Sturzprophylaxe, Umgang mit Stürzen, Expertenstandards
Sturzprophylaxe, Umgang mit Stürzen, Expertenstandards
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<strong>Sturzprophylaxe</strong>, <strong>Umgang</strong> <strong>mit</strong><br />
Stürzen, <strong>Expertenstandards</strong><br />
Rundschreiben der Heimaufsicht vom 27.12.2007<br />
Sehr geehrte Damen und Herren,<br />
im Rahmen der Prüfungen der Heimaufsicht, insbesondere im Jahr 2007, fielen<br />
zunehmend Mängel auf im <strong>Umgang</strong> <strong>mit</strong><br />
• einer Sturzgefährdung von Bewohnerinnen und Bewohnern,<br />
• daraus resultierenden Sturzereignissen,<br />
• Frakturen sowie<br />
• den Sturz- und Frakturfolgen.<br />
Diese Mängel nimmt die Heimaufsicht zum Anlass, <strong>mit</strong> diesem Rundschreiben<br />
nochmals nachdrücklich auf die Notwendigkeit einer angemessenen,<br />
nachweislich geplanten und durchgeführten <strong>Sturzprophylaxe</strong> und eines fachgerechten<br />
Vorgehens nach Stürzen hinzuweisen. Dies gilt ebenso für das<br />
notwendige fachgerechte und zügige Handeln nach einer Fraktur oder im Falle<br />
des Verdachts auf eine Fraktur.<br />
<strong>Sturzprophylaxe</strong><br />
Bezogen auf die <strong>Sturzprophylaxe</strong> seien an dieser Stelle die typischen Mängel<br />
benannt, die bei den Prüfungen der Heimaufsicht am häufigsten festgestellt<br />
werden und Vorgehensweisen darstellen, die <strong>mit</strong> den Anforderungen der <strong>Expertenstandards</strong><br />
(s. u.) nicht zu vereinbaren sind:<br />
• Nicht bei jeder Bewohnerin / jedem Bewohner wird beim Heimeinzug anhand<br />
gängiger Assessmentinstrumente überprüft, ob ein Sturzrisiko vorliegt.<br />
• Nicht in jeder Einrichtung liegt ein entsprechendes Instrument zur Risikoeinschätzung<br />
vor.<br />
• Die Risikoeinschätzung ist vielfach verengt auf die Oberschenkelhalsfraktur,<br />
vernachlässigt aber leider dann oft die Risiken wie Ober- und / oder Unterarmfraktur<br />
etc.<br />
• Ein bestehendes Sturzrisiko wird nicht als potenzielles Pflegeproblem in der<br />
Pflegeplanung erfasst.<br />
• Die Einschätzung des Sturzrisikos wird nicht in bedarfsgerechten Intervallen<br />
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wiederholt.<br />
• Die Ausprägung des Sturzrisikos wird zwar regelmäßig evaluiert, es erfolgt<br />
aber keine Anpassung der Pflegeplanung.<br />
• Die Beratung der Bewohnerinnen und Bewohner sowie ihrer Angehörigen<br />
zum <strong>Umgang</strong> <strong>mit</strong> dem bestehenden Sturzrisiko ist nicht dokumentiert.<br />
• Die Ablehnung sturzprophylaktischer Interventionen durch die Bewohnerin /<br />
den Bewohner wird nicht dokumentiert.<br />
• Die Auswahl sturzprophylaktischer Maßnahmen ist nicht oder nicht in ausreichendem<br />
Maße geeignet, die sichere Mobilität zu erhalten und zu fördern<br />
(z. B. durch Kraft- und Balancetraining).<br />
• Zur <strong>Sturzprophylaxe</strong> werden vorschnell und / oder ausschließlich freiheitsbeschränkende<br />
Maßnahmen (Anlegen eines Bauchgurts, Hochstellen der<br />
Bettgitter) angewandt.<br />
Die Skizzierung der vorgefundenen Mängel zeigt zugleich, dass zu ihrer Behebung<br />
die verbindliche Verankerung und Anwendung der Planung und Umsetzung<br />
der Grundlagen prophylaktischen Handelns genügt, um einen wesentlichen<br />
Beitrag zur Sicherheit und zum Wohlbefinden von Bewohnerinnen<br />
und Bewohnern zu leisten.<br />
<strong>Umgang</strong> <strong>mit</strong> Stürzen und Frakturen – Mängel und notwendige durchzuführende<br />
Maßnahmen<br />
Nach Sturzereignissen wird häufig der ärztliche Dienst nicht oder nicht zeitnah<br />
eingeschaltet. Ähnliches gilt in Bezug auf die Information der Angehörigen<br />
bzw. der gesetzlichen Betreuer.<br />
Sturzereignisse und / oder der Verdacht auf eine Fraktur werden in einigen<br />
Fällen nicht dokumentiert, nicht an Wohnbereichs- und / oder Pflegedienstleitung<br />
und so<strong>mit</strong> auch nicht in der Übergabe gemeldet, so dass erst gehandelt<br />
werden kann, wenn entsprechende Symptome bemerkt werden. Gravierende<br />
Mängel nach Sturzereignissen resultieren außerdem aus einer<br />
• mangelhaften Untersuchung des Geschehens, dem häufig nicht der hochrangige<br />
Stellenwert beigemessen wird, den es besitzt,<br />
• unzureichenden Krankenbeobachtung, die vielfach nicht von Pflegefachkräften<br />
vorgenommen wird,<br />
• Dokumentation, die den Anforderungen des adäquaten <strong>Umgang</strong>s <strong>mit</strong> einem<br />
Sturzereignis nicht gerecht wird, so dass die fachlich angemessene Kommunikation<br />
<strong>mit</strong> der Ärztin / dem Arzt erschwert und gefährdet wird.<br />
Hier ist in aller Klarheit zu betonen und zu fordern:<br />
Es ist die Pflicht einer jeden Pflegefachkraft, unverzüglich alle notwendigen<br />
Maßnahmen einzuleiten, wenn sie Zeuge oder Verursacher eines Sturzes ist,<br />
von einem Sturzgeschehen Kenntnis erhält oder den Verdacht hat, dass eine<br />
Bewohnerin / ein Bewohner gestürzt ist.<br />
Es ist die Pflicht einer jeden pflegerischen Hilfskraft, unverzüglich eine Pflegefachkraft<br />
von einem Sturzgeschehen, dessen Zeuge oder Verursacher sie<br />
ist, in Kenntnis zu setzen. Die Pflegefachkraft hat in diesen Fällen umgehend<br />
das Geschehen zu prüfen und die entsprechenden Maßnahmen einzuleiten.<br />
Es ist die Pflicht einer jeden Pflegedienstleitung z. B. im Rahmen der Ar-<br />
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eitsorganisation sicherzustellen, dass die Pflegenden entsprechend ihrer jeweiligen<br />
Qualifikation und der entsprechenden Verantwortung handeln und<br />
handeln können.<br />
Der adäquate <strong>Umgang</strong> <strong>mit</strong> einem Sturzereignis und / oder bei Verdacht auf<br />
eine Fraktur beinhaltet folgende Maßnahmen:<br />
• Krankenbeobachtung im Hinblick auf folgende Symptome:<br />
o Äußere Verletzungen,<br />
o Schwellungen,<br />
o Dislokationen,<br />
o Abnorme Beweglichkeit (auch vorher kontrahierter Gelenke) und/oder<br />
neu hinzugekommene Einschränkungen der Beweglichkeit (bei Untersuchung<br />
äußerste Vorsicht walten lassen!),<br />
o Schmerzäußerungen (verbal und non-verbal),<br />
o Blutdruck-, Puls- und Blutzuckerkontrolle,<br />
o Übelkeit, Erbrechen,<br />
o Bewusstseinslage (wenn Sturz auf den Kopf nicht ausgeschlossen<br />
werden kann),<br />
o Pupillenkontrolle (wenn Sturz auf den Kopf nicht ausgeschlossen werden<br />
kann).<br />
• Arztinformation<br />
o Der Hausarzt ist in jedem Fall umgehend persönlich zu informieren.<br />
Die Information an die Arzthelferin bzw. an die Sprechstundenhilfe<br />
reicht nicht aus. Erfolgt der Sturz außerhalb der Sprechzeiten des<br />
Hausarztes, ist dessen Information zum nächstmöglichen Zeitpunkt<br />
nachzuholen.<br />
Eine unverzügliche Information des ärztlichen Notdienstes und<br />
ggf. auch eine Krankenhauseinweisung ist in jedem der folgenden<br />
Fälle zu jeder Tages- und Nachtzeit erforderlich:<br />
• bei Verdacht auf eine Fraktur,<br />
• bei Wunden, die chirurgisch versorgt werden müssen,<br />
• bei großflächigen verschmutzten Wunden jeglicher Art,<br />
• nach Stürzen auf den Kopf,<br />
• bei jedem weiteren auffälligen Befund der Krankenbeobachtung,<br />
• bei Marcumarisierung oder krankheitsbedingten Störungen der<br />
Blutgerinnung.<br />
o Die Kontrolle der Medikamentengabe (erfolgt, nicht erfolgt, mögliche<br />
Neben- und Wechselwirkungen) ist obligatorisch.<br />
o Bei unauffälligem Erstbefund ist weiterhin eine engmaschige, über einen<br />
ausreichend langen Zeitraum durchgeführte Krankenbeobachtung<br />
nach den o.a. Kriterien erforderlich. Diese Krankenbeobachtung ist zu<br />
dokumentieren. Bei Veränderungen ist der ärztliche Dienst entsprechend<br />
den vorstehend formulierten Maßgaben einzuschalten.<br />
• Erstversorgung von Wunden<br />
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• Zeitnahe Information der gesetzlichen Betreuer, Vorsorgebevollmächtigten,<br />
Angehörigen<br />
• Dokumentation des Sturzereignisses entsprechend den Vorgaben<br />
des <strong>Expertenstandards</strong><br />
• Dokumentation der Ergebnisse der Krankenbeobachtung.<br />
Es versteht sich von selbst, dass diese Aufgaben ausschließlich von Fachkräften<br />
wahrgenommen werden können. Dies ist im Rahmen der Dienstplangestaltung<br />
zu beachten.<br />
Ferner wird die Durchführung von bedarfsgerechten Schulungen zum <strong>Umgang</strong><br />
<strong>mit</strong> der Sturzproblematik, die auch eine Auffrischung zum Thema „Krankenbeobachtung“<br />
sowie der rechtlich relevanten Fragen beinhaltet, empfohlen.<br />
In Einrichtungen für Menschen <strong>mit</strong> Behinderungen, in denen keine oder nur<br />
sehr wenige Pflegefachkräfte beschäftigt sind, sind die übrigen Fachkräfte<br />
entsprechend intensiv zu schulen.<br />
Expertenstandard<br />
Der »Expertenstandard <strong>Sturzprophylaxe</strong> in der Pflege«, herausgegeben vom<br />
»Deutschen Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege« (DNQP), sollte<br />
die zentrale Grundlage für die Behebung der Mängel und die Sicherstellung<br />
eines adäquaten <strong>Umgang</strong>s <strong>mit</strong> der Sturzproblematik sein.<br />
Detaillierte Informationen finden sich unter http://dnqp.de/.<br />
Die <strong>Expertenstandards</strong> haben derzeit einen empfehlenden Charakter, dienen<br />
aber im Haftungsfall als Qualitätsmaßstab.<br />
Zukünftig sollen <strong>Expertenstandards</strong> un<strong>mit</strong>telbar verbindlich sein, so der Entwurf<br />
des Pflege-Weiterentwicklungsgesetzes im neu eingefügten § 113a, Abs.<br />
3 im SGB XI: „Die <strong>Expertenstandards</strong> sind … für alle Pflegekassen und deren<br />
Verbände sowie für die zugelassenen Pflegeeinrichtungen un<strong>mit</strong>telbar verbindlich.<br />
Die Vertragsparteien unterstützen die Einführung der <strong>Expertenstandards</strong><br />
in die Praxis.“<br />
Der Expertenstandard zur <strong>Sturzprophylaxe</strong> - wie auch die anderen verabschiedeten<br />
<strong>Expertenstandards</strong> – dienen der Heimaufsicht Düsseldorf als<br />
Prüfmaßstab.<br />
gez. Schuster<br />
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