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ThomasMesse 18.11.12 Gedanken zum Bild „Der verwundete Engel ...

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<strong>ThomasMesse</strong> <strong>18.11.12</strong><br />

<strong>Gedanken</strong> <strong>zum</strong> <strong>Bild</strong> „Der <strong>verwundete</strong> <strong>Engel</strong>“<br />

S. Großhennig:<br />

Mich berühren an diesem <strong>Bild</strong> die derben Schuhe der Kinder und die<br />

ernste Miene (mindestens des einen Buben).<br />

Das erinnert mich an Kinder, die Lasten tragen müssen, die viel zu<br />

schwer sind für ihre kleinen Schultern. Z.B. Kinder, die in Bergwerken,<br />

Steinbrüchen, Textilfabriken oder anderen unwirtlichen Orten so vieler<br />

Länder dieser Erde arbeiten müssen, um den Lebensunterhalt für sich<br />

und ihre Familien zu verdienen. Aber auch Kinder, die hierzulande<br />

Lasten ihrer Familien mittragen müssen, z.B. bei schwerer Krankheit<br />

oder gar dem Tod von Mutter, Vater oder Geschwisterkindern.<br />

G. Bürkle:<br />

Wenn ich dieses <strong>Bild</strong> anschaue, bin ich irritiert: ein <strong>Engel</strong> als Kranker<br />

und Verwundeter. Ich frage mich: kann ich mich verlassen auf die<br />

Boten Gottes, die mich ‚behüten auf all meinem Wegen’?<br />

Ich frage mich: was ist passiert, welche Geschichte könnte hinter<br />

diesem <strong>Bild</strong> stehen? Was hat den <strong>Engel</strong> so verletzt, dass er nun<br />

derjenige ist, dem geholfen werden muss?<br />

Wird es ihm zu schwer, all dies zu tragen und zu ertragen: die Gewalt,<br />

die Menschen einander antun, Kummer und Schmerz in zerstörten<br />

Beziehungen, Krankheiten, die unser Leben bedrohen, Trauer und<br />

Leid über Menschen, die sterben mussten?<br />

B. Tesche:<br />

An diesem <strong>Bild</strong> berührt bzw. bestürzt mich die große Ernsthaftigkeit<br />

der beiden Jungen. Was mögen sie erlebt haben? Was macht ihren<br />

Gang so schwer?<br />

Und: Wofür steht der <strong>verwundete</strong> <strong>Engel</strong>? Tragen die beiden Jungen mit<br />

ihm auch ihre eigenen seelischen Verletzungen?<br />

Ich denke an Erfahrungen, die manche Kinder hier bei uns, in unserer<br />

Gesellschaft machen, die ihre Kinderseelen verwunden und<br />

beschweren. Das kann ungefilterter Medienkonsum sein oder Gewaltoder<br />

Missbrauchserlebnisse. Das kann auch Unsicherheit in den<br />

Beziehungen in der Familie sein oder andere Sorgen und Nöte.<br />

Predigt zu Hugo Simberg, Der <strong>verwundete</strong> <strong>Engel</strong><br />

Liebe Mitfeiernde der Thomasmesse,<br />

Was sehen Sie in diesem <strong>Bild</strong>? Worauf fällt ihr Blick? Auf die beiden<br />

Buben, die so unterschiedlich aussehen: der linke, der seine Pflicht zu<br />

tun scheint, und der rechte mit seinem ernsten, fragenden, vielleicht<br />

vorwurfsvollen Blick? Oder fällt ihr Blick auf den <strong>Engel</strong>?<br />

Ich selber bin am <strong>verwundete</strong>n <strong>Engel</strong> hängen geblieben. Und zugleich<br />

fällt mir ein anderer <strong>Engel</strong> ein:<br />

Der <strong>Engel</strong> der Marienkirche. Ganz oben steht er. Bei Sonnenschein<br />

glänzt er, und es mag so scheinen, als falle etwas von diesem Glanz auf<br />

die Menschen, die unterm <strong>Engel</strong> leben und arbeiten.<br />

Der <strong>Engel</strong> der Marienkirche steht oben ganz aufrecht. Unangefochten.<br />

Was hat er nicht schon alles erlebt und überlebt, selbst zwei Stürze. Es<br />

ist ein starker <strong>Engel</strong>, ein <strong>Engel</strong> eben so, wie wir uns einen <strong>Engel</strong><br />

wünschen.<br />

Und nun auf der Karte ein ganz anderer <strong>Engel</strong>, verwundet mit einer<br />

Blutspur am Flügel, schwach, mit gesenktem Kopf, die Augen<br />

verbunden; er muss getragen werden, statt dass er trägt; er wird<br />

beschützt, statt dass er seinerseits die beiden Buben beschützt. Und<br />

dann die kahle, spätherbstliche Landschaft, ohne Grün. Geht es Ihnen<br />

nicht auch so wie mir: auf den ersten Blick befremdet dieses <strong>Bild</strong>, es<br />

macht melancholisch, es wirkt bedrückend.<br />

Was fangen wir an mit diesem <strong>Bild</strong>, mit der Stimmung der Traurigkeit,<br />

die es vermittelt? Es ist schon merkwürdig: irgendwie spricht es doch<br />

an. Es ist wohl kein Zufall, dass das <strong>Bild</strong> von Hugo Simberg vor<br />

wenigen Jahren von den Besuchern des Kunstmuseums Ateneum zu<br />

Finnlands „Nationalem Gemälde“ gewählt wurde.<br />

Und doch: Was fangen wir mit diesem <strong>Bild</strong> an, das Verwundung,<br />

Verletzung, Schwäche, Traurigsein <strong>zum</strong> Thema macht? Was fangen<br />

wir mit diesem <strong>Bild</strong> in unserer Zeit an, in der Stärke und<br />

Durchsetzungsfähigkeit zu den höchsten Werten zählen – in unserer<br />

Zeit, in der man glänzen muss, sich als möglichst perfekt präsentieren<br />

muss?


Als wir uns im Team der Thomasmesse zu diesem <strong>Bild</strong> ausgetauscht<br />

haben, waren mir die <strong>Gedanken</strong> eines Teammitglieds besonders<br />

eindrücklich, das etwa gesagt hat: Es sei wohl kein Zufall, dass das<br />

<strong>Bild</strong> aus Finnland stammt. In den nordischen Ländern sei Raum für die<br />

Stimmung der Melancholie. Als sie jedoch einige Jahre in den USA<br />

gelebt hat, da habe sie gespürt, dass diese Stimmung dort keinen Raum<br />

habe – in diesem Land, in dem Aufstieg und Erfolg an oberster Stelle<br />

stehen.<br />

Hat Melancholie, Schwäche, Verwundung einen Raum in unserem<br />

Land, einen Raum bei uns persönlich? Oder lassen wir uns von dem in<br />

unserer Gesellschaft vorherrschenden Imperativ leiten: „Sei glücklich!“?<br />

Manchmal ist es erst eine einschneidende Erfahrung, die uns<br />

offen macht für diese andere Seite des Lebens: eine Krankheit, ein<br />

berufliches Scheitern, das Zerbrechen einer Beziehung, das Abschiednehmen<br />

von einem lieben Menschen.<br />

Von einer solchen einschneidenden Erfahrung erzählt auch der Apostel<br />

Paulus. In einem <strong>Bild</strong> redet er davon, dass ihm ein Pfahl ins Fleisch<br />

gegeben sei; wahrscheinlich meint er eine schmerzhafte Krankheit, die<br />

ihn verwundet hat und ihm Grenzen setzt. Er war ein sehr erfolgsorientierter<br />

Mensch gewesen, der vor Gott und vor den Menschen<br />

glänzend dastehen wollte. Er bittet JChr dreimal um Befreiung von<br />

dieser Verwundung. Doch der gekreuzigte und auferstandene Herr sagt<br />

zu ihm:<br />

Meine Gnade genügt dir, denn meine Kraft ist in der Schwäche<br />

mächtig.<br />

(Das ist übrigens die Jahreslosung für 2012.)<br />

Kraft in der Schwäche – Schwäche meint hier nicht nur körperliche<br />

Kraftlosigkeit, sondern Verletztsein, auch Traurigsein bis hin zur<br />

Verzweiflung.<br />

Es ist eine merkwürdige Kraft, die in der Schwäche mächtig ist. Es ist<br />

die Kraft dessen, der ohnmächtig am Kreuz hing. In jeder Kirche ist<br />

der Gekreuzigte mit seinen Wunden zu sehen.<br />

Eine merkwürdige Kraft ist es, die in der Schwäche mächtig ist. Es ist<br />

eine Kraft, die die Schwäche nicht bekämpft, sondern die der<br />

Schwäche und der Verwundung Raum gibt – und das auch bei uns. Wir<br />

müssen die Schwäche nicht verneinen, sondern wir können sie<br />

zulassen. Wir dürfen auch schwach sein. Unsere Wunden und unsere<br />

Verletzungen gehören zu unserem Leben. Wir müssen sie nicht<br />

ungeschehen machen wollen, sondern wir können sie zulassen und mit<br />

ihnen barmherzig umgehen. Und wir können trauern über das, was wir<br />

dabei verloren haben. Gerade Krisen können Türen öffnen zur Fülle<br />

des Lebens.<br />

Am heutigen Volkstrauertag wird der Opfer von Krieg und Gewalt<br />

gedacht. Krieg und Gewalt entstehen oft da, wo einseitig Stärke gelebt<br />

wird, wo die Schwäche keinen Raum hat.<br />

Der <strong>verwundete</strong> <strong>Engel</strong> ist ein Gegenbild gegen eine solche einseitig<br />

gelebte Stärke. Freilich ist es ein ahnungsloser <strong>Engel</strong>. Denn der<br />

Künstler konnte 1903, als er das <strong>Bild</strong> schuf, nicht ahnen, welches Maß<br />

an Grausamkeit und systematischer Vernichtung von Menschen das 20.<br />

Jahrhundert bringen würde; und das 21. Jh. hat mit dem 11. September<br />

und den Kriegen im Irak und in Afghanistan nicht besser angefangen;<br />

und gegenwärtig erleben wir die Spirale der Gewalt zwischen Israel<br />

und Hamas im Gazastreifen.<br />

Doch müssen wir nicht versinken in der Betrachtung des<br />

millionenfachen Leids, genauso wenig hängen bleiben bei unseren<br />

eigenen Wunden.<br />

Das <strong>Bild</strong> hat eine andere Botschaft: Der <strong>Engel</strong> hält in der rechten Hand<br />

einen kleinen Strauß Schneeglöckchen, die als Symbol für Heilung und<br />

neues Leben gelten. Mitten in dieser trostlosen Landschaft blüht etwas<br />

auf. Wir müssen uns nicht lähmen lassen, sondern wir können die Kraft<br />

erspüren, die in der Schwäche mächtig ist. Das feiern wir in dieser<br />

Thomasmesse. Und der Gekreuzigte und Auferstandene lädt uns zu<br />

seinem Mahl ein, das uns Kraft gibt <strong>zum</strong> Weitergehen und <strong>zum</strong><br />

Handeln.<br />

das <strong>Bild</strong> ist zu sehen unter<br />

http://de.wikipedia.org/wiki/Der_<strong>verwundete</strong>_<strong>Engel</strong>

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