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Öffentlichkeitsarbeit 2011 - Evangelisches Hilfswerk München

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Liebe Frau Pohl – Nostalgie?<br />

Im Jahr 2001, also genau vor zehn Jahren, erschien dieser Brief eines<br />

Bewerbers im Jahresbericht des Bodelschwingh-Hauses. Auch wenn sich<br />

in zehn Jahren viel verändert, so bleiben doch manche Dinge gleich.<br />

Die Probleme der Menschen, die zu uns kommen, zum Beispiel.<br />

„Liebe Frau Pohl vom Bodelschwingh-Haus, ich wende mich an Sie, da ich nicht weiß,<br />

an wen ich mich sonst wenden soll, da ich niemanden mehr hab, den ich fragen kann.<br />

Ich bin jetzt zum dritten Mal inhaftiert und diesmal für ziemlich lange. Zum ersten Mal war<br />

ich in Jugendstrafe für sechs Monate, das ist lange her. Als ich rauskam, ging ich wieder<br />

zu meinen Eltern, was ein Fehler war, da mein Vater ständig getrunken hatte und ich nur<br />

meine Ruhe vor ihm hatte, wenn ich mit ihm mitsoff. Das ging dann bald schief und ich<br />

beging immer wieder kleinere Straftaten, für die ich Geldstrafen und Bewährung bekam,<br />

bis ich dann doch wieder länger eingesperrt wurde. Da hat sich schon niemand mehr um<br />

mich gekümmert, meine Eltern wollten nichts mehr von mir wissen und meine Freundin<br />

hat Schluss gemacht.<br />

Später hab ich aber gemerkt, dass es das Beste war, was mir passieren konnte, denn ich<br />

hab in der JVA nichts mehr getrunken, meinen Hauptschulabschluss nachgemacht und einen<br />

Lehrgang als Gebäudereiniger absolviert. Als ich dann vor der Entlassung stand, hab ich<br />

mich auf mein neues Leben ‚draußen‘ gefreut. Das war mein größter Fehler!<br />

Ich bin zu allen Wohnungen hingegangen, die in der Zeitung standen, aber natürlich hieß<br />

es erst mal: Wo ist Ihre Verdienstbescheinigung? – Da ich kein Geld für Pensionen hatte,<br />

ging ich in eine Unterkunftsanlage und hoffte, schnell einen Job zu finden. Ich hatte<br />

telefonisch Zusagen erhalten, die dann aber wieder abgelehnt wurden, wenn ich meine<br />

letzte Adresse angeben musste. Mit den Kumpels aus der Notunterkunft spülte ich die Wut<br />

dann immer öfter runter. Wut nicht nur auf die Chefs, die Vermieter, das Arbeitsamt, meine<br />

Eltern und alle, die Wohnung und Arbeit hatten, sondern auf mich selber: Wie ich nur<br />

denken konnte – ich komm aus dem Knast und hab gleich ne Wohnung und ne Arbeit und<br />

dann kann ich genauso leben wie die, mit denen ich S-Bahn fahr oder mit denen ich in der<br />

Schlange im Supermarkt steh. Ich hab dann angefangen, in Häuser einzubrechen und bin<br />

jetzt seit ´98 wieder inhaftiert bis zum Dezember 2003. Ich schreibe Ihnen jetzt schon, dass<br />

Sie mich besuchen können, weil ich Angst habe, dass mir das Gleiche wieder passiert und<br />

ich wieder entlassen werde und nichts hab.<br />

Ich hab vor der Inhaftierung wieder getrunken und weiß nicht, ob<br />

ich draußen wieder anfange damit. Ich will auch so schnell wie<br />

möglich arbeiten, ich arbeite hier in der Anstalt auch und alle sind<br />

zufrieden, ich weiß aber nicht, ob ich so schnell was finden werde.<br />

Und ich habe Angst, wieder in einer Notunterkunft zu landen, denn<br />

eine Wohnung zu finden wird ja immer schwerer, ohne Geld und<br />

direkt aus dem Knast. Ich muss es diesmal schaffen. Ich glaube, ich<br />

werde nicht mehr viele Chancen erhalten, und darum bitte ich Sie,<br />

dass Sie mich besuchen.<br />

Ihr Thomas F.“<br />

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