat ein<br />
so genannter Behinderter mal gesagt »Ich<br />
selbst fühle mich nicht behindert, erst die<br />
Gesellschaft macht mich dazu.«<br />
Sie haben selbst eine fünfjährige Tochter.<br />
Wie haben Sie die Arbeit mit Ihrer Film-<br />
tochter Denise empfunden?<br />
Sie war und ist unser größtes Glück für den<br />
Film. <strong>Eine</strong> der großartigsten Begegnungen,<br />
die ich als Mensch in den letzten Jahren ge-<br />
habt habe. Für mich ist Denise der Star des<br />
Films. Dieses Mädchen ist der Hammer.<br />
Sie ist jetzt im Teenageralter und sieht nichts<br />
lieber als Verliebt in Berlin.<br />
»Mit Adolf Winkelmann ist gar nichts schwierig.«<br />
Darsteller<br />
| 13
14 | <strong>Contergan</strong><br />
Konnten Sie sich den Film eigentlich<br />
von Anfang an so vorstellen, wie er jetzt<br />
geworden ist?<br />
Die Emotionalität der Geschichte war von<br />
Anfang an gegeben. Bei der ersten Lektüre des<br />
Drehbuchs habe ich Rotz und Wasser geheult.<br />
Nehmen Sie die Szene mit dem einsamen Kin-<br />
dergeburtstag. Diese Vorstellung – ich bin ja<br />
selbst Vater – macht dich kaputt. Da sah man<br />
schon die Möglichkeit einer emotionalen Her-<br />
angehensweise. Und ich kannte Adolf Winkel-<br />
manns klassische Filme und die Haltung, die<br />
aus ihnen spricht. Daran wurde dann kollektiv<br />
gearbeitet, wobei das Team aus Winkelmann<br />
und dem Kameramann David Slama die Kopf-<br />
arbeit leistete. Wir haben uns jeden Abend im<br />
Kaminzimmer unseres Kölner Hotels getroffen.<br />
Es war erstaunlich, wie offen und interessiert<br />
jeder an einer inhaltlichen Weiterentwicklung<br />
war. Wie jeder Adolf Winkelmanns Ideen an-<br />
nahm und bereit war, sie umzusetzen! Es war<br />
die ideale Ensembleleistung, so sollte es immer<br />
sein.<br />
Diese Geschlossenheit merkt<br />
man besonders dem homogenen<br />
Darstellerspiel an …<br />
Es gibt ja wunderbare Schauspieler, die hier<br />
in kleineren Rollen spielen, aber ganz unver-<br />
wechselbar zur Qualität des Films beitragen.<br />
Es ist einfach alles richtig besetzt. Da könnte<br />
man sich doch nirgendwo jemand anderen in<br />
einer Rolle vorstellen.<br />
Und wie würden Sie Ihre Rolle<br />
charakterisieren?<br />
Was diesen Mann zum Helden macht ist die<br />
grundsätzliche Entscheidung zu tun, was er<br />
denkt, das getan werden muss. Er sieht sich zu<br />
einem gewissen Zeitpunkt um und entscheidet<br />
sich, einen Weg zu gehen, der nicht nur mutig<br />
ist und einsam, sondern eine doppelte Belas-<br />
tung darstellt: für ihn als Vater und als Juris-<br />
ten. Er nimmt enorme private Belastungen<br />
in Kauf. Trotzdem gibt er nicht auf. Vielleicht<br />
werden ihm die Konsequenzen erst Jahre<br />
später bewusst. Für mich war nun interessant,<br />
die möglichen Schwächen zu finden. Wann<br />
wird er müde? Langfristig wird ihm vielleicht<br />
niemand danken, aber er gibt seine Integrität<br />
nicht auf.<br />
Ist es nicht schwer, einen Helden zu<br />
spielen, der nicht dauernd auch physisch<br />
aktiv ist? Es gibt ja keine Actionszenen,<br />
kaum Außenaufnahmen.<br />
Ich kann nur sagen: Mit Adolf Winkelmann ist<br />
gar nichts schwierig. Und mit so wunderbaren<br />
Kollegen. Es gibt Momente, in denen man pro-<br />
bieren und sich umentscheiden muss. Aber<br />
mit einem Paten wie Adolf Winkelmann an der<br />
Seite, habe ich vollstes Vertrauen. Es ist ein in-<br />
nerer <strong>Prozess</strong>, eine Strategie im Kopf: Als hätte<br />
jemand ein unsichtbares Schachspiel vor sich.<br />
Und der Stuhl, auf dem der Mann sitzt, also der<br />
private Stuhl, wird im <strong>Prozess</strong> auch noch in<br />
seine Bestandteile zerlegt. Am Ende bleibt ihm<br />
nur noch das Sofa in seiner Kanzlei, auf dem er<br />
schlafen kann. Durch David Slamas Kamera<br />
scheint dieser Zustand die ganze Zeit förmlich<br />
zu vibrieren. Filmisch wird da etwas erzählt.<br />
Dabei tritt die Kamera ja auch niemandem<br />
zu nahe, es ist ja kein Dogmafilm mit<br />
Wackelkamera.<br />
Nein, die Kamera merkt man gar nicht, und<br />
das ist ja das Großartige daran.
Hatten Sie Vorbilder aus dem<br />
Leben für diese Darstellung?<br />
Kennen Sie das Gefühl: Man hat jemanden<br />
kennen gelernt, freundet sich an und wird<br />
dann zum ersten Mal nach Hause eingeladen.<br />
Dann hat man ein Bild im Kopf, wie die Leute<br />
wohl leben mögen. Aber die Wirklichkeit ist<br />
natürlich ganz anders. Später geht man nach<br />
Hause und denkt: Wie hatte ich mir das eigent-<br />
lich vorgestellt? Aber dieses Bild ist dann schon<br />
vergessen. So geht es mir mit Vorbildern, die<br />
ich vielleicht einmal hatte. Die sind vergessen.<br />
Und wie haben Sie sich so gut<br />
in die Zeit einfühlen können?<br />
Die Produktionsfi rma ZEITSPRUNG hatte uns<br />
acht Stunden mit Fernsehsendungen zusam-<br />
mengestellt, von den Game Shows bis zu den<br />
Nachrichten von damals. Das war das Sprung-<br />
brett in die Zeit. Wie fühlte sich das an? Diese<br />
Aufbruchstimmung in Deutschland. Und von<br />
dieser Euphorie musste man in den privaten<br />
Alptraum eintauchen: Wo eine unvorherseh-<br />
bare Tragödie den Traum vom Erfolg durch-<br />
kreuzt. Adolf Winkelmann fi letiert mir das<br />
geradezu, ich muss nur noch zugreifen. Wenn<br />
der wieder eine Rolle hätte, ich glaube ich<br />
würde blind zusagen. Wann geht es los? Wo<br />
muss ich stehen? Sofort!<br />
Kann man in Worte fassen, wie<br />
Adolf Winkelmann das geschafft hat?<br />
Gibt es da einen Trick?<br />
Vielleicht glorifi ziere ich das, aber diesmal kam<br />
mir vieles so mühelos vor. Und wenn ich mich<br />
frage, warum, dann habe ich eigentlich nicht<br />
das Bedürfnis, dem so genau nachzuspüren.<br />
Denn diese Magie, die Adolf Winkelmann da<br />
kreiert, die will ich gar nicht ganz verstehen.<br />
Darsteller<br />
| 1<br />
»Was diesen Mann zum Helden macht<br />
ist die grundsätzliche Entscheidung<br />
zu tun, was er denkt, das getan werden<br />
muss.«
16 | <strong>Contergan</strong><br />
Hans-Werner Meyer<br />
… ist Horst Bauer<br />
Horst Bauer ist absolut dagegen, dass sein Sozius<br />
Paul mit gerichtlichen Mitteln gegen den Pharmakonzern<br />
vorgehen will, der <strong>Contergan</strong> auf den<br />
Markt gebracht hat. Denn gerade von diesem und<br />
anderen Unternehmen erhofft sich Horst lukrative<br />
Mandate. Die Spannungen zwischen den Partnern<br />
wachsen, aus den Freunden von einst werden langsam<br />
Gegner.<br />
Hans-Werner Meyer gehört heute zu den gefragtesten<br />
Schauspielern der jüngeren Generation. Nach<br />
seiner Ausbildung an der Hochschule für Musik und<br />
Theater in Hannover hatte der gebürtige Hamburger<br />
seit 1990 Engagements am Münchner Residenz-<br />
theater und seit 1993 an der Berliner Schaubühne.<br />
Bereits 1994 war er erstmals auf der Leinwand<br />
zu sehen: in Joseph Vilsmaiers Neuverfilmung des<br />
Kästner-Romans Charlie & Louise – Das doppelte<br />
Lottchen. Auch andere namhafte Regisseure holten<br />
ihn danach vor die Kamera. So arbeitete er u. a. mit<br />
Martin Enlen (Wer Kollegen hat, braucht keine Feinde,<br />
1995), Nico Hofmann (Es geschah am hellichten Tag,<br />
1997) und Bodo Fürneisen (Gefährliche Wahrheit,<br />
1998). Für die Filmbiografie Marlene (2000) engagierte<br />
Joseph Vilsmaier den vielseitigen Schauspieler<br />
noch einmal – diesmal für die Rolle des Joseph von<br />
Sternberg. Im gleichen Jahr erhielt Hans-Werner<br />
Meyer den Bayerischen Fernsehpreis für herausragende<br />
Leistungen in dem Fernsehfilm Und morgen<br />
geht die Sonne wieder auf und in der erfolgreichen<br />
Krimiserie Die Cleveren.<br />
Weitere hochkarätige Filmarbeiten schlossen sich<br />
an: In der Bernd Eichinger-Produktion Vera Brühne<br />
(2001, Regie: Hark Bohm) stand Hans-Werner Meyer<br />
neben Corinna Harfouch vor der Kamera. Viel Lob<br />
erhielt seine Darstellung eines Familienvaters, der<br />
sein homoerotisches ›Coming out‹ erlebt, in dem<br />
Film <strong>Eine</strong> außergewöhnliche Affäre (2002, Regie:<br />
Maris Pfeiffer). Große Beachtung fand auch der<br />
ARD-Fernsehfilm Zwei Tage Hoffnung (2003, Regie:<br />
Peter Keglevic) über den 17. Juni 1953. Zuletzt brillierte<br />
Meyer in so unterschiedlichen Rollen wie der des<br />
Profi-Sportlers in Diethard Klantes Ich will laufen –<br />
<strong>Der</strong> Fall Dieter Baumann (2004), der des langsam<br />
wahnsinnig werdenden Offizierssohns in <strong>Der</strong> weiße<br />
Afrikaner (2004, Regie: Martin Enlen), in der Rolle<br />
des Thomas Menz in Doppelter Einsatz – <strong>Der</strong> Fluch des<br />
Feuers (2005, Regie: Gregor Schnitzler), als unmoralischer<br />
Banker in Was für ein schöner Tag (2005, Regie:<br />
Rolf Silber) und als schillernder Mafioso in dem internationalen<br />
Vierteiler Im Zeichen des Drachen (2007,<br />
Regie: Antonello Grimaldi), seiner ersten Hauptrolle<br />
in einer internationalen Produktion. Als Vater, der<br />
spät sein entführtes Kind wiederfindet, überzeugte<br />
er im TV-Drama Die andere Hälfte des Glücks (2007,<br />
Regie: Christiane Balthasar). Neben Henry Hübchen<br />
spielte er die Hauptrolle in der Bestsellerverfilmung<br />
Mordshunger (2007, Regie: Roberto-Adrian Pejo). Zuletzt<br />
war Hans-Werner Meyer in der Regie von Lutz<br />
Konermann in einer Hauptrolle in dem Eventfilm<br />
Prager Botschaft (2007) und in der Komödie Das Geheimnis<br />
von Loch Ness (2007, Regie: Michael Rowitz)<br />
zu sehen.
Im Gespräch<br />
Herr Meyer, wie würden Sie Ihre<br />
Rolle in »<strong>Contergan</strong>« beschreiben?<br />
<strong>Der</strong> Anwalt Horst Bauer ist ein Mensch, der<br />
von unten kommt, in eine reiche Familie<br />
eingeheiratet hat und immer unter Druck<br />
steht. Es ist vielleicht eine etwas undankbare<br />
Rolle, aber mir war es wichtig, sie so zu füllen,<br />
dass sie nicht einfach ein Abziehbild ist. Ich<br />
wollte ihr die Komplexität geben, die jedem<br />
Menschen zusteht, so dass es dem Zuschauer<br />
nicht so leicht gemacht wird, sich auf eine<br />
Seite zu schlagen.<br />
Nun ist ja bei allem Ernst kein depri-<br />
mierender Film dabei entstanden.<br />
Können Sie die Stimmung bei den<br />
Dreharbeiten beschreiben?<br />
Es war eine sehr heitere Atmosphäre. Dass<br />
Heiterkeit und ein ernstes Thema sich nicht<br />
ausschließen, beweist ja der Film, und das<br />
hängt stark mit dem Regisseur Adolf Winkel-<br />
mann zusammen. Ihm schwebte ein Sittenbild<br />
der 60er Jahre vor, und das ziemlich präzise.<br />
<strong>Der</strong> Mann muss ein fotografi sches Gedächtnis<br />
haben. Zur Kostümprobe kam er z. B. und<br />
zeigte uns, wie die Schlipse gebunden werden<br />
müssen – diese kleinen, sehr festen Windsor-<br />
Darsteller | 17<br />
Knoten. Ihm waren alle Details extrem wich-<br />
tig. Auch der Hintergrund der Szenen ist ge-<br />
nauestens inszeniert. Wir haben beim Drehen<br />
viel gelacht, und ich habe beim Sehen des<br />
Filmes viel gelacht. Das macht ja gerade die<br />
tragische Dimension der Geschichte so viel<br />
erfahrbarer.<br />
Wenn man den Film sieht, fällt auf,<br />
wie sehr diese vielen unterschiedlichen<br />
Darsteller zusammenwachsen.<br />
Wie gelang das?<br />
»Kämpfen für den<br />
furchtbaren Kerl.«<br />
Auch das hängt mit der Person des Regis-<br />
seurs zusammen. Fünfzig Prozent der Miete<br />
ist natürlich eine Besetzung, die in der Lage<br />
ist, den Ton, der dem Regisseur vorschwebt,<br />
auch anzuschlagen. Er war dann einerseits<br />
sehr neugierig, wie die Schauspieler ihre Rollen<br />
spielen würden, andererseits hat er dieses<br />
Orchester guter Solisten aber auch mit dem<br />
ihm eigenen Humor dirigiert. Er hat eine en-<br />
orme Menschenliebe, und die hat er auf uns<br />
übertragen. Er war übrigens überrascht, wie<br />
ich meine Figur angelegt hatte, und hat mir<br />
hinterher dafür gedankt, dass ich so für diesen<br />
»furchtbaren Kerl« gekämpft hätte.
1 | <strong>Contergan</strong><br />
Haben Sie selbst noch Erinnerungen<br />
an die <strong>Contergan</strong>-Zeit?<br />
Ich war ein Kleinkind, wurde zwei Jahre danach<br />
geboren. Ich habe noch Erinnerungen an<br />
Freunde meiner Geschwister, die von Conter-<br />
gan betroffen waren. Das war für mich ein <strong>Teil</strong><br />
meiner Kindheit. Ich dachte immer, <strong>Contergan</strong><br />
wäre eine Bezeichnung für eine bestimmte<br />
Sorte Kind, die eben keine Arme oder Beine<br />
hat. Ich habe sie immer sehr bewundert, das<br />
weiß ich noch, die waren sehr gut in allem,<br />
was sie machten. Sie haben eine wahnsinnige<br />
Energie entwickelt, und ich fand sie unheim-<br />
lich stark.<br />
Hat sich Ihrer Ansicht nach der Umgang<br />
mit Behinderten seit damals verbessert?<br />
Auf jeden Fall. Man kann sich das gar nicht<br />
mehr vorstellen. Absurderweise hat ja der Con-<br />
tergan-Skandal enorm dazu beigetragen, dass<br />
sich das Klima verändert hat. <strong>Der</strong> Umgang war<br />
ja noch durch den Ton des Dritten Reiches be-<br />
stimmt. »Krüppel« war kein Schimpfwort, son-<br />
dern die gängige Bezeichnung für behinderte<br />
Menschen. Die Betroffenen wurden oft selbst<br />
für ihr Schicksal verantwortlich gemacht, das<br />
war <strong>Teil</strong> der Aggression, die man gegen das An-<br />
dersartige hatte, oder der Angst davor. Es war<br />
ja auch so, dass einem gesagt wurde »guck da<br />
nicht so hin«, wenn mal ein Schwarzer vorbei-<br />
kam. Man hielt sich davon lieber fern. Das hat<br />
sich schon enorm verändert, allerdings hängt<br />
es wohl damit zusammen, wo man lebt. Wenn<br />
in einem sächsischen Dorf acht Inder von fünf-<br />
zig Nazis gejagt werden, fragt man sich natür-<br />
lich, ob sich überhaupt was verändert hat.<br />
Ist es Ihnen denn leichtgefallen,<br />
in diese doch sehr fremde Zeit so<br />
glaubhaft einzutauchen?<br />
Ich kann mich noch gut an die Erwachsenen<br />
mit ihren pomadierten Fasson-Haarschnitten<br />
erinnern. Für meine Figur hatte ich ein Vorbild<br />
aus meiner eigenen Familie, einen Onkel, der<br />
Oberstleutnant bei der Bundeswehr war. <strong>Der</strong><br />
hatte eine andere Haltung, eine andere lau-<br />
tere, immer leicht befehlende Art zu reden,<br />
eine andere Zackigkeit. Allerdings kommt<br />
Horst Bauer aus dem Kleinbürgertum im Ruhr-<br />
pott, also konnte ich ihn nicht so sprechen<br />
lassen wie meinen Onkel, sondern musste ihm<br />
eine leichte Ruhrpott-Färbung in der Sprache<br />
mitgeben, da in der Zeit Kleinbürger selten<br />
Hochdeutsch sprachen.<br />
Glauben Sie, dass man mit Filmen etwas<br />
bewirken und die Gesellschaft aufrütteln<br />
kann?<br />
Ich bin nicht so naiv zu glauben, dass man<br />
mit einzelnen Filmen die Gesellschaft verän-<br />
dern kann. Aber der eine oder andere wird es<br />
sehen und sich erinnern, wie sehr die Firma<br />
Grünenthal versucht hat, diesen Film zu ver-<br />
hindern, und seine Schlüsse daraus ziehen.<br />
Mir zumindest ist klar geworden, dass unser<br />
Justizsystem durchaus anfällig ist. Gerechtig-<br />
keit ist auch hier oft eine Frage des Geldbeu-<br />
tels. <strong>Der</strong> Film hat ja schon im Vorfeld gewaltige<br />
Wellen geschlagen. Und er ist auch wirklich<br />
ein Meisterwerk. Mehr als ein Film zum Thema,<br />
er ist tatsächlich ein Sittenbild der 60er Jahre<br />
geworden – allerdings hatte ich sie nicht so<br />
humorvoll in Erinnerung.<br />
»Die Betroffenen wurden oft selbst für ihr<br />
Schicksal verantwortlich gemacht.«
Darsteller | 1
20 | <strong>Contergan</strong><br />
Caroline Peters<br />
… ist Hanne Bauer<br />
Hanne ist mit Vera befreundet. <strong>Der</strong> Zufall<br />
will es, dass auch sie kurz vor der Nieder-<br />
kunft ihrer Freundin schwanger wird. Als<br />
Vera ihre Tochter zur Welt bringt, ist Hanne<br />
entsetzt. Denn auch sie hat <strong>Contergan</strong> ein-<br />
genommen, ungewiss ist nur, ob sie zu dem<br />
Zeitpunkt schon schwanger war. Als sie ein<br />
gesundes Kind zur Welt bringt, ist sie über-<br />
glücklich. Umso mehr fehlt ihr das Verständ-<br />
nis dafür, dass ihrem Mann scheinbar jedes<br />
Mittel recht ist, um sich als Wirtschaftsan-<br />
walt einen Namen zu machen.<br />
Caroline Peters wuchs in Köln auf und absolvierte<br />
ihre Ausbildung an der Hochschule für Musik und<br />
Theater des Saarlandes. Sie stand für die Fernsehproduktionen<br />
Wilsberg – isst vietnamesisch (Regie: Buddy<br />
Giovinazzo) und Polizeiruf 110 – Vergewaltigt (Regie:<br />
Christian von Castelberg, beide 2005) vor der Kamera,<br />
ebenso wie für den Münster-Tatort 3x schwarzer Kater<br />
(2003, Regie: Buddy Giovinazzo) sowie für Die Affäre<br />
Semmeling (2002, Regie: Dieter Wedel) und Schluss<br />
mit lustig (2001, Regie: Isabel Kleefeld). Außerdem<br />
feierte Caroline Peters mit der Kinoproduktion Schöne<br />
Frauen (2004, Regie: Sathyan Ramesh) Erfolge. Vielbeachtet<br />
wurde ihre Hauptrolle im ARD-Thriller<br />
Arnies Welt (2005). Gemeinsam mit Regisseurin Isabel<br />
Kleefeld und ihren Filmpartnern Jörg Schüttauf und<br />
Matthias Brandt erhielt sie für ihre bewegende<br />
Darstellung einer Kleptomanin in diesem Jahr den<br />
begehrten Grimme Preis.<br />
Im Kino sah man Caroline Peters im israelischen<br />
Film Walk on Water (2004, Regie: Eytan Fox). Doch<br />
nicht nur vor der Kamera, sondern vor allem auch auf<br />
der Bühne hat sich die Wahlberlinerin einen Namen<br />
gemacht. Am Burgtheater Wien spielte sie in König<br />
Lear (Regie: Luc Bondy), Salome (Regie: Dimiter<br />
Gotscheff) und Hallo, Hotel …(Regie: René Pollesch)<br />
sowie an der Volksbühne in Berlin in Telefavela und<br />
Cappuccetto Rosso (Regie: René Pollesch). Als Co-<br />
Produktion mit den Salzburger Festspielen entstand<br />
Martin Kusejs Inszenierung von Nestroys Höllenangst,<br />
das vom ORF in diesem Jahr gesendet wurde.<br />
»Als Frau darf man nie die Schurkin sein.«
Im Gespräch<br />
Sie haben gerade erst einen Grimme Preis<br />
für den Fernsehfi lm Arnies Welt gewonnen.<br />
Da spielen Sie eine Hannah Bäumer, in<br />
»<strong>Contergan</strong>« heißen Sie Hanne Bauer.<br />
Kommt man da nicht durcheinander?<br />
Glücklicherweise waren die Figuren natürlich<br />
so unterschiedlich, dass man nichts verwech-<br />
selt. Zumal meine Mutter im wirklichen Leben<br />
auch Hanne hieß und ich nun selbst im 60er-<br />
Jahre-Look genau wie sie auf den Fotos ihrer<br />
Hochzeit aussah. Darüber musste ich immer<br />
sehr lachen.<br />
Wie würden Sie die Hanne aus dem<br />
Film »<strong>Contergan</strong>« beschreiben?<br />
Auf den ersten Blick ist sie »die Böse«. Sie ist<br />
immer dagegen, den <strong>Prozess</strong> zu führen, weil<br />
das die Anwaltskanzlei ihres Mannes ruinieren<br />
könnte. Und anders als ihre Freundin Vera, die<br />
ein <strong>Contergan</strong>-geschädigtes Kind bekommt,<br />
kriegt sie ein gesundes. Trotz allem fühlt sie<br />
sich aber als Freundin und ergreift schließlich<br />
für Vera Partei.<br />
Haben Sie auch solche Freundinnen,<br />
denen man nicht so ganz trauen kann?<br />
(Sie lacht.) Gott sei Dank nicht! Aber ich fand<br />
es schön, mal auf der anderen Seite zu stehen.<br />
Dass einem aber immer wieder verziehen wird,<br />
das kenne ich aus dem wirklichen Leben nicht so.<br />
Sie werden einem ja auch immer<br />
sympathischer in diesem Film …<br />
… weil Hanne auch zusehends ihre bürger-<br />
lichen Ideale beiseite stellt und sagt, warum<br />
kann ich nicht wie meine Freundin sein.<br />
Früher dachte man bei Mutterrollen<br />
eher an Inge Meysel …<br />
… heute fängt das für Schauspielerinnen mit<br />
28 an! Ich war ja froh, dass die Kinder noch so<br />
klein waren, es werden einem durchaus auch<br />
Mutterrollen mit erwachsenen Kindern ange-<br />
boten. Dann sage ich immer: Das wollt ihr den<br />
deutschen Frauen erzählen? Dass man wie<br />
35 aussieht, wenn man Kinder hat, die gerade<br />
Abitur machen?<br />
Hatten Sie zu dem Thema des Films<br />
eine persönliche Beziehung?<br />
Ich bin in den 70er und 80er Jahren aufge-<br />
wachsen, da kannte man das so. Man hatte<br />
ein <strong>Contergan</strong>-Kind in der Schule. Heute sind<br />
die Betroffenen weitgehend aus dem Leben<br />
und dem Alltag verschwunden. Deshalb bin<br />
ich sehr froh, dass das Thema noch einmal<br />
aufgenommen wird. Schließlich hat es die<br />
Gesellschaft ja sehr verändert.<br />
Darsteller<br />
| 21
22 | <strong>Contergan</strong><br />
Im Film vermitteln sie die Volkesstimmung<br />
von damals – alle Ressentiments gegen-<br />
über Behinderten. Konnten Sie sich das<br />
eigentlich noch vorstellen?<br />
Nein, das kenne ich so gar nicht, obwohl es<br />
auch erst vierzig Jahre her ist. Als der Arzt sagt:<br />
Das können sie auch prima in ein Heim geben!<br />
Das würde man heute nicht mehr wagen.<br />
Wie haben Sie sich in die Zeit eingefühlt?<br />
Hauptsächlich über die Ausstattung. Wir ha-<br />
ben ja im Studio gedreht, da hat man dann<br />
plötzlich so eine Wohnung und ist umringt von<br />
diesen Tapeten. Und bei den Kostümproben: Es<br />
hilft einem enorm weiter, schon Wochen vor-<br />
her solche Kleider zu tragen und diese Frisuren.<br />
Und was das wiederum für die Frauen bedeu-<br />
tete, so viel Zeit im Badezimmer zu verbringen!<br />
Warum fand man das damals<br />
eigentlich so wichtig?<br />
Die fanden sich natürlich wunderschön. Und<br />
ich fand es auch wunderschön, wenn ich ehr-<br />
lich bin. Es hat totalen Spaß gemacht, und<br />
man hat ja auch so selten Gelegenheit, wirk-<br />
lich historisch zu arbeiten. Adolf Winkelmann<br />
hat dann auch immer gesagt: Ach, wie meine<br />
Mutter bei meinem Abitur oder dem und dem<br />
Kaffeekränzchen. Oder: Und jetzt siehst du<br />
aus wie meine Patentante. <strong>Der</strong> hat sich immer<br />
wahnsinnig gefreut, weil er eine viel leben-<br />
digere Erinnerung daran hat. Und die Autos:<br />
Da hatten wir diese tollen Borgwards, von<br />
denen ich noch nie etwas gehört hatte.<br />
Das klingt, als hätte die Arbeit<br />
am Film viel Spaß gemacht.<br />
Es war wirklich eine sehr ungewöhnliche Ar-<br />
beit, allein die Jahre chronologisch zu drehen.<br />
Und wenn man mal etwas Neues ausprobieren<br />
wollte, war David Slama mit seiner Kamera<br />
ganz unkompliziert und sagte nicht erst: Da ist<br />
deine Markierung, du wir haben jetzt keine<br />
Zeit. Es war einfach toll mit David Slama und<br />
Adolf Winkelmann, die so vertraut wie ein<br />
altes Ehepaar hinter der Kamera agieren.<br />
Und es muss ja auch reizvoll sein, mal<br />
eine »Schurkenrolle« zu spielen …<br />
Das ist besonders schön, weil man einmal alle<br />
seine negativen Seiten voll ausphantasieren<br />
kann. Das gibt es für Frauen fast nie, man muss<br />
immer der verzeihende Part sein. Höchstens ei-<br />
fersüchtig darf man sein, als Ex-Freundin oder<br />
so. Hanne ist ja total karrieristisch, was man so<br />
nie zeigen darf, ohne der absolute Widerling<br />
zu sein. Hier geht es ja nicht einmal um die<br />
Liebe eines Mannes, sondern ganz handfest<br />
um den Status und welches Auto man haben<br />
will. Dabei ist Vera nicht einmal eine Karriere-<br />
frau, sondern eine reiche Hausfrau.<br />
Wenn man Sie so reden hört, viele gute<br />
Seiten hat Ihre Hanne wirklich nicht.<br />
Sie zeigt ja auch nie Anteilnahme. Einmal, kurz<br />
nachdem das Kind geboren ist, kommt sie mal<br />
vorbei und macht recht hilflos Schnittchen.<br />
Das ist Adolf Winkelmann spontan eingefal-<br />
len, mit den Gürkchen und Silberzwiebeln im<br />
Glas! Aber man muss auch bedenken, dass<br />
dies eben der Stolz der Nachkriegszeit auf<br />
den Wohlstand war. Kein Wunder, dass die<br />
Menschen dazu dann auch noch Schlaftablet-<br />
ten brauchten und Ärzte sie so bereitwillig<br />
verschrieben.
»… warum kann ich nicht<br />
wie meine Freundin sein.«<br />
Darsteller | 23
24 | <strong>Contergan</strong><br />
Ein Gespräch mit Denise<br />
In »<strong>Contergan</strong>« spielst du die Tochter<br />
von Paul und Vera Wegener so natürlich<br />
wie ein Profi . Hattest du gar kein Lampen-<br />
fi eber?<br />
Doch, ich hatte großes Lampenfi eber. Es war<br />
mein erster Film und ich wusste nicht, wie alles<br />
funktioniert.<br />
Wie hat Adolf Winkelmann mit dir als<br />
Regisseur gearbeitet?<br />
Er hat die Szenen immer vorher mit mir be-<br />
sprochen. Auswendig lernen musste ich nichts.<br />
Und vor meiner allerersten Szene – »Mensch<br />
ärgere dich nicht« spielen mit der Familie –<br />
hat er mit mir zum »Aufwärmen« eine Partie<br />
gespielt.<br />
»<strong>Contergan</strong>« erzählt von einer Zeit, als<br />
Behinderte stark ausgegrenzt wurden. Du<br />
bist mit einer Behinderung geboren. Wie<br />
empfi ndest du die Situation heute? Mit<br />
welchen Reaktionen wirst du konfrontiert?<br />
Manchmal geht es mir nicht so gut, wenn Leu-<br />
te oder kleine Kinder mich anglotzen oder mit<br />
dem Finger auf mich zeigen. Aber ausgegrenzt<br />
werde ich nicht. Meine Freunde behandeln<br />
mich ganz normal.<br />
Was bedeutet der Film für dich persönlich?<br />
<strong>Der</strong> Film war ein supertolles Ereignis in<br />
meinem Leben und er ist der Grund dafür,<br />
dass ich jetzt Schauspielerin werden will.<br />
Wie war die Arbeit mit deinen Filmeltern<br />
und den anderen Schauspielern?<br />
Die Arbeit mit meinen Filmeltern war super.<br />
Wir haben uns auf Anhieb gut verstanden. Ich<br />
durfte sie schon vor dem Dreh kennen lernen.<br />
Sie haben mich zu Hause besucht und wir sind<br />
zusammen Eisessen gegangen. Da ich haupt-<br />
sächlich mit Benjamin und Katharina gedreht<br />
habe, war der Kontakt zu den anderen Schau-<br />
spielern nicht so eng.<br />
Ging es bei den Dreharbeiten – trotz des<br />
ernsten Themas – auch mal lustig zu?<br />
Bei den Dreharbeiten ging es fast nur lustig<br />
zu. Wir alberten herum, und mein »Filmpapa«<br />
zeigte meiner »Filmmama« und mir eine<br />
Grimasse, die ich nicht vergessen werde. Dann<br />
sagte er zu uns: »Jetzt sind wir eine Familie!«<br />
(Sie lacht.)<br />
»Meine Freunde behandeln mich ganz normal.«
»… pragmatisch,<br />
sachlich, zynisch …«<br />
August Zirner<br />
… ist Dr. Naumann<br />
Im Rechtsstreit um <strong>Contergan</strong> vertritt der<br />
brillante Anwalt Dr. Naumann die Herstellerfirma.<br />
Das Familienunternehmen scheint für<br />
seine Kanzlei ein vergleichsweise kleiner Fisch,<br />
vertritt er doch viel größere Konzerne. Aber<br />
Naumann stellt fest, dass er seinen Gegner<br />
unterschätzt hat. In der Hoffnung auf Verjährung<br />
spielt er im <strong>Prozess</strong> auf Zeit. Um Paul als<br />
Anwalt der Gegenseite in die Defensive zu<br />
bringen, greift Naumann zu raffinierten Tricks.<br />
August Zirner kam als Sohn österreichischer Emigranten<br />
in den USA zur Welt. Seine künstlerische Ausbildung<br />
absolvierte er am Wiener Max-Reinhardt-Seminar.<br />
Auf sein Theaterdebüt am Wiener Volkstheater<br />
folgten Engagements an renommierten Bühnen, u. a.<br />
an den Staatstheatern Hannover und Wiesbaden und<br />
an den Münchner Kammerspielen.<br />
Bis heute macht Zirner immer wieder Abstecher<br />
auf die Bühne, doch steht er seit Mitte der 80er Jahre<br />
zumeist vor der Kamera. Dank seiner Vielseitigkeit<br />
wurde er zu einem der gefragtesten Darsteller in<br />
Fernseh- und Filmproduktionen. So spielte er zum Beispiel<br />
in Café Europa (1990, Regie: Franz Xaver Bogner),<br />
in Homo Faber(1991, Regie: Volker Schlöndorff) sowie<br />
in Geld (1989) von Doris Dörrie. Dörrie war es auch,<br />
die August Zirners Talent zur Komik entdeckte. Richtig<br />
bekannt wurde er durch die Beziehungskomödie<br />
Stadtgespräch (1995, Regie: Rainer Kaufmann), wo<br />
»Dr. Naumann ist ein Anwalt, der pragmatisch, sachlich, zynisch<br />
mit dem Phänomen Wiederaufbau umgeht. Die sentimentalen<br />
Wehwehchen der durch Kapitalismus verweichlichten (Pharma-)<br />
Industriellen gehen ihm auf die Nerven. Wer A sagt, muss auch B<br />
sagen können. Wer einen Krieg und deutsche Schuld verschlafen<br />
will, braucht ein starkes Schlafmittel …«<br />
August Zirner<br />
Darsteller | 2<br />
er in der Doppelrolle des braven Ehemanns und entfl<br />
ammten Liebhabers brillierte. Zugleich machte er<br />
das breite Fernsehpublikum in der ARD-Serie Zwei<br />
Männer und die Frauen (1995, Regie: Jörg Grünler) auf<br />
sich aufmerksam. Nicht weniger als im komischen<br />
Fach überzeugte er in der Rolle des Bösewichts, etwa<br />
als Frauenmörder in dem Psychothriller Eiskalte Liebe<br />
(1997, Regie: Jan Ruzicka).<br />
Wie breit sein Rollenspektrum ist, bewies er in<br />
bisher etwa achtzig Filmen, darunter so unterschiedliche<br />
Produktionen wie die Krimis Die Apothekerin<br />
(1997, Regie: Rainer Kaufmann) und <strong>Der</strong> Hahn ist tot<br />
(2000, Regie: Hermine Huntgeburth) nach den Büchern<br />
von Ingrid Noll, die Kinderkinofi lme Pünktchen<br />
und Anton (1999, Regie: Caroline Link) und Das Sams<br />
(2001, Regie: Ben Verbong), die vierteilige Uwe-<br />
Johnson-Verfi lmung Jahrestage (2000, Regie: Margarethe<br />
von Trotta), die historischen Filme Taking<br />
Sides – <strong>Der</strong> Fall Furtwängler (2001, Regie: Istvan<br />
Szabo), Carola Stern – Doppelleben (2004, Regie:<br />
Thomas Schadt), SPEER UND ER (2005, Regie: Heinrich<br />
Breloer ) und die Kleist-Verfi lmung Käthchens Traum<br />
(2004, Regie: Jürgen Flimm). Großes Medienecho<br />
fand im vergangenen Jahr der WDR-Fernsehfi lm von<br />
Regisseur Züli Aladag WUT zur Integrations-Thematik.<br />
August Zirner ist als politisch-korrekter Uniprofessor<br />
Anlass und Opfer der Angriffe eines Deutschtürken<br />
– eine Darstellerleistung, für die er mit dem Grimme<br />
Preis geehrt wurde. Zuletzt sah man ihn in der ARD<br />
als besorgten Vater im Fernsehfi lm Meine böse<br />
Freundin (2007, Regie: Maris Pfeiffer) sowie auf dem<br />
großen Festivalparkett der Berlinale 2007 in Stefan<br />
Ruzowitzkys Wettbewerbsbeitrag Die Fälscher, der<br />
anschließend erfolgreich in die deutschen Kinos kam.<br />
Ein breites Familienpublikum amüsierte sich im vergangenen<br />
Sommer über Zirners Darstellung eines<br />
wundertätigen Apothekers in der Fantasykomödie<br />
Herr Bello (Regie: Ben Verbong).<br />
Als gebürtiger Amerikaner dreht August Zirner aber<br />
auch immer wieder in seiner Muttersprache . Beispiele<br />
dafür sind Ein Haus in Irland (2005, Regie:<br />
Gillies MacKinnon ) – dort war er der Ehemann von<br />
Andi McDowell, A Sound of Thunder (2005, Regie:<br />
Peter Hyams), wo er an der Seite von Ben Kingsley<br />
zu sehen war, oder Amen (2002) unter der Regie von<br />
Constantin Costa-Gavras.
26 | <strong>Contergan</strong><br />
Matthias Brandt<br />
… ist Betriebsdirektor Spiess<br />
Betriebsdirektor Henrik Spiess hat es im Pharma-<br />
unternehmen nicht leicht. Als erste Berichte über<br />
gesundheitliche Schäden, die vermutlich durch <strong>Contergan</strong><br />
verursacht wurden, auf seinem Schreibtisch<br />
landen, plädiert er für entsprechende Vorsichtsmaßnahmen.<br />
Umsonst. Während sich andere aus der Konzernspitze<br />
später von ärztlicher Seite eine angebliche<br />
<strong>Prozess</strong>unfähigkeit attestieren lassen, hat Henrik<br />
Spiess den schwarzen Peter gezogen: Er muss vor<br />
Gericht für die Geschäftspraktiken des Konzerns<br />
geradestehen. Das jahrelange Verfahren trägt Spiess<br />
eine Menge privater und gesundheitlicher Probleme<br />
ein. Das lässt seine Loyalität der Firma gegenüber<br />
merklich schwinden.<br />
Matthias Brandt wurde in Berlin geboren. Nach<br />
seinem Studium an der Hochschule für Musik und<br />
Theater Hannover spielte er unter anderem an den<br />
Schauspielhäusern in Frankfurt, Bonn und Zürich,<br />
dem Nationaltheater Mannheim und dem Bayerischen<br />
Staatsschauspiel München. Bis 2004 gehörte<br />
er dem Ensemble des Schauspielhauses Bochum an.<br />
In den letzten Jahren ist er längst auch im Fernsehen<br />
zu einer festen Größe geworden. <strong>Der</strong> große<br />
Durchbruch gelang Matthias Brandt 2003 mit dem<br />
Zweiteiler Im Schatten der Macht, in dem er unter<br />
der Regie von Oliver Storz in die Rolle des Mannes<br />
schlüpfte, der seinen Vater politisch zu Fall gebracht<br />
hat – in die des DDR-Spions Günter Guillaume. In immer<br />
kürzeren Abständen steht Matthias Brandt seither<br />
vor der Kamera und beweist sein Talent sowohl in<br />
komischen als auch in ernsten TV-Rollen. So glänzte<br />
er an der Seite von Maria Furtwängler 2004 in der Komödie<br />
Mr. and Mrs. Right (Regie: Torsten C. Fischer).<br />
Im selben Jahr war er in einer Hauptrolle in Stephan<br />
Wagners Polit-Thriller <strong>Der</strong> Stich des Skorpion dabei,<br />
genauso wie in Wagners Komödie Wie krieg ich meine<br />
Mutter groß? als Film-Ex-Freund von Hauptdarstellerin<br />
Katja Flint. Im Jahr darauf verkörperte er im Justizdrama<br />
In Sachen Kaminski (Regie: Stephan Wagner)<br />
einen Familienvater, der um seine Tochter kämpft,<br />
und wurde dafür mit dem Bayerischen Fernsehpreis<br />
ausgezeichnet. Gemeinsam mit seiner »<strong>Contergan</strong>«-<br />
Filmpartnerin Caroline Peters erspielte er sich einen<br />
Grimme Preis in Arnies Welt (2005, Regie: Isabel<br />
Kleefeld). Nach den TV-Movies Die Frau am Ende<br />
der Straße (Regie: Claudia Garde) und Vertrauter<br />
Fremder (Regie: Christiane Balthasar, beide 2006)<br />
stand er für den Film Mein Vater der Zauberer (2007,<br />
Regie: Claudia Garde) vor der Kamera. Fürchte<br />
Dich nicht (2006, Regie: Christiane Balthasar) und<br />
Schimanski – Tod in der Siedlung (2007, Regie: Torsten<br />
C. Fischer) boten weitere Herausforderungen im Krimifach.<br />
Bis zum renommierten Filmfestival in Cannes<br />
schaffte es schließlich das packende Familiendrama<br />
Gegenüber (Regie: Jan Bonny), das seit Oktober 2007<br />
in den deutschen Kinos läuft.<br />
»Mich hat an meiner Rolle der bei uns ja sehr verbreitete Typus des<br />
Mitläufers interessiert, der zwar, wie wir sehen, durchaus moralisch<br />
empfindet, seine Konsequenzen daraus aber erst zieht, wenn<br />
es für ihn und andere zu spät ist. Ich habe sehr gerne mit Adolf<br />
Winkelmann gearbeitet. Selten habe ich einen Regisseur erlebt,<br />
der sich so fundiert mit dem auskannte, wovon er erzählt, und der<br />
Schauspieler so genau in die Psychologie einer Figur führt.«<br />
Matthias Brandt
Sylvester Groth<br />
… ist Staatsanwalt Feddersen<br />
Sylvester Groth wurde in Jerichow in der damaligen<br />
DDR geboren. Er machte zunächst eine Lehre als Elektriker,<br />
studierte dann an der Staatlichen Schauspielschule<br />
in Berlin, um im Anschluss am Staatstheater<br />
Schwerin und im Staatsschauspiel Dresden seine<br />
Theaterlaufbahn zu beginnen. Frank Beyers Kinofilm<br />
<strong>Der</strong> Aufenthalt machte ihn 1983 auch im Westen zu<br />
einem begehrten Künstler: 1984 wurde er erstmals für<br />
die Salzburger Festspiele engagiert, ein Engagement,<br />
das im Folgejahr fortgesetzt wurde.<br />
Seither hat das Theater einen besonderen Stellenwert<br />
in seinem Schaffen. Bis 1989 war Sylvester Groth<br />
festes Ensemblemitglied an der Berliner Schaubühne.<br />
Heute ist er als freier Künstler an den großen Bühnen<br />
in Berlin, Salzburg, Wien, Bochum, Hamburg, Zürich<br />
und München zu Hause. Zu den Regisseuren, mit<br />
denen er gearbeitet hat, gehören so unterschiedliche<br />
Künstler wie Peter Zadek und Dieter Dorn, Klaus-<br />
Michael Grüber und Robert Wilson und zu seinen<br />
zahllosen Rollen auf der Bühne unter anderem Schillers<br />
Don Carlos, Koltès Roberto Zucco, Büchners Robespierre<br />
in Dantons Tod und Shakespeares Macbeth.<br />
»Feddersen kocht zwar schlechten Kaffee und raucht viel zu viel,<br />
aber als Jurist ist er für mich bewunderungswürdig: Er versucht<br />
den fast aussichtslosen Spagat zwischen Recht und Gerechtigkeit<br />
– das macht mir die Figur so sympathisch. Ein hoffnungslos Unterschätzter<br />
und persönlich nicht Betroffener hilft mit, diesen <strong>Prozess</strong><br />
in Gang zu bringen, trotz der Gefahr, von dieser Lawine selbst<br />
erfasst zu werden und unterzugehen. Schon beim ersten Lesen<br />
des wunderbaren Drehbuchs hat mich Feddersen fasziniert, und<br />
ich bin sehr stolz und glücklich mit dieser Figur in diesem so unsentimentalen<br />
und doch so berührenden Film dabei zu sein.«<br />
Sylvester Groth<br />
Darsteller | 27<br />
Staatsanwalt Feddersen gilt als unauffälliger und<br />
mittelmäßiger »Aktenfresser«. Dass es Jahre nach<br />
Markteinführung von <strong>Contergan</strong> zum <strong>Prozess</strong> gegen<br />
die Herstellerfirma kommt, ist indessen sein<br />
Verdienst. So unauffällig Feddersen auf den ersten<br />
Blick nämlich scheint, so ist er doch ein zäher, unnachgiebiger<br />
Jurist, ein Mann mit enormem Durchhaltevermögen.<br />
Selbst als sich das Verfahren mehrere<br />
Jahre hinzieht, will er nicht aufgeben. Anders<br />
als Paul, der mit der Gegenseite in Verhandlungen<br />
tritt, um den <strong>Contergan</strong>-Opfern einen zermürbenden<br />
<strong>Prozess</strong> zu ersparen.<br />
Äußerst wandlungsfähig zeigt sich Sylvester Groth<br />
auch bei den Film- und Fernsehrollen, die er sich sehr<br />
sorgfältig aussucht. Als Agent war er 1986 in der Kinoverfilmung<br />
von Michael Endes Momo zu erleben, 1993<br />
in Josephs Vilsmaiers Weltkriegsdrama Stalingrad, als<br />
verliebter Dichter Clemens Brentano wiederum sechs<br />
Jahre später in Dagmar Knöpfels Requiem für eine<br />
romantische Frau und ebenfalls 1999 als deutscher<br />
Exilant im Paris der 30er Jahre in Ottokar Runzes<br />
Kinofilm <strong>Der</strong> Vulkan. In den letzten Jahren überwogen<br />
indes die Fernsehrollen, in denen er ebenfalls große<br />
Vielseitigkeit bewies. In <strong>Der</strong> Briefbomber (2000,<br />
Regie: Torsten C. Fischer) war er ein Kriminalpsychologe,<br />
der einen Attentäter stellte, in Bernd Böhlichs<br />
Verfilmung von Axel Springers Leben in <strong>Der</strong> Verleger<br />
gab er den Journalisten und Autor Christian Kracht,<br />
in Romeo spielte er unter der Regie von Hermine<br />
Huntgeburth einen Stasi-Spitzel – eine Rolle, die ihm<br />
2002 den Grimme Preis einbrachte. Als Sexualaufklärer<br />
Oswalt Kolle war Groth in dem Fernsehfilm Kolle<br />
– Ein Leben für Liebe und Sex (2001, Regie: Susanne<br />
Zanke) zu sehen und als Vermessungsingenieur<br />
Harald Hansen wirkte er mit im Wunder von Legende<br />
(2003, Regie: Kaspar Heidelbach). Gelegentlich kann<br />
er auch Theater und Film verbinden – so bei Jürgen<br />
Flimms moderner Verfilmung von Kleists Käthchen<br />
von Heilbronn unter dem Titel Käthchens Traum<br />
(2004) oder in Uwe Jansons Verfilmung von Wedekinds<br />
Lulu (2006). <strong>Eine</strong> seiner wohl anspruchsvollsten<br />
Rollen spielte Groth zuletzt in Dani Levys Komödie<br />
Mein Führer (2007), wo er Joseph Goebbels verkörperte.<br />
Nach den Fernsehkrimis Schuld und Unschuld<br />
(Regie: Markus Rosenmüller) und <strong>Der</strong> Kronzeuge<br />
(Regie: Johannes Grieser, beide 2007) wird man<br />
Sylvester Groth demnächst in Lars Beckers TV-Film<br />
Die Weisheit der Wolken erleben können.
2 | <strong>Contergan</strong><br />
Bernd Stegemann<br />
… ist Justiziar und Firmensprecher Helmut Passlak<br />
Als Firmensprecher und Justiziar bestimmt<br />
Helmut Passlak die Strategie des Unternehmens<br />
entscheidend mit. Er denkt nüchtern<br />
und strategisch: Das Leid der Opfer lässt sich<br />
für ihn in einfachen Zahlen ausdrücken, und<br />
die sollen möglichst niedrig ausfallen. Bei den<br />
langwierigen Verhandlungen mit Opferanwalt<br />
Paul Wegener kämpft er mit harten Bandagen.<br />
<strong>Der</strong> gebürtige Berliner Bernd Stegemann absolvierte<br />
seine künstlerische Ausbildung an der Hochschule für<br />
Schauspielkunst Ernst Busch. 1985 bis 1993 gehörte er<br />
zum festen Ensemble des Düsseldorfer Schauspielhauses<br />
und spielte dort u. a. unter der Regie von B. K.<br />
Tragelehn und Werner Schroeter. Im Kino hat Bernd<br />
Stegemann in vielen bedeutenden Filmen mitgewirkt.<br />
Dani Levy holte ihn mehrfach vor die Kamera – nicht<br />
nur für den vielfach ausgezeichneten Film Alles auf<br />
»Adolf Winkelmann ruft – ich eile. Schließlich hab ich meinen ersten<br />
großen West-Film mit ihm gedreht. Einige für mich wichtige<br />
Filme folgten. Also habe ich meinen im Winterurlaub gebrochenen<br />
Fuß ein wenig fester bandagiert, und auf ging’s zu Adolf Winkelmann.<br />
Aber diesmal war alles irgendwie anders! Waren mir die anderen<br />
Rollen, die ich bei ihm spielen durfte, seltsam vertraut, hatte<br />
ich das Gefühl, dass sich diese Rolle distanziert zu mir verhielt.<br />
Ich spiele den Justiziar, der auch als Firmensprecher fungiert.<br />
Dieses traurige Kapitel deutscher Geschichte habe ich damals nur<br />
von außen betrachten können. Aber das Interesse war sicher hüben<br />
wie drüben gleich stark. Ich war voller Ehrfurcht mit den Opfern<br />
und voller Ekel den Tätern gegenüber, und so einen sollte ich<br />
jetzt spielen! Übrigens: Firmensprecher blieben mir seit damals<br />
suspekt. Ich habe ihren Äußerungen nie vertraut. <strong>Der</strong> Film ist ein<br />
Meisterwerk geworden, großartig besetzt – eine längst fällige<br />
Aufarbeitung! Trotzdem blieb mir meine Rolle seltsam fremd.«<br />
Bernd Stegemann<br />
Zucker (2004), sondern u. a. auch für Mein Führer<br />
(2007). Mitgewirkt hat Bernd Stegemann beispielsweise<br />
in Roland Suso Richters 14 Tage lebenslänglich,<br />
Wolfgang Beckers Das Leben ist eine Baustelle (beide<br />
1997) und Dominik Grafs Die Sieger (1994). Auch Adolf<br />
Winkelmann hat schon mehrmals mit Bernd Stegemann<br />
zusammengearbeitet: So drehten sie u. a. 1992<br />
den Fußballfilm Nordkurve.<br />
Lang ist auch die Liste der Fernsehfilme und<br />
-serien, in denen Bernd Stegemann mitgewirkt hat.<br />
Claudia Gardes Tatort-Folge Investigativ, Carlo Rolas<br />
Afrika, mon amour und Eion Moores Komödie Hochzeit<br />
um jeden Preis (alle 2007) seien beispielhaft für<br />
seine jüngsten Produktionen genannt. An bedeutenden<br />
Fernsehfilmen wie Keglevics Zwei Tage Hoffnung<br />
(2003), Kolle – Ein Leben für Liebe und Sex (2001,<br />
Regie: Susanne Zahnke) und Blumenbergs Deutschlandspiel<br />
(2000) hatte er ebenfalls seinen Anteil.<br />
Auch in Krimiserien und-reihen wirkte er immer aufs<br />
Neue mit. Beteiligt war er darüber hinaus an der<br />
Ki.Ka-Serie Beutolomäus kommt zum Weihnachtsmann.<br />
Bernd Stegemann ist mit der Schauspielerin<br />
Renate Krößner verheiratet.
Darsteller | 2<br />
Jürgen Schornagel<br />
… ist Forschungsleiter und Aufsichtsratsmitglied Dr. Helsing<br />
Als Anteilseigner des Unternehmens schlägt Dr.<br />
Helsing alle Warnungen in den Wind. Die Statistiken<br />
der Gegenseite über das erschreckende Anwachsen<br />
mit Fehlbildungen geborener Kinder hält er für eine<br />
wertlose Fleißarbeit. Auch die Arbeitsplätze schiebt<br />
er vor: Bei einem Produktionsstopp müsse man ein<br />
ganzes Werk schließen. Dabei ist Dr. Helsing der<br />
Erste, den das lange Verfahren zermürbt. Er hat<br />
nicht die Nerven, den <strong>Prozess</strong> einfach auszusitzen.<br />
Lieber wäre er noch am ersten <strong>Prozess</strong>tag verurteilt<br />
worden, wird er später lamentieren. Natürlich<br />
höchstens zu einer kleinen Bewährungsstrafe …<br />
Jürgen Schornagel wurde in Essen geboren und absolvierte<br />
dort an der renommierten Folkwang Hochschule<br />
seine schauspielerische Ausbildung. Danach<br />
stand er in verschiedenen Theatern auf der Bühne<br />
– so am Staatstheater Stuttgart, am Schauspielhaus<br />
Hamburg und an der Berliner Volksbühne. Zu seinen<br />
Kinoproduktionen gehörten gleich mehrere Filme von<br />
Joseph Vilsmaier: Schlafes Bruder (1995), Comedian<br />
Harmonists (1997), Leo und Claire (2001) und Berg-<br />
kristall (2004).<br />
»›<strong>Contergan</strong>‹ ist in meiner langjährigen Fernseharbeit einer der<br />
herausragenden und inhaltlich wichtigsten Fernsehfilme. Zudem<br />
war die Arbeit mit Regisseur Adolf Winkelmann, Kameramann<br />
David Slama und dem tollen, stimmigen Team mit meine aufregendste<br />
Arbeits-/Lebenszeit.«<br />
Jürgen Schornagel<br />
Als Kriminalhauptkommissar Winter hat sich Jürgen<br />
Schornagel dem Fernsehzuschauer in der TV-Serie<br />
Doppelter Einsatz eingeprägt, wofür er 2002 mit dem<br />
Deutschen Fernsehpreis geehrt wurde. Aber auch in<br />
anderen Krimis war er oft zu sehen. Thomas Bohn holte<br />
ihn zum Beispiel für die Tatort-Folgen Nahkampf<br />
(1997) und Harte Hunde (2003) vor die Kamera, genauso<br />
wie für die Polizeiruf-Folge Die Schlacht (2003).<br />
Hinzu kamen in den letzten Jahren viel besprochene<br />
Event-Movies wie Kaspar Heidelbachs Das Wunder<br />
von Lengede (2003) und Jorgo Papavassilious Die<br />
Sturmflut (2006). 2002 war er als Hitler in Kai Wessels<br />
Satire Goebbels und Geduldig zu sehen, 2004 verkörperte<br />
er Generaloberst Ludwig Beck in Hans-Erich<br />
Viets Stunde der Offiziere. Im Frühjahr brillierte Jürgen<br />
Schornagel in einer Hauptrolle in der aufwühlenden<br />
Fiction-Doku 2030 – <strong>Der</strong> Aufstand der Alten (Regie:<br />
Jörg Lühdorff). In diesem Winter feiert seine neueste<br />
Produktion, Hansjörg Thurns Die Schatzinsel, ihre<br />
Fernsehpremiere. Des weiteren war er in einer Hauptgastrolle<br />
im WDR-Tatort Die Blume des Bösen von<br />
Thomas Stiller (2007) zu sehen.
30 | <strong>Contergan</strong><br />
Peter Fitz<br />
… ist Konzernchef Dr. Kessler<br />
Unternehmenschef Dr. Kessler wacht über<br />
seinen Pharmakonzern wie ein Patriarch der<br />
Vorkriegszeit. <strong>Der</strong> Endfünfziger hat das Unternehmen<br />
aus Trümmern neu aufgebaut und will<br />
sich seinen Erfolg durch nichts verderben lassen:<br />
Schon gar nicht durch Warnungen aus dem<br />
eigenen Forscherteam. »<strong>Der</strong> Fortschritt fordert<br />
immer Opfer«, kontert er erste Berichte über<br />
die Nebenwirkungen von <strong>Contergan</strong>. Später will<br />
er von der Größenordnung des Skandals nichts<br />
gewusst haben. Dennoch billigt er die Taktik<br />
seiner Anwälte, den <strong>Prozess</strong> durch bürokratische<br />
Finessen immer weiter in die Länge zu ziehen.<br />
<strong>Der</strong> aus Kaiserslautern stammende Schauspieler ist<br />
im Theater seit Jahrzehnten eine feste Größe. Ausgebildet<br />
in den 50er Jahren an der Schauspielschule des<br />
Deutschen Schauspielhauses in Hamburg, holte ihn<br />
Peter Stein später an die Schaubühne nach Berlin.<br />
Im Anschluss daran war Peter Fitz an vielen großen<br />
Häusern zu sehen: an der Burg in Wien, dem Berliner<br />
Schillertheater, den Münchner Kammerspielen und<br />
bei den Festspielen in Salzburg. Vom Fachmagazin<br />
Theaterheute wurde er für seine herausragenden Leistungen<br />
zwei Mal – 1980 und 1983 – zum Schauspieler<br />
des Jahres gewählt. Zu seinen aktuellen Theaterproduktionen<br />
gehören der Salzburger Jedermann (2007,<br />
Regie: Christian Stückl) genauso wie Peymanns Inszenierung<br />
des Lessing’schen Nathan am Berliner Ensemble.<br />
Aber auch in Film und Fernsehen war und ist<br />
Peter Fitz immer wieder zu erleben. Über 100 Produktionen<br />
umfasst seine Filmografie. Zu seinen Kino-<br />
filmen gehört Louis Malles Auf Wiedersehen, Kinder<br />
(1987) genauso wie Hans Christian Schmids 23 (1998).<br />
Zu den bedeutendsten Rollen, die er im Fernsehen<br />
übernahm, zählen die des Prof. Edgar Oppermann in<br />
Egon Monks Mehrteiler Die Geschwister Oppermann<br />
(1983), die Titelrolle in Geblendeter Augenblick –<br />
Anton Weberns Tod (1986, Regie: Gert Jonke) und<br />
seine Hauptrolle im Thriller Blutige Scheidung (1997,<br />
Regie: Manuel Siebenmann). Aber auch in Krimis hatte<br />
er zahlreiche Auftritte. Seien es die Verfilmungen<br />
der Donna-Leon-Romane, sei es die Wilsberg-Reihe<br />
oder die ARD-Krimiserie Bronski & Bernstein. Als Synchronsprecher<br />
hat Peter Fitz unter anderem Michel<br />
Serrault und Jean-Louis Trintignant seine Stimme<br />
geliehen. Peter Fitz ist der Vater der Schauspieler<br />
Hendrikje und Florian Fitz.<br />
»Ein ganz wichtiger Film. Künstlerisch hervorragend –<br />
und das Thema verantwortungsvoll umgesetzt.«<br />
Peter Fitz
Ernst Stötzner<br />
… ist Dr. Lange<br />
In Berlin, Bochum, Wien, Düsseldorf, Frankfurt,<br />
Hamburg und Zürich war der Schauspieler auf großen<br />
Theater-Bühnen zu sehen. Die Regisseure, mit denen<br />
er dabei arbeitete, gehören zu den Namhaftesten des<br />
deutschsprachigen Theaters: Luc Bondy, Andrea<br />
Breth, Robert Wilson, Klaus Michael Grüber, George<br />
Tabori und Peter Stein, der ihn 1978 an die Berliner<br />
Schaubühne holte. In jüngster Zeit arbeitet Stötzner<br />
intensiv mit dem Regisseur Jürgen Gosch zusammen.<br />
Kinderarzt Dr. Lange hat hunderte Kranken-<br />
geschichten von mit Fehlbildungen geborener<br />
Kinder recherchiert.<br />
Darsteller<br />
| 31<br />
Ende der 1980er Jahre ist Stötzner auch als Theaterregisseur<br />
hervorgetreten. Seit der Spielzeit 2006/2007<br />
ist er festes Ensemble-Mitglied am Deutschen Theater<br />
in Berlin.<br />
Seine Theaterarbeit wusste Ernst Stötzner immer<br />
mit der Arbeit für Film und Fernsehen zu verbinden.<br />
Zu seinen Kinoproduktionen gehören u. a. Bernhard<br />
Wickis Spinnennetz (1989), Emir Kusturicas Underground<br />
(1995), Jan Schüttes Fette Welt (1998) und<br />
Raoúl Ruiz’ Klimt (2005). Aber auch im Fernsehen hat<br />
er es auf eine beachtliche Anzahl von Filmproduktionen<br />
gebracht. Richtig los ging es damit Anfang der<br />
90er Jahre. Immer wieder war er seither in Fernsehkrimis<br />
zu sehen, zum Beispiel in der Bella-Block-Folge<br />
Auf der Jagd (1998), in der Schimanski-Folge Kinder<br />
der Hölle (2001) oder auch den Tatort-Folgen <strong>Der</strong><br />
schwarze Troll (2003) und Heimspiel (2004). Seine<br />
erste Begegnung mit Adolf Winkelmann hatte er im<br />
Rahmen der Dreharbeiten von Engelchen flieg (2004).
32 | <strong>Contergan</strong><br />
Dörte Lyssewski<br />
… ist Ruth Häffgens<br />
Nach ihrer Schauspielausbildung in Hamburg führte<br />
sie ihr erstes festes Engagement gleich an die Berliner<br />
Schaubühne. Zu sehen war sie dort unter anderem in<br />
Inszenierungen von Peter Stein und Luc Bondy. Mal<br />
fest, mal frei war sie im Anschluss an diese Zeit an<br />
weiteren wichtigen Bühnen zu sehen – am Schauspielhaus<br />
in Zürich, in Bochum, bei den Salzburger<br />
Festspielen und erneut an der Schaubühne in Berlin.<br />
2003 erhielt sie für ihre schauspielerischen Leistungen<br />
den Gertrud-Eysoldt-Ring.<br />
Sekretärin Ruth Häffgens ist die gute Seele in der<br />
Kanzlei von Paul Wegener und Horst Bauer.<br />
Ihre große Verbundenheit mit dem Theater macht<br />
sie bei der Auswahl ihrer Film- und Fernsehrollen<br />
wählerisch. Die Bartholomäusnacht (1994) von Patrice<br />
Chéreau gehört zu den ausgesuchten Filmproduktionen,<br />
bei denen sie mitgewirkt hat, ebenso wie<br />
Michael Hanekes Kafka-Verfilmung Das Schloss<br />
(1997), in dem u. a. Ulrich Mühe und Susanne Lothar<br />
zu ihren Filmpartnern gehörten, und Jörg Grünlers<br />
Romanverfilmung Neger, Neger, Schornsteinfeger<br />
(2006). Ins Komödienfach wagte sie sich mit dem<br />
Fernsehfilm Was ist bloß mit den Männern los? (2002,<br />
Regie: Reto Salimbeni). Und ab und an sieht man<br />
Dörte Lyssewski in Fernsehkrimis.
»<strong>Der</strong> Fall <strong>Contergan</strong> hat Deutschland verändert.«<br />
Ein Gespräch mit Regisseur Adolf Winkelmann<br />
Adolf Winkelmann, geboren 1946 in Hallenberg<br />
(Westf.), ist einer der namhaftesten deutschen<br />
Film- und Fernsehregisseure. Nach dem Studium<br />
an der Hochschule für Bildende Kunst in Kassel<br />
machte er zunächst mit Experimentalfilmen auf<br />
sich aufmerksam. 1975 übernahm er Lehraufträge<br />
an der Fachhochschule Dortmund, doch stand seine<br />
Arbeit als Regisseur weiterhin im Vordergrund.<br />
Erste Erfolge trugen ihm seine eigenwilligen<br />
und ironischen Ruhrgebietsgeschichten ein: die<br />
Kinofilme Abfahrer (1978), ein zeittypisches Porträt<br />
junger Arbeitsloser in Dortmund, ausgezeichnet mit<br />
dem Filmband in Silber (seine erste Zusammenarbeit<br />
mit dem Kameramann David Slama) und Jede Menge<br />
Kohle (1981), die schwarzhumorige Geschichte eines<br />
Aussteigers, die mit dem Deutschen Filmpreis in<br />
Silber prämiert wurde.<br />
Doch reüssierte Winkelmann auch in anderen<br />
Genres, so zum Beispiel mit der comic-haften Computerkomödie<br />
Peng! Du bist tot! (1987, Deutscher Film-<br />
Herr Winkelmann, vor dem ersten<br />
und dem zweiten <strong>Teil</strong> des Fernsehfilms<br />
»Contagan« gibt es einen Vorspann …<br />
Das liegt nicht in meiner Macht. <strong>Der</strong> Text ist<br />
uns vom Gericht so vorgeschrieben.<br />
Die Firma Grünenthal hat gegen die<br />
Ausstrahlung geklagt. Welche Änderungen<br />
mussten Sie an Ihrem Film vornehmen,<br />
damit er jetzt gezeigt werden darf?<br />
Es gab ja 32 Verbotspunkte, die beim Landgericht<br />
beantragt wurden. Es waren also<br />
32 einzelne Einstweilige Verfügungen, meist<br />
mit mehreren Unterpunkten, immer bezogen<br />
auf bestimmte Dialogpassagen und Szenen.<br />
Davon ist in der zweiten Instanz, beim Oberlandesgericht,<br />
ein <strong>einzige</strong>r übrig geblieben,<br />
und von dessen vier Unterpunkten auch nur<br />
noch zwei. Es geht um den Privatdetektiv<br />
Karges: Historisch verbürgt ist, dass die Firma<br />
Grünenthal einen namentlich bekannten Privatdetektiv<br />
engagierte, und der hat versucht,<br />
missliebige Ärzte auszuspionieren. Dabei ging<br />
es allerdings nicht um die Fehlbildungen,<br />
sondern um die Nervenschäden. <strong>Contergan</strong><br />
ist ja vor fünfzig Jahren auf den Markt gekom-<br />
Regisseur<br />
| 33<br />
preis in Gold für Hauptdarstellerin Rebecca Pauly),<br />
mit dem zweiteiligen Fernsehthriller <strong>Der</strong> Leibwächter<br />
(1989; Grimme Preis in Silber für den Regisseur) und<br />
mit dem Fußballfilm Nordkurve (1993), der gleich<br />
drei Deutsche Filmpreise erhielt, Winkelmann selbst<br />
wurde für Regie und Schnitt geehrt. International<br />
verkaufte sich der Action-Thriller Gefährliche Spiele<br />
(1994) mit Gudrun Landgrebe und Nathaniel Parker<br />
in den Hauptrollen. <strong>Der</strong> für den WDR gedrehte Russenmafia-Thriller<br />
<strong>Der</strong> letzte Kurier (1996) mit Sissi<br />
Perlinger wurde u.a. mit dem Grimme Preis in Gold<br />
und dem Baden-Badener Fernsehspielpreis prämiert.<br />
Beachtung fand auch das ARD-Drama Engelchen flieg<br />
(2004) mit Uwe Ochsenknecht: Die Geschichte einer<br />
Familie, die an ihrem behinderten Kind fast zerbricht,<br />
wurde beim Deutschen Fernsehpreis für die beste<br />
Regie nominiert. 2007 drehte Adolf Winkelmann die<br />
Fortsetzung unter dem Titel Das Leuchten der Sterne.<br />
Seit 1979 ist Adolf Winkelmann Professor für Film<br />
an der FH Dortmund.<br />
men, am 1. Oktober 1957. Kurze Zeit später<br />
häuften sich die Hinweise und Nachfragen von<br />
Ärzten, Kliniken und Patienten, dass nach Einnahme<br />
von <strong>Contergan</strong> so genannte Polyneuritiden<br />
auftraten, sprich: Nervenschäden. Die<br />
Haut fühlte sich an wie Reibeisen oder es gab<br />
Taubheitsgefühle in den Extremitäten, unerklärliche<br />
Schmerzen. Das Schlimme daran: Die<br />
blieben – auch wenn man das Medikament absetzte.<br />
Dazu gab es eine Vielzahl von Anfragen<br />
und Beschwerden. Das wollte Grünenthal nicht<br />
wahrhaben, und in dem Zusammenhang wurde<br />
ein Privatdetektiv engagiert. In unserem<br />
Film bespitzelt dieser auch den Anwalt und<br />
versucht, ihn fertig zu machen und seine Ehe<br />
zu zerstören. Da sagte das Gericht: Da gehen<br />
wir zu weit, da gibt es keine Entsprechung in<br />
der historischen Realität. Deshalb musste ich<br />
da etwas ändern.<br />
Das heißt, die anfängliche Kritik an der<br />
Darstellung der Anwaltsfamilie ist vom<br />
Tisch?<br />
Das Oberlandesgericht hat Schulte-Hillen in<br />
keinem Punkt Recht gegeben.
34 34 | | <strong>Contergan</strong><br />
Was wurde neu gedreht?<br />
In der ursprünglichen Version konnte man als<br />
Zuschauer den Eindruck gewinnen, der Detek-<br />
tiv Karges handele mit Wissen und Billigung<br />
der Geschäftsführung der Pharmafirma. Dieser<br />
Eindruck ist jetzt ausgeschlossen. Ansonsten<br />
ist der Film so geblieben, wie ich ihn gedreht<br />
habe und wie er seit dem Frühjahr 2006 fertig<br />
vorliegt.<br />
Dass es ein derart lebendiger und mit-<br />
reißender Film geworden ist, liegt nicht<br />
zuletzt am Ensemble …<br />
Ich hatte bei diesem Film das Glück, wirklich<br />
genau die Darsteller zu bekommen, die ich mir<br />
gewünscht habe, und ich bin dem Produzenten<br />
Michael Souvignier sehr dankbar für seine<br />
tatkräftige Unterstützung bei der schwierigen<br />
Arbeit an dieser perfekten Besetzung. Die Zu-<br />
sammenarbeit mit ZEITSPRUNG war in jeder<br />
Beziehung hervorragend. Und was die Firma<br />
nicht zuletzt im juristischen Kampf um den<br />
Film geleistet hat, verdient größten Respekt.<br />
Außerdem habe ich das Gefühl, heute endlich<br />
als Regisseur alt und erfahren genug zu sein,<br />
die Schauspieler so führen zu können, dass ich<br />
von ihnen genau das bekomme, was ich für<br />
die Geschichte brauche.<br />
Es ist gerade Ihre plastische Figurenzeich-<br />
nung, die diesen Film zu mehr macht als<br />
einem historischen Eventfilm. Man würde<br />
sich auch ohne das Thema <strong>Contergan</strong> dafür<br />
interessieren, wie es dieser Familie mit<br />
ihrem behinderten Kind ergeht.<br />
Ich bin stolz darauf, keinen dieser gängigen,<br />
spekulativen Event-Zweiteiler gemacht zu<br />
haben, in denen – egal ob Brandbomben<br />
fallen, die Flut rollt oder Rosinenbomber nach<br />
Berlin fliegen – ein spektakulärer historischer<br />
Hintergrund für eine seichte Dreiecks-Liebes-<br />
geschichte verwurstet wird. So etwas wollten<br />
wir auf keinen Fall. Mein Anliegen war, dieses<br />
schreckliche von Menschen gemachte, von<br />
Menschen verschuldete Unglück wieder ins<br />
Bewusstsein zu heben. Ich habe selbst als<br />
Heranwachsender <strong>Contergan</strong>-Kinder auf der<br />
Straße gesehen und musste lernen, damit<br />
umzugehen. Und ich habe mich im Nachhinein<br />
sehr geschämt dafür, wie ich – beeinflusst<br />
durch die Gesellschaft – auch selbst dachte,<br />
das sei kein schöner Anblick. Behinderte<br />
wurden damals stigmatisiert, in Heimen<br />
versteckt und weggeschlossen.<br />
Es scheint, als sei auch die Nazizeit noch<br />
präsent gewesen mit ihren schrecklichen<br />
Idealen …<br />
Die waren in den 50er, 60er Jahren nur unter<br />
den Teppich gekehrt, längst nicht aus den<br />
Köpfen verschwunden.<br />
Müssen wir aber nicht heute umgekehrt<br />
sagen, dass sich nach <strong>Contergan</strong> die<br />
Einstellung der Gesellschaft gegenüber<br />
Behinderten positiv verändert hat?<br />
Wir haben riesige Fortschritte gemacht im<br />
Umgang mit behinderten Menschen, den-<br />
noch leben sie in einer Parallelgesellschaft,<br />
sie haben eigene Schulen, eigene Taxidienste,<br />
sind optisch nicht präsent im Straßenbild.<br />
Die Bewegungsfreiheit eines Rollstuhlfahrers<br />
endet allzu häufig vor Barrieren und unüber-<br />
windbaren Hindernissen.<br />
Auch bei dem als Schlaf- und Beruhigungs-<br />
mittel verabreichten Präparat verstand<br />
damals niemand die Wirkung – die Herstel-<br />
ler eingeschlossen. Hat sich auch das Arz-<br />
neimittelrecht durch <strong>Contergan</strong> geändert?<br />
Es gab weder ein brauchbares Arzneimittel-<br />
gesetz, das die industrielle Produktion von<br />
Medikamenten regelte, noch Verbraucher-<br />
schutzbestimmungen, Produkthaftung oder<br />
Ähnliches. Die Gesetzgeber der jungen Bun-<br />
desrepublik hatten einfach noch keine Zeit<br />
dafür gefunden. In den USA war man schon<br />
viel weiter. Als 1960 bei der Food and Drug<br />
Administration eine Zulassung beantragt wur-<br />
de, übergab man den anscheinend einfachen<br />
Fall einer jungen Mitarbeiterin. Francis Oldham<br />
Kelsey stellte fest, dass es keine zufrieden stel-<br />
lende Dokumentationen gab und aus England<br />
Berichte über Nervenschäden bekannt waren.<br />
Das Medikament wurde nicht zugelassen. Ihre<br />
verantwortungsvolle Arbeit bewahrte die USA<br />
vor tausenden von <strong>Contergan</strong> geschädigten<br />
Kindern. 1962 erhielt Kelsey von Präsident John<br />
F. Kennedy den höchsten zivilen Verdienstorden<br />
der USA.
Die kleine Denise, die Darstellerin des<br />
behinderten Kindes, schließt man sofort<br />
ins Herz. Wie haben Sie sie gefunden?<br />
Die ursprüngliche Idee war, die Darstellung<br />
der Behinderung mit Hilfe digitaler Animation<br />
zu lösen, etwa bei einem nicht behinderten<br />
Kind die Arme wegzuretuschieren. Aber ich<br />
hatte gerade mit Engelchen fl ieg einen Film<br />
mit einem körperlich behinderten Kind in<br />
der Hauptrolle gedreht und wusste, das ist<br />
Quatsch: Für mich war unabdingbare Voraus-<br />
setzung für das Gelingen des Films, ein Kind zu<br />
fi nden, das wirklich ohne Arme lebt und sein<br />
Leben meistert. Fußfertigkeit kann man nicht<br />
mal eben lernen. Man weiß nicht genau, wie<br />
es dazu kommt, aber damals wie heute werden<br />
in Einzelfällen Kinder ohne Arme oder Beine<br />
geboren. So haben wir nach diesen ganz sel-<br />
tenen Fällen gesucht. <strong>Contergan</strong> führte zu<br />
ganz bestimmten Fehlbildungen, und jeder<br />
Mediziner wird sofort sehen, dass Denise kein<br />
wirkliches <strong>Contergan</strong>-Kind ist. Wir suchten<br />
auch nach echten <strong>Contergan</strong>-Kindern, die es ja<br />
auch wieder gibt.<br />
Wie bitte?<br />
Ja, in Brasilien und Kolumbien zum Beispiel<br />
gibt es wieder <strong>Contergan</strong>-Kinder, der Wirkstoff<br />
Thalidomid wird dort gegen Lepra eingesetzt.<br />
Das Problem ist: Wie geht man mit dem Risiko<br />
für die Schwangeren um? Da ist dann vielleicht<br />
ein Beipackzettel, den ein Analphabet nicht<br />
lesen kann. Oder es gibt ein Piktogramm: <strong>Eine</strong><br />
Frau mit durchgestrichenem dicken Bauch.<br />
Vielleicht ein Verhütungsmittel, könnte man<br />
denken! Wir hätten beinahe ein echtes Conter-<br />
gan-Kind aus Kolumbien besetzt, weil es diese<br />
spezielle Schädigung nur bei <strong>Contergan</strong> gibt.<br />
Dann fanden wir aber über einen Arzt dieses<br />
fröhliche, begabte Mädchen in Süddeutsch-<br />
land. Für mich war es ein besonderer Glücks-<br />
fall, weil ich auch mit der Mutter sprechen<br />
konnte. Lange Nachmittage haben wir darüber<br />
geredet, wie es ihr ergangen ist. Ich habe dann<br />
genau so inszeniert, wie sie mir von ihren<br />
Erfahrungen erzählt hat: Zum Beispiel, dass<br />
sie ihr Kind, trotz des Schocks nicht abgelehnt<br />
hat, sondern sofort liebte.<br />
Wird man durch Ihren Film besser verste-<br />
hen lernen, wie es zu dieser Katastrophe<br />
kommen konnte?<br />
Es gibt einen Aspekt, der dieses Thema beson-<br />
ders interessant machte: Wir Menschen glau-<br />
ben ja gerne, uns die Erde untertan machen zu<br />
müssen, wir fühlen uns berufen, Erfi ndungen<br />
zu machen, um unsere Ziele zu erreichen. Bei<br />
<strong>Contergan</strong> wusste niemand, was es eigentlich<br />
war und wie es wirkte. Aber es wirkte: Die<br />
Menschen konnten besser schlafen. Was<br />
aber solche Errungenschaften sonst noch für<br />
Auswirkungen haben, kann man vorher nicht<br />
wissen. Wir sind wie die Zauberlehrlinge, die<br />
Geister rufen, die wir dann nicht mehr los-<br />
werden. Das ist unser Schicksal, nicht nur bei<br />
<strong>Contergan</strong>.<br />
Regisseur<br />
| 3<br />
»Ich hatte bei diesem Film das Glück, wirklich genau die<br />
Darsteller zu bekommen, die ich mir gewünscht habe.«
36 | <strong>Contergan</strong><br />
»Es sind kleine Details, die aber typisch<br />
sind für die Zeit, die ich sehr intensiv<br />
erlebt habe.«<br />
War nicht früher auch die Bereitschaft<br />
größer, einfach mal ein Schlafmittel zu<br />
nehmen?<br />
Allerdings. <strong>Contergan</strong> wurde zudem aggressiv<br />
beworben als erstes und <strong>einzige</strong>s Schlafmittel,<br />
mit dem man sich nicht umbringen kann, egal<br />
wie viele Pillen man nimmt. Es gab <strong>Contergan</strong><br />
ja auch in flüssiger Form, im Volksmund Kino-<br />
saft genannt. Warum? Den Saft gaben Eltern<br />
ihren Kindern, wenn sie abends mal in Ruhe ins<br />
Kino gehen wollten. <strong>Contergan</strong> war rezeptfrei,<br />
was sollte es schaden? Die 50er Jahre waren<br />
geprägt von einem heute nicht mehr vorstell-<br />
baren naiven Fortschrittsglauben. Ich habe<br />
damals Reader’s Digest Hefte verschlungen,<br />
sie waren voller Zukunftsfantasien, alles<br />
schien machbar. Diese Gläubigkeit hat dann<br />
durch den größten Arzneimittelskandal im<br />
Nachkriegsdeutschland allerdings einen<br />
Dämpfer bekommen.<br />
Im Filmbereich aber glauben Sie offen-<br />
sichtlich an den Fortschritt, sonst hätten<br />
Sie nicht so oft etwas Neues ausprobiert:<br />
Jede Menge Kohle war damals der erste<br />
deutsche Film in Dolby-Ton, hinter Ihnen<br />
sehe ich ein Plakat der Tonmarke THX.<br />
Das ist ein Erinnerungsstück von George Lucas,<br />
das lange in den Ruhrsound-Studios hing, dem<br />
ersten digitalen Filmtonstudio in Deutschland.<br />
Sie sind ein Technik-Fan bis hin zur<br />
kleinsten Taschenlampe …<br />
Ich kann gar nicht verstehen, wie man das<br />
nicht sein sollte, wenn man mit einem technischen<br />
Bildmedium arbeitet. Ich habe ein<br />
präzises Verhältnis zu meinen Werkzeugen.<br />
Wenn ich Maler wäre, hätte ich doch auch<br />
ein Verhältnis zu Farbe und Pinsel und wüsste<br />
genau, wie ich was einsetze.<br />
Bei aller neuen Technik haben Sie den<br />
Film doch sehr klassisch auf Filmmaterial<br />
gedreht und in ruhige Szenen aufgelöst.<br />
David Slama und ich haben beim Drehen gemerkt,<br />
dass die 60er Jahre auch einen anderen<br />
Kamerastil verlangen. Eigentlich wollten wir<br />
den Film dokumentarischer, brüchiger und bewegter<br />
filmen, aber dann haben uns die 60er<br />
Jahre ergriffen.<br />
Authentisch bis zum Kartoffelsalat …<br />
Ja, die Erinnerung an die Zeit hat uns überwältigt.<br />
Ich habe sie ja sehr bewusst erlebt, und<br />
so kamen immer wieder diese Flashbacks:<br />
Da steht einem am Set plötzlich eine Chefsekretärin<br />
gegenüber. Heute gibt es die ja<br />
gar nicht mehr.<br />
Sie meinen einen Typ Mensch, der sich in<br />
den Chef hineinversetzen konnte bis zur<br />
Telepathie.<br />
Genau. Ursprünglich gab es nur eine <strong>einzige</strong><br />
Sekretärin im Buch, die zweite habe ich dazugeschrieben.<br />
Während der Arbeit ertappte<br />
ich mich dabei, dass ich beide nach dem<br />
Vorbild meiner Mutter moduliert habe: <strong>Eine</strong><br />
ist jünger, eine älter, aber beide sind meine<br />
Mutter. Sie war Chefsekretärin in einer großen<br />
Speditionsfirma. Ich habe als Kind oft erlebt,<br />
wie sie für die Herren die Zigarren auf dem<br />
Konferenztisch arrangiert hat. Einmal gab es<br />
eine Weihnachtsfeier mit exakt drapierten<br />
Tannenzweigen. Und dann kam der Weinbrand<br />
dazu, den sie Cognac nannten.<br />
Haben Sie viele dieser Erinnerungen<br />
einbringen können?<br />
Das eigentliche Kunststück ist, es doch nicht<br />
ganz so zu machen, wie es in den Sechzigern<br />
wirklich war.<br />
Das müssen Sie erklären.<br />
Zum Beispiel das Rauchen. In Konferenzen<br />
wurde hemmungslos Kette geraucht. Eins<br />
zu eins im Film dargestellt, geriete so etwas<br />
zur Karikatur.
Gerade aus heutiger Sicht macht man ja<br />
vieles falsch. So stellt man Filme über die<br />
70er Jahre gerne voll schicker Designer-<br />
möbel. Dabei hatte die damals kaum<br />
jemand, sondern man benutzte die Nach-<br />
kriegsware, bis sie kaputt ging.<br />
Die Ausstatterin Ingrid Henn ist da sehr präzi-<br />
se. Solche Fehler würde sie nicht machen. Auch<br />
ihre Kollegin Lucia Faust nicht, die Kostümbild-<br />
nerin. <strong>Der</strong> Anfang mit der Kanzlei-Einweihung<br />
spielt 1960. Die Frauen tragen aber Petticoats,<br />
die fünf Jahre älter sind, weil die Verweildauer<br />
der Gegenstände wesentlich länger war als<br />
heute.<br />
Sie erzählen von einem Kampf David gegen<br />
Goliath. In Ihren Bildern steht der einsame<br />
Anwalt dem mächtigen Grünenthal-Vor-<br />
stand als finsterer Herrenriege gegenüber.<br />
Das kann man so beschreiben. Ich fand es<br />
schon als Jugendlicher spannend zu beobach-<br />
ten, wie Hierarchien sich in Kleidung und<br />
Körpersprache präsentieren. Solche Gruppen<br />
kann man für einen Film nur inszenieren, wenn<br />
man eine Vorstellung von jeder einzelnen Figur<br />
hat und weiß, was sie tut, wie sie reagiert und<br />
sich bewegt.<br />
Sie haben viel Persönliches in die<br />
Geschichte eingearbeitet.<br />
Es sind kleine Details, die aber typisch sind<br />
für die Zeit, die ich sehr intensiv erlebt habe.<br />
Zum Beispiel meine Lieblingsstelle: Wenn<br />
die Wegeners nach der Geburt des Kindes<br />
zu Hause sind und Hanne Paul auffordert, er<br />
solle doch essen, was sie ihm da so aus lauter<br />
Verzweiflung zubereitet hat. Sie zählt alles auf:<br />
Ich hab dir Brot aufgeschnitten, streichzarte<br />
gute Butter, Dauerwurst, Schinken, Käse, Gürk-<br />
chen … Sie redet und redet und zeigt, was sie<br />
sagt, alles ist doppelt.<br />
Die Sprache, die sie wählen, vermittelt viel<br />
von dieser anderen Zeit …<br />
Genau. Butter war eben damals nicht einfach<br />
Butter, sondern gute Butter. Im Gegensatz zur<br />
Tafelbutter. Denn das war Margarine. So ging<br />
es mir mit jedem Requisit. Da kam der Requisi-<br />
teur mit einem Adventskranz, und ich spürte<br />
sofort, dass irgend etwas falsch war daran.<br />
Die Kerzen waren zu dick. Früher waren die<br />
dünner. Die musste er besorgen. Und das war<br />
schwer, weil Adventskranzkerzen heute eben<br />
dicker sind. Die Schlipsknoten habe ich allen<br />
Schauspielern selbst gebunden. Oder wie man<br />
damals den Kragen halb hochstellte: Diese<br />
Details ergeben am Ende ein Gesamtbild, das<br />
einen wirklich in die Zeit hineinversetzt. Und<br />
so haben wir eben auch intuitiv angefangen,<br />
die Kamera genau so zu bewegen, wie man es<br />
damals gemacht hätte.<br />
Wie kamen Sie zum Beispiel an die<br />
originalen <strong>Tablette</strong>nröllchen?<br />
Nicht wenige <strong>Contergan</strong>-Geschädigte haben<br />
alles aufgehoben, auch die echten <strong>Tablette</strong>n.<br />
Wie viele Menschen sind insgesamt<br />
betroffen?<br />
Weltweit wurden mehr als 10000 Menschen<br />
betroffen. In Deutschland leben heute noch<br />
etwa 2800 <strong>Contergan</strong>-Geschädigte. Mit<br />
550 Euro Rente, maximal. Und diese Rente<br />
zahlt nicht der Verursacher, sondern der Steu-<br />
erzahler. Die Eltern der <strong>Contergan</strong>-Kinder ha-<br />
ben in einer extremen Notsituation auf alle<br />
Rechte verzichtet, um Entschädigungszah-<br />
lungen zu erhalten. Jetzt aber kommen die<br />
Spätfolgen. Wenn man sein Leben lang mit<br />
den Füßen isst, hat das Auswirkungen auf die<br />
Wirbelsäule. Es gibt Spätschäden in mannig-<br />
faltiger Art, viele Betroffene haben täglich<br />
Schmerzen und<br />
brauchen kostspielige medizinische Hilfe. Vor<br />
möglichen Nachforderungen hat Grünenthal<br />
heute natürlich besondere Angst. Wenn jetzt<br />
eine breite Öffentlichkeit erfährt, was damals<br />
los war, könnte die Forderung laut werden,<br />
alles wieder aufzurollen.<br />
Regisseur<br />
| 37
3 | <strong>Contergan</strong><br />
»Es sind die Gefühle, vor denen sich<br />
Grünenthal fürchtet«<br />
Ein Gespräch mit dem Produzenten Michael Souvignier<br />
Wenn ein Film fertig ist, möchte ein Produzent<br />
ihn meist so schnell wie möglich der<br />
Öffentlichkeit zeigen. Mussten Sie sich<br />
schon einmal so lange gedulden?<br />
In meiner bisherigen Produzententätigkeit<br />
hat ein Film nie so lange gelegen, und das<br />
Besondere an dieser Situation ist: Jedes Mal,<br />
wenn ich mir »<strong>Contergan</strong>« ansehe, und das<br />
mache ich oft, habe ich ein Déjà-vu. Ich fühle<br />
mich geradezu in die Umstände der Zeit hineingezogen.<br />
Grünenthal arbeitet wie damals<br />
mit falschen Behauptungen und der schieren<br />
Macht von Anwälten. Wir werden mit Papier<br />
zugeschüttet und müssen immer wieder Zeit<br />
und Geld investieren, um auch auf die dümmsten<br />
Vorwürfe zu reagieren. Das alles geschieht<br />
bei einem Film, der in meinem Leben einen<br />
ganz großen Stellenwert einnimmt. Bis zum<br />
heutigen Tage laufen 23 gerichtliche Verfahren.<br />
Ich überlege einen weiteren Film zu<br />
diesem Thema zu produzieren – dann aber<br />
als internationale Großproduktion. Denn wir<br />
erleben auch aus dem Ausland einen großen<br />
Zuspruch zum »<strong>Contergan</strong>«-Film.<br />
Wie haben Sie die langwierige juristische<br />
Auseinandersetzung erlebt?<br />
Ich bin sicher: Die juristischen Auseinandersetzungen<br />
sind noch nicht vorbei. Jetzt freuen<br />
wir uns aber erst einmal auf den Film und die<br />
Resonanz der Zuschauer. Mit diesem Rückenwind<br />
stehen wir auch die nächsten möglichen<br />
<strong>Prozess</strong>e gestärkt durch.<br />
Warum findet der Konzern eigentlich<br />
einen künstlerischen und unterhaltenden<br />
Spielfilm so viel gefährlicher als zum Beispiel<br />
einen Zeitungsartikel oder ein Buch?<br />
<strong>Der</strong> <strong>Contergan</strong>-Skandal ist unvergessen, weil<br />
die Geschädigten noch immer unter uns sind.<br />
Sie sind das Symbol dieses Skandals, der durch<br />
unseren Film emotionalisiert wird. Es hat einige<br />
Dokumentationen und Bücher zum Thema<br />
gegeben, doch die haben Grünenthal aufgrund<br />
geringer Nachfrage nicht weiter gestört. Die<br />
Fakten – die bei uns ja auch konsequent eingehalten<br />
werden – sind nicht das Problem. Es<br />
sind die Gefühle, vor denen sich Grünenthal<br />
und Schulte-Hillen fürchten.<br />
Sie haben schon eine Reihe von so genannten<br />
Eventfilmen produziert, unter<br />
anderem den Erfolg Das Wunder von<br />
Lengede. Welchen Stellenwert hat für<br />
Sie persönlich der Film »<strong>Contergan</strong>«?<br />
Es ist nicht nur ein wichtiger Film, sondern<br />
etwas ganz Besonderes. Man ist als Produzent<br />
ja immer der, der zeugt, und der Regisseur ist<br />
dann der, der das Baby auf die Welt bringt.<br />
Wir hätten den Film auch sehr voyeuristisch<br />
machen können, indem man mit der Kamera<br />
draufhält und die Emotionen der Menschen<br />
zur Schau stellt. Wir haben einen distanzierten<br />
Film gemacht, mit dem sich der Zuschauer<br />
selbst ein Bild machen kann. Und das mit<br />
einem hervorragenden Ergebnis, wie ich finde.<br />
Das hochkarätige Schauspieler-Ensemble hat<br />
sich gegenseitig befördert. Insbesondere das<br />
Paar Benjamin Sadler und Katharina Wackernagel<br />
hat eine Intensität zustande gebracht,<br />
die mehr als überzeugend ist. Ich kann nur<br />
sagen, ich bin richtig stolz auf diesen Film.<br />
Wollten Sie mit Ihrer Arbeit den<br />
Opfern ein Denkmal setzen?<br />
Ganz bestimmt. Bei der Recherche sind wir<br />
auf erstaunliche Dinge gestoßen. In der Nähe<br />
unseres Kölner Büros gab es zum Beispiel eine<br />
der wenigen Schulen, die <strong>Contergan</strong>-Geschädigte<br />
nicht ausgegrenzt hat. Wir alle sehen<br />
<strong>Contergan</strong>-Geschädigte immer wieder und fragen<br />
uns: Wie war das denn damals eigentlich?<br />
<strong>Der</strong> Film stellt dieselbe Frage: Wie konnte das<br />
damals geschehen? Inzwischen haben sich ja<br />
– durch den <strong>Contergan</strong>-Fall – die Arzneimittelgesetze<br />
geändert. Aber was damals, als die
»<strong>Der</strong> Film wird in Erinnerung bleiben<br />
sowie auch das Thema <strong>Contergan</strong>.«<br />
Verantwortlichen nicht schuldig gesprochen<br />
wurden, den Geschädigten angetan wurde,<br />
kann man noch immer kaum fassen. Das<br />
Thema <strong>Contergan</strong> darf nicht in Vergessenheit<br />
geraten.<br />
Die Arbeit als Produzent kann auch anders<br />
aussehen: Man hat zum Beispiel ein gutes<br />
Drehbuch, dann gibt es Probleme und man<br />
entfernt sich immer mehr vom schönen<br />
Traum. Hier dagegen scheinen sich die<br />
Erwartungen selbst übertroffen zu haben.<br />
Das stimmt: Film ist eine sehr komplexe Ange-<br />
legenheit. Es ist, als würden Sie ein Haus bau-<br />
en, angefangen mit dem alles entscheidenden<br />
Drehbuch. Dann müssen aber die Worte vom<br />
Regisseur interpretiert und von den Schauspie-<br />
lern mit Performance gefüllt werden. Das ist<br />
hier über alle Maßen gut gelungen. Und es<br />
ist in der Tat noch besser geworden, als ich<br />
es erwartet habe. Diese Tiefe, diese Ausdrucks-<br />
kraft, diese Intensität – das ist ganz selten zu<br />
erreichen, gerade auch, wenn man ein schwie-<br />
riges Thema vermittelt, das ja auf viele Worte<br />
angewiesen ist, um komplexe Sachverhalte zu<br />
erläutern.<br />
Wenn man einen historischen Film<br />
dreht, kann man meist mit imposanten<br />
Schauplätzen und Effekten arbeiten.<br />
Hier ist der Spielort der unscheinbare<br />
Alltag einer Familie. Wie gelingt es, ein<br />
Filmteam dafür derart zu sensibilisieren?<br />
Wir haben die Schauspieler mit einem gewal-<br />
tigen Informationspaket versorgt: mit histo-<br />
rischem Material und mit einem extra von uns<br />
aus verschiedenen Fernsehdokumentationen<br />
zusammengeschnittenen Trailer. Für einen<br />
Schauspieler ist das historische Motiv immer<br />
ein besonderer Rückhalt. Seine Frisur wird<br />
zurückgeschnitten, er trägt Hosen, von denen<br />
man heute sagen würde, sie haben Hochwas-<br />
ser, er geht in die Kulisse, die bis ins letzte De-<br />
tail zeitgetreu ist. Und wir hatten den Vorteil,<br />
den Film fast chronologisch und ohne Pause<br />
drehen zu können. Dadurch wurde eine immer<br />
größere Intensität erzeugt, die sich auf dem<br />
Bildschirm auch genauso vermittelt. Ent-<br />
scheidend ist natürlich auch die wunderbare<br />
Zusammenarbeit von Regie, Kamera, Szenen-<br />
bild sowie dem ganzen Team. Mir hat ein Film<br />
selten so viel Freude bereitet – klammern wir<br />
dabei die gerichtliche Auseinandersetzung<br />
einmal aus.<br />
Verlässt man ein so großes, schließlich<br />
noch durch den Rechtsstreit gefährdetes<br />
Projekt eigentlich müde oder gestärkt?<br />
Für mich und unsere Firma war und ist die<br />
lange gerichtliche Auseinandersetzung mit<br />
Grünenthal und Schulte-Hillen und die mir<br />
manchmal endlos erscheinenden Verfahren<br />
ein schwerer Kampf, der uns viel Energie, Zeit<br />
und Geld kostet. Aber am Ende des Tages bin<br />
ich sehr gestärkt und voller Tatendrang, solche<br />
Themen weiter zu verfolgen. Ich bin sicher: <strong>Der</strong><br />
Zuschauer wird unseren Film annehmen. <strong>Der</strong><br />
Film wird in Erinnerung bleiben sowie auch das<br />
Thema <strong>Contergan</strong>. Die Opfer werden nicht ver-<br />
gessen. Allein dafür hat sich die ganze Arbeit<br />
gelohnt.<br />
Was wird Ihre bleibende Erinnerung<br />
an diesen Film sein?<br />
Stellen Sie sich die Absurdität vor, dass man<br />
vor einem Landgericht über einen Film streitet<br />
und nur über das Drehbuch diskutiert, obwohl<br />
der Film fertig vorliegt. Ich bin froh, dass der<br />
Film jetzt in die Öffentlichkeit kommt und der<br />
Zuschauer sich endlich selbst ein Bild machen<br />
kann.<br />
Haben Sie schon ein neues Projekt,<br />
über das man sprechen kann?<br />
Ich beschäftige mich im Moment intensiv mit<br />
Trisomie-21-geschädigten Kindern – man nannte<br />
sie früher mongoloid – und autistischen Kin-<br />
dern. Das Thema Behinderung muss man noch<br />
viel mehr intensivieren, um der Ausgrenzung<br />
entgegenzuwirken. Da macht es auf jeden Fall<br />
Sinn, den Fokus auf Menschen zu richten, die es<br />
nicht einfach haben im Leben.<br />
Produzent<br />
| 3
40 | <strong>Contergan</strong><br />
»Es geht nicht um einzelne Schuldige. Es geht um<br />
ein Menschenbild, das sich schuldig gemacht hat.«<br />
Ein Gespräch mit dem Drehbuchautor Benedikt Röskau<br />
Benedikt Röskau, Jahrgang 1961, ist seit 20 Jahren<br />
Drehbuchautor. Nach dem Studium der Germanistik,<br />
Philosophie und Theaterwissenschaft in München<br />
sammelte er zunächst praktische Filmerfahrungen<br />
als Tontechniker bei Spiel-, Dokumentar- und Werbefilmen<br />
und inszenierte eigene Kurzfilme. Inzwischen<br />
wurden mehr als 30 seiner Drehbücher für Fernsehen<br />
und Kino realisiert.<br />
Als Autor war Röskau an zahlreichen Fernseh-<br />
serien beteiligt, darunter Im Namen des Gesetzes,<br />
<strong>Der</strong> Fahnder und SK-Babies. Nach seinen Drehbüchern<br />
entstanden mehrere TV-Movies: <strong>Der</strong> Feuerteufel<br />
– Flammen des Todes (1999, mit Heino Ferch), eine<br />
Story um einen Brandstifter, der Wien in Atem hält;<br />
Das Tattoo – Tödliche Zeichen (2000), ein Action-<br />
Thriller, in dem neben Katja Weizenböck und Tobias<br />
Moretti auch Benjamin Sadler mitwirkte; Jagd auf<br />
den Flammenmann (2003), ein Psycho-Thriller um<br />
Herr Röskau, wie kamen Sie auf die<br />
Idee zum Film?<br />
Ich selbst bin aus der <strong>Contergan</strong>-Generation,<br />
Jahrgang 1961 – ich hätte also durchaus betrof-<br />
fen sein können. Auch meiner Mutter war das<br />
Medikament angeboten worden. Schon Ende<br />
der 90er habe ich mich zum ersten Mal mit<br />
diesem Thema beschäftigt. Die Anregung, es<br />
dann in ein Drehbuch umzusetzen, kam von<br />
der Produktionsfirma Zeitsprung, für die ich<br />
auch das Buch zum Wunder von Lengede ge-<br />
schrieben habe.<br />
Wenn Sie sagen, auch Ihre Mutter hätte<br />
<strong>Contergan</strong> nehmen können, kann man<br />
sich ja fragen: Wie viele Menschen denken<br />
noch heute mit Beklemmung an diese Zeit<br />
– auch wenn Ihnen selbst nichts passiert ist?<br />
In der Tat, als ich meiner Mutter von dem<br />
Projekt erzählte, blieb sie während unseres<br />
Spaziergangs stehen und sagte, dass sie noch<br />
heute mulmige Gefühle hat, wenn sie daran<br />
zurückdenkt.<br />
einen Serienkiller mit Christoph Waltz und Lisa<br />
Martinek. Und schließlich Röskaus bislang größter TV-<br />
Erfolg: der Zweiteiler Das Wunder von Lengede, 2003<br />
eines der am meisten beachteten Fernsehereignisse<br />
und ausgezeichnet mit dem Grimme Preis.<br />
Danach arbeitete Benedikt Röskau an mehreren<br />
Projekten. Parallel zum Zweiteiler über den <strong>Contergan</strong>-Fall<br />
liefen die Dreharbeiten zur historischen<br />
Filmbiografie Mozart in München (2005). Fürs Kino<br />
schrieb er nach dem Krimi Tödlicher Umweg (2004)<br />
noch den historischen Bergfilm Nordwand. Philipp<br />
Stölzl verfilmte das packende Actiondrama mit Benno<br />
Führmann und Florian Lukas; Kinostart ist noch für<br />
2007 geplant. Zur Zeit schreibt er ein Drehbuch über<br />
das Leben von Romy Schneider.<br />
Benedikt Röskau war von 1997 bis 2007 im Vorstand<br />
des Verbandes Deutscher Drehbuchautoren.<br />
Anders als bei vielen so genannten Event-<br />
filmen illustrieren Sie nicht einfach ein<br />
historisches Ereignis mit einer Geschichte.<br />
Das Familiendrama würde auch ohne die-<br />
sen Hintergrund berühren.<br />
Das ist der Kern meiner Arbeit, dass die<br />
Geschichte zeitlos erzählt werden soll. <strong>Der</strong><br />
Konflikt, dass Menschen Fehler machen und<br />
andere die Konsequenzen daraus tragen<br />
müssen, wird uns immer beschäftigen. Die<br />
<strong>Contergan</strong>-Katastrophe ist mit vielen anderen<br />
industriellen Katastrophen vergleichbar, bei<br />
denen am Ende keiner der Schuldige gewesen<br />
sein wollte. Wie etwa beim ICE-Unglück in<br />
Eschede: Es gab auch einen großen <strong>Prozess</strong>,<br />
und dann ist die Schuld zwischen Abteilungs-<br />
leiter und Monteur hin- und hergeschoben<br />
worden – bis alle freigesprochen wurden.
Dennoch schreiben sich Drehbücher<br />
einfacher, wenn es einen einzelnen<br />
Schuldigen gibt – etwa im Krimi-Genre.<br />
Sind Sie nicht einen sehr schwierigen<br />
Weg gegangen?<br />
Das Problem, dass es keinen Schuldspruch<br />
gibt, war mir von Anfang an klar. Es sollte das<br />
Thema des Films sein: der Versuch, Schuld zu<br />
definieren. Ständig wird darüber gesprochen.<br />
Je mehr die Verursacher Schuld ablehnen, des-<br />
to drückender erscheint sie. Als nun gegen un-<br />
seren Film geklagt wurde, haben die Kläger am<br />
wütendsten dagegen gekämpft, dass dieser<br />
Film klarmacht, dass es Schuld gibt. Allerdings<br />
haben wir keine individuelle Schuldzuweisung<br />
vorgenommen. Das konnte ich gar nicht. Es<br />
geht vielmehr um ein bestimmtes Menschen-<br />
bild, eine Haltung, die Schuld auf sich geladen<br />
hat. Sehr ähnlich, wie sich Menschen in der<br />
deutschen Geschichte vor 60 Jahren schuldig<br />
gemacht haben.<br />
Nach dem Krieg hätten viele auch lieber<br />
gesagt: Hitler ist es allein gewesen.<br />
Genau. Die Herausforderung bestand darin,<br />
einen schuldhaften Zusammenhang zu be-<br />
schreiben, den man nicht individualisieren<br />
kann. Diese Gefahr liegt ganz allgemein in<br />
industriellen Produktionsprozessen. Etwa<br />
bei der Gentechnologie: Wer ist schuld, wenn<br />
etwas schiefgeht?<br />
Dann ist Ihr Film auch eine Mahnung<br />
für heutige Verhältnisse?<br />
Die Vorsicht müsste im selben Maße steigen,<br />
wie unsere Industriegesellschaft komplexer<br />
wird. Aber das tut sie nicht. Auch in der Kern-<br />
technologie ist das zu sehen. Nirgends ist die<br />
Gefahr absoluter.<br />
Nun sind bei einem gelungenen Film<br />
immer ganz viele Leute »schuld« …<br />
Die Zusammenarbeit bei diesem Film war<br />
einzigartig. Das ist wohl mein dreißigstes ver-<br />
filmtes Drehbuch, aber eine so konstruktive,<br />
enge und respektvolle Zusammenarbeit habe<br />
ich noch nie erlebt. Das ist etwas, was man<br />
im fertigen Film immer spürt.<br />
Aber mussten Sie nicht doch noch um Ihr<br />
Werk fürchten, als Grünenthal gegen den<br />
Film klagte?<br />
Interessanterweise waren wir alle sehr sicher<br />
und gelassen, dass es gut ausgehen würde.<br />
Woher nehmen Sie als Autor eigentlich<br />
die Inspiration?<br />
Meine konkrete Inspiration habe ich bei die-<br />
sem Film aus den Familien im Bekanntenkreis<br />
oder der eigenen Kindheit gezogen. Die meis-<br />
ten meiner Spielfilme haben mit Familie zu<br />
tun. Wenn alle anderen Institutionen versa-<br />
gen, ist die Familie die <strong>einzige</strong>, die noch funkti-<br />
oniert und einen auffängt. Im »<strong>Contergan</strong>«-<br />
Film wird das besonders deutlich. <strong>Der</strong> Anwalt<br />
Paul Wegener sagt ja: Am Ende wird der Fall<br />
bei uns auf dem Küchentisch landen. Wir wer-<br />
den uns streiten und nicht die da draußen. In<br />
juristischen Konflikten gibt es immer einen<br />
Moment, in dem es persönlich wird. Aber das<br />
hat auch sein Gutes: Wenn die Gegenseite per-<br />
sönlich wird, weiß man, dass man gute Karten<br />
hat …<br />
Drehbuch<br />
| 41<br />
»Wenn alle anderen Institutionen versagen, ist die Familie<br />
die <strong>einzige</strong>, die noch funktioniert und einen auffängt.«
42 | <strong>Contergan</strong><br />
»Die Dramatik einer Geschichte entwickelt<br />
sich in den Räumen, die man beleuchtet«<br />
Ein Gespräch mit dem Kameramann David Slama<br />
<strong>Der</strong> 1946 in Prag geborene David Slama zählt heute<br />
zu den bedeutendsten Kameramännern des deutschsprachigen<br />
Films. 1968 kam er nach Berlin, wo er unter<br />
Peter Stein und Michael Ballhaus an der Deutschen<br />
Filmakademie studierte. Später holte ihn Ballhaus,<br />
mit dem Slama eine enge Freudschaft verbindet, in<br />
sein Kamerateam bei Hollywood-Produktionen wie<br />
Die letzte Versuchung Christi und Gangs of New York.<br />
1973 übernahm er die Kamera bei Wolf Gremms frühem<br />
Spielfilm Ich dachte ich wär tot. 1978 begann mit<br />
dem Ruhrpott-Roadmovie Die Abfahrer seine langjährige<br />
Zusammenarbeit mit dem Regisseur Adolf<br />
Winkelmann. Dem Überraschungserfolg folgte 1981<br />
das bei Publikum und Kritik gleichermaßen beliebte<br />
Porträt eines erfindungsreichen Aussteigers in Jede<br />
Menge Kohle: Für seine ungewöhnliche CinemaScope-<br />
Fotografie erhielt Slama 1981 den Bundesfilmpreis.<br />
Für ein weiteres Projekt mit Winkelmann, den TV-<br />
Thriller <strong>Der</strong> letzte Kurier (1996), erhält er 1997 den<br />
Grimme Preis in Gold und den Deutschen Kamerapreis<br />
(Lobende Erwähnung). <strong>Eine</strong> Rückkehr zum großen<br />
Kino markiert die 18-Millionen-Euro-Produktion<br />
<strong>Der</strong> Herr der Diebe (Regie: Richard Claus), die 2006<br />
erfolgreich gestartet wird. Auch der österreichische<br />
Horrorfilm In drei Tagen bist du tot (2006, Regie:<br />
Andreas Prochaska) fand ein großes Publikum. Mit<br />
Prochaska komplettierte David Slama gerade die<br />
Mini-Serie Zodiak. Im Juni 2007 wurde David Slama<br />
in Köln mit dem Deutschen Kamerapreis für sein<br />
Lebenswerk geehrt.<br />
»Wenn man einen Film dreht, der in<br />
vergangenen Jahrhunderten spielt, ist<br />
es schön, wenn der Zuschauer hinterher<br />
denkt: Was, die hatten schon damals<br />
Kameras dabei?«<br />
Herr Slama, wie all Ihre Filme mit Adolf<br />
Winkelmann wurde auch »<strong>Contergan</strong>«<br />
minutiös vorbereitet. Trotzdem fanden<br />
Sie während der Arbeit zu einem ganz<br />
anderen Stil …<br />
Zuerst wollten wir einen Weg finden, das<br />
umfangreiche Archivmaterial über den Fall,<br />
das der WDR besitzt, zu verwenden – unter<br />
anderem mit Fritz Pleitgen als Gerichtsrepor-<br />
ter. Da war die Idee, wie bei Oliver Stone in<br />
seinen Filmen Natural Born Killers oder JFK das<br />
Material zu mischen – also unsere Geschichte<br />
mit der Vergangenheit zu verweben. Zusätz-<br />
lich engagierten wir eine weitere Kamerafrau,<br />
eine unserer besten Studentinnen an der Fach-<br />
hochschule Dortmund, die neben meinen<br />
16mm-Aufnahmen noch in hoch auflösendem<br />
Video drehte. Die Idee war, fließende Über-<br />
gänge zwischen altem und neuem Material<br />
zu schaffen. Aber als wir dann anfingen zu<br />
drehen, sahen wir, dass die historische Zeit da-<br />
gegen etwas Steifes an sich hatte. Diese Zeit<br />
verlangte nach Bildern, die nicht so mobil sind,<br />
wie man uns so kennt. Das merkten wir von<br />
Tag zu Tag beim Drehen. Von den Videoauf-<br />
nahmen wurde dann schließlich nichts mehr<br />
verwendet.<br />
Dann gehört zu einem guten Kamera-<br />
konzept auch die Freiheit, auf Neues zu<br />
reagieren?<br />
Ja, bei unserem gemeinsamen Film <strong>Der</strong> letzte<br />
Kurier war das übrigens ähnlich: Wir hatten<br />
uns lange vorbereitet – und sahen dann in<br />
einem Museum die Parole des Künstlers Joan<br />
Miró: »Je größer die Freizügigkeit desto groß-<br />
artiger das Kunstwerk«. So haben wir dann<br />
unser strenges Konzept etwas aufgebrochen.
Historische Filme fotografi ert man nicht<br />
alle Tage. Lag darin ein besonderer Reiz?<br />
Mich interessiert zuerst immer die Geschichte.<br />
Aber in historischen Filmen liegt wirklich ein<br />
Reiz. Für den Film <strong>Der</strong> letzte Kurier hatte ich<br />
mir damals Tarkowskijs Andrej Rubljow zum<br />
Vorbild genommen, der fast dokumentarisch<br />
wirkt: Wenn man einen Film dreht, der in ver-<br />
gangenen Jahrhunderten spielt, ist es schön,<br />
wenn der Zuschauer hinterher denkt: Was, die<br />
hatten schon damals Kameras dabei? Das reizt<br />
mich total.<br />
Waren die detaillierten Bauten, die<br />
für »<strong>Contergan</strong>« entstanden, auch eine<br />
Herausforderung?<br />
Die Filmarchitektin Ingrid Henn ist ein ganz<br />
leidenschaftlicher Mensch, der sich wirklich<br />
begeistert für die Architektur. Für mich war<br />
das immer wichtig, aber ich stoße selten auf<br />
Menschen, denen es genauso geht. Für mich<br />
gibt es nichts Schöneres, als gute Geschichten,<br />
tolle Schauspieler und adäquate Filmarchitek-<br />
tur zu fotografi eren. Die Dramatik einer Ge-<br />
schichte entwickelt sich ja erst in den Räumen,<br />
die man beleuchtet. In den USA weiß man bes-<br />
ser als in Deutschland, dass die Filmarchitektur<br />
genauso wichtig ist wie die Kamera oder die<br />
Schauspieler.<br />
Zusätzlich haben Sie den Lichtdesigner<br />
Voxi Bärenklau hinzugezogen.<br />
Voxi Bärenklau ist ein Künstler. Das weiß ich,<br />
seit er 1990 bei mir Praktikant war. Inzwischen<br />
hat er für Christoph Schlingensief in Bayreuth<br />
beleuchtet und auch bei der Second Unit von<br />
Scorseses Gangs of New York.<br />
Ihre Arbeit ist sehr diskret, Sie treten<br />
niemandem zu nahe. Was ist denn Ihre<br />
Ansicht zur hautnahen Handkamerafüh-<br />
rung der Dogma-Filme?<br />
Die frühen Dogmafi lme wie Das Fest und<br />
Mifune haben mich auch sehr interessiert.<br />
Ich fi nde immer gut, wenn man sich Gedanken<br />
macht und versucht, Bilder neu zu erfi nden.<br />
Neulich, als Antonioni starb, habe ich Blow<br />
Up wieder gesehen. Diese völlig neuartige<br />
Cadrage hat mich damals sehr inspiriert. Oder<br />
gerade sah ich David Finchers Film Zodiac,<br />
der mich sehr begeistert hat. Jedes Bild ist<br />
ein Rätsel.<br />
Sie verlieren Ihre Neugier wohl nie?<br />
Schon vor dreißig Jahren haben Winkelmann<br />
und ich uns mit Wahrnehmung beschäftigt:<br />
Was bekommt der Zuschauer überhaupt mit?<br />
So wollten wir mit unseren Bildern von Anfang<br />
an auch Rätsel aufgeben. Man kann ja immer<br />
nur einen <strong>Teil</strong> der Wirklichkeit zeigen. Das war<br />
uns sehr bewusst, dann sagten wir: Zeigen wir<br />
das, dann kann sich der Zuschauer den Rest<br />
denken.<br />
Sie haben im Juni 2007 in Köln den<br />
Deutschen Kamerapreis für Ihr Lebenswerk<br />
erhalten …<br />
Das war eine wirklich schöne Feier. Und es ist<br />
immer gut, wenn man ein wenig Aufmerksam-<br />
keit für seine Arbeit bekommt.<br />
Kamera<br />
| 43
44 | <strong>Contergan</strong><br />
»Wir wollten keine falsche Patina.«<br />
Ein Gespräch mit der Szenenbildnerin Ingrid Henn<br />
Die Kölnerin Ingrid Henn gehört spätestens seit ihrer<br />
suggestiven Ausstattung von Hans-Christian Schmids<br />
Reality-Thriller 23 (1998) zu den angesehendsten Szenenbildnerinnen<br />
des jüngeren deutschen Films. Begonnen<br />
hatte sie als Setdresserin für Helmut Dietls<br />
Komödie Schtonk (1992). Für die Daily Soap Unter Uns<br />
entwarf sie Konzept und die ersten Folgen, bevor sie<br />
für das Fernsehen unter anderem Michael Gutmanns<br />
Grimme-Preis-gekröntes Jugenddrama Nur für eine<br />
Nacht (1997) ausstattete. Im Kino folgten die erfolgreichen<br />
Teenager-Komödien Schule (2000) und Mäd-<br />
chen, Mädchen (2001). Hohe Ansprüche stellten unter<br />
anderem Hans-Christian Schmids Literaturverfilmung<br />
Crazy, Stefan Ruzowitzkys Horror-Hit Anatomie (beide<br />
2000) und die erfolgreiche Neuverfilmung von Das<br />
fliegende Klassenzimmer (2003, Regie: Tomy Wigand)<br />
sowie im selben Jahr Verschwende Deine Jugend (Regie:<br />
Benjamin Quabeck). Auf der großen Leinwand<br />
konnte man Ingrid Henns Vielseitigkeit zuletzt in<br />
Oskar Roehlers viel beachteter Gesellschaftssatire<br />
Elementarteilchen (2006) bewundern.<br />
»Wir haben, kurz bevor die Abrissbirne kam,<br />
Materialien aus den Häusern dort ausgebaut.«<br />
Frau Henn, der »<strong>Contergan</strong>«-Film entstand<br />
komplett in Ihren Studiokulissen. Wie<br />
baut man heute eine Wohnung aus der<br />
Zeit um 1960?<br />
Wir haben uns eines ganz schlichten Tricks<br />
bedient. Es gibt im Kölner Umland Braunkohle-<br />
gruben, denen ganze Dörfer zum Opfer fallen.<br />
Wir haben, kurz bevor die Abrissbirne kam,<br />
Materialien aus den Häusern dort ausgebaut.<br />
Ich habe in meinen Entwürfen Platzhalter<br />
gelassen und dann nach passenden Original-<br />
teilen gesucht. Die mussten natürlich aufgear-<br />
beitet werden, da es sich ja größtenteils um<br />
neue Wohnungen handelte.
Das klingt mühsam. Wie renoviert<br />
man denn die alten <strong>Teil</strong>e, damit sie<br />
wie »nagelneu von 1960« aussehen?<br />
Indem man sie der Zeit entsprechend aufarbei-<br />
tet, grundiert, abschleift, neu lackiert etc. Und<br />
indem man neue alte Tapeten verwendet, die<br />
wir nach langen Recherchen in Deutschland,<br />
Belgien und Holland gefunden haben. Wir<br />
wollten keine falsche Patina.<br />
Vor David Slamas klaren Kamerabildern<br />
kann man wahrscheinlich nicht viel<br />
verstecken?<br />
Nein, der Film ist ja sehr hell, was für die<br />
Kamera immer schwierig ist. Aber die Zeit<br />
des Aufschwungs war ja auch hell. Wir haben<br />
im Studio mit Decken gedreht. Studiobauten<br />
sieht man oft an, dass sie keine Decken haben.<br />
Es liegt auch kein PVC, sondern Linoleum auf<br />
den Böden. Darüber haben wir dann wieder<br />
Teppiche gelegt …<br />
Diese Authentizität hat die Schauspieler<br />
sehr inspiriert. <strong>Der</strong> Kameramann David<br />
Slama hat sogar seinen Kamerastil spontan<br />
angepasst.<br />
Die Zusammenarbeit mit David Slama und<br />
Adolf Winkelmann war wunderbar. Das Zu-<br />
sammenspiel mit ihnen und dem Lichtdesigner<br />
Voxi Bärenklau war inspirierend. <strong>Eine</strong> Streichel-<br />
einheit für meinen Beruf.<br />
Und wie sah es mit der Detailtreue<br />
bei der Ausstattung aus?<br />
Wir haben in der Vorbereitungszeit die unter-<br />
schiedlichsten Sachen zusammengetragen. Für<br />
die Kanzlei alte Rüsterholzmöbel aus einem<br />
Glaswerk ausgebaut und dann im gleichen Stil<br />
weitergebaut. Aus einem Altbau in Wien den<br />
Kamin und die cremefarbenen Glasfliesen her-<br />
ausgenommen. Kein Trödelmarkt war vor uns<br />
sicher. Ich hatte Sorge, dass wir zu sehr nach<br />
Studio aussehen könnten.<br />
Das größte Set, das Sie bauten,<br />
war der Gerichtssaal.<br />
Man muss wissen, dass das Gericht damals<br />
wegen des großen Publikumandrangs in einer<br />
Kantine tagte. Wir haben diesen Gerichtssaal<br />
also ebenfalls wie eine zu einem Gerichtssaal<br />
umgebaute Kantine gebaut, in der Halle einer<br />
alten Kaserne in Rösrath bei Köln.<br />
Woher nahmen Sie die vielen wertvollen<br />
Originalrequisiten der 50er Jahre?<br />
In Köln gab es den bekannten 50er-Jahre-<br />
Sammler Hermann Götting. Zu seinem unge-<br />
heuren Nachlass hat uns Fritz Breckheimer<br />
Zugang verschafft. Als wir sagten, was wir<br />
machen wollten, sind wir dabei ungemein<br />
unterstützt worden. Schade, dass die Stadt<br />
Köln dieser Sammlung, die nun in alle Winde<br />
verstreut wird, kein Museum eingerichtet hat.<br />
Sind Sie denn privat auch mit so herrlichen<br />
Fundstücken eingerichtet?<br />
Nein, ich hebe nicht viel für mich auf. Die<br />
Dinge, mit denen ich an einem Film gearbeitet<br />
habe, kann ich nachher nicht mehr um mich<br />
haben. Bei mir sieht es außer ein paar Schätz-<br />
chen sehr schlicht aus. <strong>Eine</strong> kleine Stuhl- und<br />
Vasensammlung, etwas Kunst, sonst nichts.<br />
Szenenbild<br />
| 4
46 | <strong>Contergan</strong><br />
Die Bedeutung des <strong>Contergan</strong>-Falls<br />
für die Generation 30+<br />
»Warum den alten Fall wieder hochkochen?<br />
Wen interessiert das überhaupt?« Zwei von<br />
vielen Vorwänden, die ich im vergangenen<br />
Jahr, seit gegen den WDR Anklage erhoben<br />
wurde, mehrfach gehört habe.<br />
Als junges Mädchen im Flandern der 70er<br />
Jahre kam ich nur sporadisch mit <strong>Contergan</strong>-<br />
Opfern in Kontakt. Im Straßenbild der größeren<br />
Städte waren sie aber sichtbar, vereinzelt,<br />
umwoben von dem geheimnisvollen Wort<br />
»Softenon« (Bezeichnung des Medikaments<br />
<strong>Contergan</strong> in Belgien).<br />
30 Jahre später bekam ich in meiner Funktion<br />
als Redakteurin Fernsehfilm beim WDR<br />
den <strong>Contergan</strong>-Fall als Filmthema vom Kölner<br />
Produzenten Michael Souvignier angeboten.<br />
Das Exposé von Benedikt Röskau erzählte die<br />
Geschichte eines tapferen Rechtsanwaltes,<br />
der, in Analogie zur biblischen Geschichte von<br />
»David gegen Goliath«, nach der Geburt seiner<br />
behinderten Tochter den Kampf gegen einen<br />
großen Pharmakonzern auf sich nimmt.<br />
Was Souvignier nicht wusste: Während<br />
ich die Geschichte zum ersten Mal las, war ich<br />
gerade schwanger mit meinem ersten Kind.<br />
Ich hatte bereits einige Monate voller Hochs<br />
und Tiefs hinter mir, schlaflose Nächte voller<br />
Freude, aber auch Ängste. Kein Wunder, dass<br />
mich der Stoff sofort fesselte.<br />
<strong>Der</strong> Kern des Filmstoffs berührte mich auf<br />
Anhieb: Es waren die Figuren Paul und Vera<br />
Wegener, die ein schwer behindertes Kind<br />
bekommen und keine Mühe scheuen, diesem<br />
Kind ein würdevolles Leben zu ermöglichen.<br />
Mehr noch als der Kampf gegen den Pharmariesen<br />
faszinierten mich Vera Wegeners Bemühungen<br />
um Respekt bei ihren Mitbürgern:<br />
im Krankenhaus, in der Nachbarschaft, im<br />
Kindergarten, in der Schule. Hier schließt sich<br />
der Bogen zu meiner Generation: Frauen wie<br />
unsere Filmfigur Vera Wegener haben dafür<br />
gesorgt, dass es uns – Frauen und Mütter im<br />
21. Jahrhundert – heute besser geht, vom Arzneimittelschutzgesetz<br />
über Pränataldiagnostik<br />
bis zum integrativen Kindergarten.<br />
Ich bin mir sicher, dass dieser Film nicht<br />
nur die älteren Zuschauer berühren und<br />
interessieren wird, die sich an die 60er Jahre<br />
erinnern und die möglicherweise selbst betroffen<br />
waren. Auch und gerade für ein jüngeres<br />
Publikum, für die Generation in der »Rushhour<br />
des Lebens«, die wie unsere Protagonisten im<br />
Beruf stehen und sich über eine Familie Gedanken<br />
machen, hat dieser ermutigende Film ein<br />
großes Potenzial.<br />
Adolf Winkelmanns exzellenter Film ist ein<br />
flammendes Plädoyer für die Familie und passt<br />
meines Erachtens gut in unsere Zeit, in der<br />
man zu Recht versucht, Frauen mit Elterngeld<br />
und Krippenplätzen bei der Entscheidung für<br />
ein Kind zu helfen. In aller Deutlichkeit zeigt<br />
der Film, dass es bei Kindern dennoch im besten<br />
Fall um Liebe geht, um bedingungslose,<br />
übermächtige Liebe, die einen mit großer<br />
Wucht überfällt und unerahnte Kräfte verleiht.<br />
Ich wünsche den Zuschauern des Spielfilms<br />
und der begleitenden Dokumentarfilme ein<br />
intensives Fernseherlebnis sowie eine gute<br />
Diskussion abseits von juristischen Fragen. Im<br />
Fokus stehen die Betroffenen, die nicht nur<br />
unseren Respekt, sondern auch, unabhängig<br />
von der Unbequemlichkeit der Thematik, unsere<br />
konstante Aufmerksamkeit verdienen.<br />
Katja De Bock<br />
redakteurin wdr
Gang der gerichtlichen Verfahren<br />
Verfahren Gericht Datum<br />
Einstweilige Verfügung in 17 Punkten auf Antrag Schulte-Hillen LG Hamburg 9. 2. 2006<br />
gegen WDR und Zeitsprung, Grundlage: Drehbuch<br />
Einstweilige Verfügung in 15 Punkten auf Antrag Grünenthal LG Hamburg 14. 2. 2006<br />
gegen WDR und Zeitsprung, Grundlage: Drehbuch<br />
Widerspruch gegen die Verfügungen durch WDR und Zeitsprung LG Hamburg 1.5. 2006<br />
Mündliche Verhandlung in den Verfügungsverfahren, LG Hamburg 24.7. 2006<br />
Ansicht des Films anlässlich eines Ortstermins im NDR<br />
(59 Minuten von 180 Minuten)<br />
Urteile in den Verfügungsverfahren: Bestätigung der Verfügungen LG Hamburg 28.7. 2006<br />
Schulte-Hillen in allen 17 Punkten, Bestätigung der Verfügungen<br />
Grünenthal in 13 Punkten, Aufhebung der Verfügungen Grünenthal<br />
in 2 Punkten, Grundlage: Drehbuch<br />
Urteilsbegründungen in den Verfügungsverfahren LG Hamburg 11. 10. 2006<br />
Berufung durch Grünenthal gegen die Urteile des LG Hamburg OLG Hamburg 7. 11. 2006<br />
Berufung durch WDR und Zeitsprung gegen die Urteile OLG Hamburg 7. 11. 2006<br />
des LG Hamburg, der Film wird zur Akte gereicht<br />
Mündliche Verhandlung in den Berufungsverfahren OLG Hamburg 20. 3. 2007<br />
Urteile im Berufungsverfahren: OLG Hamburg 10. 4. 2007<br />
Zurückweisung der Berufung Grünenthal, Aufhebung der<br />
Verfügungen Schulte-Hillen in allen 17 Punkten, Aufhebung der<br />
Verfügungen Grünenthal bis auf einen Punkt, Grundlage: Film<br />
Antrag auf Erlass einer Einstweiligen Verfügung durch LG Hamburg 21. 2. 2007<br />
Grünenthal gegen den Weltvertrieb EOS<br />
Rücknahme des Antrages in der mündlichen Verhandlung, LG Hamburg 11.5. 2007<br />
nachdem das Gericht auf die mangelnden Erfolgsaussichten<br />
hingewiesen hat<br />
Einstweilige Verfügungen in 2 Punkten auf Antrag LG Hamburg 7. 3. 2007<br />
Grünenthal gegen WDR und Zeitsprung, Grundlage: Film<br />
Widerspruch gegen die einstweiligen Verfügungen durch LG Hamburg 28.3.2007<br />
WDR und Zeitsprung<br />
Aufhebung der einstweiligen Verfügungen in allen Punkten LG Hamburg 15.5. 2007<br />
Klage in der Hauptsache in 15 Punkten durch Grünenthal LG Hamburg 13. 4. 2006<br />
gegen WDR und Zeitsprung, Grundlage: Drehbuch<br />
Klage in der Hauptsache in 17 Punkten durch Schulte-Hillen LG Hamburg 28. 11. 2006<br />
gegen WDR und Zeitsprung, Grundlage: Drehbuch<br />
Klage in der Hauptsache in 2 Punkten durch Grünenthal LG Hamburg 3. 4. 2007<br />
gegen WDR und Zeitsprung, Grundlage: Film<br />
Mündliche Verhandlung in den Hauptsacheverfahren LG Hamburg 11. 5. 2007<br />
Schulte-Hillen und Grünenthal<br />
Termin zur Verkündung einer Entscheidung<br />
21. 9. 2007<br />
Einlegung Verfassungsbeschwerde durch Grünenthal gegen BVerfG 9. 5. 2007<br />
die Urteile des OLG Hamburg verbunden mit dem Antrag<br />
auf Erlass einer einstweiligen Anordnung<br />
Einlegung Verfassungsbeschwerde durch Schulte-Hillen BVerfG 10. 5. 2007<br />
gegen die Urteile des OLG Hamburg verbunden mit dem Antrag<br />
auf Erlass einer einstweiligen Anordnung<br />
Ablehnung der Anträge auf Erlass einer Einstweiligen Anordnung BVerfG 29. 8. 2007<br />
Zusammenstellung: Mirek Nitsch/Justiziar ZEITSPRUNG<br />
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4 | <strong>Contergan</strong><br />
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