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Schweidnitz in den Kriegsjahren 1942-1945 (Teil I - Sammlung Adler 1

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Wenige Tage später fiel Nolte im Kampfe an der Passstraße nach Tuapse.<br />

Als Studienrat Paul Koehler von der Schlageter-Oberschule die Nachricht vom Tode se<strong>in</strong>es Sohnes im Kampf<br />

gegen die Sowjetunion erhielt, habe er – so erzählt man - Richard Dehmels Ballade vom Scheitern der<br />

napoleonischen Hybris „Anno Dom<strong>in</strong>i 1812“ <strong>in</strong> der Klasse vorgetragen. („Über Russlands Leichenwüstenei/<br />

faltet hoch die Nacht die blassen Hände,/ glänzt der dunkelrot gekrümmte Mond, e<strong>in</strong>e blutige Sichel Gottes“).<br />

Die Analogie zu Hitlers Krieg war mit <strong>den</strong> Hän<strong>den</strong> zu greifen, wenn etwa e<strong>in</strong> alter russischer Bauer dem im<br />

Schlitten unerkannt flüchten<strong>den</strong> Korsen erklärt: „Und es war e<strong>in</strong> großes schwarzes Heer,/ und es war e<strong>in</strong> stolzer<br />

kalter Kaiser;/ aber unser Mütterchen, das heilige Russland, hat viel tausend tausend stille warme Herzen;/ ewig,<br />

ewig blüht das Volk!“ Die nahe liegende Parallele grenzte an Defätismus und Schwächung des Wehrwillens!<br />

E<strong>in</strong>e Anzeige hätte böse Folgen haben können – ke<strong>in</strong>er se<strong>in</strong>er Schüler – manche davon hohe HJ-Führer! – dachte<br />

daran, <strong>den</strong> hochgeschätzten Pädagogen bei Partei oder Gestapo anzuschwärzen. Me<strong>in</strong>e von der Propaganda<br />

geprägte Vorstellung – ich war damals wohl 13 Jahre alt – vom gefährlichen bolschewistischen<br />

„Untermenschen“ geriet e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong> wenig <strong>in</strong>s Wanken, als e<strong>in</strong>es Tages Studienrat Friedmund Lünser („Amo“) <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er Pause auf dem Schulhof von se<strong>in</strong>er Gefangenschaft <strong>in</strong> Russland während des Ersten Weltkriegs erzählte –<br />

und die gute Behandlung durch die Russen lobte. Ke<strong>in</strong> nationalsozialistischer Fanatiker stieß sich daran.<br />

E<strong>in</strong>er me<strong>in</strong>er Lehrer, unser Zeichenlehrer Emil Menge aber kam damals – wohl <strong>1942</strong> – doch <strong>in</strong> akute Gefahr. Er<br />

erzählte während des Unterrichts, er habe e<strong>in</strong>en Feldpostbrief von se<strong>in</strong>em als Soldat <strong>in</strong> Russland kämpfen<strong>den</strong><br />

Sohn erhalten. Jeder Brief von der Front bedeutete damals e<strong>in</strong> – wenn auch nur momentanes - Lebenszeichen;<br />

offensichtlich konnte er se<strong>in</strong>e Freude darüber nicht für sich behalten. Er zitierte auch e<strong>in</strong> paar Sätze aus dem<br />

Schreiben, wonach die Russen sich erbittert und ohne Opfer zu scheuen <strong>den</strong> deutschen Angriffen widersetzten,<br />

und bemerkte dazu, man müsse sich wünschen, dass unsere Soldaten mit ebensolchem Hel<strong>den</strong>mut kämpften. E<strong>in</strong><br />

fanatisierter Mitschüler hörte daraus defätistische Zweifel am Kampfesmut der deutschen Wehrmacht heraus und<br />

zeigte ihn deshalb an. Mehrere Klassenkamera<strong>den</strong> wur<strong>den</strong> von der Gestapo verhört – zu e<strong>in</strong>em Verfahren kam es<br />

glücklicherweise nicht. Sicher trug dazu auch bei, dass der „Angeklagte“, obwohl der NSDAP eher fernstehend,<br />

e<strong>in</strong>e <strong>in</strong> <strong>Schweidnitz</strong> seit langem bekannte und geschätzte Persönlichkeit war. Und so e<strong>in</strong>deutig war ja auch se<strong>in</strong>e<br />

Äußerung nicht gewesen. – Persönliche Beziehungen zum Oberbürgermeister – e<strong>in</strong>em überzeugten Nationalsozialisten<br />

der ersten Stunde - hatten ja auch schon dem liberalen Studiendirektor (und Freimaurer) Dr. Paul<br />

Gantzer 1933 bei se<strong>in</strong>er Zwangspensionierung als Leiter des Gymnasiums die ehrenvolle Stellung des<br />

Stadtarchivars e<strong>in</strong>getragen (im Krieg wurde er auch wieder als Lehrer e<strong>in</strong>gesetzt). Se<strong>in</strong> Nachfolger Dr. Wilhelm<br />

Meyer durfte, als er wegen se<strong>in</strong>er verschwiegenen Logenzugehörigkeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Konflikt mit dem NS-Regime<br />

geriet, weiter <strong>in</strong> <strong>Schweidnitz</strong> bleiben. Obwohl dienst- und besoldungsrechtlich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Studienratsstelle<br />

zurückgestuft, blieb er für Schüler wie für die Öffentlichkeit der aus gutem Grunde hochgeschätzte „Herr<br />

Direktor“. Und auch der Leiter des <strong>Schweidnitz</strong>er Museums und verdiente Historiograph unserer Heimatstadt,<br />

Theo Johannes Mann, erklärte noch nach dem Krieg se<strong>in</strong>e Dankbarkeit dafür, dass OB Trzeciak/Trenk ihn trotz<br />

se<strong>in</strong>er bekannten Logenzugehörigkeit weiter gefördert habe. – Man fühlt sich an <strong>den</strong> kolportierten Ausspruch des<br />

Reichsmarschalls Hermann Gör<strong>in</strong>g zum Vorwurf jüdischer Abstammung gegen Feldmarschall Milch er<strong>in</strong>nert:<br />

„Wer Jude ist, bestimme ich!“<br />

Ersatz von männlichen Arbeitskräften durch Frauen, Fremdarbeiter und Kriegsgefangene<br />

Je mehr deutsche Männer zum Kriegsdienst herangezogen wur<strong>den</strong>, desto stärker wur<strong>den</strong> auch Frauen zur Arbeit<br />

verpflichtet. Das geschah freilich erst spät, nachdem 1943 der „totale Krieg“ erklärt wor<strong>den</strong> war. Ende Juli <strong>1942</strong><br />

aber waren im Reich schon 1,5 Millionen (30.9. über 1,6 Mio) Ausländer beschäftigt, davon 820 000 (30.9. 840<br />

000) <strong>in</strong> der Landwirtschaft. Im August des gleichen Jahres ordnete Hitler Zwangsanwerbungen an, wenn<br />

Freiwilligkeit nicht zum Erfolg führen sollte. Der Gauleiter von Thür<strong>in</strong>gen, Fritz Sauckel, wurde „Generalbevollmächtigter<br />

für <strong>den</strong> Arbeitse<strong>in</strong>satz“. Er wurde <strong>in</strong> Nürnberg zum Tode verurteilt.<br />

Die Zahl der zivilen Fremdarbeiter – nach <strong>1942</strong> meist zwangsweise rekrutiert - und der Kriegsgefangenen <strong>in</strong> der<br />

deutschen Wirtschaft wuchs ständig. Über ihr Leben als Zwangsarbeiter<strong>in</strong> bei Heliowatt <strong>in</strong> <strong>Schweidnitz</strong> hat nach<br />

dem Krieg e<strong>in</strong>e junge Pol<strong>in</strong> berichtet, die allerd<strong>in</strong>gs erst nach dem Warschauer Aufstand 1944 <strong>in</strong> unsere<br />

Heimatstadt deportiert wurde 10 . Sie lebte im Lager „NORA“ – der Name ist wohl e<strong>in</strong>e Anspielung auf die von<br />

HELIOWATT produzierten Radiogeräte der Marke NORA -, das <strong>in</strong> der früheren Gaststätte „L<strong>in</strong><strong>den</strong>ruh“ <strong>in</strong> der<br />

Kletschkauer Straße untergebracht war, und arbeitete im Zweigwerk der Firma zwischen der Reichenbacher und<br />

der Grabenstraße (früher Schlesische Le<strong>in</strong>en<strong>in</strong>dustrie). Ihre Schilderung beschreibt die Schwierigkeiten e<strong>in</strong>er<br />

ungewohnten Arbeit, die Unbil<strong>den</strong> und Schikanen des Lagerlebens, aber auch die seelische Not e<strong>in</strong>er jungen<br />

Frau, die plötzlich aus ihrem gewohnten Lebensumfeld gerissen und <strong>in</strong> die Fremde verschleppt wird. Ersichtlich<br />

wird aber auch, dass die Lager<strong>in</strong>sassen durchaus gewisse Freiheiten genossen. So konnten sie sonntags <strong>in</strong> der<br />

Stadt spazieren gehen oder auch polnische Kriegsgefangene <strong>in</strong> Pilzen besuchen und von dort Äpfel zur<br />

Aufbesserung der kargen Verpflegung mitbr<strong>in</strong>gen. Aus eigener Er<strong>in</strong>nerung weiß ich noch, dass manchmal<br />

sonntags viele Polen, auch aus <strong>den</strong> umliegen<strong>den</strong> Dörfern, nach dem Besuch ihres Gottesdienstes <strong>in</strong> der<br />

Kreuzkirche auf dem Niedertorplatz herumstan<strong>den</strong> und sich unterhielten, bis sie zu „ihren“ Bauern<br />

zurückkehrten.<br />

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