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Rede zum Schillerjahr - Theaterportal.de

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Preußens direkt vor seiner Haustür, in <strong>de</strong>r Schlacht von Jena und Auerstädt. Der<br />

Dichter versuchte, die Kultur zu einer uneinnehmbaren Bastion auszubauen, in <strong>de</strong>r<br />

die Deutschen ihre gera<strong>de</strong> erst ent<strong>de</strong>ckte nationale I<strong>de</strong>ntität und ihre Selbstachtung<br />

wahren konnten. Das war ein Stück Eskapismus im besten Sinne: Eine Vision, die<br />

einen Ausweg aus <strong>de</strong>m Gefängnis <strong>de</strong>r Gegenwart wies.<br />

Doch allein <strong>de</strong>r Gedanke, dass man sich mit Hilfe <strong>de</strong>r unzerstörbaren Kultur gegen<br />

mächtig walten<strong>de</strong> politische Kräfte verteidigen könnte, steht uns heute fern - sind die<br />

meisten <strong>de</strong>r hier Anwesen<strong>de</strong>n doch hauptsächlich damit beschäftigt, die zarte Kultur<br />

gegen die Politik in Schutz zu nehmen.<br />

Unsere Kultur muss zart genannt wer<strong>de</strong>n, weil wir sie oft genug im Markt- und Konsumgeschehen<br />

verzärteln.<br />

Wir wehren uns doch gewaltig dagegen von <strong>de</strong>n Künsten irritiert, geschockt, durchgerüttelt<br />

zu wer<strong>de</strong>n, um unser Leben zu än<strong>de</strong>rn, weil wir nach <strong>de</strong>r Rezeption eines<br />

Kunstwerks, das uns wirklich berührt hat, die Welt an<strong>de</strong>rs betrachten müssen als<br />

vorher.<br />

Wir wollen doch lieber geruhsam am Feierabend Kunst wahrnehmen, die sich in<br />

Jahrzehnten und Jahrhun<strong>de</strong>rten im gesellschaftlichen Konsens als großes Kulturerbe<br />

bewährt hat. Bloß nicht zuviel Gegenwart, bloß nicht zuviel Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit<br />

uns selbst, bloß nicht zuviel Auffor<strong>de</strong>rung <strong>zum</strong> Nach<strong>de</strong>nken, lieber Event und konsumierbar<br />

an <strong>de</strong>r Oberfläche.<br />

Die Bereitschaft, sich in <strong>de</strong>r Rezeption von Kunst preiszugeben, sich rühren und herausfor<strong>de</strong>rn<br />

zu lassen, ist natürlich eine Zumutung für <strong>de</strong>n Alltag, aber für <strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r<br />

sich darauf einlässt, eine ungeheuer fruchtbare.<br />

An<strong>de</strong>rerseits gibt es eine Parallele zu Schillers Zeit: Wie er haben auch wir das Gefühl,<br />

in einer Zeit <strong>de</strong>s Nie<strong>de</strong>rgangs und <strong>de</strong>r nationalen Demütigung zu leben. Unser<br />

Selbstwertgefühl wird von außen durch die globale Wirtschaftskonkurrenz bedrängt,<br />

von innen durch erschüttern<strong>de</strong> Ergebnisse all jener Bildungstests, die heute unter<br />

<strong>de</strong>m Wort PISA summiert wer<strong>de</strong>n.<br />

Der Patriotismus <strong>de</strong>r alten Bun<strong>de</strong>srepublik war ein Wirtschaftspatriotismus, <strong>de</strong>r sich<br />

in <strong>de</strong>m stolzen Wort Exportweltmeister zeigte. Jetzt, wo diese merkantilen Grundlagen<br />

<strong>de</strong>s Nationalgefühls erschüttert sind, scheint die Verlockung auf, <strong>de</strong>n etwas angestaubten<br />

Schrein <strong>de</strong>r Kulturnation aufzupolieren.<br />

Jahrzehntelang stand die Bildung nicht hoch im Kurs. Nun scheint das Ringen um<br />

Bildung wie<strong>de</strong>r notwendig, und die Ringer führen die Kulturnation im Mun<strong>de</strong>, und<br />

Schiller ist ihr Zeuge. Wie aber erfüllen wir heute die Vorstellung Deutschlands als<br />

Kulturnation?<br />

Der Begriff taucht oft auf, aber eher als Kanone, mit <strong>de</strong>r auf Spatzen geschossen<br />

wird: auf Theateraufführungen, die einem nicht gefallen, weil sie die eigene Erwartung<br />

nicht erfüllen, auf Enttäuschtsein von einer Kunst, von <strong>de</strong>r man sich nur mitreißen<br />

lassen könnte, wenn man sich ihr mit offenen Sinnen und neugierigem Geist nä-

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