Gemeindezeitung 4/2006 - Marktgemeinde Raab - Land ...
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G E S C H I C H T L I C H E S<br />
nach! Unterwegs hatte er sie noch<br />
eingeholt, und so kamen sie zu viert in<br />
der Kirche an, frühzeitig, denn sie<br />
kamen noch zum Rosenkranz zurecht.<br />
Den Du oh Jungfrau zu Bethlehem<br />
geboren hast. Als dann Schlag<br />
zwölf das Mettenamt unter dem mächtigen<br />
Aufbrausen der Orgel und dem<br />
jubelnden Gesang des Chores begann,<br />
da hörte man kaum noch das<br />
Schießen und Krachen von draußen,<br />
das jetzt, zu Beginn der heidnischen<br />
Geisterstunde, ebenfalls seinen Höhepunkt<br />
erreichte.<br />
Die <strong>Raab</strong>er waren es ja gewohnt, dass<br />
zu den kirchlichen Hochfesten ihr<br />
Gotteshaus in besonderem Glanze<br />
erstrahlte und schöner und würdiger<br />
geschmückt war als all die Nachbarkirchen<br />
ringsherum. Aber so schön,<br />
so kunstvoll zart, so gleißend und<br />
strahlend wie heuer hatten sie selber<br />
ihre Kirche noch nie gesehen. Und<br />
auch der Chor leistete das seine.<br />
Lange und hartnäckig hatte er proben<br />
müssen für diese Nacht, aber es hatte<br />
sich gelohnt.<br />
Nachdem der Pfarrer mit der goldblinkenden<br />
Monstranz den Schlusssegen<br />
gespendet hatte, setzte die Orgel,<br />
die bisher in festlichen Tonkaskaden<br />
geschwelgt war, langsam mit ihren<br />
zartesten Registern ein, deutete<br />
die Melodie zunächst nur an, aber<br />
schon ahnten und wussten die Menschen,<br />
was jetzt kommen würde. Mit<br />
dem einsetzenden Takt des Liedes<br />
brauste es auch innig und voller Andacht<br />
aus dem Kirchenschiff herauf:<br />
Stihilee Nacht, heiligee Nacht, alles<br />
schläft, einsam wacht... Und als die<br />
Menschen dann still und versunken<br />
die Kirche verlassen, da hat die heidnische<br />
Rauhnachtskracherei schon<br />
längst ein Ende gefunden.<br />
Die Hannerlin und ihre drei Buben<br />
mögen gegen halb zwei wieder ihre<br />
Sölde in Großprambach erreicht haben.<br />
Die Türen waren versperrt, aber<br />
das war ausgemacht. Votta! Votta!,<br />
riefen die Buben laut, und Sepp!, schrie<br />
die Hannerlin, um ihren Mann zu veranlassen,<br />
die Haustür aufzusperren.<br />
Aber nichts rührte sich im Haus. Sie<br />
riefen noch einmal, warteten dann,<br />
ratlos. Plötzlich sagte der Hansl laut:<br />
Du, Muatta, schau, das Stubenfenster<br />
is ja hin! Tatsächlich: Im schwachen<br />
Lichtschein, den die Petroleumlampe<br />
aus der Stube warf, sah man<br />
deutlich, dass die Glastafel des Stubenfensters<br />
im rechten unteren Eck<br />
zerbrochen war.<br />
Jetzt kletterte der Hansl auf die Scheiteltriste,<br />
die vor dem Stubenfenster<br />
aufgeschlichtet war, schaute in die<br />
Stube hinein und schrie ganz laut:<br />
Muatta, Muatta, da liegt ja da Votta<br />
drin in sein Bluat! Der Vater saß am<br />
Tisch, eine Hand lag auf der Tischplatte,<br />
die zweite und sein Kopf waren auf<br />
die Bank hinabgesunken - und überall<br />
war Blut zu sehen. Kein Zweifel, Josef<br />
Doberer, so hieß der Mann, war durch<br />
das geschlossene Fenster erschossen<br />
worden!<br />
Der 14-jährige Hansl<br />
Den Schreckensruf<br />
des<br />
Hansl hatten<br />
auch die<br />
Nachbarn gehört.<br />
Einer<br />
nach dem anderen<br />
drängte<br />
jetzt, teils<br />
scheu, teils<br />
neugierig,<br />
zum Stubenfenster,<br />
warf<br />
einen Blick hinein und drehte sich<br />
schaudernd weg. Die Hannerlin wollte<br />
ein Fenster einschlagen, um ins Haus<br />
zu kommen, aber ein Nachbar sagte:<br />
Bleib heraußen, und der Hansl rennt<br />
schnell um die Gendarm.<br />
Um 3/4 3 waren der Inspektor Singer<br />
und der Gemeindearzt Dr. Haas beim<br />
Hannerlhaus, und jetzt musste der<br />
Hansl durch den ersten Stock einsteigen<br />
und die Haustür von innen aufsperren.<br />
Der Anblick, der sich den<br />
Hineindrängenden in der Stube bot,<br />
war noch viel schrecklicher als alles,<br />
was sie durch das Fenster gesehen<br />
hatten. Der Schädel des Josef Doberer<br />
war durch den Schuss regelrecht<br />
explodiert, das Schädeldach lag auf<br />
dem Deckel des Backtroges, der direkt<br />
neben der Tür stand, und überall<br />
an den Wänden klebten inmitten großer<br />
Blutflecken die Fetzen seines<br />
Gehirns.<br />
Josef Doberer war 41 Jahre alt. Durch<br />
Vermittlung eines Bekannten hatte er<br />
im September 1934 die verwitwete<br />
Hannerlin geheiratet und sie durch<br />
sein mitgebrachtes Geld, immensen<br />
Arbeitsfleiß und eiserne Sparsamkeit<br />
vor dem Abhausen bewahrt. Die Krankheit<br />
ihres ersten Mannes hatte viel<br />
Geld für die Ärzte und das Krankenhaus<br />
verschlungen, mehr als die Sölde<br />
mit ihren 12 Joch Grund hatte<br />
erwirtschaften können. Bevor sie<br />
wieder geheiratet hatte, war die Hannerlin<br />
nahe daran gewesen, in ihren<br />
Schulden zu versinken und um das<br />
Haus zu kommen. Die wenigen Monate<br />
zwischen September und Dezember<br />
aber hatten gereicht, diese<br />
Gefahr abzuwenden und nur zwei Wochen<br />
vor seinem Tod hatte der Sepp<br />
Doberer zu einem seiner Brüder gesagt:<br />
Es geht wieder aufwärts, aber es<br />
kost’ unendlich viel Arbeit.<br />
Wer aber war jetzt sein Mörder? Der<br />
einzige mögliche Zeuge war der kleine<br />
Fritzl mit seinen sechs Jahren, der<br />
beim Vater zu Hause geblieben war.<br />
Er wurde erst nach etlichem Suchen<br />
in einer der oberen Kammern gefunden,<br />
wo er sich, nachdem der Schuss<br />
gefallen war, völlig verdattert verkrochen<br />
hatte. Er hatte zwar die Rufe der<br />
Mutter und der Brüder gehört, aber<br />
hervorgetraut hatte er sich nicht. Und<br />
über den Ablauf des Mordes wusste er<br />
kein vernünftiges Wort zu sagen.<br />
Der Mörder hatte, soviel war klar, von<br />
draußen durch das Stubenfenster geschossen<br />
und die Waffe dabei auf die<br />
Holztriste aufgestützt. Ins Haus war<br />
er jedenfalls nicht eingedrungen, von<br />
einem Einbruch fehlte jede Spur und<br />
gestohlen war auch nichts worden.<br />
Der Gedanke an einen persönlichen<br />
Racheakt lag auf der Hand. Zunächst<br />
fanden die Gendarmen das Projektil,<br />
das sie aus dem Türstock kletzeln<br />
mussten. Es stammte offensichtlich<br />
von einem Militärstutzen. Seine Spitze<br />
war abgefeilt, und damit war auch<br />
die verheerende Wirkung zu erklären,<br />
die dieses sogenannte Dum-Dum-<br />
Geschoß im Kopf des Sepp Doberer<br />
angerichtet hatte.<br />
Vormittag, dem hochheiligen Weihnachtstag,<br />
suchen die Gendarmen<br />
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