Diagnostik im Dialog als PDF herunterladen - Roche Diagnostics
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Ausgabe 40 • 5 / 2013<br />
<strong>Diagnostik</strong> <strong>im</strong> <strong>Dialog</strong><br />
der <strong>Roche</strong> <strong>Diagnostics</strong> Deutschland GmbH<br />
Beilage<br />
„ Probewochen<br />
<strong>Roche</strong> Microsampler T “
Editorial<br />
Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser,<br />
vor 85 Jahren hat der griechische Arzt<br />
George Papanicolaou einen Test zur<br />
Erkennung von abnormalen Zellen in<br />
einem gefärbten Abstrich vom Gebärmutterh<strong>als</strong><br />
entwickelt – den nach ihm benannten<br />
Pap-Test. Der Erfolg dieser Methode<br />
ist unbestritten, die Zahl der Zervixkarzinome<br />
reduzierte sich durch nationale<br />
Früherkennungsprogramme um ca. 70 %.<br />
Damit jedoch scheint das Potenzial des<br />
Pap-Tests mit seiner geringen Sensitivität<br />
und der subjektiven Ergebnisinterpretation<br />
ausgereizt: Das Zervixkarzinom<br />
stagniert in Westeuropa auf Platz zwei<br />
der Krebserkrankungen bei Frauen bis 44<br />
Jahre.<br />
Seit einigen Jahren stehen molekulare<br />
Marker kommerziell zur Verfügung, die<br />
den herkömmlichen Pap-Test ergänzen<br />
und verbessern können. Zum einen identifizieren<br />
sie frühzeitig Frauen mit hohem<br />
Risiko für Gebärmutterh<strong>als</strong>krebs, zum<br />
anderen erhöhen sie signifikant die Ergebnissicherheit<br />
von Zellabstrichen. Bei <strong>Roche</strong><br />
<strong>Diagnostics</strong> gehört die Verbesserung des<br />
Screenings auf Gebärmutterh<strong>als</strong>krebs zu<br />
den medizinischen und investiven Schwerpunkten.<br />
So haben wir den cobasT HPV<br />
Test in der bisher größten Zulassungsstudie<br />
<strong>im</strong> Bereich Zervixkarzinom-Screening<br />
mit rund 47 000 Frauen ausführlich validiert<br />
(ATHENA-Studie). Ein zentrales<br />
Ergebnis war: Eine von zehn Frauen ab<br />
30 Jahren, für die mit dem <strong>Roche</strong>-Test ein<br />
hohes Risiko für hochgradige Zellveränderungen<br />
ermittelt wurde, zeigte bei der<br />
abschließenden <strong>Diagnostik</strong> bereits Präkanzerosen,<br />
obwohl der Pap-Test normal<br />
war. Mit der Übernahme der Firma mtm<br />
laboratories, einem führenden Unternehmen<br />
bei der Früherkennung und Diagnose<br />
von Gebärmutterh<strong>als</strong>krebs, hat <strong>Roche</strong> <strong>Diagnostics</strong><br />
sein Portfolio hinsichtlich weiterführender<br />
<strong>Diagnostik</strong> und diagnostischer<br />
Präzision und Reproduzierbarkeit ergänzt<br />
und gestärkt.<br />
Die In-vitro-<strong>Diagnostik</strong> eröffnet heute<br />
durchaus die Chance, durch sinnvolle Integration<br />
molekularer Tests in das routinemäßige<br />
Screening, das Zervixkarzinom<br />
zu einer Rarität zu entwickeln. Aber: Der<br />
Gesetzgeber hinkt hinterher, hier besteht<br />
auch nach Meinung anerkannter Experten<br />
dringend Handlungsbedarf. Lesen Sie<br />
dazu den Beitrag: Bessere Vorsorge be<strong>im</strong><br />
Zervixkarzinom „lieber heute <strong>als</strong> morgen“.<br />
Das Engagement von <strong>Roche</strong> <strong>Diagnostics</strong><br />
bei der Fragestellung Zervixkarzinom<br />
ist nur ein Beispiel unseres Führungsan-<br />
spruchs <strong>im</strong> Bereich der In-vitro-<strong>Diagnostik</strong>.<br />
Seit etlichen Jahren sind wir globaler<br />
IVD-Marktführer und an dieser Spitzenposition<br />
hat nicht zuletzt unsere starke<br />
Partnerschaft mit dem Unternehmen Hitachi<br />
maßgeblichen Anteil. 2013 feiern wir<br />
übrigens unser 35-jähriges Jubiläum! Die<br />
Rückseite dieses Heftes gibt einen Überblick,<br />
wie entscheidend unsere Kooperation<br />
die Entwicklung der Labordiagnostik,<br />
namentlich in der Klinischen Chemie und<br />
der Immunologie, geprägt hat. Und damit<br />
ist noch lange nicht Schluss: Auch künftig<br />
können Sie von uns innovative Konzepte<br />
für mehr Qualität, Sicherheit und Leistungsfähigkeit<br />
erwarten.<br />
Jürgen Redmann<br />
Jürgen Redmann<br />
Geschäftsführer der<br />
<strong>Roche</strong> <strong>Diagnostics</strong><br />
Deutschland GmbH<br />
Inhalt<br />
Medizin<br />
Schweres Schädel-Hirn-Trauma: Prognosemarker gesucht......................................................................................................... S. 3<br />
Diagnostische Herausforderung „Leichtes Schädel-Hirn-Trauma“............................................................................................. S. 6<br />
Präeklampsiemarker: Steile Karriere........................................................................................................................................... S. 9<br />
Hepatitis C-Infektionen: Diagnose-Defizit und hohe Dunkelziffer ........................................................................................... S. 14<br />
Für Sie gelesen: „Unsichtbare“ Gefahr für die Leber?.................................................................................................................. S. 16<br />
Antikoagulation richtig gemacht................................................................................................................................................. S. 17<br />
Gesundheitspolitik<br />
Bessere Vorsorge be<strong>im</strong> Zervixkarzinom „lieber heute <strong>als</strong> morgen“............................................................................................. S. 11<br />
Labororganisation<br />
Pathologien profitieren von 35 Jahren Erfahrung....................................................................................................................... S. 23<br />
Qualitätsmanagement und Akkreditierung in der Pathologie.................................................................................................... S. 25<br />
Produkte & Services<br />
Stolpersteine der Präanalytik – Teil II........................................................................................................................................ S. 20<br />
Veranstaltungen & Kongresse<br />
Ausgewählte Kongresse & Veranstaltungen Juni – August 2013................................................................................................. S. 27<br />
2<br />
<strong>Diagnostik</strong> <strong>im</strong> <strong>Dialog</strong> • Ausgabe 40 • 5/2013
Medizin<br />
Schweres Schädel-Hirn-Trauma: Prognosemarker gesucht<br />
Dr. med. Andrea Wodak und Pr<strong>im</strong>. Dr. med. Helmut Tr<strong>im</strong>mel, Landesklinikum Wiener Neustadt<br />
Jährlich versterben in Österreich etwa<br />
2.700 Menschen an den Folgen eines<br />
Unfalls, knapp die Hälfte davon ist jünger<br />
<strong>als</strong> 40 Jahre. Nach einem Unfallereignis<br />
ist das schwere Schädel-Hirn-Trauma<br />
(SHT) – definitionsgemäß eingestuft mit<br />
einem Wert zwischen 3 und 9 Punkten<br />
des Glasgow Coma Scores (GCS) 1) – die<br />
häufigste Ursache von Tod bzw. schwerer<br />
Behinderung von Menschen unter<br />
45 Jahren. Internationalen Erfahrungen<br />
zufolge zeigen auch Patienten mit<br />
mittelschwerem SHT eine signifikante<br />
Mortalität (5 –10 %) bzw. Morbidität (5 –<br />
10 % mit teils schweren Behinderungen),<br />
wobei der Anteil an vollständig rehabilitierbaren<br />
Patienten mit 75 – 85 %<br />
naturgemäß höher ist 2, 3) . (Schwere)<br />
Schädel-Hirn-Verletzungen sind sowohl<br />
aus volkswirtschaftlicher, wie auch aus<br />
Sicht der Betroffenen und ihres Umfelds<br />
eine enorme Belastung. Oberstes Gebot<br />
für den Notarzt ist daher, unmittelbar<br />
Behandlungen einzuleiten, um Sekundärschäden<br />
zu vermeiden. Ein zweiter Schritt<br />
ist die Abschätzung der unfallbedingten<br />
Prognose. Prognostische „Marker“ sollen<br />
kritische Entwicklungen aufzeigen und<br />
Entscheidungshilfen zur Indikation invasiver<br />
Maßnahmen liefern. In Diskussion<br />
dafür steht unter anderem das Protein<br />
S100B, dessen Studienlage und eigene<br />
Erfahrungen <strong>im</strong> Folgenden besprochen<br />
werden.<br />
Erstes Ziel: Sekundärschaden vermeiden<br />
Eine opt<strong>im</strong>ale Versorgung Verunfallter<br />
trägt dazu bei, ein – orientiert am pr<strong>im</strong>ären<br />
Verletzungsausmaß – bestmögliches<br />
Ergebnis zu erzielen 4) . Die pr<strong>im</strong>äre Schädigung<br />
entsteht durch die unmittelbare<br />
Gewalteinwirkung. Sie kann sowohl fokal,<br />
durch lokal wirkende Kräfte (Kontusion,<br />
Hämatom) <strong>als</strong> auch diffus, durch Scherbzw.<br />
Zugkräfte (axonale Schädigung,<br />
diffuse Blutung) sein; meist liegt eine<br />
Kombination vor. Im Fokus der notfallund<br />
intensivmedizinischen Behandlung<br />
steht der „Sekundärschaden“, welcher<br />
sich vor allem <strong>als</strong> Folge respiratorischer<br />
oder hämodynamischer Einbrüche entwickelt.<br />
Auch wenn solche Instabilitäten<br />
nur kurzzeitig bestehen, aggravieren sie<br />
doch die zerebrale Schädigung. Klinisches<br />
Korrelat sind Hirnödem und ansteigender<br />
intrakranieller Druck, worauf<br />
die sich verschlechternde Perfusion die<br />
Gewebeoxygenierung weiter herabsetzt:<br />
Ein circulus vitiosus entsteht, der rasch<br />
zur vitalen Bedrohung eskalieren kann.<br />
Sekundärschäden sind durch frühzeitige<br />
und gezielte intensivmedizinische<br />
Maßnahmen gegen Hypoxie, Hypotension<br />
und Hyperkapnie (überhöhter CO 2 -<br />
Gehalt <strong>im</strong> Blut), vollständig oder zumindest<br />
teilweise vermeidbar. Idealerweise<br />
beginnt die Behandlung noch am Ort<br />
des Unfalls.<br />
Zweites Ziel: Prognose kennen<br />
Zur Quantifizierung des Pr<strong>im</strong>ärschadens,<br />
vor allem aber zur Detektion kritischer<br />
Entwicklungen – idealerweise noch bevor<br />
sich deletäre Folgen entwickeln – sind<br />
prognostisch aussagekräftige Parameter<br />
von großem Interesse. Sie sollten <strong>im</strong> Rahmen<br />
der weiteren Intensivtherapie von<br />
Patienten mit schwerem SHT folgendes<br />
leisten:<br />
O aussagekräftige (Früh-) Erkennung<br />
kritischer Entwicklungen in Zusammenschau<br />
mit einer unmittelbar verfügbaren<br />
Bildgebung und invasivem<br />
fotolia<br />
Monitoring (insbesondere des intrakraniellen<br />
Drucks)<br />
O Hilfestellung bei der Indikationsstellung<br />
zu invasiven Maßnahmen.<br />
Die frühzeitige Detektion des tatsächlichen<br />
Ausmaßes der zerebralen Schädigung<br />
ist besonders in der Frühphase der<br />
klinischen Versorgung wichtig, da hier<br />
die zerebrale Computertomographie<br />
(CCT) oft noch ein geringeres Schadensausmaß<br />
nahelegt <strong>als</strong> spätere Verlaufskontrollen<br />
enthüllen. Nicht zuletzt sind<br />
valide Aussagen zur Prognose auch für<br />
die Kommunikation mit den Angehörigen<br />
des betroffenen Patienten bedeutsam.<br />
Mittlerweile haben sich <strong>im</strong> Kontext<br />
„schweres SHT“ einige biochemische<br />
Liquor- bzw. Serum-Marker mit kurzer<br />
Ergebnisdauer <strong>im</strong> klinischen Alltag etabliert:<br />
O Neuronenspezifische Enolase (NSE)<br />
O Glial fibrillary acidic protein (GFAP)<br />
O S100B (kurz: S100)<br />
S100 in Studien<br />
Bereits seit längerer Zeit diskutieren<br />
Studienautoren den Biomarker S100 <strong>als</strong><br />
aussagekräftigen Parameter sowohl zur<br />
Quantifizierung der Hirnschädigung <strong>als</strong><br />
auch zum Monitoring des Krankheitsverlaufs.<br />
Petzold beschrieb S100 bereits<br />
2002 <strong>als</strong> frühen Marker mit hoher Prädiktionskraft<br />
für die Entwicklung eines<br />
erhöhten Hirndrucks bzw. eines negativen<br />
Outcome 5) . Bloomfield et al. sprechen<br />
2007 eine klare Empfehlung für<br />
das S100 zum Monitoring von Verletzungsschwere<br />
und zur Verlaufskontrolle<br />
be<strong>im</strong> schweren SHT aus 6) . Sie regen<br />
jedoch eine Kombination mit den Biomarkern<br />
GFAP und NSE an, um die Spezifität<br />
zu erhöhen. Eine gute Korrelation<br />
zum Hirndruckverlauf fand 2008 auch<br />
Kirchhoff 7) . In einer Metaanalyse aus<br />
18 Studien formulieren Townend und<br />
Ingebrigtsen 2006 einen Schwellenwert<br />
von 2,51 μg/l <strong>als</strong> Indikator für ein schlechtes<br />
neurologisches Ergebnis 8) .<br />
Zahlreiche Arbeiten bestätigen die enge<br />
Beziehung zwischen dem Serumspiegel<br />
<strong>Diagnostik</strong> <strong>im</strong> <strong>Dialog</strong> • Ausgabe 40 • 5/2013 3
von S100 bzw. der NSE und dem Ausmaß<br />
der pr<strong>im</strong>ären Gehirnschädigung <strong>im</strong><br />
Rahmen eines schweren SHT 6, 9, 10) . Dies<br />
wird vor allem <strong>als</strong> quantitativer Ausdruck<br />
der pr<strong>im</strong>ären Gewebeschädigung interpretiert,<br />
aber auch in Zusammenhang<br />
mit der posttraumatischen Störung der<br />
Bluthirnschranke gesehen. Auch Korfias<br />
wies an 102 Patienten eine klare Beziehung<br />
von S100 zum Schweregrad des SHT<br />
und einen hohen prädiktiven Wert in<br />
Hinblick auf das Outcome nach: Patienten<br />
mit Werten > 1 μg/l hatten ein 3-fach<br />
höheres Mortalitätsrisiko innerhalb eines<br />
Monats nach dem Trauma 11) .<br />
Bellander et al. verglichen in ihrer prospektiven<br />
Untersuchung an 20 Patienten<br />
mit schwerem SHT die Spiegel von<br />
S100 und NSE in Liquor und Serum. Sie<br />
zeigten hochsignifikant positive Korrelationen<br />
innerhalb des jeweiligen Kompart<strong>im</strong>ents.<br />
Beide Marker erreichten die<br />
höchsten Werte innerhalb von 48 h nach<br />
Trauma, nur bei S100 bestand jedoch<br />
auch eine klare und positive, vom Ausmaß<br />
der Blut-Hirnschrankenstörung<br />
(Albuminquotient) unabhängige Korrelation<br />
zwischen Liquor- und Serumspiegel.<br />
Patienten mit Sekundärschäden (Auftreten<br />
von Krampfanfällen, respiratorische<br />
oder zirkulatorische Einbrüche) während<br />
der Versorgung am Notfallort bzw. <strong>im</strong><br />
weiteren Verlauf, wiesen zeitlich korrelierende<br />
Anstiege von S100 auf 10) .<br />
2010 beschrieben Murillo-Cabezas et al.<br />
S100 <strong>als</strong> frühen, sensiblen und genauen<br />
Biomarker zur Prädiktion von Morbidität<br />
und Mortalität: Zwischen der Höhe<br />
von S100 <strong>im</strong> Serum 48 bzw. 72 h nach<br />
Trauma und einem schlechten Outcome<br />
(GCS < 1 bzw. 3) bestand eine signifikante<br />
Korrelation. Ein pr<strong>im</strong>är hoher<br />
Wert alleine hatte dagegen wenig Vorhersagekraft.<br />
Empfehlenswert ist daher<br />
ein Profil des S100-Wertes, beginnend<br />
24 h nach der Verletzung. Zur Differenzierung<br />
der Schwere des Traumas und<br />
auch zur prognostischen Einschätzung<br />
soll die Dynamik des Konzentrationsverlaufs<br />
in den ersten 72 h unter Einbeziehung<br />
des initialen GCS herangezogen<br />
werden. Erst mit dem Absinken<br />
des Markers <strong>im</strong> Verlauf der ersten 2 – 3<br />
Tage unter einen Schwellenwert ist eine<br />
gute Reha bilitationsfähigkeit wahrscheinlich<br />
12) .<br />
Eigene Erfahrungen mit S100<br />
Die S100-Best<strong>im</strong>mung wird in unserer<br />
Einrichtung routinemäßig <strong>im</strong> Rahmen<br />
der ersten Blutabnahme <strong>im</strong> Schockraum<br />
und dann an jedem folgenden Behandlungstag<br />
zum selben Zeitpunkt (ca. 6:45<br />
Uhr) durchgeführt. Als Cut-off-Wert<br />
verwenden wir eine S100-Konzentration<br />
von 0,105 μg/l. Um die diagnostische<br />
Relevanz dieses Parameters in unserem<br />
klinischen Alltag zu beurteilen, haben<br />
wir aktuell alle Patienten, die <strong>im</strong> Jahr<br />
2012 mit der Diagnose „schweres Schädel-Hirn-Trauma“<br />
an unserer Abteilung<br />
(anästhesiologische Intensivstation 1<br />
mit traumatologisch-neurochirugischem<br />
Behandlungsschwerpunkt) aufgenommen<br />
wurden, retrospektiv ausgewertet. Aus der<br />
Analyse ausgeschlossen haben wir Patienten,<br />
die aus anderen Häusern zu uns verlegt<br />
wurden, da in diesen Fällen die erste<br />
Blutabnahme erst mehr <strong>als</strong> 12 h nach dem<br />
Unfallzeitpunkt erfolgen konnte.<br />
Von 57 <strong>im</strong> Beobachtungszeitraum direkt<br />
aufgenommenen Patienten wurden 43 in<br />
die Analyse einbezogen (Tab. 1), davon<br />
37 Patienten mit schwerem SHT (medianer<br />
GCS Median 7) <strong>im</strong> Alter zwischen<br />
Patientenverteilung<br />
Kollektiv n Alter Aufnahme<br />
S100 (µg/l)<br />
15 und 81 Jahren (Median 58,8). Der<br />
Notarzt hatte bereits alle Verunfallten<br />
vor Aufnahme intubiert, sie kamen beatmet<br />
in den Schockraum. Nach klinischer<br />
und radiologischer Erstdiagnostik inkl.<br />
CCT erhielten alle Patienten <strong>im</strong> OP oder<br />
auf der Intensivstation eine Parenchymsonde<br />
zur Hirndruckmessung (Fa. Raumedic,<br />
Münchberg, Deutschland). Weitere<br />
sechs Patienten mit mittelschwerem<br />
SHT (Gruppe „Observanz“) <strong>im</strong> Alter<br />
zwischen 20 und 74 Jahren (Median<br />
67,0) gelangten zur Überwachung auf<br />
die Intensivstation. Sie wiesen ebenfalls<br />
ein pathologisches CCT auf, hatten<br />
jedoch einen medianen GCS von 13.<br />
Die klinische Symptomatik war deutlich<br />
geringer ausgeprägt, eine Beatmung nicht<br />
erforderlich.<br />
Wir fanden folgende Ergebnisse (Tab. 1,<br />
Abb. 1):<br />
O In der Gruppe mit schwerem SHT<br />
lagen die initialen Serumwerte von<br />
S100 in einem Bereich von 0,072 μg/l<br />
bis 12,620 μg/l (Mittel 1,61 μg/l ±<br />
1,9). In sechs Fällen musste noch am<br />
Aufnahmetag eine neurochirurgische<br />
Intervention erfolgen. Unterschiede<br />
bei den S100-Konzentrationen ließen<br />
sich in dieser Gruppe nicht nachweisen:<br />
Operation 1,622 μg/l ± 1,48<br />
versus konservative Behandlung 1,610<br />
μg/l ± 2,03.<br />
O Patienten der Observanz-Gruppe<br />
hatten mit 0,462 μg/l ± 1,45 deutlich<br />
niedrigere Anfangswerte von S100.<br />
O Bei den <strong>im</strong> weiteren Verlauf verstorbenen<br />
Patienten (n =11) dagegen war<br />
S100 zu Beginn massiv erhöht (5,240<br />
μg/l ± 3,7). Diese Gruppe kennzeichnete<br />
ein hoher Prozentsatz an Polytraumen,<br />
wogegen die überlebenden<br />
Patienten mit schwerem SHT meist<br />
eine isolierte Hirnverletzung aufwiesen.<br />
Dies deckt sich mit den Erkenntnissen<br />
aus anderen Studien 9, 13) .<br />
Tag 1<br />
S100 (µg/l)<br />
Tag 2<br />
S100 (µg/l)<br />
schweres SHT 26 57,5 ± 20,5 1,610 ± 1,9 0,225 ± 0,5 0,202 ± 0,3 7 ± 3<br />
Verstorbene 11 60 ± 25,1 5,240 ± 3,7 1,7 ± 3,6 1,7 ± 3,5 4<br />
fotolia<br />
Observanz 6 67,0 ± 20,1 0,462 ± 1,45 0,152 ± 0,14 0,08 ± 0,01 13 ± 1<br />
Tab. 1: Patientenverteilung der in-house-Untersuchung des Landesklinikums Wiener Neustadt.<br />
Cut-off-Wert des Labors 0,105 μg/l S 100<br />
GCS<br />
4<br />
<strong>Diagnostik</strong> <strong>im</strong> <strong>Dialog</strong> • Ausgabe 40 • 5/2013
O In der Gruppe der Verstorbenen unseres<br />
Kollektivs fanden wir die höchsten<br />
Werte (in einem Fall bis 13,99 μg/l)<br />
bei jenen Patienten, die präklinisch<br />
rean<strong>im</strong>iert werden mussten. Pelinka<br />
sieht S100 ebenfalls <strong>als</strong> Marker für<br />
den traumatisch anoxischen Schaden 9)<br />
und auch in einer Übersichtsarbeit<br />
aus 24 Publikationen wurde der<br />
S100-Verlauf über 48 – 72 h mit einem<br />
Cut-off-Wert von 1,2 – 1,5 μg/l <strong>als</strong> aussagekräftigster<br />
Parameter zur Beurteilung<br />
eines bleibenden komatösen<br />
Zustandes nach CPR (Cardiopulmonal<br />
Rean<strong>im</strong>ation) herausgearbeitet 14) .<br />
O Nach 24 h sank die Konzentration<br />
in allen Gruppen unseres Kollektivs<br />
deutlich: schweres SHT 0,225 μg/l<br />
± 0,5, Verstorbene 1,700 μg/l ± 3,6;<br />
Observanz 0,152 μg/l ± 0,1. Auch<br />
zu diesem Zeitpunkt fand sich kein<br />
Unterschied zwischen operativem<br />
und konservativem Kollektiv. Um<br />
Patienten mit ungünstiger Prognose<br />
mit einer Sensitivität von > 80 % nach<br />
24 h zu identifizieren, kann der von<br />
Rainey 15) vorgeschlagene Cut-off-Wert<br />
von 0,53 μg/l herangezogen werden.<br />
O In unserer Observanz-Gruppe lag<br />
S100 nach 48 h <strong>im</strong> Normalbereich,<br />
in der Gruppe mit schwerem SHT<br />
dagegen erst nach 72 h, danach ließen<br />
sich keine signifikanten Unterschiede<br />
mehr feststellen. In der Gruppe mit<br />
den <strong>im</strong> weiteren Verlauf verstorbenen<br />
Patienten sanken die S100-Werte<br />
langsamer und blieben konstant über<br />
dem Cut-off unseres Labors.<br />
Nutzen für den klinischen Alltag<br />
Auch wenn die Literatur noch etwas<br />
widersprüchlich ist: Der prognostische<br />
Wert erhöhter S100-Konzentrationen<br />
unmittelbar nach SHT ist – unabhängig<br />
vom Schweregrad – grundsätzlich unumstritten.<br />
Ein anhaltend hoher Wert über<br />
die ersten 72 h hinaus ist signifikant mit<br />
negativem Outcome (Tod, schwere bleibende<br />
Beeinträchtigungen) korreliert.<br />
Das bestätigen unsere eigenen Daten,<br />
die wir an 37 Patienten mit schwerem<br />
SHT erhoben haben. Die Abgrenzung<br />
zum mittelschweren SHT ergab sich<br />
schon inital. Ein ausgedehntes Gewebstrauma<br />
kann <strong>im</strong> Einzelfall ebenfalls zu<br />
einem Anstieg von S100 führen; dies ist<br />
gegebenenfalls bei der Interpretation zu<br />
berücksichtigen.<br />
Die Schlussfolgerungen unserer Auswertung<br />
sind aufgrund der retrospektiven<br />
Herangehensweise und des kleinen<br />
Kollektivs l<strong>im</strong>itiert. So können wir derzeit<br />
keine Aussage treffen, ob sich S100<br />
zur Detektion einer chirurgischen Interventionsnotwendigkeit<br />
eignet und auch<br />
nicht hinsichtlich des Schwellenwerts<br />
für ein positives oder negatives Outcome<br />
<strong>im</strong> Einzelfall. Eine prospektive Untersuchung<br />
zu diesen Fragestellungen ist in<br />
Vorbereitung.<br />
S100 (µg/l)<br />
6,000<br />
5,000<br />
4,000<br />
3,000<br />
2,000<br />
1,000<br />
0<br />
Aufnahme<br />
Abb. 1: S100 <strong>im</strong> zeitlichen Verlauf bei den 43<br />
Patienten der Tab. 1<br />
Unser grundsätzliches Resümee lautet<br />
heute: S100 spiegelt mit einem raschen<br />
Abfall das Potenzial des Patienten für<br />
eine gute Erholung wider. Hingegen<br />
lassen hohe Serumkonzentrationen bei<br />
Aufnahme, verbunden mit verzögertem<br />
Rückgang in den Normbereich schwere<br />
Beeinträchtigungen bis hin zum letalen<br />
Ausgang nach schwerem SHT befürchten.<br />
Die höchsten Werte waren in der Gruppe<br />
der letztendlich Verstorbenen zu finden.<br />
Dr. Andrea Wodak<br />
schweres SHT<br />
Verstorbene<br />
Observanz<br />
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10<br />
Aufenthaltstage<br />
Pr<strong>im</strong>. Dr. Helmut<br />
Tr<strong>im</strong>mel<br />
Die Klinik erfüllt <strong>als</strong> Schwerpunktkrankenhaus<br />
einen überregionalen Versorgungsauftrag<br />
für das südliche Niederösterreich sowie das<br />
Nord- und Mittelburgenland. Für die Behandlung<br />
kritisch kranker bzw. schwerverletzter<br />
Patien ten stehen 17 anästhesiologische und<br />
8 internistische Intensivbetten der Kategorie<br />
III zur Disposition.<br />
An der Abteilung für Anästhesiologie, Notfall-<br />
und Allgemeiner Intensivmedizin werden<br />
jährlich zwischen 50 und 70 Patienten mit<br />
schwerem Schädel-Hirn-Trauma behandelt. In<br />
der Therapie dieses Patientenkollektivs folgt<br />
die Einrichtung den Leitlinien der Brain Trauma<br />
Foundation (www.braintrauma.org) bzw. jener<br />
zur Behandlung des „Schädel-Hirn-Traumas<br />
<strong>im</strong> Erwachsenenalter“ (http://www.awmf.org/<br />
leitlinien/detail/ll/008-001.html).<br />
S100B wird mit einem <strong>im</strong>munologischen Test<br />
(ECLIA) an einem cobas e System <strong>im</strong> Zentrallabor<br />
abgearbeitet und ist rund um die Uhr<br />
innerhalb von 30 Minuten verfügbar.<br />
Literatur:<br />
1) Teasdale G, Jennett B: Lancet (1974); 2: 81-84<br />
2) Dikmen SS et al.: Arch Phys Med Rehabil (2003);<br />
84:1449-1457<br />
3) Vitaz TW er la. Surg Neurol (2003); 60: 285-291<br />
4) Bernard S et al.: Ann<strong>als</strong> of Surgery (2010); 252(6):<br />
959–965<br />
5) Petzold A et al.: Crit Care Med. (2002 Dec);<br />
30(12): 2705-2710<br />
6) Bloomfield SM et al.: Neurocrit Care (2007) ;6(2):<br />
121-138<br />
7) Kirchhoff C et al.: Eur J Med Res. (2008) Nov<br />
24;13(11): 511-516<br />
8) Townend W, Ingebrigtsen T: Injury (2006) Dec;<br />
37(12): 1098-108<br />
9) Pelinka L et al.: Shock (2003); 19: 195-200<br />
10) Bellander BM et al.: Acta Neurochir (2011); 153:<br />
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11) Korfias S et al.: Intensive Care Med. (2007) Feb;<br />
33(2): 255-260. Epub (2006) Dec 2.<br />
12) Murillo-Cabezas F et al.: Brain Injury (2010);<br />
24(4): 609-619<br />
13) Savola O et al.: J Trauma (2004) Jun; 56(6): 1229-<br />
1234<br />
14) Shinozaki K et al.: Critical Care (2009), 13: R121<br />
doi:10.1186/cc7973<br />
15) Rainey T et al.: Resuscitation (2009); 80: 341–345<br />
Korrespondenzadresse:<br />
Dr. Andrea Wodak, MSc, MBA<br />
Oberärztin<br />
und<br />
Pr<strong>im</strong>. Dr. Helmut Tr<strong>im</strong>mel, MSc<br />
Chefarzt<br />
Abteilung für Anästhesie, Notfall- und<br />
Allgemeine Intensivmedizin<br />
Karl Landsteiner Institut für Notfallmedizin<br />
Landesklinikum Wiener Neustadt<br />
Corvinusring 3 – 5<br />
A-2700 Wiener Neustadt<br />
helmut.tr<strong>im</strong>mel@wienerneustadt.lknoe.at<br />
<strong>Diagnostik</strong> <strong>im</strong> <strong>Dialog</strong> • Ausgabe 40 • 5/2013 5
Medizin<br />
Diagnostische Herausforderung „Leichtes Schädel-Hirn-Trauma“<br />
Dr. med. Bernd A. Leidel, Interdisziplinäre Rettungsstelle / Notfallaufnahme und Aufnahmestation, CBF, Charité –<br />
Universitätsmedizin Berlin<br />
Das Schädel-Hirn-Trauma (SHT) gehört<br />
nicht nur zu den häufigsten Einweisungsdiagnosen<br />
in Notfallaufnahmen, es ist bei<br />
den unter 45-jährigen auch die Nummer<br />
eins der unfallbedingten Todesursachen.<br />
Etwa 300 000 Verunfallte mit SHT sind es<br />
in Deutschland jährlich, davon 90 % mit<br />
einem leichten SHT 1, 2) . Das „leichte“ SHT<br />
ist alles andere <strong>als</strong> banal – das diagnostische<br />
Vorgehen unter Zeitdruck stellt<br />
vielmehr eine erhebliche Herausforderung<br />
<strong>im</strong> klinischen Alltag dar. Nicht oder<br />
verzögert diagnostizierte Hirnverletzungen<br />
können Ursache für Tod oder erhebliche<br />
und dauerhafte neurologische<br />
Funktionsverluste sein. Die definitive<br />
<strong>Diagnostik</strong> mittels Bildgebung ist mit<br />
Strahlenbelastung verbunden, aufwendig<br />
und teuer. Klinische Entscheidungskriterien<br />
sind häufig unsicher. Ein objektiver,<br />
schneller Laborparameter könnte<br />
daher <strong>im</strong> diagnostischen Prozedere des<br />
leichten SHT wertvolle Hilfe leisten.<br />
Zahlreiche Untersuchungen weisen auf<br />
das Protein S100 <strong>als</strong> geeigneten Biomarker<br />
hin.<br />
Intrakranielle Verletzung?<br />
Nach Kopfverletzungen mit Gehirnbeteiligung<br />
spielt der Zeitfaktor für die Prognose<br />
eine entscheidende Rolle. Die Verletzungsschwere<br />
wird dabei initial mit der<br />
Glasgow Coma Scale (GCS) (Abb. 1) abge-<br />
Augen öffnen<br />
4 – spontan<br />
3 – auf Aufforderung<br />
2 – auf Schmerzreiz<br />
1 – kein<br />
Beste verbale Reaktion<br />
5 – orientiert<br />
4 – desorientiert<br />
3 – inadäquat<br />
2 – unverständlich<br />
1 – keine<br />
Beste motorische Reaktion<br />
6 – auf Aufforderung<br />
5 – gezielte Abwehr<br />
4 – ungezielte Abwehr<br />
3 – Beugesynergismen<br />
2 – Strecksynergismen<br />
1 – keine<br />
Abb. 1: Glasgow Coma Scale zur Einschätzung<br />
der initialen Verletzungsschwere des SHT<br />
(bestenfalls 15, <strong>im</strong> schlechtesten Fall 3 Punkte)<br />
schätzt, wobei 13 – 15 Punkte ein leichtes<br />
SHT mit vergleichsweise milder Symptomatik<br />
definieren. Isoliert klinische Kriterien<br />
bergen aber Unsicherheiten, da bei<br />
leichtem SHT eine behandlungsrelevante<br />
Verletzung des Gehirns durch Anamnese<br />
und körperliche Untersuchung alleine<br />
nicht zweifelsfrei ausgeschlossen werden<br />
kann. Entgegen früherer Lehrmeinungen<br />
kann ein SHT auch ohne kompletten Verlust<br />
des Bewusstseins und ohne Amnesie<br />
vorliegen: Schon eine initiale, kurzzeitige<br />
Benommenheit kann potenziell fatale intrakranielle<br />
Verletzungsfolgen nach sich<br />
ziehen 3 – 5) .<br />
Die behandelnden Ärzte stehen daher vor<br />
der Herausforderung, unter Zeitdruck<br />
und trotz der oft unspezifischen Untersuchungsbefunde<br />
und milden Symptome<br />
die richtigen Entscheidungen zu treffen:<br />
O Benötigt ein Patient mit (leichter) Kopfverletzung<br />
und unauffälligem oder<br />
wenig auffälligem klinisch-neurologischen<br />
Befund (GCS 13 – 15 Punkte)<br />
überhaupt eine weitergehende <strong>Diagnostik</strong>?<br />
O Falls eine weitere <strong>Diagnostik</strong> sinnvoll<br />
scheint, welche sollte angestrebt werden?<br />
corbis<br />
O Kann die weitere <strong>Diagnostik</strong> ambulant<br />
erfolgen oder soll der Patient stationär<br />
aufgenommen werden?<br />
Dabei darf einerseits eine eventuell<br />
fatale Hirnverletzung keinesfalls übersehen<br />
werden, andererseits sind unnötige<br />
Belastungen des Patienten zu vermeiden<br />
und die Krankenhausressourcen<br />
adäquat einzusetzen.<br />
Goldstandard für den Ausschluss einer<br />
relevanten intrakraniellen Verletzung<br />
ist die native Computertomographie des<br />
Schädels (CCT). Diverse klinische Entscheidungsregeln,<br />
z.B. die Canadian CT<br />
Head Rule 6) , die New Orleans Criteria 7)<br />
und die NICE Guideline 8) – jede mit eigenen<br />
Stärken und Schwächen – können<br />
den Arzt bei der Indikationsstellung für<br />
eine CCT unterstützen. Der diagnostische<br />
Wert dieser Bildgebung ist sehr hoch,<br />
dennoch gibt es Einschränkungen:<br />
O Die CCT ist mit einer Strahlenbelastung<br />
für den Patienten verbunden.<br />
O Nicht jedes Krankenhaus kann rund<br />
um die Uhr eine zeitnahe CCT anbieten.<br />
Konventionelle Röntgenaufnahmen<br />
des Schädels sind aber <strong>im</strong> diagnostischen<br />
Vorgehen obsolet, da sie<br />
Fehleinschätzungen provozieren können:<br />
Eine intrakranielle Verletzung<br />
lässt sich weder über eine unauffällige<br />
Röntgenaufnahme ausschließen, noch<br />
ist eine sichtbare Schädelfraktur dafür<br />
beweisend.<br />
O Die CCT gehört zu den teuersten<br />
Untersuchungsverfahren in der Notfallaufnahme.<br />
Unabhängig von der Indikation zur<br />
Bildgebung, muss der behandelnde Arzt<br />
weiterhin entscheiden, welcher Patient<br />
stationär zur neurologischen Überwachung<br />
aufgenommen werden soll. Auch<br />
bei initial unauffälliger CCT können <strong>im</strong><br />
Verlauf relevante intrakranielle Läsionen<br />
auftreten. Das gilt insbesondere bei<br />
Patienten mit Gerinnungsstörungen bzw.<br />
mit Einnahme gerinnungshemmender<br />
Medikamente. Die tägliche Dosis von nur<br />
100 mg Acetylsalicylsäure (ASS) zur Pro-<br />
6<br />
<strong>Diagnostik</strong> <strong>im</strong> <strong>Dialog</strong> • Ausgabe 40 • 5/2013
Vorteil<br />
Nachteil<br />
Ambulante<br />
Behandlung und<br />
Entlassung<br />
- Einsparen von Zeit, Ressourcen und<br />
damit Kosten<br />
- Risiko, relevante Hirn verletzungen<br />
nicht zu erkennen mit potenziell<br />
dauer haften neurologi schen<br />
Funktionsdefiziten bis hin zum Tod<br />
Patienten mit<br />
leichtem SHT<br />
(GCS 13 – 15 Pkt.)<br />
Stationäre<br />
Behandlung<br />
Ambulante<br />
Behandlung und<br />
Entlassung<br />
- Mehr Sicherheit durch Erkennen von<br />
Hirn verletzungen <strong>im</strong> Verlauf<br />
- Schneller und relativ sicherer Ausschluss<br />
von Hirnverletzungen<br />
- Kosten<br />
- Begrenzte Ressourcen<br />
(stationäre Betten)<br />
- Risiko, relevante Hirn verletzungen<br />
nicht oder nur verzögert zu erkennen<br />
- Strahlenbelastung<br />
- Kosten CCT<br />
- Risiko, verzögert auf tretende Hirnverletzungen<br />
nicht zu erkennen<br />
CCT-Unter suchung<br />
Stationäre<br />
Behandlung<br />
- Schneller und relativ sicherer Ausschluss<br />
von Hirnverletzungen<br />
- Auch verzögert auftretende Hirnverletzungen<br />
werden relativ sicher<br />
erkannt<br />
- Strahlenbelastung<br />
- Kosten CCT<br />
- Begrenzte Ressourcen<br />
(stationäre Betten)<br />
Abb. 2: Handlungsoptionen bei leichtem SHT<br />
phylaxe kardiovaskulärer Ereignisse wie<br />
Herzinfarkt oder Schlaganfall erhöhen<br />
das Risiko für eine Hirnverletzung mit<br />
tödlichem Ausgang maßgeblich 9) .<br />
Die Abb. 2 beschreibt unterschiedliche<br />
diagnostische Vorgehensweisen bei<br />
Patien ten mit leichtem SHT und die<br />
damit verbundenen medizinischen und<br />
ökonomischen Vor- und Nachteile.<br />
Helfen etablierte Leitlinien?<br />
Diverse internationale und nationale Leitlinien,<br />
klinische Richtlinien und klinische<br />
Entscheidungsregeln unterstützen die<br />
Indikationsstellung zur Bildgebung. Das<br />
Problem: Sie weisen inhaltlich zum Teil<br />
erhebliche Unterschiede auf. Während<br />
Bewusstlosigkeit, Amnesie, reduzierter<br />
GCS (< 15 Punkte), fokal-neurologische<br />
Defizite (z.B. Sensibilitätsstörungen,<br />
Muskellähmungen), Krampfanfall, Erbrechen,<br />
Gerinnungsstörung oder Gerinnungshemmung<br />
in den meisten Empfehlungen<br />
<strong>als</strong> Risikofaktoren für eine<br />
Hirnverletzung bei leichtem SHT gelten,<br />
werden die einzelnen Kriterien oft unterschiedlich<br />
definiert und unterscheiden<br />
sich in Anzahl und Kombination. Darüber<br />
hinaus sind die resultierenden<br />
Handlungsempfehlungen oft nicht eindeutig<br />
formuliert.<br />
Nach welcher Entscheidungsregel soll<br />
sich der behandelnde Arzt richten, um<br />
sowohl den medizinischen <strong>als</strong> auch den<br />
ökonomischen Anforderungen gerecht zu<br />
werden? Im klinischen Alltag offenbart<br />
dies ein gewisses Dilemma. Andererseits<br />
ermöglichen überhaupt erst die publizierten<br />
Leit-, Richtlinien und Regeln ein<br />
strukturiertes Vorgehen nach etablierten<br />
Kriterien. Dabei richtet sich die Auswahl<br />
der Kriterien nach dem Anspruch,<br />
mit welcher Genauigkeit Verletzungen<br />
erkannt werden sollen und nach den<br />
lokalen diagnostischen Gegebenheiten 10) .<br />
Hilft der Biomarker S100?<br />
Die „S100-Familie“ besteht aus kalziumbindenden<br />
Proteinen mit einer Vielzahl<br />
von zellulären Funktionen. Es existieren<br />
drei Isoformen, das Isomer S100B (kurz<br />
S100) wird hauptsächlich in den Astrogliazellen<br />
des zentralen Nervensystems<br />
und von best<strong>im</strong>mten Tumorgeweben,<br />
zum Beispiel Gliomen und Melanomen,<br />
gebildet. Bei Verletzung der Blut-Hirn-<br />
Schranke <strong>im</strong> Rahmen eines SHT gelangt<br />
S100 zusätzlich in den Blutkreislauf und<br />
lässt sich <strong>im</strong> Serum erhöht nachweisen. Ist<br />
S100 demnach ein klinisch verwertbarer<br />
Biomarker für Hirnverletzungen? Kann<br />
S100 helfen, bei leichtem SHT schnell die<br />
adäquate Entscheidung zum weiteren diagnostischen<br />
Vorgehen zu treffen?<br />
Verschiedene Untersuchungen der letzten<br />
Jahre haben diese Fragestellungen untersucht.<br />
In einer aktuellen Metaanalyse 11)<br />
wurden alle 76 relevanten, internationalen<br />
wissenschaftlichen Veröffentlichungen<br />
zur diagnostischen Wertigkeit von S100<br />
bei leichtem SHT systematisch recherchiert<br />
und entsprechend evidenzbasierter<br />
Kriterien analysiert. Bei den insgesamt<br />
über 2 000 untersuchten Patien ten lag<br />
O die kombinierte Sensitivität bei 94 %<br />
(95 %-KI 88 – 98 %)<br />
O die kombinierte Spezifität bei 44 %<br />
(95 %-KI 30 – 58 %)<br />
O die kombinierte diagnostische Odds<br />
Ratio (DOR) bei 10,3 (95 %-KI<br />
4,2 – 24,9).<br />
corbis<br />
<strong>Diagnostik</strong> <strong>im</strong> <strong>Dialog</strong> • Ausgabe 40 • 5/2013 7
Statistisch gesehen definiert eine DOR<br />
von 10 eine exzellente diskr<strong>im</strong>inatorische<br />
Fähigkeit. Für den Anwender bedeutet dieser<br />
Wert eine 10-fach höhere Wahrscheinlichkeit<br />
für einen positiven S100-Test bei<br />
Verunfallten mit struktureller Hirnverletzung<br />
gegenüber Gesunden. Für die Fragestellung,<br />
ob bei einem Patien ten mit leichtem<br />
SHT eine Bildgebung notwendig ist,<br />
erscheint der S100-Test zum vorgeschalteten<br />
Screening daher hilfreich 11) .<br />
Welchen aktuellen Status hat die<br />
S100-Best<strong>im</strong>mung <strong>im</strong> klinischen Alltag?<br />
In den derzeitigen Leitlinien der<br />
Deutschen Gesellschaft für Neurologie<br />
sowie der Deutschen Gesellschaft für<br />
Neurochirurgie wird der Parameter für<br />
das diagnostische Vorgehen bei leichtem<br />
SHT nicht erwähnt 3, 4) . Demgegenüber<br />
weisen die klinischen Richtlinien der<br />
US-amerikanischen Fachgesellschaft der<br />
Notfallmediziner (American College of<br />
Emergency Physicians) und der US-amerikanischen<br />
Gesundheitsbehörde (Center<br />
for Disease Control and Prevention) bereits<br />
seit 2008 auf die Bedeutung von S100 <strong>als</strong><br />
Screeningtest bei leichtem SHT hin. Eine<br />
eindeutige Empfehlung für dessen Einsatz<br />
erfolgte aufgrund mangelnder Datenlage<br />
jedoch noch nicht 5) . Allerdings wurden<br />
seit dieser Bewertung zahlreiche neue<br />
Untersuchungen publiziert. Die mit über<br />
270 Seiten umfangreichste systematische<br />
Literaturübersicht <strong>im</strong> Rahmen eines<br />
Health Technology Assessment beschreibt<br />
unter anderem die potenzielle Bedeutung<br />
von S100 <strong>als</strong> Screeningtest bei leichtem<br />
SHT. Für eine abschließende Bewertung<br />
fordern die Autoren allerdings noch<br />
Untersuchungen, die S100 mit bereits<br />
validierten, klinischen Entscheidungsregeln,<br />
zum Beispiel der Canadian CT Head<br />
Rule, kombinieren 12) .<br />
Eine erfolgreiche Kombination könnte<br />
dann den Stellenwert von S100 deutlich<br />
steigern, vergleichbar mit dem laborchemischen<br />
Parameter D-D<strong>im</strong>er, den<br />
nationale und internationale Leitlinien<br />
seit Jahren <strong>im</strong> Rahmen der <strong>Diagnostik</strong><br />
bei Verdacht auf Venenthrombose<br />
und Lungenembolie empfehlen 13) . S100<br />
könnte sich unter Berücksichtigung klinischer<br />
Risikofaktoren zum klassischen<br />
Ausschlussparameter relevanter Hirnverletzungen<br />
bei leichtem SHT entwickeln.<br />
Für Patienten mit normalem S100 wäre<br />
die strahlenbelastende, aufwendige und<br />
teure CCT damit verzichtbar.<br />
Hoffnungsträger S100<br />
Die direkten und indirekten Kosten von<br />
Schädel-Hirn-Traumata summieren sich<br />
allein für Deutschland auf ca. 2,8 Milliarden<br />
Euro jährlich 2) . Auch aus ökonomischer<br />
Sicht besteht daher großes Interesse<br />
an einer sinnvollen und effizienten<br />
<strong>Diagnostik</strong>. Ein standardisiertes Konzept<br />
mit etablierten klinischen Risikofaktoren<br />
und dem Biomarker S100 <strong>als</strong> erste diagnostische<br />
Stufe hätte folgende potenzielle<br />
Vorteile:<br />
O Geringeres Risiko dauerhafter<br />
Gesundheitsschäden durch nicht oder<br />
zu spät erkannte intrakranielle Verletzungsfolgen<br />
O Vermeidung von Belastungen für<br />
Patien ten ohne relevante intrakranielle<br />
Verletzung<br />
O Geringere Inanspruchnahme apparativer<br />
und personeller Ressourcen durch<br />
Reduzierung von CCT-Untersuchungen<br />
und stationären Behandlungen.<br />
Ob S100 diese Hoffnungen erfüllt, ist<br />
Gegenstand einer aktuellen, prospektiven,<br />
multizentrischen Beobachtungsstudie<br />
mit einer geplanten Fallzahl von mehreren<br />
tausend Patienten. Erste Ergebnisse<br />
sind hierzu in den nächsten zwei Jahren<br />
zu erwarten.<br />
Literatur<br />
1) Rickels E Chirurg (2009); 80: 153-163<br />
2) Rickels E et al.: Zuckschwerdt, München (2006)<br />
3) Deutsche Gesellschaft für Neuchirurgie (2007)<br />
Leitlinie Schädel-Hirn-Trauma <strong>im</strong> Erwachsenenalter.<br />
URL: http://www.leitlinien.net, abgerufen am<br />
01.12.2012<br />
4) Deutsche Gesellschaft für Neurologie (2008)<br />
Leitlinien für <strong>Diagnostik</strong> und Therapie in der<br />
Neurologie – Leichtes Schädel-Hirn-Trauma. URL:<br />
http://www.leitlinien.net, abgerufen am 01.12.2012<br />
5) Jagoda AS et al.: Ann Emerg Med (2008); 52:<br />
714-748<br />
6) Stiell IG et al.: Lancet (2001); 357: 1391-1396<br />
7) Haydel MJ et a.l: N Engl J Med (2000); 343: 100-<br />
105<br />
8) National Institute for Health and Clinical Excellence<br />
(2007) NICE clinical guideline 56: Head injury<br />
– triage, assessment, investigation and early<br />
management of head injury in infants, children<br />
and adults. URL: http://www.nice.org.uk/CG056,<br />
abgerufen am 01.12.2012<br />
9) Tauber M et al.: J Trauma (2009); 67: 521-525<br />
10) Zock M et al.: Notfall Rettungsmed (2011); 14:<br />
275-285<br />
11) Leidel BA et al.: Unfallchirurg (2012); 115: 903-<br />
912<br />
12) Pandor A et al.: Health Technol Assess (2011); 15<br />
(27)<br />
13) Deutsche Gesellschaft für Angiologie und andere<br />
(2010) Leitlinie für die <strong>Diagnostik</strong> und Therapie<br />
der Venenthrombose und der Lungenembolie.<br />
URL: http://www.leitlinien.net, abgerufen am<br />
01.12.2012<br />
Korrespondenzadresse:<br />
Dr. med. Bernd A. Leidel<br />
Interdisziplinäre Rettungsstelle /<br />
Notfallaufnahme und Aufnahmestation<br />
Campus Benjamin Franklin<br />
Charité – Universitätsmedizin Berlin<br />
Hindenburgdamm 30, 12200 Berlin<br />
bernd.a.leidel@charite.de<br />
8<br />
<strong>Diagnostik</strong> <strong>im</strong> <strong>Dialog</strong> • Ausgabe 40 • 5/2013
Medizin<br />
Präeklampsiemarker: Steile Karriere<br />
Urin, dass es eine Vorstufe gibt: die Präeklampsie.<br />
In den letzten zehn Jahren hat die Präeklampsie-Forschung<br />
bedeutende Erfolge<br />
errungen und ihre Erkenntnisse für<br />
die Praxis nutzbar gemacht. Eine zentrale<br />
Rolle spielen die angiogenen<br />
Faktoren „Soluble FMS-like thyrosinkinase<br />
1“ (sFlt-1) und „Placenta<br />
Growth-Factor“ (PlGF) mit ihrem wertvollen<br />
Beitrag für Prädiktion, (Differenzial-)Diagnose<br />
und Prognose bei<br />
Verdacht auf Präeklampsie. Dank dieser<br />
klinisch validierten, heute voll automatisierten<br />
Marker und insbesondere<br />
des Quotienten sFlt-1/PIGF, gelingt es<br />
<strong>im</strong>mer öfter, Präeklampsien vorherzusagen<br />
und sie auch in ihren atypischen<br />
Formen zu erkennen. Umgekehrt<br />
lässt sich diese Schwangerschaftskomplikation<br />
bei entsprechender Verdachtssymptomatik<br />
auch sicher ausschließen.<br />
Ganz aktuell laufen Untersuchungen, ob<br />
bzw. wie sich die Angiogenesefaktoren<br />
zum Therapiemonitoring und zur Prävention<br />
der Präeklampsie eignen. Erste, ermutigende<br />
Erfolge zeigen sich auch hier.<br />
Die folgenden Ausführungen zeichnen<br />
die Sackgassen der Präeklampsieforschung<br />
sowie die rasante „Karriere“ der<br />
Präeklampsiemarker nach.<br />
In nur einer Dekade entwickelten sich die<br />
angiogenen Faktoren vom „großen Unbekannten“<br />
zum Dreh- und Angelpunkt der<br />
Forschung und Klinik bei Präeklampsie.<br />
Im Rückblick erstaunt dieser schnelle<br />
Sprung ins Rampenlicht. Im Jahr 2002 sah<br />
es noch danach aus, <strong>als</strong> würde die (retrospektiv)<br />
wegweisende Entdeckung von<br />
Ananth Karumanchi, welch wichtige Rolle<br />
die angiogenen Marker bei der Entstehung<br />
der Präeklampsie spielen, den Weg in die<br />
Perinatalmedizin verfehlen. Der Grund:<br />
Der Nephrologe Karumanchi von der<br />
Harvard Medical School in Boston konnte<br />
zunächst kein geeignetes Publikationsmedium<br />
finden – zu fachfremd, unwichtig<br />
oder schlicht unglaublich erschien den<br />
Redakteuren Karumanchis Erkenntnis, <strong>als</strong><br />
dass sie darin den zentralen Ansatzpunkt<br />
für eine bessere Versorgung gefährdeter<br />
Schwangerer sehen konnten!<br />
Viele (Vergiftungs-)Theorien<br />
Bis vor wenigen Jahren war man in puncto<br />
Diagnose und erst recht Behandlung der<br />
Präeklampsie auf bescheidenem Niveau.<br />
Bis zu Beginn des 21. Jahrhunderts galt<br />
diese Schwangerschaftskomplikation <strong>als</strong><br />
„Krankheit der Theorien“ – gefährlich,<br />
aber nicht fassbar und nur durch eine<br />
frühzeitige Entbindung behandelbar.<br />
Während die Eklampsie – gekennzeichnet<br />
durch plötzlich auftretende, lebensbedrohliche<br />
Krampfanfälle – schon in<br />
der griechischen Antike bekannt war,<br />
entdeckte man erst <strong>im</strong> 19. Jahrhundert,<br />
dank der Blutdruckmessung und der<br />
Nachweismöglichkeit von Eiweiß <strong>im</strong><br />
corbis<br />
Aufgrund klinischer Beobachtungen<br />
entwickelte sich in den 1950er Jahren<br />
die Hypothese, wonach die Ursache des<br />
Problems eine Toxinabsonderung der<br />
Plazenta sei. Es entstand die Bezeichnung<br />
„Schwangerschaftsvergiftung“. Dieser an<br />
sich richtige Erklärungsversuch jedoch<br />
scheiterte dam<strong>als</strong>: Trotz intensiver Forschung<br />
ließ sich das postulierte Toxin<br />
nicht nachweisen. Danach kursierten<br />
von der Ursprungsannahme abgeleitete<br />
Theorien. Beispielsweise glaubte man<br />
in den 1980er-Jahren, an einen Wurmbefall<br />
der Plazenta, der die Vergiftung<br />
verursacht. Oder dass es sich bei der<br />
Präeklampsie um eine allergische Reaktion<br />
gegen Sperma handelt.<br />
Uralter Goldstandard mit Mängeln<br />
Aufgrund dieser vagen Erkenntnislage<br />
hielten sich Blutdruck- und Eiweißmessung<br />
<strong>als</strong> Goldstandard vom 19. bis ins<br />
21. Jahrhundert. In der Praxis ist das oft<br />
keine Hilfe, zu ungenau und fehleranfällig<br />
waren und sind beide Parameter. Ihre<br />
Korrelation mit der Klinik ist zudem<br />
nicht zwingend, es gibt symptomarme<br />
aber dennoch schwere Verläufe ohne<br />
vorgängige Erhöhung der Blutdruckund<br />
Eiweißwerte. Darüber hinaus sind<br />
Hypertonie und Proteinurie unspezifische<br />
Symptome, ungeeignet zur Differenzialdiagnose<br />
zwischen Präeklampsie<br />
und anderen (harmloseren) Schwangerschaftshypertonien.<br />
Erst die Entdeckung Karumanchis, wonach<br />
das für die Entwicklung der Präeklampsie<br />
verantwortliche „Toxin“ in<br />
einem Ungleichgewicht angiogener Faktoren<br />
besteht, bot die Chance, neue diagnostische<br />
Wege einzuschlagen. Zwar war<br />
die Pathogenese der Präeklampsie nicht<br />
geklärt, wohl aber der entscheidende Auslöser<br />
aufgedeckt. Karumanchis Erkenntnis,<br />
die etwas verzögert <strong>im</strong> Jahr 2003<br />
doch noch prominent publiziert wurde 1)<br />
war der Ausgangspunkt für alle weiteren<br />
Forschungsarbeiten, die den angiogenen<br />
Faktoren binnen weniger Jahre den Weg<br />
in die klinische Praxis bahnten.<br />
<strong>Diagnostik</strong> <strong>im</strong> <strong>Dialog</strong> • Ausgabe 40 • 5/2013 9
Start <strong>als</strong> „aid in diagnosis“<br />
Die Beschreibung des krankheitsauslösenden<br />
Ungleichgewichts kam rasch: Das<br />
anti-angiogene Peptid sFlt-1 wird von<br />
der Plazenta <strong>im</strong> Übermaß ausgeschüttet<br />
und hemmt die pro-angiogenen Faktoren<br />
PIGF und VEGF. Kurz darauf gelang<br />
der Nachweis, dass sich die Gegenspieler<br />
sFlt-1 und PIGF <strong>als</strong> diagnostische Marker<br />
eignen. Insbesondere der Quotient sFlt-1/<br />
PIGF kann „präeklamptisch“ von „nicht<br />
präeklamptisch“ zuverlässig trennen, am<br />
sichersten bei Messungen vor der 34.<br />
Schwangerschaftswoche.<br />
2004 folgte der nächste Meilenstein: Die<br />
Erhöhung von sFlt-1 und die Reduktion<br />
von PIGF sind rund fünf Wochen<br />
vor dem Auftreten klinischer Symptome<br />
<strong>im</strong> mütterlichen Serum nachweisbar! 2)<br />
Damit hatte sich der sFlt-1/PIGF-Quotient<br />
innerhalb von 2 Jahren nicht nur<br />
<strong>als</strong> wertvolles Werkzeug zur Diagnose,<br />
sondern auch <strong>als</strong> prädiktiver Marker<br />
erwiesen. Dies kann die Früherkennung<br />
der Präeklampsie, besonders auch ihrer<br />
schweren Form, der early onset Präeklampsie,<br />
entscheidend voranbringen.<br />
Verschiedene Arbeiten haben die enge<br />
Korrelation zwischen Laborbefund und<br />
klinischem Schweregrad bei Präeklampsie<br />
belegt. Das bedeutet in der Praxis: Die<br />
Zeitspanne bis zur notwendigen Entbindung<br />
ist umso kürzer, je höher der Quotient<br />
aus sFlt-1 und PIGF ausfällt. Das<br />
verbessert die Risikoeinschätzung und<br />
die Kurzzeitprognose für die jeweilige<br />
Schwangerschaft.<br />
Spätestens seit 2009, <strong>als</strong> mit den Präeklampsiemarkern<br />
ElecsysT sFlt-1 und<br />
ElecsysT PIGF von <strong>Roche</strong> <strong>Diagnostics</strong><br />
klinisch validierte, vollautomatisierte<br />
Tests verfügbar wurden, können Geburtsmediziner<br />
nun fundierter beurteilen,<br />
ob das Risiko einer Schwangerschaftsverlängerung<br />
vertretbar ist. Der<br />
Entscheidungs-Cut-off liegt bei 85, dieser<br />
Wert erzielte mit 82 % die höchste Sensitivität<br />
und mit 95 % die beste Spezifität 3) .<br />
Noch mehr Potenzial<br />
2011 gelang einer Forschungskooperation<br />
aus Leipzig, Köln und Boston der Schritt<br />
von der <strong>Diagnostik</strong> in die Therapie.<br />
Mittels Apherese entfernten sie bei acht<br />
Schwangeren das überschüssige sFlt-1 aus<br />
dem Körper und belegten auf diese Weise,<br />
dass eine ursächliche Behandlung des<br />
Ungleichgewichtes technisch machbar<br />
und sicher ist: Diese Schwangerschaften<br />
konnten deutlich länger aufrechterhalten<br />
werden 4) . Eine größer angelegte Studie<br />
dieser Gruppe soll nun die vielversprechenden<br />
Ergebnisse absichern. Ist erst<br />
eine kausale Behandlungsoption verfügbar,<br />
eröffnet sich den Präeklampsiemarkern<br />
auch das Feld des Therapiemonitorings.<br />
Auf dem Gebiet der <strong>Diagnostik</strong> wird<br />
nach wie vor intensiv geforscht. Zwar hat<br />
sich der festgelegte Cut-off von 85 in der<br />
Praxis bewährt, dennoch lohnt sich die<br />
Untersuchung, ob über unterschiedliche<br />
Werte für verschiedene klinische Fragestellungen<br />
noch mehr aus den Markern<br />
herauszuholen ist. Zum Beispiel könnte<br />
bei hochriskanten Entscheidungssituationen<br />
die Sensitivität wichtiger <strong>als</strong> die<br />
Spezifität sein, sodass man sich an einem<br />
niedriger angesetzten Cut-off orientiert.<br />
Die Frage nach sinnvollen Referenzbereichen<br />
bedarf noch detaillierterer Antworten.<br />
Da sich die Serumkonzentrationen<br />
der Angiogenesefaktoren auch<br />
bei gesunden Frauen <strong>im</strong> Verlauf der<br />
Schwangerschaft ändern, könnten sich<br />
stadienspezifische Referenzbereiche<br />
lohnen. Die Definition eines physiologischen<br />
PlGF-Bereichs in der Frühschwangerschaft<br />
ermöglicht vielleicht,<br />
die Risikoprädiktion für Präeklampsie<br />
in das Ersttr<strong>im</strong>ester-Screening zu integrieren.<br />
Dies würde auch die Prävention<br />
der Prä eklampsie – über die frühzeitige<br />
Gabe von Acetylsalicylsäure an Risikopatientinnen<br />
– deutlich voranbringen.<br />
Auch bei der klinisch schwierigen Unterscheidung<br />
von Präeklampsie und chronischer<br />
Niereninsuffizienz in der Schwangerschaft<br />
sind die angiogenen Parameter<br />
eine wertvolle Hilfe. Eine kürzlich veröffentlichte<br />
Studie identifizierte den sFlt-1/<br />
PIGF-Quotienten <strong>als</strong> ersten Biomarker,<br />
der eine effiziente Differenzialdiagnose<br />
erlaubt 5) .<br />
Das tatsächliche Potenzial von sFlt-1<br />
und PIGF dürfte größer sein <strong>als</strong> heute<br />
etabliert. Weitere Fortschritte sind wahrscheinlich<br />
– sie deuten sich in aktuellen<br />
Studien an – und auch nötig. Denn nach<br />
wie vor ist die Präeklampsie weltweit eine<br />
der häufigsten Todesursachen schwangerer<br />
Frauen und eine Hauptursache für<br />
schwere gesundheitliche Schäden durch<br />
Frühgeburtlichkeit oder sogar den Tod<br />
des Ungeborenen.<br />
Literatur:<br />
1) Maynard SE et al.: J Clin Invest (2003); 111: 649-<br />
657<br />
2) Levine RJ et al.: N Engl J Med (2004); 350: 672-<br />
683<br />
3) Verlohren S et al.: AJOG (2010); 202(2):161.<br />
e1-e11<br />
4) Thadhani R et al.: Circulation (2011), Aug. 23;<br />
124(8): 940-950<br />
5) Rolfo A et al.: Kidney Int (2012); 83: 177-181<br />
Sie möchten mehr über Prädiktion, Diagnose, Prognose,<br />
Prävention und Therapie der Präeklampsie<br />
wissen? Dann können Sie eine kommentierte<br />
Literaturliste mit Online-Quellenangaben per<br />
E-Mail bestellen: diana.lohrer@roche.com<br />
Dr. Monika Ostendorf<br />
Medizinisches Marketing<br />
Labordiagnostik<br />
0621 759-1360<br />
monika.ostendorf@roche.com<br />
10<br />
<strong>Diagnostik</strong> <strong>im</strong> <strong>Dialog</strong> • Ausgabe 40 • 5/2013
Gesundheitspolitik<br />
Bessere Vorsorge be<strong>im</strong> Zervixkarzinom „lieber heute <strong>als</strong> morgen“!<br />
Mediziner sind sich einig: Die deutschen<br />
Richtlinien zur Vorsorge von Gebärmutterh<strong>als</strong>krebs<br />
bedürfen einer grundlegenden<br />
Überarbeitung. Seit Ende 2012 arbeitet<br />
daher eine Kommission aus Experten<br />
an einer evidenzbasierten S3-Leitlinie,<br />
die auch die umfangreichen und überzeugenden<br />
Daten zum verbesserten Vorsorgescreening<br />
mit moderner <strong>Diagnostik</strong><br />
berücksichtigt. Die Experten-Empfehlungen,<br />
zusammen mit Maßnahmen aus dem<br />
Nationalen Krebsplan (Aufbau eines<br />
natio nalen Krebsregisters und flächendeckende<br />
Einladungsverfahren zum<br />
Screening), eröffnen die Chance, die seit<br />
Jahren stagnierenden Morbiditäts- und<br />
Mortalitätszahlen be<strong>im</strong> Zervixkarzinom<br />
zu senken. Darüber hinaus bleibt auf<br />
einen Paradigmenwechsel des Gesetzgebers<br />
zu hoffen, damit neue molekulare<br />
Methoden auch <strong>im</strong> Rahmen der gesetzlichen<br />
Krebsvorsorge den herkömmlichen<br />
Pap-Abstrich (Tab. 1) ergänzen.<br />
<strong>Roche</strong><br />
Mit dem zytologischen Pap-Abstrich<br />
<strong>als</strong> Screeningmethode in der nationalen<br />
Krebsvorsorge gelang es, Morbidität und<br />
Mortalität be<strong>im</strong> Zervixkarzinom um rund<br />
70 Prozent zu senken. Seit einigen Jahren<br />
aber stagniert diese Zahl: Trotz aufwendiger<br />
und kostspieliger Programme bleibt<br />
das Zervixkarzinom die zweithäufigste<br />
Krebserkrankung bei Frauen <strong>im</strong> Alter von<br />
15 bis 44 Jahren. Jedes Jahr erkranken in<br />
Deutschland rund 6 000 Frauen neu; bis<br />
zu 2 000 sterben in Folge dieses Krebses.<br />
„Dabei müsste das nicht so sein“, zeigt sich<br />
Professor Herbert Pfister, Direktor des<br />
Instituts für Virologie am Universitätsklinikum<br />
Köln, überzeugt: „Werden Risiken<br />
und erste Zellveränderungen frühzeitig<br />
erkannt, sind Tumore vollständig vermeidbar.“<br />
Dass dies bislang nicht gelingt,<br />
liegt auch an der heute üblichen diagnostischen<br />
Methode. Bereits seit längerem<br />
hadern Fachärzte und Wissenschaftler mit<br />
der unzureichenden Sensitivität des einmaligen<br />
Pap-Abstrichs. Die Folge ist eine<br />
erhebliche Rate f<strong>als</strong>ch negativer Ergebnisse<br />
bei Patientinnen mit Krebsvorstufen. Deshalb<br />
sollen neue Strategien die Vorsorge<br />
opt<strong>im</strong>ieren, sodass Hochrisikopatientinnen<br />
auch wirklich erkannt werden und die<br />
bestmögliche Behandlung erfahren.<br />
Co-Screening mit HPV-Test ist besser<br />
Die Ursache von Zervixkarzinomen ist<br />
aufgeklärt: Über 99 Prozent aller Tumore<br />
gehen auf die Infektion mit einem von 14<br />
Hochrisikotypen des Humanen Papillomvirus<br />
(hrHPV) zurück. Die aggressivsten<br />
Genotypen sind HPV 16 und 18. Diese<br />
allein wiederum sind für die Entstehung<br />
von rund 75 Prozent aller Karzinome<br />
verantwortlich. Eine HPV-Infektion lässt<br />
sich über die virale DNA z.B. mit einem<br />
PCR-Test sensitiv und schnell nachweisen,<br />
während der Abstrich erst bereits<br />
auffällige Veränderungen der Zellen aufzeigt.<br />
„Entsprechend“, so Pfister, „müsse<br />
es Ziel der neuen Leitlinie sein, lieber<br />
heute <strong>als</strong> morgen die HPV-Testung standardmäßig<br />
in der gesetzlichen Krebsvorsorge<br />
in Deutschland zu verankern“.<br />
Eine sinnvolle Strategie wäre das Co-<br />
Screening mittels HPV-Test und Pap-<br />
Zytologie. Vor allem auch mit dem spezifischen<br />
Nachweis der HPV-Typen 16 und<br />
18 trägt dies zu mehr Sicherheit bei der<br />
Einschätzung eines individuellen Risikos<br />
bei. Das weitere diagnostische Vorgehen<br />
könnte <strong>im</strong> Folgenden entsprechend<br />
angepasst werden, sodass sich die Gefahr,<br />
Krebsvorstufen zu übersehen – wie es bei<br />
der alleinigen Pap-Zytologie <strong>im</strong>mer wieder<br />
vorkommt – deutlich verringert. Der<br />
automatisiert ablaufende cobasT HPV<br />
Test bietet den Nachweis der 14 hrHPV-<br />
Typen mit gleichzeitiger Genotypisierung<br />
von HPV 16 und 18. Er kann überzeugende<br />
klinische Daten aus der prospektiven<br />
Athena-Studie 1 – 2, Tab. 1) vorweisen<br />
und ist zurzeit der einzige von der FDA<br />
zugelassene Test dieser Art.<br />
Seit einigen Jahren stehen den Ärzten<br />
hierzulande HPV-Tests zur Verfügung,<br />
die aber viel zu selten eingesetzt werden.<br />
Dabei ist der Parameter zur frühen Risikostratifizierung<br />
<strong>im</strong> Kontext Zervixkarzinom-Screening<br />
bereits seit 2008 Teil<br />
der konsensbasierten S2k-Leitlinie der<br />
Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie<br />
und Geburtshilfe. Die dort beschriebene<br />
HPV-Testung zur Abklärung unklarer<br />
und leicht- bis mäßig-gradiger Zytologien<br />
(Pap IIw / III / IIID) sowie zum Monitoring<br />
nach Konisation (Tab. 1) gehört<br />
mittlerweile zur gängigen Praxis vieler –<br />
aber längst nicht aller – Gynäkologen. Die<br />
ebenfalls empfohlene Anwendung be<strong>im</strong><br />
Pr<strong>im</strong>ärscreening in Kombination mit<br />
der Pap-Zytologie für Frauen ab 30 Jahren<br />
ist aktuell nicht flächendeckend<br />
<strong>Diagnostik</strong> <strong>im</strong> <strong>Dialog</strong> • Ausgabe 40 • 5/2013 11
ealisierbar. Der Grund: In der gesetzlichen<br />
Umsetzung, die auch eine adäquate<br />
Vergütung garantiert, hinkt Deutschland<br />
hinterher – übrigens auch gegenüber<br />
anderen Staaten:<br />
O HPV-Tests werden aktuell in den<br />
nationalen Vorsorgeprogrammen der<br />
Niederlande und Dänemarks <strong>als</strong> Teil<br />
des Pr<strong>im</strong>ärscreenings verankert.<br />
O In Italien und Schweden laufen<br />
gesetzlich verabschiedete Pilotprojekte.<br />
O In den USA ist das Co-Screening von<br />
HPV-Test und Pap-Zytologie gesetzlich<br />
umgesetzt. Zusätzlich haben<br />
führende Fachgesellschaften 2012 die<br />
gezielte Typisierung von HPV 16 und/<br />
oder HPV 16/18 in einer Konsensus-<br />
Leitlinie integriert.<br />
Die für spätestens 2015 geplante neue<br />
S3e-Leitlinie mit evidenzbasierten Daten<br />
soll Vergleichbares auch in Deutschland<br />
vorbereiten.<br />
p16 / Ki-67 identifizieren CIN2+<br />
Ein weiteres Problem der Screening-<br />
Praxis in Deutschland ist das Fehlen<br />
Pap-Zytologie<br />
(benannt nach dem<br />
griechischen Arzt<br />
George Papanicolaou)<br />
hrHPV<br />
Athena<br />
ASC-US<br />
LSIL<br />
Konisation<br />
Differenzialkolposkopie<br />
CIN<br />
Tab. 1: Begriffserklärungen<br />
einer flächendeckenden Versorgung mit<br />
Möglichkeiten zur Differenzialkolposkopie<br />
(Tab. 1). Einen Ausweg können Tests<br />
eröffnen, die auf speziellen Biomarkern<br />
beruhen. Relevant sind das Tumorsuppressor-Protein<br />
p16 INK4a (kurz p16) und<br />
der Proliferationsmarker Ki-67. Der<br />
kommerziell erhältliche, <strong>im</strong>munzytochemische<br />
Assay CINtecT PLUS dient der<br />
s<strong>im</strong>ultanen qualitativen Detektion von<br />
p16 und Ki-67 in zervikalen zytologischen<br />
Proben. Sein klinischer Nutzen wurde<br />
in drei Studien mit über 30 000 Frauen<br />
bei verschiedenen Fragenstellungen<br />
<strong>im</strong> Kontext Zervixkarzinom-Screening<br />
demonstriert. Insbesondere kann der<br />
Test innerhalb der Gruppe mit hrHPV-<br />
Testergebnis oder einer LSIL-Zytologie<br />
(Tab. 1) diejenigen Frauen identifizieren,<br />
die hochgradige zervikale intraepitheliale<br />
Läsionen (CIN2+, Tab. 1) aufweisen.<br />
Die Strategie mit p16 / Ki-67 liefert<br />
deutlich mehr Entscheidungs sicherheit<br />
für das weitere Vorgehen,<br />
O weil Patientinnen mit pathologischen<br />
Zellveränderungen, verglichen mit der<br />
herkömmlichen Pap-Zytologie, deutlich<br />
sensitiver erfasst und dann direkt<br />
Visuelle Beurteilung gefärbter Zellabstriche vom Gebärmutterh<strong>als</strong> auf<br />
pathologische Zellveränderungen. Der Befund wird je nach Zellmorphologie<br />
klassifiziert (Pap I – Pap V).<br />
high-risk Humane Papillomviren<br />
Addressing the Need for Advanced HPV <strong>Diagnostics</strong>. Größte jem<strong>als</strong> durchgeführte<br />
FDA-Zulassungsstudie <strong>im</strong> Bereich Gebär mutter h<strong>als</strong> krebs vorsorge.<br />
Atypical Squamous Cells of Undetermined Significance. Entspricht <strong>im</strong><br />
Wesentlichen Pap IIw.<br />
Low grade Squamous Intraepithelial Lesion. Entspricht Pap IIID, d.h.<br />
leichte Dysplasie.<br />
Chirurgisches Entfernen eines Gewebekegels, meistens aus dem<br />
Gebärmutterh<strong>als</strong>.<br />
Untersuchungsverfahren, bei dem Scheide und Gebärmuttermund mittels<br />
speziellem Untersuchungsmikroskop (Kolposkop) begutachtet werden,<br />
inkl. gezielter Entnahme von Gewebeproben aus verdächtigen Arealen.<br />
Cervical intraepithelial Neoplasia. Histologische Diagnose der pathologischen<br />
Zellveränderungen. Klassifiziert <strong>als</strong> negativ bzw. CIN 1 – 3. CIN2+<br />
entspricht einer mäßig-gradigen Veränderung bis hin zum invasiven Karzinom,<br />
bei CIN3+ spricht man von einer hoch-gradigen Läsion bis zum<br />
invasiven Zervixkarzinom.<br />
in eine spezialisierte Dysplasiesprechstunde<br />
zur Differenzialkolposkopie<br />
überwiesen werden können.<br />
O weil es eine relevante Zahl von Patientinnen<br />
gibt, die sich aufgrund eines<br />
f<strong>als</strong>ch positiven oder unklaren Pap-<br />
Befunds einem operativen Eingriff<br />
(Konisation) unterziehen, obwohl<br />
sie (noch) keine ernstzunehmende<br />
Erkrankung aufweisen. „Diese Zahl ist<br />
tatsächlich viel höher, <strong>als</strong> man wahrhaben<br />
möchte“, erklärt Dr. Gerd Böhmer,<br />
Facharzt für Gynäkologie und<br />
Geburtshilfe, Zytologie und Kolposkopie<br />
in Bad Münder. „Überbehandlung<br />
ist ein ernstes Problem <strong>im</strong> Bereich<br />
Gebärmutterh<strong>als</strong>krebs – zumal ein<br />
solcher operativer Eingriff nicht ohne<br />
Risiken für die Patientin ist.“<br />
p16 sichert die Diagnose<br />
Als Voraussetzung für adäquate Therapieentscheidungen<br />
müssen vermutete<br />
Präkanzerosen oder mögliche Krebserkrankungen<br />
(CIN3+ Läsionen, Tab. 1)<br />
mit hoher Sicherheit bestätigt (oder<br />
entkräftet) werden. Auch das gehört<br />
zum Aufgabengebiet von Pathologen.<br />
Grundlage für die Diagnosestellung ist<br />
die H&E- (Hämatoxylin-Eosin) Färbung<br />
am histologischen Zervixpräparat, deren<br />
diagnostische Genauigkeit allerdings in<br />
großen klinischen Studien hinterfragt<br />
wird. Die Betonung liegt vielmehr auf<br />
der Notwendigkeit spezifischer Biomarker<br />
zur objektiveren Einteilung in CIN<br />
und Identifizierung hochgradiger Dysplasien<br />
der Zervix.<br />
Der gewebebasierte p16-Test CINtecT<br />
Histology ist ein <strong>im</strong>munhistochemischer<br />
Assay zur qualitativen Detektion von p16<br />
auf Formalin-fixierten, Paraffin-eingebetteten<br />
Präparaten zervikaler Biopsien.<br />
Er kommt zusammen mit H&E-gefärbten<br />
Präparaten derselben zervikalen Gewebeprobe<br />
zum Einsatz, um die diagnostische<br />
Genauigkeit und damit auch die übereinst<strong>im</strong>mende<br />
Befundung verschiedener<br />
Gutachter (Pathologen) bei der Diagnose<br />
hochgradiger zervikaler, intraepithelialer<br />
Neoplasien und Zervixkarzinome zu<br />
verbessern. Die klinische Performance<br />
dieses Tests wurde in einer kontrollierten<br />
klinischen Studie evaluiert. „Unsere<br />
Ergebnisse zeigen, dass die zusätzliche<br />
Befundung p16-gefärbter Proben die<br />
Routine-Interpretation in der zervikalen<br />
12<br />
<strong>Diagnostik</strong> <strong>im</strong> <strong>Dialog</strong> • Ausgabe 40 • 5/2013
Histopathologie signifikant verbessert“,<br />
so Prof. Dietmar Schmidt, Pathologe am<br />
Referenzzentrum für Gynäkopathologie<br />
in Mannhe<strong>im</strong>.<br />
Kombination <strong>als</strong> Mehrwert<br />
Der Schlüssel <strong>im</strong> Kampf gegen Gebärmutterh<strong>als</strong>krebs<br />
dürfte in der Kombination<br />
verschiedener Parameter und Methoden<br />
liegen: Zytologie, Molekular- und Gewebediagnostik.<br />
Eine wichtige Voraussetzung<br />
für den kompetenten Umgang ist,<br />
dass Ärzte und Labore über einzelne Tests<br />
und Plattformen hinaus denken und die<br />
Zusammenhänge der verschiedenen<br />
Parameter verstehen.<br />
O HPV-Tests inkl. HPV 16 & 18 Genotypisierung<br />
(z.B. cobasT HPV Test)<br />
sind ideal zum risikostratifizierten<br />
Management einer Patientin.<br />
O Biomarker-basierte Tests differenzieren<br />
bei transformierten Läsionen<br />
„Risiko“ versus „Erkrankung“ und<br />
ermöglichen so eine zielgerichtete<br />
Differenzialkolposkopie (CINtecT<br />
PLUS) sowie eine präzise und reproduzierbare<br />
Diagnosestellung in der<br />
Histologie (CINtecT Histology).<br />
O Dieses Vorgehen hilft, präkanzeröse<br />
Läsionen früh zu identifizieren und<br />
somit Zervixkarzinome zu vermeiden.<br />
Frauen ohne Erkrankung dagegen bleiben<br />
(unnötige) Behandlungen erspart.<br />
„Dieses Vorgehen bringt Ärzten und<br />
Patientinnen eine bislang nicht gekannte<br />
Sicherheit“, erklärt Dr. Markus Lütge,<br />
Geschäftsführer des gleichnamigen<br />
Zytologielabors in Salzgitter. „Der medizinische<br />
Mehrwert entsteht durch das<br />
Zusammenspiel der verschiedenen Tests:<br />
Je besser die Ergebnisse ineinandergreifen,<br />
desto präziser ist das diagnostische<br />
Bild, <strong>als</strong> Voraussetzung für bestmögliche<br />
Behandlungsergebnisse“, erklärt Lütge.<br />
Er hat <strong>im</strong> Jahr 2012 <strong>als</strong> einer der Ersten<br />
in Deutschland das komplette <strong>Roche</strong>-<br />
Portfolio für das Gebärmutterh<strong>als</strong>krebs-<br />
Screening eingeführt (Tab. 2). Die Entscheidung<br />
war für ihn naheliegend:<br />
„<strong>Roche</strong> ist das einzige Unternehmen,<br />
das eine solche Komplettlösung anbietet,<br />
das hat uns überzeugt“, so Lütge. „Das<br />
ist letztlichgenau das, was unsere Kunden<br />
aus der Gynäkologie und Onkologie<br />
brauchen – gerade auch <strong>im</strong> Hinblick<br />
auf die neue S3-Leitlinie und deren<br />
Umsetzung“.<br />
HPV<br />
neg<br />
Screening<br />
Abb. 1: Aktuell möglicher Algorithmus für die Abklärung auffälliger Pap-Befunde<br />
HPV<br />
neg<br />
Screening<br />
Abb. 2: Co-Screening <strong>als</strong> möglicher zukünftiger Algorithmus in der Gebärmutterh<strong>als</strong>krebs-Vorsorge<br />
Test Testdesign System Testaussage<br />
cobasT HPV<br />
CINtecT<br />
PLUS<br />
CINtecT<br />
Histology<br />
ASC-US (Pap IIw)<br />
12 andere<br />
hrHPV<br />
pos<br />
Wiederholung<br />
nach 6 – 12<br />
Monaten/<br />
p16/Ki-67 Zytologie<br />
Co-Screening HPV & Pap<br />
≥ 30 Jahre<br />
12 andere<br />
hrHPV<br />
pos<br />
Wiederholung<br />
nach 6 – 12<br />
Monaten/<br />
p16/Ki-67 Zytologie<br />
Vollautomatisierter<br />
Real-T<strong>im</strong>e PCR-Test zum<br />
Nachweis der 14 Hochrisikotypen<br />
von HPV<br />
(hrHPV).<br />
Ein Test – 3 Ergebnisse:<br />
HPV 16 Genotypisierung<br />
HPV 18 Genotypisierung<br />
12 andere hrHPV Typen<br />
<strong>als</strong> Gesamtergebnis<br />
Kombinierter <strong>im</strong>munzyto<br />
chemischer<br />
Nachweis des p16 INK4a<br />
Tumorsuppressor-<br />
Proteins und des Ki-67<br />
Proliferationsmarkers<br />
<strong>im</strong> Gebärmutterh<strong>als</strong>abstrich.<br />
Gewebebasierter Test<br />
zum spezifischen<br />
Nachweis einer Überexpression<br />
von p16 in<br />
histologischen<br />
Präparaten der Zervix.<br />
HPV16/18<br />
pos<br />
p16/Ki-67<br />
Zytologie<br />
cobasT 4800<br />
Literatur:<br />
1) Stoler MH et al.: Am J Clin Pathol (2011); 135:<br />
468-475<br />
2) Wright TC at al.: Am J Clin Pathol (2011);<br />
136: 578-586<br />
Hohe klinische Sensitivität be<strong>im</strong> Nachweis von<br />
hrHPV. Der gleichzeitige individuelle Nachweis<br />
der Typen mit höchstem Risiko, HPV 16 und 18,<br />
erlaubt ein risikostratifiziertes Patientenmanagement<br />
sowohl bei Frauen mit unauffälliger Zytologie<br />
<strong>als</strong> auch bei unklaren Zytologien (ASC-US,<br />
Pap IIw).<br />
Ausführlich validiert in der bisher größten<br />
FDA-Zulassungsstudie mit über 47 000 Frauen<br />
(ATHENA).<br />
CE-IVD zugelassen.<br />
Manuell Spezifischer Nachweis einer onkogenen Transformation<br />
von Zervixzellen für eine zielgerichtete<br />
Offene IHC-Färbeautomaten<br />
Differenzialkolposkopie bei HPV-positiven Befunden<br />
oder leicht- bis mäßig-gradigen zervikalen<br />
In Vorbereitung:<br />
Läsionen.<br />
Automatisiert auf<br />
der BenchMark CE-IVD zugelassen.<br />
Serie<br />
Automatisiert<br />
auf der Bench-<br />
Mark Serie<br />
Manuell<br />
Auf offenen IHC-<br />
Färbeautomaten<br />
Tab. 2 : <strong>Roche</strong>-Portfolio zur Zervixkarzinom-Vorsorge<br />
p16/Ki-67<br />
neg<br />
Wiederholung<br />
nach 6 – 12<br />
Monaten<br />
Kolposkopie/Biopsie mit p16 Histologie + H&E<br />
HPV16/18<br />
pos<br />
p16/Ki-67<br />
Zytologie<br />
Pap<br />
IV / V<br />
Kolposkopie/Biopsie mit p16 Histologie + H&E<br />
LSIL (Pap IIID)<br />
Pap-Screening<br />
< 30 Jahre<br />
Pap<br />
IIw / III / IIID<br />
HPV/p16/Ki-67<br />
Zytologie<br />
p16/Ki-67<br />
pos<br />
Pap<br />
I / II<br />
Anwendung in Kombination mit der konventionellen<br />
H&E-Färbung. Bestätigung des Vorliegens<br />
oder Nicht-Vorhandenseins einer präkanzerösen<br />
Läsion (CIN2+ / CIN3+) zur sicheren Diagnosestellung.<br />
FDA-Zulassung in Vorbereitung.<br />
CE-IVD zugelassen.<br />
Dr. Frank Britz<br />
Produktmanagement<br />
Molekulare <strong>Diagnostik</strong><br />
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frank.britz@roche.com<br />
<strong>Diagnostik</strong> <strong>im</strong> <strong>Dialog</strong> • Ausgabe 40 • 5/2013 13
Medizin<br />
Hepatitis C-Infektionen: Diagnose-Defizit und hohe Dunkelziffer<br />
Prof. Dr. Claus Niederau, Katholische Kliniken Oberhausen, St. Josef-Hospital, Oberhausen<br />
Jährlich infizieren sich weltweit 3 – 4 Millionen<br />
Menschen mit dem Hepatitis<br />
C-Virus (HCV). Die Infektion zeigt eine<br />
hohe Chronifizierungsrate, sie zählt daher<br />
zu den wichtigsten Leberkrankheiten.<br />
Etwa 150 Millionen Menschen tragen<br />
HCV-bedingt ein erhöhtes Risiko für eine<br />
Leberzirrhose und ein hepato-celluläres<br />
Carcinom (HCC) 1 – 3) . In vielen Ländern<br />
gibt es hochwertige diagnostische Tests<br />
sowie Leitlinien zur HCV-Testung der Allgemeinbevölkerung<br />
und zum Screening<br />
von Risikogruppen. Doch in der Praxis<br />
mangelt es häufig an der konsequenten<br />
Umsetzung oder ausreichenden Kenntnissen<br />
der Ärzte. Daher liegt die Dunkelziffer<br />
chronischer HCV-Infektionen extrem<br />
hoch – vermutlich sind es um die<br />
80 %! Diese Zahl alarmiert auch deshalb,<br />
weil hochwirksame Medikamente zur<br />
Heilung oder Verringerung der Spätfolgen<br />
zur Verfügung stehen.<br />
Unterschätzte Prävalenz<br />
Die Daten aus dem US-amerikanischen<br />
National Health and Nutrition Examination<br />
Survey (NHANES), die einen repräcorbis<br />
Gründe für eine HCV-Übertragung<br />
waren vor 1992 überwiegend kontaminierte<br />
Injektionen, medizinische Eingriffe<br />
und Blutprodukte. Seit der Identifikation<br />
des HCV 1989 und der Verfügbarkeit<br />
eines Antikörpertests ab 1992 reduzierte<br />
sich die iatrogene Ausbreitung in<br />
den Industrieländern drastisch. Heute<br />
geschehen die meisten Neuinfektionen<br />
<strong>im</strong> Rahmen des i.v. Drogenkonsums. Die<br />
Neuerkrankungsrate geht zurück, die<br />
Folgeerkrankungen der schon infizierten<br />
Personen werden dagegen in den nächsten<br />
Jahren zunehmen. Bei etwa 20 % der<br />
chronisch HCV-Infizierten bildet sich<br />
eine Leberzirrhose, die ihrerseits ein<br />
HCC-Risikofaktor ist. Schon heute geht<br />
ein großer Teil der Zirrhosen, HCC und<br />
Lebertransplantationen auf das Konto der<br />
Hepatitis C. Allein in den USA werden in<br />
den nächsten 40 – 50 Jahren fast 2 Millionen<br />
HCV-Patienten eine Zirrhose entwickeln<br />
4) , etwa 400 000 ein HCC 4 – 7) . Und<br />
etwa 1 Million Personen werden an HCVassoziierten<br />
Komplikationen sterben 7 – 8) .<br />
sentativen Querschnitt der Allgemeinbevölkerung<br />
zeigen, beziffern die Prävalenz<br />
der HCV-Infektion (anti-HCV positiv)<br />
auf 1,5 –1,7 %. Vermutlich jedoch ist dieser<br />
Wert um 1 Million chronisch Infizierter<br />
unterschätzt, da Risikogruppen wie<br />
Inhaftierte und Obdachlose nicht eingeschlossen<br />
waren 9) . In Europa leiden etwa<br />
9 Millionen Menschen an einer chronischen<br />
Hepatitis C 10) . Die HCV-Prävalenz<br />
(anti-HCV positiv) schwankt von 0,4 %<br />
(Schweden, Deutschland, Niederlande)<br />
über 2 – 3 % (Mittelmeerländer) bis > 20 %<br />
in einigen Regionen Süd-Europas 11, 12) .<br />
Nach Angaben des RKI gehört Deutschland<br />
mit 0,4 % zu den Niedrig-Prävalenzregionen,<br />
allerdings werden die eigenen<br />
Zahlen kritisch kommentiert 13) , da z.B.<br />
Risikogruppen wie Drogenabhängige,<br />
Inhaftierte und Migranten in bisherigen<br />
Studien unterrepräsentiert waren. Neuere<br />
Untersuchungen lieferten folgende Daten:<br />
O In einem Hamburger Labor wiesen<br />
12,9 % der unselektierten Blutproben<br />
eine erhöhte GPT auf, 6,3 % davon<br />
waren anti-HCV positiv. In der Kontrollgruppe<br />
mit normaler GPT dagegen<br />
lag dieser Anteil bei nur 1,7 % 14) .<br />
O In den Jahren 2008 – 2009 wurden an<br />
der Berliner Charité 13 328 Patienten<br />
der Notaufnahme auf eine HCV-<br />
Infektion untersucht. 66 % der Patienten<br />
hatten erhöhte Transaminasen<br />
und 2,5 % waren anti-HCV-positiv 15) .<br />
O Noch häufiger ließ sich eine HCV-<br />
Infektion be<strong>im</strong> Screening von Migranten<br />
in 16 Hamburger Praxen und<br />
5 Klinikambulanzen diagnostizieren:<br />
die Prävalenz von anti-HCV betrug<br />
5,8 % (Praxen) bzw. 6,3 % (Ambulanzen)<br />
16) .<br />
O Bei i.v. Drogenabhängigen ist die Prävalenz<br />
um ein Vielfaches höher – in einer<br />
Untersuchung betrug die HCV-Rate in<br />
Berlin 53 % und in Essen 80 % 17) !<br />
Klare Screeningempfehlungen<br />
Die Suche nach einer HCV-Infektion ist<br />
mit der Antikörpermessung einfach und<br />
verlässlich, so dass dieser Test bei <strong>im</strong>munkompetenten<br />
Personen in der Praxis ausreicht.<br />
Mit dem Antikörpertest erkennt<br />
man etwa 99 % der HCV-Infektionen.<br />
Nur bei Immungeschwächten oder in frühen<br />
Phasen der akuten Infektion findet<br />
man eine positive HCV-RNA ohne Antikörpernachweis.<br />
Der Immunoblot hat für<br />
die klinische Praxis keine Bedeutung. Bei<br />
allen Patienten mit nachgewiesenem anti-<br />
14<br />
<strong>Diagnostik</strong> <strong>im</strong> <strong>Dialog</strong> • Ausgabe 40 • 5/2013
HCV sollte ein entsprechender RNA-Test<br />
durchgeführt werden. Dadurch lässt sich<br />
eine replikative Infektion von einer ausgeheilten<br />
Infektion bzw. einem unspezifisch<br />
positiven Antikörperbefund abgrenzen.<br />
Verschiedene Leitlinien 18, 19) und auch<br />
das Robert-Koch Institut (RKI) 20) geben<br />
bezüglich der Testung auf HCV-Infektion<br />
folgende Empfehlungen ab:<br />
O In der Allgemeinbevölkerung sollten<br />
(auch nur geringfügig) erhöhte Transaminasen<br />
(GPT) Anlass zur spezifischen<br />
Antikörper-<strong>Diagnostik</strong> sein.<br />
O Für Risikogruppen ist ein HCV-Screening<br />
auch bei normalen Leberwerten<br />
obligat.<br />
Zu den typischen HCV-Risikogruppen<br />
gehören<br />
O Patienten, die vor 1992 Blutprodukte<br />
erhalten haben<br />
O Dialyse-, Hämophilie- und transplantierten<br />
Patienten<br />
O i.v. Drogenkonsumenten<br />
O Personen aus Ländern mit endemischer<br />
Häufung der Hepatitis<br />
Mangelnde Umsetzung<br />
Die Screening-Empfehlungen der aktuellen<br />
deutschen S3-Leitlinie (Tab.) werden<br />
derzeit nur unzureichend umgesetzt.<br />
Besonders Migranten aus Ländern<br />
mit hoher Hepatitis-Prävalenz sind in<br />
Deutschland eine wichtige Zielgruppe<br />
für systematisches Screening – auch<br />
ohne Symptome und mit normalen<br />
Leberwerten 13, 19) . In zwei epidemiologischen<br />
Studien z.B. stammten nur<br />
etwa 2/3 der in Deutschland lebenden<br />
Hepatitis C-Patien ten gebürtig aus<br />
Deutschland 21, 22) . Das Screening dieses<br />
Risikokollektivs hat sich <strong>als</strong> kosteneffektiv<br />
erwiesen 23) . Bei i.v. Drogenabhängigen<br />
ist die Evidenz für ein HCV-Screening<br />
aufgrund der sehr hohen Prävalenz<br />
noch klarer.<br />
Die konsequente Umsetzung von Empfehlungen<br />
scheitert auch an mangelnden<br />
Kenntnissen z.B. auf Seiten von Ärzten.<br />
In der Praxis des Hausarztes sind erhöhte<br />
Leberwerte „an der Tagesordnung“. In<br />
einer bundesweiten Studie lagen dort<br />
13,5 % aller GPT-Werte über dem Normwert<br />
24) . Lange Zeit galten leicht erhöhte<br />
Transaminasen aber <strong>als</strong> „Kavaliersdelikt“,<br />
ohne Konsequenzen. Eine Ana-<br />
lyse <strong>im</strong> hausärztlichen Bereich zeigte,<br />
dass etwa 60 % der Hausärzte max<strong>im</strong>al<br />
fünf Anti-HCV-Tests pro Jahr, mehr <strong>als</strong><br />
30 % überhaupt keinen Test durchgeführt<br />
haben 25) . Erhöhte Leberwerte gehören<br />
jedoch abgeklärt, da sie nicht<br />
„automatisch“ durch Alkoholkonsum<br />
oder Leberverfettung entstehen 20) .<br />
Eine HCV-<strong>Diagnostik</strong> mit Best<strong>im</strong>mung von anti-<br />
HCV sollte erfolgen bei:<br />
- Personen mit erhöhten Transaminasen und / oder<br />
klinischen Zeichen einer Hepatitis bzw. chronischen<br />
Lebererkrankung unklarer Genese<br />
- Empfängern von Blut und Blutprodukten (vor 1992)<br />
- Transplantatempfängern<br />
- Hämodialyse-Patienten<br />
- aktiven und ehemaligen i. v. Drogenkonsumierenden<br />
- Insassen von Justizvollzugsanstalten<br />
- HIV- und / oder HBV-Infizierten<br />
- Haushaltsangehörigen bzw. Sexualpartnern HCV-<br />
Infizierter und Kindern HCV-positiver Mütter<br />
- Personen mit Migrationshintergrund aus Regionen<br />
mit erhöhter HCV-Infektionsrate,<br />
- medizinischem Personal<br />
- Blut-, Organ- und Gewebespendern<br />
- jedem, der eine entsprechende Untersuchung<br />
explizit wünscht (incl. adäquater Beratung)<br />
Tab.: Screening-Empfehlung der aktuellen<br />
deutschen S3-Leitlinie (modifiziert aus 19)<br />
Die Bereitschaft von Hausärzten zur<br />
Anforderung eines Antikörpertests korreliert<br />
mit der Höhe der GPT: Sie ist am<br />
größten bei GPT-Konzentrationen über<br />
dem Dreifachen des oberen Normwertes.<br />
Dieses Vorgehen entspricht jedoch nicht<br />
der medizinischen Realität. In einer prospektiven<br />
Untersuchung von 192 Hausarztpraxen<br />
lag die tatsächliche Zahl der<br />
positiven HCV-Tests in der Gruppe mit<br />
sehr hohen Leberwerten relativ niedrig<br />
24) . Demgegenüber können chronische<br />
Lebererkrankungen mit normalen Transaminasen<br />
einhergehen und trotzdem in<br />
eine Zirrhose münden. Auch die Symptomatik<br />
bei HCV-Infektion ist nicht eindeutig;<br />
das ergab eine Fragebogenanalyse<br />
bei in Deutschland lebenden Patienten 26) :<br />
Etwa 30 % aller Personen mit chronischer<br />
Hepatitis C waren asymptomatisch, ca.<br />
60 % gaben nur unspezifische Beschwerden<br />
wie Müdigkeit, Konzentrationsschwäche<br />
und Oberbauchbeschwerden<br />
an. Bei Risikopersonen sollte daher auch<br />
der Hausarzt unabhängig vom GPT- und<br />
Beschwerdestatus eine HCV-Antikörpertestung<br />
veranlassen.<br />
Mangelhafte Umsetzung und Kenntnisse<br />
<strong>im</strong> Kontext der HCV-<strong>Diagnostik</strong> resultieren<br />
in einem unzureichenden Screening.<br />
Dies erklärt, warum so wenige HCV-<br />
Infizierte von ihrer Infektion wissen. Im<br />
Jahr 2011 hat das RKI 127 infektiöse Erreger<br />
hinsichtlich der Bedeutung für<br />
die nationale Surveillance publiziert:<br />
HCV erhielt den Rang 5 und gehört<br />
damit in die Gruppe mit der höchsten<br />
Priorität 27) . Dieser enormen medizinischen<br />
und ökonomischen Bedeutung<br />
der Hepatitis C muss in der täglichen<br />
Praxis mehr Rechnung getragen werden.<br />
Innerhalb Europas haben bisher nur<br />
Frankreich und Schottland ein nationales<br />
Programm, um das Hepatitis-Screening<br />
in Risikogruppen zu verbessern 10) .<br />
Screening „Birth-Cohort“<br />
Das „Center for Disease Control and<br />
Prevention“ (CDC) in den USA hat <strong>im</strong><br />
Jahre 2012 die Screening-Empfehlung<br />
auf die sogenannte „Birth-Cohort“<br />
ausgeweitet 28) . Es handelt sich um die<br />
Geburtsjahrgänge 1945 bis 1965, bei<br />
denen – aufgrund der vielfältigen iatrogenen<br />
Infektionsquellen vor 1990 – die<br />
Prävalenz der chronischen Hepatitis C<br />
bei > 3 % und damit <strong>im</strong> Vergleich zu<br />
anderen Jahrgangsstufen 5-fach höher<br />
liegt. Wie bei den anderen Risikogruppen<br />
soll innerhalb der „Birth-Cohort“<br />
jede Person einmal auf HCV getestet<br />
werden. Das Screening ist auch ökonomisch<br />
sinnvoll: die Kosten liegen bei<br />
15.000 – 39.000 US-$ pro gewonnenem<br />
Lebensjahr und damit in der Größenordnung<br />
anderer Vorsorgemaßnahmen<br />
wie der präventiven Koloskopie und der<br />
Mammographie 29, 30) .<br />
In Deutschland fehlen zwar verlässliche<br />
Zahlen zur HCV-Prävalenz in einer<br />
„Birth-Cohort“, vermutlich aber sehen<br />
die Daten zur Häufigkeitsverteilung in<br />
unterschiedlichen Altersgruppen ähnlich<br />
aus, zumal in anderen europäischen Ländern<br />
eine entsprechende „Birth-Cohort“<br />
nachgewiesen wurde 31, 32) . Da in Deutschland<br />
die HCV-Prävalenz insgesamt wahrscheinlich<br />
niedriger liegt <strong>als</strong> in den USA,<br />
sind weitere Studien erforderlich und die<br />
amerikanischen Richtlinien nicht einfach<br />
übertragbar. Zumindest aber sollten<br />
in Deutschland die jetzigen Empfehlungen<br />
zum Screening von Risikogruppen<br />
umgesetzt werden (Tab.), um die hohe<br />
Dunkelziffer unerkannter Infektionen<br />
zu senken. Das ist sehr oft nicht der Fall:<br />
<strong>Diagnostik</strong> <strong>im</strong> <strong>Dialog</strong> • Ausgabe 40 • 5/2013 15
verschiedene Untersuchungen beziffern<br />
die tatsächliche HCV-Testung in Risikokollektiven<br />
auf 17 – 87 % 33, 34) .<br />
Hohe Dunkelziffer bekämpfen<br />
Die bisherigen Screening-Strategien hatten<br />
weltweit keine erkennbare Wirkung<br />
auf die hohe Dunkelziffer bei HCV-Infektionen<br />
O In den USA wissen 45 – 85 % der Infizierten<br />
nichts von ihrer Infektion 35 – 38) .<br />
O In Europa kennen bis zu 90 % der<br />
HCV-Infizierten ihren Infektionsstatus<br />
nicht 39) .<br />
O Die Rate unerkannter HCV-Infektionen<br />
liegt in der Gruppe der i.v. Drogenabhängigen<br />
schätzungsweise bei 72 % 40) .<br />
Nationale Screening-Programme sind<br />
essenziell, einerseits um die Virusaus-<br />
Weltweit sind mehr <strong>als</strong> 350 Millionen<br />
Menschen mit dem Hepatits B Virus<br />
infiziert. Langzeitfolgen wie Leberzirrhose<br />
oder HCC betreffen schätzungsweise<br />
25 – 40 % der chronisch Infizierbreitung<br />
zu stoppen, andererseits, um<br />
infizierte Personen über ihren Status<br />
aufklären und ihnen eine adäquate<br />
Therapie anbieten zu können. Die antivirale<br />
Therapie bei HCV-Infektionen<br />
verringert das Risiko von Leberzirrhose,<br />
-karzinom, -transplantation und<br />
Tod deutlich. In einer Studie mit 16 864<br />
HCV-Patienten war die Ausheilung der<br />
Infektion (Sustained Virologic Response<br />
/ SVR) mit einer Halbierung der<br />
Mortalität und einer deutlichen Reduktion<br />
des HCC-Risikos assoziiert 41) . Die<br />
diagnostischen und therapeutischen<br />
Voraussetzungen zur Bekämpfung der<br />
HCV-Infektion und ihrer Folgen stehen<br />
zur Verfügung – die offiziellen Empfehlungen<br />
müssen allerdings auch konsequent<br />
und kompetent in der täglichen<br />
Praxis umgesetzt werden!<br />
Literatur<br />
Die umfangreiche Literaturliste ist über die Redaktion<br />
erhältlich.<br />
Korrespondenzadresse:<br />
Prof. Dr. Claus Niederau<br />
Katholische Kliniken Oberhausen gem. GmbH<br />
St. Josef-Hospital<br />
Klinik für Innere Medizin<br />
Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität<br />
Duisburg-Essen<br />
Mülhe<strong>im</strong>er Straße 83<br />
46045 Oberhausen<br />
c.niederau@kk-ob.de<br />
Medizin – Für Sie gelesen<br />
„Unsichtbare“ Gefahr für die Leber?<br />
Patienten mit chronischer Hepatitis B<br />
(CHB) tragen ein erhöhtes Risiko für<br />
Leberzirrhose und Leberzellkarzinom<br />
(HCC). Serumkonzentrationen der Hepatitis<br />
B Virus-DNA (HBV-DNA) und des<br />
Hepatitis-B-Antigens (HBsAg) sind für die<br />
Diagnose und Therapiesteuerung von<br />
CHB etablierte Marker. Sind sie auch<br />
prognostisch relevant? Diese Frage<br />
beantwortete die große Kohortenstudie<br />
REVEAL*-HBV. 2006 beschrieben<br />
die Autoren bereits einen deutlichen<br />
Zusammenhang zwischen erhöhter<br />
HBV-DNA und der HCC-Inzidenz 1) .<br />
Neuere Daten identifizierten zusätzlich<br />
HBsAg <strong>als</strong> unabhängigen Risikofaktor<br />
für die Entwicklung eines HCC 2) . Danach<br />
können HBsAg-Tests bis dato „unsichtbare“<br />
Gefahren identifizieren, denn<br />
auch bei niedrigen HBV-DNA-Werten<br />
besteht ein gewisses HCC-Risiko. Vor<br />
allem für Patienten mit niedriger viraler<br />
DNA <strong>im</strong> Serum ist HBsAg <strong>als</strong> komplementärer<br />
Prognosemarker von klinischer<br />
Bedeutung.<br />
ten. Kommerziell verfügbare Methoden<br />
zur Quantifizierung von HBV-DNA und<br />
HBsAg unterstützen die Diagnose und<br />
die Therapiesteuerung. Besitzen diese<br />
Marker auch einen klinischen Wert für<br />
die Risikostratifizierung hinsichtlich<br />
HCC? Mit dieser Fragestellung beschäftigte<br />
sich die seit 1991 laufende REVEAL-<br />
HBV-Studie aus Taiwan. Ihre Daten<br />
spiegeln den „natürlichen“ Krankheitsverlauf<br />
wider, da keine therapeutischen<br />
Interventionen erfolgten.<br />
Risikofaktor HBV-DNA<br />
In einem Kollektiv aus 3 653 CHB-Patienten<br />
– bis 2003 ohne Zugang zu therapeutischen<br />
Maßnahmen – wurde über<br />
13 Jahre die HCC-Inzidenz beobachtet<br />
und in verschiedenen Studiengruppen<br />
miteinander verglichen 1) . Maßgeblich<br />
corbis<br />
für die Gruppenzuteilung war die Ausprägung<br />
folgender HCC-Risikofaktoren:<br />
Geschlecht, Alter, Nikotin- und Alkoholkonsum,<br />
Konzentration der Transaminasen,<br />
HBe-Antigen-Status, bestehende<br />
Leberzirrhose sowie Konzentration der<br />
HBV-DNA (gemessen mit dem COBAST<br />
AMPLICOR HBV Test Kit von <strong>Roche</strong> aus<br />
tiefgefrorenen Proben vom Beginn und<br />
vom Ende der Studie).<br />
Das Ergebnis war ein statistisch signifikanter<br />
Zusammenhang zwischen HBV-<br />
DNA und HCC:<br />
O Verglichen mit Patienten ohne detektierbare<br />
HBV-DNA (d. h. unter 300 Kopien/<br />
ml), lag das HCC-Risiko bei HVB-<br />
DNA-Konzentrationen > 10 4 Kopien/ml<br />
etwa 3-fach und bei > 10 5 Kopien/ml<br />
etwa 10-fach höher. Bei HBV-DNA-<br />
Werten < 10 4 Kopien/ml ließ sich dagegen<br />
kein größeres Risiko erkennen.<br />
O Hohe HBV-DNA-Titer korrelieren<br />
häufig mit anderen oben genannten<br />
Risikofaktoren. Daher wurde die<br />
Unabhängigkeit des molekularen Markers<br />
hinsichtlich HCC-Risiko geprüft<br />
und auch bestätigt: Verglichen mit<br />
Patienten ohne detektierbare HBV-<br />
DNA lag das angepasste HCC-Risiko<br />
bei HVB-DNA-Konzentrationen > 10 4<br />
16<br />
<strong>Diagnostik</strong> <strong>im</strong> <strong>Dialog</strong> • Ausgabe 40 • 5/2013
Kopien/ml etwa 2-fach und bei > 10 5<br />
Kopien/ml etwa 6-fach höher.<br />
O Die erst kürzlich publizierte sogenannte<br />
ERADICATE-B-Studie** hat<br />
diese Erkenntnisse verifiziert 3) .<br />
HBsAg für das „unsichtbare“ Risiko<br />
Bei Patienten mit niedrigen HBV-DNA-<br />
Werten zwischen 300 und 10 000 Kopien/<br />
ml ist die Stratifizierung hinsichtlich<br />
HCC-Risiko schwierig, aber klinisch relevant.<br />
Denn in diesem Bereich finden sich<br />
neben den „inaktiven Trägern“ mit guter<br />
Prognose und ohne Therapieindikation<br />
auch behandlungsbedürftige Patienten<br />
mit deutlich schlechterer Prognose 1) .<br />
Die Autoren der REVEAL-HBV-Studie<br />
wählten daher einen weiteren Ansatz. Sie<br />
best<strong>im</strong>mten aus gefrorenem Probenmaterial<br />
zusätzlich die HBsAg-Titer (ElecsysT<br />
HBsAg II quant) 2) . Zur Auswertung<br />
kamen aus dem ursprünglichen Kollektiv<br />
die Daten von 3 411 Patienten, die 17<br />
Jahre lang beobachtet worden waren. Die<br />
Studienteilnehmer wurden entsprechend<br />
ihrer HBsAg-Werte in die Kategorien<br />
< 100, 100 – 999 und > 1 000 IU/ml sowie<br />
in Abhängigkeit ihrer HBV-DNA-Titer<br />
in < 10 4 , 10 4 – 10 5 und > 10 5 Kopien/ml<br />
unterteilt (Abb.).<br />
Relatives HCC-Risiko<br />
15<br />
12<br />
13,3<br />
11,1<br />
9<br />
6<br />
5,7 6,1<br />
4,2<br />
5,6<br />
3<br />
2,9<br />
1,0<br />
1,5<br />
0<br />
HBV DNA < 10 4 10 4 – 10 5 > 10 5<br />
HBsAg < 100 100 – 999 > 1000<br />
Abb.: Relative HCC-Inzidenz in Abhängigkeit<br />
von HBV-DNA und HBsAg (modifiziert aus 2)<br />
Die Gruppe mit HBV-DNA unter<br />
10 4 Kopien/ml zeigt insgesamt, wie oben<br />
beschrieben, ein geringes HCC-Risiko. Die<br />
zusätzliche Messung von HBsAg erlaubt<br />
allerdings eine genauere Differenzierung<br />
dieser „low-risk“-Patienten: Gegenüber<br />
einem niedrigen HBsAg-Wert von<br />
< 100 IU/ml (Referenz) beträgt die HCC-<br />
Inzidenz bei mittleren HBsAg-Titern<br />
(100 – 999 IU/ml) das 3-Fache und bei<br />
HBsAg > 1 000 IU/ml das über 5-Fache.<br />
Auch bei mittleren und hohen HBV-<br />
DNA-Konzentrationen erlaubt die zusätzliche<br />
Best<strong>im</strong>mung von HBsAg eine differenziertere<br />
Risikobetrachtung (Abb.).<br />
HBV-DNA und HBsAg sind damit zwei<br />
relevante und unabhängige Prognosefaktoren<br />
für die Entwicklung eines HCC bei<br />
Patienten mit chronischer Hepatitis B.<br />
Die Autoren empfehlen eine quantitative<br />
Erfassung beider Marker – insbesondere<br />
dann, wenn die HBV-DNA niedrig ist.<br />
* REVEAL-Studie: Risk Elevation of Viral Load Elevation<br />
and Associated Liver disease<br />
** ERADICATE-B-Studie: Elucidation of Risk Factors<br />
for Disease Control or Advancement in Taiwanese<br />
Hepatitis B Carriers<br />
Literatur:<br />
1) Chen et al.: JAMA (2006); 295: 65-73<br />
2) Chen et al.: 62nd AASLD (2011); Abstract 1095<br />
3) Tseng et al.: Gastroenterology (2012); 141: 517-525<br />
Dr. Bernd Neufeld<br />
Produktmanagement<br />
Immunologie<br />
0621 759-3640<br />
bernd.neufeld@roche.com<br />
Medizin<br />
Antikoagulation richtig gemacht<br />
„Brisante Fragen an das Gerinnungslabor“<br />
lautet der Titel des jährlichen <strong>Roche</strong><br />
Symposiums be<strong>im</strong> Kongress der Gesellschaft<br />
für Thrombose- und Hämostaseforschung<br />
(GTH). Es ist ein Thema, das<br />
<strong>im</strong>mer wieder brennend interessiert. Die<br />
neuen oralen Antikoagulanzien (NOAC)<br />
sind wohl doch nicht so s<strong>im</strong>pel in der<br />
Anwendung, wie gehofft. Bei den Kombinationstherapien<br />
zur Hemmung der<br />
Thrombozytenfunktion und der plasmatischen<br />
Gerinnung bedarf das höhere Blutungsrisiko<br />
besonderer Beachtung. Die<br />
Testung der Thrombozytenfunktion unter<br />
aggregationshemmender Therapie kann<br />
und sollte besonders nach Koronarinterventionen<br />
<strong>als</strong> diagnostischer und prognostischer<br />
Marker genutzt werden.<br />
Fallstricke der NOAC<br />
Prof. Dr. Schellong aus dem Krankenhaus<br />
Dresden-Friedrichsstadt wies unter<br />
dem Titel „Mit welchen Fallstricken ist<br />
be<strong>im</strong> Einsatz der neuen oralen Antikoagulanzien<br />
zu rechnen?“ unter anderem<br />
auf folgende Missverständnisse hin:<br />
O NOAC seien wirksamer <strong>als</strong> bisherige<br />
Antikoagulanzien<br />
O Unter NOAC blute es weniger <strong>als</strong><br />
unter herkömmlicher oraler Antikoagulation<br />
O NOAC seien ein preiswerter Ersatz für<br />
niedermolekulares Heparin (NMH) in<br />
der ambulanten Medizin<br />
Die Antikoagulation bleibt auch mit den<br />
neuen Wirkstoffen anspruchsvoll. Um<br />
hämorrhagischen oder thromboembolischen<br />
„Unfällen“ vorzubeugen, gilt es,<br />
zahlreiche Aspekte zu beachten. Hierzu<br />
zählt zunächst der indikationsgerechte<br />
Einsatz der Medikamente: Dabigatran,<br />
Rivaroxaban und Apixaban sind für die<br />
Thrombosephrophylaxe bei Hüft- und<br />
Kniegelenksersatz sowie bei nicht valvulär<br />
bedingtem Vorhoffl<strong>im</strong>mern zugelassen,<br />
Rivaroxaban darüber hinaus zur<br />
Therapie bei venöser Thrombose. Von<br />
einem „off-label“-Gebrauch ist unbedingt<br />
abzuraten und ein „no go“ ist die Verordnung<br />
bei mechanischem Herzklappenersatz<br />
und <strong>als</strong> Überbrückungsmedikation<br />
statt der Vitamin K-Antagonisten (VKA)<br />
vor geplanten Operationen.<br />
Für eine sichere Antikoagulation müssen,<br />
genau wie bei den VKA, Patient bzw.<br />
Betreuungsperson zu Therapiebeginn<br />
und danach in regelmäßigen Abständen<br />
<strong>im</strong>mer wieder über die Risiken aufgeklärt<br />
werden. Und ganz praktisch gilt: Die<br />
Patien ten benötigen einen Antikoagulanzien-Pass,<br />
der wie be<strong>im</strong> Marcumarausweis<br />
aus langlebigem Material gefertigt<br />
ist. In der Realität erweist sich der scheinbar<br />
einfache Einsatz der NOAC hinsicht-<br />
<strong>Diagnostik</strong> <strong>im</strong> <strong>Dialog</strong> • Ausgabe 40 • 5/2013 17
lich Therapiesicherheit schwieriger <strong>als</strong> die<br />
VKA, mit den regelmäßig notwendigen<br />
Kontrollen und den damit verbundenen<br />
Arztkonsultationen.<br />
Wie ist mit NOAC vor elektiven Prozeduren<br />
umzugehen, ohne den Patienten zu<br />
gefährden? Die Erfahrung mit den herkömmlichen<br />
VKA zeigt, dass be<strong>im</strong> antikoagulatorischen<br />
„Bridging“ (zeitweise<br />
Überlappung mit Heparin zum Aus- bzw.<br />
wieder Einschleichen der VKA) nicht die<br />
von allen gefürchtete Thrombose das Problem<br />
ist, sondern die Blutung, insbesondere<br />
am 1. – 3. Tag postoperativ. Patienten<br />
mit NOAC benötigen kein präoperatives<br />
„Bridging“ und die Medikation sollte –<br />
in Abhängigkeit vom Prozedur-bedingten<br />
Blutungsrisiko – frühestens am Tag nach<br />
der Operation neu beginnen. NOAC<br />
haben eine deutlich kürzere Wirkdauer<br />
<strong>als</strong> VKA. Die medizinisch sichere<br />
Beschreibung des antikoagulationsfreien<br />
Intervalls lautet daher: „Letzte Dosis xy<br />
Stunden vor dem Eingriff “ (und nicht „xy<br />
Tage vorher absetzen“).<br />
Notfalleingriffe unter NOAC geraten mitunter<br />
zum Vabanquespiel. Im Gegensatz<br />
zu den VKA existiert kein Antidot! Sind<br />
Operationen wirklich dringlich, bleibt<br />
letztlich nur das Motto „Augen zu und<br />
durch“! Die Anamnese (falls möglich)<br />
kann zur Klärung des aktuellen antikoagulatorischen<br />
Status beitragen: Wann<br />
wurde was zuletzt eingenommen? Mit<br />
dieser Kenntnis lässt sich über die HWZ<br />
der Wirkspiegel abschätzen. Wichtig ist,<br />
prophylaktisch eine Blutprobe zu entnehmen<br />
und zurückzustellen, um gegebenenfalls<br />
später feststellen zu können,<br />
bei welchem Medikamentenspiegel der<br />
Eingriff erfolgte.<br />
Essenziell für den sicheren Umgang mit<br />
den NOAC, dies betonte Schellong mehrfach,<br />
ist die Kenntnis ihrer Pharmakodynamik<br />
und -kinetik, <strong>als</strong>o auf welche Weise<br />
und wie schnell die einzelnen Wirkstoffe<br />
verstoffwechselt werden. Bei niereninsuffizienten<br />
Patienten beispielsweise ist<br />
die Kumulationsgefahr von Xa-Inhibitoren<br />
geringer (30 % renale El<strong>im</strong>ination)<br />
<strong>als</strong> vom Thrombininhibitor Dabigatran<br />
(über 80 % renale El<strong>im</strong>ination). Dabigatran<br />
dagegen ist aufgrund seiner geringen<br />
Proteinbindung dialysierbar, Xa-Hemmer<br />
nicht.<br />
Kombinationstherapien<br />
Was gilt es bei Kombinationstherapien<br />
zu beachten? Diese Frage behandelte der<br />
Vortrag von Prof. Dr. Dempfle aus der<br />
Gerinnungspraxis Mannhe<strong>im</strong>. Kombinationstherapien<br />
– die Verbindung von<br />
Antikoagulation und Aggregationshemmung<br />
– ist häufig erforderlich für<br />
O Patienten mit Vorhoffl<strong>im</strong>mern (VHF)<br />
und Koronarer Herzkrankheit (KHK)<br />
O Patienten mit VHF und Stent<strong>im</strong>plantation<br />
wegen Akutem Koronarsyndrom<br />
(ACS)<br />
Die Einnahme mehrerer Medikamente<br />
mit unterschiedlichen Angriffsorten<br />
innerhalb des Gerinnungssystems erhöht<br />
das Blutungsrisiko. Dies wird bewusst in<br />
<strong>Roche</strong><br />
Kauf genommen, um die erforderlichen<br />
antithrombotischen Effekte zu erzielen.<br />
Bezüglich hämorrhagischem Risiko bei<br />
Verwendung der NOAC statt der VKA ist<br />
die Datenlage derzeit eher dünn. Bekannt<br />
ist ein geringeres Blutungsrisiko bei Dabigatran<br />
+ Aggregationshemmer verglichen<br />
mit der Kombination aus VKA und<br />
Plättcheninhibitoren. Für Rivaroxoban,<br />
Apixaban und Edoxaban liegen keine<br />
diesbezüglichen Daten vor. Die zentrale<br />
Frage „Wie lange müssen Patienten mit<br />
einer Kombinationstherapie behandelt<br />
werden?“ ist zurzeit ebenfalls nicht definiert.<br />
Die wenig konkrete Anwendungsformel<br />
lautet daher: So lange wie nötig,<br />
so kurz wie möglich.<br />
Das jeweilige Blutungsrisiko addiert sich<br />
<strong>im</strong>mer aus den therapiebedingten Faktoren<br />
Intensität und Dauer der Antikoagulation<br />
(mehr Blutungsereignisse zu Therapiebeginn)<br />
mit patientenindividuellen<br />
Gegebenheiten, wie:<br />
O Qualität der Einstellung (Compliance,<br />
Kontroll-Disziplin, Aufklärungsstatus)<br />
O Alter<br />
O Sturzgefahr<br />
O Genetische Faktoren<br />
O Alkoholkonsum<br />
O Leberfunktionsstörung („Spontan-<br />
Quick“ vermindert)<br />
O Vit. K-Mangel<br />
O Herzinsuffizienz<br />
O Thrombozytopenie<br />
O Einnahme von nicht steroidalen Entzündungshemmern<br />
(Ibuprofen, Diclofenac,<br />
…) oder Ginko-Präparaten<br />
Es gibt Scores zur Abschätzung der individuellen<br />
Blutungsgefährdung, in der<br />
auch oben genannte Faktoren Anwendung<br />
finden.<br />
Intrakranielle Blutungen sind besonders<br />
gefürchtet. Auslöser dafür können sein<br />
O Hypertensive Krise<br />
O Kopfverletzung<br />
O Aneurysma-Ruptur<br />
O Mikroangiopathie<br />
O Tumor bzw. Metastasen <strong>im</strong> Gehirn<br />
O Best<strong>im</strong>mte Begleitmedikamente<br />
Sollen Patienten mit kombinierter Antikoagulation<br />
bezüglich Therapieintensität<br />
abgeklärt werden (z.B. bei Blutungen<br />
oder präoperativ) ist – je nach Antikoagulanz<br />
– ein unterschiedliches Vorgehen<br />
erforderlich:<br />
18<br />
<strong>Diagnostik</strong> <strong>im</strong> <strong>Dialog</strong> • Ausgabe 40 • 5/2013
O Unter VKA dient der INR-Wert zur<br />
Beurteilung der aktuellen Gerinnungshemmung.<br />
O Die NOAC benötigen definitionsgemäß<br />
keine Wirkungskontrolle, in<br />
dezidierten klinischen Situationen<br />
(siehe oben) sollten jedoch die Nieren-<br />
und Leberparameter gemessen<br />
werden. NOAC beeinflussen die Globaltests<br />
der Gerinnung unspezifisch<br />
und wirkstoff individuell. Soll unter<br />
Einnahme von NOAC das Hämostasepotenzial<br />
des Patienten abgeschätzt<br />
werden, muss die Blutabnahme dafür<br />
<strong>im</strong> T<strong>als</strong>piegel der NOAC erfolgen.<br />
Zusätzlich ist die Messung des Wirkstoffspiegels<br />
erforderlich, sonst sind<br />
die Ergebnisse der Gerinnungstests<br />
nicht interpretierbar.<br />
Die Einschätzung der pr<strong>im</strong>ären Hämostase<br />
gelingt mit der Thrombozytenzahl<br />
und geeigneten Thrombozytenfunktionstests.<br />
Thrombozytenfunktionstests – wann?<br />
Dr. Sibbing von der Medizinischen Klinik<br />
und Poliklinik I der Ludwig Max<strong>im</strong>ilians<br />
Universität richtete den Fokus<br />
seines Vortrags „Thrombozytenfunktionsdiagnostik<br />
– (wann) ist ein Monitoring<br />
sinnvoll?“ auf ein Thema mit<br />
hoher Aktualität und Bedeutung: die<br />
Koronarinterventionen.<br />
In der Pathogenese eines ACS spielen die<br />
vermehrte Aktivierung und Aggregation<br />
der Blutplättchen eine zentrale Rolle.<br />
Patienten erhalten daher Plättcheninhibitoren<br />
gegebenenfalls in Kombination<br />
mit einer Stenteinlage zur mechanischen<br />
Erweiterung verengter Gefäßbereiche.<br />
Das Medikament der Wahl ist häufig Clopidogrel,<br />
ein ADP Rezeptorantagonist. Er<br />
verhindert irreversibel die Bindung von<br />
ADP an seinen spezifischen Rezeptor<br />
P2Y12 <strong>als</strong> Voraussetzung für die Plättchenaktivierung.<br />
Clopidogrel hat – bei<br />
etlichen Pluspunkten gegenüber anderen<br />
Wirkstoffen – einen „Makel“: Die Verstoffwechslung<br />
zum aktiven Metaboliten<br />
ist komplex, daraus resultieren interindividuelle<br />
Dosis-Wirkungs-Schwankungen.<br />
Etwa bei jedem fünften Patienten reicht<br />
die Standarddosierung Clopidogrel nicht<br />
aus („low-responder“ und „non-responder“)<br />
(Zechmeister et al.: Clin Res Cardiol<br />
(2010); 99, Suppl : V 1728). Sibbing fasste<br />
die Daten aus vielen Studien folgendermaßen<br />
zusammen:<br />
O Das Risiko einer Re-Stenose nach<br />
Stenteinlage ist unter Clopidogrel bei<br />
low- oder non-respondern eindeutig<br />
höher <strong>als</strong> bei normal reagierenden<br />
Patienten.<br />
O Die Kontrolle der Clopidogrel-Wirksamkeit<br />
mittels Thrombozytenfunktionsmessung<br />
ist sowohl diagnostisch<br />
<strong>als</strong> auch prognostisch hochrelevant.<br />
Die Rate an Re-Stenosen und anderen<br />
schweren kardialen Komplikationen<br />
30 Tage (Endpunkt der meisten<br />
Studien) nach Stentintervention ist<br />
statistisch hochsignifikant verschieden.<br />
Low- und non-responder sollten<br />
daher eine angepasste Clopidogrel-<br />
Dosierung oder alternative Aggregationshemmer<br />
erhalten.<br />
Bei der Therapie mit VKA dienen die<br />
INR-Bereiche <strong>als</strong> therapeutisches Fenster.<br />
Die Definition allgemein gültiger<br />
therapeutischer Bereiche wäre auch für<br />
die P2Y12-Antagonisten wünschenswert,<br />
ist aber derzeit nicht realisiert.<br />
Immerhin gibt es für Patienten nach<br />
Stenteinlage unter Clopidogrel-Therapie<br />
einen validierten anzustrebenden therapeutischen<br />
Bereich, wenn die Kontrollmessungen<br />
mit dem MultiplateT Analyzer<br />
erfolgen: AUC (Area under the curve)<br />
19 – 47.<br />
Eine spannende Frage ist, ob sich die<br />
Thrombozytenfunktionsmessung zur<br />
Steuerung einer individualisierten aggregationshemmenden<br />
Therapie eignet.<br />
Einige (große) Studien (GRAVITAS,<br />
ARTIC) dazu geben eine scheinbar eindeutige<br />
Antwort: Nein! Die Diskussion<br />
darüber ist dennoch in vollem Gange. Es<br />
gibt etliche Kritikpunkte an den Studiendesigns,<br />
z.B. bezüglich der untersuchten<br />
Kollektive und der dort verwendeten<br />
Plättchenfunktionstests. Offensichtlich<br />
gibt es relevante Unterschiede in der Eignung<br />
kommerzieller Testsysteme für die<br />
individuelle Therapiesteuerung mit Plättcheninhibitoren.<br />
Denn Pilotstudien unter<br />
Verwendung des spezifisch messenden<br />
MultiplateT Analyzers sind vielversprechend.<br />
Es gilt jetzt, die ersten positiven<br />
Ergebnisse in größeren, randomisierten<br />
Untersuchungen mit genau definierten<br />
Kollektiven (z.B. ACS-Patienten mit<br />
Stentinterventionen) zu verifizieren. Für<br />
Sibbing ist das letzte Wort bei der individualisierten<br />
plättchenhemmenden Therapie<br />
noch nicht gesprochen!<br />
Last but not least könnte die Thrombozytenfunktionsdiagnostik<br />
auch für ein<br />
Langzeitmonitoring sinnvoll sein. Beispielsweise<br />
stellt sich die Frage, ob ein<br />
ACS-Patient potentere Plättchenhemmer<br />
(Prasugrel, Ticagrelor) <strong>als</strong> Clopidogrel<br />
wirklich über 12 Monate benötigt.<br />
Diese neuen Wirkstoffe sind nicht nur<br />
teurer, sie induzieren aufgrund ihrer<br />
stärkeren Aggregationshemmung vor<br />
allem ein deutlich höheres Blutungsrisiko.<br />
Ein Alternativkonzept könnte sein,<br />
<strong>im</strong> Anschluss an die akute Phase nach<br />
Stenteinlage auf Clopidogrel und ein<br />
regelmäßiges Monitoring umzustellen.<br />
Auch dieser Hypothese müssen geeignete<br />
Studien nachgehen.<br />
GTH 2014<br />
Das GTH-Symposium hat einige Antworten<br />
gegeben, viele „brisante Fragen“ <strong>im</strong><br />
Kontext antikoagulatorischer und aggregationshemmender<br />
Therapien aber sind<br />
weiterhin offen oder stellen sich neu. Das<br />
Symposium ist daher auch für die GTH<br />
2014 in Wien fest eingeplant.<br />
Dr. Christine<br />
Hettmann-Dreuw<br />
Produktmanagement<br />
Gerinnung<br />
0621 759-2392<br />
christine.hettmann-dreuw<br />
@roche.com<br />
<strong>Diagnostik</strong> <strong>im</strong> <strong>Dialog</strong> • Ausgabe 40 • 5/2013 19
Produkte & Services<br />
Stolpersteine der Präanalytik – Teil II<br />
Fehler komplizieren den Ablauf der Invitro-<strong>Diagnostik</strong><br />
(IVD). Überflüssige<br />
Laboruntersuchungen, Nachmessungen,<br />
verzögerte oder unplausible Befundübermittlungen<br />
sind mögliche Folgen. Manche<br />
Fehler passieren offenkundig in der präanalytischen<br />
Phase: Beispielsweise lässt<br />
sich ein Röhrchen nicht eindeutig einem<br />
Patienten zuordnen oder das Probenmaterial<br />
ist von zweifelhafter Qualität. In solchen<br />
Fällen müssen verantwortungsvolle<br />
Labormitarbeiter die Analyse der Probe<br />
zurückweisen. Doch wo liegt der Fehler,<br />
wenn bereits gemessene Werte nicht<br />
nachvollziehbar sind? Diese Fragestellung<br />
führt häufig zu Reklamationen be<strong>im</strong><br />
Kundenservice Center (KSC) von <strong>Roche</strong><br />
<strong>Diagnostics</strong>. Hier gilt es, zusammen mit<br />
dem Anwender, systematisch und akribisch<br />
den gesamten IVD-Prozess zu<br />
betrachten. Wenn die analytische Phase<br />
unauffällig ist, was sehr häufig die Vor-<br />
Ort-Überprüfung durch den Technischen<br />
Außendienst benötigt, gerät die Präanalytik<br />
mit ihren zahlreichen Stolpersteinen*<br />
in Verdacht. Reale Beispiele aus der<br />
Reklamationsbearbeitung der Klinischen<br />
Chemie und Immunologie zeigen, wie<br />
„detektivisch“ manchmal zur Ursachenfindung<br />
vorgegangen werden muss.<br />
Unspezifisch reaktive HBsAg-Werte<br />
Reklamation: Vermehrtes Auftreten<br />
unplausibel reaktiver Messergebnisse<br />
bei ElecsysT HBsAg II <strong>im</strong> Cut-off-nahen<br />
Bereich.<br />
Die weitere Befragung ergab:<br />
O Die Blutentnahme erfolgte mit Gelröhrchen<br />
O Bei genauer Betrachtung fielen „Fettschlieren“<br />
auf der Serumoberfläche auf<br />
Auflösung: Nach einer ausführlichen<br />
Systemprüfung vor Ort wurde auch die<br />
Lagerung der Gelröhrchen gesichtet. Es<br />
zeigte sich eine direkte Sonnenbestrahlung<br />
der Röhrchen; die Temperatur <strong>im</strong><br />
Raum betrug über 30° C. Dadurch trat<br />
Öl aus dem Gel aus und kontaminierte<br />
Proben und Geräte.<br />
Zu beachten ist: Blutentnahmeröhrchen,<br />
besonders Gelröhrchen, bei Raumtempe-<br />
ratur (18 – 25° C) lagern und <strong>im</strong>mer auch<br />
die weiteren Herstellerempfehlungen einhalten.<br />
Folgen:<br />
O Vernichtung des gesamten Vorrats an<br />
Gelröhrchen<br />
O Wegen der erfolgten Systemkontamination<br />
komplette, aufwendige Reinigung<br />
des cobas e 411 Systems durch<br />
den <strong>Roche</strong> Service. Danach unauffällige<br />
HBsAG II-Werte.<br />
F<strong>als</strong>ch reaktive Personalproben<br />
Reklamation: Unerklärlich viele Proben<br />
von Mitarbeitern eines Krankenhauses<br />
zeigten positive Werte mit den ElecsysT<br />
Tests HIV combi, HCV und weiteren<br />
Infektionsparametern.<br />
Die weitere Befragung ergab:<br />
O Im Krankenhaus fand eine Reihenuntersuchung<br />
des Person<strong>als</strong> statt. Die<br />
Mitarbeiter brachten ihre Serum-Proben<br />
persönlich ins hauseigene Labor.<br />
O Zur kurzfristigen Analytik wurden die<br />
Proben sofort zentrifugiert.<br />
Auflösung: Die Zeitspanne zwischen Blutentnahme<br />
und Zentrifugation betrug<br />
weniger <strong>als</strong> 30 Minuten, damit wurde die<br />
notwendige Zeit zur vollständigen Gerinnung<br />
von Serumproben unterschritten.<br />
Zu beachten ist: Serumproben müssen<br />
zur vollständigen Gerinnung mindestens<br />
30 Minuten bei Raumtemperatur stehen<br />
und dürfen erst anschließend zentrifugiert<br />
werden. Bei vielen Immunoassays<br />
bindet Fibrin unspezifisch an den Antikörper<br />
und generiert f<strong>als</strong>ch reaktive<br />
Ergebnisse.<br />
Wiederholt unplausible HIV-Werte<br />
Reklamation: Das Labor erhielt aus einer<br />
Serumprobe ein wiederholt reaktives<br />
HIV-Ergebnis mit ElecsysT HIV combi.<br />
Das Ergebnis war klinisch nicht plausibel,<br />
daher wurde die Qualität der Messmethode<br />
angezweifelt.<br />
Die weitere Befragung ergab:<br />
O Es handelte sich um einen Patienten,<br />
der mit unfraktioniertem Heparin<br />
antikoaguliert wurde.<br />
O Die Serumprobe, über Leistenzugang<br />
entnommen, war eine Stunde später<br />
<strong>im</strong> Labor und wurde dort routinemäßig<br />
zentrifugiert.<br />
O Die erste Messung etwa zwei Stunden<br />
nach Blutentnahme ergab einen reaktiven<br />
HIV-Wert, ebenso die Nachmessung<br />
80 Minuten später nach nochmaliger<br />
Zentrifugation.<br />
O Außer dem Serumröhrchen war auch<br />
Heparinplasma dieses Patienten verfügbar.<br />
<strong>Roche</strong><br />
20<br />
<strong>Diagnostik</strong> <strong>im</strong> <strong>Dialog</strong> • Ausgabe 40 • 5/2013
Auflösung: Das alternative Probenmaterial<br />
wurde ebenfalls mit ElecsysT HIV<br />
combi getestet. Das Ergebnis war negativ<br />
und passte zur Klinik und den Vorwerten.<br />
Grund der f<strong>als</strong>ch positiven HIV-Werte<br />
war vermutlich eine Nachgerinnung der<br />
Serumprobe <strong>im</strong> Analysensystem, ausgelöst<br />
durch die Antikoagulation des<br />
Patien ten kurz vor der Blutentnahme. Das<br />
verhinderte die quantitative Gerinnung<br />
<strong>im</strong> Serumröhrchen innerhalb der normalen<br />
Zeitspanne. Unspezifische Bindungen<br />
zwischen Fibrinfäden und Testantikörpern<br />
generierten reaktive Ergebnisse.<br />
Zu beachten ist:<br />
O Bei Patienten mit Hämorrhagien oder<br />
unter Antikoagulantientherapie ist die<br />
Gerinnung oft so verzögert, dass es zu<br />
einer Nachgerinnung <strong>im</strong> Analysensystem<br />
kommt.<br />
O Kann die für eine korrekte Serumanalytik<br />
notwendige Gerinnungszeit nicht<br />
eingehalten werden (z.B. Notfälle oder<br />
Proben antikoagulierter Patienten),<br />
empfiehlt sich die Verwendung von<br />
Heparinplasma. Dieses ist aufgrund<br />
des zugesetzten Gerinnungshemmers<br />
sofort zentrifugierbar.<br />
O Sichtbare Gerinnsel und Fibrinfäden<br />
sind manuell mittels „Häkelnadel“ aus<br />
der Probe zu entfernen.<br />
O Kleine Gerinnsel oder Gerinnsel, die<br />
sich <strong>im</strong> Analysensystem bilden, entgehen<br />
der Clot-Detektion.<br />
O Fibrinfäden <strong>im</strong> Probenüberstand<br />
interferieren auch mit Parametern der<br />
Klinischen Chemie, wobei generell die<br />
Parameter häufig betroffen sind, die<br />
zuerst analysiert werden.<br />
litätskontroll-Labor von <strong>Roche</strong><br />
<strong>Diagnostics</strong>.<br />
Auflösung: Die Versuchsreihen wiesen<br />
erstens nach, dass die Proben aus dem<br />
reklamierenden Labor kaum Glukose<br />
enthalten und zweitens, dass nur Proben<br />
eines einzelnen Einsenders betroffen<br />
waren. Diese Praxis schickt Vollblutproben<br />
auf dem Postweg ins Labor. Die<br />
zu lange Transportzeit begünstigt einen<br />
Abbau der Glukose, was letztendlich die<br />
Messung der GPT stört.<br />
Zu beachten ist: Bedingt durch den Abbau<br />
der Glukose während des längeren Posttransports<br />
reichert sich <strong>als</strong> Abbauprodukt<br />
der Glykolyse Pyruvat in der Probe<br />
an. Bei der Analytik der GPT entsteht<br />
<strong>als</strong> Zwischenprodukt Pyruvat, das von<br />
LDH zu L-Lactat und NAD+ umgesetzt<br />
wird. In den fraglichen Proben war die<br />
Anfangskonzentration des Pyruvats für<br />
nach der Blutentnahme ein – die Glykolyse<br />
und damit der Abbau der Glukose<br />
beispielsweise bereits eine halbe Stunde<br />
nach Abschluss der Gerinnung. Nach<br />
vier Stunden Raumtemperatur hat die<br />
Glukosekonzentration um ca. 7 % abgenommen<br />
1, 2) .<br />
Kalium f<strong>als</strong>ch zu hoch – Fall 1<br />
Reklamation: Der Kaliumwert eines Patienten<br />
aus der Notaufnahme war mit<br />
6,9 mmol/l eindeutig pathologisch (Norm<br />
3,6 – 4,8 mmol/l), bei der Folgeuntersuchung<br />
nach stationärer Aufnahme aber<br />
normal.<br />
Die weitere Befragung ergab:<br />
O Die Blutentnahme in der Notfallaufnahme<br />
gestaltete sich schwierig, eine<br />
längere Stauung und das „Pumpen<br />
mit der Faust“ waren erforderlich.<br />
O Eine Hämolyse war nicht erkennbar.<br />
Linearitätsfehler GPT<br />
Reklamation: In einem Privatlabor wurden<br />
normale GPT (ALTPM)-Werte am<br />
cobas c 701 des Öfteren mit einem Linearitätsfehler<br />
markiert (LIN Flag), was<br />
<strong>im</strong>mer eine Wiederholungsmessung zur<br />
Folge hatte.<br />
die GPT Messung zu hoch und löste den<br />
Datenalarm „> Lin“ aus, <strong>als</strong> Zeichen dafür,<br />
dass die Reaktionskinetik (Änderung der<br />
Extinktion) nicht dem erwarteten Verlauf<br />
entsprach. Die Messung wird daraufhin<br />
mit dem ursprünglichen Probevolumen<br />
wiederholt.<br />
Vollblutproben sollten möglichst rasch<br />
<strong>im</strong> Labor ankommen, es empfiehlt sich<br />
der Transport mit einem Kurier. Besonders<br />
bei höheren Temperaturen setzen<br />
In-vitro-Abbauprozesse sehr schnell<br />
Auflösung: Aufgrund des normalen Folgewertes<br />
und der geschilderten Blutentnahmebedingungen<br />
in der Notfallaufnahme,<br />
ist von einer Pseudohyperkaliämie<br />
dieses Patienten aufgrund f<strong>als</strong>ch erhöhter<br />
Kaliumwerte <strong>im</strong> Abnahmeröhrchen auszugehen.<br />
Zu beachten ist: Auch bei optisch unauffälligen<br />
Proben kann bereits eine Hämolyse<br />
(Hb < 300mg/l) vorliegen. Dadurch<br />
tritt vermehrt Kalium aus den Erythrozyten<br />
in die Extrazellulärflüssigkeit, es<br />
Folgen:<br />
O Ein <strong>Roche</strong> Techniker führte eine<br />
komplette Systemüberprüfung durch:<br />
Austausch von Fotometerlinse und<br />
Ultraschallmischer sowie Spülung<br />
des Gerätes. Die Fehlerursache blieb<br />
unbekannt.<br />
O Es liefen Versuchsreihen sowohl<br />
<strong>im</strong> Kundenlabor <strong>als</strong> auch <strong>im</strong> Quacorbis<br />
<strong>Diagnostik</strong> <strong>im</strong> <strong>Dialog</strong> • Ausgabe 40 • 5/2013 21
esultieren f<strong>als</strong>ch zu hohe Kaliumwerte.<br />
Sehr häufig ist eine unsachgemäße Blutentnahme<br />
die Ursache:<br />
O zu langes Stauen (> 1 Minute),<br />
O Pumpen mit der Faust (erhöhte<br />
Muskelaktivität),<br />
O zu schnelle Aspiration durch zu kleinlumige<br />
Kanülen<br />
Auch wenn Vollblut vor der Zentrifugation<br />
zu lange steht, zerfallen Erythrozyten.<br />
Kalium f<strong>als</strong>ch zu hoch – Fall 2<br />
Reklamation: Der hochpathologische<br />
Kaliumbefund (9,5 mmol/l) eines ansprechbaren<br />
und gehfähigen Patienten<br />
war nicht plausibel.<br />
Die weitere Befragung ergab:<br />
O Die Probe zeigte keine Anzeichen<br />
einer Hämolyse.<br />
O Die Blutentnahme war komplikationslos.<br />
O Die Probe war am Vortag abgenommen<br />
und von einem Pfleger auf der<br />
Station <strong>im</strong> Kühlschrank aufbewahrt<br />
worden, um sie am nächsten Morgen<br />
ins Labor zu senden.<br />
Auflösung: Kühlung hemmt den Erythrozyten-Stoffwechsel.<br />
Dadurch ist Kalium<br />
aus den Erythrozyten ins Serum ausgetreten,<br />
ohne sichtbare Beschädigung der<br />
Zellen.<br />
Zu beachten ist: Die Natrium-Kalium-<br />
ATPase an der Zellwand der Erythrozyten<br />
reguliert den physiologischen Konzentrationsgradienten<br />
zwischen extrazellulärem<br />
Natrium und intrazelluläre Kalium.<br />
Sie wird durch Kühlung gehemmt. Daher<br />
darf man Vollblut nie <strong>im</strong> Kühlschrank<br />
aufbewahren, die Hämolyse setzt bereits<br />
kurzfristig ein! Bei Kenntnis dieser Probenhistorie<br />
hätte das Labor die Analytik<br />
zurückgewiesen und damit Zeit und Kosten<br />
gespart.<br />
Das Labor muss seine Einsender kontinuierlich<br />
darauf hinweisen, Abweichungen<br />
von der normalen Probennahme<br />
und -behandlung unbedingt mitzuteilen,<br />
ebenso wie „Besonderheiten“ des Patienten<br />
(z.B. Geschlecht, Ethnie, Nüchternzustand<br />
oder nicht, Alkohol-/ Drogenkonsum).<br />
Diese Informationen sind auf dem<br />
Anforderungsschein oder der Probe zu<br />
vermerken.<br />
F<strong>als</strong>ch niedriges CRP<br />
Reklamation: Sporadisch beanstandeten<br />
Kliniker vom Labor freigegebene, sehr<br />
niedrige (nahe Null) CRP-Werte, gemessen<br />
aus Gelröhrchen, <strong>als</strong> nicht plausibel.<br />
Auflösung: Be<strong>im</strong> Vorgang der Probenpipettierung<br />
wurde auch ein winziges<br />
Gelteilchen aspiriert, was die aufgenommene<br />
Probenmenge reduzierte. Die CRP-<br />
Best<strong>im</strong>mung lief praktisch ohne Probe,<br />
daher die Werte <strong>im</strong> Nullbereich.<br />
Folge: Wartung und Reinigung des gesamten<br />
Systems durch Techniker von <strong>Roche</strong><br />
<strong>Diagnostics</strong>.<br />
Zu beachten ist: Diese Fehlerquelle betrifft<br />
vor allem Test mit geringen Probenmengen<br />
(≤ 3 µl). Das System löst keinen Clot-<br />
Alarm aus, solange ein Gelteilchen (oder<br />
auch ein Mikrogerinnsel) größenmäßig<br />
unterhalb einer Toleranzschwelle liegt.<br />
Die Kontamination mit dem adhäsiven<br />
Gel kann auch die ISE-Schläuche oder die<br />
Außenseite der Probennadel betreffen.<br />
Daher sind insbesondere bei Verwendung<br />
von Gelröhrchen folgende Maßnahmen<br />
essenziell bzw. hilfreich:<br />
O korrekte Handhabung der Röhrchen<br />
unter Befolgung der Herstellerangaben<br />
(Zentrifugationsgeschwindigkeit<br />
und -dauer, Lagertemperatur, etc.)<br />
O tägliche, manuelle Reinigung der<br />
Nadel mit Wasser und einem fuselfreien<br />
Tuch. Falls äußere Reinigungsmaßnahmen<br />
das Problem nicht<br />
beseitigen, ist gegebenenfalls ein<br />
Nadeltausch in Erwägung zu ziehen.<br />
O Bei geringen Probevolumina Sekundärröhrchen<br />
verwenden<br />
Auswege?<br />
Die sensible präanalytische Phase außerhalb<br />
des Labors lässt sich nicht automatisieren.<br />
Deshalb setzt die für ein richtiges<br />
Patientenergebnis notwendige Prozessqualität<br />
voraus, dass<br />
O alle Beteiligten die erforderlichen<br />
Richtlinien kennen und befolgen<br />
O Abweichungen vom Standardprozess<br />
und andere Besonderheiten dem<br />
Labor mitgeteilt werden.<br />
Das Labor sollte die Verantwortung<br />
übernehmen, seine Einsender /Anforderer<br />
<strong>im</strong>mer wieder auf die „Stolpersteine<br />
der Präanalytik“ hinzuweisen, und es<br />
sollte notwendige Zusatzinformationen<br />
zur Probe einfordern. Zweifelhafte Proben<br />
dürfen – zum Wohle des Patienten<br />
und zur Vermeidung unnötiger Kosten –<br />
grundsätzlich nicht analysiert werden.<br />
Die präanalytische Phase innerhalb des<br />
Labors befindet sich dagegen auf dem<br />
Weg der zunehmenden Automatisierung.<br />
Das macht etliche Fehlerquellen, die sich<br />
einer visuellen Beurteilung entziehen,<br />
transparent und vermeidbar. Flexible prä-<br />
(und post-) analytische Systeme stehen<br />
heute für ein breites Spektrum an Probenaufkommen<br />
und für unterschiedliche<br />
Anforderungen zur Verfügung. Sie bieten<br />
echten Mehrwert für die Sicherheit von<br />
Patientenergebnissen. Wir setzen unsere<br />
Artikelreihe zur Präanalytik in der nächsten<br />
Ausgabe von „<strong>Diagnostik</strong> <strong>im</strong> <strong>Dialog</strong>“<br />
mit einem Ausflug in die vollautomatisierte<br />
Prä- und Postanalytik fort.<br />
*s. Artikel „Stolpersteine der Präanalytik“, <strong>Diagnostik</strong><br />
<strong>im</strong> <strong>Dialog</strong> 39, Ausgabe 2/2013<br />
Literatur:<br />
1) Bruns DE, Knowler WC: Clin Chem (2009); 55: 5<br />
2) Koschinsky T, Luppa PB: J Lab Med (2012): 36<br />
(3): 159-163<br />
Claudia Storm<br />
Produktmanagement<br />
Klinische Chemie<br />
0621 759-8799<br />
claudia.storm@roche.com<br />
22<br />
<strong>Diagnostik</strong> <strong>im</strong> <strong>Dialog</strong> • Ausgabe 40 • 5/2013
Labororganisation<br />
Pathologien profitieren von 35 Jahren Erfahrung<br />
Fortschritte be<strong>im</strong> Verständnis von physiologischen<br />
und pathophysiologischen Prozessen<br />
ermöglichen, insbesondere in der<br />
Onkologie, eine zunehmend differenzierte<br />
<strong>Diagnostik</strong> und Therapie. Pathologien<br />
spielen hierbei eine zentrale Rolle, denn<br />
der pathologische Befund ist oft Basis<br />
einer individualisierten Behandlung.<br />
Demzufolge sehen sich Pathologien mit<br />
stetig steigendem Probenaufkommen<br />
sowie neuen diagnostischen Methoden<br />
(Immunhistochemie, Molekulargenetik)<br />
und Markern konfrontiert. Die Komplexität<br />
der Arbeitsprozesse steigt und damit<br />
auch die Anforderungen an das Qualitätsmanagement.<br />
Um die Leistungsstärke und<br />
Wirtschaftlichkeit eines pathologischen<br />
Instituts für die Zukunft sicherzustellen,<br />
müssen diese Herausforderungen bewältigt<br />
werden. Die ConsulabT – Beratung für<br />
die <strong>Diagnostik</strong> bietet seit kurzem auch<br />
Pathologien ihre Unterstützung bei Workflow-,<br />
Schwachstellen- und Benchmark-<br />
Analysen an.<br />
Seit über 35 Jahren berät die ConsulabT<br />
medizinische Labore mit dem Ziel,<br />
Mensch, Technik, Zeit und Raum zu einer<br />
harmonischen, leistungsfähigen Einheit<br />
zusammenzuführen. Dadurch entwickelte<br />
sie <strong>im</strong> Bereich Labororganisation<br />
einen enormen Fundus an Markterfahrung<br />
und methodischem Wissen. Viele<br />
Labore haben bereits die Dienstleistungen<br />
der ConsulabT angenommen, um in<br />
dem sich ständig verändernden Umfeld<br />
der Labormedizin gut zu bestehen. Vor<br />
rund 18 Monaten hat die ConsulabT ihre<br />
ersten Schritte in pathologische Institute<br />
unternommen und kann jetzt fünf erfolgreiche<br />
Pilotprojekte verzeichnen. Weitere<br />
Projekte sind in Bearbeitung.<br />
Handlungsoptionen identifizieren<br />
Der methodische Ansatz der Prozessberatung,<br />
der sich <strong>im</strong> Bereich der Labormedizin,<br />
Mikrobiologie und Transfusionsmedizin<br />
vielfach bewährt hat, wurde an die<br />
spezifischen Bedürfnisse und Besonderheiten<br />
des pathologisch-histologischen<br />
Labors angepasst und in einer Pilotphase<br />
erprobt. Zu beachten ist z.B., dass in der<br />
Gewebediagnostik noch viele manuelle<br />
Schritte existieren. Die zur Kompen-<br />
sation notwendige Automatisierung<br />
lässt sich jedoch aufgrund räumlicher<br />
Strukturen oftm<strong>als</strong> schwer umsetzen.<br />
Dagegen gilt wie bei allen Einsätzen der<br />
ConsulabT auch für Pathologien:<br />
O Im ersten Schritt Transparenz über<br />
die Ist-Situation schaffen<br />
O Im zweiten Schritt Opt<strong>im</strong>ierungsvorschläge<br />
unter Nutzung von Standardisierungsmöglichkeiten<br />
und IT-Lösungen<br />
entwickeln.<br />
Im Einzelnen umfasst das Leistungspaket<br />
„Workflowanalyse und Neukonzeption“<br />
für die Pathologie folgende Punkte:<br />
O Beobachtung und Prozessanalyse vor<br />
Ort, inklusive Raumsituation und<br />
Laufwege zwischen einzelnen Arbeitsbereichen<br />
O Datenerhebung zum Probenaufkommen<br />
(Material, Blöcke, Objektträger)<br />
sowie zur Mitarbeiter- und Geräteanzahl<br />
O Personal- und Geräte-Benchmarking<br />
bei der Probenbearbeitung<br />
O Transparente, grafische Ist-Darstellung<br />
aller Laborabläufe inklusive<br />
Schwachstellenanalyse<br />
Knochenmaterial Biopsien Zytologie Schnellschnitt<br />
Einlegen in<br />
EDTA<br />
Material<br />
weich?<br />
Material-<br />
Barcode<br />
einscannen<br />
Kapseln<br />
vorbereiten<br />
Einkapseln<br />
Material-<br />
Barcode<br />
einscannen<br />
Kapseln<br />
vorbereiten<br />
Einkapseln<br />
Nummernzettel<br />
mit Auftragsnummer<br />
in<br />
Kapsel legen<br />
Dokumentation<br />
Kapselanzahl<br />
auf Antrag<br />
Abb. 1: Beispielhafter Ausschnitt aus einer Workflowdarstellung in der Pathologie<br />
<strong>Roche</strong><br />
Sortierung<br />
der Aufträge<br />
Molekulare<br />
Pathologie<br />
Kapseln<br />
vorbereiten<br />
Makroschnitt<br />
und großer<br />
Zuschnitt<br />
Material-<br />
Barcode<br />
einscannen<br />
Kapseln<br />
vorbereiten<br />
Areale festlegen<br />
und zuschneiden<br />
durch Arzt<br />
Diktat<br />
Makroskopie<br />
Einkapseln<br />
durch MTA<br />
<strong>Diagnostik</strong> <strong>im</strong> <strong>Dialog</strong> • Ausgabe 40 • 5/2013 23
O Vorschlag opt<strong>im</strong>ierter Konzepte unter<br />
Berücksichtigung der tatsächlichen<br />
Machbarkeit (Soll-Konzept)<br />
O Raumplanung für Neukonzepte<br />
O Personalbedarfsplanung<br />
Als exzellentes „Werkzeug“ innerhalb der<br />
Ist-Analyse hat sich die grafische Darstellung<br />
der Laborabläufe erwiesen (Beispiel<br />
Abb. 1).<br />
Gemäß dem Sprichwort „Ein Bild sagt<br />
mehr <strong>als</strong> tausend Worte“ fördert oftm<strong>als</strong><br />
nur die Visualisierung von Gesamtprozessen<br />
Schwachstellen zutage – etwa,<br />
wo aufgrund historisch gewachsener<br />
Strukturen, Redundanzen und Engpässe<br />
entstanden sind. Diese objektive Transparenz<br />
ist Grundlage zur Aufarbeitung<br />
gefühlter, vielleicht sogar emotional<br />
belasteter „Bremsklötze“ und macht<br />
deutlich, wie sich punktuelle Veränderungen<br />
in der Prozesskette auswirken<br />
Abb. 2a<br />
60 000<br />
Anzahl<br />
50 000<br />
40 000<br />
30 000<br />
20 000<br />
10 000<br />
0<br />
Abb. 2b<br />
140 000<br />
120 000<br />
100 000<br />
80 000<br />
60 000<br />
40 000<br />
20 000<br />
0<br />
Anzahl<br />
KH 1<br />
Blöcke/MTA<br />
KH 2<br />
KH 3<br />
KH 4<br />
KH 5<br />
Blöcke/Ausgießstation<br />
OT/MTA<br />
KH 6<br />
KH 7<br />
könnten. Die Ist-Grafik liefert Ansätze<br />
für Alternativ-Konzepte und dient der<br />
Ermittlung von Stellhebeln zur Profitabilitätserhöhung.<br />
Aus den Pilotprojekten ergaben sich z.B.<br />
folgende Handlungsoptionen<br />
O Integration der Knochenbearbeitung<br />
in das Hauptlabor<br />
O Konsolidierung und Automatisierung<br />
der Spezialfärbungen<br />
O Opt<strong>im</strong>ierung der Laufwege durch<br />
geänderte Stellplätze von Geräten<br />
Die Ist-Aufnahme berücksichtigt <strong>im</strong><br />
Übrigen auch akkreditierungskritische<br />
Punkte, die <strong>im</strong> Rahmen einer Neukonzeption<br />
akkreditierungsfähig umgesetzt<br />
werden können. Ein optionales Angebot<br />
der ConsulabT ist – in Kooperation mit<br />
Henker Consulting Reutlingen – eine<br />
spezielle Akkreditierungsunterstützung.<br />
Diese umfasst die Bereitstellung eines<br />
OT/Arzt<br />
Schnitte/Mikrotom<br />
Priv. Inst. 1<br />
Priv. Inst. 1<br />
Priv. Inst. 2<br />
Priv. Inst. 2<br />
Priv. Inst. 3<br />
Priv. Inst. 3<br />
Abb. 2: Beispielhafte Benchmarking-Diagramme der ConsulabT<br />
a) Anzahl Block- und Objektträger (OT)-Herstellung (OT) pro MTA und Jahr sowie Anzahl befundeter<br />
Objektträger pro Arzt und Jahr.<br />
Interpretation: Das untersuchte Pathologielabor (Uni 4) hat eine unterdurchschnittliche Personalauslastung,<br />
bedingt durch mehrere Außenstellen.<br />
b) Anzahl Blöcke pro Ausgießstation und Jahr sowie Anzahl Schnitte pro Mikrotom und Jahr<br />
Interpretation: Das untersuchte Pathologielabor (Uni 4) zeigt einen Engpass an der Ausgießstation<br />
und eine geringe Auslastung der Mikrotome. Eine mögliche Erklärung dafür ist das Bestehen eines<br />
konsolidierten Ausgießplatzes und mehrerer Arbeitsbereiche mit Schneideplätzen.<br />
KH 6+7<br />
Uni 1<br />
KH 1<br />
KH 2<br />
KH 3<br />
KH 4<br />
KH 5<br />
KH 6<br />
KH 7<br />
KH 6+7<br />
Uni 1<br />
Uni 2<br />
Uni 3<br />
Uni 4<br />
Uni 2<br />
Uni 3<br />
Uni 4<br />
standardisierten QM-Handbuchs und<br />
einen Vor-Ort-Support bei der Ausgestaltung<br />
der kundenindividuellen Akkreditierung<br />
(weitere Details dazu enthält der<br />
folgende Beitrag „Qualitätsmanagement<br />
und Akkreditierung in der Pathologie“).<br />
Benchmarking zeigt Leistungsfähigkeit<br />
Zur Frage der Zukunftssicherung gehört<br />
auch der Vergleich mit anderen Einrichtungen,<br />
demzufolge ist ein transparenter<br />
Blick über den eigenen Tellerrand hinaus<br />
hilfreich. Das Benchmarking der ConsulabT<br />
bietet einen ersten Anhaltspunkt<br />
dafür, die eigene Leistungsstärke einzuordnen.<br />
Pathologische Institute werden<br />
zum Ausgleich grundsätzlicher struktureller<br />
Unterschiede in die Sektoren Universität,<br />
Krankenhaus und Privatlabor<br />
unterteilt und hinsichtlich Probenaufkommen<br />
und verfügbarem Personal bzw.<br />
Gerätepark miteinander verglichen. Die<br />
Interpretation gewonnener Benchmarking-Daten<br />
ist zweifelsohne diffizil: Zu<br />
berücksichtigen sind sowohl unterschiedliche<br />
Fall-Komplexitäten und damit verbundene<br />
Untersuchungsmethoden <strong>als</strong><br />
auch die Besonderheiten der Probenbearbeitung<br />
in der Pathologie. Dennoch ergibt<br />
sich ein qualitativ verwertbares Ergebnis<br />
und Benchmarking-Diagramme (Beispiel<br />
Abb. 2) konkretisieren Handlungsoptionen<br />
aus der Workflow-Analyse.<br />
Im Mittelpunkt steht der Patient<br />
Opt<strong>im</strong>ierte Prozesse und nachhaltige<br />
Wirtschaftlichkeit sind zwei wichtige<br />
Anliegen der ConsulabT. Das zentrale<br />
Thema jedoch, an dem sich alle Neukonzeptionen<br />
ausrichten und alle am<br />
Diagnose-Prozess beteiligten Funktionen<br />
orientieren müssen, ist die Qualitätssicherung.<br />
Denn am Anfang und am Ende<br />
der „Anforderung“ steht ein Patient mit<br />
dem Anrecht auf eine qualitativ hochwertige<br />
und sichere <strong>Diagnostik</strong>.<br />
Bernd Rabenstein<br />
Projektmanager<br />
ConsulabT – Beratung<br />
für die <strong>Diagnostik</strong><br />
0173 5861-464<br />
bernd.rabenstein@roche.com<br />
24<br />
<strong>Diagnostik</strong> <strong>im</strong> <strong>Dialog</strong> • Ausgabe 40 • 5/2013
Labororganisation<br />
Qualitätsmanagement und Akkreditierung in der Pathologie<br />
Dipl. Kfm. Otto Henker Unternehmensberater CMC / BDU, Reutlingen<br />
Das Qualitätsmanagement (QM) gewinnt<br />
in der Pathologie – so wie <strong>im</strong> medizinischen<br />
Labor und in anderen methodendefinierten<br />
Fächern auch – zunehmend an<br />
Bedeutung. Einige wenige pathologische<br />
Institute, vorwiegend an Universitätskliniken<br />
und sonstigen Krankenhäusern der<br />
Max<strong>im</strong>alversorgung, sind bereits akkreditiert.<br />
Eine wachsende Gruppe hat mit<br />
der Einführung eines QM-Systems (QMS)<br />
begonnen und strebt eine Akkreditierung<br />
nach der Norm DIN EN ISO / IEC 17020 an.<br />
Henker Consulting hat <strong>im</strong> Auftrag von<br />
<strong>Roche</strong> <strong>Diagnostics</strong> eine elektronisch verlinkte<br />
QMS-Dokumentation mit zusätzlichen<br />
hilfreichen „Extras“ entwickelt, die<br />
Pathologien <strong>als</strong> Muster („Rohling“) für<br />
ein eigenes, normgerechtes und doch<br />
individuell gestaltetes QMS <strong>im</strong> Rahmen<br />
der Erst-Akkreditierung nutzen oder bei<br />
Re-Akkreditierungen fortschreiben können.<br />
Qualitätsmanagement darf keine<br />
Einmal-Aktion sein, sondern muss zur<br />
systematischen und permanenten Verbesserung<br />
der medizinischen und organisatorischen<br />
Qualität beitragen.<br />
„E-QMH-Patho“<br />
Die Bestandteile des elektronischen QM-<br />
Handbuchs für die Pathologie (E-QMH-<br />
Patho) und der QMS-Dokumentation<br />
zeigt die Abb. 1.<br />
O Das Register 1 enthält einen Normvorspann<br />
sowie ein zweigeteiltes<br />
Glossar mit einerseits Standardbegriffen<br />
aus der Norm und andererseits<br />
speziellen und institutsindividuellen<br />
Fachwörtern<br />
O Register 2 bildet den Kern der gesamten<br />
Dokumentation. Es beinhaltet das<br />
QM-Handbuch <strong>im</strong> engeren Sinne mit<br />
dem QMH-Text und QMH-Anlagen.<br />
O Das Register 3 enthält <strong>im</strong> Normnachspann<br />
und den Normanhängen<br />
Gesetze, Richtlinien und weitere<br />
sogenannte „Mitgeltende Unterlagen“<br />
(MGU).<br />
Die Register 1 – 3 bilden alle Anforderungen<br />
der aktuellen Norm ISO / IEC<br />
17020:2012 ab. Darüber hinaus gibt es<br />
zwei weitere Kapitel, die über die Norm<br />
hinausgehen. Die Hinweise und Hilfe-<br />
funktionen geben speziell Erstanwendern<br />
zusätzliche Hilfestellung, sind aber auch<br />
für Folgeanwender hilfreich.<br />
Im Register 4 sind – ebenfalls zusätzlich<br />
zur Norm – verschiedene Gliederungen,<br />
Sichten und Zugriffspfade auf das QMS<br />
beschrieben. Dies hilft Mitarbeitern der<br />
Pathologien, sich in ihrer vertrauten<br />
Sprache und Umgebung – statt der abstrakten<br />
und relativ bürokratischen<br />
Normsprache – mit dem QMS vertraut<br />
zu machen und schnell auf das jeweils<br />
benötigte QM-Dokument zugreifen<br />
zu können. Optional <strong>im</strong> Angebot sind<br />
mehrere Zugriffspfade, die der QMH-<br />
Nut zer, je nach Priorität, wahlweise<br />
einzeln oder auch mehrfach zusammen<br />
benutzen kann, z.B.<br />
O Technisches Personal: Struktur-,<br />
Funktions- und Prozesssicht<br />
O Institutsleitung: Ziel-/Planungs- und<br />
Strategiesicht<br />
Viele Vorteile<br />
Neben dem vorgenannten Register 4<br />
ist die vollelektronische QM-Dokumentation<br />
mit mehrd<strong>im</strong>ensionalem<br />
Verlinkungskonzept das zweite Sonderstellungs-Merkmal<br />
dieses QM-Instrumentariums.<br />
Im Gegensatz zur starren<br />
Dokumentation auf Papier in mehreren<br />
Ordnern, in Schränken oder Regalen<br />
in entfernten Räumen, bietet die elektronische<br />
Version eine komfortable und<br />
schnelle Bearbeitung direkt am Arbeitsplatz.<br />
Dabei kann der Anwender über<br />
Links zwischen verschiedenen Registern<br />
und Kapiteln hin und her, sowie auf und<br />
ab navigieren. Eine Verfahrensanweisung<br />
z.B., die für einen Prozessschritt an einem<br />
Arbeitsplatz aktuell gebraucht wird, ist so<br />
kurzfristig aufruf- und einsehbar. Auch<br />
auf Mitgeltende Unterlagen (MGU) kann<br />
per Link verwiesen werden. Sind weder<br />
Name noch Nummer eines Dokuments<br />
ad hoc bekannt, hilft die Schlagwortsuche<br />
schnell weiter.<br />
Die Nutzung der elektronischen QMS-<br />
Dokumentation <strong>als</strong> Muster bzw. „QMH-<br />
Rohling“ kann den eigenen Zeitaufwand<br />
für die Erstakkreditierung, der<br />
oft in einer Größenordnung von Personenjahren<br />
(PJ) liegt, mehr <strong>als</strong> halbieren!<br />
Außerdem erleichtert, beschleunigt und<br />
sichert das E-QMH-Patho Überwachungs-<br />
und Re-Akkreditierung-Audits.<br />
Eine weitere Opt<strong>im</strong>ierung der Akkreditierungsprozesse<br />
lässt sich mit Hilfe<br />
eines externen Beraters erreichen. In der<br />
Kooperation zwischen <strong>Roche</strong> <strong>Diagnostics</strong><br />
(Abteilung ConsulabT) und Henker Consulting<br />
gibt es dafür unterschiedliche<br />
Varianten:<br />
O Die „kleine“ Lösung heißt hier „Workshop-Variante“.<br />
Der/die Berater werden<br />
nur bei gemeinsamen Workshops<br />
hinzugezogen. Sie übernehmen dort<br />
z.B. anfangs, bis sich eine gemeinsame<br />
QM-Projektarbeit eingespielt hat,<br />
Moderation und Projektmanagement<br />
und stellen eine straffe Projektabwicklung<br />
sicher. Zwischen den Workshops<br />
können ein Telefon-Support oder<br />
auch eine „Hausaufgabenbetreuung“<br />
vereinbart werden. Die Anzahl der<br />
Workshops und damit den externen<br />
Kostenaufwand best<strong>im</strong>mt der Anwender.<br />
O Die „große“ Lösung ist die klassische<br />
Beratungsvariante, bei der der Berater<br />
einen Großteil der Dokumente vorschlägt<br />
und vorformuliert.<br />
Erweiterungsoptionen<br />
Das E-QMS-Patho ist so flexibel und<br />
<strong>Roche</strong><br />
<strong>Diagnostik</strong> <strong>im</strong> <strong>Dialog</strong> • Ausgabe 40 • 5/2013 25
offen aufgebaut, dass individuelle Erweiterungen<br />
„in alle Richtungen“ jederzeit<br />
möglich sind.<br />
Hinweise und Hilfefunktionen für QMH-Ersteller und -Nutzer<br />
- Allgemeine Hinweise zur Nutzung der elektronischen Dokumente<br />
- Spezielle Hinweise und Hilfetexte zu einzelnen Kapiteln und Punkten<br />
Die „horizontale“ Erweiterung auf andere<br />
wichtige Managementfunktionen verknüpft<br />
O Kontakt- und Beziehungsmanagement<br />
O Informations- und Wissensmanagement<br />
O Projekt-, Vorgangs- und Aufgabenmanagement<br />
O Ziel-, Zeit- und Selbstmanagement.<br />
Register 1<br />
Norm-Vorspann<br />
und Begriffe<br />
Vorwort / Einleitung 1. – 3.<br />
Begriffe /Abkürzungen nach<br />
Normstandard und<br />
patho- / instituts-spezifisch<br />
Register 2<br />
QMH-Text und<br />
QMH-Anlagen<br />
Qualitätsmanagement-<br />
Handbuch <strong>im</strong> engeren Sinne<br />
(QMH i.e.S.)<br />
Handbuchtexte zu Normkapitel<br />
4. – 8. mit Links auf Anlagen<br />
und Unterlagen<br />
Register 3<br />
Norm-Nachspann<br />
Normanhänge<br />
Gesetze, Richtlinien und<br />
andere mitgeltende Unterlagen<br />
(MGU)<br />
Eine Verbindung zur „Zahlenwelt“, d.h.<br />
zu einem Risikomanagement-, Controlling-<br />
und Costing-System (RICO) ist<br />
ebenfalls sinnvoll und schafft ein integriertes<br />
Qualitäts- und Kostenmanagement.<br />
Auch „vertikal“ ist eine Erweiterung bzw.<br />
Verknüpfung machbar<br />
O mit dem EDV-System der Pathologie<br />
(LIS)<br />
O mit einem Pathologie-spezifischen<br />
Prozessüberwachungs- und -steuerungssystem<br />
(z.B. VANTAGE von<br />
<strong>Roche</strong> Tissue <strong>Diagnostics</strong>).<br />
Entsprechend der Zielvorstellung der<br />
Deutschen Akkreditierungsstelle DAkkS,<br />
nach der sich ein QMS zu einem Managementsystem<br />
weiterentwickeln sollte, ist<br />
<strong>im</strong> E-QMH-Patho diese vertikale Erweiterungsmöglichkeit<br />
in den Bereich des<br />
strategischen Managements bereits vorgesehen.<br />
Als Methoden-Tool, das sich<br />
auch <strong>als</strong> Zugriffspfad gemäß Register<br />
4 benutzen lässt, wird ein spezielles<br />
Balanced Scorecard Modell empfohlen<br />
(Abb. 2). Es eignet sich besonders zur<br />
Verfolgung der QMS-Weiterentwicklung<br />
und dessen kontinuierlicher Verbesserung.<br />
Die vorgestellte E-QMS-Dokumentation<br />
hilft Pathologien, die Normanforderungen<br />
für die Akkreditierung vollständig<br />
und sicher zu erfüllen – bei<br />
gleichzeitig erheblich verkürztem Zeitaufwand.<br />
Zudem ist dieses QM-Werkzeug<br />
für anschließende, kontinuierliche<br />
Verbesserungen geradezu prädestiniert,<br />
weil es bereits Schnittstellen nach mehreren<br />
Seiten – vor allem auch in Richtung<br />
eines strategischen Management-<br />
Systems hat.<br />
Register 1, 2, 3:<br />
QMS-Doku gesamt nach DIN EN ISO/IEC 17020:2012 = QM-Handbuch <strong>im</strong> weiteren Sinne (QMH i.w.S.)<br />
Register 4<br />
Struktur- und Prozess-Sicht<br />
Ziel-/Planungs- und Strategie-Sicht<br />
Abb. 1: Struktur der elektronischen Qualitätsmanagement-System-Dokumentation<br />
Arbeitsmarkt<br />
Personal / Mitarbeiter<br />
Wissen / Können/<br />
Fach- und Methoden-<br />
Know-how<br />
Partner / Lieferanten /<br />
Vervielfältiger<br />
Einkauf<br />
Beschaffungsmarkt<br />
Abb. 2: Ziel-, Planungs- und Strategie-Sicht auf das Patho-QMS<br />
Korrespondenzadresse:<br />
Dipl.-Kfm. Otto Henker<br />
HC Henker Consulting<br />
Listplatz 1<br />
72764 Reutlingen<br />
07121 1622-0<br />
office@henker-con.de<br />
http://www.henker-con.de<br />
Kunden (-gewinnung / -pflege)<br />
Corporate Identity<br />
Marketing/Vertrieb, Akquisition<br />
Rentabilität<br />
Wirtschaftlichkeit<br />
Optionale, zusätzliche Gliederungen,<br />
Sichten, Zugriffspfade auf das QMS<br />
Biopsien Finanzen<br />
Liquidität<br />
Produktivität<br />
Organisation und Prozesse<br />
Büroorganisation und -kommunikation<br />
Aufbau- / Ablauf- / IT-Organisation<br />
Administration + Management<br />
Außenbild<br />
Auftragsabwicklung<br />
„Produktion“<br />
Leistungs- / Produkt- /<br />
Ergebnis-Qualität<br />
Absatzmarkt<br />
26<br />
<strong>Diagnostik</strong> <strong>im</strong> <strong>Dialog</strong> • Ausgabe 40 • 5/2013
Veranstaltungen & Kongresse<br />
Juni – August 2013<br />
Veranstaltungen von <strong>Roche</strong> <strong>Diagnostics</strong> Datum Ort<br />
Intensivkurs Infektiologie 27. – 28. Juni Mannhe<strong>im</strong><br />
Basisschulung BenchMark Ultra 3. – 6. Juni Mannhe<strong>im</strong><br />
Workshop Her2/Chr17 DISH Cocktail 17. – 18. Juni Mannhe<strong>im</strong><br />
CINtecT PLUS Interpretationstraining 22. Juni Frankfurt<br />
Ute Re<strong>im</strong>ann<br />
Kommunikation<br />
0621 759-4078<br />
ute.re<strong>im</strong>ann@roche.com<br />
Veranstaltungen verschiedener Organisationen Datum Ort<br />
Jahrestagung der Berufsvereinigung der Naturwissenschaftler in der Labordiagnostik<br />
15. Juni Heidelberg<br />
(BNLD) e.V.<br />
(www.bnld.de)<br />
Unseren ausführlichen Kongresskalender<br />
finden Sie unter:<br />
www.roche.de/diagnostics<br />
Ausgewählte Kongresse & Messen Datum Ort <strong>Roche</strong><br />
Ausstellungsstand<br />
<strong>Roche</strong> Satellitensymposium<br />
Schloss Akademie für Zytologie 7. – 8. Juni Mannhe<strong>im</strong><br />
15. Deutscher Gestose Kongress 7. – 8. Juni Berlin <br />
14. Münchner Neuroradiologie Symposium 13. – 14. Juni München<br />
HepNet Symposium 21. – 22. Juni Hannover<br />
Innovationskongress der Deutschen Hochschulmedizin 27. – 28. Juni Berlin <br />
4. Frankfurter Gerinnungssymposium 30. – 31. August Mannhe<strong>im</strong> <br />
HERAUSGEBER:<br />
<strong>Roche</strong> <strong>Diagnostics</strong> Deutschland GmbH<br />
Geschäftsführer Jürgen Redmann<br />
Sandhofer Straße 116<br />
68305 Mannhe<strong>im</strong><br />
V.I.S.D.P. (CHEFREDAKTION)<br />
Ute Re<strong>im</strong>ann, Kommunikation<br />
„<strong>Diagnostik</strong> <strong>im</strong> <strong>Dialog</strong>“ können Sie jederzeit über eine kurze Mitteilung per E-Mail<br />
abbestellen. Es fallen selbstverständlich keine weiteren <strong>als</strong> die für Sie üblichen<br />
Online-Gebühren an. Nutzen Sie dafür, ebenso wie für mögliche Rückfragen, gerne<br />
folgende E-Mail-Adresse: mannhe<strong>im</strong>.diagnostik-<strong>im</strong>-dialog@roche.com<br />
Die dargestellten Informationen geben die subjektive Einschätzung der Autoren<br />
wieder. Die <strong>Roche</strong> <strong>Diagnostics</strong> Deutschland GmbH übern<strong>im</strong>mt keine Gewähr für<br />
die Richtig keit der dargestellten Informationen. Die Weitergabe der Daten in jedweder<br />
Form bedarf der schriftlichen Zust<strong>im</strong>mung der <strong>Roche</strong> <strong>Diagnostics</strong> Deutschland<br />
GmbH.<br />
© 2013 <strong>Roche</strong> <strong>Diagnostics</strong>. Alle Rechte vorbehalten.<br />
COBAS, COBAS C, COBAS E, CONSULAB, ELECSYS, MODULAR und MULTIPLATE sind Marken von <strong>Roche</strong>. Andere Marken sind Marken der jeweiligen Eigentümer.<br />
<strong>Diagnostik</strong> <strong>im</strong> <strong>Dialog</strong> • Ausgabe 40 • 5/2013 27
Die Wegbereiter<br />
35 Jahre Partnerschaft –<br />
Wegbereiter für Qualität, Leistungsfähigkeit und Zukunftsausrichtung <strong>im</strong> Labor!<br />
M E I L E N S T E I N E<br />
2013<br />
Ab 2006<br />
2002<br />
1999<br />
1996<br />
cobasT 8100 automated workflow series:<br />
Die nächste Generation der Vollautomation<br />
√ Vollautomatisierte Prä- und Postanalytik für alle Arbeits bereiche <strong>im</strong> Zentrallabor<br />
√ Laborindividuelle, adaptierbare Systemlösungen für heute und morgen<br />
cobasT modular platform:<br />
Maßgeschneiderte, wandelbare Systemlösungen für alle Labore<br />
√ Über 110 Systemkonfigurationen für den individuellen, konsolidierten Serumarbeitsplatz<br />
√ Mehr <strong>als</strong> 120 klinisch-chemische und mehr <strong>als</strong> 100 <strong>im</strong>muno logische Applikationen<br />
MODULAR ANALYTICS SWA:<br />
Erstm<strong>als</strong> Konsolidierung von Klinischer Chemie und Immunologie in einem System<br />
MODULAR ANALYTICS:<br />
Einstieg in flexible System-Kombinationen<br />
MODULAR PRE-ANALYTICS:<br />
Einstieg in die automatisierte Prä- und Postanalytik<br />
ElecsysT 2010:<br />
Erster Analyzer mit der hochinnovativen ECL-Technologie für eine neue<br />
Sensitivitäts-D<strong>im</strong>ension in der Immunologie<br />
Hitachi 717<br />
Hitachi 737<br />
Hitachi 747 Hitachi 917<br />
Hitachi 911<br />
1981<br />
Hitachi 705:<br />
Weltweit erster Analyzer der Klinischen Chemie für die automatisierte,<br />
selektive Probenbearbeitung (Random Access)<br />
Hitachi 705<br />
1978 Erste Vertriebsvereinbarung zwischen Boehringer Mannhe<strong>im</strong> und Hitachi<br />
<strong>Roche</strong> <strong>Diagnostics</strong> Deutschland GmbH<br />
Sandhofer Straße 116<br />
68305 Mannhe<strong>im</strong><br />
www.roche.de/diagnostics