TPS 8-2012, S.14-16 - Invest in Future
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Carola Kammerlander · Eike Ostendorf-Servissoglou<br />
„ Es klopft bei Wanja <strong>in</strong> der Nacht.“<br />
Vom Puppenspiel zum Theaterstück<br />
In der Stuttgarter K<strong>in</strong>dertagesstätte (B)engelbande spielte die Erzieher<strong>in</strong><br />
und Theaterpädagog<strong>in</strong> Christ<strong>in</strong>a Pfeiffer über längere Zeit<br />
täglich e<strong>in</strong> kurzes Puppenstück. Bald hatten sich die K<strong>in</strong>der den<br />
Inhalt so gut angeeignet, dass sie das Stück <strong>in</strong> Eigenregie spielen<br />
konnten. Es war anschließend die Idee der Mädchen und Jungen,<br />
den Eltern den Stoff <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Theateraufführung zu präsentieren.<br />
Weit fort <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em kalten Land<br />
steht Wanjas Haus am Waldesrand.<br />
In langen Zapfen hängt das Eis<br />
und r<strong>in</strong>gs herum ist alles weiß.<br />
So beg<strong>in</strong>nt die Geschichte „Es klopft<br />
bei Wanja <strong>in</strong> der Nacht“, die Tilde<br />
Michels <strong>in</strong> Reimen erzählt. Es geht um<br />
den Mann Wanja, der <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er stürmisch<br />
kalten W<strong>in</strong>ternacht nache<strong>in</strong>ander<br />
e<strong>in</strong>en Hasen, e<strong>in</strong>en Fuchs und<br />
e<strong>in</strong>en Bären <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Haus lässt, die zitternd<br />
vor Kälte um Unterschlupf bitten.<br />
Die Tiere versprechen, friedlich zu se<strong>in</strong><br />
und e<strong>in</strong>ander nichts zu tun. Morgens,<br />
noch ehe Wanja erwacht, machen sich<br />
die Tiere nache<strong>in</strong>ander wieder auf den<br />
Weg. Wanja überlegt, ob er die nächtliche<br />
Episode nur geträumt hat, f<strong>in</strong>det<br />
dann aber die Tierspuren im Schnee.<br />
Christ<strong>in</strong>a Pfeiffer ist Theaterpädagog<strong>in</strong><br />
und Erzieher<strong>in</strong> im element-i-<br />
K<strong>in</strong>derhaus (B)engelbande des freien<br />
Trägers KiND e.V. <strong>in</strong> Stuttgart. Sie f<strong>in</strong>det<br />
die kurze Geschichte mit der e<strong>in</strong>fachen<br />
Dramaturgie ideal, um sie zusammen<br />
mit K<strong>in</strong>dern zu erarbeiten. „Die<br />
Aufführung des Märchens dauert noch<br />
nicht e<strong>in</strong>mal 15 M<strong>in</strong>uten. So lange<br />
können sich auch Dreijährige konzentrieren“,<br />
sagt sie. „Ich habe den Text<br />
als Puppenspiel umgesetzt und dafür<br />
Figuren aus Draht und Wolle angefertigt.<br />
Die Figuren s<strong>in</strong>d klar zu erkennen,<br />
doch gleichzeitig so wenig ausgestaltet,<br />
dass sie genug Raum für die Fantasie<br />
der K<strong>in</strong>der lassen.“ Drei Wochen lang<br />
spielte die Erzieher<strong>in</strong> immer zur gleichen<br />
Zeit nach dem Mittagessen die<br />
Wanja-Geschichte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Zimmer,<br />
das <strong>in</strong> dieser Zeit zum „Theaterraum“<br />
wurde. „Wir hatten mit den K<strong>in</strong>dern<br />
bereits öfter Theaterbesuche gemacht.<br />
Hier sollte es genauso se<strong>in</strong> wie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
echten Theater“, berichtet Christ<strong>in</strong>a<br />
Pfeiffer. Es gab selbst gemachte E<strong>in</strong>trittskarten,<br />
Teppichfliesen markierten<br />
die Sitze. Der Tisch, auf dem Naturmaterialien<br />
e<strong>in</strong>e W<strong>in</strong>terlandschaft mit<br />
Hütte darstellten, war zunächst verhüllt.<br />
Erst mit Aufführungsbeg<strong>in</strong>n, der<br />
sich durch Glockenklänge ankündigte,<br />
hob sich dieser „Vorhang“. Im Raum<br />
war es relativ dunkel. Kerzenlicht beleuchtete<br />
die Szene und sorgte für e<strong>in</strong>e<br />
besondere Stimmung.<br />
Das Spiel klar strukturieren und<br />
verlässlich wiederholen<br />
„Zunächst habe ich das Stück e<strong>in</strong>ige<br />
Tage lang ganz alle<strong>in</strong>e gespielt, damit<br />
sich die K<strong>in</strong>der den Handlungsverlauf<br />
e<strong>in</strong>prägen können“, erzählt Christ<strong>in</strong>a<br />
14 <strong>TPS</strong> 8 | <strong>2012</strong><br />
Pfeiffer. Sich beim Aufführen Zeit zu<br />
lassen und genügend Pausen zu machen,<br />
sei dafür wichtig. „K<strong>in</strong>der brauchen<br />
Zeit, um die D<strong>in</strong>ge wahrzunehmen.<br />
Ich führe auch die Figuren erst,<br />
wenn ich den entsprechenden Text fertig<br />
gesprochen habe“, erklärt die Theaterpädagog<strong>in</strong>.<br />
Außerdem sei es gut, die<br />
Geschichte immer genau gleich zu präsentieren.<br />
„Das schafft Verlässlichkeit.<br />
Die K<strong>in</strong>der lieben es, wenn sie schon<br />
wissen, was als nächstes kommt. Nach<br />
e<strong>in</strong>iger Zeit können sie dann über dieses<br />
sichere Wissen verfügen.“ Beim<br />
Puppenspiel sei es von Vorteil, wenn<br />
die Erzieher<strong>in</strong> oder der Erzieher den<br />
Text auswendig kenne, dann könne<br />
sie bzw. er die Puppen gut führen und<br />
Blickkontakt mit den jungen Zuschauer<strong>in</strong>nen<br />
und Zuschauern halten, ohne<br />
dabei auch noch e<strong>in</strong> Papier <strong>in</strong> der Hand<br />
halten zu müssen. „Wer selbst gut<br />
strukturiert ist und das Stück gut und<br />
klar gegliedert hat, überträgt das auf<br />
die K<strong>in</strong>der“, me<strong>in</strong>t Christ<strong>in</strong>a Pfeiffer.<br />
„Ich habe zum Beispiel alle Tiere den<br />
gleichen Weg laufen lassen. Sie g<strong>in</strong>gen<br />
e<strong>in</strong>mal re<strong>in</strong> <strong>in</strong>s Haus und e<strong>in</strong>mal raus<br />
aus dem Haus. Das können auch kle<strong>in</strong>e<br />
K<strong>in</strong>der gut erfassen und später auch<br />
selber umsetzen.“ Außerdem habe es<br />
sich als vorteilhaft erwiesen, musikalische<br />
Elemente e<strong>in</strong>zubeziehen. „Datps_08_12_14-<strong>16</strong>.<strong>in</strong>dd<br />
14 26.09.12 13:51
Werkstatt<br />
rollenspiel, puppenspiel, theater<br />
durch entsteht e<strong>in</strong> spannender Bruch,<br />
der zwischendurch die Ohren der K<strong>in</strong>der<br />
neu öffnet.“<br />
K<strong>in</strong>der übernehmen die Regie<br />
Nach und nach bezog die Pädagog<strong>in</strong><br />
die K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> das Puppenspiel e<strong>in</strong>.<br />
„Ich habe geschaut, dass alle e<strong>in</strong>mal<br />
drankommen, nicht nur die, die gleich<br />
Feuer und Flamme s<strong>in</strong>d und unbed<strong>in</strong>gt<br />
mitmachen wollen“, erzählt sie.<br />
Bald war sie nur noch als „Erzähler<strong>in</strong>“<br />
gefragt und die Mädchen und Jungen<br />
führten die Figuren. Irgendwann haben<br />
die K<strong>in</strong>der das Puppenstück dann<br />
ganz alle<strong>in</strong>e aufgeführt und hatten unglaublich<br />
viel Spaß dabei.<br />
Als <strong>in</strong> der morgendlichen K<strong>in</strong>derkonferenz<br />
über das bevorstehende Adventsfest<br />
gesprochen wurde und die<br />
Frage im Raum stand, was aufgeführt<br />
werden könnte, wollten die K<strong>in</strong>der die<br />
Wanja-Geschichte präsentieren – und<br />
zwar als Rollen- und nicht als Puppenspiel.<br />
„Das war e<strong>in</strong>e hervorragende Idee<br />
und wir begannen, Ohren für Hase,<br />
Fuchs und Bär zu basteln“, berichtet<br />
Christ<strong>in</strong>a Pfeiffer. Es wollten jedoch<br />
viele K<strong>in</strong>der Wanjas, Hasen, Füchse<br />
und Bären se<strong>in</strong>. „Warum nicht?“,<br />
dachte die Theaterpädagog<strong>in</strong>. „Dann<br />
gibt es <strong>in</strong> unserem Stück e<strong>in</strong>fach e<strong>in</strong>e<br />
Hütte mit drei Wanjas und ganze Rudel<br />
von Hasen, Füchsen und Bären.“ In der<br />
Gruppe haben die K<strong>in</strong>der mehr Sicherheit.<br />
„Viele K<strong>in</strong>der fühlen sich sehr beäugt<br />
und müssen für e<strong>in</strong>en Auftritt all<br />
ihren Mut zusammen nehmen“, me<strong>in</strong>t<br />
sie.<br />
Zwischen 15 und 18 K<strong>in</strong>der spielten<br />
auf diese Weise mit. E<strong>in</strong>igen der<br />
älteren Jungen fiel es zunächst schwer,<br />
sich e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen. Schließlich wollten<br />
sie gerne der Schneesturm se<strong>in</strong>, der<br />
im Puppenspiel durch e<strong>in</strong> wehendes<br />
weißes Tuch dargestellt wurde. Dafür<br />
bemalten sie ihre Gesichter silberweiß<br />
und hängten Eiszapfen aus Alu-Folie<br />
an ihre Kleidung und liefen Wattebällchen<br />
werfend durchs Publikum. „Alle<br />
Kostüme und auch das Bühnenbild<br />
waren ganz e<strong>in</strong>fach“, berichtet Christ<strong>in</strong>a<br />
Pfeiffer. „Wir haben mit den Materialien<br />
gearbeitet, die wir hatten. Die<br />
Tiere waren durch ihre Papp-Ohren<br />
charakterisiert. Die Wanjas trugen<br />
Umhänge.“ Auf die Seite gestellte, mit<br />
Tüchern behängte Tische begrenzten<br />
Wanjas Haus. Die abstehenden Tischbe<strong>in</strong>e<br />
erhielten e<strong>in</strong>e Dekoration aus<br />
Alufolien-Eiszapfen. Die Lager der Hasen,<br />
Füchse und Bären <strong>in</strong> Wanjas Haus<br />
waren jeweils durch e<strong>in</strong>e andersfarbige<br />
Decke zu erkennen. „Das erleichterte<br />
den K<strong>in</strong>dern die Orientierung“, erläutert<br />
die Theaterpädagog<strong>in</strong>. E<strong>in</strong> „Feuer“<br />
aus e<strong>in</strong>er mit Hölzern und rot-orangen<br />
W<strong>in</strong>terliche Stimmung bei Wanja mit ganz e<strong>in</strong>fachen Materialien | Fotos (3): Konzept-e<br />
<strong>TPS</strong> 8 | <strong>2012</strong><br />
15<br />
tps_08_12_14-<strong>16</strong>.<strong>in</strong>dd 15 26.09.12 13:51
Alle s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> das Stück e<strong>in</strong>bezogen, ob als Publikum oder Akteure<br />
spielen. Die Hemmungen waren weg“,<br />
berichtet die Pädagog<strong>in</strong>, die immer<br />
wieder begeistert ist, was Theaterspielen<br />
<strong>in</strong> K<strong>in</strong>dern bewirkt. „Es entsteht<br />
e<strong>in</strong>e ganz tolle Zusammenarbeit. Die<br />
Großen ziehen die Kle<strong>in</strong>en mit. Jeder<br />
und jede br<strong>in</strong>gt ihre Stärken e<strong>in</strong>, die<br />
Gruppe reguliert sich selbst und geme<strong>in</strong>sam<br />
entsteht etwas ganz Besonderes.<br />
Auch Jungen und Mädchen, die<br />
zurückhaltender s<strong>in</strong>d, bekommen so<br />
oft e<strong>in</strong>en guten Zugang zur Gruppe.<br />
Die K<strong>in</strong>der wachsen an den Aufgaben,<br />
die sie im Rahmen des Stückes übernehmen.<br />
Sie erleben sich als wertvoll<br />
und kreativ.“<br />
Die meisten K<strong>in</strong>der hätten e<strong>in</strong>en<br />
großen Erzähldrang und blühten oft<br />
auf, wenn sie e<strong>in</strong>e Geschichte auf<br />
diese Weise <strong>in</strong> Szene setzen könnten.<br />
Sie könnten vor allem dann als Theatermacher<strong>in</strong>nen<br />
und -macher kreativ<br />
werden, wenn sie das Gerüst e<strong>in</strong>er<br />
Geschichte als sichere Basis zur Verfügung<br />
haben. Aus diesem Grund sei es<br />
so wichtig gewesen, das ursprüngliche<br />
Puppenspiel ganz ausführlich <strong>in</strong> immer<br />
der gleichen Weise vorzuführen. ❚<br />
L<strong>in</strong>ks<br />
Die Gruppe reguliert sich selbst, Hemmungen fallen, es entsteht etwas Geme<strong>in</strong>sames<br />
KiND e.V. Stuttgart im KiND e.V.-Dachverband:<br />
www.k<strong>in</strong>d-dachverband.de<br />
Konzept-e-Netzwerk, Stuttgart: www.konzept-e.de<br />
Element-i-Konzept und -K<strong>in</strong>derhäuser: www.<br />
element-i.de<br />
Bildungs- und Betreuungskongress <strong>Invest</strong> <strong>in</strong> <strong>Future</strong>:<br />
www.<strong>in</strong>vest-<strong>in</strong>-future.de<br />
Tüchern bedeckten Salzlampe sorgte<br />
für w<strong>in</strong>terliche Stimmung.<br />
Aufgaben für alle K<strong>in</strong>der<br />
Fast alle der drei- bis sechsjährigen K<strong>in</strong>der<br />
<strong>in</strong> der E<strong>in</strong>richtung machten mit.<br />
„Wer nicht auf der Bühne stehen wollte,<br />
bastelte Ohren oder E<strong>in</strong>trittskarten,<br />
fungierte als E<strong>in</strong>lasser<strong>in</strong> oder E<strong>in</strong>lasser<br />
an der Tür oder läutete zum Vorstellungsbeg<strong>in</strong>n.<br />
E<strong>in</strong>er war – mit Trommel,<br />
Rassel und Glöckchen ausgestattet – für<br />
die Geräusche zuständig, die erklangen,<br />
wenn die unterschiedlichen Tiere<br />
an Wanjas Tür klopften. „Außerdem<br />
brauchten wir Publikum, wenn wir geprobt<br />
haben“, erklärt Christ<strong>in</strong>a Pfeiffer.<br />
„Die jungen Gäste haben aufmerksam<br />
zugeschaut, geklatscht und den Schauspieler<strong>in</strong>nen<br />
und Schauspielern e<strong>in</strong><br />
richtiges Bühnengefühl vermittelt.“<br />
Auf diese Weise waren alle e<strong>in</strong>bezogen.<br />
Bei der offiziellen Aufführung saßen<br />
die Eltern – wie vorher die K<strong>in</strong>der – auf<br />
dem mit Wattekugeln w<strong>in</strong>terlich dekorierten<br />
Boden. „Es war e<strong>in</strong>e schöne,<br />
familiäre und heimelige Atmosphäre,<br />
und alle K<strong>in</strong>der haben sich getraut zu<br />
Carola Kammerlander ist Geschäftsführer<strong>in</strong><br />
der Konzept-e für K<strong>in</strong>dertagesstätten<br />
gGmbH, die bundesweit 24<br />
K<strong>in</strong>derhäuser zum Teil im Auftrag der<br />
Trägervere<strong>in</strong>e KiND e.V. Stuttgart und<br />
KiND und Beruf e.V. nach dem pädagogischen<br />
Konzept element-i leitet. Eike<br />
Ostendorf-Servissoglou arbeitet im<br />
Redaktionsbüro für Bildung und Soziales<br />
<strong>in</strong> Stuttgart.<br />
<strong>16</strong> <strong>TPS</strong> 8 | <strong>2012</strong><br />
tps_08_12_14-<strong>16</strong>.<strong>in</strong>dd <strong>16</strong> 26.09.12 13:51