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Sorge tragen für die zweite Haut - Yogaschule Bergkamen

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Zum Workshop mit Elisabeth Lockhart auf der 8. Internationale Konferenz <strong>für</strong> Frauen<br />

aus Mittel-, Ost- und Westeuropa 2013<br />

<strong>Sorge</strong> <strong>tragen</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>zweite</strong> <strong>Haut</strong><br />

In der Matriaval 20/12 lese ich in dem Artikel von Frau Dagmar Margotsdotter-Fricke:<br />

„Wie frau sich bettet, so l(i)ebt sie“ – von einer Erschütterung. Da wird <strong>die</strong> Autorin mit<br />

so einer scheinbar ganz schlichten Idee in Kontakt gebracht und wach gerüttelt: <strong>die</strong><br />

Nacht im selben Bett mit einer Schwester, Cousine, Freundin, Nachbarin zu verbringen.<br />

Diese einfache Möglichkeit ist uns abhanden gekommen, man hat sie uns aus<br />

dem Sinn geschlagen. Und mit <strong>die</strong>sem verlorenen Gedanken eben auch <strong>die</strong> mögliche<br />

Erfahrung, im Dunkel und im warmen Bett <strong>die</strong> Ereignisse des Tages oder ein<br />

Problem noch mit ein paar Anmerkungen zu umhüllen, ein Projekt zusammen fortzuspinnen<br />

und bis ins Träumen zu verlängern, um dann geschützt und beruhigt gemeinsam<br />

einzuschlafen.<br />

Genau so eine Erschütterung habe ich mit einer ganz anderen Idee, <strong>die</strong> ebenso<br />

verschüttet wurde und ebenso eine ganz einfache Möglichkeit bietet, erfahren: mit<br />

der Hand das T-Shirt selber nähen.<br />

Inzwischen verkünden es selbst <strong>die</strong> gängigen Me<strong>die</strong>n: unsere Kleidung ist das größte<br />

Übel unseres Planeten Erde. Es beginnt mit dem Anbau und der Gensaat, den<br />

Düngemitteln und der Wasserverschmutzung; dann <strong>die</strong> Ernte und Weiterverarbeitung<br />

des Rohstoffes, bei denen Frauen und Kinder geschädigt werden; dann <strong>die</strong> Reisen<br />

um <strong>die</strong> Welt, um immer <strong>die</strong> billigste und fremdbestimmteste Arbeitskraft zu nutzen;<br />

dann <strong>die</strong> weiteren chemischen Prozesse wie Färben, Bleichen, Ausrüsten <strong>für</strong> bügelfrei<br />

und knitterfrei und beim Verpacken <strong>die</strong> Insektizidbehandlungen. Bei all <strong>die</strong>sen<br />

Prozessen werden wieder <strong>die</strong> Menschenrechte missachtet, <strong>die</strong> Umweltauflagen<br />

umgangen, Kinder missbraucht – und niemand angemessen entlohnt.<br />

Bin ich <strong>die</strong>sem Markt ausgeliefert? Wie abhängig bin ich von den fertigen Produkten,<br />

wenn es um meine <strong>zweite</strong> <strong>Haut</strong> geht? Wie viel Mode und Trend brauche ich wirklich?<br />

Möchte ich ein Kleidungsstück, das zweimal um <strong>die</strong> Welt geflogen ist mit seiner katastrophalen<br />

Ökobilanz? Brauche ich wirklich <strong>die</strong> Ethnostickereien, <strong>die</strong> garantiert von<br />

Kinderhänden gefertigt wurden? Warum erwarte ich, dass andere Frauen <strong>für</strong> meine<br />

Kleidung sorgen, irgendwo auf <strong>die</strong>sem Planeten und unter Bedingungen, <strong>die</strong> ich mir<br />

lieber gar nicht ausmalen möchte? Die Fragen gehen mir nicht aus dem Kopf, und<br />

doch scheint es ausweglos, denn selbst wenn ich mich <strong>für</strong> teurere Produkte entscheide,<br />

geht <strong>die</strong>ses „Mehr“ an <strong>die</strong> Markenfirma und nicht in andere Produktionsweisen<br />

und schon gar nicht an <strong>die</strong> Baumwollbäuerin oder <strong>die</strong> Arbeiterin in den Näh-<br />

Lagern.<br />

Da fällt mir das Buch von India Flint in <strong>die</strong> Hand: The second skin. Sie stellt nicht nur<br />

<strong>die</strong>selben Fragen, sondern gibt u.a. <strong>die</strong> einfache Antwort: „mit-der-Hand-das-T-Shirtselber-nähen“.<br />

Ich war verblüfft und sofort ratterten abwehrende Fragen durch den Kopf: mit der<br />

Hand nähen! Geht das überhaupt? Wie sieht das denn aus?! Und <strong>die</strong> Zeit – Du liebe<br />

Zeit, so viel Zeit habe ich doch gar nicht … der innere Dialog: „So, so, Du hast also<br />

besseres zu tun mit deiner Zeit, und deshalb sollen irgendwo andere Frauen <strong>für</strong> dich<br />

nähen? Alles Ausrede, Du traust es dir nur nicht zu“ Nähen mit der Hand, ist es nicht<br />

einen (Selbst)Versuch wert? India Flint gibt einen Hinweis auf Natalie Chanin`s Alabama<br />

Stitch Book, darin finde ich <strong>die</strong> Anleitung <strong>für</strong> das Nähen mit der Hand.<br />

Der nächste Schritt ist <strong>die</strong> Suche nach einem Baumwolljersey, der kba (kontrolliert<br />

biolgisch angebaut) und fairtrade zertifiziert ist und somit den GOTS (global organic<br />

textile standarts) entspricht. Tatsächlich werde ich fündig und entdecke Neues: es<br />

gibt sogar ungefärbte Baumwolle in verschiedenen Naturtönen (ecru/cremebraun/<br />

schilfgrün). Ich bestelle und dann geht es los. Ein altes T-Shirt, das gut sitzt, wird<br />

mein Schnittmuster. Dann stecke ich <strong>die</strong> erste Schulternaht und nähe – noch etwas<br />

unrhythmisch zunächst – mit einfachen Vorstichen. Langsam gewöhnen sich Hand<br />

und Geist an das stille und gleichförmige Tun – und es geht viel besser als gedacht.<br />

Nach zwei Abenden ist mein erstes T-Shirt fertig. Ein Kleidungsstück auf meiner<br />

<strong>Haut</strong>, das biologisch, ökologisch und vollkommen fair ist, denn mein Lohn ist „nie-


manden zu schaden“ und ein Stück Souveränität, abgesehen davon, dass <strong>die</strong>ses T-<br />

Shirt mir auf den Leib geschnitten ist.<br />

Dieses „Mit-der-Handnähen“ ist uns so fremd geworden wie das „<strong>die</strong>-Nacht-und das-<br />

Bett-mit-der-Schwester-teilen“. Noch unsere Urgroßmütter haben selbstverständlich<br />

<strong>für</strong> ihre Kleidung selbst gesorgt – und das in jeder Ethnie und in jedem Clan. Und<br />

auch das war selbstverständlich: sich zu treffen und das Gespräch fließen zu lassen<br />

im Rhythmus mit der Handarbeit. Dabei wurden Wissen, Hilfe und Dinge getauscht<br />

und mit-geteilt. Es ist ein altes Erbe unserer Ahninnen, und es ist - wie Frau<br />

Margotsdotter-Fricke es beschreibt - eine Schatzkiste, <strong>die</strong> es auszugraben gilt: <strong>für</strong><br />

unsere <strong>zweite</strong> <strong>Haut</strong>, <strong>für</strong> unsere Selbstbestimmung und Kreativität und natürlich <strong>für</strong><br />

unseren Stern.<br />

Nun habe ich also ein Basic – selbst gemacht. Doch was trage ich sonst? Bei dem<br />

Material bin ich kompromisslos geworden. Hier muss ich erwähnen, dass ich Yogalehrerin<br />

bin und daher weiß, dass meine <strong>Haut</strong> das größte Organ ist, feinfühlig und<br />

atmungsaktiv, im Austausch mit dem kosmischen Atem (prana), der mich regeneriert<br />

Schnittmuster <strong>für</strong> ein T-Shirt<br />

Zeichnung: Elisabeth Lockhart


Schnittmuster <strong>für</strong> Tunika mit verschiedenen Stoffen<br />

Zeichnung: Elisabeth Lockhart<br />

und vitalisiert. Und da soll ich <strong>die</strong> Poren verstopfen mit Modal, Goretex, Acetat,<br />

Elasthan, Polyacryl etc.? Nein – auch nicht ein „bisschen als Futter oder Beigemisch“.<br />

Da bleiben nur Wolle, Seide, Baumwolle, Hanf, Nessel, Leinen – also genau<br />

das, was meine Ahninnen sich ausschließlich geleistet haben.<br />

Ich stelle neue Fragen, <strong>die</strong> mich mehr und mehr von konditionierten und vorgegebenen<br />

Ideen erlösen:<br />

Was sind meine Kriterien beim Schnitt? Die <strong>zweite</strong> <strong>Haut</strong> muss mir passen – ganz<br />

einfach. Und ich bin keine Burdagröße, sondern eine vollkommen einmalige Erscheinungsform<br />

in <strong>die</strong>ser Welt. Das führt zu einem Schnitt, der maßgeschneidert ist –<br />

auch das haben seit 20.000 Jahren meine Vorfahrinnen immer gehabt.<br />

Welche Form und welche Art zu kleiden würde ich wählen, wenn - und das tut es ja –<br />

mir alle historischen und ethnischen Schnitte zur Verfügung ständen? Was wünsche<br />

ich mir von meiner <strong>zweite</strong>n <strong>Haut</strong> noch? Als Yogalehrerin liebe ich <strong>die</strong> Bewegung,<br />

also muss meine Kleidung mir Bewegungsfreiheit garantieren. Sowohl im Rock, als<br />

auch in einer Hose möchte ich mich im Schneidersitz auf <strong>die</strong> Erde niederlassen können,<br />

ich möchte mich drehen und große Schritte machen können; sowohl in der<br />

Jacke wie im Oberkleid möchte ich meine Arme nach oben ausstrecken oder mit den<br />

Händen im Wasser arbeiten können, mich vorbeugen und mich nach hinten lehnen<br />

können.<br />

Wenn es mir warm wird, möchte ich ein Kleidungsstück ausziehen, oder etwas drüber<br />

ziehen können, wenn es kälter wird. Langsam merke ich, dass ich auf der Suche<br />

bin nach einem Gewand <strong>für</strong> <strong>die</strong> Kräfte in mir, <strong>die</strong> ich verkörpere – ich nenne es ein<br />

Seelengewand; oder: das Gewand <strong>für</strong> <strong>die</strong> Göttin in mir. Manchmal will ich aber auch<br />

Kräfte ausbalancieren und Energieformen, <strong>die</strong> geschwächt sind, wieder verstärken –<br />

dann nenne ich es ein Heilkleid oder ein Schutzgewand.<br />

Diese Gewänder sind nicht zu kaufen, ich muss sie also selber machen. Ausgewählt<br />

habe ich aus all dem, was meine Ahninnen im unermesslichen Raum bewahrt haben<br />

einen Lagenlook, wobei der Lagenlook - der sich aus all meinen Wünschen ergibt –<br />

zeitlos ist, er war schon „in“ bei den Wikingerinnen und Keltinnen, ebenso wie bei<br />

den Schwestern überall in der Ferne, <strong>die</strong> in einem ähnlichen Klima wohnen. Farben<br />

und Verzierungen werden sorgsam ausgesucht, denn mit den Energieformen trete<br />

ich in Kontakt über <strong>die</strong> Farbe, oder über besondere Muster, oder über alte Zeichen,<br />

<strong>die</strong> ich einarbeiten kann.<br />

Beim Drunter habe ich mich <strong>für</strong> Nessel entschieden, eine einfache, weiche kba-<br />

Qualität, <strong>die</strong> ich selber färbe. Das Drunter ist mal eine einfache Hose und T-Shirt,<br />

mal ein weiter Rock und T-Shirt. Das Drüber ist ein Trägerkleid (aus einem Sarafan<br />

entwickelt) oder ein Wickelkleid (aus der tibetischen Chupa entwickelt), mal aus<br />

Wolle <strong>für</strong> den Winter, mal aus Leinen <strong>für</strong> den Sommer. Ergänzt wird <strong>die</strong> Kleidung<br />

durch eine kurze Strickjacke/Bolerojäckchen <strong>für</strong> drinnen oder einen Mantel (aus der<br />

syrischen Tunika entwickelt) <strong>für</strong> draußen.<br />

So ist meine Kleidung ganz aus der Mode, aber zeitlos und mir angemessen. Sie ist<br />

eine wirkliche „<strong>zweite</strong> <strong>Haut</strong>“. Inzwischen ist mein „Handarbeitsraum“ einmal im Monat<br />

(natürlich an einem Freitag) offen <strong>für</strong> meine Yogaschülerinnen, <strong>die</strong> nun auch <strong>die</strong>sen<br />

Ausstieg aus dem fremdbestimmten, aggressiven Textilmarkt und den Einstieg in das<br />

ökologisch und sozial verantwortliche, <strong>die</strong> eigenen Bedürfnisse respektierende Selbermachen<br />

wagen wollen. Langsam öffnet sich dabei <strong>die</strong> Schatztruhe und offenbart<br />

einen Reichtum durch Austausch von Ideen in einer lebendigen Gemeinschaft, der<br />

weit größer ist als das mit der Hand genähte „Gewand <strong>für</strong> <strong>die</strong> Göttin in jeder“.<br />

Literaturhinweis:<br />

- India Flint: second skin, published in 2011 by Murdock Books, Pty limited<br />

- Natalie Chanin: Alabama Studio Sewing + Design , published in 2012 by Stewart, Tabori<br />

&Chang


- Deutsche Quelle <strong>für</strong> GOTS-Baumwolljersey: Siebenblau in 10437 Berlin<br />

Von Dr. Elisabeth Lockhart – Dorfstr. 17 in 36275 Kirchheim. Tel: 06628 – 8917<br />

Schnittmuster <strong>für</strong> Tunika mit verschiedenen Stoffen<br />

Zeichnung: Elisabeth Lockhart

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