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Heilsames Singen - Singende Krankenhäuser

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Thema<br />

<strong>Heilsames</strong> <strong>Singen</strong><br />

Balsam für Körper und Seele<br />

Gemeinsames <strong>Singen</strong> reguliert Konflikte, baut Aggressionen<br />

ab und erzeugt positive Gefühle von Gemeinschaft<br />

und Zugehörigkeit. Dieses Wissen wird heute zunehmend<br />

erkannt und als sinnvolle Ergänzung zur Schulmedizin in<br />

therapeutische Konzepte integriert. Auch Pflegeeinrichtungen<br />

setzen diese neue Form der Therapie zunehmend<br />

ein.<br />

Die menschliche Stimme ist etwas Einzigartiges.<br />

Die Klangfarbe unserer Stimme ist genauso individuell<br />

und unverwechselbar wie unser Gesicht<br />

oder unser Fingerabdruck. Neugeborene<br />

erkennen ihre Mutter nicht nur an ihrem Geruch,<br />

sondern auch an der Art ihres Herzschlags<br />

und dem Klang ihrer Stimme. Unsere frühesten<br />

Erfahrungen sind also rhythmischer Natur. Jeder<br />

Mensch hat seine eigene Stimme. Mit unserer<br />

Stimme gehört zu werden, ist ein menschliches<br />

Grundbedürfnis. Sie ist eng verwoben<br />

mit unserer Persönlichkeit. An ihr ist meistens<br />

genauer als an unserem Gesicht abzulesen,<br />

wie es uns geht. Das Wort Person kommt vom<br />

lateinischen Verb „personare“, was so viel wie<br />

„hindurchtönen“ heißt. Es zeigt, wie elementar<br />

der stimmliche Ausdruck mit unserer Individualität<br />

und unserem Wohlbefinden verknüpft ist.<br />

<strong>Singen</strong> wirkt gesundheitsfördernd<br />

Die Wissenschaft, insbesondere die Neurobiologie,<br />

die Psychologie und die musiktherapeutische<br />

Forschung, hat sich in den letzten Jahren<br />

verstärkt der Frage nach den Wirkungen von<br />

Musik zugewandt und dabei Erstaunliches zutage<br />

gefördert. Das gemeinschaftliche <strong>Singen</strong><br />

mit anderen Menschen wirkt als wichtige Stimulanz<br />

auf unsere Gesundheit und hat vielfältige<br />

gesundheitsfördernde Wirkungen:<br />

• Stärkung des Immunsystems durch vermehrte<br />

Produktion von Immunglobulin A (ein Antikörper,<br />

der Krankheitserreger vernichtet)<br />

• Abbau von Stress und Stresshormonen<br />

• Produktion eines antidepressiven Glückscocktails<br />

im Gehirn (Serotonin, Dopamin,<br />

Beta-Endorphine, Oxytocin, usw.)<br />

• Stärkung des Herz- und Kreislaufsystems<br />

durch eine vertiefte Ein- und Ausatmung<br />

• Stärkung des Selbstbewusstseins und des<br />

seelischen Gleichgewichts<br />

• Förderung sozialer Fähigkeiten und der seelischen<br />

Schwingungsfähigkeit<br />

• Erfahrung von Flow (mit sich Eins sein) und<br />

spirituellen Dimensionen unseres Seins.<br />

Prof. Dr. Gerald Hüther von der Universität<br />

Göttingen, renommierter Neurobiologe und<br />

Mitglied des wissenschaftlichen Beirats von<br />

<strong>Singen</strong>de Krankenhäuser e.V., fasst die positiven<br />

Wirkungen des <strong>Singen</strong>s folgendermaßen<br />

zusammen: „Es gibt kein besseres und wirksameres<br />

Mittel, das psychoemotionale Belastungen<br />

auflöst, Lebensmut stärkt und Selbstheilungskräfte<br />

aktiviert als das <strong>Singen</strong>.“ Trotz<br />

dieses Wissens wird dem <strong>Singen</strong> in unserer<br />

Leistungsgesellschaft noch zu wenig Platz eingeräumt.<br />

Vielleicht gerade deshalb, weil wir<br />

die Musik oft mit Hochleistung und Perfektion<br />

verknüpfen. Doch die wachsende Schar von<br />

begeisterten Amateursängern zeigt, dass es<br />

in erster Linie wichtig ist, entspannt und mit<br />

Freude zu singen – frei heraus und mit Spaß.<br />

Die Forschungen haben genau dies bestätigt.<br />

Wenn dies der Fall ist, treten nämlich die stärksten<br />

gesundheitsfördernden Wirkungen des<br />

114


Thema<br />

<strong>Singen</strong>s auf. Die Singangebote an den Kliniken<br />

sollten daher frei von jedem Leistungsdruck<br />

sein und eine Atmosphäre des Angenommenseins<br />

und des Loslassenkönnens vermitteln.<br />

In der Arbeit mit im <strong>Singen</strong> unerfahrenen<br />

Menschen hat sich gezeigt, dass am Anfang<br />

besonders das Tönen von Vokalen eine befreiende<br />

Wirkung in einem gemeinschaftlichen<br />

Klangteppich entfalten kann. Die „Ahs“ und<br />

„Uhs“ versetzen bestimmte Bereiche unseres<br />

Körpers in Schwingung. Das getönte A lässt<br />

zum Beispiel unseren ganzen Brustkorb vibrieren<br />

und das tiefe U den Beckenboden. Diese<br />

Form der inneren Klangmassage hat eine<br />

wohltuende Wirkung auf den gesamten Organismus.<br />

Diese Schwingungen übertragen sich<br />

von uns auf andere – und umgekehrt.<br />

Damit beschäftigt sich auch die Chronomedizin,<br />

eine sich neu entwickelnde Forschungsrichtung<br />

in der Medizin, die sich mit der Wirkung<br />

von Rhythmen, etwa von Tag und Nacht,<br />

auf den menschlichen Körper befasst.<br />

Prof. Dr. Maximilan Moser von der Universität<br />

Graz konnte etwa aufzeigen, dass es beim<br />

<strong>Singen</strong> zu erholungsfördernden Resonanzprozessen<br />

der Körperrhythmen kommt. Ausgelöst<br />

durch das <strong>Singen</strong> eines Mantras entstanden<br />

bei allen drei Versuchspersonen hochsynchrone<br />

Schwingungen.<br />

Die drei Herzen beginnen sich vollkommen<br />

aufeinander einzuschwingen. Zusätzlich<br />

kommt es dabei zu einer Synchronisierung<br />

mehrerer Köperrhythmen, was dem Körper Erholung<br />

und Stressabbau ermöglicht.<br />

<strong>Singen</strong> wird zunehmend in der<br />

Pflege eingesetzt<br />

Der Verein <strong>Singen</strong>de Krankenhäuser e.V. hat<br />

deshalb in Abstimmung mit international führenden<br />

Wissenschaftlern aus der Neurobiologie,<br />

Gehirnforschung, Psychologie und Verhaltensforschung<br />

ein Konzept entwickelt, wie die<br />

heilsame Kraft des <strong>Singen</strong>s im Kontext eines<br />

Krankheits- bzw. Genesungsprozesses nachhaltig<br />

entfaltet werden kann. Besonders geeignet<br />

sind hierfür sogenannte Chanting-Gruppen,<br />

also Singgruppen, in denen vor allem<br />

einfache Lieder ohne Noten gesungen werden.<br />

Diese sind leicht erlernbar, wiederholen sich<br />

häufig und prägen sich dem Bewusstsein dadurch<br />

tief ein. In Verbindung mit einfachen Bewegungschoreographien<br />

und Tänzen werden<br />

alle Aspekte des menschlichen Seins – Körper,<br />

Geist und Seele – angesprochen.<br />

Im Repertoire der heilsamen Lieder finden<br />

sich beispielsweise Lieder, die mit Erdung und<br />

115


Thema<br />

Verwurzelung zu tun haben („Fest verwurzelt<br />

in der Erde“), Lieder, in denen es um Selbstliebe<br />

und Akzeptanz geht („Ich bin liebenswert“),<br />

oder Lieder, die den eigenen Lebensweg thematisieren<br />

(„Und ich geh meinen Weg“). Solche<br />

Lieder haben manchmal eine ähnliche<br />

Wirkung wie Medikamente, weil sie Menschen<br />

mit ihren jeweiligen Themen besonders<br />

ansprechen. Ein solches Lied kann dann zu<br />

einem persönlichem Kraftlied und Wegbegleiter<br />

werden. So wird an vielen Kliniken bereits<br />

seit vielen Jahren gesungen und musiktherapeutische<br />

wie künstlerische Ansätze in der Behandlung<br />

von Krankheiten ergänzen zunehmend<br />

die klassische Schulmedizin.<br />

Erfahrungen beim <strong>Singen</strong><br />

Marianne, Brustkrebspatientin:<br />

„Ich kann beim <strong>Singen</strong> und Tanzen total abschalten<br />

und bin mit Herz und Seele dabei.<br />

Etwa drei Tage lang bin ich danach noch gut<br />

gelaunt, kaum depressiv. Die positiven Wirkungen<br />

sind für mich so toll, dass ich sehr oft<br />

auch anderen davon erzähle.“<br />

Florian, Psychiatriepatient:<br />

„Ich bekomme Zugang zu Gefühlen, die ich<br />

schon lange Zeit nicht mehr gespürt habe,<br />

und kann dadurch Problematiken in meinem<br />

Lebensumfeld besser lösen. Ich erlebe mich<br />

in kreativer Art und Weise – wie ich kreativ<br />

mit mir selbst und anderen Menschen umgehe,<br />

wie ich eine Herzensverbundenheit mit<br />

anderen Menschen aufbauen kann, die mir<br />

neue Begegnungen ermöglicht und dann natürlich<br />

auch in jeweiliger Hinsicht Verbesserungen<br />

initiiert.“<br />

Katja, Schmerzpatientin:<br />

„Der Schmerz ist eigentlich ständig da, bei<br />

jeder Bewegung, bei allem, was ich so tue.<br />

Das <strong>Singen</strong> geht für mich wirklich durch den<br />

ganzen Körper. Das Tönen der verschiedenen<br />

Laute wirkt an verschiedenen Stellen und das<br />

löst, lockert und wärmt.“<br />

Sarah, krebskranke Rehapatientin:<br />

„Alle anderen Angebote im Krankenhaus sind<br />

eigentlich darauf ausgerichtet, dass man versucht,<br />

wieder auf den Stand zu kommen,<br />

auf dem man war, bevor man erkrankt ist, und<br />

ich finde das <strong>Singen</strong> gibt mir die Möglichkeit<br />

über diesen Stand hinauszuwachsen. Das<br />

<strong>Singen</strong> ist das, was ich am meisten mit nach<br />

Hause nehme, und ich würde sagen, ich bin<br />

gewachsen und bin größer, schöner, weiblicher,<br />

spiritueller geworden als ich war, bevor<br />

ich hierhergekommen bin. Das ist für mich<br />

echt eine großartige Erfahrung.“<br />

<strong>Heilsames</strong> <strong>Singen</strong> ist ressourcenorientiert,<br />

bringt Seele und Körper miteinander in<br />

116


Thema<br />

Gleichklang und stärkt so wichtige Aspekte<br />

des Seins wie das Verbundenheitsgefühl mit<br />

anderen Menschen, soziale Resonanz und<br />

Selbstwirksamkeit. Diese positiven Erfahrungen<br />

können den Patienten bei der Auseinandersetzung<br />

mit sich und ihrer Krankheit<br />

helfen – blockierte Gefühle werden wieder zugänglich<br />

und Selbstheilungskräfte aktiviert.<br />

Doch auch bei der Beschäftigung mit dem Lebensthema<br />

Alter bildet das <strong>Singen</strong> eine wichtige<br />

Ressource. Lebensfreude und Gemeinschaftsgefühl<br />

werden gestärkt und Gedankenkreise<br />

unterbrochen.<br />

Gerade in Altenheimen kann durch ein regelmäßig<br />

stattfindendes, mit viel Freude<br />

durchgeführtes Singangebot die Lebensqualität<br />

erheblich verbessern werden.<br />

<strong>Singen</strong> und Musik sind ein menschliches<br />

Grundbedürfnis und deshalb auch universale<br />

Kommunikationsmittel. Ideen und Musik<br />

haben gemeinsam, dass sie etwas in uns<br />

zum Klingen bringen sollten. Wen verwundert<br />

es da noch, dass zur Gründung von <strong>Singen</strong>de<br />

Krankenhäuser e.V. singbegeisterte Patienten<br />

vom Christophsbad Göppingen den Anstoß<br />

gaben? Dies ist uns Auftrag und Verpflichtung<br />

zugleich. Und diese Idee wollen wir mit unserem<br />

Netzwerk zur Förderung des <strong>Singen</strong>s in<br />

Gesundheitseinrichtungen in die Welt tragen.<br />

Wolfgang Bossinger,<br />

Diplom-Musiktherapeut,<br />

Film- und Buchautor,<br />

Vorsitzender des Vereins <strong>Singen</strong>des<br />

Krankenhäuser e.V.<br />

Sonja Heim, M.A.,<br />

Geschäftsführerin von <strong>Singen</strong>de<br />

Krankenhäuser e.V.<br />

Das vor rund einem Jahr gegründete Netzwerk<br />

„<strong>Singen</strong>de Krankenhäuser – Internationales<br />

Netzwerk zur Förderung des <strong>Singen</strong>s in<br />

Gesundheitseinrichtungen e.V.“ setzt sich aktiv<br />

für die Förderung des heilsamen <strong>Singen</strong>s in<br />

Pflegeeinrichtungen ein. Neben der Weiterbildung<br />

zum Singleiter für Gesundheitseinrichtungen<br />

und Krankenhäusern wird es ab 2012<br />

erstmals eine spezielle Weiterbildung für Singleiter<br />

für Senioren geben. Mehr Informationen<br />

unter: www.singende-krankenhaeuser.de<br />

Kontaktadresse:<br />

Sonja Heim, M.A., Geschäftsführerin<br />

von <strong>Singen</strong>de Krankenhäuser e.V.<br />

Am Kochenhof 70, 70192 Stuttgart<br />

E-Mail: Sonja-Maria-Frieda@gmx.de<br />

Quellenhinweis:<br />

zuerst veröffentlicht<br />

in „Die Schwester –<br />

Der Pfleger“, Heft Nr.<br />

03/12, S. 244-247<br />

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