18. Standortkonflikte und Mitbestimmung - Helmut Martens
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(Naschold1997) längst der Vergangenheit angehören. 22 Realistisch ist heute wohl das Bild des „Häuserkampfs“, das einige hauptamtliche<br />
Funktionäre der IG Metall verwenden <strong>und</strong> mit dem sie die Hoffnung verbinden, einerseits die Folgen einer finanzmarktgetriebenen<br />
Modernisierung <strong>und</strong> Standortverlagerung öffentlichkeitswirksam problematisieren <strong>und</strong> andererseits eine stärker proaktive<br />
<strong>Mitbestimmung</strong>spolitik dagegen voranbringen zu können.<br />
Der Konflikt um die PKW-Reifenproduktion bei Conti-Stöcken ist aus der Gruppe der von uns bislang näher betrachteten Fälle<br />
sicherlich derjenige, der am klarsten dem von M. Schumann formulierten Vorschlag entspricht: sowohl hinsichtlich der sehr kalkulierten<br />
Art der Initiierung, Durchführung <strong>und</strong> Beendigung des Konflikts wie auch der weiteren Schlussfolgerungen, u.a. durch geeignete<br />
Weiterbildungsmaßnahmen <strong>und</strong> Modernisierungsinvestitionen die am Standort noch verbliebene Produktion mittelfristig zu<br />
sichern <strong>und</strong> im Blick auf die weitere Konzernentwicklung die GBR-Ebene als eigene Handlungsebene zu stärken. Das proaktiv auf<br />
gezielte Modernisierungsinvestitionen <strong>und</strong> Qualifizierung der Beschäftigten zielende, in ersten Umrissen formulierte, Konzept der<br />
Interessenvertretung entspricht der Logik des „besser statt billiger“. Es wird gesehen, dass dazu die eigene Handlungsfähigkeit<br />
auf der Konzernebene gestärkt werden muss. Neben der Verknüpfung von ggf. gezielter Mobilisierung einerseits, Weiterentwicklung<br />
der <strong>Mitbestimmung</strong>spraxis innerhalb der institutionellen Strukturen andererseits kommt damit aber auch die supranationale<br />
Handlungsebene mit in den Blick. Es wird so vom Einzelfall her erkennbar, dass für Betriebsräte <strong>und</strong> Gewerkschaft konzernpolitisch,<br />
aber auch sozialpolitisch Europa als Handlungsraum mit hoher Dringlichkeit thematisiert <strong>und</strong> praktisch besetzt werden<br />
muss. 23<br />
5. Schlussbemerkung<br />
22 K. Dörre resümiert 2002 unter Rückgriff auf seine gerade Abgeschlossene Untersuchung zum „Kampf um<br />
Beteiligung“ schon ganz anders, wenn er schreibt:“ So handelte es sich bei dem Siemens-Konzern noch bis in<br />
die jüngste Vergangenheit um ein vertikal integriertes Unternehmen, das vom Kabel über Mikmrochips bis zum<br />
Kraftwerk alles produzierte, was sich mit Strom verbinden ließ. Die Unternehmenskultur wurde durch<br />
Ingeneurarbeit <strong>und</strong> fachliche Exzellenz geprägt. Investitionen <strong>und</strong> Akkumulationsverhalten des Konzerns waren<br />
an der ‚langen Frist‘ ausgerichtet; das Streben nach dem schnellen Profit galt als anstößig. Quersubventionierungen<br />
der Geschäftsbereiche waren üblich. All das stabilisierte die internen Arbeitsmärkte. Relativ abgeschottete<br />
innere Arbeitsmärkte waren die Basis für klar strukturierte Aufstiegswege <strong>und</strong> Berufskarrieren, mithin für sozial<br />
akzeptierte Ungleichheiten. Die Verteilung des Gewinns sorgte, nicht nur über den Lohn, sondern auch über eine<br />
unternehmensspezifische Sozialpolitik, für die Integration der Stammbelegschaften.(...) Als vorläufiger Endpunkt<br />
eines seit Jahrzehnten anhaltenden strukturellen Wandels nun eine historische Zäsur in der Unternehmensentwicklung.<br />
Die berufsständisch eingefärbte Ingenieurskultur verliert an Prägekraft. Auf der Vorstandsebene<br />
verdrängen nüchtern kalkulierende Finanzfachleute mit ‚Bankermentalität‘ den technologieorientierten Patriarchen.<br />
In den zum Unternehmen gehörenden Untersuchungsbetrieben ist die Garde der unteren <strong>und</strong> mittleren<br />
Vorgesetzten, die der Managerkontrolle über Jahrzehnte ihr unternehmensspezifisches Gesicht verlieh, faktisch<br />
beseitigt worden. (...) Stärker noch als in anderen Konzernen wird der Schraubstock der Internationalisierung<br />
von Siemens genutzt, um die Kompromisse der fordistischen Ära aufzusprengen. Ausgliederungen, Verkäufe<br />
<strong>und</strong> Betriebsübergänge dienen regelmäßig dazu , Tarifbindungen abzustreifen <strong>und</strong> Betriebsratsstrukturen in<br />
Frage zu stellen.“ (Dörre 2002b,21f)<br />
23 W. Kruse hat dazu, im Hinblick auf gewerkschaftliche Gestaltungsansprüche in Unternehmen <strong>und</strong> Konzern<br />
auf der Jahrestagung des Forums Neue Politik der Arbeit 2007 an Stelle einer Lobbypolitik im Rahmen „sozialer<br />
Dialoge“ in Brüssel die Entwicklung einer „autonomen Mehrebenenpolitik“ vorgeschlagen. Zu den Schwierigkeiten,<br />
aber auch begrenzten Erfolgen, einer koordinierten <strong>und</strong> solidarischen <strong>Mitbestimmung</strong> vgl. Beispielhaft<br />
die Analyse der Arbeit des Eurobetriebsrats bei General Motors ( Bardt/Blum-Geenen 2007) zu den Herausforderungen<br />
einer auf Europa bezogenen Arbeits- <strong>und</strong> Sozialpolitik die Beiträge zum Workshop „Soziales Europa?<br />
Bestandsaufnahme <strong>und</strong> Perspektiven. Anforderungen an linke Europapolitik in Deutschland“ des FNPA (12./13.<br />
10. 2007) sowie die Jahrestagung des FNPA im Jahre 2008.