Tagungsband 2011 - Symposium Alpine Sicherheit
Tagungsband 2011 - Symposium Alpine Sicherheit
Tagungsband 2011 - Symposium Alpine Sicherheit
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<strong>Symposium</strong> <strong>Alpine</strong> <strong>Sicherheit</strong> <strong>2011</strong><br />
„Touren“ auf Skipisten /<br />
Risikomanagement und Recht auf Risiko<br />
Bad Reichenhall, Altes Königliches Kurhaus<br />
24. und 25. November <strong>2011</strong><br />
1
Impressum<br />
Zitiervorschlag:<br />
Autor, Titel, in: <strong>Tagungsband</strong> <strong>Symposium</strong> <strong>Alpine</strong> <strong>Sicherheit</strong>, Bad Reichenhall <strong>2011</strong>,<br />
Seitenanzahl.<br />
Beispiel: Burger, K.: Risiko, warum nicht? – Recht auf Risiko?, in: <strong>Tagungsband</strong><br />
<strong>Symposium</strong> <strong>Alpine</strong> <strong>Sicherheit</strong>, Bad Reichenhall <strong>2011</strong>, S. 57 – 80.<br />
Verantwortlich:<br />
Herausgeber: Gebirgsjägerbrigade 23 i. V. m.<br />
Verband Deutscher Heeresbergführer e. V.<br />
Beiträge in Veröffentlichungsreihenfolge:<br />
Helga Wagner<br />
Dr. Klaus Weber/Peter Janssen<br />
Josef Rottmoser/Toni Palzer/Philipp Reiter<br />
Dr. Klaus Burger<br />
Major Johannes Schwegler<br />
Peter Geyer<br />
Karl Schrag/Chris Semmel/Stefan Winter<br />
Pit Schubert<br />
Gestaltung:<br />
Dr. Dominik Hammer, Verband Deutscher Heeresbergführer e. V.<br />
Druck:<br />
Zentraldruckerei der Bundeswehr, Bonn<br />
Auflage:<br />
1.300<br />
Bilder und Abbildungen:<br />
Soweit nicht anders gekennzeichnet sind die jeweiligen Autoren verantwortlich für die<br />
von Ihnen verwendeten Bilder und Abbildungen.<br />
Urheberrechtlich geschützt:<br />
Der Nachdruck, auch eine auszugsweise Vervielfältigung, ist nur mit Erlaubnis des<br />
jeweiligen Autors gestattet. Artikel, die mit Namen versehen sind, müssen nicht mit<br />
der Meinung des Verantwortlichen oder der anderen Autoren übereinstimmen.<br />
Diesen <strong>Tagungsband</strong> gibt es auch online zum Download:<br />
www.alpinsymposium.de<br />
2
Inhaltsverzeichnis<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
Vorwort Brigadegeneral Johann Langenegger<br />
Kommandeur GebJgBrig 23 ................................................................................... 5<br />
Vorwort Major Johannes Schwegler<br />
1. Vorsitzender Verband Deutscher Heeresbergführer e. V. .................................. 7<br />
Tagungsprogramm ................................................................................................. 9<br />
Grußwort Schirmherrin Dr. Beate Merk, MdL<br />
Bayerische Staatsministerin der Justiz und für Verbraucherschutz ........................ 11<br />
Tourengeher auf Skipisten – Rechts- und Interessenlagen des Verbandes<br />
Deutscher Seilbahnen und Schlepplifte (VDS)<br />
Helga Wagner ......................................................................................................... 13<br />
Touren auf Skipisten: Betretungsrecht und sonstige Aspekte<br />
Dr. Klaus Weber/ Peter Janssen ............................................................................ 31<br />
Touren auf Skipisten aus Sicht der Leistungssportler<br />
Josef Rottmoser/ Toni Palzer/ Philipp Reiter .......................................................... 53<br />
Risiko, warum nicht? – Recht auf Risiko?<br />
Dr. Klaus Burger ..................................................................................................... 57<br />
Risiko und Verantwortung in der Heeresbergführerausbildung<br />
Johannes Schwegler .............................................................................................. 81<br />
Risikomanagement in der staatlichen Bergführerausbildung<br />
Peter Geyer ............................................................................................................ 111<br />
Risiko und Position des DAV , Kinder und Risiko<br />
Karl Schrag/ Chris Semmel/ Stefan Winter ............................................................. 133<br />
<strong>Sicherheit</strong> und Risiko in Kletterhallen und am Berg<br />
Pit Schubert ............................................................................................................ 141<br />
3
Brigadegeneral Johann Langenegger<br />
Vorwort<br />
Vorwort<br />
Kommandeur Gebirgsjägerbrigade 23<br />
<strong>Tagungsband</strong> <strong>Symposium</strong> <strong>Alpine</strong> <strong>Sicherheit</strong> <strong>2011</strong><br />
Begrüßungsrede Kommandeur GebJgBrig 23<br />
beim <strong>Symposium</strong> <strong>Alpine</strong> <strong>Sicherheit</strong> <strong>2011</strong><br />
Herzlich Willkommen zum „<strong>Symposium</strong> <strong>Alpine</strong> <strong>Sicherheit</strong> <strong>2011</strong>“<br />
im Alten Königlichen Kurhaus in Bad Reichenhall. Die Veranstaltung<br />
findet in diesem Jahr zum vierten Mal seit 2006 statt und hat<br />
sich als juristische und alpine Fachtagung etabliert und einen<br />
überregional hervorragenden Ruf erarbeitet. Sie ist sicher die<br />
hochwertigste Veranstaltung zum Thema alpine <strong>Sicherheit</strong> in<br />
Deutschland.<br />
Auch in diesem Jahr ist es gelungen, ausgewiesene Experten als Referenten zu gewinnen.<br />
Heuer werden die Themen „Touren auf Skipisten“ und „Risikomanagement<br />
und Recht auf Risiko“ diskutiert werden. Ergänzt wird das <strong>Symposium</strong> durch eine<br />
praktische Vorführung „Seilbahnrettung“ am GÖTSCHEN.<br />
„Skitourengehen auf Skipisten“ wird immer beliebter. Motive dafür sind:<br />
o Freude an sportlicher Betätigung und am Skifahren,<br />
o Lawinensicherheit in Skigebieten,<br />
o gute Schnee- und Pistenverhältnisse bei der Abfahrt,<br />
um nur einige wenige zu nennen.<br />
Doch mit diesem Trend sind zwangsläufig Risiken und Konflikte verbunden, die die<br />
verschiedenen Beteiligten aufeinander treffen lassen (auch körperlich).<br />
Mit den Referaten und der Diskussion zum Thema „Touren auf Skipisten“ soll Verständnis<br />
für die jeweiligen Positionen und Interessen der verschiedenen Gruppen<br />
5
Brigadegeneral Johann Langenegger<br />
Vorwort<br />
geweckt werden, um künftig einvernehmliche Lösungen in diesem sensiblen Bereich<br />
entwickeln zu können.<br />
Auch das Thema „Risikomanagement“ ist im alpinen Umfeld sehr aktuell. Wir alle<br />
wissen um die Risiken, die Freizeitaktivitäten und berufliche sowie ehrenamtliche<br />
Aufgaben im Gebirge mit sich bringen. Der Identifikation, Messung, Bewertung und<br />
Bewältigung von Risiken kommt große Bedeutung zu, um das Ziel, nämlich die Steuerung<br />
der Risikoabwehr bzw. die Früherkennung von Risiken, erfüllen zu können.<br />
In verschiedenen Vorträgen am heutigen Abend und im Laufe des morgigen Tages<br />
werden wir über den Umgang mit Risiken und die Auswirkungen von Risiken aus<br />
Sicht verschiedener Organisationen und Verbände informiert, um auch in diesem<br />
Bereich sensibilisiert zu werden.<br />
Im Laufe der Vorführung „Rettung aus einer Seilbahn am Götschen“ am heutigen<br />
Nachmittag wird uns das durch die Bergwacht Bayern erarbeitete Konzept zur Seilbahnevakuierung<br />
praxisnah vorgestellt werden. Zudem werden Bergwacht, Polizei<br />
und Bundeswehr einen Teil ihres breiten Fähigkeitsspektrums im Rahmen dieser<br />
gemeinsamen Vorführung präsentieren können.<br />
Mit diesen Themen wurde m. E. auch in <strong>2011</strong> wieder ein interessantes und breitgefächertes<br />
Programm zusammengestellt, das offenbar auch bei Ihnen Anklang findet,<br />
wie die große Zahl von Anmeldungen aus den Reihen der verschiedenen Dienststellen,<br />
Institutionen, Organisationen, Verbänden und Vereinen verdeutlicht.<br />
Allen Teilnehmern des <strong>Symposium</strong>s wünsche ich viele Anregungen und den notwendigen<br />
Informationsgewinn, um in ihrem jeweiligen Aufgabenbereich noch effektiver<br />
agieren zu können.<br />
Bereits an dieser Stelle Dank an die Organisatoren und Referenten.<br />
Johann Langenegger<br />
Brigadegeneral und Kommandeur Gebirgsjägerbrigade 23<br />
6
Major Johannes Schwegler<br />
Vorwort<br />
Vorwort<br />
Vorstand Verband Deutscher Heeresbergführer e. V.<br />
<strong>Symposium</strong> <strong>Alpine</strong> <strong>Sicherheit</strong> <strong>2011</strong><br />
Ethik oder Etikette<br />
Freiheit und Verantwortung<br />
Wir lieben unsere Freiheit. Wir fühlen uns frei! Eher zornig würden<br />
wir reagieren, würde einer behaupten, wir seien es nicht. Wenn wir<br />
uns als Bergsteiger unseres Atems berauben, fühlen wir es. Wir<br />
sind frei! Als Bergführer oder Bergretter jedoch dämpft sich diese<br />
Freiheit ab.<br />
Die gesellschaftspolitische Behauptung von Gräfin Marion Dönhoff, dass Freiheit nur<br />
fortbestünde, wenn es auch eine Beschränkung von Freiheit gäbe (vgl. Gräfin Dönhoff,<br />
M. (1998) Die neue Mittwochsgesellschaft, S. 54, Stuttgart: DVA) hat durchaus<br />
seine Bewandtnis auch für den Bergführer. Was der Einzelne nur für sich selbst entscheidet,<br />
steht möglicherweise auf einem anderen Blatt. Als Bergführer aber, tragen<br />
wir Verantwortung vor und für andere. „Was würde der Staatsanwalt sagen, …?“ Eine<br />
berechtigte Frage, um groben Unfug zu vermeiden. Dennoch geht es aber viel<br />
mehr um die Frage des „Guten Lebens“ und des eigenen Gewissens, wenn wir entscheiden<br />
müssen. Am Ende sollten wir als Bergführer oder Retter die Frage verantwortlichen<br />
Handelns vor uns selbst mit gutem Gewissens beantworten können. Von<br />
äußeren Zwängen und übersteigerten Erwartungen müssen wir uns frei machen.<br />
„Was denkt der Andere über mich und von meiner Handlungsweise (der Geführte,<br />
der Gast, der Vorgesetzte, der Auftraggeber, andere Bergsteiger oder Gruppen,<br />
etc.)? Als Führer entscheiden wir vor Ort und meistens alleine! Steht auch in der<br />
Konsequenz von Unfällen selten einer hinter uns.<br />
Ein breiter Horizont ist Freiheit, auch beim Denken. Meinungen, Denkansätze und<br />
Herangehensweisen anderer zu kennen, führen nicht zwangsweise zu Einschränkungen,<br />
sondern fördern auch Entscheidungsvielfalt und Entscheidungsfreiheit. Ver-<br />
7
Major Johannes Schwegler<br />
Vorwort<br />
antwortung, Sorgfalt und <strong>Sicherheit</strong> sind Bestandteil von Freiheit. Ja, sie können zu<br />
einem Käfig nuancieren. Im Rahmen gehalten sind sie aber kein Käfig, sondern ein<br />
Geländer, das Halt bietet.<br />
Unendliche Freiheit werden wir nicht finden. Freiheit sozialen Seins ist schließlich<br />
nicht der nackte Egoismus.<br />
Major Johannes Schwegler<br />
1. Vorsitzender Verband Deutscher Heeresbergführer e. V.<br />
8
Tagungsprogramm <strong>Symposium</strong> <strong>Alpine</strong> <strong>Sicherheit</strong> <strong>2011</strong><br />
9
Tagungsprogramm <strong>Symposium</strong> <strong>Alpine</strong> <strong>Sicherheit</strong> <strong>2011</strong><br />
10
Dr. Beate Merk, MdL<br />
Grußwort<br />
Grußwort<br />
der Bayerischen Staatsministerin der<br />
Justiz und für Verbraucherschutz<br />
Dr. Beate Merk, MdL<br />
zum "<strong>Symposium</strong> <strong>Alpine</strong> <strong>Sicherheit</strong>"<br />
am 24./25. November <strong>2011</strong><br />
Sehr verehrte Damen und Herren,<br />
Weiterbildung, lebenslanges Lernen, Austausch von Informationen<br />
und Erfahrungen - das alles sind Schlagworte, die seit ein paar<br />
Jahren mehr und mehr unseren Alltag bestimmen. Jeder muss<br />
sich fortbilden, um im Ernstfall die richtigen Entscheidungen zu<br />
treffen. Und wenn beim Thema "<strong>Alpine</strong> <strong>Sicherheit</strong>" vom Ernstfall<br />
gesprochen wird, geht es leider sehr häufig um Leben und Tod.<br />
Deshalb freue ich mich sehr, dass Sie im Rahmen dieser interdisziplinären Veranstaltung<br />
das wichtige Thema der <strong>Alpine</strong>n <strong>Sicherheit</strong> von vielen Seiten beleuchten. Neben<br />
präventiven Aspekten, der Förderung verschiedenster Kooperationen und praktischen<br />
Hilfestellungen spielen im Rahmen Ihres zweitägigen Treffens zu Recht auch<br />
juristische Fragestellungen eine Rolle.<br />
Das Leitthema "Touren auf Skipisten/Risikomanagement und Recht auf Risiko" trifft<br />
einen Nerv unserer Zeit: Auf der einen Seite möchten wir möglichst viel erleben und<br />
so wenig wie möglich eingeschränkt werden. Auf der anderen Seite erwarten wir,<br />
dass es Gebote und Verbote gibt, die uns vor Gefahren schützen. Und wenn es dennoch<br />
gefährlich wird? Dann hoffen wir, dass Menschen und Institutionen da sind, die<br />
sich für uns einsetzen, die uns helfen und uns, wenn nötig, retten. Mit dem diesjährigen<br />
<strong>Symposium</strong> legen Sie den Finger in die Wunde.<br />
11
Dr. Beate Merk, MdL<br />
Grußwort<br />
Dass sich mit der Stadt Bad Reichenhall, der Gebirgsjägerbrigade 23, der Bergwacht<br />
Bad Reichenhall und dem Fortbildungsinstitut der Bayerischen Polizei in Ainring verschiedene<br />
Organisationen zu einer gemeinsamen Veranstaltung zusammenschließen<br />
und dass hieran auch das Amtsgericht Laufen mitwirkt, ist keine Selbstverständlichkeit,<br />
sondern eine großartige Leistung aller Beteiligten.<br />
Ich bin mir sicher, dass vom diesjährigen <strong>Symposium</strong> - ebenso wie von denen der<br />
letzten Jahre - viele Menschen profitieren werden.<br />
Ich wünsche der Veranstaltung einen erfolgreichen Verlauf mit vielen Highlights gesellschaftlicher<br />
und fachlicher Natur!<br />
Dr. Beate Merk, MdL<br />
Bayerische Staatsministerin der Justiz und für Verbraucherschutz<br />
12
Helga Wagner<br />
Tourengeher auf Skipisten<br />
Tourengeher auf Skipisten<br />
-<br />
Rechts- und Interessenlagen des<br />
Verbandes Deutscher Seilbahnen und Schlepplifte (VDS)<br />
Helga Wagner 1<br />
Zur Förderung von Gesundheit und Fitness ist grundsätzlich jede<br />
Art von Bewegung und sportlicher Betätigung in der Natur zu begrüßen.<br />
Verständlich ist dabei, dass dies bevorzugt innerhalb eines<br />
gesicherten Geländes ausgeübt werden soll. Muss es deswegen<br />
aber Gegenverkehr auf Pisten geben? Viele Tourengeher sind<br />
nicht mehr im Sinne des klassischen Skibergsteigens auf ihren ursprünglichen Skitouren<br />
abseits der Skigebiete im freien Gelände unterwegs, sondern bevorzugen<br />
mittlerweile aus unterschiedlichsten Gründen präparierte Pisten für Aufstiegszwecke.<br />
Einerseits ist dies vielfach auf unzureichende alpine Erfahrung, Kondition und mangelndes<br />
skifahrerisches Können für den hochalpinen Bereich zurückzuführen. Andererseits<br />
sind die Gründe auch <strong>Sicherheit</strong>serwägungen wegen Lawinen- bzw. anderer<br />
alpiner Gefahren und in der durch technische Beschneiung guten Schneeunterlage<br />
zu finden.<br />
1<br />
Helga Wagner, Rechtsanwältin Regensburg, Justiziarin VDS – Verband Deutscher Seilbahnen, München.<br />
13
Helga Wagner<br />
Tourengeher auf Skipisten<br />
I. Gefährdung durch Tourengeher als „Geisterfahrer“?<br />
Dürfen Tourengeher aber deswegen als „Geisterfahrer“ auf Pisten abfahrende Skifahrer<br />
gefährden und durch das „gegen den Strom Gehen“ Kollisionen provozieren?<br />
Nach anfänglichem Dulden Einzelner ist Tourengehen über präparierte Pisten mittlerweile<br />
in einigen Skigebieten Teil des Sportgeschehens im organisierten Skiraum.<br />
Solche „Skirouten“ innerhalb von Skigebieten werden auch durch Alpenvereinskarten<br />
des DAV beworben.<br />
Bedingt durch den lawinengefährdeten Winter 2009/2010 und durch Marketingmaßnahmen<br />
der Industrie haben in den letzten Jahren Tourengeher als Trendsportler auf<br />
Pisten in einigen Skigebieten extrem zugenommen, sodass nicht nur am Rande,<br />
sondern nebeneinander und quer über die Piste aufgestiegen wird.<br />
Zwar gilt der Grundsatz der allgemeinen Rücksichtnahme – keinen anderen zu gefährden<br />
und zu schädigen – auch wenn die Piste möglicherweise widmungswidrig<br />
oder verbotswidrig genutzt wird. Obliegt die Verkehrssicherungspflicht unter Umständen<br />
für diesen Fall dennoch dem Pistenbetreiber?<br />
14
Helga Wagner<br />
Tourengeher auf Skipisten<br />
Darf der Pistenbetreiber im Rahmen seiner Verfügungsberechtigung sein „Hausrecht“<br />
ausüben und die Piste nur für abfahrende Pistenbenutzer öffnen? Oder kann sich der<br />
Tourengeher möglicherweise auf das freie Betretungsrecht in der Natur berufen?<br />
Zur Gefahrenvermeidung und aus <strong>Sicherheit</strong>sgründen wird derzeit in den einzelnen<br />
Skigebieten zwischen generellen Sperrungen der Pisten für Tourengeher, teilweiser<br />
Freigabe bestimmter Bereiche zu festgelegten Zeiten bis zur allgemeinen Duldung<br />
oder mit eigenen Aufstiegsspuren für Tourengeher neben der Piste eine Entscheidung<br />
gesucht, die ein sportliches Neben- und Miteinander aller am Wintersport Beteiligten<br />
gewährleisten sollte. Oberstes Ziel aller muss eine größtmögliche <strong>Sicherheit</strong><br />
sein, sodass möglichst jede Art von Gefährdung zu vermeiden ist.<br />
II.<br />
Wer sind „Tourengeher“?<br />
Während es früher einzelne Individualisten waren, die fern ab jeder Aufstiegshilfe<br />
und jeder Art von Piste die (wirklich) freie Natur und das entsprechende Naturerlebnis<br />
suchten, ist es jetzt fast ein Massenphänomen. Heutzutage sind es „Pistengeher“,<br />
die meist aus folgenden Gründen in der Nähe von Aufstiegshilfen auf Pisten nach<br />
oben gehen:<br />
wegen des <strong>Sicherheit</strong>sgefühls, da Pisten – zumindest während der Betriebszeiten<br />
– vor Lawinen und anderen alpinen Gefahren gesichert sind<br />
<br />
vielfach wegen mangelnder alpiner Erfahrung und mangelnder Kondition<br />
oft aus Gründen mangelnden skifahrerischen Könnens für das hochalpine Gelände<br />
aus Fitnessgründen, um in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Höhenmeter<br />
zu erreichen („Freizeitkonditionsjunkies“)<br />
wegen der Schneesicherheit, nachdem durch technische Beschneiung auf<br />
Pisten meist eine gute Schneeunterlage zu finden ist, wenn es außerhalb noch<br />
an Schnee mangelt oder es bereits aper ist<br />
im Sinne eines positiven Gemeinschaftserlebnisses bis hin zu gemütlicher<br />
Runde bei einer Einkehr in Hütten (inkl. Nutzung der Infrastruktur wie Parkplätze,<br />
WC-Anlagen etc.)<br />
15
Helga Wagner<br />
Tourengeher auf Skipisten<br />
vereinzelt auch aus Gründen des Schutzes der (freien) Natur! Dies wiederum<br />
widerspricht gleichzeitig der Annahme, eine Piste sei „freie Natur“.<br />
III.<br />
Organisierter Skiraum – freier Skiraum<br />
Zur Verdeutlichung die Einteilung des organisierten und des freien Skiraums mit den<br />
jeweiligen Merkmalen:<br />
16
Helga Wagner<br />
Tourengeher auf Skipisten<br />
Organisierter Skiraum<br />
Freier Skiraum<br />
Piste:<br />
• markiert<br />
• genügend breit angelegt<br />
• (i.d.R.) präpariert<br />
• kontrolliert<br />
• Schutz v. atypischen<br />
u. alpinen Gefahren<br />
Skiroute:<br />
• markiert<br />
• nicht definierte<br />
Breite<br />
• nicht präpariert<br />
• nicht kontrolliert<br />
• Schutz vor Lawinengefahren<br />
Variante:<br />
• nicht markiert<br />
• überhaupt nicht<br />
angelegt<br />
• nicht präpariert<br />
• nicht kontrolliert<br />
• nicht vor alpinen<br />
Gefahren geschützt<br />
IV.<br />
Piste ist Sportanlage und keine freie Natur<br />
Tourengeher sind sowohl in der freien Natur als auch auf Skipisten unterwegs. Skipisten<br />
nutzen sie in der Annahme, sie hätten hier ebenfalls ein freies Betretungsrecht.<br />
Eine Piste ist aber eine Sportanlage, die zur Abfahrt mit Ski bestimmt ist. Hierfür<br />
trägt der Pistenbetreiber die Verkehrssicherungspflicht. Die Piste wird deshalb<br />
während der bestimmungsgemäßen Nutzung im Winter aus der freien Natur ausgegrenzt,<br />
weshalb sie in dieser Zeit gerade nicht dem freien Betretungsrecht unterliegt.<br />
Hierfür gibt es folgende Gründe:<br />
1. Der Betreiber einer Piste ist über die Fläche verfügungsberechtigt und widmet<br />
dieses Gelände als Piste. Er bietet es den Benutzern zur (Ski-)Abfahrt an.<br />
Damit besteht kein öffentlich-rechtlicher Gemeingebrauch, sondern privatrechtliche<br />
Verfügungsgewalt. Entweder nutzt der Betreiber die Fläche als Eigentümer<br />
oder er hat die Fläche als Pächter vom Grundstückseigentümer gepachtet.<br />
Als Pächter entrichtet er dann für die von ihm als Piste genutzte Fläche<br />
einen Pachtzins.<br />
2. Durch die Widmung als (Abfahrts-)Piste wird das Pistengelände aus der freien<br />
Natur ausgegrenzt. Manifestiert wird diese Ausgrenzung durch Pistenrandmarkierungen,<br />
die der Betreiber in Erfüllung der (Bay.) Kennzeichnungsverordnung<br />
(Verordnung über die Kennzeichnung der Skiabfahrten, Skiwanderwege<br />
und Rodelbahnen vom 23.02.1983) anbringt. Der Betreiber bietet das<br />
Gelände als privatrechtliche Sportanlage seinen Gästen an. Vergleichbar ist<br />
17
Helga Wagner<br />
Tourengeher auf Skipisten<br />
dies mit dem Gelände eines Golfplatzes. Dem Pisten-Betreiber obliegt dann<br />
für dieses aus der freien Natur ausgegrenzte Sportgelände die Verkehrssicherungspflicht.<br />
3. Zum Bau und Betrieb einer Piste benötigt der Betreiber eine Erlaubnis, da<br />
„das erstmalige dauerhafte Herrichten eines durch eine mechanische Aufstiegshilfe<br />
erschlossenen Geländes zum Zwecke des Abfahrens mit Ski, Skibobs<br />
oder Rodeln (Skipiste)…“ nach Art. 10 BayNatSchG einer Erlaubnispflicht<br />
unterliegt. Art. 10 BayNatSchG (neu seit 01.03.<strong>2011</strong>) hat den wortgleichen<br />
bis dahin geltenden Art. 6 f BayNatSchG abgelöst. Dieser wiederum ersetzte<br />
das bis 1999 für Skipisten geltende baurechtliche Genehmigungsverfahren,<br />
nach dem eine Piste als „bauliche Anlage“ beurteilt wurde und der<br />
Bay. Bauordnung unterlag.<br />
4. Art. 10 Abs. 2 BayNatSchG schreibt bei der Erlaubnispflicht für bestimmte Pisten<br />
(mit entsprechender Größe oder ab einer bestimmten Höhenlage) eine<br />
UVP-Pflicht (Umweltverträglichkeitsprüfung) vor. Wäre eine Piste „freie Natur“,<br />
würde sich die Frage nach dem Sinn einer UVP stellen.<br />
5. Dass eine Piste nur für abfahrende Skifahrer zur Verfügung stehen soll, beweist<br />
die in Art. 10 BayNatSchG geregelte Erlaubnispflicht für Pisten, in dem<br />
ausdrücklich von einem „ ... Gelände zum Zwecke des Abfahrens mit Ski … “<br />
gesprochen wird.<br />
6. Des Weiteren definiert die DIN 32 912 (Graphische Symbole und Schilder zur<br />
Information der Skifahrer auf Skipisten vom Januar 1983) Skipisten als „allgemein<br />
zugängliche, zur Abfahrt mit Ski vorgesehene und geeignete Strecken,<br />
die markiert, kontrolliert, vor atypischen Gefahren, insbesondere Lawinengefahren,<br />
gesichert und nach Möglichkeit präpariert werden“. Auch daraus ergibt<br />
sich die Schlussfolgerung, dass eine Piste per definitionem als Abfahrt nicht<br />
für aufsteigende Skifahrer bzw. Tourengeher zur Verfügung steht.<br />
Diese Definition einer Abfahrt findet sich im Übrigen bereits in der unter Zf. 2<br />
angeführten Kennzeichnungsverordnung vom 23.02.1983 mit Verweis auf die<br />
DIN 32 912.<br />
7. Durch Art. 24 Abs. 1 Bay. Landesstraf- und Verordnungsgesetz (LStVG) „können<br />
Gemeinden durch Verordnung ein Gelände außerhalb öffentlicher Wege<br />
und Plätze, das zum Skifahren, Skibobfahren oder Rodeln der Allgemeinheit<br />
18
Helga Wagner<br />
Tourengeher auf Skipisten<br />
zur Verfügung steht, zur Hauptabfahrt für solche Sportarten oder zum Hauptskiwanderweg<br />
erklären“. Durch die Absätze 2 bis 6 dieses Artikels sind die<br />
Gemeinden und das Staatsministerium des Innern befugt, im Anordnungsbzw.<br />
Verordnungsweg umfangreiche Regelungen zu treffen, um Gefahren abzuwehren<br />
und für <strong>Sicherheit</strong> zu sorgen.<br />
8. In Art. 24 Abs. 4 S. 2 LStVG spricht der Gesetzgeber selbst expressis verbis<br />
bei einer Piste von „Sportgelände“ („…Kosten für die Instandhaltung des<br />
Sportgeländes…“). Auch daraus ergibt sich, dass eine Piste keine freie Natur<br />
ist.<br />
9. Die Kennzeichnungsverordnung von 1983 (s.o. bei Zf. 2) regelt die Beschilderung<br />
für den Sportbetrieb auf Abfahrten. Hiernach sind klar die Pistenkennzeichnungen<br />
und Randmarkierungen vorgeschrieben, die die Piste als Sportanlage<br />
vom übrigen Gelände, das freie Natur sein kann, abgrenzt. Die Pistenrandmarkierungen<br />
stellen eine wichtige Kennzeichnung dar, um die Verkehrssicherungspflichten<br />
des Pistenbetreibers klar eingrenzen und von der Eigenverantwortung<br />
der Skifahrer abgrenzen zu können.<br />
10. Die „Internationale Vereinigung Sport- und Freizeiteinrichtungen“ (IAKS) erarbeitete<br />
bereits in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts Richtlinien für<br />
Wintersportanlagen (IAKS Richtlinien: Anlagen für den Skisport, Kapitel 1:<br />
Skiabfahrten) mit detaillierten Anforderungen an Planung und Betrieb von Pisten.<br />
Daraus lässt sich klar erkennen, dass Pisten (Winter-)Sportanlagen sind<br />
und nicht der freien Natur zugerechnet werden können.<br />
11. Bereits in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts wurden umfangreiche<br />
Kartierungen aller bayerischen Skigebiete mit genau vermessenen Pistenflächen<br />
durch das Landesamt für Umweltschutz (LfU) angefertigt. Dies zeigt die<br />
Bedeutung der Pisten als Sportanlagen.<br />
12. Das Protokoll „Tourismus“ der Alpenkonvention beinhaltet Regelungen zum<br />
Bau, Unterhalt und Betrieb von Skipisten, anhand dessen eine möglichst einheitliche<br />
Vorgehensweise für den gesamten Alpenraum sichergestellt werden<br />
soll. Auch daraus lässt sich schlussfolgern, dass Pisten international als bauliche<br />
Anlagen gelten.<br />
19
Helga Wagner<br />
Tourengeher auf Skipisten<br />
13. Art. 141 Abs. 3 Bayerische Verfassung gewährt das (Grund-)Recht auf „Genuss<br />
der Naturschönheiten und Erholung in der freien Natur, insbesondere<br />
das Betreten von Wald und Bergweide, das Befahren der Gewässer…“ und<br />
setzt voraus, dass die Erholung in der „freien Natur“ ausgeübt wird. Da die<br />
Aufzählung beispielhaft und nicht abschließend ist, sind die tatsächlichen Gegebenheiten<br />
zu berücksichtigen, inwieweit eine Fläche als „freie Natur“ eingeordnet<br />
werden kann. Eine Piste mit baulichen Anlagen, die präpariert wird, mit<br />
Beschneiungseinrichtungen, Randmarkierungen, Kennzeichnungen u.v.m.<br />
versehen ist, also keine „natürliche“ Anlage zur Skiabfahrt mehr darstellt, lässt<br />
sich aufgrund dieser tatsächlichen Gegebenheiten nicht unter den Begriff<br />
„freie Natur“ subsumieren. Auch sei an dieser Stelle nochmals der Vergleich<br />
mit einem Golfplatz gestattet, der ebenfalls nicht als „freie Natur“, sondern als<br />
Sportanlage eingestuft wird.<br />
14. Art. 27 Abs. 1 BayNatSchG regelt das Recht auf Betreten der „freien Natur“<br />
und führt insbesondere Wald, Bergweide, Fels, Ödungen, Brachflächen, Auen,<br />
Uferstreifen und landwirtschaftlich genutzte Flächen an. Der Begriff der „freien<br />
Natur“ ist aber gesetzlich nicht definiert (s.o. Ausführungen bei Zf. 13). Die<br />
Aufzählung beinhaltet keine Pisten, obwohl Skiabfahrten beispielsweise in Art.<br />
10 BayNatSchG (Erlaubnispflicht) und in Art. 40 BayNatSchG (Enteignungsmöglichkeit)<br />
ausdrücklich Erwähnung finden. Dies spricht dafür, dass Pisten<br />
nicht unter den Begriff der „freien Natur“ fallen.<br />
15. Der Gesetzgeber hat in Art. 40 BayNatSchG eine Enteignungsmöglichkeit zugunsten<br />
des Freistaats Bayern zur Schaffung von Skiabfahrten vorgesehen,<br />
um der Allgemeinheit den Genuss der freien Natur zu ermöglichen. Eine Enteignung<br />
einer zur „freien Natur“ zählenden Fläche zur Schaffung von Skiabfahrten<br />
wäre sinnwidrig, und spräche gerade gegen die Annahme, eine Piste<br />
wäre „freie Natur“. Andernfalls bedürfte es keiner Enteignung, um der Allgemeinheit<br />
den Genuss der Natur zu ermöglichen.<br />
16. Der Bundesgesetzgeber regelt in § 59 Abs. 1 Bundesnaturschutzgesetz<br />
(BNatSchG) nur „das Betreten der freien Landschaft auf Straßen und Wegen<br />
sowie auf ungenutzten Grundflächen zum Zweck der Erholung“. Eine Piste<br />
stellt aber im Winter eine für den alpinen Skisport genutzte Fläche dar.<br />
20
Helga Wagner<br />
Tourengeher auf Skipisten<br />
17. Außerdem ermächtigt § 59 Abs. 2 Satz 2 BNatSchG die Länder, das Betretungsrecht<br />
aus wichtigen Gründen einzuschränken. Das Bayerische Naturschutzgesetz<br />
weicht hier vom Bundesnaturschutzgesetz ab, und es darf an<br />
dieser Stelle – trotz der nach Art. 72 Abs, 3 Satz 1 Nr. 2 GG bestehenden<br />
konkurrierenden Gesetzgebung – dahingestellt sein, inwieweit die Ausweitung<br />
durch das Bay. Naturschutzgesetz Bestand hat, nachdem das Bundesgesetz<br />
zwar Einschränkungen gestattet, jedoch keine Ausweitungen. In anderen<br />
Bundesländern sind Pisten keine „freie Natur“, da es sich nicht um ungenutzte<br />
Flächen handelt.<br />
18. Auch in einer höchstrichterlichen Entscheidung des Bundesgerichtshofes<br />
(BGH-Urteil vom 26.11.2002; VI ZR 449/01) wird bei einem Skiunfall auf einer<br />
Skipiste von „Sportstätte“ gesprochen. 2<br />
Hier sieht man ein Wintersportareal als „Sportanlage“ mit Skipiste, Rodelbahn,<br />
Randmarkierungen, Pistenkennzeichnungen/-nummerierungen, Hinweistafeln, Seilbahnanlagen,<br />
Infrastruktur, Gastronomie etc.<br />
Ob es sich um freie Natur handelt, richtet sich im Einzelfall jeweils nach den „tatsächlichen<br />
Gegebenheiten“, d.h. ob ein Gelände durch bauliche oder sonstige Anlagen<br />
verändert ist. Eine Piste ist präpariert, beschneit und mit baulichen Einrichtungen wie<br />
2<br />
Anm.: Zf. 17 und Zf. 18 wurden im Vortrag am 24.11.<strong>2011</strong> nicht näher erläutert.<br />
21
Helga Wagner<br />
Tourengeher auf Skipisten<br />
z.B. Funparks mit Halfpipes etc. versehen. Man kann also in Anbetracht der „tatsächlichen<br />
Gegebenheiten“ nicht von „freier Natur“ sprechen.<br />
Ergebnis:<br />
Aus diesen insgesamt 18 aufgezeigten Gründen lässt sich als Fazit ziehen: eine Piste<br />
ist ausschließlich eine zur Abfahrt mit Ski bestimmte Fläche und während des Nutzungszeitraumes<br />
im Winter keine freie Natur, sondern eine Sportanlage. Für diese<br />
Sportanlage obliegt dem Pistenbetreiber die Verkehrssicherungspflicht, d.h. dass bei<br />
bestimmungsgemäßer Nutzung keine atypischen Hindernisse auf der Piste bestehen.<br />
V. Wann ist eine Piste eine „Sportanlage“?<br />
Eine Piste ist nicht nur während der Öffnungszeiten, d.h. während der Betriebszeit<br />
von Beginn der morgendlichen Öffnung des Seilbahnbetriebs bis zum Ende der letzten<br />
Kontrollfahrt (Uhrzeiten werden an den Liftstationen angezeigt) eine „Sportanlage“.<br />
Das Gelände als Pistenareal verliert nicht nach Pistenschluss seine rechtliche Einordnung<br />
als „Sportanlage“, nur weil vom Widmungszweck als Skiabfahrt seitens der<br />
Skifahrer kein Gebrauch mehr gemacht wird. Auch die zur Erhaltung dieses Widmungszwecks<br />
notwenigen Maßnahmen wie Präparierungsarbeiten (Achtung Seilwinde!<br />
Lebensgefahr!), Aushärtungszeiten, Lawinensprengungen, Beschneiungsarbeiten<br />
während die Piste geschlossen bzw. gesperrt ist, dienen der Erhaltung des Geländes<br />
als „Sportanlage“, weshalb auch zwischen der abendlichen Pistenschließung<br />
und dem morgendlichen Pistenöffnen diese Rechtsqualität erhalten bleibt. Eine Skipiste<br />
ist demnach während der winterlichen Nutzungszeit immer eine „Sportanlage“<br />
und es ist unerheblich, ob sie geschlossen / gesperrt oder geöffnet ist.<br />
22
Helga Wagner<br />
Tourengeher auf Skipisten<br />
VI.<br />
Was ist das Problem?<br />
Ganz entscheidend ist das Problem der Gefährdung:<br />
- für abfahrende Skifahrer als „Gegenverkehr“ („Geisterfahrer“), besonders an<br />
Engstellen u. ä., inkl. der eigenen Gefährdung der Tourengeher selbst<br />
- durch Behinderung bei Sperrungen wegen Lawinensprengungen<br />
- während Präparierungsarbeiten (Seilwinde! Lebensgefahr!)<br />
- während Beschneiung (Kabel, Schläuche u.ä.)<br />
- durch Spuren in frisch präparierter Piste (nach Durchfrierung erhöhte Unfallgefahr<br />
für Pistennutzer nach Pistenöffnung)<br />
VII.<br />
Verkehrssicherungspflicht<br />
Warum müssen Tourengeher überhaupt auf Pisten / Skiabfahrten aufsteigen? Wären<br />
Pisten „freie Natur“, würde sich die Frage der – dem Pistenbetreiber obliegenden –<br />
Verkehrssicherungspflicht neu stellen.<br />
23
Helga Wagner<br />
Tourengeher auf Skipisten<br />
Nach § 823 BGB haftet der Pistenbetreiber seinen Gästen / Kunden für Schäden,<br />
wenn er die zur Schadensvermeidung erkennbaren und erforderlichen Vorsichts- und<br />
Sicherungsmaßnahmen nicht getroffen hat, also seine Verkehrssicherungspflicht verletzt<br />
hat.<br />
Verkehrssicherungspflicht bedeutet nach BGH:<br />
„Derjenige, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenlage für Dritte schafft<br />
oder andauern lässt, z.B. durch Eröffnung eines Verkehrs, hat Rücksicht auf diese<br />
Gefährdung zu nehmen und deshalb die allgemeine Rechtspflicht, diejenigen Vorkehrungen<br />
zu treffen, die erforderlich und ihm zumutbar sind, um die Schädigung<br />
Dritter möglichst zu verhindern.“<br />
Der Umfang der Verkehrssicherungspflicht bestimmt sich nach den Grundsätzen der<br />
- Zumutbarkeit<br />
- Verkehrsauffassung<br />
- Leistungsfähigkeit des Sicherungspflichtigen<br />
und erstreckt sich nur auf atypische Gefahren.<br />
Gilt ein Tourengeher als atypische Gefahr? Grundsätzlich auf überschaubaren Pisten<br />
nicht, an engen und unübersichtlichen Stellen jedoch schon. Keinesfalls sind gegen<br />
die allgemeine Fahrtrichtung aufsteigende Tourengeher pistenkonform, denn sie erhöhen<br />
um ein Vielfaches das Kollisionsrisiko.<br />
Wie weit geht die rechtliche Verpflichtung des Pistenbetreibers gegenüber abfahrenden<br />
Skifahrern, diese im Rahmen seiner Verkehrssicherungspflicht vor aufsteigenden<br />
Tourengehern zu „schützen“?<br />
VIII.<br />
Auffassung des Juristischen Beirats des DSV:<br />
Alle diese Probleme wurden eingehend im Juristischen Beirat des Deutschen Skiverbandes<br />
(DSV) erörtert, so dass dieser zu folgender Auffassung gelangt ist:<br />
1. Eine Piste ist eine Sportanlage, die aus der freien Natur ausgegrenzt ist und<br />
auf der zu keiner Zeit ein freies Betretungsrecht besteht.<br />
2. Nach DIN 32 912 ist eine Piste eine zur Abfahrt mit Ski vorgesehene Strecke.<br />
3. Dem Pistenbetreiber obliegt die Verkehrssicherungspflicht.<br />
24
Helga Wagner<br />
Tourengeher auf Skipisten<br />
4. Verstöße gegen die zulässige Nutzung nach Ziffern 1 und 2 können mit Mitteln<br />
des Zivilrechts („Hausrecht“ des Pistenbetreibers) bzw. des Öffentlichen<br />
Rechts (Sperrung durch den zuständigen Hoheitsträger) abgewehrt werden.<br />
5. Hinweise auf das fehlende Betretungsrecht sollten so gefasst werden, dass<br />
sie nicht als Übernahme einer Verpflichtung Zuwiderhandelnde fernzuhalten<br />
missverstanden werden können.<br />
IX.<br />
Mögliche Maßnahmen:<br />
Bereits im Jahr 2003, als Tourengeher auf Pisten nur vereinzelt unterwegs waren,<br />
hat sich eine Expertenrunde aus Deutscher Alpenverein (DAV), Verband Deutscher<br />
Seilbahnen (VDS), Deutscher Skiverband (DSV), Bay. Innenministerium, Landesamt<br />
für Umweltschutz (LfU), Lawinenwarndienst, Bergwacht, Deutscher Skilehrerverband<br />
(DSLV), Bergbahnen, Gemeinden etc. zusammengefunden und die 10 DAV-Regeln<br />
für Skitourengeher auf Skipisten erarbeitet.<br />
Diese erstmals im Winter 2003/04 veröffentlichten Regeln und Tipps basierten auf<br />
der Duldung einzelner Tourengeher auf Pisten. Beim Aufsteigen am Pistenrand und<br />
nur hintereinander gehend wurde auf FIS-Regel Nr. 7 verwiesen, wobei klar gestellt<br />
25
Helga Wagner<br />
Tourengeher auf Skipisten<br />
werden muss, dass das Aufsteigen am Pistenrand dadurch nicht „legitimiert“ wird.<br />
Vielmehr bezieht sich diese FIS-Regel nur auf Ausnahmefälle, und der seit Inkrafttreten<br />
der FIS-Regeln 1967 unverändert zugrunde liegende Regelungsgedanke betrifft<br />
ausschließlich den abfahrenden Skifahrer, der aus bestimmten Gründen (Verletzung,<br />
Materialdefekt, Überforderung etc.) gezwungen ist, auf eine Fortsetzung der Abfahrt<br />
zu verzichten.<br />
Durch die anfängliche Duldung einzelner Tourengeher auf Pisten haben viele Pistengeher<br />
einen Anspruch entwickelt, es gelte für sie das „freie Betretungsrecht“, sprich<br />
sie wären „befugt“ auf den Pisten unterwegs nach oben. Durch die oben angeführten<br />
18 Gründe ist diese Annahme aber widerlegt.<br />
Es besteht kein freies Betretungsrecht, da Pisten keine freie Natur darstellen. Selbst<br />
wenn man ein freies Betretungsrecht annehmen würde, müsste das „Grund“-Recht<br />
(auf freies Betreten) hinter öffentlich-rechtlichen <strong>Sicherheit</strong>serwägungen zurücktreten,<br />
d.h. hinter den Erfordernissen der öffentlichen <strong>Sicherheit</strong> und den überwiegenden<br />
Rechten Dritter (= abfahrende Skifahrer).<br />
Denn das Gebot der Gemeinverträglichkeit (Art. 26 Abs. 2 Satz 2 und 3 Bay-<br />
NatSchG) besagt, dass jede Rechtsausübung gemeinverträglich sein muss, d.h. das<br />
Betretungsrecht hätte dort seine Grenze, wo die Rechtsausübung der anderen in<br />
vermeidbarer Weise beeinträchtigt oder gar verhindert wird. Dieses allgemein gültige<br />
Gebot der Rücksichtnahme beinhaltet selbstverständlich auch das Verbot, durch<br />
Ausübung des Betretungsrechts die <strong>Sicherheit</strong> der anderen Berechtigten zu gefährden.<br />
Bestimmungsgemäß ist die Piste eben zum Abfahren angelegt.<br />
Bisher liegt noch kein (höchst-)richterliches Urteil vor.<br />
Ungeachtet dieser rechtlichen Situation bahnen sich jetzt in verschiedenen Wintersportgebieten<br />
Lösungsansätze durch Lenkungsmaßnahmen an, die das unbestreitbar<br />
zunehmend vorhandene Gefährdungs- und Konfliktpotential reduzieren.<br />
26
Helga Wagner<br />
Tourengeher auf Skipisten<br />
X. Gemeinsame Position DAV und VDS<br />
Im November <strong>2011</strong> konnten sich der Deutsche Alpenverein (DAV) und der Verband<br />
Deutscher Seilbahnen (VDS) auf eine gemeinsame Position einigen:<br />
Die vier zentralen Punkte:<br />
1. DAV und VDS bringen sich aktiv ein, um Konflikte durch Skitouren auf Pisten<br />
zu lösen. Skigebiete mit erheblichem Handlungsbedarf gibt es vor allem im<br />
Einzugsbereich Münchens. Für viele andere Skigebiete der Bayerischen Alpen<br />
ist der Handlungsbedarf momentan gering oder nicht gegeben, da bereits akzeptable<br />
Lösungen gefunden und erfolgreich umgesetzt wurden. Ziel ist es, zu<br />
erreichen, dass in allen bayerischen Skigebieten Aufstiegsmöglichkeiten für<br />
Tourengeher zur Verfügung stehen.<br />
2. Skitourengeher im Bereich von Pistenskigebieten sind verpflichtet, sich an die<br />
zehn DAV-Regeln für Skitouren auf Pisten sowie an örtliche Regelungen der<br />
Skigebiete, z.B. ausgewiesene Aufstiegsrouten für Tourengeher oder zeitlich<br />
befristete Sperrungen, zu halten.<br />
3. Zeitlich befristete Sperrungen von Pistenabschnitten (etwa Engpassagen), bestimmten<br />
Abfahrten oder Skiwegen zur Vermeidung von Unfallgefahren können<br />
in Einzelfällen nötig sein.<br />
4. Zur Erarbeitung praktikabler Lösungen für Skigebiete mit Handlungsbedarf organisiert<br />
und moderiert der DAV Gesprächsrunden auf örtlicher Ebene. Im Dialog<br />
mit den Beteiligten (Vertreter der Bergbahnen und Lifte, Gemeinden, zuständigen<br />
DAV-Sektionen etc.) kann dabei auf die jeweiligen Gegebenheiten<br />
vor Ort detailliert eingegangen werden.<br />
XI.<br />
Lösungsansätze für eine effektive Gefahrvermeidung<br />
Aufgrund des Gefährdungspotentials und der Nutzungseinschränkung für die Abfahrer<br />
können zukünftig auch strikte Trennungen von Aufstieg und Abfahrt notwendig<br />
werden. Aus <strong>Sicherheit</strong>sgründen können die Gemeinden auf Hauptabfahrten und<br />
auch auf Pisten von ihrer Sperrmöglichkeit nach Art. 24 LStVG Gebrauch machen.<br />
Ebenso kann der Betreiber aus <strong>Sicherheit</strong>serwägungen Sperrungen nach Art. 27, 33,<br />
27
Helga Wagner<br />
Tourengeher auf Skipisten<br />
34 BayNatSchG anzeigen oder nach dem „Hausrecht“ mit entsprechendem Abwehrbzw.<br />
Unterlassungsanspruch sperren.<br />
Grundgedanke ist immer die <strong>Sicherheit</strong>, d.h. oberste Priorität genießt die <strong>Sicherheit</strong><br />
der abfahrenden Skifahrer wie der aufsteigenden Tourengeher. Sperrungen aus<br />
Gründen der <strong>Sicherheit</strong> lassen sich aus drei Lösungsansätzen entwickeln:<br />
1. Gemeinde kann als <strong>Sicherheit</strong>sbehörde Pisten sperren<br />
(Art. 24 Abs. 2 S. 1 LStVG)<br />
Gemeinden können in ihrer Funktion als <strong>Sicherheit</strong>sbehörden durch Anordnung für<br />
den Einzelfall den Sportbetrieb auf einer Hauptabfahrt oder sonstigen Skiabfahrt vorübergehend<br />
untersagen oder beschränken, wenn es zur Verhütung von Gefahren<br />
oder sonst aus wichtigen Gründen erforderlich ist.<br />
2. Anzeige einer Sperre – unter Vorbehalt – durch Betreiber<br />
(Art. 27, 33, 34 BayNatSchG)<br />
Der Betreiber eine Piste kann eine Sperre – unter Vorbehalt (ohne Anerkennung einer<br />
Rechtspflicht, dass eine Piste als „freie Natur“ eingestuft wird) – anzeigen, wenn<br />
die zulässige Nutzung der Skipiste nicht unerheblich behindert oder eingeschränkt<br />
wird, wozu nach Meinung des Bay. Umweltministeriums ausdrücklich auch der sichere<br />
Betrieb einer Skipiste gehört.<br />
3. Hausrecht: Pistenbetreiber kann kraft seines Verfügungsrechts Piste<br />
sperren<br />
(§§ 903, 1004 BGB)<br />
Auf Grundlage seines zivilrechtlichen „Hausrechts“ kann der Pistenbetreiber, gleich<br />
ob Eigentümer oder Pächter, Tourengeher von der Nutzung seiner Pisten ausschließen<br />
oder räumliche bzw. zeitliche Beschränkungen vornehmen.<br />
Das Hausrecht beruht auf dem Grundeigentum oder dem –besitz und ist zugleich<br />
Ausdruck der grundrechtlich gewährleisteten Privatautonomie. Das bedeutet, dass<br />
28
Helga Wagner<br />
Tourengeher auf Skipisten<br />
der Inhaber des Hausrechts in der Regel frei darüber entscheiden kann, wem er Zutritt<br />
gestattet und wem er den Zutritt verwehrt. Er ist nicht zur Duldung von Tourengehern<br />
auf Pisten verpflichtet.<br />
Oder Individuallösungen bestimmter Wintersportgebiete:<br />
Positiv sind neben diesen drei Sperrmöglichkeiten verschiedene Individuallösungen<br />
und innovative Angebote, die in einigen Skigebieten gefunden werden konnten.<br />
Beispielhaft seien hier eigene ausgewiesene, präparierte und teils sogar beschneite<br />
Aufstiegsspuren für Tourengeher genannt, bei denen es allerdings wieder zu Problemen<br />
mit der Verkehrssicherungspflicht führen kann.<br />
Oder es werden eigene Tourengeher-Abende angeboten, an denen es Tourengehern<br />
ermöglicht wird, bestimmte Aufstiegsspuren zu nutzen. Dann wird mit der Präparierung<br />
der Pisten durch Pistenraupen bis zum Ende der jeweils angeschlagenen<br />
Zeit für den Tourengeherabend gewartet.<br />
Im Anschluss an diesen Vortrag folgt ein Erfahrungsbericht mit praktischen Beispielen<br />
aus Garmisch-Partenkirchen von Peter Huber, Vorstand der Bayerischen Zugspitzbahn<br />
Bergbahn AG und Vorsitzender Vorstand des VDS.<br />
XII.<br />
Schlussbemerkung:<br />
Der Appell meinerseits lautet deshalb: das öffentlich-rechtliche Prinzip einhalten und<br />
„<strong>Sicherheit</strong> durch Gefahrvermeidung gewährleisten“!<br />
Dieses Alpinsymposium hat sich u. a. zum Ziel gesetzt dazu beizutragen, die <strong>Sicherheit</strong><br />
zu erhöhen und Unfälle zu vermeiden. In diesem Sinn appelliere ich an die Vernunft<br />
der „Pistengeher“, ihren Sport nicht auf Pisten, sondern als „Tourengeher“ in<br />
der freien Natur auszuüben. Damit könnten alle Sporttreibenden möglichst gefahrlos<br />
ihre Sportart genießen, damit ein konfliktfreies Miteinander funktionieren kann. Zu<br />
hoffen bleibt, dass kein Unfall die Freude an wintersportlicher Betätigung trübt, egal<br />
ob man auf Alpinskiern oder auf Tourenskiern unterwegs ist.<br />
29
Helga Wagner<br />
Tourengeher auf Skipisten<br />
LITERATURVERZEICHNIS:<br />
Die nachfolgenden Hinweise sind bewusst auf einige repräsentative Literaturangaben<br />
beschränkt. Deren Heranziehung ermöglicht es, über die dortigen Literaturverzeichnisse<br />
bzw. Fußnoten an weitere Fundstellen zu konkreten Fragestellungen zu<br />
gelangen.<br />
Dambeck Gerhard / Wagner Helga,<br />
Recht und <strong>Sicherheit</strong> im organisierten Skiraum,<br />
Oktober 2007, Interski Vermittlungs-, Reise- und Verlags-GmbH, München - Planegg<br />
Dambeck Gerhard / Wagner Helga,<br />
„Streit um die freie Natur – wem gehört die Skipiste?“ in FdSnow Fachzeitschrift für<br />
den Skisport, <strong>2011</strong>, S. 32, Hrsg.: Freunde des Skisports im DSV / Stiftung <strong>Sicherheit</strong><br />
im Skisport, Planegg<br />
Engelhardt / Brenner / Fischer-Hüftle,<br />
Naturschutzrecht in Bayern, Kommentar,<br />
Oktober 2009 (neuester Stand: Dez. <strong>2011</strong>), rehm Verlag, Heidelberg<br />
Fritzweiler Jochen / Pfister Bernhard / Summerer Thomas,<br />
Praxishandbuch Sportrecht,<br />
2007, Verlag C.H. Beck, München<br />
Gassner / Bandomir-Kahlo / Schmidt-Räntsch,<br />
BNatSchG, Kommentar,<br />
2003, Verlag C.H. Beck, München<br />
Katschthaler Helmut / Mayer Christian A.,<br />
„Achtung Gegenverkehr! – Tourengeher auf Skipisten“ in SpuRt Zeitschrift für Sport<br />
und Recht, <strong>2011</strong>, S. 46, Verlag C.H. Beck, München<br />
Lindner / Möstl / Wolff,<br />
Verfassung des Freistaates Bayern, Kommentar,<br />
2009, Verlag C.H. Beck, München<br />
Tausch, Christian,<br />
BayNatSchG, Kommentar,<br />
2007, Kohlhammer Verlag, Stuttgart<br />
Wagner, Helga,<br />
„Vorsicht! Gegenverkehr auf Pisten“ in SpuRt Zeitschrift für Sport und Recht,<br />
2012, S. 16, Verlag C.H. Beck, München<br />
Links im Internet:<br />
VDS Verband Deutscher Seilbahnen >www.seilbahnen.de<<br />
OITAF Internationale Organisation für das Seilbahnwesen >www.oitaf.org<<br />
DSV Deutscher Skiverband >www.deutscherskiverband.de<<br />
DSLV Deutscher Skilehrerverband >www.skilehrerverband.de<<br />
DAV Deutscher Alpenverein >www.alpenverein.de<<br />
30
Dr. Klaus Weber / Peter Janssen<br />
Touren auf Skipisten: Betretungsrecht und sonstige Aspekte<br />
Touren auf Skipisten: Betretungsrecht und sonstige Aspekte<br />
Dr. Klaus Weber 1 / Peter Janssen 2<br />
1. Touren auf Skipisten: Ein neuer Trendsport mit vielen Qualitäten<br />
Tourengehen auf Skipisten hat in den letzten Jahren<br />
einen enormen Aufschwung genommen. Es ist heute<br />
ein Trendsport mit starker Zunahme. Das ist kein Zufall,<br />
denn Tourengehen auf Skipisten bietet eine Vielzahl<br />
an Vorteilen für Mensch und Natur.<br />
Der Aufstieg ist gesundheitsfördernd, die Abfahrt ein sportliches Erlebnis. Aufstieg<br />
und Abfahrt sind sicherer als abseits im Gelände, besonders für Tiefschnee-<br />
Ungeübte sowie zur Dunkelheit. Tourengehen mit Pistennutzung ist eine optimale<br />
Verbindung von Gesundheit, Sport und <strong>Sicherheit</strong>.<br />
Den Liftbetreibern entgeht kein Liftentgelt, aber die Tourengeher bringen den Gaststätten<br />
im Skigebiet zusätzliche Einnahmen. Die Nutzung der Parkplätze lässt sich<br />
durch Parkgebühr mit Anrechnung auf Liftentgelt und Gaststättenkonsum regeln.<br />
Hersteller und Verkäufer von Tourenski-Ausrüstung erzielen deutlich höhere Einnahmen.<br />
Der Tourenski-Absatz steigt dank der Pisten-Tourengeher kräftig an und hat<br />
mit dem Alpinski-Absatz gleichgezogen.<br />
Tourengeher sind hinsichtlich Anzahl und Kaufkraft interessante Gäste in den Skiorten<br />
und Skigebieten. Sie entsprechen dem touristischen Wunschbild (Gesundheit,<br />
Sport, Natur, Ruhe, Familie, Nachhaltigkeit). In den Ferienregionen stärkt das Skitourengehen<br />
mit Pistennutzung das Winterangebot, ein touristisches Hauptanliegen in<br />
Oberbayern.<br />
Tourengehen auf oder entlang der Piste vermeidet zusätzliche Störungen von Wildtieren.<br />
Dies ist besonders wichtig im Winter, wenn die Tiere ernährungs- und kräftemäßig<br />
am Limit sind und Tourengeher im freien Gelände schädliche Fluchtreaktionen<br />
auslösen würden.<br />
1<br />
2<br />
Dr. Klaus Weber ist Präsident des Landgerichts Traunstein a.D.<br />
Peter Janssen ist Rechtsanwalt und Erster Bürgermeister der Stadt Tegernsee.<br />
31
Dr. Klaus Weber / Peter Janssen<br />
Touren auf Skipisten: Betretungsrecht und sonstige Aspekte<br />
Trotz dieser beispielhaft genannten Vorteile versuchen Liftbetreiber das Tourengehen<br />
mit Pistennutzung zu verbieten. Dabei wird der Eindruck erweckt, dass die Tourengeher<br />
in fremdes, ihnen nicht zustehendes Gelände einzudringen versuchen.<br />
2. Wie war es wirklich: wer war zuerst da?<br />
Viele, wohl die meisten, Pisten waren ursprünglich schöne (und meist auch einigermaßen<br />
sichere) Abfahrten, die jahrzehntelang als Tourenabfahrten genutzt wurden,<br />
bevor sie ganz oder teilweise durch Aufstiegshilfen „erschlossen“ wurden.<br />
Abb. 1- Sudelfeld in den 60er Jahren<br />
Es sind also nicht die Tourengeher, die einen ihnen nicht zustehenden Bereich zu<br />
erobern versuchen, sondern es sind die Tourengeher, die aus der Heimat für ihren<br />
Sport verdrängt wurden. Das Tourengehen wurde auf Berge ohne Lifte und Pisten<br />
und damit in aller Regel in schwierigeres und gefährlicheres Gelände abgedrängt.<br />
Zwangsläufig sind auch heute noch einige beliebte Skitouren, etwa die Rotwandreibn,<br />
nur mit Benutzung einer Piste, hier der Taubensteinabfahrt (früher Lochgra-<br />
32
Dr. Klaus Weber / Peter Janssen<br />
Touren auf Skipisten: Betretungsrecht und sonstige Aspekte<br />
ben), möglich; wird die Tour in umgekehrter Richtung begangen, muss über die Piste<br />
auch aufgestiegen werden.<br />
Abb. 2 – Oberer Lochgraben (Teil der Rotwandreib`n)<br />
Das Hinausdrängen der Tourengeher war – aus der Sicht der Liftbetreiber – so lange<br />
unproblematisch, als diese die nicht zwingend notwendige Benutzung einer Piste als<br />
uninteressant oder sogar als unsportlich empfunden haben. Dies wird heute nicht<br />
mehr so gesehen. Klassische Tourenfahrer erinnern sich der schönen und weitgehend<br />
ungefährlichen Tourenabfahrten ihrer jungen Tage und wollen sich nicht mehr<br />
zu jeglicher Ausübung ihres Sports auf weniger geeignetes und gefährliches Gelände<br />
abdrängen lassen. Im Grunde holen sich die Tourengeher damit nur das zurück, was<br />
ihnen damals weggenommen wurde. Daran wird nichts dadurch geändert, dass derzeit<br />
eine neue Generation Skifahrer den Aufstieg auf der Piste für sich entdeckt hat.<br />
Auch sie nutzen nur ein leichteres und ungefährlicheres Gelände, das ihnen auch<br />
33
Dr. Klaus Weber / Peter Janssen<br />
Touren auf Skipisten: Betretungsrecht und sonstige Aspekte<br />
ohne Piste zur Verfügung stehen würde. Dass Teile dieser Pisten künstlich beschneit<br />
werden, liegt nicht in ihrer Verantwortung.<br />
3. Es geht nicht um geringfügige Geländeabschnitte<br />
Bei dem Hinausdrängen der Tourengeher geht es keineswegs nur um geringfügige<br />
Geländeabschnitte. Die Bergbahnen im Skigebiet Sudelfeld rühmen sich einer Pistenlänge<br />
von 31 km.<br />
Abb. 3 – Sudelfeld heute<br />
34
Dr. Klaus Weber / Peter Janssen<br />
Touren auf Skipisten: Betretungsrecht und sonstige Aspekte<br />
Die Spitzingsee-Bergbahnen werben ebenfalls mit einer solchen von 31 km.<br />
Abb. 4 – Spitzingseegebiet heute<br />
Das Brauneck-Skigebiet nennt 34 Pistenkilometer.<br />
Abb.5 – Brauneck-Skigebiet<br />
Allein in diesen drei Skigebieten sind rund 100 km Natur von der Sperre betroffen. Es<br />
geht daher um sehr große Flächen, die aus der freien Natur herausgeschnitten und<br />
allein einer gewerblichen Nutzung dienstbar gemacht werden sollen.<br />
4. Begründungsmuster für die Sperren – <strong>Sicherheit</strong> -<br />
Als Begründung für die Sperren werden gegenüber der Öffentlichkeit vor allem Gründe<br />
der <strong>Sicherheit</strong> behauptet.<br />
35
Dr. Klaus Weber / Peter Janssen<br />
Touren auf Skipisten: Betretungsrecht und sonstige Aspekte<br />
Abb. 6 – Sperrschild Sudelfeld 2010<br />
4.1 Der aufsteigende Skifahrer während der Pistenöffnung<br />
Dabei wird zunächst das Schreckgespenst des aufsteigenden Skifahrers bemüht, der<br />
unvermittelt die (geöffnete) Piste kreuzt. An sich hat sich der aufsteigende Skifahrer 3<br />
an die FIS-Regel Nr. 7 4 zu halten, die ihn zum Aufsteigen am Pistenrand verpflichtet.<br />
5 Lediglich bei Steilstellen ist auch ein Aufstieg mit Spitzkehren, die sich möglichst<br />
am Pistenrand halten, erlaubt und zulässig. 6 Daneben gilt die FIS-Regel Nr. 1, wonach<br />
auch der aufsteigende Skifahrer alles daran setzen muss, andere nicht zu gefährden<br />
oder zu schädigen.<br />
3<br />
Die Regel gilt keineswegs nur für Skifahrer, die auf Grund eines Materialdefekts, eines Sturzes oder aus sonstigen<br />
Gründen aufsteigen, sondern auch für den „Tourengeher“, der auf einer präparierten Piste aufsteigt (Hammerstingl,<br />
Die Erforderlichkeit spezifischer staatlicher Regelungen im alpinen Skisport, <strong>2011</strong>, S. 338).<br />
4<br />
Die FIS-Regeln werden von manchen Gerichten (Oberlandesgericht [OLG] Koblenz Neue Juristische Wochenschrift<br />
[NJW]-Spezial <strong>2011</strong>, 266; OLG Brandenburg NJW-RR 2006, 1558; OLG Hamm NJW-RR 2001, 1537)<br />
als Gewohnheitsrecht angesehen, so dass sie für jeden, also auch für den aufsteigenden Skifahrer, unmittelbar<br />
gelten. Zumindest sind sie als Verkehrsnormen anzusehen (Kocholl in „<strong>Sicherheit</strong> im Bergland“ 2008, 202<br />
[205/206]; Weber in „<strong>Symposium</strong> Alpinrecht“, Bad Reichenhall, 2009, 162 [173]; zu eng Hammerstingl [Fn 3], S.<br />
127f), so dass auch hier jeder gut beraten ist, sich an sie halten, wenn er den Vorwurf der Fahrlässigkeit vermeiden<br />
will. Der aufsteigende Skifahrer, der dagegen verstößt und auch etwaige entsprechende Anweisungen des<br />
Pistenpersonals nicht befolgt, handelt daher nicht nur unvernünftig, sondern rechtswidrig oder jedenfalls schuldhaft.<br />
5<br />
Denselben Grundsatz enthält die Nr. 2 der DAV-Regeln für Skitourengeher auf Skipisten. Allerdings sind die<br />
DAV-Regeln weder Gewohnheitsrecht noch eine Verkehrsnorm (Hammerstingl [Fn 3] S. 134; 351). Sie haben<br />
gleichwohl Bedeutung als ein Element des Maßstabes, der an das Verhalten eines umsichtigen und verständigen,<br />
in vernünftigen Grenzen vorsichtigen Skifahrers im Aufstieg auf einer Skipiste (differenzierte Maßfigur) anzulegen<br />
ist und spielen insoweit im Rahmen der Fahrlässigkeit eine Rolle.<br />
6<br />
Stabentheiner in „gehen, steigen, klettern“, alpine rechtsfragen, Seminarbericht [Hrsg. OLG Innsbruck, OeAV,<br />
DAV] 2008 S. 32 [33])<br />
36
Dr. Klaus Weber / Peter Janssen<br />
Touren auf Skipisten: Betretungsrecht und sonstige Aspekte<br />
Aber auch, wenn der aufsteigende Skifahrer die Piste queren muss, ist er langsam<br />
und berechenbar unterwegs. Er ist von weitem sichtbar und unterscheidet sich nicht<br />
von gestürzten oder auf der Piste stehengebliebenen Abfahrern oder Gruppen von<br />
Abfahrern, wie sie häufig von Freunden, Familien oder Skischulen gebildet werden.<br />
Schon wegen der Häufigkeit und Üblichkeit solcher Vorgänge muss der Abfahrer<br />
stets damit rechnen 7 und kann schon deswegen nicht mit einem Autofahrer verglichen<br />
werden, der unvermittelt auf einen Geisterfahrer trifft.<br />
Entscheidend fällt aber ins Gewicht, dass sich der abfahrende Skifahrer an die FIS-<br />
Regel Nr. 2 (Beherrschung der Geschwindigkeit und der Fahrweise) zu halten hat. 8<br />
Danach muss jeder Skifahrer und Snowboarder auf Sicht fahren. Er hat seine Geschwindigkeit<br />
und seine Fahrweise seinem Können und den Gelände-, Schnee- und<br />
Witterungsverhältnissen sowie der Verkehrsdichte anzupassen. Kommt es zu einer<br />
Kollision zwischen einem regelgemäß aufsteigenden Skifahrer und einem Abfahrer,<br />
so hat der Abfahrer zwangsläufig gegen die FIS-Regel Nr. 2 verstoßen und ist dafür<br />
zivilrechtlich und strafrechtlich verantwortlich. 9 Das Fahren auf Sicht gilt auch und<br />
gerade an unübersichtlichen Stellen, etwa Kuppen. Es macht daher keinen Unterschied<br />
ob der Zusammenstoß auf einer breiten und übersichtlichen Pistenautobahn<br />
oder nach einer Geländekuppe erfolgt.<br />
Da es sich bei einer Kollision von Skifahrern auch an einer unübersichtlichen Stelle<br />
grundsätzlich um keine atypische Gefahr handelt, trifft den Liftbetreiber hierfür keine<br />
Haftung. 10 Etwas anderes kann dann in Betracht kommen, wenn er auch die Abfahrer<br />
vor dieser Stelle warnen müsste. Hat er dies aber getan, so ist er auch bei einer<br />
Kollision zwischen einem abfahrenden und einem aufsteigenden Skifahrer von der<br />
Haftung frei.<br />
4.2 Der aufsteigende/abfahrende Skifahrer nach der Schließung der Piste<br />
Ein weiteres Argument, das von den Liftbetreibern unter <strong>Sicherheit</strong>saspekten bemüht<br />
wird, ist der abfahrende Skifahrer nach der abendlichen Pistenschließung. Es ist si-<br />
7<br />
Insbesondere begründet die FIS-Regel Nr. 7 keinen Vertrauenstatbestand dahingehend, dass mit einem Fußgänger,<br />
erst recht mit einem aufsteigenden Skifahrer, auf der Piste nicht gerechnet werden muss (Hammerstingl<br />
[Fn 3] S. 339 mwN.<br />
8<br />
Daneben gilt auch für ihn die FIS-Regel Nr. 1.<br />
9<br />
Wenn der aufsteigende Skifahrer gleichwohl als Hauptverantwortlicher für eine Kollision angesehen wird<br />
(Dambeck/Wagner, Recht und <strong>Sicherheit</strong> im organisierten Skiraum, 2007, S. 109), so stellt dies die Rechtslage<br />
(Fn 4) auf den Kopf. Mit dem gleichen Recht wäre dann auch ein Baum als Hauptverantwortlicher anzusehen,<br />
wenn er einem Pistenraser in die Quere kommt. Die Folgen für die Liftbetreiber als Verkehrssicherungspflichtige<br />
wären unübersehbar.<br />
10<br />
Dambeck/Wagner, 2007, S. 108; Katschthaler/Mayer SpuRt <strong>2011</strong>, 46 [47].<br />
37
Dr. Klaus Weber / Peter Janssen<br />
Touren auf Skipisten: Betretungsrecht und sonstige Aspekte<br />
cher richtig, dass sich aus der abendlichen Pistenpräparierung, namentlich wenn sie<br />
mit Seilwinden durchgeführt wird, erhebliche Gefahren für alle Skifahrer ergeben, die<br />
sich zur gleichen Zeit auf der Piste bewegen. Dies gilt für aufsteigende wie für abfahrende<br />
Skifahrer gleichermaßen. Die Gefahren bestehen auch unabhängig davon, ob<br />
der abfahrende Skifahrer zuvor auf der Piste aufgestiegen ist oder ob er nach dem<br />
Kauf einer Liftkarte eine Aufstiegshilfe benutzt und beim gemütlichen Zusammensein<br />
in der Hütte den Pistenschluss versäumt hat.<br />
Mit der abendlichen Pistenschließung wird die Piste entwidmet. 11 Auch wenn (zu Unrecht<br />
12 ) davon ausgegangen wird, dass die (geöffnete) Piste nicht mehr zur freien<br />
Natur gehört, wird sie jedenfalls mit der Entwidmung wieder zum freien Gelände. Die<br />
Verkehrssicherungspflicht, die sich aus der Eröffnung einer Piste ergibt, entfällt. Dies<br />
gilt unabhängig davon, ob der Skifahrer eine Liftkarte gekauft hat. 13<br />
Etwas anderes gilt für die Schaffung einer Gefahrenquelle durch den Betrieb eines<br />
gefährlichen Fahrzeugs, wie es eine Pistenraupe, namentlich bei Nacht und bei<br />
Windenpräparierung, darstellt. Die Gefahrenquelle ist hier nicht die Piste, sondern<br />
das Fahrzeug. Für etwaige Schäden haftet der Liftbetreiber daher nicht als Halter der<br />
Piste, sondern gegebenenfalls als Betreiber des Fahrzeugs. Er hat daher auch (nur)<br />
in dieser Eigenschaft durch Schilder, Beleuchtung, Blinklichter, partielle Absperrungen<br />
14 für die größtmögliche Sicherung vor diesen Gefahren zu sorgen.<br />
Mit der Entwidmung der Piste und der (Wieder-)Entstehung freien Geländes tritt die<br />
Eigenverantwortung des Skifahrers in den Vordergrund. Die Eigenverantwortlichkeit,<br />
die dem Skifahrer auf der geöffneten Piste in hohem Maße abgenommen wird,<br />
wächst ihm nunmehr wieder zu. Er hat selbst dafür zu sorgen, dass er heil ins Tal<br />
zurückfindet. Auf der anderen Seite ist er auch keine Gefahr für Dritte und gefährdet<br />
sich nur selbst, wenn er etwa trotz laufenden Präparierungsarbeiten auf der Piste<br />
aufsteigt oder abfährt. 15 Auch dies gilt unabhängig davon, ob der nach der Schließung<br />
der Piste abfahrende Skifahrer zuvor eine Aufstiegshilfe benutzt hat.<br />
11<br />
Dambeck/Wagner, S. 61; ebenso für das österreichische Recht Dittrich/Reindl in „<strong>Sicherheit</strong> im Bergland“,<br />
Jahrbuch des österreichischen Kuratoriums für alpine <strong>Sicherheit</strong>, S. 32, 33; Reindl/Stabentheiner/Dittrich Zeitschrift<br />
für Verkehrsrecht (ZVR) 2006, 549 [568]; Stabentheiner in „gehen, steigen, klettern“ (Fn 6] S. 32 [37].<br />
12<br />
Dazu unten Abschn. 6.<br />
13<br />
Ob auch gegenüber den sog. Tourengehern auf Pisten eine solche Verkehrssicherungspflicht besteht (so<br />
etwa Katschthaler/Mayer SpuRt <strong>2011</strong>, 46 [47]; Manssen SpuRt <strong>2011</strong>, 93 [96]); aA Dambeck/Wagner S. 108) ist<br />
umstritten.<br />
14<br />
S (österreichischer) Oberster Gerichtshof (OGH) Urt. vom 08.10.2008, Gz 9Ob28/08w.<br />
15<br />
Dambeck/Wagner S. 108. Unabhängig davon besteht die Pflicht des Betreibers eines Pistenfahrzeugs, durch<br />
Schilder, Beleuchtung, Blinklichter, partielle Absperrungen die Gefahr einer Kollision möglichst zu vermeiden.<br />
38
Dr. Klaus Weber / Peter Janssen<br />
Touren auf Skipisten: Betretungsrecht und sonstige Aspekte<br />
An zahlreichen Pisten findet sich seit einiger Zeit ein Verbotsschild, wonach die Pisten<br />
täglich von 17.00 Uhr bis 6.00 Uhr gesperrt seien.<br />
Abb. 7 - Sudelfeld Verbotsschild<br />
Diese Schilder machen insoweit einen Sinn, als sie dem Skifahrer noch einmal die<br />
Gefahren vor Augen führen, die nach der Pistenschließung bestehen können. Im<br />
Hinblick darauf, dass die Piste nach der abendlichen Entwidmung freies Gelände<br />
darstellt, ist auch der Hinweis, dass der Liftbetreiber in dieser Zeit keine Haftung für<br />
Unfälle übernimmt, im Grundsatz richtig. Unberührt bleibt allerdings die Haftung für<br />
die Eröffnung einer Gefahrenquelle durch den Betrieb gefährlicher Geräte, insbesondere<br />
bei der Windenpräparierung. 16<br />
Dagegen ist das Schild als Sperre nicht wirksam. Es enthält einen Eingriff in das Betretungsrecht.<br />
Nach ausdrücklicher gesetzlicher Regelung (Art. 29 des Bayerischen<br />
Naturschutzgesetzes [BayNatSchG]) umfasst das Betretungsrecht auch das Recht<br />
zum Skifahren. Zum Skifahren gehört auch das Aufsteigen mit Ski. Dies ergibt sich<br />
nicht nur aus der Entwicklung des Skilaufs, sondern auch aus einem Vergleich mit<br />
Art. 10 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG, der im Unterschied zu Art. 29 BayNatSchG auf<br />
16<br />
S oben.<br />
39
Dr. Klaus Weber / Peter Janssen<br />
Touren auf Skipisten: Betretungsrecht und sonstige Aspekte<br />
das „Abfahren mit Ski“ abhebt. 17<br />
Nach Art. 27 Abs. 3 Satz 3 BayNatSchG ist eine Beschilderung, die einen Eingriff in<br />
das Betretungsrecht enthält, nur wirksam, wenn sie auf einen gesetzlichen Grund<br />
hinweist, der eine Beschränkung des Betretungsrechts rechtfertigt. Einen solchen<br />
gesetzlichen Grund nennt das Verbotsschild nicht. Er ließe sich auch nicht finden, da<br />
Art. 33 BayNatSchG, der die gesetzlichen Gründe für eine Sperre enthält, den in dem<br />
Schild genannten Grund nicht aufführt.<br />
4.3 Begründete Sorge: Zerfahrene Piste<br />
Die Sperrung der Pisten für „Skitourengeher“ wird von den Liftbetreibern auch damit<br />
begründet, dass Skifahrer 18 , die abends auf der nach Pistenschluss frisch präparierten<br />
und noch weichen Piste abfahren, tiefe Abfahrtsspuren hinterlassen können. Diese<br />
Spuren frieren während der Nacht ein, machen dadurch die Präparierung der Piste<br />
zunichte und können zu einer Gefährdung weniger geübter Pistenfahrer führen.<br />
Diese Spuren begründen zwar keine atypische Gefahr, die der Liftbetreiber vor Pistenöffnung<br />
beseitigen müsste 19 Gleichwohl erscheint die Sorge der Liftbetreiber insoweit<br />
nicht unbegründet. Die Lösung der Problematik findet sich im Grundsatz der<br />
Gemeinverträglichkeit. Auch im freien Gelände ist auf die Belange der Grundstückseigentümer<br />
und Nutzungsberechtigten Rücksicht zu nehmen (Art. 26 Abs. 2 Satz 2<br />
BayNatSchG). Durch die Ausübung des Betretungsrechts 20 darf die Rechtsausübung<br />
anderer nicht verhindert oder mehr als nach den Umständen unvermeidbar beeinträchtigt<br />
werden (Art. 26 Abs. 2 Satz 3 BayNatSchG). Skifahrer, die nach Pistenschluss<br />
auf der Piste aufsteigen oder abfahren, haben daher auf die Belange der Pistenpflege<br />
Rücksicht zu nehmen. In Nr. 6 der DAV-Regeln 21 wird dies dadurch zum<br />
Ausdruck gebracht, dass frisch präparierte Pisten nur in den Randbereichen befahren<br />
werden dürfen.<br />
5. Zum Begriff der Skipiste<br />
Eine Legaldefinition der Skipiste enthält nunmehr Art. 10 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG.<br />
Danach ist eine Skipiste ein dauerhaft durch eine mechanische Aufstiegshilfe er-<br />
17<br />
18<br />
Ohne dass sich daraus ein Verbot des Aufsteigens mit Ski herleiten ließe (s Abschn. 5).<br />
Auch dies gilt unabhängig davon, ob der Skifahrer zuvor aufgestiegen ist oder nach dem Erwerb einer Liftkarte<br />
eine Aufstiegshilfe benutzt hat.<br />
19<br />
Dambeck/Wagner S. 109.<br />
20<br />
Zu dem das Skifahren gehört (s Fn Fehler! Textmarke nicht definiert.).<br />
21<br />
Zu diesen s Fn 5.<br />
40
Dr. Klaus Weber / Peter Janssen<br />
Touren auf Skipisten: Betretungsrecht und sonstige Aspekte<br />
schlossenes Gelände zum Zweck des Abfahrens mit Ski, Skibobs oder Rodeln. 22<br />
Daraus ist nicht zu entnehmen, dass auf der Piste nicht aufgestiegen werden darf.<br />
Dass der Aufstieg hier nicht erwähnt ist, ergibt sich aus dem Zweck der Vorschrift,<br />
der das erstmalige dauerhafte Erschließen eines Geländes durch eine Aufstiegshilfe<br />
zum Zweck des Abfahrens einer Erlaubnispflicht unterwirft. Die Regelung enthält insbesondere<br />
keinen Zwang zur Benutzung dieser Aufstiegshilfe, ebenso wie sie es<br />
nicht verbietet, die „Aufstiegshilfe“ auch zur Talfahrt zu benutzen.<br />
Ob die Piste zum Aufstieg benutzt werden darf, ist ausschließlich eine Frage des Betretungsrechts.<br />
23 Die Piste ist insbesondere keine Sportanlage. 24 Nicht umsonst wird<br />
in Art. 10 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG nicht von einer Anlage, sondern von einem Gelände<br />
gesprochen. Als eine nicht jedermann zugängliche Sportstätte bedürfte die Piste,<br />
die in aller Regel im Außenbereich liegt, eines Bebauungsplans gemäß § 30 des<br />
Baugesetzbuchs (BauBG). 25 Dies wird übersehen 26 , wenn die Piste mit einem Golfplatz<br />
verglichen wird. 27 Ein solcher bedarf zu seiner Errichtung des Vorliegens eines<br />
entsprechenden Bebauungsplans. 28 Im Übrigen hat ein Bebauungsplan die Aufgabe,<br />
die verschiedenen Interessen und Belange gegeneinander abzuwägen und miteinander<br />
auszugleichen; ein Bebauungsplan, der einseitig nur die Interessen der Liftbetreiber<br />
berücksichtigen würde und die Tourengeher von den großen Flächen ausschließen<br />
würde, die die Pisten umfassen 29 , wäre rechtlich nicht haltbar.<br />
Auch die Betriebsgenehmigung für die Liftanlage enthält regelmäßig keine Befugnis<br />
für den Betreiber, die Piste für Tourengeher zu sperren. Sollte dennoch eine solche<br />
Befugnis enthalten sein, wäre sie namentlich im Hinblick auf den fehlenden Interessenausgleich<br />
angreifbar.<br />
22<br />
Demgegenüber definiert die DIN 32 912 (Graphische Symbole und Schilder zur Information der Skifahrer auf<br />
Skipisten) Skipisten als „allgemein zugängliche, zur Abfahrt mit Ski vorgesehene und geeignete Strecken, die<br />
markiert, kontrolliert, vor atypischen Gefahren, insbesondere Lawinengefahren, gesichert und nach Möglichkeit<br />
präpariert werden“. Die Definition der DIN 32 912 wurde wörtlich und unter Bezugnahme auf die DIN in § 1 Abs. 1<br />
der Verordnung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern (BayStMI) über die Kennzeichnung der Skiabfahrten,<br />
Skiwanderwege und Rodelbahnen vom 23.02.1983 (GVBl. S. 215) übernommen.<br />
23<br />
Dazu unten Abschn. 6.<br />
24<br />
Die eventuell einem privaten Verfügungsrecht unterliegen könnte.<br />
25<br />
Manssen SpuRt <strong>2011</strong> 93 [94].<br />
26<br />
Auch könnte sich ein solcher Vergleich als Eigentor erweisen.<br />
27<br />
Katschthaler/Mayer SpuRt <strong>2011</strong>, 46 [48].<br />
28<br />
Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) 1992, 476.<br />
29<br />
S oben Abschn. 3.<br />
41
Dr. Klaus Weber / Peter Janssen<br />
Touren auf Skipisten: Betretungsrecht und sonstige Aspekte<br />
6. Piste als freie Natur, Betretungsrecht<br />
Bereits nach der Bayerischen Verfassung, Art. 141 Abs. 3, ist „die Erholung in der<br />
freien Natur, insbesondere das Betreten von Wald und Bergweide, … jedermann gestattet“.<br />
Pisten sind freie Natur. 30 Das Grundrecht des Art. 141 Abs. 3 der Bayerischen<br />
Verfassung wird vom Bayerischen Naturschutzgesetz in Art. 26 Abs. 1 Satz 1<br />
ausdrücklich als „Recht für jedermann“ ausgestaltet und in Art. 27 Abs. 1 dahin definiert,<br />
dass „alle Teile der freien Natur … von jedermann unentgeltlich betreten werden“<br />
können. Die bayerische Rechtslage ist vom Bundesnaturschutzgesetz gedeckt,<br />
das in §59 Abs. 1 „das Betreten der freien Landschaft … zum Zwecke der Erholung<br />
…. allen gestattet (allgemeiner Grundsatz).“<br />
6.1. Gleichstellung Skifahren - Betreten<br />
Darüber hinaus erlaubt § 59 Abs. 2 Satz 2 BNatSchG dem Landesgesetzgeber, andere<br />
Benutzungsarten dem Betreten gleichzustellen. Der Bayerische Landtag hat<br />
davon Gebrauch gemacht und in Art. 27 Abs. 2 und Art. 29 BayNatSchG ausdrücklich<br />
„das Skifahren ….. und ähnliche sportliche Betätigungen in der freien Natur“ dem<br />
Betreten zugeordnet. Der Tourengeher darf daher grundsätzlich auch die Skipisten<br />
benutzen und zwar sowohl zum Abfahren als auch zum Aufsteigen. 31<br />
6.2 Rücksichtnahmegebot<br />
Eingeschränkt hat der bayerische Gesetzgeber das Betretungsrecht durch das Gebot<br />
zur Rücksichtnahme in Art. 26 Abs. 2 Satz 2 und 3 BayNatSchG. Das heißt zum Beispiel,<br />
dass der Tourengeher nicht im breiten Zickzack auf der Piste aufsteigen und<br />
die abfahrenden Pistenbenutzer mehr als unvermeidbar behindern darf. Er hat sich<br />
gemeinverträglich zu verhalten und - um im Beispiel zu bleiben - gemäß der FIS-<br />
Regel Nr. 7 am Pistenrand aufzusteigen. 32<br />
Umgekehrt unterliegt selbstverständlich auch der Pistenfahrer dem Rücksichtnahmegebot<br />
des Naturschutzgesetzes. Auch er hat seine Geschwindigkeit so einzurichten,<br />
dass er anderen Skifahrern oder aufsteigenden Tourengehern ausweichen oder vor<br />
ihm anhalten kann (FIS-Regeln Nr. 1, 2) 33<br />
30<br />
31<br />
Manssen SpuRt <strong>2011</strong>, 93 [94, 95].<br />
Dazu, dass auch ein aufsteigender Skifahrer ein Skifahrer im Sinne des BayNatSchG ist, s oben Abschn. 4.2;<br />
dasselbe gilt für das LStVG (unten Abschn. 7.1, 7.2.1, 7.2.3 und 7.4).<br />
32<br />
S oben Abschn. 4.1.<br />
33<br />
S oben Abschn. 4.1.<br />
42
Dr. Klaus Weber / Peter Janssen<br />
Touren auf Skipisten: Betretungsrecht und sonstige Aspekte<br />
6.3 Sperren unzulässig<br />
Das Betretungsrecht darf nicht durch Sperren nach Art. 27 Abs. 2 BayNatSchG vom<br />
Liftbetreiber verweigert werden. Denn Beschilderungen sind nur wirksam, wenn sie<br />
auf einen gesetzlichen Grund hinweisen, der eine Beschränkung des Betretungsrechts<br />
rechtfertigt. 34<br />
Die Zulässigkeit von Sperren ist in Art. 33 BayNatSchG abschließend geregelt. Das<br />
Aufsteigen von Skifahrern auf einer Piste fällt unter keinem Gesichtspunkt darunter.<br />
Dies gilt namentlich für Art. 33 Nr. 1 BayNatSchG, wonach Sperren errichtet werden<br />
können, wenn andernfalls die zulässige Nutzung des Grundstücks nicht unerheblich<br />
behindert oder eingeschränkt würde. Das Rücksichtnahmegebot mit seiner Konkretisierung<br />
in den FIS-Regeln gewährleistet, dass Tourengeher für Abfahrer, die ihrerseits<br />
die Regeln beachten, keine Behinderung oder Einschränkung darstellen. Auch<br />
können Schilder aufgestellt werden, die auf die einzuhaltenden Verhaltensmaßregeln<br />
hinweisen. 35 Rücksichtslose Fahrweise wäre eine unzulässige Nutzung der Skipiste<br />
und damit auch kein gesetzlicher Grund für ein Tourengeherverbot.<br />
Kein gesetzlicher Grund für eine Sperre ist die Furcht vor einer Haftung aus Verkehrssicherungspflicht,<br />
die von den Liftbetreibern vielfach ins Feld geführt wird. 36<br />
Unabhängig davon, ob eine solche Verkehrssicherungspflicht tatsächlich und rechtlich<br />
in Betracht kommt, 37 ist eine befürchtete Haftung als Grund für eine Sperre in Art.<br />
33 BayNatSchG nicht genannt und kommt daher als gesetzlicher Grund, aufsteigenden<br />
Skifahrern das Betreten einer Piste zu verbieten, nicht in Betracht.<br />
Die Liftbetreiber können sich auch nicht auf Art. 30 Abs. 1 BayNatSchG berufen. Diese<br />
Vorschrift enthält eine ausdrückliche gesetzliche Regelung für land- und forstwirtschaftlich<br />
genutzte Grundstücke. Eine solche gesetzliche Regelung ist für Skipisten<br />
aber nicht gegeben und als Ausnahmevorschrift auf diese nicht übertragbar.<br />
7. (Bayerisches) Landesstraf- und Verordnungsgesetz – LStVG –<br />
Als Grundlage, Skifahrern den Aufstieg auf Skipisten zu verwehren, wird von den<br />
Liftbetreibern auch Art. 24 LStVG herangezogen, wobei die Gemeinden und staatli-<br />
34<br />
35<br />
36<br />
37<br />
S oben Abschn. 4.2.<br />
Manssen SpuRt <strong>2011</strong>, 93 [95].<br />
S etwa Katschthaler/Mayer SpuRt <strong>2011</strong>, 46 [47].<br />
S oben Abschn. 4.1 a.E. sowie Fn 13.<br />
43
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Touren auf Skipisten: Betretungsrecht und sonstige Aspekte<br />
chen Stellen zu einem entsprechenden Tätigwerden aufgefordert werden. 38 Die Vorschrift<br />
des Art. 24 LStVG wird oft als Grundgesetz des Wintersports bezeichnet. 39 Sie<br />
ist eine typische Vorschrift des Gefahrenabwehrrechts 40 und daher nicht geeignet,<br />
private Interessen, namentlich Gewinninteressen, zu schützen. Es wäre daher nicht<br />
zulässig, dass sich Gemeinden und staatliche Stellen, denen der Vollzug der Vorschrift<br />
anvertraut ist, wirtschaftlichen Interessen der Liftbetreiber dienstbar machen.<br />
7.1 Erklärung zur Hauptabfahrt (Art. 24 Abs. 1, 5 Nr. 1 LStVG)<br />
Nach Art. 24 Abs. 1 LStVG können die Gemeinden durch Verordnung ein Gelände<br />
außerhalb öffentlicher Wege und Plätze, das zum Skifahren, Skibobfahren oder Rodeln<br />
der Allgemeinheit zur Verfügung steht, zur Hauptabfahrt für solche Sportarten<br />
oder zum Hauptskiwanderweg erklären. Nach Art. 24 Abs. 5 Nr. 1 LStVG kann mit<br />
Geldbuße belegt werden, wer auf einer Hauptabfahrt, die in der vorgeschriebenen<br />
Weise gekennzeichnet ist, sich zur Zeit des Sportbetriebs zu anderen Zwecken als<br />
der Ausübung der Sportart, für die die Abfahrt bestimmt ist, aufhält. Die Erklärung zur<br />
Hauptabfahrt kann nur durch Verordnung und nur in dem durch Art. 42 bis 53 LStVG<br />
geregelten Verfahren erfolgen. Zu beachten ist ferner der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit<br />
(Art. 8 LStVG). Zuständig ist der Gemeinderat (Art. 42 Abs. 1 LStVG). Die<br />
Pisten müssen außerdem als Hauptabfahrten gekennzeichnet sein (Art. 24 Abs. 3 Nr.<br />
2 Buchst. a LStVG, §1 der Verordnung über die Kennzeichnung der Skiabfahrten,<br />
Skiwanderwege und Rodelbahnen vom 23. Februar 1983 [Gesetz- und Verordnungsblatt<br />
S. 215[) 41 .<br />
Auch wenn alle diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann daraus ein Verbot des Aufsteigens<br />
mit Ski auf einer zur Hauptabfahrt erklärten Piste nicht hergeleitet werden.<br />
Die Erklärung zur Hauptabfahrt schließt nur Nutzungen aus, die nicht in der Sportart<br />
Skifahren bestehen. Seit jeher, und bestätigt durch das BayNatSchG, gehört zur<br />
Sportart Skifahren nicht nur die Abfahrt, sondern auch der Aufstieg. Auch dieser ist<br />
daher Teil der Sportausübung. 42 Auf den vorstehenden Abschn. 4.2 sowie die nachfolgenden<br />
Abschn. 7.2.1, 7.2.3 und 7.4 wird insoweit verwiesen. Ausübender der<br />
Sportart Skifahren ist im Übrigen auch derjenige, der seine Ski auf der Skiabfahrt<br />
38<br />
39<br />
40<br />
41<br />
42<br />
Katschthaler/Mayer SpuRt <strong>2011</strong>, 46 [48, 49].<br />
Stöckel Bayerische Verwaltungsblätter (BayVBl) 1977, 71 [74]; Katschthaler/Mayer SpuRt <strong>2011</strong>, 46 [48].<br />
Dies wird auch von Katschthaler/Mayer SpuRt <strong>2011</strong>, 46 [49] gesehen.<br />
Kennzeichnungsverordnung.<br />
Hammerstingl [Fn 3] S. 294.<br />
44
Dr. Klaus Weber / Peter Janssen<br />
Touren auf Skipisten: Betretungsrecht und sonstige Aspekte<br />
(etwa beim Aufstieg am Rande der Piste) trägt. 43<br />
Eine weitere Einschränkung enthält die Bewehrung des Art. 24 Abs. 1 LStVG. Sie ist<br />
in Art. 24 Abs. 5 Nr. 1 LStVG enthalten und bestimmt, dass derjenige, der sich auf<br />
einer als solche gekennzeichneten Hauptabfahrt zur Zeit des Sportbetriebs zu anderen<br />
Zwecken als denen des Skifahrens aufhält, mit Geldbuße belegt werden kann.<br />
Bußgeldbewehrt ist daher nur der unerlaubte Aufenthalt während der Pistenöffnung.<br />
44 Nach der abendlichen Pistenschließung und vor der morgendlichen Pistenöffnung<br />
greift die Bußgeldvorschrift von vornherein nicht ein.<br />
7.2 Vorübergehende Einschränkung des Sportbetriebs zur Gefahrenabwehr<br />
(Art. 24 Abs. 2, 6 Nr. 1 LStVG)<br />
Nach Art. 24 Abs. 2 Satz 1 LStVG können die Gemeinden durch Anordnung für den<br />
Einzelfall den Sportbetrieb auf einer Hauptabfahrt oder auf einer sonstigen Skiabfahrt,<br />
vorübergehend untersagen oder beschränken, wenn dies zur Verhütung von<br />
Gefahren oder sonst aus wichtigen Gründen erforderlich ist. Nach Art. 24 Abs. 6 Nr.<br />
1 LStVG kann mit Geldbuße belegt werden, wer als Skifahrer gegen eine nach Art.<br />
24 Abs. 2 Satz 1 LStVG vollziehbare Anordnung verstößt.<br />
7.2.1 Voraussetzungen<br />
a) Geltungsbereich<br />
Die Vorschrift gilt nicht nur Hauptabfahrten sondern für Skiabfahrten generell. 45<br />
b) Sportbetrieb<br />
Auf der anderen Seite bezieht sich die Untersagung oder Beschränkung lediglich auf<br />
den Sportbetrieb. Sie kann den aufsteigenden Skifahrer daher nur dann erfassen,<br />
wenn auch das Aufsteigen mit Ski zur Sportart Skifahren gezählt wird. Dasselbe gilt<br />
für die Bußgeldvorschrift, die sich ausdrücklich nur auf „Skifahrer“ bezieht (Abschn.<br />
4.2, 7.1,7.2.3 und 7.4).<br />
c) Verhütung von Gefahren, sonstige wichtige Gründe<br />
Die Untersagung oder Beschränkung des Sportbetriebs setzt voraus, dass dies zur<br />
Verhütung von Gefahren oder sonst aus wichtigen Gründen erforderlich ist. Bei den<br />
43<br />
44<br />
45<br />
Stöckel in Bengl/Berner/Emmerig, Art. 24 Rn 7 aa.<br />
Stöckel in Bengl/Berner/Emmerig, Art. 24 Rn 7 bb.<br />
Stöckel in Bengl/Berner/Emmerig, Art. 24 Rn 8.<br />
45
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Touren auf Skipisten: Betretungsrecht und sonstige Aspekte<br />
Gefahren muss es sich um konkrete Gefahren handeln. 46 Eine konkrete Gefahr ist<br />
eine Sachlage, die bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens<br />
im Einzelfall mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden führt. 47<br />
Dazu gehören etwa starke Vereisung, Lawinengefahr durch Neuschnee oder Einsetzen<br />
warmen Wetters, Steinschlaggefahr, Sturm mit der Gefahr umstürzender Bäume,<br />
unaufschiebbare Baumaßnahmen, Holzabfuhr etc. 48 Nicht ausreichend sind abstrakte<br />
Gefahren 49 , die sich aus einer Kollision von Skifahrern ergeben können, die sich<br />
über die auf der Piste geltenden Regeln hinwegsetzen (s dazu oben Abschn. 4.1).<br />
Dies gilt für abfahrende wie für aufsteigende Skifahrer gleichermaßen.<br />
Wichtige Gründe, die sonst die Untersagung oder Beschränkung des Sportbetriebs<br />
rechtfertigen können, sind Gründe, die nicht unmittelbar der Verhütung von Gefahren<br />
dienen, ihr aber in ihrem Gewicht gleichkommen. Genannt werden das Herrichten<br />
der Abfahrtsstrecke oder die Schonung für bevorstehende Sportveranstaltungen. 50<br />
Auch Art. 24 Abs. 2 LStVG ist eine Vorschrift des Gefahrenabwehrrechts, so dass<br />
wirtschaftliche Interessen des Liftbetreibers als wichtige Gründe im Sinne dieser<br />
Norm nicht in Betracht kommen.<br />
d) Nur vorübergehend<br />
Die Untersagung oder Einschränkung des Sportbetriebs darf nur vorübergehend erfolgen.<br />
Sie darf also nicht die gesamte Dauer des Sportbetriebs, etwa die gesamte<br />
Zeit nach der winterlichen Eröffnung des Skibetriebs, erfassen. Vielmehr hat sie sich<br />
auf den Zeitpunkt zu beschränken, in dem die konkrete Gefahr oder der sonst wichtige<br />
Grund besteht.<br />
e) Nur bei Verhältnismäßigkeit<br />
Eine weitere Einschränkung ergibt sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit<br />
(Art. 8 LStVG). Eine Untersagung oder Beschränkung des Sportbetriebs kommt daher<br />
nicht in Betracht, wenn andere Maßnahmen, etwa das Aufstellen eines Warnschilds<br />
an einer unübersichtlichen Stelle, ausreichen.<br />
46<br />
Nr. 6.4 der Vollzugsbekanntmachung zum LStVG (VollzBekLStVG) in Verbindung mit Nr. 2.2 der Vollzugsbekanntmachung<br />
zum Polizeiaufgabengesetz (VollzBekPAG). Die beiden Verwaltungsvorschriften können über<br />
Bayern-Recht online abgerufen werden.<br />
47<br />
Nr. 2.2 VollzBekPAG.<br />
48<br />
Nr. 24.2 VollzBekLStVG; Stöckel in Bengl/Berner/Emmerig, LStVG-Kommentar, Art. 24 Rn 4.<br />
49<br />
Eine abstrakte Gefahr ist eine Sachlage, aus der nach allgemeiner Lebenserfahrung konkrete Gefahren im<br />
Einzelfall entstehen können (Nr. 2.2 VollzBekPAG).<br />
50<br />
Nr. 24.2 VollzBekLStVG; Stöckel in Bengl/Berner/Emmerig, Art. 24 Rn 4.<br />
46
Dr. Klaus Weber / Peter Janssen<br />
Touren auf Skipisten: Betretungsrecht und sonstige Aspekte<br />
7.2.2 Verfahren<br />
Der vorübergehende Charakter der Untersagung oder Beschränkung des Sportbetriebs<br />
wird dadurch bestätigt, dass sie nicht durch Rechtsverordnung, sondern durch<br />
Anordnung für den Einzelfall zu erfolgen hat. Diese Anordnung, die hier in Form einer<br />
Allgemeinverfügung 51 ergeht 52 , kann schriftlich, mündlich (auch fernmündlich 53 ),<br />
elektronisch oder in anderer Weise erlassen werden. 54 Der Erlass in anderer Weise<br />
kann insbesondere durch das Aufstellen von Schildern erfolgen. 55 Dies wird für die<br />
Untersagung oder Beschränkung des Sportbetriebs auf Skipisten ausdrücklich vorgeschrieben.<br />
56<br />
Damit die Anordnung für den Einzelfall wirksam wird, muss sie dem jeweiligen Betroffenen<br />
bekanntgegeben werden. 57 Erfolgt die Anordnung durch ein Schild, so ist<br />
die Bekanntmachung dann gegeben, wenn der Betroffene das Schild wahrgenommen<br />
hat. 58<br />
Die durch Schild erlassenen Untersagungen oder Beschränkungen des Sportbetriebs<br />
auf einer Piste werden üblicherweise nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen.<br />
Es gilt daher eine Rechtsbehelfsfrist von einem Jahr. 59 Dies kann insbesondere<br />
dann von Bedeutung werden, wenn eine Gemeinde entgegen Art. 24 Abs. 2 LStVG<br />
keine vorübergehende, sondern eine dauernde Sperre angeordnet hat.<br />
Als förmlicher Rechtsbehelf gegen die Anordnung ist die Klage zum Verwaltungsgericht<br />
gegeben. 60 Daneben steht als nicht förmlicher Rechtsbehelf die Dienstaufsichtsbeschwerde<br />
zum Landratsamt zur Verfügung.<br />
7.2.3 Geldbuße<br />
a) Täterschaft<br />
Nach Art. 24 Abs. 6 Nr. 1 Buchst. a LStVG kann mit Geldbuße belegt werden, wer als<br />
51<br />
52<br />
53<br />
54<br />
55<br />
56<br />
Art. 35 Abs. 2 des Bayer. Verwaltungsverfahrensgesetzes (BayVwVfG).<br />
Stöckel in Bengl/Berner/Emmerig, Art. 24 Rn 4.<br />
Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Aufl. 2008, §37 Rn 77.<br />
Art. 37 Abs. 2, Art. 41 BayVwVfG.<br />
Stelkens/Bonk/Sachs §37 Rn 79.<br />
Art. 24 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b LStVG in Verbindung mit §2 der Kennzeichnungsverordnung. Nach Hammerstingl<br />
S. 298 ergibt sich daraus, dass dies hier die einzig mögliche Form der Anordnung ist. Im Hinblick darauf,<br />
dass die Anordnung der Verhütung einer konkreten Gefahr dienen muss, erscheint dies konsequent.<br />
57<br />
Art. 43 Abs. 1 BayVwVfG.<br />
58<br />
Stelkens/Bonk/Sachs §37 Rn 101.<br />
59<br />
§58 Abs. 1, §70 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO); Stelkens/Bonk/Sachs §37 Rn 76.<br />
60<br />
Art. 15 Abs. 2 des Ausführungsgesetzes zur Verwaltungsgerichtsordnung (AGVwGO).<br />
47
Dr. Klaus Weber / Peter Janssen<br />
Touren auf Skipisten: Betretungsrecht und sonstige Aspekte<br />
Skifahrer gegen eine Aufgrund des Absatzes 2 Satz 1 erlassene vollziehbare Anordnung<br />
verstößt. Täter kann nach dem klaren Wortlaut daher nur ein Skifahrer sein. 61<br />
Die Vorschrift kann deshalb aufsteigende Skifahrer nur dann erfassen, wenn auch<br />
der Aufstieg zum Skifahren gerechnet wird (Abschn. 4.2., 7.1, 7.2.1 und 7.4).<br />
b) Vollziehbarkeit<br />
Vollziehbar ist die Anordnung, wenn sie nicht mehr mit ordentlichen Rechtsmitteln<br />
angefochten werden kann oder wenn ihre Vollziehung angeordnet ist. 62 Nach §80<br />
Abs. 2 Nr. 2 VwGO sind unaufschiebbare Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten<br />
sofort vollziehbar. Auf Allgemeinverfügungen, die durch das Aufstellen<br />
von Verkehrsschildern erlassen werden, wird diese Vorschrift entsprechend<br />
angewandt. 63 Es spricht einiges dafür, diese Regel auch auf eine Anordnung, die zur<br />
Untersagung oder Beschränkung des Sportbetriebs auf einer Skipiste erlassen wird,<br />
entsprechend anzuwenden, jedenfalls wenn die Anordnung durch das Aufstellen der<br />
in der Kennzeichnungsverordnung genannten Schilder erfolgt. Auch eine solche Anordnung<br />
setzt voraus, dass eine konkrete Gefahr verhütet wird, und ist daher mit der<br />
Verfügung eines Polizeivollzugsbeamten vergleichbar.<br />
Der Verstoß gegen eine solche Anordnung kann daher von vornherein mit Geldbuße<br />
geahndet werden. Auch hat eine Klage keine aufschiebende Wirkung (§80 Abs. 2 Nr.<br />
2 VwGO). Allerdings kann das Verwaltungsgericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung<br />
anordnen (§80 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Ein solcher Antrag kann schon vor Erhebung<br />
der Klage gestellt werden (§80 Abs. 5 Satz 2 VwGO).<br />
7.3 Rechtsverordnung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern – Art.<br />
24 Abs. 3 Nr. 1 LStVG<br />
Nach Art. 24 Abs. 3 Nr. 1 LStVG kann das Staatsministerium des Innern durch Verordnung<br />
zur Verhütung von Gefahren für Leben oder Gesundheit oder zum Schutz<br />
vor erheblichen Nachteilen das Verhalten beim Skifahren regeln. Bisher ist eine solche<br />
Verordnung nicht ergangen. Von den Liftbetreibern wird dies bedauert 64 , ob zu<br />
Recht, muss bezweifelt werden. Auch eine solche Regelung könnte nicht ins Blaue<br />
61<br />
62<br />
63<br />
Hammerstingl [Fn 3] S. 297.<br />
S auch Art. 4 Abs. 2 LStVG.<br />
BVerwG NVwZ 1988, 633; Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2008, 2867; Stelkens/Bonk/Sachs §35 Rn<br />
331; Schoch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, Loseblattausgabe, Stand <strong>2011</strong>,<br />
§80 Rn 150.<br />
64<br />
Katschthaler/Mayer SpuRt <strong>2011</strong>, 46 [49].<br />
48
Dr. Klaus Weber / Peter Janssen<br />
Touren auf Skipisten: Betretungsrecht und sonstige Aspekte<br />
hinein erlassen werden, sondern müsste der Gefahrenabwehr dienen. 65 Eine Orientierung<br />
an den FIS-Regeln läge daher nahe. Eine Abweichung von diesen Regeln zu<br />
Lasten der aufsteigenden Skifahrer hätte keinen sachlichen Grund. Sie würde auch<br />
mit der Ermächtigungsgrundlage nicht in Einklang zu bringen sein.<br />
7.4 Grob rücksichtslose Gefährdung eines anderen – Art. 24 Abs. 6 Nr. 3<br />
LStVG<br />
Nach Art. 24 Abs. 6 Nr. 3 LStVG kann mit Geldbuße belegt werden, wer als Skifahrer<br />
grob rücksichtslos Leib oder Leben eines anderen gefährdet. Nicht notwendig ist,<br />
dass der andere verletzt wird. Täter kann nur ein Skifahrer sein; dabei ist es gleichgültig,<br />
ob er abfährt, aufsteigt oder sich sonst auf der Piste aufhält. 66<br />
Der Betroffene gefährdet dann Leib oder Leben eines anderen, wenn er die Regeln,<br />
die sich für das Skifahren herausgebildet haben, namentlich die FIS-Regeln 67 , außer<br />
Acht lässt und dadurch eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben des anderen herbeiführt.<br />
68<br />
Die Gefährdung muss grob rücksichtslos erfolgen. Rücksichtslos handelt, wer sich<br />
aus eigensüchtigen Gründen über seine Pflichten gegenüber den anderen Skifahrern<br />
hinwegsetzt oder aus Gleichgültigkeit von vornherein Bedenken gegen sein Verhalten<br />
nicht aufkommen lässt. 69 Eine grob rücksichtslose Gefährdung anderer kann<br />
nicht nur durch Abfahrer eintreten, die sich bedenkenlos über die FIS-Regel Nr. 2<br />
hinwegsetzen, sondern ebenso durch aufsteigende Skifahrer, die ohne Rücksicht auf<br />
die Abfahrer zu nehmen, pulkartig und ohne Abstände die Piste queren oder sonst<br />
nicht den Pistenrand nutzen. 70<br />
8. „Wehret den Anfängen“<br />
Die Sperrung von Skipisten für Tourengeher wäre ein schwerwiegender Bezugsfall<br />
weit über den Skisport hinaus. Erstmalig in Bayern würden erhebliche Teile der freien<br />
Natur dem jedermann zustehenden Betretungsrecht entzogen und ausschließlich<br />
65<br />
Dies gilt auch, soweit die Vorschrift von erheblichen Nachteilen spricht. Auch dabei darf es sich nur um Nachteile<br />
im Sinne des Gefahrenabwehrrechts handeln. Wirtschaftliche Interessen der Liftbetreiber gehören nicht dazu<br />
(Schiedermair/König/Körner, Landesstraf- und Verordnungsgesetz Bayern, 4. Aufl. 2009, S. 148; Hammerstingl<br />
[Fn 3] S. 283.<br />
66<br />
Stöckel in Bengl/Berner/Emmerig, Art. 24 Rn 8c bb.<br />
67<br />
Zu deren Rechtsnatur s Fn 4.<br />
68<br />
Stöckel in Bengl/Berner/Emmerig, Art. 24 Rn 8c cc; Schiedermair/König/Körner S. 149; aA. allerdings wenig<br />
überzeugend Hammerstingl [Fn 3]S. 301.<br />
69<br />
Stöckel in Bengl/Berner/Emmerig, Art. 24 Rn 8c dd; Fischer, StGB, 58. Aufl. <strong>2011</strong>, § 315c Rn 14.<br />
70<br />
Stöckel in Bengl/Berner/Emmerig, Art. 24 Rn 8c dd.<br />
49
Dr. Klaus Weber / Peter Janssen<br />
Touren auf Skipisten: Betretungsrecht und sonstige Aspekte<br />
einem gewerblichen Unternehmen und dessen Kunden überlassen. Darauf können<br />
sich zahlreiche andere Interessengruppen berufen, die durchaus verständliche und<br />
für ihre individuellen Interessen wichtige Gründe für die Sperrung weiterer Gebiete<br />
vorzubringen haben. Man denke an die Almbauern, deren Weidevieh durch Bergwanderer<br />
gestört wird und Wanderer, vergleichbar mit der angeblichen Kollisionsgefahr<br />
auf Skipisten, attackieren kann. Man denke an die Jäger, die gerne eine Beunruhigung<br />
des Wildes durch Wanderer vermeiden würden, um ihr Abschlusssoll zu<br />
erfüllen und Schälschäden im Wald zu reduzieren. Insoweit würden sie an einem<br />
Strang mit den Waldbesitzern ziehen, die einfacher und preisgünstiger ihre Wälder<br />
bewirtschaften könnten, wenn sie nicht auf Wanderer Rücksicht nehmen müssten.<br />
Vor etwa 30 Jahren gab es in Bayern bereits den Versuch, großflächige „Wildschutzgebiete“<br />
mit Ausschluss der Allgemeinheit einzurichten; dieser Versuch ist gescheitert<br />
und man sollte keinem erneuten Versuch Vorschub leisten.<br />
Zurück zu den Tourengehern auf Skipisten: Dass die Liftbetreiber sie zu dulden haben,<br />
ist auch ein gerechter Ausgleich für die Nutzung und Beeinträchtigung wertvoller<br />
Landschaftsteile für ihre Pisten- und Liftanlagen.<br />
9. Blick in die Zukunft<br />
Anknüpfend an die im ersten Abschnitt dargestellten Vorteile für alle Beteiligten sollte<br />
man das Tourengehen mit Pistennutzung als Chance sehen, nicht als Last.<br />
9.1 Tourengehen touristisch wertvoll<br />
Wer am Skitourismus langfristig Geld verdienen will, sollte die Tourengeher für seinen<br />
Skiort und sein Skigebiet aktiv gewinnen. Sie stellen ein erhebliches Kundenund<br />
Gästepotenzial für die Geschäfte, Gaststätten und Hotels dar. Viele machen<br />
nicht ausschließlich Skitouren, sondern nutzen je nach Laune und Wetterlage auch<br />
die Liftanlagen oder sie kommen mit Freunden und Angehörigen, die lieber lifteln als<br />
Tourengehen. Insgesamt tragen sie zur Belebung der Orte und Skigebiete bei. Außerdem<br />
lässt auch bei Tourengehern im Alter die Konstitution nach und mancher<br />
wird gerne auf den Liftsessel umsteigen.<br />
Das Tourengehen garantiert Gäste und Umsätze auch in Zeiten, wenn der Pistenskisport<br />
an Attraktivität nachlässt, wie in den vergangenen Jahrzehnten durchaus zu<br />
beobachten war. Die Skiregionen sichern sich vorausschauend ein zweites Standbein.<br />
50
Dr. Klaus Weber / Peter Janssen<br />
Touren auf Skipisten: Betretungsrecht und sonstige Aspekte<br />
Deshalb darf man Tourengeher, auch wenn sie den Liftbetreibern gegenwärtig keinen<br />
Profit bringen, keinesfalls durch Verbote vergraulen. Wer einmal verärgert aus<br />
einem Skigebiet abreist, weil er dort seinen Sport nicht ausüben durfte, kommt nie<br />
wieder, auch nicht im Sommer, und er wird jedem in seinem Bekanntenkreis von diesem<br />
Gebiet abraten. Es entsteht ein nachhaltiger Image- und Umsatzschaden für die<br />
ganze Region.<br />
9.2 Lösungsansätze<br />
Deshalb sind einvernehmliche und qualitativ gute Angebote zwingend nötig. Dazu<br />
folgende Ansätze 71 :<br />
- Individuelle Lösung für jedes strittige Gelände.<br />
- Verzicht auf „Sperrungen“ und „Verbote“ durch die Liftbetreiber. Stattdessen Hinweis-<br />
und Warnschilder für Tourengeher und für Pistenfahrer.<br />
- Anlegung und Markierung einer attraktiven, auch für ungeübte Tourengeher geeigneten<br />
Aufstiegsspur außerhalb der Piste durch den Liftbetreiber.<br />
- An Zwangspunkten ohne Trennbarkeit von Aufstiegsspur und Piste, z. B. an Engstellen<br />
oder an Kreuzungen, Anbringung von Warnschildern für Tourengeher und<br />
Pistenfahrer.<br />
- Umfassende Aufklärung der betroffenen Öffentlichkeit. Allgemein und über die<br />
örtlichen Lösungen.<br />
- Fazit: Eine gemeinsame Lösung für jedes Gelände ist für alle Beteiligten das sicherste,<br />
wirtschaftlichste, naturverträglichste und gerechteste Ergebnis.<br />
71<br />
S auch Beschluss der Kommission Recht des DAV vom 22.01.<strong>2011</strong>.<br />
51
Josef Rottmoser / Toni Plazer / Philipp Reiter<br />
Touren auf Skipisten aus Sicht der Leistungssportler<br />
Touren auf Skipisten aus Sicht der Leistungssportler<br />
Josef Rottmoser / Toni Palzer / Philipp Reiter<br />
Die drei Spitzensportler Toni Palzer, Philipp Reiter<br />
und Obergefreiter Josef Rottmoser (alle drei<br />
befinden sich im Nationalkader Skibergsteigen)<br />
waren auf dem alpinen <strong>Symposium</strong> als Referenten<br />
tätig. Sie schilderten dem Publikum ihre<br />
Sichtweise und Erfahrungswerte zum Thema Skitouren<br />
auf Skipisten.<br />
Nach der Vorstellung und Einleitung zu 'Touren auf Skipisten aus Sicht der Leistungssportler'<br />
von OG Rottmoser, begann Palzer mit dem ersten Punkt 'Trainingsgebiet<br />
Skipiste', gefolgt von OG Rottmoser mit 'Gefahren und Konfliktpotenzial'. Mit 'Lösungsvorschläge'<br />
rundete Reiter das Thema gelungen ab.<br />
1. Trainingsgebiet Skipiste<br />
Immer mehr (leistungsorientierte) Skibergsteiger sind auf Skipisten anzutreffen, Ddie<br />
Hauptgründe hierfür sind:<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Effektives Training<br />
<strong>Sicherheit</strong>saspekte<br />
Schneesicherheit durch Beschneiung<br />
Ausgeprägte Infrastruktur<br />
1.1 Effektives Training:<br />
Durch die Pistenpräparation ist eine flexible Spurwahl im Aufstieg sowie in der Abfahrt<br />
möglich, daher fällt die kräftezehrende Spurarbeit bei Neuschnee weg und man<br />
kann somit professioneller trainieren. Dadurch, dass im Regelfall auf renommierten<br />
Skipisten meist mehr gleichgesinnte Sportler unterwegs sind steigt auch die Motivation<br />
beim Training, da man sich sportlich messen kann. Auch das sogenannte 'Höhenmetersammeln'<br />
gelingt bestens auf den Skipisten. Vielen Sportlern bedeutet die<br />
53
Josef Rottmoser / Toni Plazer / Philipp Reiter<br />
Touren auf Skipisten aus Sicht der Leistungssportler<br />
Gesamthöhenmeterzahl nach der Saison sehr viel. Dass man auf präparierten Pisten<br />
mehr Höhenmeter mit geringerem Aufwand zurücklegt, als im Gelände, erscheint<br />
auch logisch.<br />
1.2. <strong>Sicherheit</strong>saspekte<br />
Besonders für die Einsteiger und die Leistungssportler bietet eine Skipiste im Bezug<br />
auf <strong>Sicherheit</strong> eine optimale Trainingsstätte. In Skigebieten wird die Lawinengefahr,<br />
verglichen mit alpinem Gelände, um auf ein vielfaches minimiert. Das Training kann<br />
auch bei Schlechtwetter ausgeführt werden, da man sich auf einer gesicherten Piste<br />
bewegt. Besonders im Hinblick auf 'Training am Abend' kommen die Flutlichtanlagen<br />
den Sportlern sehr entgegen. Sollte sich bei der sportlichen Aktivität ein Unfall ereignen<br />
kann man auf eine rasche Unfallhilfe zählen. Sollte sich ein plötzlicher Wetterumschwung<br />
ereignen ist ein sofortiger Rückzug durch einfache Orientierung möglich.<br />
1.3 Schneesicherheit durch Beschneiung:<br />
Skipisten befinden sich oft schon im Frühwinter in einem tadellosen Zustand, Grund<br />
hierfür sind die Beschneiungsanlagen. Dadurch ist ein früher Saisonstart, der vor allem<br />
für die Leistungssportler wichtig ist, möglich.<br />
Auch die Sportausrüstung wird auf den Pisten, im Gegensatz zum freien Gelände<br />
(Steinkontakt etc.) geschont.<br />
1.4 Ausgeprägte Infrastruktur:<br />
Die meist gute Verkehrsanbindung zu Skigebieten ermöglicht eine zügige und, problemlose<br />
Anreise die besonders auch am Abend eine große Rolle spielt. Vorhandene<br />
Parkplätze und Gastronomieeinrichtungen werden vor allem an einem 'Tourengeherabend'<br />
sehr gut angenommen, und ermöglichen eine komfortable Rast.<br />
2. Gefahren und Konfliktpotenzial<br />
2.1 Pistenpräparation<br />
Die Präparation mit Pistenraupen am Seil stellt eine der größten Gefahren für den<br />
54
Josef Rottmoser / Toni Plazer / Philipp Reiter<br />
Touren auf Skipisten aus Sicht der Leistungssportler<br />
Skitourensportler dar. Besonders in der Dämmerung oder am Abend ist das Stahlseil<br />
nur schwer erkennbar und kann, besonders wenn dies auf einer Länge bis zu 2000m<br />
gespannt ist, zu lebensgefährlichen Verletzungen führen. Auch bei der Pistenpräparation<br />
mit Schneekanonen können teilpräparierte Abschnitte eine Gefahr bedeuten,<br />
besonders wenn diese dann vereist sind. Sollten Pisten nach erheblichen Neuschneezuwachs<br />
durch Lawinen bedroht sein, werden die gefährdeten Abschnitte mittels<br />
Lawinensprenung entschärft. Wenn sich in diesen Zeitraum Skitourengeher auf<br />
Pisten befinden stellt diese Präventionsmaßnahme ebenfalls ein großes Risiko dar.<br />
2.2 Abfahrende Wintersportler<br />
Ist der Winter mal wieder schneearm, oder herrschen kritische Bedingungen abseits<br />
der Piste, zeigt der Trend dass immer mehr Skitourengeher die Piste als Alternative<br />
zu einer 'richtigen' Skitour nutzen. Problematisch wird es dann wenn dies noch dazu<br />
am Wochenende, in den Ferien oder an Feiertagen stattfindet. Ohnehin befinden<br />
sich schon fast zu viele Abfahrer auf der Piste ehe dann noch Tourengeher aufsteigen.<br />
Das Risiko als Aufsteiger steigt dann besonders in unübersichtlichen Passagen<br />
wie Geländekanten, Kuppen, Abzweigungen etc., mit einen Skifahrer zu kollidieren.<br />
2.3 Pauschale Pistensperrungen<br />
Besonders in der frühen Saison und nach Betriebsschluss der Seilbahnbetreiber<br />
kann man oft rote Schilder mit 'Gesperrt' erkennen. Skitourengeher finden das meist<br />
nicht fair, da der Pistenbetreiber nicht die 'freie Natur' als sein Eigentum bezeichnen<br />
darf und einfach sperrt.<br />
2.4 Gebühr für Outdoorsport<br />
In einigen Skigebieten wird seit den letzten Jahren eine Gebühr für das Benützen der<br />
Piste erhoben. Wenn sich schon viele Tourengeher an der frischen Luft mit eigener<br />
Kraft nach oben bewegen ist es dann Fair eine Gebühr zu erheben?<br />
55
Josef Rottmoser / Toni Plazer / Philipp Reiter<br />
Touren auf Skipisten aus Sicht der Leistungssportler<br />
3. Lösungsvorschläge<br />
3.1 Markierte und separierte Aufstiegsspuren<br />
Manche Seilbahnbetreiber (z.B. Zugspitzbahn) reagieren positiv auf den seit Jahren<br />
anhaltenden Trend der Skitourengeher und kooperieren mit separaten Aufstiegsspuren.<br />
Das Risiko für einen Unfall mit abfahrenden bzw. aufsteigenden Wintersportler<br />
wird somit minimiert. Man sieht, dass diese Alternativen gut angenommen werden<br />
und auch die Region finanziell, im Hinblick auf eine Einkehr oder Übernachtung, profitiert.<br />
3.2 Ausgewiesene Abfahrten<br />
Wenn es separate Aufstiegsspuren gibt, braucht es auch eine ausgewiesen Abfahrt<br />
damit das System funktioniert. Die Skigebiete (s. Pkt. 3.1) welche schon einen separaten<br />
Aufstieg ausschildern, machen dies auch in der Abfahrt.<br />
3.3 Erhöhte Parkgebühr als Aufwandsentschädigung<br />
Auch diese These ermöglicht einen unbürokratischen, schnellen und effektiven Ausgleich<br />
für die Benutzung der Skipiste. Die Personen welche die Liftunterstützung nutzen<br />
bekommen die Parkgebühr erstattet, bzw. mit dem Liftpass<br />
verrechnet.<br />
3.4 Ausgeschriebene Tourenabende<br />
Viele Skigebiete ermöglichen den Tourengehern mind. einen Abend in der Woche wo<br />
die Pisten länger genutzt werden dürfen. Darüber freuen sich nicht nur die Aufsteiger,<br />
sondern auch die Gastronomen am Berg die über diesen Weg eine zusätzliche Einnahmequelle<br />
haben.<br />
56
Dr. Klaus Burger<br />
Risiko, warum nicht? Recht auf Risiko?<br />
Risiko, warum nicht? Recht auf Risiko?<br />
Dr. Klaus Burger 1<br />
I. Einleitung und Zusammenfassung<br />
Folgende Feststellungen und Gedanken sind Ausgangspunkt<br />
gesellschaftlicher und juristischer Betrachtungen zum Thema<br />
Risiko:<br />
Der Bergsport entwickelte sich zum Breitensport.<br />
Die letzten Jahrzehnte waren geprägt von <strong>Sicherheit</strong>sbestreben.<br />
<strong>Sicherheit</strong> und Risikomanagement<br />
bildeten die Parameter alpiner Diskussion und Publikation<br />
in den Verbänden. Der Begriff Risiko hatte dabei geringe Sympathiewerte.<br />
Zunehmend entwickelt sich nun eine Diskussion um das Recht auf Risiko.<br />
Der Begriff Risiko wird dabei positiv belegt. Der International Mountain<br />
Summit (IMS) in Südtirol positionierte das „Recht auf Risiko“ als<br />
Leitthema seines Kongresses im Oktober/November 2010 in Brixen. Alpenvereine<br />
fordern einen positiven Umgang mit Risiko 2 .<br />
Freilich ist nicht von einem Paradigmenwechsel weg von <strong>Sicherheit</strong> hin zu Risiko zu<br />
sprechen. Dies wäre auch ein falscher Weg. Die Diskussion um das Recht auf Risiko<br />
wird aber, so der Eindruck, nicht immer offen und geradlinig geführt. So fällt auf:<br />
Risikofreude und Risikoakzeptanz halten sich nur die Waage, sofern kein<br />
schwerer Unfall zu beklagen ist.<br />
Bergsteigen und Klettern wurde Breitensport. Der Bergsportler wird,<br />
auch wenn er dies nicht gerne hört, zunehmend zum „Verbraucher“, der<br />
seine Rechte sucht und wahrnimmt. Outdoor - Konsument und Outdoor -<br />
Management fordern das Recht. Tritt der Ernstfall, sprich Schaden ein,<br />
1<br />
Der Autor ist 1. Vorsitzender des Deutschen Gutachterkreises für Alpinunfälle, alpine Ausrüstung und Materialprüfung,<br />
Bereitschafts- und Einsatzleiter der Bergrettungswache Bad Reichenhall, Ausbilder in der Bergwacht<br />
Bayern sowie Richter und stellv. Direktor des Amtsgerichts Laufen im Berchtesgadener Land.<br />
2<br />
Vgl. Larcher <strong>Sicherheit</strong> & Risiko, Der Balanceakt im Alpenverein, Bergauf, 3/<strong>2011</strong>, 6. DAV Panorama1/<strong>2011</strong>,<br />
11. Burger, Risiko, warum nicht?, bergundsteigen 2/<strong>2011</strong>, 30.<br />
57
Dr. Klaus Burger<br />
Risiko, warum nicht? Recht auf Risiko?<br />
so wird vermehrt der Unfallort zum Tatort. Unglück und Not gelten heute<br />
immer weniger als Schicksal.<br />
Die fortschreitende Standardisierung, EN-Normierung sowie zahlreiche<br />
Publikationen und Erkenntnisse führen dazu, dass die Sorgfaltspflichtanforderungen<br />
und damit auch die rechtlichen Anforderungen im alpinen<br />
Geschehen steigen. Diese Entwicklung wird bisweilen mehr und mehr<br />
auch kritisch betrachtet, insbesondere aus fachlicher Sicht unter dem<br />
Gesichtspunkt, dass immer weniger Eigenverantwortung gefordert wird.<br />
Eigenverantwortliche Selbstgefährdung besagt, unter welchen Voraussetzungen<br />
Bergsteiger bei gemeinsamer Sportausübung eigenverantwortlich handeln. Liegen<br />
die Voraussetzungen eigenverantwortlicher Selbstgefährdung vor, wird insofern Risiko<br />
strafrechtlich akzeptiert.<br />
II. Risiko – eine gesellschaftliche Betrachtung<br />
Risiko 3 und Wagnis begleiten den Menschen seit jeher auf der Suche nach neuen<br />
Lebensbereichen und Erfahrungen, sie sind notwendiger Teil der Evolution. 4 Menschen,<br />
die gelernt haben, Risiken einzugehen und zu akzeptieren, stellen sich den<br />
Fragen der Wissenschaft und der Forschung. Menschen mit Mut zum Risiko tragen<br />
erheblich zu einer funktionierenden Gesellschaft bei.<br />
Berge ohne Gefahr sind keine Berge. 5 Alpinismus und Risiko waren nie Gegensätze.<br />
Ein Blick in die gängige alpine Literatur über die Eroberung von Gipfeln und Wänden<br />
genügt.<br />
3<br />
Als Risiko kann im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung das Produkt aus der Wahrscheinlichkeit eines Schadeneintritts<br />
und den möglichen Folgen bezeichnet werden, vgl. Leitfaden zur Erstellung einer Gefährdungsbeurteilung<br />
im Feuerwehrdienst, Bay. GUV 2010, 13.<br />
4<br />
Vgl. Messner, Westwand, 2010, 213.<br />
5<br />
Messner, Leidenschaft für Grenzerfahrungen, in: Stimmen vom Gipfel, National Geographic, 2004, 476. Vgl.<br />
Kammerlander, Spiel mir das Lied vom Tod, in: Abstieg zum Erfolg, 2000, 66.<br />
58
Dr. Klaus Burger<br />
Risiko, warum nicht? Recht auf Risiko?<br />
Bilder: Archiv Burger, BRK BGL<br />
Der schreckliche Unfall bei „Wetten, dass ..?“ am 4. Dezember 2010 katapultierte die<br />
Diskussion um erlaubtes Risiko im Sport und öffentliche Verantwortung medial auf<br />
die ersten Seiten der Boulevardpresse und machte damit das Feld „Risiko, Sport und<br />
Unterhaltung“ zu einem Top-Thema in Nachrichten und Talkshows unterschiedlichster<br />
Qualität. 6<br />
Die öffentliche Empörung irritiert. Es fehlen zwar Zahlen, wie viele Seilartisten, Löwen-<br />
und Bärenbändiger in voll besetzten Manegen oder auf Jahrmärkten in den<br />
letzten Jahrhunderten ihr Leben ließen; wenige waren es sicher nicht, freilich nicht<br />
live vor einem Millionenpublikum in öffentlich-rechtlichem Sendeformat. Aber Risiko<br />
im Fernsehen ist nicht neu. Bereits seit längerer Zeit pflegen private TV-Spektakel,<br />
wie beispielsweise „Schlag den Raab“, einen lukrativen und voyeuristischen Umgang<br />
mit Sportakrobatik und Verletzungsrisiko, vorwiegend mit Sportdisziplinen der dritten<br />
Art, wie Wok-Eiskanalrennen.<br />
Und nicht auszublenden ist die kommerzielle Vermarktung des Sportrisikos durch<br />
den Getränkehersteller Red Bull, der gezieltes Sponsoring von Risikosportlern wie<br />
Basejumpern, Wingsuitern, Kitesurfern oder Wildwasserkajakern betreibt und die Bilder<br />
auf Wunsch der Sportler nicht nur einer Fangemeinde, sondern staunendem<br />
6<br />
Neulich: Der Spiegel, 4/<strong>2011</strong>, Freispruch vom Gutachter, unter Bezugnahme auf eine Expertise Brüggemann,<br />
Institut für Biomechanik und Orthopädie, Deutsche Sporthochschule Köln, Januar <strong>2011</strong>.<br />
59
Dr. Klaus Burger<br />
Risiko, warum nicht? Recht auf Risiko?<br />
Publikum im Fernsehen (Servus TV) oder mittels Handy-Fernsehen anbietet. Medien<br />
fragten aus tödlichem Anlass: „Geht Red Bull über Leichen?“ 7<br />
Das Spektakel geht weiter und hat offenbar eine große Zukunft vor sich, was auch<br />
das Format „Jackass“ des Musiksenders MTV beweist. Darsteller zeigen hier lebensgefährliche<br />
Stunts, nach deren Sinnhaftigkeit man auch nur ansatzweise vergebens<br />
suchen wird.<br />
Die Diskussion um Risiko ist zu objektivieren. Es drängen sich zunächst folgende<br />
Fragen auf: Was trägt die Statistik zur Versachlichung des Themas Risiko bei? Und<br />
was sagt die Verfassung? Gibt es ein verbürgtes Recht auf Risiko?<br />
III. Statistik im Bergsport<br />
Spitzenreiter bei der Unfallhäufigkeit ist nach Zahlen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz<br />
und Arbeitsmedizin in Deutschland der Fußball, gefolgt von Hand-, Volleyund<br />
Basketball. 8 In der Schweiz sind Wintersport und Ballspiele etwa je zu einem<br />
Drittel die Sportarten mit den häufigsten Unfällen. Auch in Österreich dürfte die Sachlage<br />
nicht anders sein. 9<br />
Bergsportunfälle liegen weit abgeschlagen noch hinter Wassersport- oder Rollerunfällen.<br />
Nach Einschätzung des Deutschen Alpenvereins auf der Grundlage der dort<br />
erhobenen Bergunfallstatistik entspricht die Darstellung vom gefährlichen Bergsport<br />
nicht der Realität. Wandern, Bergsteigen und Klettern gehören zu den Sportarten mit<br />
dem geringsten Verletzungsrisiko bei gleichzeitig größtem Fitnessgewinn. 10<br />
Das Wandern und der Alpinschilauf sind dabei die unfallträchtigsten Bergsportarten.<br />
Dabei dürfte der Anteil internistisch bedingter tödlicher Unfälle beim Wandern sehr<br />
hoch liegen. 11<br />
Anders hingegen die Sachlage, wenn man die tödlichen Unfälle nach Sportartengruppen<br />
analysiert. In der Schweiz zählt man die häufigsten tödlichen Unfälle im<br />
7<br />
Die Presse, 17.11.2009, Tod eines Extremsportlers.<br />
8<br />
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Dortmund, Sportunfälle 2000, unter www.baua.de<br />
9<br />
Vgl. für Österreich, Alpinunfälle, Statistik, in analyse: berg, Sommer <strong>2011</strong>, Österreichisches Kuratorium für<br />
alpine <strong>Sicherheit</strong>, 11, mwN.<br />
10<br />
Randelzhofer/Hellberg, Wie riskant ist der Bergsport?, bergundsteigen 3/2010, 42, 48; DAV Panorama<br />
2/2010, 68, 69.<br />
11<br />
Vgl. dazu Wandern, Statistik, analyse: berg, Sommer <strong>2011</strong>, Österreichisches Kuratorium für alpine <strong>Sicherheit</strong>,<br />
S. 17, 18, knapp 50 Prozent.<br />
60
Dr. Klaus Burger<br />
Risiko, warum nicht? Recht auf Risiko?<br />
Bergsport. 12 Nach einer frühen amerikanischen Studie ist die Wahrscheinlichkeit eines<br />
tödlichen Bergunfalls bei einem „qualifizierten“ Bergsteiger am höchsten, gefolgt<br />
von Drachenfliegern, Fallschirmspringern und Tiefseetauchern. Abgeschlagen rangieren<br />
Boxer, weit abgeschlagen Schirennfahrer. 13 Festzuhalten bleibt, dass statistische<br />
Risikoanalysen im alpinen Bereich sehr hilfreich sind, sie bestimmen aber weder<br />
die einzelfallbezogene emotionale noch ausschlaggebend die rechtliche Diskussion.<br />
Es gibt keinen Massenanfall von Todesfällen oder schweren Verletzungen, ein<br />
gesetzgeberisches oder rechtliches gesondertes Einschreiten ist mithin nicht erforderlich.<br />
IV.<br />
Risiko und Verfassungsrecht - Recht auf Risiko<br />
Das Recht auf Risiko hat eine verfassungsrechtliche Dimension und leitet sich in<br />
Deutschland aus der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz, im Folgenden GG)<br />
und speziell aus der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) ab. 14 Der erwachsene<br />
Mensch ist grundsätzlich mündig und frei in seinen Entscheidungen. Die<br />
frei bestimmte Entscheidung, sich in eine Herausforderung mit offenem, risikobehafteten<br />
Ausgang zu begeben, ist grundsätzlich ebenso gewährleistet wie die Entscheidung<br />
zu völliger Unsportlichkeit und jeglicher Risikovermeidung.<br />
Der Staat hat von Verfassungs wegen nicht das Recht, seine erwachsenen und zur<br />
freien Willensbestimmung fähigen Bürger zu bessern oder zu hindern, sich selbst zu<br />
schädigen. 15 So ist in Deutschland in Konsequenz der frei verantwortliche Suizid<br />
nicht strafbar, ebenfalls nicht die Beihilfe dazu. Wer ausschließlich sich selbst gefährden<br />
will, kann das tun. 16 Das Prinzip der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung<br />
beruht damit auf der verfassungsrechtlich geschützten Autonomie und Selbstbestimmung<br />
des Einzelnen. Freilich: Ob Lebens-, Unfall oder (in Zukunft) auch Krankenversicherungen<br />
im Falle eines Unfalls bezahlen, muss nicht, sollte aber vorab<br />
geklärt werden.<br />
Die allgemeine Handlungsfreiheit und damit die Entscheidung für Risiko steht jedoch<br />
auch im Alpinsport unter dem Vorbehalt der verfassungsmäßigen (Rechts-)Ordnung:<br />
12<br />
Observatorium Sport und Bewegung Schweiz, Jahresbericht 2010, 53 (Stand 10/2010) unter www.sportobs.ch<br />
13<br />
Fritzweiler, Gefährliches Boxen und staatliches Verbot, SpuRt 4/1995, 156.<br />
14<br />
Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz. Für Österreich Burger, Das Verfassungsprinzip der Menschenwürde<br />
in Österreich, 2002, 272.<br />
15<br />
BVerfGE 22, 180, 219. BayObLGZ 1994, 209, 211. Vgl. auch Steiner, Verfassungsfragen des Sports, NJW<br />
1991, 2729, 2734.<br />
16<br />
Grunsky, Persönlichkeitsrecht und Verbandsautonomie bei der Dopingbekämpfung, SpuRt 5/2007, 188, 189.<br />
61
Dr. Klaus Burger<br />
Risiko, warum nicht? Recht auf Risiko?<br />
„Eingriffe in die persönliche Freiheit des Einzelnen sind dann zulässig, wenn sie dem<br />
Schutz der Allgemeinheit dienen.“ Gesetzliche Schranken der Handlungsfreiheit sind<br />
insofern auch zur Pflege und Förderung des sozialen Zusammenlebens und des Gesundheitsschutzes<br />
in den Grenzen des allgemein Zumutbaren zu akzeptieren. 17 Die<br />
gesetzliche Gurtanlegepflicht für Kraftfahrer und die Schutzhelmpflicht für Kraftradfahrer<br />
verstoßen deshalb nicht gegen die Verfassung. 18 Ein Zuwiderhandeln gegen<br />
entsprechende Pflichten ist dabei keine strafbare Handlung, sondern wird als Ordnungswidrigkeit<br />
qualifiziert, freilich mit erheblichen zivilrechtlichen und versicherungsrechtlichen<br />
Konsequenzen.<br />
Eine Beeinträchtigung des sozialen Zusammenlebens durch erhöhtes Risiko im<br />
Bergsport (wie Free Solo-Begehungen oder objektiv riskante Besteigungen) wäre<br />
dann denkbar, wenn sich einschlägige Bergunfälle extrem häufen und z. B. die solidarisch<br />
angelegte Krankenversicherung übermäßig belasten. Dies ist absehbar nicht<br />
der Fall.<br />
Wie verhält es sich nun bei Verletzung und Tod während gemeinschaftlicher Bergsportausübung?<br />
Die Verfassung gewährleistet jedem das Recht auf die freie Entfaltung<br />
seiner Persönlichkeit nur, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt. Rechte<br />
anderer sind, bezogen auf die hiesige Thematik, das Recht auf Leben und körperliche<br />
Unversehrtheit. Der Schutz von Leib und Leben steht unter besonderer staatlicher<br />
Verantwortung. Es liegt auf der Hand, dass es keine Rechtsordnung billigt, andere<br />
ohne Rechtfertigung zu verletzen oder zu töten. Art. 2 Abs. 2 GG in Verbindung<br />
mit dem Rechtsstaatprinzip, Art. 20 Abs. 3 GG, verpflichtet deshalb den Staat, sich<br />
schützend und fördernd vor das Leben und die körperliche Unversehrtheit seiner<br />
Bürger zu stellen. So ist ein Totschläger zu ermitteln und zu bestrafen, die Aufhebung<br />
der Strafbarkeit von Totschlag, aber auch von fahrlässiger Tötung wäre insofern<br />
verfassungswidrig. 19<br />
Der Staat hat also das Recht und die Pflicht, seine Bürger zu schützen und kann dies<br />
- mit weitem Ermessensspielraum - auch strafrechtlich flankieren. 20 Die Verfassungsrechtsbestimmungen<br />
des Art. 2 Abs. 1 GG (Selbstbestimmungsrecht unter der Vorgabe<br />
der Verfassungsordnung) und Art. 2 Abs. 2 GG (Lebensschutz) sind in Einklang<br />
17<br />
Vgl. BVerfG NVwZ 2010, 1289. BVerwG 82, 45 juris Rn 37.<br />
18<br />
BVerfG NJW 1982, 1276. BVerfG NJW 1987, 180.<br />
19<br />
Kunig, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, Band 1, 5. Auflage, Art. 2 Rn 57.<br />
20<br />
Neulich: Steiner, Der „Anti-Doping-Staat“ - zu den verfassungsrechtlichen Grenzen hoheitlicher Dopingbekämpfung,<br />
in: Doping - warum nicht? Herausgegeben von Höfling/Horst, Mohr Siebeck 2010, 91, 94.<br />
62
Dr. Klaus Burger<br />
Risiko, warum nicht? Recht auf Risiko?<br />
zu bringen. 21 Bei der Zurechenbarkeit von Verantwortung bei Verletzung und Tod im<br />
Gebirge geht es letztlich um die Fragen, inwieweit der Staat risikobewusste Tätigkeit<br />
im Interesse Dritter kriminalisieren darf und muss und damit der allgemeinen Handlungsfreiheit<br />
und Selbstbestimmung des Menschen Grenzen setzt. Verfassungsrechtlich<br />
lassen sich allerdings keine strikten Vorgaben ableiten, welche Sorgfaltspflichten<br />
geboten und unter welchen Voraussetzungen bei Unfällen während gemeinschaftlicher<br />
Sportausübung in den Bergen oder im alpinen Veranstaltungsbereich eine strafrechtliche<br />
Sanktion ausgeschlossen ist. 22<br />
Zwischenergebnis: Im Bereich der Eigenverantwortung ist ein strafrechtlicher Eingriff<br />
im Bergsport zum Schutze des Sportlers ausschließlich vor sich selbst aus Verfassungsgründen<br />
nicht gerechtfertigt.<br />
Mangels exakter verfassungsrechtlicher Vorgaben und mangels exakter (einfach-)<br />
gesetzlicher Regelungen (es gibt kein Alpingesetz) bleibt es beim gemeinschaftlichen<br />
Bergsport spannende und entscheidende Frage, wie die Justiz im Einzelfall die<br />
Abgrenzungskriterien von strafloser eigenverantwortlicher Selbstgefährdung des Opfers<br />
und strafwürdiger Verletzung oder Tötung eines beteiligten Bergsportlers oder<br />
Bergveranstalters zieht.<br />
21<br />
Dazu auch BVerwG 82, 45: Dass sich das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 GG gegenüber<br />
der staatlichen Schutzverpflichtung nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG im Falle der bloßen Selbstgefährdung durchsetzt,<br />
dürfte für den staatsfreien, rein gesellschaftlichen Bereich auf breite Zustimmung stoßen.<br />
22<br />
Vgl. BVerfG NVwZ 2010, 1289. BVerfG NJW 1998, 2961.<br />
63
Dr. Klaus Burger<br />
Risiko, warum nicht? Recht auf Risiko?<br />
Bisweilen erscheint es allerdings, so der Einwand nicht weniger alpiner „Praktiker“,<br />
dass Staatsanwaltschaften und Gerichte im Alpinismus strengere Maßstäbe als in<br />
anderen Sportarten anlegen, mithin mit zweierlei juristischem Maß gemessen wird.<br />
V. Berg und Tal - zweierlei juristisches Maß?<br />
Risiko ist bei beruflicher Höchstleistung, im Brauchtum und in vielen Sportarten gesellschaftlich<br />
akzeptiert.<br />
Bilder: Archiv Burger, BRK BGL<br />
Giro d’Italia, Mai <strong>2011</strong>: Tödlicher Sturz des Belgiers Weylandt. Er sei das Opfer „einer<br />
brutalen Streckenführung“ befand El Mundo. 23 Die Süddeutsche urteilt: „Doch bei<br />
aller Trauer: Das Rennen geht weiter, bei manchen Sportarten gehören Unfälle praktisch<br />
zum Geschäftsmodell.“ Und die fragende Antwort: „Es muss ein Fahrfehler gewesen<br />
sein.“ 24 Das Risiko entspricht dem Regelwerk. Die Verbände bestimmen offenbar,<br />
wo es lang geht. Und der Staat fördert den Sport, indem er Straßen sperrt<br />
und Polizei sowie Einsatzkräfte zur Verfügung stellt.<br />
Anderer Ort, anderer Sport. Breitensport. Alpenvereinstour, Lawinenabgang, Toter.<br />
Polizei und Staatsanwaltschaften ermitteln. Sozialversicherungsträger versuchen,<br />
Regress zu nehmen. Schadensersatz- und Schmerzensgeld werden eingeklagt. Betroffene<br />
suchen durch Gerichte eine Bestätigung, dass Unrecht geschehen ist. Die<br />
Erwartungen an das Recht sind groß.<br />
23<br />
24<br />
dpa, newsticker, in: www.zeit.de/news vom 11.05.<strong>2011</strong>.<br />
Hummel, Ritt mit tödlichem Reiz, www.sueddeutsche.de/sport, vom 11.05.<strong>2011</strong><br />
64
Dr. Klaus Burger<br />
Risiko, warum nicht? Recht auf Risiko?<br />
Zweierlei Maß? Gefühlt ja, juristisch nein, von Ausnahmen fehl geleiteter Tatsachenfeststellung<br />
und Ermittlung abgesehen. Warum? Die Bewertung einer bewussten Risikoübernahme<br />
ist im Sport uneinheitlich und hängt zu Recht von der jeweiligen<br />
Sportart, den Beteiligten und davon ab, ob es ein verbandlich akzeptiertes Regelwerk<br />
gibt. So unterscheidet der Jurist im Zivilrecht mit guten Gründen zwischen parallel<br />
ausgeübten Sportarten (wie Radfahren), Kampfsportarten mit gewolltem oder unvermeidbarem<br />
Körperkontakt (wie Eishockey, Fußball), besonders gefährlichen Sportarten<br />
(wie Boxen, Autorennen) und miteinander ausgeübter Sportart ohne Regeln (wie<br />
Tanz, Wandern), mithin insbesondere zwischen Individual- und Mannschaftssport<br />
und Sport mit oder ohne Regeln.<br />
In diesem Feld möglicher Klassifizierung sucht so mancher Versicherungsjurist,<br />
Staatsanwalt oder Richter den Alpinsport rechtlich „einzunorden“, was aber angesichts<br />
der Vielfältigkeit und Komplexität alpiner Betätigung und mangels verbindlichen<br />
Regelwerkes sehr schwierig ist. 25 Die alpine Betätigung ist schon wegen der<br />
komplexen Gemengelage von objektiven und subjektiven Gefahren nicht mit herkömmlichen<br />
Sportrechtsmaßstäben zu greifen.<br />
Dennoch wird beklagt, dass der Alpinismus „verrechtlicht“ wird und die Strafverfolgung<br />
im Alpinismus immer mehr an Schlagkraft gewinnt.<br />
VI.<br />
Alpinismus und Recht – Hilfe! Die Juristen kamen.<br />
„Gegen eine Kriminalisierung des Bergsports“, diese Aussage ist ein Leitgedanke der<br />
Tätigkeit des Österreichischen Kuratoriums für alpine <strong>Sicherheit</strong>. Weshalb dies? Was<br />
ist passiert? Die Antwort liegt auf der Hand: Die Juristen kamen. Aber: Wer hat sie<br />
gerufen?<br />
Das Recht drängt sich nicht von selbst in Wände und auf Gipfel. Outdoor-Konsument<br />
und Outdoor-Management verändern Bergsport zum Breitensport und rauben damit<br />
dem Berg die ehemals ihm eigene rechtliche Spärlichkeit. Heutzutage werden alpine<br />
Gefahrenräume entschärft, Klettersteige eröffnen Wände für den Breitensport, Routen<br />
verlieren ihr Wagnis, sie werden gebohrt und fleißig saniert, auf Hochglanz in<br />
Auswahlführern beworben und damit kommerzialisiert.<br />
25<br />
Vgl. Lösungsansatz Burger, in: SpuRt 5/2007, 192.<br />
65
Dr. Klaus Burger<br />
Risiko, warum nicht? Recht auf Risiko?<br />
Für Tausende und Abertausende erschließen sich alpine Welten, ohne in den Bergen<br />
aufgewachsen zu sein oder die alpinen Gefahren Schritt für Schritt verinnerlicht<br />
zu haben.<br />
Bilder: Archiv Burger, BRK BGL<br />
Besonders ehrgeizige Wesen werden – hinten geschoben und vorne gezogen – in<br />
Todeszonen transportiert. Und geht es schief, wird der Schuldige gesucht.<br />
Bildtext: Was vor 35 Jahren schneidiges Abenteuer mit schicksalhaftem Ausgang war, wäre heute rechtliche Verantwortung<br />
bei faktischer Führerschaft.<br />
Bild: Archiv Burger<br />
66
Dr. Klaus Burger<br />
Risiko, warum nicht? Recht auf Risiko?<br />
VII. Eigenverantwortung im deutschen Strafrecht – Grundsätze 26<br />
Eigenverantwortliche Selbstgefährdung beschreibt, unter welchen Voraussetzungen<br />
Bergsteiger und alpine Sportler bei einer gemeinsamen Sportausübung<br />
eigenverantwortlich handeln, und ob bei einem Unfall eine strafrechtliche<br />
Sanktion wegen fahrlässiger Tötung oder fahrlässiger Körperverletzung eines<br />
Beteiligten, Berg- und Sportkameraden, eines Veranstalters oder sonstigen<br />
Verantwortlichen zum Tragen kommt. Die Beurteilung einer Eigenverantwortung<br />
erfolgt dabei vorrangig; und unabhängig von der erst nachrangigen, mitunter<br />
schwierigen Suche und Bewertung von Sorgfaltspflichtmaßstäben und<br />
der Prüfung einer Sorgfaltspflichtverletzung.<br />
Die Thematik „Eigenverantwortung“ ist seit längerer Zeit Gegenstand zahlreicher,<br />
auch obergerichtlicher Entscheidungen. Das Bayerische Oberste Landesgericht ließ<br />
im Jahr 1988 wegen eines Freispruchs aufhorchen. Was war passiert? Ein 24-<br />
jähriger Skateboarder beschloss, sich an ein Kraftrad anzuhängen und ziehen zu<br />
lassen. Der Fahrer entsprach dem Wunsch. Der Skateboarder konnte die Fahrt nicht<br />
kontrollieren und stürzte nach einer Wegstrecke von etwa 270 m und einer Ge-<br />
26<br />
Vgl. Burger, <strong>Sicherheit</strong> im Bergland <strong>2011</strong>, Eigenverantwortliche Selbstgefährdung, S. 74 ff. Burger, Risiko,<br />
warum nicht? bergundsteigen 2/<strong>2011</strong>, 30 ff. Burger, Eigenverantwortliche Selbstgefährdung, Bayerns Polizei,<br />
2/2010, 22.<br />
67
Dr. Klaus Burger<br />
Risiko, warum nicht? Recht auf Risiko?<br />
schwindigkeit von 35 bis 40 km/h und zog sich tödliche Kopfverletzungen zu. 27 Das<br />
Gericht: Der Fahrer ist für die Tötung nicht verantwortlich. Etwa ab den 90-Jahren<br />
wird dieser von der Rechtsprechung entwickelte Strafausschlussgrund der Eigenverantwortung<br />
im Bereich des alpinen Unfallgeschehens vermehrt geprüft und zu Recht<br />
anerkannt. 28<br />
Eigenverantwortung liegt vor, wenn sich eine Person frei verantwortlich und in voller<br />
Kenntnis des Risikos und der Tragweite ihrer Entscheidung in eine Gefahrensituation<br />
begibt. Die Straflosigkeit eines Beteiligten setzt voraus, dass sich der weitere Beteiligte<br />
„frei und eigenverantwortlich gewollt“ selbst gefährdet 29 . Wer lediglich die<br />
Selbstgefährdung eines anderen veranlasst, ermöglicht oder fördert, ist nicht wegen<br />
eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts strafbar. Zu Grunde liegt das Verfassungsprinzip<br />
der Selbstverantwortung. Die Prüfung der Ursächlichkeit einer Eigenverantwortung<br />
hat mit der konkreten Tatsituation einzusetzen (der konkret-kritischen<br />
Verkehrslage vergleichbar), die unmittelbar zu dem schädigenden Ereignis geführt<br />
hat 30 . Die Garantenstellung eines an der Selbstgefährdung beteiligten oder Mitwirkenden<br />
hindert grundsätzlich nicht eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung, abgesehen<br />
von der im alpinen Bereich eher sehr seltenen Ausnahme, dass die Garantenpflicht<br />
gerade die Verhütung der Selbstgefährdung umfasst. 31<br />
Maßgebliches dogmatisches Kriterium zur Abgrenzung strafloser Selbstgefährdung<br />
und strafrechtlicher Verantwortung ist die Trennungslinie zwischen Täterschaft und<br />
Teilnahme. Eigenverantwortlich handelt derjenige, der das Tatgeschehen „in Händen<br />
hält“ und über das „Ob“ und „Wie“ des Geschehens maßgeblich mitentscheidet. Anschaulich<br />
verneinte der BGH jüngst Eigenverantwortung in einem Fall eines tödlichen<br />
Unfalls eines Beifahrers bei einem Autorennen. Der Beifahrer war in der konkretkritischen<br />
Situation ohne Möglichkeit, seine Gefährdung durch eigene Handlungen<br />
abzuwenden, er war lediglich den Wirkungen des Fahrverhaltens des Fahrers ausgesetzt.<br />
32<br />
27<br />
BayObLG NVZ 1989, 80. Vgl. auch BayObLG NVZ 1996, 461.<br />
28<br />
BayObLG NZV 1989, 80-Skateboardfahrer. Vgl. BayObLG NStZ-RR 1998, 328 (330)-Kletterkurs. AG Laufen<br />
SpuRt 2006, 210 ff-Lawine. StA Graubünden SpuRt 2006, 204 ff-Skipiste.<br />
29<br />
BGH NJW 35/2009, 2611.<br />
30<br />
BGH NStZ 2004, 151.<br />
31<br />
Dazu Weber, BtmG, 3. Auflage 2009, § 30 Rn 192 mwN. Burger, Bewusste Risikoübernahme, Spurt 2007,<br />
149, 150.<br />
32<br />
BGH NStZ 2009, 148. BGH NStZ 2003, 537. BGH NJW 2000, 2286.<br />
68
Dr. Klaus Burger<br />
Risiko, warum nicht? Recht auf Risiko?<br />
Tatherrschaft und Eigenverantwortung setzen dabei Risikokenntnis voraus. Risikokenntnis<br />
bedingt rechtzeitige und umfassende Risikoaufklärung. Wer dem später<br />
Verletzten oder Getöteten die Ungefährlichkeit seines Tuns oder seines Aufenthalts<br />
suggeriert oder einen trügerischen Vertrauenstatbestand schafft, kann sich nicht auf<br />
die Eigenverantwortung des Opfers berufen. 33 Eigenverantwortliche Selbstgefährdung<br />
greift nicht, wenn ein Beteiligter kraft überlegenen Sachwissens das Risiko<br />
besser erfasst als der sich selbst Gefährdende. 34 Die Beeinträchtigung der Eigenverantwortlichkeit<br />
des Selbstgefährdungsentschlusses infolge eines Irrtums über die<br />
Gefahrendimension des Selbstschädigungsaktes kann dem Tatbeteiligten die Herrschaft<br />
über das Geschehen kraft überlegenen Sachwissens zukommen lassen, 35<br />
Eigenverantwortung des anderen Beteiligten wäre mithin zu verneinen.<br />
Neben ausreichender Sach- und voller Risikokenntnis sind weitere, allerdings wenig<br />
praxisrelevante Erfordernisse der Eigenverantwortung die - von der zivilrechtlichen<br />
Geschäftsfähigkeit und der strafrechtlichen Schuldfähigkeit zu unterscheidende -<br />
Einsichts-, Urteils und Steuerungsfähigkeit. Rechtlich sind bei diesen Teilelementen<br />
der strafrechtlichen Eigenverantwortung die Maßstäbe der Einwilligungsfähigkeit entscheidend.<br />
36 Der Beteiligte muss Wesen, Bedeutung und Tragweite seines Tuns und<br />
seiner eigenverantwortlichen Entscheidung voll erfassen (Einsichts- und Urteilsfähigkeit)<br />
und imstande sein, seinen Willen danach zu bestimmen. Dies kann bei Erwachsenen<br />
wesentlich beeinträchtigt sein bei sehr schweren Erschöpfungszuständen oder<br />
bei massiver Übermüdung.<br />
Eigenverantwortliche Selbstgefährdung erfordert schließlich eine rechtlich zulässige<br />
Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeit, was insbesondere bei Befehlen oder<br />
Weisungen (z. B. bei Polizei oder Militär) ohne Entscheidungsbefugnis zu prüfen und<br />
regelmäßig zu verneinen sein wird. Handlungsfreiheit lediglich in der Durchführung<br />
vorgegebener Ziele (z. B. „Führen mit Auftrag“ in der Bundeswehr oder der Zugriff im<br />
gefährlichen polizeilichen Einsatz) bedeutet dabei nicht Eigenverantwortung im rechtlichen<br />
Sinn.<br />
Ein Alleingänger kann in seltenen Ausnahmefällen strafrechtlich für die Verletzung<br />
oder den Tod verantwortlich sein, wenn er vorsätzlich eine Rettungsaktion erzwingt<br />
33<br />
Burger, <strong>Tagungsband</strong> <strong>Alpine</strong> <strong>Sicherheit</strong> 2007, Bad Reichenhall, 27, 39. So AG Garmisch-Partenkirchen,<br />
BeckRS 2010, 24430.<br />
34<br />
BGH NJW 2000, 2286. BGH NStZ 2003, 537 (538).<br />
35<br />
BGH NStZ <strong>2011</strong>, 341. BGH NStZ 2009, 504. Lange/Wagner, Fremdtötung oder eigenverantwortliche Selbstschädigung?<br />
NStZ <strong>2011</strong>, 67 mwN.<br />
36<br />
Weber, BtmG, 3. Auflage 2009, § 30 Rn 184.<br />
69
Dr. Klaus Burger<br />
Risiko, warum nicht? Recht auf Risiko?<br />
und sich der Retter verletzt oder stirbt oder – auch dies gibt es – sorgfaltswidrig auf<br />
eine andere Person fällt und diese stirbt. 37<br />
VIII.<br />
Eigenverantwortliche Selbstgefährdung in der alpinen Strafrechtspraxis<br />
(ausgewählte Beispiele)<br />
1. Tödlicher Lawinenabgang<br />
Im Januar 2002 befuhren zwei Schitourengeher an der Alpspitze, Garmisch-<br />
Partenkirchen, bei Lawinenwarnstufe 2 einzeln den ca. 34 Grad steilen Gipfelhang,<br />
wobei der erste Schibergsteiger an einem ihm sicher erscheinenden Standort wartete.<br />
Als sein Gefährte in den Gipfelhang einfuhr, löste sich ein Schneebrett und riss<br />
den unterhalb wartenden Schitourengeher tödlich in die Tiefe. Ein Strafverfahren gegen<br />
den überlebenden Lawinenauslöser fand nicht statt. 38 Der Getötete gefährdete<br />
sich eigenverantwortlich, da er in voller Risikokenntnis, bei gleichwertiger Sachkenntnis<br />
und Abwägungs- und Steuerungsfähigkeit aufgrund eines freien und eigenen<br />
Willensentschlusses in den Hang einfuhr. Das insofern ähnliche Lawinenunglück<br />
am Sulzkogel im Jahr 2005 verdeutlicht, dass die strafrechtliche Verantwortung eines<br />
37<br />
BGH NStZ 1994, 83 (vorsätzliche Brandstiftung – Zurechnung Tod eines Retters). OLG Stuttgart NJW-Spezial<br />
2008, 346. Zum Sturz: AG Schwäbisch Hall 23.02.2005, 3 Cs 43 Js 602/05. OLG Stuttgart NJW 2007, 1367.<br />
Kocholl, bergundsteigen 3/06, 18 ff. Burger, <strong>Tagungsband</strong> <strong>Symposium</strong> Alpinrecht Bad Reichenhall 2006, S. 140<br />
ff.<br />
38<br />
StA Mü II, Az. 12 UJs 453/02.<br />
70
Dr. Klaus Burger<br />
Risiko, warum nicht? Recht auf Risiko?<br />
Mitsportlers bei bewusster Risikoübernahme des Opfers ausgeschlossen ist und sich<br />
die Frage eines möglichen Sorgfaltspflichtverstoßes nicht mehr stellt. 39<br />
Das Landgericht Traunstein sprach am 7. Oktober <strong>2011</strong> einen DAV-Fachübungsleiter<br />
vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung frei. 40 Bei einer am 9. Februar 2008 geführten<br />
Tour auf das Imbachhorn (Hohe Tauern) und bei anschließender Abfahrt vom Roßkopf<br />
kam eine Tourenteilnehmerin in einer Lawine um das Leben. Die Hangneigung<br />
betrug bis zu 38 Grad, stellenweise 40 Grad, bei Lawinenwarnstufe 3. Eigenverantwortliche<br />
Selbstgefährdung wurde wegen mangelnder Risikokenntnis und Fachkenntnis<br />
verneint. Der Angeklagte hatte überlegenes Fachwissen und war (zumindest)<br />
faktischer Führer. Der Freispruch erfolgte aber deshalb, weil sich die Verunglückte<br />
nicht ausschließbar Abrede widrig verhielt, nicht auf Anweisungen wartete,<br />
und die Erfolgsverursachung für den Angeklagten somit subjektiv nicht vorhersehbar<br />
war.<br />
2. Absturz im Fels<br />
Im Oktober 2005 stürzte ein Kletterer einer Seilschaft beim Abseilen einer zuvor gekletterten,<br />
sanierten Route im VI. Grad im Hochköniggebirge tödlich ab. Grund: Ausbruch<br />
eines Bohrhakens. Als Abseilstelle wurde ein im Jahr 2003 – offenbar sorgfaltswidrig<br />
- gesetzter und von dem Sanierer der Route selbst hergestellter Bohrhaken<br />
verwendet. Für die Staatsanwaltschaft Salzburg war ein Fremdverschulden nicht<br />
erkennbar. 41<br />
Der Verunglückte war eigenverantwortlich in freiem Gelände unterwegs, hatte Risikound<br />
Sachkenntnis und musste wissen, dass ein einzelner Haken unzuverlässig sein<br />
kann und nicht als Abseilpunkt zu verwenden ist. Diese Rechtsbeurteilung ist freilich<br />
kein Freibrief für sorgfaltswidriges Handeln. Wer durch sein Handeln die Gefahr für<br />
den Eintritt eines schädigenden Erfolges gesetzt hat (sog. Ingerenz), ist grundsätzlich<br />
verpflichtet, die drohenden Schäden zu verhindern. Allerdings muss das Vorverhalten<br />
pflichtwidrig und rechtlich zu missbilligen sein. Eine Rechtspflicht aus vorangegangenem<br />
Tun entsteht, wenn ein gewichtiger Vertrauenstatbestand dahingehend geschaffen<br />
wird, dass - auf den konkreten Fall übertragen - die Führe sicher und normge-<br />
39<br />
40<br />
41<br />
AG Laufen, SpuRt 2006, 210.<br />
LG Traunstein, Az. 3 Ns 110 Js 15289/08.<br />
Schwaiger, bergundsteigen 2/06,18. StA Salzburg Az. UT 7413/05 t.<br />
71
Dr. Klaus Burger<br />
Risiko, warum nicht? Recht auf Risiko?<br />
recht saniert wurde. Dies wäre dann der Fall, wenn die Veröffentlichung der Sanierung<br />
kommerziellen Zwecken dient und trügerische <strong>Sicherheit</strong> vermittelt 42 .<br />
3. Tod beim Extremberglauf 43 Bilder: Archiv Bergwacht Bayern<br />
Bei einem Extremberglauf auf die Zugspitze (2.962m) starben im Juli 2008 zwei<br />
Bergläufer an Unterkühlung und Erschöpfung. Weitere Läufer mussten medizinisch<br />
behandelt werden. Die Verstorbenen und Verletzten trugen keine den Witterungsbedingungen<br />
angemessene Bekleidung und waren Schneetreiben und eisigen Winden<br />
ausgesetzt.<br />
Die Staatsanwaltschaft München II erhob Anklage gegen den Veranstalter wegen<br />
zweifacher fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung in weiteren Fällen.<br />
Das Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen sprach den Veranstalter frei: Die Verstorbenen<br />
und die Verletzten gefährdeten sich eigenverantwortlich selbst. 44<br />
Bemerkenswert an der Entscheidung ist, dass Eigenverantwortung auch bei alpinen<br />
Veranstaltungen und nicht nur bei gemeinschaftlicher Sportausübung greifen kann,<br />
und die (vertragliche) Garantenstellung des Veranstalters für die <strong>Sicherheit</strong> der Teilnehmer<br />
eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung der Sportler nicht hindert. Im<br />
42<br />
Dazu: Burger, <strong>Tagungsband</strong> <strong>Alpine</strong> <strong>Sicherheit</strong> 2007, Reichenhall, 40.<br />
43<br />
Vgl. Beulke, <strong>Sicherheit</strong> im Bergland <strong>2011</strong>, <strong>Alpine</strong> Extremsportveranstaltungen und eigenverantwortliche<br />
Selbstgefährdung, S. 99. Schuld, Veranstalterpflichten bei Berglauf (extrem)-Events, SpuRt 3/<strong>2011</strong>, 90.<br />
44<br />
AG Garmisch-Partenkirchen, 3 Cs 11 Js 24093/08, in: BeckRS 2010, 24430.<br />
72
Dr. Klaus Burger<br />
Risiko, warum nicht? Recht auf Risiko?<br />
konkreten Fall durfte sich der Veranstalter darauf verlassen, dass die offensichtlich<br />
erfahrenen und später verletzten und verstorbenen Läufer seine Ausrüstungs- und<br />
Gefahrenhinweise befolgen. Die (notwendigen) Empfehlungen und Witterungshinweise<br />
des Veranstalters, wegen der widrigen Bedingungen und der drohenden Wetterverschlechterung<br />
angemessene Kleidung zu tragen, erwiesen sich im Ergebnis<br />
rechtlich als ausreichend, vermittelten mithin die erforderliche Risikokenntnis. Die<br />
getöteten und verletzten Bergläufer hatten insofern die geforderte Tat- und Gefährdungsherrschaft.<br />
Ein trügerischer und damit die Eigenverantwortung ausschließender<br />
Vertrauenstatbestand war nicht zu begründen, denn auf Vertrauen, dass die <strong>Sicherheit</strong><br />
gewährleistet werde, könne sich nur der berufen, der sich selbst „regeltreu“ (Beachtung<br />
der Bekleidungshinweise) verhalte.<br />
Was blieb, war die Verpflichtung des Veranstalters, die Risikofaktoren zu beobachten<br />
und gegebenenfalls zu reagieren. Diese Verpflichtung zur Beobachtung der tatsächlichen,<br />
risikobeeinflussenden Parameter ist von Bedeutung, weil Risikokenntnis ein<br />
dynamischer Prozess ist und erhöhte Risiko- und damit Sachkenntnis des Veranstalters<br />
Eigenverantwortung der Teilnehmer ausschließt. Der Veranstalter des Zugspitzlaufs<br />
handelte demgemäß richtig, das Ziel wegen sich verschlechternder Wetterlage<br />
auf das tiefer gelegene Sonnalpin zu verlegen. Der für die Verstorbenen zu späte<br />
Zeitpunkt, nämlich um 12:00 Uhr, genügte im konkreten Fall den juristischen Anforderungen.<br />
4. Realitätsnahe Aus- und Fortbildung<br />
Im September 1994 stürzte ein Polizeibeamter in der Watzmann-Ostwand (Berchtesgadener<br />
Weg, 1.800 bis 1.900 m Wandhöhe, Schwierigkeitsgrad bis III) im Bereich<br />
der grauen Platten ab und verstarb. Die Begehung der Ostwand war Teil einer fachspezifischen<br />
Bergausbildung zur Vorbereitung von Einsätzen. Es herrschte Nebel,<br />
die Wetterprognose war aber gut. Die unmittelbare Absturzursache war nicht feststellbar.<br />
Der Beamte verunglückte im Vorstieg, eine Einweisung über die Seillänge<br />
durch einen Polizeibergführer erfolgte. Der Verstorbene war ein Bergsteiger, der den<br />
Begehungen der Wand gewachsen war. Die Ausbildungsmaßnahme war sehr gut<br />
vorbereitet und wurde sachgerecht durchgeführt. Das überschlagene Gehen erwies<br />
sich im Hinblick auf die Erfahrung und das Kletterkönnen gerechtfertigt.<br />
73
Dr. Klaus Burger<br />
Risiko, warum nicht? Recht auf Risiko?<br />
Ein in juristischer Hinsicht möglicherweise vergleichbarer tödlicher Unfall ereignete<br />
sich am 1. Juli 2010 im Rahmen einer SEK-Ausbildung am Treffauer Westwandsockel,<br />
Wilder Kaiser, in der Route Entdeckungsreise.<br />
5. Führungstour 45<br />
Am Schweizer Galenstock (3.586 m) kam im März 2007 ein Schibergsteiger am Gipfelgrat<br />
eigenverantwortlich zu Tode. 46 Bemerkenswert ist, dass es sich um eine geführte<br />
Bergtour handelte, mithin der Bergführer kraft Vertrag eine Garantenstellung<br />
übernahm. Bergführer und Gast begingen aufgrund gemeinsamer und freier Entscheidung<br />
den bis zu 40 Grad steilen und im oberen Bereich mit Granitplatten durchsetzten<br />
Nordgrat zum Gipfel seilfrei.<br />
Der Verunglückte hatte hinreichende Kenntnis der tatsächlichen Gefahrenlage. Er<br />
konnte zahlreiche Klettertouren in dem hier geforderten Schwierigkeitsgrad vorweisen.<br />
Er besaß konkret die Fähigkeiten, die Risiken abzuwägen, die Schwierigkeiten<br />
physisch und psychisch zu beherrschen und sich eigenverantwortlich für den Aufstieg<br />
ohne Seilsicherung zu entscheiden.<br />
Wichtig für einen „führungsfernen“ Juristen ist zu wissen, dass sich die Führungstechnik<br />
im Wandel der Zeit befindet. Bei Gästen ist ein gehobenes Anspruchsniveau<br />
an Schwierigkeit und auch Eigenverantwortlichkeit festzustellen. Die Führungstechnik<br />
ist in Abhängigkeit des Könnens, Erfahrungsstandes und der momentanen Verfassung<br />
des Gastes zu wählen. Insofern können durchaus bei Vorliegen der Eigenverantwortung<br />
Geländeteile auch bei Absturzgefahr seilfrei bewältigt werden 47 . Auch in<br />
der Ausbildung zum selbständigen Bergsteigen sind besondere, die Eigenverantwortung<br />
fordernde Maßstäbe anzulegen. 48<br />
Als Faustformel bei Führungstouren gilt allerdings, dass regelmäßig keine vollständige,<br />
sondern jeweils nur eine situative Eigenverantwortung des Gastes vorliegen<br />
kann. Denn der Bergführer übernimmt grundsätzlich vertraglich oder dienstrechtlich<br />
eine Schutzfunktion, hat damit eine Garantenstellung und regelmäßig überlegene<br />
Risikokenntnis, überlegenes Sachwissen und professionelle Handlungs- und Ent-<br />
45<br />
Zusammenfassung eines Vortrags des Autors vom 10. 05. 2009, IVBV in Chamonix: The guide’s responsibility<br />
towards his client.<br />
46<br />
StA Kempten, Az. 212 Js 12859/07.<br />
47<br />
Deisenberger, Führungstechnik im Wandel der Zeit, <strong>Sicherheit</strong> im Bergland, Jahrbuch 2005, 136, 137.<br />
48<br />
Deisenberger, s.o., 136 (140). Burger, Bayerns Polizei, 2/2010, 24.<br />
74
Dr. Klaus Burger<br />
Risiko, warum nicht? Recht auf Risiko?<br />
scheidungskompetenz. Dennoch ist in Einzelfällen die Eigenverantwortung des<br />
Gastes nicht ausgeschlossen.<br />
Unabdingbare Kriterien der Steuerung einer Eigenverantwortung des Gastes wären:<br />
• Vermittlung umfassender und rechtzeitiger Risikokenntnis, d. h. rechtzeitige<br />
Aufklärung, Kommunikation und Lagebesprechung. Wichtig ist die Gleichwertigkeit<br />
der Risikoinformationen. Die Kenntnisse, Erfahrungen und Fähigkeiten<br />
des Gastes bestimmen dabei Art und Umfang der Aufklärung.<br />
• Gleichwertige Sachkenntnis. Mittel der Beurteilung hierfür sind: Anfordern,<br />
Einsicht und Würdigung eines Tourenberichts, was die Kenntnis der alpinen<br />
Fähigkeiten des Gastes vermitteln kann. Gegebenenfalls sind bei gefährlichen<br />
Unternehmungen Eingehtouren und auch externe Informationen (zB von Kollegen)<br />
angebracht oder Zusatzausbildungen vor der Tour.<br />
• Handlungs- und Entscheidungsbefugnis auch des Geführten. Eigenverantwortung<br />
setzt das gemeinsame Entscheiden über das Ob und Wie der Tour voraus.<br />
Der Bergführer darf im Ergebnis keine Tourenherrschaft besitzen. Die<br />
Frage der Mit-Herrschaft über den Geschehensablauf wird dabei überwiegend<br />
nach objektiven Kriterien beurteilt werden!<br />
75
Dr. Klaus Burger<br />
Risiko, warum nicht? Recht auf Risiko?<br />
6. Eigenverantwortung im Bergrettungseinsatz<br />
Die Strafrechtsdogmatik zur Eigenverantwortung strukturiert die Ausbildung und den<br />
Einsatz in der Bergwacht Bayern. 49 Der Bergwachteinsatz beinhaltet eine Pflicht zum<br />
Risiko. Das Anforderungsprofil im (ehrenamtlichen) Einsatz ist eigenverantwortliche<br />
Einsatzübernahme. Freilich trägt der Einsatzleiter die Gesamtverantwortung für den<br />
Einsatz, insbesondere für die strategischen Entscheidungen (Luftrettung oder/und<br />
Bodenrettung) und die operative Vorgehensweise (z. B. Stärke und Zusammensetzung<br />
der Rettungsmannschaft, Rettungsausrüstung, Suchoptionen etc.).<br />
Es gilt aber für die Einsatzleitung: Bei ausgebildeten und geprüften, volljährigen<br />
Bergrettern, die ihrer Fortbildungspflicht genügen und keine gesundheitlichen oder<br />
einsatzspezifischen Mängel oder Defizite anzeigen, ist grundsätzlich davon auszugehen,<br />
dass sie einem gefährlichen Einsatz physisch und psychisch gewachsen<br />
sind. Diesem Grundsatz korrespondiert grundsätzlich das Recht der (ehrenamtlichen)<br />
aktiven Einsatzkraft auf persönlichen Einsatzabbruch aufgrund eigener Risikoanalyse.<br />
Der Lagebesprechung (Briefing) als Instrument der Risikovermittlung kommt<br />
dabei unter dem Gesichtspunkt der Verantwortung des Einsatzleiters eine zentrale<br />
Rolle zu. Sie muss so rechtzeitig sein, dass Gelegenheit zu eigener Überlegung und<br />
damit Willensbildung bleibt. Chancen und nahe liegende Risiken des Einsatzes sind<br />
aufzuzeigen. Eine Teilaufklärung zur Sicherstellung ausreichender Einsatzbereitschaft<br />
und Einsatzwilligkeit ist unzulässig. Die Lagebesprechung ist dabei ein dynamischer<br />
Vorgang, weshalb der Einsatzleiter auf funktionierende Kommunikation während<br />
des Einsatzes (adäquate Funkausstattung und Funkverbindung) größten Wert<br />
zu legen hat.<br />
Die Einsatzbeurteilungen reichen dabei von einem akzeptablen Risiko über ein reduzierendes<br />
erhebliches Restrisiko und einem nicht reduzierenden hohen Restrisiko hin<br />
zu einem nicht mehr akzeptablen Risiko. Parameter zur Steuerung eines (noch) akzeptablen<br />
Risikos sind dabei der Grad der möglichen Schädigung der Einsatzkräfte,<br />
die Erfolgsaussichten einer Rettung sowie die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts.<br />
Allgemein kann Eigenverantwortung nur bei Tat- und Gefährdungsherrschaft<br />
gelten. Der Fürsorgegrundsatz bedingt deshalb, dass der Dienstherr Gefährdungsherrschaft<br />
und Risikomanagement ermöglicht, mithin der Retter adäquat aus-<br />
49<br />
Burger, Von Rechts wegen, Hart am Berg, Magazin der Bergwacht Bayern, Winter 2005, 27.<br />
76
Dr. Klaus Burger<br />
Risiko, warum nicht? Recht auf Risiko?<br />
gebildet, fortgebildet und auch ausgerüstet ist. Eigenverantwortung und Fürsorge<br />
sind keine Gegensätze, sie ergänzen sich! 50<br />
Tödliche Rettungseinsätze<br />
Der Bereitschaftsleiter einer Bergwacht verunglückte im Oktober 1992 bei einem Rettungseinsatz<br />
am Hochkalter, Ramsau, tödlich. Der Unfall hätte vermieden werden<br />
können, wenn nach erfolgreicher Rettung beim Abstieg über den ca. 45 Grad steilen<br />
blanken Blaueisgletscher ein Sicherungsseil mit einer entsprechenden Standplatzsicherung<br />
verwendet worden wäre. Der Verunglückte verzichtete bewusst wie die anderen<br />
Bergretter auf eine Seilsicherung.<br />
Ein Strafverfahren gegen andere Retter oder auch den die Rettung verursachenden<br />
Verunglückten fand nicht statt. Der abgestürzte Retter war von seiner Ausbildung und<br />
seiner Erfahrung her in der Lage, die Gegebenheiten vor Ort und seine Fähigkeiten<br />
selbst zu beurteilen, er hatte volle Sach- und Risikokenntnis.<br />
Freilich gilt, dass bei unrechtmäßigen Handlungen des Täters die sich selbst gefährdenden<br />
Retter in den Schutzbereich strafrechtlicher Verantwortung einbezogen werden.<br />
51 Verletzt oder verirrt sich aber ein Bergsteiger oder Wanderer, so schafft er<br />
keine rechtswidrige Gefahrenlage. Der (ehrenamtliche) Retter handelt grundsätzlich<br />
eigenverantwortlich und frei hinsichtlich des „Wie“, inwieweit er die Rettungsaktion<br />
50<br />
51<br />
Burger, Eigenverantwortliche Selbstgefährdung, Bayerns Polizei, 2/2010, 22, 26.<br />
BGH NStZ 1994, 83, 84.<br />
77
Dr. Klaus Burger<br />
Risiko, warum nicht? Recht auf Risiko?<br />
gestaltet und welches Risiko er eingeht. Eine Zurechnung einer Verletzung oder des<br />
Todes eines Retters im Sinne einer fahrlässigen Körperverletzung oder fahrlässigen<br />
Tötung kann somit nicht erfolgen.<br />
Die Unfälle bei Bergrettungseinsätzen im Dezember 2009 am Pordoijoch (Italien),<br />
vier tote Retter, und im Januar 2010 im Berner Oberland (Schweiz), zwei tote Retter,<br />
verdeutlichen die Notwendigkeit effektiven Risikomanagements im Einsatz.<br />
7. Eigenverantwortung und Minderjährige 52<br />
Eigenverantwortung ist nicht an Altersgrenzen gebunden. Für Minderjährige gilt der<br />
Grundsatz der Eigenverantwortung allerdings nur begrenzt. Warum? Minderjährige<br />
können regelmäßig die Bedeutung und Tragweite riskanten Verhaltens weniger<br />
sachgerecht erfassen und abwägen. Und je jünger der Minderjährige ist, desto mehr<br />
ist er in der Fähigkeit eingeschränkt, das eigene Verhalten entsprechend der Einsicht<br />
in die Bedeutung des Risikos zu steuern (z. B. aus Abenteuerlust, Gruppendynamik,<br />
übertriebener Motivation, mangelhaftem Urteilsvermögen).<br />
Bei der Beurteilung der für die Eigenverantwortung geforderten Fähigkeiten sind insbesondere<br />
der individuelle Reifegrad und die konkrete Gefährdungssituation maßgeblich,<br />
mithin, ob aufgrund tatsächlich festgestellter Anhaltspunkte erwartet werden<br />
kann, dass die in der Gefahrensituation situationsabhängig geforderten kognitiven<br />
und voluntativen Leistungen abgerufen werden können. 53 Parameter der Eigenverantwortung<br />
von Minderjährigen sind: Individueller Reifegrad (Alter, Eigenart, Entwicklungsstand,<br />
Charakter), Erfahrung (Sach- und Risikokenntnis), Maß der Gefährdung<br />
(z. B. Absturzhöhe), Sicherungssystem und die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts.<br />
Auf die konkreten Umstände des Einzelfalles kommt es an. Punktgenaue Altersangaben<br />
zur Feststellung der Eigenverantwortung werden weder Juristen noch<br />
Entwicklungspsychologen vorgeben. Das Lebensalter allein ist jedenfalls nicht entscheidend.<br />
Als Faustformel für den Praktiker dürfte aber gelten: Eigenverantwortung greift regelmäßig<br />
bei erheblicher Eigengefährdung nicht bei Kindern, also nicht vor 14 Jah-<br />
52<br />
Burger, Eigenverantwortung und Aufsichtspflichten in Seilgärten-ein juristisches Roulette?, in: <strong>Sicherheit</strong> im<br />
Bergland, Jahrbuch 2010, 19.<br />
53<br />
Amelung, NJW 1996, 2293, 2296. Vgl. aktuell zur Thematik Kinderklettern DAV panorama 6/<strong>2011</strong>, Semmel,<br />
Kinder beim Klettern, S. 60 ff.<br />
78
Dr. Klaus Burger<br />
Risiko, warum nicht? Recht auf Risiko?<br />
ren. 54 Und wer als Kind selbst nicht eigenverantwortlich handelt, kann auch grundsätzlich<br />
bei erheblichem Gefährdungspotential keine Verantwortung für andere Kinder<br />
übernehmen. 55 Wie ist es bei Jugendlichen, also bei jungen Menschen zwischen<br />
14 und 18 Jahren? Eigenverantwortliche Selbstgefährdung erfordert eine autonome<br />
Entscheidung. Eigenverantwortung bei einem Jugendlichen setzt voraus, dass er<br />
nach seinen geistigen Fähigkeiten und seiner sittlichen Reife imstande ist, die Bedeutung<br />
und möglichen Folgen seines Tuns zu erkennen und zu beurteilen, insbesondere<br />
auch den Wert des gefährdeten Rechtsguts und die sittliche Bedeutung des<br />
Vorgangs richtig einzuschätzen. 56 Zugegeben, eine etwas abstrakte Formulierung.<br />
Ein Irrweg wäre es jedenfalls, aus überwiegend kommerziellen Gründen bei Kindern<br />
und Jugendlichen Eigenverantwortung einzufordern und Sorgfaltspflichtanforderungen<br />
zu senken.<br />
IX. Fazit und Ausblick<br />
Eigenverantwortung im deutschen Strafrecht erfordert<br />
• rechtzeitige und volle Risikokenntnis,<br />
• ausreichende Sachkenntnis, kein überlegenes Sachwissen des weiteren Beteiligten,<br />
kein von einem Beteiligten geschaffener trügerischer Vertrauenstatbestand<br />
oder Irrtum,<br />
• Handlungs- und Entscheidungsbefugnis (Tatherrschaft über das „Ob“ und das<br />
„Wie“ des Geschehens),<br />
• Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit (Einsichts-, Urteils- und Steuerungsfähigkeit),<br />
• Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeit in tatsächlicher und rechtlicher<br />
Hinsicht (keine verbindlichen Befehls- und Weisungsstrukturen).<br />
Eigenverantwortung ist fester Bestandteil der Strafrechtsdogmatik und wird, wie das<br />
Zugspitzurteil zeigt, nicht nur bei gemeinschaftlicher Sportausübung, sondern auch<br />
54<br />
Im deutschen Strafrecht gelten junge Menschen bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres als Kinder und sind<br />
strafunmündig.<br />
55<br />
Im Ergebnis auch Semmel, Klettern, Alpin-Lehrplan 2A, BLV, 2010, 127.<br />
56<br />
BGH NStZ 1985, 25.<br />
79
Dr. Klaus Burger<br />
Risiko, warum nicht? Recht auf Risiko?<br />
bei Sportausübungen im Rahmen von Veranstaltungen geprüft und im Einzelfall bejaht.<br />
Im Zivilrecht wird die bewusste Risikoübernahme grundsätzlich mit dem Begriff des<br />
Handelns auf eigene Gefahr umschrieben. Die im Strafrecht entwickelten Grundsätze<br />
sind in das Zivilrecht schon aus gesetzessystematischen Gründen nicht übertragbar.<br />
In begründeten Fällen ist ein Haftungsausschluss unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen<br />
Rechtsausübung nach § 242 BGB oder bei völlig überwiegendem Mitverschulden<br />
des Geschädigten nach § 254 BGB denkbar. 57 Ein Haftungsausschluss für<br />
Körperverletzungen und Tötungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist unwirksam,<br />
§ 309 Nr. 7 Buchstabe a BGB. 58<br />
Eine europäische Rechtsentwicklung unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlich<br />
gebotenen Selbstbestimmung und Eigenverantwortung des Sportlers ist im<br />
Interesse aller Bergsportler angezeigt.<br />
57<br />
Vgl. dazu Burger, Bewusste Risikoübernahme, SpuRt 2007, 192. Burger, Sorgfaltspflicht, Aufsichtspflicht und<br />
Eigenverantwortung in Seilgärten, <strong>Tagungsband</strong> <strong>Symposium</strong> alpine <strong>Sicherheit</strong> 2009, 240, 303.<br />
58<br />
Zu Möglichkeiten einer Haftungsbegrenzung vgl. Weber, in: Handbuch des Deutschen Alpenvereins, Juli<br />
2010, Strukturen und Mitgliederverwaltung, ziv/11.<br />
80
Major Johannes Schwegler<br />
Risiko und Verantwortung in der Heeresbergführerausbildung<br />
Risiko und Verantwortung in der Heeresbergführerausbildung<br />
Major Johannes Schwegler<br />
1. Verantwortung - auch eine Frage der guten Sitte<br />
Wenn noch in den 70er Jahren eine Ehe zur Scheidung anstand,<br />
war es im Rechtsstreit üblich, eine Schuldfrage zu stellen.<br />
Zum Glück ist das heute in Deutschland nicht mehr der<br />
Fall, auch weil die Konsequenzen der gescheiterten Ehe sich<br />
nicht nach Schuld richten und weil oft auch nicht so einfach<br />
festzustellen ist, welche Kriterien und Faktoren schuldhaft<br />
zum Scheitern einer Beziehung geführt haben. War es er,<br />
weil er anderen Frauen hinterher schaute, war es sie, weil sie<br />
immer die Kinder in Schutz nahm oder gar die böse Schwiegermutter? Bei Bergunfällen<br />
mit schweren Folgen muss natürlich nach der Ursächlichkeit gefragt werden.<br />
Dennoch sollte aber auch hier nicht übersehen werden, dass unterschiedliche Personen<br />
oder Gruppierungen Verantwortung tragen und es oftmals nicht gerecht ist, zu<br />
schnell den Focus nur in eine Richtung zu lenken. Neben der Wahrnehmung von<br />
Amts- und Sorgfaltspflichten besteht auch beim Militär, wenn gleich auch in eingeschränkter<br />
Form, ein selbstverantwortliches Handeln.<br />
Der folgende Beitrag soll nicht die an vielfach anderer Stelle nachzulesenden „<strong>Alpine</strong>n<br />
Gefahren“ aufzählen. Sind diese schließlich in den Fachkreisen bekannt und ggf.<br />
z.B. im Lehrbuch der Bergwacht (siehe Freudig, T. & Martin A. (1995), Bergrettung,<br />
S. 151 – 156, Eberl GmbH) sowie in den Alpinlehrplänen des BLV-Buchverlages<br />
nachzuschlagen. Wie bereits im <strong>Tagungsband</strong> „<strong>Symposium</strong> <strong>Alpine</strong> <strong>Sicherheit</strong> 2009“<br />
(vgl. Schwegler J. (2009) Auslandseinsatz und <strong>Alpine</strong> Gefahren. In <strong>Tagungsband</strong><br />
<strong>Alpine</strong> <strong>Sicherheit</strong> 2009, Hrsg.: Gebirgsjägerbrigade 23 i.V.m. Verband Deutscher<br />
Heeresbergführer e.V., Seite 205 – 215, Bonn: Zentraldruckerei der Bundeswehr)<br />
dargestellt, kommen für den Soldaten im militärischen Einsatz weitere Gefahren, wie<br />
besondere Erkrankungen, landestypische Gefahren der Flora und Fauna und vor<br />
allem die der militärischen Situation und politischen Lage im jeweiligen Einsatzland<br />
81
Major Johannes Schwegler<br />
Risiko und Verantwortung in der Heeresbergführerausbildung<br />
hinzu. Selbst bei der umsichtigsten Planung, Organisation und Durchführung von<br />
alpinen Unternehmungen bleibt immer eine Restgefahr bestehen.<br />
Der vorliegende Beitrag soll Schwerpunkte und Besonderheiten einer militärischen<br />
Bergführerausbildung herausgreifen. Daher war es auch zentrales Anliegen im Vortrag<br />
selbst die Heeresbergführerausbildung mit einem plastischen Foto- und Filmbeitrag<br />
(erstellt durch Oberleutnant Timo Olbrich, Gebirgsjägerbataillon 231) zu untermalen.<br />
Zahlreiche Faktoren, Bedingungen und Herangehensweisen aus dem Vortrag<br />
von Peter Geyer „Risikomanagement in der staatlichen Bergführerausbildung“ gelten<br />
für die Heeresbergführerausbildung gleichermaßen.<br />
Bei schweren Unfällen, insbesondere innerhalb des Verantwortungsbereiches großer<br />
Organisationen oder Veranstalter, liegt der Focus bei der Suche nach dem oder den<br />
Schuldigen oft sehr stark , manchmal vielleicht auch zu stark, auf der Arbeits- und<br />
Durchführungsebene. Ohne Zweifel tragen zum Beispiel bei der Heeresbergführerausbildung<br />
der Ausbildungsleiter und die zugehörigen Ausbilder eine verantwortliche<br />
Schlüsselrolle. Dennoch stellt sich wie in der Ehe und Familie auch hier die Frage<br />
nach weiteren Handelnden und damit auch nach weiteren Verantwortlichkeiten.<br />
Bergführeranwärter begeben sich in eine Führerausbildung, die sukzessive Selbständigkeit<br />
fordert und abverlangt. Bei der Durchführung von Klettertouren im Rahmen<br />
der Heeresbergführerausbildung, muss die <strong>Sicherheit</strong> der HBF-Anwärter in dieser<br />
Tätigkeit selbstverantwortlich vorausgesetzt werden. Dazu läuft im Voraus eine<br />
Aufnahmeprüfung und die notwendige Ausbildungen, wie z.B. Standplatzbau, Sicherungstechnik,<br />
Legen und Klinken von Zwischensicherungen und weitere Themen. Es<br />
kann teilweise dazu kommen, dass ein Ausbilder mit drei Seilschaften unterwegs ist.<br />
Das bedeutet, dass seine Gruppe in etwa 150 Meter in der Wand verstreut ist. Der<br />
Ausbilder kann daher nicht immer alle Einzelheiten seiner Aspiranten wahrnehmen,<br />
geschweige denn einschreiten.<br />
Aus der Abb. 1 wird ersichtlich, wie der Abstand von 50 Meter in der Wand aussieht.<br />
Nicht immer besteht Sicht- oder Rufkontakt.<br />
82
Major Johannes Schwegler<br />
Risiko und Verantwortung in der Heeresbergführerausbildung<br />
Abb. 1: Seilschaft in der Dimai-Führe, Grohmannspitze, Sella-Gruppe<br />
Der Ausbildungsleiter und die Ausbilder handeln im Rahmen von didaktischen, methodischen<br />
Vorgaben und materieller Voraussetzungen, wie auch mündlicher Befehle.<br />
All diese Bedingungen und Situationen stehen nicht nebeneinander, sondern sind<br />
miteinander verknüpft. Schuld, oder a priori, die Unfallprävention im Rahmen einer<br />
verantwortlichen Ausbildung muss daher alle Faktoren und Verantwortlichen erfassen,<br />
vereinen und berücksichtigen.<br />
Abb. 2: Anwärter, Ausbilder und höhere Vorgesetzte<br />
83
Major Johannes Schwegler<br />
Risiko und Verantwortung in der Heeresbergführerausbildung<br />
Daher nützt es im Rahmen eines „<strong>Sicherheit</strong>ssymposiums“ nichts, die eigene Welt zu<br />
beschönigen. Problembereiche müssen angesprochen und diskutiert werden, um<br />
interne Optimierungen zu erreichen und ein besseres Verständnis für andere Gruppierungen<br />
zu gewinnen.<br />
Eine militärische Organisation muss insbesondere im Hinblick auf eventuell besonders<br />
robuste Einsätze hierarchisch strukturiert sein. Das gilt natürlich auch für eine<br />
Vielzahl großer Firmen und andere Organisation. Selbst der Profi-Bergführer muss in<br />
einer ernsten Situation darauf bauen können, dass getan wird, was er sagt. Damit im<br />
militärischen Einsatz alle Handlungselemente zeitgerecht zusammen funktionieren,<br />
darf Gehorsam nicht erst im Einsatz eine Rolle spielen. Wohl aber sollten Befehle<br />
nicht zu eng gefasst sein. Aufträge sollten weitgehend mit Handlungsspielräumen<br />
gegeben werden. Der Erfolg verantwortungsbewussten Handelns, zukunftsträchtiger<br />
Entwicklungen liegt mit unter im Bestehen gegenseitiger Kommunikation, Teamarbeit,<br />
auch von Entscheidungsfreiheiten und Vertrauen. „Von allem Pathos befreit,<br />
verbirgt sich hinter dem Konzept der Bürgergesellschaft nicht mehr als eine Suchstrategie<br />
nach Möglichkeiten des Sich-Einmischens und des Füreinander-Einstehens<br />
in einer vielschichtigen und großräumigen Gesellschaft. Solche Möglichkeiten wieder<br />
neu zu entdecken, zu entwickeln und zu nutzen, verlangt neben Phantasie, Tatkraft<br />
und Meinungsfreude eine unerschöpfliche Frustrationstoleranz. Gleichgültigkeit und<br />
Politikverdrossenheit sind demgegenüber in einer Demokratie keine empfehlenswürdige<br />
Alternative (siehe: Limbach, Jutta (2003) Die Demokratie und ihre Bürger, S.<br />
153, München: Verlag C.H. Beck). Was für den Bürger einer Demokratie gilt, ist eingeschränkt<br />
auch für den Staatsbürger in Uniform gerecht – nur nicht überall und zu<br />
jeder Zeit.<br />
Neben rechtlich angreifbaren Handeln oder Unterlassen steht aber auch die Verhaltensweisen<br />
der guten Sitte und des Anstandes. Rechtlich zwar nicht angreifbar, sollten<br />
Rahmenbedingungen, die gegen die gute Sitte verstoßen dennoch Berücksichtigung<br />
finden, weil Recht sonst absurd und lebensfremd wird.<br />
Was bedeutet Verantwortung in einer Heeresbergführerausbildung, und wer trägt<br />
Verantwortung?<br />
84
Major Johannes Schwegler<br />
Risiko und Verantwortung in der Heeresbergführerausbildung<br />
2. Aufgaben der Heeresbergführer (HBF)<br />
Heeresbergführer sind Bergführer im militärischen Dienst und mit militärischem Aufgabenbereich.<br />
Sie nehmen militärische Funktionen wie jeder andere Soldat, z.B. als<br />
Gruppenführer oder Zugführer wahr. In späteren Dienstjahren und mit höherem Lebensalter<br />
bekleiden sie gemäß der persönlichen Laufbahn dann auch Funktionen als<br />
Kompaniefeldwebel, Kompaniechef, Kommandeur oder in Dienstposten höherer<br />
Kommandobehörden und Ämtern. Heeresbergführer sein bedeutet, eine Zweitfunktion<br />
wahrzunehmen. Zumeist finden sich die Heeresbergführer in der Gebirgsjägerbrigade<br />
23, noch auch im Gebirgssanitätsregiment 42 in Kempten sowie bei den Kommandospezialkräften<br />
wieder. Auch ausländische Streitkräfte der Niederlande, Belgien,<br />
Großbritannien und der USA schicken Soldaten aus ihren Spezialeinheiten zur<br />
Heeresbergführerausbildung nach Deutschland.<br />
Heeresbergführer beraten Einheitsführer (Kompaniechefs) und Bataillonskommandeure<br />
bei der Durchführung militärischer Operationen in schwierigem bis hochalpinem<br />
Gelände und in deren Vorgriff bei der dafür notwendigen Gebirgsausbildung<br />
und Durchführung von Übungen. Bei Rettungsoperationen im Gebirge fungieren sie<br />
als Leiter oder auch als Bergretter selbst. Bei Ausruf eines Katastrophenfalles können<br />
sie auch im Inland in Zusammenarbeit mit Polizei, Bergwacht und weiterer Hilfsund<br />
Rettungsorganisationen eingesetzt werden, wie zum Beispiel am 02. Januar<br />
2006 bei einem großen Lawinenunfall unterhalb des Schrecksattels der Reiter Alpe<br />
im Berchtesgadener Land.<br />
Als Praktiker machen sie Gelände für größere Truppenteile mit Unterstützung von<br />
Hochgebirgssoldaten gangbar. Dazu werden häufig Fixseile (im militärischen<br />
Sprachgebrauch sog. Seilgeländer) aber auch Trittbretter und Leitern eingerichtet<br />
und verspannt.<br />
85
Major Johannes Schwegler<br />
Risiko und Verantwortung in der Heeresbergführerausbildung<br />
Abb. 3: Heeresbergführer beim Einrichten einer Seilversicherung<br />
Auch kleinere Gruppen oder einzelne Spezialisten, wie zum Beispiel Scharfschützen<br />
oder Vorgeschobene Beobachter, können durch Heeresbergführer an einen schwer<br />
erreichbaren taktisch wichtigen Geländepunkt geführt werden. Denkbar sind auch<br />
unter Bündelung mehrerer Heeresbergführer spezielle Gefechtseinsätze. Derzeit<br />
nicht genehmigt, aber als Option vorgehalten, ist die Rettung von Personen aus Minenfeldern<br />
mittels Hubschrauberwindeneinsatz und Nutzung einer Seilverlängerung.<br />
Zur Anwendung solcher Rettungstechniken muss ein Fortbildungslehrgang „Luftretter“<br />
absolviert werden.<br />
3. Heeresbergführer – Staatlich geprüfter Berg- und Skiführer - Polizeibergführer<br />
Wo liegen die Unterschiede?<br />
Alle Ausbildungsgänge, ob die der Heeresbergführer, der staatlich geprüfter Bergund<br />
Skiführer oder auch die der Polizeibergführer greifen auf eine sehr ähnliche, gute<br />
strukturierte Basisausbildung zurück. Die Unterschiede ergeben sich partiell aus<br />
der Aufgabe und dem Auftrag. Daher ist zumeist nur die Gewichtung bestimmter<br />
Themenbereiche anders gelagert. Ein Schwerpunkt der Heeresbergführer liegt z.B.<br />
in der Führung großer Truppenteile. Für die breite Masse der Truppe sind die Gren-<br />
86
Major Johannes Schwegler<br />
Risiko und Verantwortung in der Heeresbergführerausbildung<br />
zen des persönlichen Könnens auf einem niedrigeren Niveau, als bei oftmals bei<br />
sportlichen Kunden im kommerziellen Radius eines Berufsbergführers. Militärische<br />
Einsätze bedingen nur selten die Notwendigkeit einer Durchsteigung extremer Felsund<br />
Eiskletterpassagen. Das ist dann die Einzelaufgabe der Heeresbergführer im<br />
Rahmen kleinerer Kommandos. Im Bereich der zivilen Bergführerei, ist beispielsweise<br />
im Rahmen eines Fortgeschrittenen-Kletterkurses schnell einmal ein „Siebener“<br />
einzuhängen und zu demonstrieren. Daher muss in der zivilen Bergführerausbildung<br />
ein höherer Schwierigkeitsgrad als in der HBF-Ausbildung für Fels und Eis abverlangt<br />
werden. Große Truppenteile werden möglicherweise durch Zweier- und über<br />
Leitern, Griffschlingen oder technische Aufstiegshilfen durch Dreier-Gelände geführt.<br />
Die Bewältigung des in der HBF-Ausbildung geforderten UIAA-Schwierigkeitsgrades<br />
V zu allen Bedingungen und in jedem Gelände, begründet sich dadurch, dass ein<br />
Führer mehr können muss, um besonders in Problemsituationen (Wetterumschwung,<br />
Unfällen, Orientierungsschwierigkeiten und andere Lageänderungen) weiter souverän<br />
bestehen zu können. Steht beim Heeresbergführer die Erfüllung des militärischen<br />
Auftrages im Vordergrund, sind beim kommerziellen Führen neben dem Erreichen<br />
des Gipfels, Motive wie Naturerleben, Lebensfreude, Gefühl von Freiheit und<br />
Kundenzufriedenheit viel deutlicher zu berücksichtigen. Über die behelfsmäßige<br />
Bergrettung hinaus, ist bei der Bundeswehr die planmäßige Rettung ausgeprägt<br />
auszuprägen, weil im Einsatzland nicht auf eine zivile Bergwacht zurückgegriffen<br />
werden kann. Dieses Kriterium wiederum spielt bei den staatlichen Bergführern eine<br />
geringere Rolle. Polizeibergführer wiederum benötigen auftragsbedingt eine Ausbildung<br />
zur Unfallaufnahme und Analyse, was für die anderen beiden Bergführergruppierungen<br />
nicht entscheidend ist. Eines aber haben alle gemeinsam. Die Ausbildung<br />
zum und die Tätigkeit als Bergführer muss einer hohen Sorgfaltspflicht gerecht werden.<br />
Wer den nun der beste Bergführer sei, fragte ein Gast des <strong>Symposium</strong>s 2012?<br />
Peter Geyer antwortete darauf: „Jeder für seinen Bereich!“<br />
4. Die Ausbildung zum Heeresbergführer<br />
Die Ausbildung zum Heeresbergführer in Deutschland besteht aus zwei Teilen. Der<br />
Sommerteil ist der erster Ausbildungs- und Prüfungsabschnitt und dauert 15 Wochen.<br />
Er bildet in vielen Themenbereichen die Basis für den nachfolgenden Winter-<br />
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Major Johannes Schwegler<br />
Risiko und Verantwortung in der Heeresbergführerausbildung<br />
teil, der 12 weitere Wochen umfasst. Nur in begründeten Ausnahmen und unter der<br />
Voraussetzung einer bereits ausgeprägten bergsteigerischen Kompetenz und einer<br />
soliden alpinen Erfahrung, können Soldaten im Winterteil mit der Heeresbergführerausbildung<br />
beginnen. Zwischen dem Sommer- und Winterteil des HBF-Lehrganges<br />
bietet die Gebirgs- und Winterkampfschule im Dezember einen Lehrgang zum militärischen<br />
Skiausbilder an. Dieser ist keine Voraussetzung zum Bestehen des Heeresbergführerlehrgangs<br />
aber es ist aus methodischer Sicht ein sinnvoller Baustein, um<br />
im Winterteil die Ausbildung und anstehende Prüfung zur Skilehrerstufe „DSV-<br />
Instruktor“ zu erleichtern.<br />
Abb. 4: HBF-Ausbildungsgang<br />
Der Sommerteil beginnt mit einer einwöchigen Aufnahmeprüfung, in der vor der praktischen<br />
Sichtung vorsichtshalber noch einmal über die alpinen Gefahren aufgeklärt<br />
wird. Auch sicherheitstechnisch relevante Techniken, wie zum Beispiel das „Umfädeln“,<br />
werden noch vor der Prüfung im Gelände in der Kletterhalle vermittelt und als<br />
Handlungsnorm festgelegt.<br />
In der Aufnahmeprüfung haben die Anwärter eine solide Kondition, ihr Kletterkönnen,<br />
wie auch ihre skitechnische Fertigkeit unter Beweis zu stellen. „Wackel-Kandidaten“<br />
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Major Johannes Schwegler<br />
Risiko und Verantwortung in der Heeresbergführerausbildung<br />
werden nur dann in den Sommerteil aufgenommen, wenn denkbar ist, dass Fähigkeitsmängel<br />
in den ersten Wochen aufgeholt werden können. Dieses Ziel muss spätestens<br />
bis zum Ausbildungsabschnitt „Chamonix“ erreicht werden. Ist dies nicht der<br />
Fall, muss auf Grund der <strong>Sicherheit</strong> für den Soldaten und aller anderen Anwärter,<br />
Ausbilder eingeschlossen, eine Beendigung des Lehrgangs noch vorab anstehender<br />
Prüfungen erfolgen.<br />
Der eigentliche Lehrgang beginnt mit einem Aufenthalt von zwei Wochen in der<br />
Fränkischen Schweiz. Dort wird Klettern methodisch und alle sicherungsrelevanten<br />
Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse vermittelt und das persönliche Können so<br />
verbessert, um nachfolgend sicher im alpinen Gelände unterwegs sein zu können.<br />
Nebenbei werden Themen der behelfsmäßigen Bergrettung (Flaschenzüge, Lose<br />
Rolle, Einmannbergetechnik, u.a.) eingeflochten. In den Abendstunden oder ggf. bei<br />
schlechtem Wetter wird die Ausbildung durch Unterrichte ergänzt. Wetterkunde, Orientierung,<br />
Materialkunde, Sicherungstheorie sowie medizinische Themen werden<br />
dabei vermittelt und begleiten die Anwärter über den gesamten Lehrgang.<br />
In den zwei ersten alpinen Wochen wird anschließend das Gelernte ins Gebirge<br />
übertragen und Führungstechniken vermittelt und geübt.<br />
Methodisch nicht ganz sinnvoll, aber jahreszeitlich bedingt, beginnt nun bereits die<br />
Ausbildung im Eis. Dazu wird einwöchig eine Basisausbildung auf österreichischen<br />
Gletschern, derzeit im Piztal, durchgeführt. Es folgen drei weitere Wochen in den<br />
Westalpen bei Chamonix. Der Chamonix-Aufenthalt ist einer der wesentlichen Prüfungsaufenthalte<br />
des Sommers.<br />
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Major Johannes Schwegler<br />
Risiko und Verantwortung in der Heeresbergführerausbildung<br />
Abb. 5: Führungsaufgabe im kombinierten Gelände an der Tour Ronde<br />
Neben bewerteten langen Führungstouren (Eis-Couloirs und –flanken, Grate und<br />
kombiniertes Gelände) werden hier auch Prüfungen in der Lehrtätigkeit, Bergrettung<br />
Eis und persönliches Können im Eis (Eckenstein-Parcours und Steileis) abgelegt.<br />
Danach geht es zurück in die heimatlichen Berge. Auf der Reiter Alpe, im Berchtesgadener<br />
Land, wird organisierte Rettung ausgebildet. Dabei erlernen die Aspiranten<br />
sowohl das Handwerkszeug im Aufbau und Umgang mit Seilwinde und verschiedenen<br />
Seilaufzügen, Transportbahnen sowie die Organisation eines größeren Bergrettungseinsatzes.<br />
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Major Johannes Schwegler<br />
Risiko und Verantwortung in der Heeresbergführerausbildung<br />
Abb. 6: Planmäßige Bergrettung<br />
Aufbauend wird die Bergrettung schließlich mit einer einwöchigen Hubschrauberausbildung<br />
ergänzt.<br />
Abb. 7: Zusammenarbeit mit Hubschraubern<br />
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Major Johannes Schwegler<br />
Risiko und Verantwortung in der Heeresbergführerausbildung<br />
Im herannahenden Herbst verlegt der Lehrgang für 11 Tage in die Dolomiten auf den<br />
Sella-Pass. Diese Bergfahrt ist der Hauptprüfungsaufenthalt des Sommerteils. Neben<br />
anspruchsvollen Führungstouren im Fels, müssen die Teilnehmer zahlreiche<br />
Prüfungen ablegen. Bergrettung im Fels, Sanitätsdienst, Orientierung, Wetterkunde<br />
und Gebirgskunde (Materialkunde, Sicherungstheorie, Umweltkunde, Geologie, Glaciologie,<br />
Führungstechnik und Führungstaktik) sowie persönliches Können im Fels<br />
wird auf den Prüfstand gestellt.<br />
Da die Ausbildung zum Heeresbergführer eine militärische Zielrichtung verfolgt, soll<br />
durch einen Gebirgstruppenübungsplatzaufenthalt von 5 Tagen das gelernte alpine<br />
Know-How mit Einsatzaufträgen verbunden werden. Dabei geht es im Wesentlichen<br />
darum Vorstellungen und Eindrücke zu vermitteln, wie sich der Einsatz von Heeresbergführern<br />
im Gefechtseinsatz darstellen könnte.<br />
In der Abschlusswoche des Sommerteils werden gemeine Gebirgssoldaten im Gebirge<br />
geführt. Ziel dabei ist, dass der Heeresbergführernachwuchs nicht fiktiv führt,<br />
also Ausbildungskameraden mit hoher alpintechnischer Fertigkeit am Seil hat, sondern<br />
mit allen Problemen einer tatsächlichen Führung leibhaftig in Kontakt gebracht<br />
wird.<br />
Der Winterabschnitt beginnt mit einer sechswöchigen Ausbildung zum DSV-<br />
Instruktor.<br />
Abb. 8: Ausbildung zum DSV-Instruktor<br />
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Major Johannes Schwegler<br />
Risiko und Verantwortung in der Heeresbergführerausbildung<br />
Aufgelockert werden diese Ausbildungswochen mit wöchentlich einem Tag Wasserfallklettern<br />
oder Skibergsteigen. Freitags geht es zusätzlich zum Langlaufen. Gerade<br />
der Skating-Technik kommt bei langen Tälern auch mit schwerem Gepäck eine militärische<br />
Bedeutung zu. Parallel zur Instruktor-Ausbildung werden die Lehrgangsteilnehmer<br />
umfassend in der Lawinenkunde ausgebildet und geschult. Die Planung,<br />
Organisation und Umsetzung winterlicher Touren wird nach der Skilehrer-Ausbildung<br />
in den anschließenden Wochen im Focus stehen. Mit einer Woche im Allgäu beginnend<br />
und drei Wochen in Andermatt, werden die Aspiranten als Bergführer mit winterlichen<br />
Gelände konfrontiert. Jede Tour wird auch zur lawinentechnischen Ausbildung<br />
genutzt in dem grundsätzlich begründete Einzelhangbeurteilungen mittels<br />
Blocktests durchgeführt werden. Kaum eine Tour zeichnet sich als reine Skitour ab,<br />
da im militärischen Einsatzauftrag für den Heeresbergführer eher das winterliche<br />
kombinierte Gelände zu erwarten ist.<br />
Abb. 9: Gratbegehung im winterlichen Gebirgsgelände<br />
Auch Erfahrungen mit schweren Gepäck und dem Einsatz von Skischlitten und Auftragserfüllung<br />
vom Biwak aus und das in größeren Höhenlagen (Berner Oberland)<br />
werden zum Sammeln von Erfahrungen eingeflochten. Der Winter schließt zahlreiche<br />
Führungstouren, Bergrettungsprüfungen, Sanitätsprüfungen, Lawinenkundetest<br />
sowie Prüfungen in der Lehrtätigkeit ein.<br />
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Major Johannes Schwegler<br />
Risiko und Verantwortung in der Heeresbergführerausbildung<br />
Wie auch im Sommer verbindet ein Truppenübungsplatzaufenthalt zuletzt alpintechnische<br />
und gefechtstechnische Fertigkeiten.<br />
Sind alle Prüfungen mit „ausreichend“ abgeschlossen worden, kann schließlich im<br />
April die Ernennung zum Heeresbergführer erfolgen.<br />
5. Verantwortung / Was ist das und wer trägt sie?<br />
Verantwortung ist ein in der heutigen Gesellschaft schnell verwendeter Begriff. Eigentlich<br />
meinen wir damit, dass jemand für die Folgen seines Handelns Rechnung<br />
tragen müsste. Für bestimmte Etagen haben wir als gemeiner Bürger häufiger den<br />
Eindruck als würden Konsequenzen eines Fehlverhaltens „Großkopferter“ anders<br />
bemessen als bei uns. So lesen wir immer wieder in den Nachrichten von Wirtschaft<br />
und Politik, dass die Konsequenz von Fehlverhalten mit einem bloßen Rücktritt abgetan<br />
wird, Manager aus der Wirtschaft gar noch mit einer „respektablen Abfindung“<br />
vom Platze gehen.<br />
Zuzüglich strafrechtlicher und zivilrechtlicher Konsequenzen, stehen aber auch Maßstäbe<br />
der guten Sitte, des Anstandes, gesellschaftlicher Verantwortung und die des<br />
Gewissens im Focus von Entscheidungen und Handeln. Gerade staatliche Organisationen<br />
sollten dabei im sinne gesellschaftlicher Verantwortung und amtlicher Sorgfaltspflicht<br />
einen vorbildlichen und hohen Maßstab ansetzen.<br />
„Zwischen guten und schlechten Handlungen entscheiden wir in einer offenen Skala<br />
von „verboten“ über „erlaubt“ bis „geboten“ (siehe: Mehringer Reinhard (2005) Politische<br />
Philosophie, S. 28, Leipzig: Reclam). Sind die Kassen leer, werden gerne die<br />
Trennlinien zwischen „erlaubt“ und „verboten“ restriktiver gezogen. Die Frage, ob ein<br />
Skihelm für die Skiausbildung von Soldaten im organisierten Skiraum im Umfeld einer<br />
Vielzahl anderer Schneesportler notwendig sei, wird dann darauf gelenkt, ob z.B.<br />
das Tragen eines Helmes einer notwendigen Norm entspricht. Bei der Gebirgstruppe<br />
ist die Skiausbildung befohlen, auch wenn sie noch so schön für den Einzelnen sein<br />
mag. Daraus lässt sich aus einer ethischen Sichtweise immer noch ein besonderer<br />
Sorgfaltspflichtmaßstab ableiten. Unfallstatistiken zeigen viele schwere und zum Teil<br />
auch tödliche Skiunfälle. In den meisten Skischulen besteht Helmpflicht! Auch öffent-<br />
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Major Johannes Schwegler<br />
Risiko und Verantwortung in der Heeresbergführerausbildung<br />
liche Schulen verweisen bei der Durchführung von Skilagern auf die Tragepflicht eines<br />
Skihelmes. Die Wahrnehmung von Verantwortung ist also nicht nur der Schutz<br />
vor Konsequenzen im Sinne eines sich Zurückziehens auf „erlaubt“ oder „verboten“<br />
sondern auch die Realisierung von „geboten“!<br />
Wenn in einer Armee Soldaten zum und als militärische Bergführer ausgebildet und<br />
eingesetzt werden, muss ein hoher Verantwortungsmaßstab gesetzt und eingehalten<br />
werden. Das Ziel ist eine erfolgreiche Ausbildung und nachfolgend erfolgreiche Einsätze<br />
ohne Unfälle und gesundheitliche Schädigungen. Das ist oft eine Gratwanderung,<br />
bei der alle Verantwortungsebenen alles ihnen Mögliche zu leisten haben und<br />
bei der sich nur ein Zurückziehen auf Erlasse, Verordnungen, Vorschriften und Gesetzestexte<br />
nicht ausreicht.<br />
5.1 „Von Denen, …“ – Leiter der HBF-Ausbildung und Ausbilder<br />
Zweifelsohne trägt der Ausbildungsleiter die wesentliche Verantwortung in der Ausbildung<br />
zum Heeresbergführer. Dazu hat er gebunden an Vorschriften und einen<br />
vorgegebenen Lehrplan einen notwendigen Spielraum, um die fast einjährige Ausbildung<br />
zu gestalten. Das muss auch so sein, den Wetter- und andere Umwelteinflüsse,<br />
sowie eine Analyse des fortschreitenden Ausbildungsstandes bedingen ein sehr<br />
flexibles Gestalten des Lehrganges. Der Schnelllebigkeit in der <strong>Sicherheit</strong>sentwicklung,<br />
auch für den alpinen Bereich, kann ein Vorschriftenwesen kaum aktuell nachkommen.<br />
Eine bestimmte Offenheit in den Vorschriften, dessen was „Soll“, „Muss“<br />
und „Kann“ ist, muss Berücksichtigung finden. Ein kompetentes Ausbilderteam, muss<br />
im Kontakt mit anderen alpinen Ausbildungsverbänden stets Fühlung halten und<br />
sinnvolle Neuerungen aufgreifen und in die Ausbildung und das Handeln einfließen<br />
lassen. Verantwortungsgefühl und sehr große Selbständigkeit gehören zum Grundprofil<br />
des Ausbildungsleiters und der Ausbilder. Die Ausbildung zum Heeresbergführer<br />
findet nicht am Simulator statt, sondern bedeutet immer „Einsatz“. Anders als in<br />
vielen anderen Ausbildungen der Bundeswehr, besteht nicht die Annahme einer Gefahr,<br />
sondern die Gefahr ist reeller Begleiter in der Ausbildung. Es herrscht Absturzgefahr,<br />
es besteht Lawinengefahr, man steht im Steinschlag!<br />
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Major Johannes Schwegler<br />
Risiko und Verantwortung in der Heeresbergführerausbildung<br />
In dieser Ausbildung müssen junge Soldaten zu einer Aufgabenbewältigung in einer<br />
tatsächlichen Risiko-Sphäre herangezogen werden. Ist die Ausbildung abgeschlossen<br />
trägt der junge Absolvent diese hohe Verantwortung anschließend auf sich gestellt.<br />
Daher ist der Ausbildungsmaßstab sehr hoch zu definieren und die Risikowelt<br />
muss sich erfahrbar in der Ausbildung wiederfinden. Erfahrungen die in der Obhut<br />
der Ausbildung gesammelt werden können, stabilisieren und helfen später bei der<br />
eigenständigen Entscheidung als fertiger Heeresbergführer.<br />
Der notwendig hohe Standard jedoch bedingt auch, dass nicht jeder Anwärter die<br />
Ausbildung erfolgreich abschließen kann. Heeresbergführeranwärter sind in ihrem<br />
Ausbildungsgang besonders motiviert und ehrgeizig; sind sie ja schließlich nicht gezwungen<br />
worden eine solche Hürde zu nehmen. Droht ein Scheitern der Ausbildung,<br />
werden gerne alle Register gezogen, um sich ein Fortbestehen auf dem Lehrgang zu<br />
sichern. Dabei kann es bis zur Eingabe beim Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages<br />
kommen. Das sollte und darf jedoch nicht davor abschrecken, dass nach<br />
Prüfung der Sachlage durch die Lehrgangsleitung „ das Richtige“ veranlasst wird.<br />
Das Richtige ist in jedem Fall der Schutz von Leib und Leben. Das gilt für den jeweiligen<br />
Anwärter selbst, wie auch alle weiteren an der Ausbildung beteiligter Personen,<br />
aber auch für die, die sich später in der Obhut von Heeresbergführern befinden.<br />
Die Heeresbergführerausbildung lässt zu, ggf. einzelne Ausbildungsabschnitte innerhalb<br />
des Sommer- oder Winterteils mit entsprechend gescheiterten Prüfungen zu<br />
wiederholen, ohne dass der fortlaufende Ausbildungsgang abgebrochen werden<br />
muss. Aber auch eine komplette Wiederholung muss in Einzelfällen angesetzt werden.<br />
Sollte als Beispiel ein Lehrgangsteilnehmer im Sommerteil wegen <strong>Sicherheit</strong>smängeln<br />
abgelöst werden, kann und darf eine Fortsetzung mit dem Winterteil nicht<br />
erfolgen. Das winterliche Bergsteigen birgt wesentlich mehr und schwieriger einzuschätzende<br />
Risiken, als die sommerliche Bergwelt. Unter dieser Bedingung wäre ein<br />
fortlaufen im Lehrgang schlichtweg verantwortungslos, wenn beispielsweise im<br />
Sommer sicherungstechnische Maßstäbe nicht erfüllt werden konnten.<br />
Ausbildungsleiter und Ausbilder stehen stets im Spagat zwischen „möglichst viel Erfahrung<br />
sammeln und vermitteln“ und alle Anwärter wieder heile nach Hause bringen<br />
zu müssen. Verlangt doch die anschließende Aufgabe als fertiger Heeresbergführer<br />
so einiges, kann in der Ausbildung nicht nur bei gutem Wetter und Lawinengefahren-<br />
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Risiko und Verantwortung in der Heeresbergführerausbildung<br />
stufe „1“ ausgerückt werden. Andererseits kann aber auch in der Ausbildung nicht an<br />
die Grenze gegangen werden, weil auch der beste Bergführer nicht weiß, wo die<br />
Grenze tatsächlich liegt. Daher gilt es bei fast allen Wetter- und Umweltverhältnissen<br />
ins Gelände auszurücken. Die Maßgabe ist in der Heeresbergführerausbildung nicht<br />
primär das Erreichen eines Gipfels, sondern vielmehr, die Anwärter in Entscheidungssituationen<br />
zu führen, wo es auch zu begründeten Abbrüchen der Unternehmungen<br />
kommen soll. Dennoch bleibt auf dieser Ausbildungshöhe ein gesundes<br />
Abwägen der Ausbildung weitaus schwieriger als bei einfacheren Ausbildungsgängen.<br />
Erwartet wird vom Anwärter nichts, was nicht vorher im Rahmen des Lehrganges<br />
ausgebildet wurde. „Von Menschen ist nicht zu fordern, was sie nicht können. Niemand<br />
muss nach Vogelart fliegen, um ein Verbrechen am anderen Ufer zu verhindern<br />
(siehe: Mehringer Reinhard (2005) Politische Philosophie, S. 35, Leipzig: Reclam).“<br />
Die Heeresbergführerausbildung ist aber auch nicht ein alpiner Grundkurs.<br />
Ein bereits hohes Niveau alpintechnischen Könnens und Erfahrung ist Voraussetzung!<br />
Die anfängliche Überprüfung zu Beginn des Sommerteils zeigt natürlich nur<br />
einen Ausschnitt und nicht immer das ganzheitliche Gesicht eines Anwärters. So<br />
kann durchaus die Situation entstehen, dass erst zu einem späteren Zeitpunkt festgestellt<br />
wird, dass die Fähigkeiten und Fertigkeiten doch nicht den geforderten Ansprüchen<br />
entsprechen. Solange die <strong>Sicherheit</strong> nicht gefährdet wird, soll der Aspirant<br />
die Chance bekommen, Lücken zu schließen. Mängel in der Klettertechnik können<br />
bei motorisch begabten Anwärtern möglicherweise relativ schnell beseitigt werden. In<br />
der koordinativ erheblich schwierigeren Skitechnik ist das meist nicht machbar. Auch<br />
Überblick in völlig wegfreiem Gelände zu haben, sich in Schrofengelände bewegen<br />
zu können, verlangt langjährige Erfahrung. Das innerhalb eines Lehrganges aufzuholen<br />
ist kaum erfüllbar.<br />
Dadurch, dass ein quantitativer Bedarf an HBF-Nachwuchs besteht, ist auch die Erwartungshaltung<br />
gegenüber dem Ausbilderteam durchaus hoch. Den Schlussstrich<br />
zu ziehen fällt nicht immer leicht. Einem Anwärter das „Aus“ zu erklären ist nicht<br />
sonderlich erbauend und häufig auch mit Widerständen verbunden.<br />
Neben all der Vermittlung von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten ist innerhalb<br />
der Ausbildung ein verantwortliches Denken zu vermitteln und auszuprägen be-<br />
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Major Johannes Schwegler<br />
Risiko und Verantwortung in der Heeresbergführerausbildung<br />
sonders wichtig. Ein „Worst-Case-Denken“ muss beim Bergführer, wie auch generell<br />
beim militärischen Führer, eine endlose Möbiusschleife sein. Wer sich in <strong>Sicherheit</strong><br />
wiegt und die Situation nicht mehr kritisch erfasst, unterliegt schnell fatalen Fehlern.<br />
Es gilt auch den Unterschied zwischen Entscheidungen und Handlungen als Führer<br />
vor dem Hintergrund der amtlichen Sorgfaltspflicht im Gegensatz zur privaten Bergtour<br />
unter Gleichgestellten zu unterstreichen. Der Leitsatz von Peter Geyer für die<br />
zivile Bergführerausbildung und auch nachfolgende Führungstätigkeit „Muss alles<br />
gemacht werden, was machbar erscheint?“ gilt für Soldaten in besonderem Maße,<br />
weil sie nicht freiwillig zu einer Unternehmung einwilligen, sondern befohlen werden.<br />
Vom HBF-Anwärter jedoch muss auch einiges abverlangt werden, weil dessen anschließende<br />
Realität als Bergführer nicht in einer geschützten Black-Box stattfindet.<br />
5.2 „… von Jenen, …“ - Vorgesetzte und vorgesetzte Dienststellen<br />
Frauen in der Bundeswehr benehmen sich nicht wie Hennen! Viel mehr spielen oftmals<br />
Männer die Gockel. Bis lang ist der Stand der Heeresbergführer eine reine<br />
Männerdomäne und er wird es naturgemäß auch in Zukunft weitgehend bleiben. Der<br />
Ehrgeiz Heeresbergführerin zu werden liegt nicht nur bei den Interessentinnen oder<br />
Anwärterinnen, sondern manchmal erscheint es einem, als ob auch Protagonist die<br />
Fahne hießen wolle, aus seinem Umfeld stamme die erste Heeresbergführerin. Ablösungen<br />
von Frauen bei Lehrgängen innerhalb der Bundeswehr sind oft schwieriger<br />
und komplizierter, als die von männlichen Anwärtern. Dabei vertrete ich die Meinung,<br />
dass dies oft nicht ursprünglich an den Frauen liegt, sondern an jenen, die die Vorausbildung<br />
geleistet haben, die ihnen zu dieser Ausbildung zugesprochen haben<br />
oder auch auf den Lehrgang geschickt haben.<br />
Immer wieder ergehen, besonders nach einem persönlichen Scheitern, Vorwürfe,<br />
man würde mit unterschiedlichen Maßstäben bewerten, ungleiche Prüfungsbedingungen<br />
und Führungstouren schaffen und vergeben oder auch einfach nur der Nasenfaktor<br />
wird zu Felde geführt. Für die Lehrgangsleitung kann hier Ärger und Druck<br />
entstehen, der objektive und auch verantwortungsbewusste Entscheidungen unsachgerecht<br />
negativ beinflussen kann. Besonders, wenn vorgesetzte Stellen einem<br />
gescheiterten Anwärter zu schnell Glauben schenken, wird die Situation für die Lehr-<br />
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Major Johannes Schwegler<br />
Risiko und Verantwortung in der Heeresbergführerausbildung<br />
gangsleitung kompliziert, denn ein Lehrgangsleiter oder Ausbilder, der in seiner militärischen<br />
Laufbahn etwas erreichen will, wird sich „ungerechtes Bewerten und Entscheiden“<br />
nicht mehrere Male vorhalten lassen wollen. Es wäre aber fatal, wenn aus<br />
diesen Gründen eine rechtzeitige Beendigung für einen Lehrgangsteilnehmer verpasst<br />
würde.<br />
Auch in einer Bergführerausbildung müssen die Messinstrumente reliabel sein und<br />
nicht nur irgendetwas messen, sondern das messen, was man messen will. Daher<br />
nützt es wenig, Alkoholgenuss in Zentilitern vergleichbar messen zu wollen, wenn<br />
der eine Schnaps und der andere aber Bier getrunken hat. Die richtige Maßeinheit ist<br />
hier nun mal Promille. Auch bei Bergführeranwärtern handelt es sich um unterschiedliche<br />
Individuen und unterschiedliche Probleme, die zum Nicht-Bestehen diverser<br />
Fertigkeiten führen. Es ist daher nicht unbedingt nützlich, grundsätzlich den Zollstock<br />
als Maß herausziehen zu wollen. Unterschiedliche Gegenstandsbereiche, in diesem<br />
Fall also Mängel verschiedener Individuen, müssen so auch mit unterschiedlichen<br />
Instrumenten gemessen werden, nämlich dann, wenn die Mängelursachen unterschiedlich<br />
sind, was manchmal die Differenz in sich birgt, dass bei einem Anwärter<br />
die „Kurve“ gekratzt werden kann, bei einem anderen dies aber verantwortungslos,<br />
auch im Hinblick auf dessen Eigenschutz, wäre. Der für die Lehrgangsleitung unangreifbare<br />
Weg wäre, eine resolutere Aufnahmeprüfung durchzuführen und keine zusätzlichen<br />
Chancen einzuräumen. Es ist jedoch zu bezweifeln, ob dieser Weg bei<br />
Anwärtern und entsendenden Dienststellen einen besseren Anklang fände.<br />
Auch die Entsendung von HBF-Anwärtern birgt bereits eine Verantwortung. Muss<br />
unbedingt der „Vielleicht-Kandidat“ kommandiert werden, oder ist es nicht manchmal<br />
besser, diesem noch ein Jahr Vorbereitung zu gewähren?<br />
Die Vorbereitung von Heeresbergführeranwärtern ist in vielfacher Hinsicht mit Opfern<br />
verbunden. Während der Anwärter sich vorbereitet, müssen Kameraden dessen Vakanz<br />
mit Mehrarbeit ausgleichen. Der zuständige Chef muss ebenfalls mit weniger<br />
Personal seine fortlaufenden Aufträge erfüllen. Daher ist klar, dass man sich erhofft,<br />
dass die Mühen nicht vergebens sein werden. Bei kleineren Mängeln, kann ein Bergführeranwärter<br />
auch noch in die Ausbildung aufgenommen werden, wenn die Möglichkeit<br />
einer schnellen Mängelbehebung besteht. Dies muss unter Berücksichtigung<br />
zahlreicher Faktoren für den Einzelfall entschieden werden. Das wird allerdings nicht<br />
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Major Johannes Schwegler<br />
Risiko und Verantwortung in der Heeresbergführerausbildung<br />
bei der Konditionsüberprüfung geduldet. Hier sind die Strecke und die vorgegebene<br />
Zeit seit mehreren Jahrzehnten bekannt. Auch Mängel beim Skifahren sind streng zu<br />
beurteilen, weil eine merkliche Verbesserung der Skitechnik auf Grund der Komplexität<br />
viel Zeit erfordert. Geringe Mängel in der Klettertechnik können im Einzelfall Berücksichtigung<br />
finden. Dies funktioniert aber nur dann, wenn die entsprechenden<br />
Anwärter in der anfänglichen Methodik-Schulung in der Fränkischen Schweiz und<br />
dem ersten alpinen Ausbildungsaufenthalt, zur Zeit im Blaueis-Massiv, zeigen, dass<br />
sie den nötigen Anschluss gefunden haben und vor allem kein <strong>Sicherheit</strong>srisiko für<br />
die nachfolgenden sehr hochalpinen Touren darstellen. Eine anderer mag nur einen<br />
Ausbildungsabschnitt wiederholen müssen, während bei Manchem ein kompletter<br />
Neustart gefordert werden muss.<br />
Wer bildet Heeresbergführer aus und weiter? Innerhalb der Bundeswehr gibt es keine<br />
höhere Qualifikation, als die des Heeresbergführers selbst. Dennoch, nicht jeder<br />
der einen Führerschein erworben hat, ist deswegen automatisch Fahrlehrer. Bei einer<br />
Hochwertausbildung, wie sie die HBF-Ausbildung darstellt, müssen die fähigsten<br />
und reifsten Bergführer als Ausbilder herangezogen werden. Auch hier stehen die<br />
Vorgesetzten in der Pflicht.<br />
Die materielle Ausstattung in der Bundeswehr, so steht es auch wieder im Bericht<br />
des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages von <strong>2011</strong>, lässt zu wünschen<br />
übrig. Im alpinen Bereich, wo <strong>Sicherheit</strong> groß geschrieben werden muss, ist die Ausstattung<br />
in weiten Bereichen ungenügend! In der Bekleidungsausstattung und bergspezifischen<br />
Ausrüstung für Heeresbergführer bestehen erhebliche Mängel. Viele<br />
Ausrüstungsgegenstände und Bekleidungsstücke entsprechen nicht annähernd dem<br />
aktuellen Stand zeitgemäßer Technik und <strong>Sicherheit</strong>sanforderungen. Auch hier beruft<br />
man sich gerne auf eine oberflächliche „Buchstabenleserei“. Wie gut sitzt ein<br />
Eisbeil? Wie definiert man das Anti-Stoll-Verhalten eines Steigeisens. Wann verdient<br />
eine Regenjacke die gleichnamige Bezeichnung? Ein Logistiker und auch verschiedene<br />
in der Bundeswehr bestehende Prüforgane, die kein bergspezifisches Hintergrundwissen<br />
haben, beschaffen häufig unzureichendes Material. Die oft feinen, doch<br />
aber essentiellen Unterschiede sind Außenstehenden nur schwer zu vermitteln, oftmals<br />
auch deswegen, weil die entscheidenden Gütekriterien nicht in Normwerten,<br />
Zahlen oder nur schwer mit allgemeinverständlichen Beschreibungen klassifizierbar<br />
und fassbar sind. Für den Praktiker sind die feinen Unterschiede, z.B. wie gut eine<br />
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Risiko und Verantwortung in der Heeresbergführerausbildung<br />
Eisschraube beißt, entscheidend. Als Spezialisten können wir zum Beispiel nicht einen<br />
bestimmten Eisschraubentyp auswählen. Aus Gründen der Wettbewerbsgleichheit<br />
muss die Bundeswehr stets eine Ausschreibung tätigen. Und wenn die Beschreibung<br />
oft auch noch so genau formuliert wird, man glaubt oft gar nicht was<br />
letztendlich eingekauft und angeliefert wird.<br />
Bei der Bereitstellung von Bekleidung und Ausrüstung sollte außerdem mehr unterschieden<br />
werden zwischen einer Ausrüstung für den allgemeinen Gebirgsjäger und<br />
die der Heeresbergführer sowie der Hochgebirgssoldaten. Heeresbergführer bewegen<br />
sich bereits in der Ausbildung weit entfernt von der „Übungsunterbrechung“. Das<br />
nicht vorhandene Verkehrsschild „Raststation in 1000 m“ hätte im unwegsamen<br />
Hochgebirgsgelände auch eine deutlich andere Bedeutung, als für den Autobahnnutzer,<br />
insbesondere wenn ein Unwetter hereinbricht oder ein Unfall passiert. In diesem<br />
Gelände mit dem Verkehrsmittel „Fuß“ ist 1000 m bereits eine erhebliche Distanz,<br />
die den Soldaten über viele Stunden von einer sicheren Zone trennt!<br />
Abb. 10: Gewitter auf der Grohmannspitze. Der Abstieg dauert mehrere Stunden unter Hagel, Blitz<br />
und Donner.<br />
Deswegen ist eine Regenbekleidung, die diese Funktion auch tatsächlich erfüllt,<br />
zwingend notwendig, leichte und zu verstauende, wärmende Unterbekleidung essentiell<br />
und z.B. Eisgeräte auch mit Schaufel zur Vorbereitung um Eisschrauben setzen<br />
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Major Johannes Schwegler<br />
Risiko und Verantwortung in der Heeresbergführerausbildung<br />
zu können, unverzichtbar. Diese Liste ließe sich um viele Dinge ergänzen. Für den<br />
Verteidigungshaushalt wären die Kosten zur Behebung dieser Missstände reine<br />
Peanuts, weil die Anzahl der auszustattenden Soldaten sehr überschaubar ist. Die<br />
Gebirgsjägerbrigade 23 hat bereits eine grundlegende Verbesserung der Ausrüstung<br />
gefordert, leider ohne Erfolg. Vielfach behelfen sich die Spezialisten durch Nutzung<br />
von privatem Material, das selbstverständlich der geforderten EU-Norm entspricht.<br />
Sollte aber unter Anwendung privaten Materials ein Unfall vorfallen, würde der<br />
Dienstherr, zumindest mit Blick auf Versorgungsansprüche, darauf verweisen, dass<br />
nur dienstlich geliefertes Material zu verwenden gewesen wäre. Dabei werden vielfach<br />
private Materialien, wie zum Beispiel Karabiner, mit besseren Normwerten genutzt,<br />
als das Material, was dienstlich zur Verfügung steht. Wieso gelten nicht auch<br />
bei der Bundeswehr die allgemeingültigen Normen, da wo spezielle militärische Forderungskriterien<br />
wie z.B. schwere Entflammbarkeit, Antistatik, etc, nicht notwendig<br />
sind. Muss die Bundeswehr immer alles separat für sich definieren? Selbsterhaltungstriebe<br />
interner Organisationsstrukturen führen teilweise zu beispielloser Absurdität.<br />
Wenn der Heeresbergführerlehrgang in Zukunft Hüttenaufenthalte plant, behält<br />
sich der Zentrale Sanitätsdienst der Bundeswehr vor eine Überprüfung der vorgesehenen<br />
Hütte noch einmal selbst durchzuführen, obwohl diese ja bereits durch öffentliche<br />
Behörden kontrolliert worden sind. Sei es den jeweiligen Hüttenwirten verziehen,<br />
wenn die Bundeswehr künftig unsanft vor die Hüttentüren befördert wird.<br />
5.3 „…und von Welchen“ - Die Heeresbergführeranwärter<br />
In wieweit kann ein einfacher Soldat oder Lehrgangsteilnehmer Eigenverantwortung<br />
tragen? Im Frühjahr <strong>2011</strong> sprach mich ein Nachbar aus meiner Wohnstrasse auf den<br />
tödlichen Schussunfall beim Waffenreinigen im Afghanistan-Einsatz am 18.12.<strong>2011</strong><br />
an. Ein Soldat erschoss im Außenposten Pol-e Khomri / OP North einen Kameraden<br />
mit einer Pistole P8. Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht bekannt, dass der Unfall auf<br />
Grund einer reinen Spielerei mit der Handwaffe passierte. Der Nachbar, der selber<br />
früher im Dienst der Bundeswehr als Feldwebel stand, fragte mich, „Wieso denn da<br />
kein Dienstgrad, keine Aufsicht beim Waffenreinigen dabei war“?<br />
102
Major Johannes Schwegler<br />
Risiko und Verantwortung in der Heeresbergführerausbildung<br />
Abb. 11: Einsatz in Afghanistan – kein Kinderspiel<br />
Das ist doch irgendwie merkwürdig. Da wird in der Bundeswehr die „Innere Führung“<br />
hoch gepriesen und vom Bürger in Uniform gesprochen. Diesem erwachsenen und<br />
mündigen Bürger aber wird bei der Armee häufig seine Mündigkeit abgesprochen<br />
und eigentlich vertretbare Verantwortlichkeiten werden ihm abgenommen. Er darf<br />
nicht alleine einen Dauerlauf durchführen, ohne dass ein Sportausbilder dabei ist.<br />
Wenn nach Dienstschluss Soldaten im Kasernenbereich Stuss machen, wird nach<br />
der Dienstaufsicht gerufen.<br />
Die Komplexität im Umgang mit Handwaffen hält sich in Grenzen. Daher stelle ich<br />
provokant die Frage, ob von einem nach monatelanger Waffenausbildung fertig ausgebildeten<br />
Einsatzsoldaten nicht erwarten werden kann, dass er auf Befehl ordnungsgemäß<br />
seine Waffe reinigt?<br />
Wenn der Heeresbergführerlehrgang zweimal für eine Woche zum Schiessen auf<br />
einen Gebirgsübungsplatz verlegt, sollen denkbare HBF-Aufträge im scharfen<br />
Schuss abgebildet werden. Dabei ist das Gelände selbstverständlich schwierig.<br />
103
Major Johannes Schwegler<br />
Risiko und Verantwortung in der Heeresbergführerausbildung<br />
Abb. 12: Hochkomplexes Gefechtsschießen auf dem Truppenübungsplatz Hochfilzen, Österreich<br />
Schließlich bewegt sich dieser Lehrgang in einem „elitären“ Niveau. Und auch die<br />
nachfolgenden Anforderungen im Einsatz werden hoch sein! Das muss irgendwann,<br />
und nur das ist Verantwortung, zuvor auch einmal einigermaßen real geübt, und abgebildet<br />
werden. So wird in einem ersten leichteren Schiessen wieder die Handhabung<br />
im Umgang mit der Waffe stabilisiert und das Vorgehen im kleinen Team verbessert<br />
und abgestimmt. Wird dieses Ziel erreicht, werden die die Schiessen anspruchsvoller.<br />
Mit besserem Ausbildungsstand darf wohl auch dem Soldaten mehr<br />
Verantwortung im Umgang mit seiner Waffe zugesprochen werden. Damit meine ich,<br />
dass die Sicherung der Waffe, das Halten der Mündung in Zielrichtung durchaus in<br />
Hauptverantwortung des Einzelschützen liegt, insbesondere bei Dienstgraden, die<br />
alle selbst die Funktion der Aufsicht beim Schützen oder <strong>Sicherheit</strong>soffizier bei<br />
Schiessen erfüllen können müssen. Die Aufsicht muss bei schwierigeren Schiessen<br />
viel mehr den Blick dahin verlagern, dass sich z.B. im Angriff verschiedene Trupps<br />
im unübersichtlichen Gelände nicht gegenseitig ins Feuer gelaufen wird.<br />
104
Major Johannes Schwegler<br />
Risiko und Verantwortung in der Heeresbergführerausbildung<br />
Abb. 13: Der <strong>Sicherheit</strong>soffizier überprüft mit Anspannung die Bewegung des benachbarten Trupps<br />
Im Endeffekt sind schwere Verletzungen oder tödliche Unfälle durch eigenes Feuer<br />
nicht duldbar, nur weil keine Aufsicht beim Schützen oder <strong>Sicherheit</strong>soffizier vorhanden<br />
waren. Verantwortlich handeln kann der Mensch doch schließlich nur, wenn er<br />
weiß, ihm also auch gesagt wird, dass er verantwortlich ist!<br />
Am 13.09.2004 stürzte ein Heeresbergführeranwärter tödlich von der Viererspitze bei<br />
Mittenwald ab. Der Heeresbergführerlehrgang stand im Sommerteil kurz vor dem<br />
Abschluss. In der erreichten letzten Ausbildungswoche, hatte der HBF-Lehrgang den<br />
Auftrag ein Seilgeländer für einen anderen Lehrgang der Gebirgs- und Winterkampfschule<br />
über den Süd-West-Grat auf die Viererspitze zu legen und die Nutzer im Seilgeländer<br />
zu betreuen. Während des Aufbaus stürzte der Aspirant, ohne dass jemand<br />
den Unfallhergang gesehen hatte, tödlich in die Nordwand.<br />
105
Major Johannes Schwegler<br />
Risiko und Verantwortung in der Heeresbergführerausbildung<br />
Abb. 14: Tödlicher Unfall an der Viererspitze im Karwendel<br />
Der junge Feldwebel hätte den Sommerteil wenige Tage später als Lehrgangsbester<br />
abgeschlossen. Bei dem Absturzgelände handelt es sich vom Schwierigkeitsgrad um<br />
Einser- und Zweiergelände, mit wenigen Stellen Drei. Schwierigkeitsgrade, die ein<br />
Heeresbergführer nach eigener Maßgabe ohne Seilsicherung bewältigen kann. Daher<br />
trägt nach abgeschlossener Ausbildung und genügend Übung auch der Anwärter<br />
eine Eigenverantwortung. Diese erhöht sich sukzessive im Ausbildungsgang. Soll<br />
der fertige HBF andere am kurzen Seil führen können, muss von ihm erwartet werden,<br />
dass er selbst entsprechendes Gelände sicher bewältigen kann.<br />
Abb. 15: Rochefort-Grat / das Führen am Kurzen Seil kann nicht simuliert werden<br />
106
Major Johannes Schwegler<br />
Risiko und Verantwortung in der Heeresbergführerausbildung<br />
Das Üben von Techniken, wie z.B. des Führens am Kurzen Seil muss zwingend im<br />
scharfen Gelände erfolgen. Die Ausübung eines risikoreichen Berufes, erfordert nun<br />
einmal bereits die Risikowahrnehmung in der Ausbildung. Fehler können traumatisch<br />
enden.<br />
6. Schlusswort<br />
Zur Gestaltung einer sicheren Ausbildung und vor allem des Einsatzes müssen die<br />
Handelnden aller Entscheidungsebenen ihre Verantwortung begreifen, wahrnehmen<br />
und umsetzen. „Fast jedes Mal, wenn ein Kind ertrinkt, ertrinkt ein Erwachsener mit!“<br />
Selbstaufopferung bringt also noch lange nicht den gewünschten Erfolg. Daher haben<br />
auch Diejenigen, die Andere, zu welchem Zweck auch immer, einsetzten, sorgfältig<br />
„Kosten“ und „Nutzen“ abzuwägen. Die gute Entscheidung fängt in den eigenen<br />
Reihen an.<br />
Unsere heutige Gesellschaft ist satt aufgewachsen. Entbehrungen sind weitgehend<br />
ein Fremdwort geworden. Die aktuellen Einsätze der Bundeswehr konfrontieren in<br />
ihrer tatsächlichen Härte noch immer nur wenige Soldaten der gesamten Bundeswehr<br />
mit dem, was einen militärischen Einsatz tatsächlich ausmacht. Schleichend<br />
steigt die Anzahl der Soldaten, die mit einer der westlichen Gesellschaft kaum mehr<br />
gekannten Einsatzbrutalität konfrontiert werden. In der Ausbildung ist daher nach wie<br />
vor eine harte und realitätsnahe Übungssituation erforderlich, die oft mit dem heutigen<br />
Wohlstandsmaßstab und damit auch verbundenen Rechtsempfinden schnell in<br />
Konflikt gerät! Gerne würden wir unsere Hände und unser Haupt in absoluter Reinheit<br />
baden. Wenn wir aber Soldaten für Militäreinsätze vorbereiten wollen, geht das<br />
nicht nur in „Milch“.<br />
Als Vorgesetzte müssen wir uns frei machen von der Informationsüberflutung und<br />
unserem internen Meldewesen, das uns von der Ausbildung und den tatsächlichen<br />
Einblicken und unserer Einflussnahme fern hält. „Panzerung ist unersetzbar“ lautet<br />
heute oft die Devise. Ein Box-Kämpfer, der nur über Panzerung verfügt, kann nicht<br />
gewinnen. Im Training kann er als „gepanzerter“ Sparringspartner die Runden gut<br />
überstehen, nicht aber im Einsatz. Im Einsatz muss er boxen, um zu gewinnen. In<br />
der Einsatzvorbereitung muss er daher bereits ohne Schutz antreten und kämpfen.<br />
107
Major Johannes Schwegler<br />
Risiko und Verantwortung in der Heeresbergführerausbildung<br />
In der sportlichen Trainingswissenschaft heißt dies ganz neutral: wettkampfnahes<br />
Training oder Wettkampfvorbereitung. Dieses Prinzip muss auch für alle Soldaten<br />
und selbstverständlich auch für den Heeresbergführeranwärter gelten. Natürlich kann<br />
deshalb nicht Leichtsinn, Überheblichkeit und Missachtung des Lebens Einkehr halten.<br />
Sorgfaltspflicht und verantwortliches Denken und Handeln gegenüber den<br />
Schutzbefohlenen hat Priorität, dennoch - Verletzungen und auch der Tod können<br />
bereits in der Ausbildung vorkommen. Es besteht ein nicht weg zu redendes Restrisiko!<br />
Panzerung sei Priorität, ist eine erbärmliche, rechtliche Schutzbehauptung, die<br />
in Wahrheit an unserer Verantwortung als Vorgesetzte vorbeigeht! Sie besagt: „Ich<br />
schicke Dich in eine Situation, in der ich Dich eigentlich nicht haben möchte!“.<br />
Besonders im Gebirgsgelände bedeutet Schnelligkeit und Beweglichkeit ein hohes<br />
Maß an Schutz und <strong>Sicherheit</strong>. Wenn ein Boxer in den Ring geschickt wird, so muss<br />
die Überzeugzeug bestehen, dass er boxen, und dass er gewinnen kann! Ihn aber in<br />
der Hoffnung, dass er gewinnen könne, wie eine Schildkröte in den Ring zu stellen,<br />
macht keinen Sinn.<br />
Wer sich mit Gebirge nicht auskennt, für den ist der schroffe Fels ein Hindernis. Wer<br />
aber im Gebirge zu Hause ist, für den ist dieses Gelände eine Chance! Verantwortung<br />
darf auch nicht aus Gründen von Unwissenheit, Verständnislosigkeit, Beratungsresistenz<br />
und falscher Eitelkeit versagen.<br />
Teilweise ist ein Autoritarismus innerhalb von Politik und Gesellschaft, die Ralf<br />
Dahrendorf „Gesellschaft der couch potatoes“ nannte (vgl. Dahrendorf, R. (2003) Auf<br />
der Suche nach einer neuen Ordnung, S. 130, München: Verlag C.H. Beck) durchaus<br />
nachvollziehbar.<br />
Die tatsächliche Auswirkung eigenen und auch gesellschaftlichen und auch politischen<br />
Handelns zeichnet sich für viele Menschen real kaum mehr ab. Im Informationsüberfluss<br />
stehend und materiell gesättigt, erscheint vielen Menschen die Welt<br />
abstrakt und virtuell. Man hat es sich bequem eingerichtet. Als verantwortliche Führer<br />
können wir aber nicht die Tage „Kartoffelchips kauend“ passieren lassen. Auch<br />
der zukünftige militärische Führer muss und sollte wie eine Mutter oder ein Vater „in<br />
einer Familie“ und nicht „im Reagenzglas“ aufwachsen. Nicht ein Verteidigungs-<br />
Manager, der einmal von etwas gehört hat oder davon unterrichtet wurde, wird dauerhaft<br />
bestehen können!<br />
108
Major Johannes Schwegler<br />
Risiko und Verantwortung in der Heeresbergführerausbildung<br />
Bestehen wird, wer weiß, von was er spricht. Wer nicht selber langjährige Erfahrung<br />
als Bergführer hat, kann nicht authentisch überzeugen. Eine langjährige Bergführerqualifikation<br />
ist aber auch noch lange nicht einer langjährigen Erfahrung gleichzusetzen.<br />
In der Komplexität einer Heeresbergführerausbildung wird Eigenverantwortung<br />
nach und nach an die Anwärter übertragen.<br />
Auch bei der Erziehung von Kindern kann ja nicht erst mit der Volljährigkeit eine<br />
Selbständigkeit und Eigenverantwortung geprägt und gefordert werden. Natürlich<br />
bleiben Eltern bis zum mündigen Lebensalter ihrer Sprosse in der Hauptverantwortung.<br />
Reife zum erwachsenen Leben, wie auch Reife zur Aufgabenübernahme als<br />
künftiger Bergführer kann nur und muss nach und nach wachsen und übertragen<br />
werden. Eltern, als auch Ausbilder, für welchen Bereich auch immer, können sich<br />
dadurch natürlich nicht ihrer Verantwortung entziehen. Fingerspitzengefühl und Empathie<br />
sind gefordert. Aber auch diejenigen, die den Rahmen stecken und Voraussetzungen<br />
schaffen, müssen Ihre Verantwortung sehen und wahrnehmen. Dabei<br />
sollte Haftbarkeit mit Verantwortlichkeit nicht verwechselt werden.<br />
Wer Kinder erzieht, tut dies immer, wie auch geartet, auch aus der Erfahrung selbst<br />
Kind gewesen zu sein! Das sollte uns Soldaten ein Leitbild bleiben, auch für und in<br />
späteren führenden Positionen.<br />
109
110
Peter Geyer<br />
Risikomanagement in der staatlichen Bergführerausbildung<br />
Risikomanagement in der staatlichen Bergführerausbildung<br />
Peter Geyer<br />
Die Ausbildung zum Staatl. gepr. Berg- und Skiführer ist der Weg<br />
zur höchsten Qualifikationsstufe in der Führerausbildung für das<br />
alpine Gelände. Dieser Ausbildungsgang ist international anerkannt<br />
und qualifiziert bzw. berechtigt gegen Entgelt weltweit als<br />
Bergführer zu arbeiten.<br />
Obwohl das Berufsbild der Bergführer gebiets-, bzw. länderspezifisch<br />
unterschiedliche Schwerpunkte aufweisen kann, gibt es eine<br />
typische Eigenheit des Bergführerberufes mit der sich jeder Führer auseinandersetzen<br />
muss – dem Spannungsfeld zwischen dem vom Gast „gebuchten“ Erfolgserlebnis<br />
und der größtmöglichen <strong>Sicherheit</strong>, die er aufgrund seiner auferlegten Sorgfaltspflicht<br />
zu bieten hat.<br />
111
Peter Geyer<br />
Risikomanagement in der staatlichen Bergführerausbildung<br />
Zum Verständnis: Bergführer und Risiko<br />
Kein Berufsbergführer kann so hoch qualifiziert sein, dass er seine Laufbahn im Gebirge<br />
ohne größere oder kleinere Fehler übersteht. Unfehlbarkeit ist bloßes Wunschdenken.<br />
Ein Großteil der Touren bewegt sich in einem Bereich zwischen „gefährlich“<br />
und „sicher“, der als „verdächtig“ bezeichnet werden kann. In diesem situativen Ermessensspielraum<br />
sind, meist unter Zeitdruck, Hunderte von „Minuten-entscheiden“<br />
mit entsprechender Irrtumswahrscheinlichkeit zu fällen. Solche Situationen sind selten<br />
eindeutig, häufig sind die Informationen unvollständig und die Indizien widersprüchlich.<br />
Eine Quantifizierung des Risikos genügt selten, es braucht einen Entscheid<br />
„gehen oder nicht gehen“.<br />
Das Risiko beträgt beispielsweise 5%, ist die 95%ige <strong>Sicherheit</strong> ausreichend oder<br />
nicht? Wenn nicht, sind 98% ausreichend? 98%ige <strong>Sicherheit</strong> scheint auf den ersten<br />
Blick sehr sicher zu sein, aber 2%iges Risiko heißt, dass ein JA/NEIN-Entscheid in<br />
50 Fällen einmal schief geht. Irrtümer bei JA/NEIN-Entscheiden, die zweiwertige<br />
(entweder-oder) Ereignisse betreffen, sind immer 100%ig. Eine 2%ige Irrtumswahrscheinlichkeit<br />
ergibt beim Fehlentscheid die Konsequenz von 100%igem Irrtum. Das<br />
Restrisiko ist also keine theoretische Größe, sondern zeigt irgendwann und unweigerlich<br />
praktische Auswirkungen.<br />
Auch das Restrisiko bzw. das gewählte Risiko wird sich im Verlauf der Zeit summieren.<br />
Der Bergführer operiert in einem Gebiet besonderer Gefährlichkeit, in dem der<br />
geringste Fehler fatale Folgen haben kann. Es gibt aber keine direkte Übereinstimmung<br />
zwischen Fehlergröße und Unfallausmaß: einem schweren Unfall braucht keine<br />
gravierende Sorgfaltspflichtverletzung vorangegangen zu sein, oft ist bloß eine<br />
unglückliche Verkettung von Zufällen im Spiel. Eine kleine einmalige Unachtsamkeit<br />
kann tödliche Folgen haben, umgekehrt können gravierende Fehler über längere Zeit<br />
folgenlos bleiben.<br />
Das Gesetz von Murphy duldet keine Ausnahmen und ist eben auch für Bergführer<br />
gültig. Es sagt lapidar, dass alles, was schief gehen kann, früher oder später garantiert<br />
schief gehen wird. Etwas formaler ausgedrückt: kleines Restrisiko x große Anzahl<br />
von Wiederholungen (resp. lange Dauer) = sicher Katastrophe.<br />
Ein noch so kleiner Irrtum oder Fehler wird sich also, wenn er nur genügend oft wiederholt<br />
wird oder genügend lange andauert, früher oder später zur Katastrophe<br />
summieren. Das einzig Sichere am Restrisiko ist seine Allgegenwärtigkeit.<br />
112
Peter Geyer<br />
Risikomanagement in der staatlichen Bergführerausbildung<br />
Einem Alpinunfall, auch einem Führerunfall, geht meist eine Fehleinschätzung voraus,<br />
die man im Nachhinein immer begründen kann. Aber diese Erklärbarkeit darf<br />
nicht mit Vorhersehbarkeit in der Entscheidungssituation gleichgesetzt werden, denn<br />
im Nachhinein ist man immer schlauer.<br />
Rein vom Charakter der Touren her gibt es spezifisch dazu verschieden hohe Risiken,<br />
die es gilt bewusst auf sich zu nehmen, um eine gewisse Tour überhaupt angehen<br />
zu können. Es liegt also an der jeweiligen Risikobereitschaft, eine bestimmte<br />
Tour durchzuführen oder eben zu verzichten. Es gibt rein rechtlich gesehen, weltweit<br />
keine Tour, die auch im Führer-Gast-Verhältnis verboten wäre. Wenn sich also Führer<br />
und Gast über die zu erwartenden Gefahren und folglich über das bestehende<br />
„Basisrisiko“ einer Tour einig und auch gewillt sind dies einzugehen, was sollte dann<br />
im Wege stehen. Vorausgesetzt natürlich, dass beide dazu psychisch und physisch<br />
fähig sind. Wird ein anderer, sehr bestimmender Aspekt, die Ethik hinzugezogen,<br />
kann zweifellos die Entscheidung ganz anders ausfallen.<br />
Ausbildung in der Realität<br />
Die Bergführerausbildung beinhaltet die intensive Vorbereitung der Kandidaten im<br />
Umgang mit dem allgegenwärtigen Risiko, bzw. die bestmögliche Vorbereitung für<br />
einen Beruf mit steter Präsenz von Gefahren und erhöhtem Risikopotential.<br />
Zielsetzung: Handlungsfähigkeit in risikoreichen Situationen bzw. Kompetenz für<br />
komplexe Entscheidungssituationen, die von Informationsdefiziten geprägt sind.<br />
Zum Erreichen dieser Handlungskompetenz ist ein ausgeprägtes Risikobewusstsein<br />
erforderlich, das durchgängig über den gesamten Ausbildungsverlauf gefördert werden<br />
muss. Dies ist wiederum nur möglich bzw. effizient, wenn die Ausbildung realitätsbezogen<br />
durchgeführt wird. Es kann nicht, bzw. nur sehr eingeschränkt simuliert<br />
oder Situationen „gespielt“ werden - 1:1 zur Realität ist unabdingbar, denn Simulatoren<br />
wie in der Pilotenausbildung gibt es noch nicht.<br />
Die Entscheidungsträger in der Bergführerausbildung würden es sich zu einfach machen,<br />
wenn die Risikopräsenz bzw. der Umgang mit dem Risiko nur „gespielt“ wird –<br />
im Sinne einer bestmöglichen Vorbereitung für den Bergführerberuf wäre dies auch<br />
unverantwortlich! Der überaus anspruchsvollen Aufgabe handlungsfähige Bergführer<br />
113
Peter Geyer<br />
Risikomanagement in der staatlichen Bergführerausbildung<br />
auszubilden, muss sich voll und ganz gestellt werden – ein „bisschen schwanger“<br />
gibt es eben nicht.<br />
Fazit: Während der Bergführerausbildung ist ein gewisses Gefahrenpotential immer<br />
präsent, folglich ist sie mit erhöhten Risiken verbunden.<br />
Daraus ergibt sich die zwingende Forderung nach einem durchgehenden und systematisch<br />
aufgebauten Risikomanagement.<br />
Gefahren und Risiken in der Bergführerausbildung<br />
Wer im Gebirge unterwegs ist, gleich in welcher Spielform des Bergsteigens, wird<br />
unweigerlich mit einer Vielzahl von Gefahren konfrontiert und hat sich mit diesen<br />
eingehend auseinanderzusetzen – dies trifft im Besonderen auf die Kurse in der<br />
Bergführerausbildung zu.<br />
Diese Gefahren sind überaus vielfältig und in ihrem Ursprung oft sehr spezifisch.<br />
Das Risikopotential das sich aus diesen Gefahren ergibt ist unterschiedlich hoch und<br />
u.a. an dem Umstand zu bewerten, ob eine Gefahr offensichtlich bzw. leicht erkennbar<br />
oder latent ist und versteckt „lauert“.<br />
In der Bergführerausbildung muss sich einerseits mit den herkömmlichen alpinen<br />
Gefahren auseinandergesetzt werden und andererseits mit Risiken, die sich aus<br />
spezifischen Ausbildungsinhalten bzw. Aktionen ergeben.<br />
1. Risiko aufgrund des alpinen Umfeldes<br />
Die Bergführerausbildung findet nicht im Saal sondern im realen Gelände bzw. im<br />
Gebirge mit all seinen spezifischen Gefahren statt.<br />
Folglich und unbestritten bedeutet dies, dass während der Ausbildung immer ein<br />
mehr oder weniger großes Wagnis eingegangen bzw. ein gewisses Risiko bezüglich<br />
des alpinen Umfeldes in Kauf genommen werden muss.<br />
Auf was in den letzten Jahren immer mehr und verstärktes Augenmerk gelegt werden<br />
muss, sind die Auswirkungen der Erwärmung im Hochgebirge. Aus dem Gletscherrückgang<br />
sowie durch dem Rückgang des Permafrostes ergeben sich zusätzliche<br />
Gefahrenquellen bzw. ein erhöhtes Risikopotential.<br />
114
Peter Geyer<br />
Risikomanagement in der staatlichen Bergführerausbildung<br />
Während die Einschätzung bzw. die Beurteilung dieser objektiven Gefahren von den<br />
Ausbildungsteilnehmern Großteils vorausgesetzt wird, ist das Lernen mit dem Risiko<br />
umzugehen eine primäre Zielsetzung der Ausbildung.<br />
2. Risiko aufgrund der Aktivitäten<br />
Da als Bergführer der alpine Allrounder gefragt bzw. das Berufsbild der heutigen<br />
Führerschaft überaus breit gefächert ist, wird demnach auch sehr intensiv auf die<br />
zahlreichen Facetten des Bergsteigens eingegangen. Einerseits, um in diesen verschiedenen<br />
Bereichen professionelles Führungshandeln zu gewährleisten und andererseits<br />
unter methodisch didaktischen Prinzipien ausbilden zu können.<br />
Das Gefahrenpotential, welches die verschiedenen Spielformen des Bergsteigens<br />
bzw. des Alpinismus bergen, ist sehr spezifisch und unterschiedlich. Dies bedeutet,<br />
dass es Aktivitäten mit weniger bzw. Aktivitäten mit größerem Risikopotential gibt.<br />
Davor bleibt auch die Bergführerausbildung nicht verschont.<br />
Bei langen anspruchsvollen Hochtouren, Eisfallklettern oder bei Skidurchquerungen<br />
im Winter, muss bewusst mehr Risiko eingegangen werden als beim Sportklettern<br />
oder bei Führungen in Plaisierrouten.<br />
115
Peter Geyer<br />
Risikomanagement in der staatlichen Bergführerausbildung<br />
Die Förderung eines ausgeprägten Risikobewusstseins für diese spezifischen Risiken<br />
erfährt über die gesamte Ausbildung eine hohe Wertigkeit.<br />
3. Risiko aufgrund spezieller Aktionen<br />
Die Bergführertätigkeit birgt einerseits Risiken die sich aus bestimmten Situationen<br />
entwickeln und andererseits, z.B. bei bergführerspezifischen Führungstechniken, wo<br />
bewusst zusätzliches Risiko eingegangen wird.<br />
In der Bergführerausbildung müssen diese Risiken möglichst authentisch aufgezeigt,<br />
sowie Maßnahmen zur Optimierung trainiert werden.<br />
a) Realitätsbezogenes Training von risikoträchtigen Führungstechniken<br />
Es gibt beim Führen Techniken, bei deren Anwendung ein höheres Risiko<br />
eingegangen werden muss. Würden die Bergführer ohne diese speziellen<br />
Techniken auskommen, könnte man sie ersatzlos streichen.<br />
Gerade beim Führen auf langen Hochtouren, wo Zeit bzw. Schnelligkeit auch<br />
<strong>Sicherheit</strong> bedeutet, sind Techniken, wie das „gleichzeitige Gehen am kurzen<br />
Seil“ oder das gleichzeitige Gehen auf bzw. an der Gratschneide unerlässlich.<br />
116
Peter Geyer<br />
Risikomanagement in der staatlichen Bergführerausbildung<br />
Diese Techniken im kritischen Gelände bzw. bei ungünstigen Verhältnissen<br />
oder bei zu schwachen Geführten angewendet, lässt das Risiko eines<br />
Mitreißunfalls bzw. eines Absturzes der gesamten Seilschaft immens steigen.<br />
Nur durch ein ausgeprägtes Risikobewusstsein, ein hohes Maß an Beurteilungsfähigkeit<br />
und ein realistisches Training, inkl. Sturz- und Halteversuchen,<br />
lassen das Risiko auf ein akzeptables Maß reduzieren.<br />
Dass dieses Training nicht gefahrlos ist und manchmal nicht ohne Schrammen<br />
oder Blessuren abgeht, muss aufgrund einer effizienten Ausbildung ein<br />
zusätzliches Risiko eingegangen werden – dies bedeutet aber nicht, dass es<br />
unkontrollierbar wird.<br />
b) Aufzeigen von Situationen mit erhöhtem Risikopotential<br />
Von handwerklichen Fehlern über Fehlbeurteilung in der Lawinensituation<br />
aufgrund von Informationsdefiziten, führungstechnische bzw. taktische Fehlentscheidungen,<br />
bis hin zu negativen Entwicklungen durch die Gruppendynamik<br />
reicht die Palette der risikoreichen Situationen.<br />
In der Ausbildung gilt es diese Situationen möglichst praxisnah transparent zu<br />
machen und dafür wirksame Vermeidungsstrategien aufzuzeigen.<br />
Ein Vorausdenken in Szenarien kann dabei sehr oft Fehlerketten vermeiden.<br />
117
Peter Geyer<br />
Risikomanagement in der staatlichen Bergführerausbildung<br />
c) Spürbares Aufzeigen physischer und psychischer Belastbarkeit<br />
Da Bergführer auch nur Menschen und nicht unendlich belastbar sind, sollte<br />
jeder seine Grenzen kennen und wissen, wie er im Grenzbereich reagiert.<br />
Bei sehr langen Hochtouren, u.a. mit kräfteraubender Spurarbeit, sollte jedem<br />
Führer bewusst werden, dass auch seine Konzentration nachlässt – dieser<br />
Umstand ihn aber keinesfalls von seiner Sorgfaltspflicht entbindet bzw. er trotz<br />
Müdigkeit den Geführten die größtmögliche <strong>Sicherheit</strong> bieten muss.<br />
Dieses realistische Aufzeigen bzw. Spürbarmachen des physischen und psychischen<br />
Grenzbereiches ist ein anhaltender Bestandteil der persönlichen Erfahrung<br />
jedes Auszubildenden.<br />
Da derartige Aktionen nicht bei einem 24 Stundenmarsch in der Ebene stattfinden,<br />
sondern im realen Führungsgelände, ist auch hier oftmals ein höheres<br />
Risikopotential im Spiel.<br />
Risikomanagement als geschlossenes System<br />
Die Bergführerausbildung ist als Spiegel der Risikokultur der Berufsbergführer zu<br />
bezeichnen. Sie spiegelt direkt und nachvollziehbar im Detail den Umgang mit dem<br />
Risiko wieder.<br />
118
Peter Geyer<br />
Risikomanagement in der staatlichen Bergführerausbildung<br />
Voraussetzungen für ein effizientes Risikomanagement<br />
Ein Risikomanagement das funktionieren soll, muss als nachvollziehbarer, bzw.<br />
transparenter, geschlossener und wiederkehrender Zyklus angelegt sein. Die einzelnen<br />
Komponenten sollten einerseits in sich veränderbar, andererseits übergreifend<br />
wirksam sein.<br />
Ausbildungsteilnehmer<br />
Nur der überdurchschnittlich gute und selbständige Allrounder, der in den geforderten<br />
Bereichen das nötige persönliche Können und das hohe Maß an Erfahrung aufweist,<br />
wird zur Ausbildung zugelassen. Ausschließlich der, der das Gelände und sich<br />
selbst „im Griff“ hat, kann die Ausbildungsinhalte umsetzen und mit einem positiven<br />
Abschluss der Ausbildung rechnen.<br />
Es ist sehr einfach auf den Punkt gebracht: „Wer mit dem Gelände oder mit sich<br />
selbst Probleme hat, der kann in diesem Terrain nicht führen“.<br />
Zunehmende Selbständigkeit und eigenverantwortliches Handeln muss bei den Kandidaten<br />
vorausgesetzt werden können – somit entscheidende Faktoren des Risikomanagements.<br />
Auswahl der Bewerber<br />
Das konsequente Auswahlverfahren für Bewerber zur Bergführerausbildung ist ein<br />
entscheidendes Kriterium um sicher zu stellen, dass ausschließlich jene Kandidaten<br />
die Ausbildung beginnen, die aufgrund der zwingenden Voraussetzungen qualifiziert<br />
sind bzw. auch die größte Chance für einen positiven Abschluss haben. Zudem wäre<br />
es aufgrund des erhöhten Risikos nur schwer verantwortbar mit Teilnehmern zu arbeiten,<br />
die den hohen Ansprüchen nicht gewachsen sind.<br />
1. Tourenbericht<br />
Mit dem Antrag zur Bergführerausbildung hat jeder Bewerber einen umfassenden<br />
Tourenbericht abzugeben. Diese Auflistung der selbständig durchgeführten Touren<br />
gibt einen Überblick über das persönliche Können bzw. über die alpine Erfahrung<br />
des Bewerbers. Es müssen mindestens die Touren der letzten drei Jahre, in den Be-<br />
119
Peter Geyer<br />
Risikomanagement in der staatlichen Bergführerausbildung<br />
reichen Fels, Eis- und kombinierte Anstiege, sowie Skihochtouren in entsprechender<br />
Anzahl und Qualität vorhanden sein.<br />
Der Tourenbericht ist eliminierend, dies bedeutet, dass ein Bewerber aufgrund des<br />
Berichts abgelehnt werden kann.<br />
2. Überprüfung bei Eignungstests<br />
Bei den Eignungstests in Deutschland wird sehr großer Wert auf die zu überprüfenden<br />
Elemente bzw. auf den dafür benötigten Umfang gelegt. Insgesamt werden dafür,<br />
im Winter und Sommer (Ski, Fels und Eis), zwölf Tage aufgewendet.<br />
Es ist somit die umfangreichste Eignungsprüfung aller Bergführerausbildungen international.<br />
Prüfungsinhalte:<br />
Persönliches Können in den Bereichen Ski, Fels und Eis;<br />
Erfahrung;<br />
Umgang mit dem Risiko;<br />
Potential bzw. Möglichkeit der Entwicklung.<br />
Die Überprüfung beinhaltet auch Prüfungstouren im hochalpinen Gelände.<br />
Jedem Eignungstest geht eine Ausbildung über die Sicherungstechnik/Taktik sowie<br />
eine Einweisung in das risikobewusste Verhalten voraus.<br />
Ein umfassendes persönliches Feedback von den Ausbildern gibt jedem Teilnehmer,<br />
gleich ob bestanden oder nicht, Auskunft über positive Eigenschaften und Defizite<br />
die es gilt aufzuarbeiten.<br />
In der Qualität und im Umfang der Tests werden keine Kompromisse eingegangen,<br />
weil ausschließlich qualifizierte Kandidaten den hohen Anforderungen<br />
gewachsen sind und bei weniger geeigneten Teilnehmern das Risiko in der<br />
Ausbildung unkalkulierbar wird.<br />
120
Peter Geyer<br />
Risikomanagement in der staatlichen Bergführerausbildung<br />
Struktur der Ausbildung<br />
Die Struktur der Ausbildung bzw. die Lehrgangsfolge, mit den entsprechenden<br />
Lehrinhalten, ist ein sehr entscheidendes Kriterium im Risikomanagement.<br />
Aufgrund der sich systematisch aufbauenden bzw. sich ergänzenden Lehrinhalte ist<br />
die Abfolge verschiedener Ausbildungslehrgänge zwingend vorgegeben.<br />
Zielgerichtet steigern sich die Anforderungen bzw. die Qualität vom elementaren<br />
Umgang mit dem Risiko bis hin zur professionell ganzheitlichen Risikokompetenz.<br />
Steigerung der Anforderungen:<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Zunehmende Komplexität der zu beurteilenden Situationen;<br />
Zunehmende Komplexität der Entscheidungsprozesse;<br />
Zunehmendes Risikopotential aufgrund der Aktivitäten;<br />
Zunehmende Förderung des Risikobewusstseins;<br />
Zunehmende Sensibilisierung des Verantwortungsbewusstseins;<br />
Zunehmende Einforderung von Eigenverantwortung.<br />
In der Bergführerausbildung gilt es zunächst, die „handwerklichen“ Fertigkeiten sowie<br />
die grundsätzlichen Fähigkeiten zu erlernen, zu koordinieren bzw. zu festigen. Be-<br />
121
Peter Geyer<br />
Risikomanagement in der staatlichen Bergführerausbildung<br />
reits hier wird bei den verschiedenen Techniken, z.B. in der Sicherungstechnik, nicht<br />
nur zwischen gut und schlecht unterschieden, sondern für die jeweilige Situation, in<br />
Bandbreiten von sehr gut, über gut, brauchbar und weniger brauchbar differenziert.<br />
Die Komplexität der Inhalte ist in diesem Stadium primär auf die verschiedenen<br />
Techniken ausgerichtet.<br />
Dafür vorgesehene Lehrgänge:<br />
• Felsklettern & Methodik;<br />
• Bergrettung & Erste Hilfe;<br />
• Theorie I;<br />
• Skitechnik & Methodik.<br />
Lehrgänge mit zwingender Reihenfolge sind:<br />
• Lawinenkurs<br />
(Voraussetzung für die Kurse Eisfallklettern, Skitour und<br />
Variantenskilauf);<br />
• Felskurs alpin;<br />
• Eiskurs;<br />
• Theorie II;<br />
• Skihochtourenkurs als abschließender Ausbildungskurs.<br />
Bei den Lehrgängen mit vorgegebener Reihenfolge kommt die Steigerung der genannten<br />
Anforderungen zum Tragen und charakterisiert die aufbauenden bzw. weiterführenden<br />
Inhalte bezüglich der Kompetenz im Umgang mit dem Risiko.<br />
Für die Ausbildungsteilnehmer beginnt mit diesen Kursen ein neuer Abschnitt bzw.<br />
eine neue Phase der Bergführerausbildung – es beginnt die Ausbildung des Führens<br />
mit all ihrer Komplexität.<br />
Beurteilen – Risikoabwägung – Entscheiden, Ja oder Nein und wenn Ja – Wie?<br />
Unzählige Situationen, gesteigert in der Anforderung bezüglich des Geländes, den<br />
Verhältnissen, dem Können bzw. dem Unvermögen der Geführten verlangen vom<br />
Auszubildenden überaus konzentriertes Handeln und Risikobewusstsein.<br />
122
Peter Geyer<br />
Risikomanagement in der staatlichen Bergführerausbildung<br />
Schritt für Schritt werden die Teilnehmer systematisch an risikoträchtige Situationen<br />
herangeführt und mit deren Komplexität konfrontiert bzw. vertraut gemacht.<br />
Trotz einer überaus durchdachten didaktischen Vorgehensweise bleibt es ein hochsensibler<br />
und oftmals steiniger Weg zu einer professionellen und ganzheitlichen Führungskompetenz.<br />
Ausbildungs- und Prüfungstouren<br />
Die Auswahl der Touren und Führungsaufgaben ist ein Faktor, bei dem das planbare<br />
bzw. vorhersehbare Risikopotential der Aktion eine übergeordnete Rolle einnimmt<br />
und bewusst vorgegeben wird. Nur so können die Anforderungen, bei kontrollierbarem<br />
bzw. akzeptablem Risiko, systematisch gesteigert werden.<br />
Die Auswahl der Touren erfolgt unter folgenden Kriterien:<br />
1. Aufbauend bezüglich der führungstechnischen und taktischen Anforderungen<br />
Von einfachen bis hin zu komplizierten bzw. aufwendigen führungstechnischen<br />
Maßnahmen;<br />
Steigerung der Anzahl der Geführten;<br />
Steigerung in der Variation verschiedener Führungstechniken.<br />
2. Aufbauend bezüglich des Gefahren- und Risikopotentials bzw. der Komplexität<br />
der Beurteilungs- und Entscheidungsprozesse:<br />
Von kürzeren zu langen Touren;<br />
Steigerung in der Anwendung von Führungstechniken mit erhöhtem Risikopotential;<br />
Vom übersichtlichen Routenverlauf bis hin zu Touren mit schwieriger<br />
Routenfindung;<br />
Vom leichten bis zum anspruchsvollen Führungsgelände;<br />
Vom gut bis hin zum schwierig abzusichernden Gelände;<br />
Von Verhältnissen die einfach bis schwierig zu beurteilen sind;<br />
Von nahezu stressfreien bis hin zu psychisch anspruchsvollen Touren.<br />
123
Peter Geyer<br />
Risikomanagement in der staatlichen Bergführerausbildung<br />
Entscheidungsschritte:<br />
1. Tourenauswahl, mit Alternativen, nach umfassender Risikokalkulation durch<br />
die Ausbilder.<br />
2. Weitere Gefahren- und Risikobeurteilung durch die Ausbildungsteilnehmer.<br />
Nach der Planung bzw. Vorbereitung, werden diesbezüglich klare Aussagen gefordert.<br />
3. Entscheidung: wie geplant oder Alternative.<br />
Prüfungstouren<br />
Bei Prüfungstouren gibt es keine Steigerung bezüglich der Schwierigkeit bzw. der<br />
Anforderungen gegenüber dem höchsten Level der Ausbildungstouren. Nur weil es<br />
sich um eine Prüfungstour handelt und Ergebnisse „geschrieben“ werden müssen,<br />
darf kein höheres Risiko, z. B. aufgrund kritischer Verhältnisse oder schlechtem Wetter,<br />
eingegangen werden. Eklatante Differenzen würden die gesamte Ausbildung in<br />
Frage stellen und unglaubwürdig machen.<br />
Auch ein gewisses Maß an Prüfungsstress ist dem Prüfling einzuräumen, er muss<br />
nur richtig damit umgehen – ein erfahrener Bergführer wird auch nicht von Stress<br />
verschont.<br />
124
Peter Geyer<br />
Risikomanagement in der staatlichen Bergführerausbildung<br />
Kein Kompromiss bezüglich des Eingehens eines unnötig hohen Risikos bei Prüfungstouren<br />
– das „Rote-Ampel-Prinzip“:<br />
Ein Verhalten bzw. ein Führungshandeln des Prüflings, welches die erforderliche<br />
<strong>Sicherheit</strong> seiner Geführten nicht mehr gewährleistet, sowie ein grober Verstoß gegen<br />
seine Sorgfaltspflichten, führen zum Prüfungsabbruch und kann in diesem Prüfungsabschnitt<br />
nicht mehr ausgeglichen werden!<br />
Risikoaufklärung in der Kommunikation<br />
Im Laufe der Jahre hat sich beim Führen ein wichtiges Instrument im Umgang mit<br />
dem Risiko etabliert – die Aufklärung der Geführten bezüglich der Gefahren und Risiken.<br />
Zur richtigen Zeit und authentisch umgesetzt, ist sie ein spürbarer Schritt zu<br />
stressfreieren bzw. qualitativ hochwertigeren Entscheidungen.<br />
Die Risikokenntnis bei den Geführten ist auch eine Voraussetzung dafür, um in Entscheidungsprozesse<br />
einbezogen zu werden und situativ Eigenverantwortung übernehmen<br />
zu können.<br />
Hauptkriterien der Risikoaufklärung:<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Umfassende Aufklärung über Gefahren und Risikopotential;<br />
Kommunikation von Fakten und Gefühlen;<br />
Frühzeitig bzw. zum richtigen Zeitpunkt;<br />
Aufklärung vor und während einer Aktion;<br />
Nachbereitung mit Feedback<br />
In der Bergführerausbildung ist diese Aufklärung einerseits als Lerninhalt und andererseits<br />
als Selbstzweck zu verstehen.<br />
Umsetzung neuer Erkenntnisse<br />
Es ist als Selbstverständnis anzusehen, dass in der Bergführerausbildung nach neuesten<br />
bzw. aktuellsten Erkenntnissen ausgebildet wird. Dies betrifft alle handwerklichen<br />
Fertigkeiten, die Führungstechnik inkl. Taktik, den führungs-psychologischen<br />
Bereich bzw. den Faktor Mensch inkl. Soft Skills sowie die rechtlichen Aspekte.<br />
125
Peter Geyer<br />
Risikomanagement in der staatlichen Bergführerausbildung<br />
Ein funktionierendes internationales Netzwerk garantiert den aktuellen Stand von<br />
Informationen bzw. Erkenntnissen. Trotz den in einem Curriculum fixierten Kursinhalten,<br />
ist durch eine unbürokratische Sichtweise die unmittelbare Umsetzung von sinnvollen<br />
Neuerungen gewährleistet.<br />
Primäre Quellen neuer Erkenntnisse:<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<strong>Sicherheit</strong>s- und Unfallforschung;<br />
Technische Kommission der Internationalen Vereinigung der<br />
Bergführerverbände;<br />
Berg- und Höhenmedizin;<br />
Industrie;<br />
Justiz;<br />
Eigene Erfahrungen.<br />
Das Team der Ausbilder<br />
Der Ausbilder in der Bergführerausbildung ist als „Schlüsselfaktor“ zu bezeichnen, er<br />
nimmt auch unmissverständlich diese Position ein. Mit der Zielsetzung, spätere Berufskollegen<br />
auf ihre überaus anspruchsvolle Tätigkeit bestmöglich vorzubereiten,<br />
übernimmt er eine Aufgabe, in der er ein sehr hohes Maß an Verantwortung einbringen<br />
muss.<br />
Durch seine stete bzw. unmittelbare Präsenz sowie durch seine Steuerfunktion lenkt<br />
und kontrolliert er als Supervisor entscheidend die Prozesse der Risikooptimierung.<br />
Ausschließlich hochqualifizierte Bergführer mit umfassend großer Berufserfahrung<br />
werden ins Lehrteam berufen und müssen sich hier bestätigen.<br />
Die heutige Führungsforschung ist der Meinung, dass die Führerpersönlichkeit keine<br />
Rolle mehr spielt und ausschließlich Verhaltensweisen um Führungsziele zu erreichen<br />
Priorität haben müssen. Möglicherweise trifft dies auch zu, wenn es sich bei<br />
den gesteckten Zielen ausschließlich um Zahlen und Prozente handelt. Ich bin jedoch<br />
der festen Überzeugung, dass die Persönlichkeit eines Führers ein wichtiger<br />
Faktor für seine Authentizität ist, bzw. wie er wahrgenommen wird. Möglicherweise<br />
trägt die Meinung der Forscher mit bei, dass in den oberen Führungsebenen immer<br />
126
Peter Geyer<br />
Risikomanagement in der staatlichen Bergführerausbildung<br />
weniger Führerpersönlichkeiten mit glaubhaft klarem Profil anzutreffen sind – ohne<br />
Charisma und jederzeit austauschbar.<br />
Anforderungsprofil für den Ausbilder in der Bergführerausbildung<br />
Grundvoraussetzungen:<br />
<br />
<br />
herausragendes und umfassendes pers. Können als Bergführer;<br />
Mindestens 5 Jahre Erfahrung als Profibergführer.<br />
Eigenschaften:<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein;<br />
Hohe soziale Kompetenz und Teamfähigkeit;<br />
Ausgeprägte Risikokompetenz;<br />
Herausragende Beurteilungsfähigkeit – Entscheidungsfreudigkeit;<br />
Ausgeprägte Menschenkenntnis – Verständnis – Einfühlungsvermögen - Fairness;<br />
Fähigkeit, Lehrinhalte unter methodischen bzw. didaktischen Prinzipien zu<br />
vermitteln;<br />
Hohes Maß an Kommunikationsfähigkeit.<br />
127
Peter Geyer<br />
Risikomanagement in der staatlichen Bergführerausbildung<br />
Man kann zwar über eine „Great Person Theorie“ lange diskutieren aber ein Bergführerausbilder<br />
ohne diese, von ihm „gelebten“, Eigenschaften würde es sehr sehr<br />
schwer haben und somit den Ausbildungserfolg in Frage stellen.<br />
Der Ausbilder wird seiner Aufgabe nur dann uneingeschränkt gerecht, bzw. in seiner<br />
Funktion anerkannt, wenn er durch fachliche und soziale Kompetenz überzeugt.<br />
Das Risikomanagement in der Bergführerausbildung erhält primär durch die Kompetenzen,<br />
das Verhalten und der Persönlichkeit der Ausbilder seine Wirksamkeit.<br />
Reflektion und Nachbereitung<br />
Eine umfassende Nachbereitung mit kritischer Reflektion aller Ausbildungseinheiten,<br />
Touren und Aktionen ist ein weiterer wichtiger Faktor und schließt den Kreis des Risikomanagements.<br />
Kritikfähigkeit, Offenheit und die stete Bereitschaft zur Qualitätssteigerung sind die<br />
Grundvoraussetzungen dafür, dass diese Nachbereitung Effizienz und die nötige<br />
Nachhaltigkeit erhält.<br />
Die Nachbereitung muss in allen Ebenen stattfinden und der Informationsfluss<br />
durchgängig gewährleistet sein.<br />
128
Peter Geyer<br />
Risikomanagement in der staatlichen Bergführerausbildung<br />
1. In der Kleingruppe<br />
Die Nachbesprechung einer Ausbildungstour bzw. einer Ausbildungseinheit findet<br />
unmittelbar im Anschluss mit den Teilnehmern statt. Im Detail werden möglichst alle<br />
positiven und negativen Punkte aus Sicht der Ausbilder und der Teilnehmer reflektiert.<br />
Dabei sollten Gefühle ebenso wie Fakten offen gelegt werden.<br />
Sehr konkret wird das Risiko behandelt, das einerseits eingegangen werden musste<br />
bzw. im akzeptablen Bereich lag oder andererseits unnötig einge-gangen bzw. zu<br />
hoch war. Da das persönliche Risikoempfinden durch zahlreiche Faktoren beeinflusst<br />
wird und daher sehr unterschiedlich sein kann, sind oftmals überaus offene<br />
bzw. „tiefgrabende“ Gespräche notwendig und überaus wertvoll.<br />
Die Nachbesprechungen sollten mit dem Ziel stattfinden, dass möglichst keine bzw.<br />
nur wenige unbedeutende Fragen offen bleiben.<br />
2. Im gesamten Lehrgang<br />
Unter dem Motto: „aus Positivem und Fehlern sollten alle lernen“, werden lehrreiche<br />
Beispiele aus den einzelnen Gruppen bzw. Seilschaften im Kreis des gesamten<br />
Lehrgangs zusammengefasst und erörtert. Durch dieses Vorgehen profitieren alle<br />
Kursteilnehmer vom frisch Erlebten oder neu Erfahrenen des Einzelnen.<br />
Die Abschlussbesprechung inkl. der Feedbackrunde nach jedem Kurs ist ein sehr<br />
wertvolles Spiegelbild für die Teilnehmer und die Ausbilder. Was wurde positiv gesehen,<br />
was wurde als weniger gut empfunden und was blieb unverstanden – dies offen<br />
und in konstruktiver Form behandelt, ist ein weiterer Schritt zur Optimierung des Risikos<br />
und der gesamten Ausbildung.<br />
3. Im Ausbilderteam<br />
Für die Ausbilder muss die gemeinsame Nachbereitung von Ausbildungs-einheiten<br />
so selbstverständlich sein, wie Planung und Vorbereitung. Der intensive gegenseitige<br />
Austausch ist zwingende Voraussetzung für eine gleiche Sprache und gleiches Handeln<br />
im Umgang mit dem Risiko. Nichts kann die Teilnehmer mehr verunsichern bzw.<br />
an der Ausbildung zweifeln lassen, wie unterschiedliche oder gar gegensätzliche<br />
Aussagen der Ausbilder – Ausbildungsziel sowie die nötige <strong>Sicherheit</strong> werden zunehmend<br />
gefährdet.<br />
129
Peter Geyer<br />
Risikomanagement in der staatlichen Bergführerausbildung<br />
Die gemeinsame Reflektion durch die Ausbilder eines Lehrgangs findet über den<br />
gesamten Kursverlauf statt.<br />
In einem schriftlichen Lehrgangsbericht werden neben dem Ablauf alle wichtigen Informationen<br />
und Verbesserungsvorschläge fixiert und an die Ausbildungskommission<br />
sowie an das gesamte Lehrteam weitergeleitet.<br />
Bei den Schulungen des Lehrteams ist die Nachbesprechung bzw. Reflektion aller<br />
Lehrgänge ein fester Bestandteil mit hohem Informationsgehalt. Hier wird Bewährtes<br />
bestätigt, notwendige Verbesserungen bzw. Neuerungen abgesprochen und koordiniert.<br />
Dabei werden kontroverse Meinungen und Ansichten in einer konstruktiven<br />
Diskussion auf eine gemeinsame Linie bzw. auf vertretbare Bandbreiten gebracht.<br />
4. In der Ausbildungskommission<br />
Die Ausbildungskommission für Berg- und Skiführer ist mit ihren fünf Mitgliedern,<br />
plus Stellvertreter, das oberste Expertengremium.<br />
In dieser Kommission werden sämtliche Inhalte koordiniert sowie alle Entscheidungen<br />
getroffen, die zur Effizienz der Ausbildung und zur Optimierung des Risikos erforderlich<br />
sind.<br />
Hier schließt sich der Kreis eines hoffentlich immer funktionierenden Risikomanagements.<br />
Das Risikomanagement in der Bergführerausbildung soll schwerwiegende Fehler<br />
bzw. Unzulänglichkeiten verhindern, die sich negativ auf die <strong>Sicherheit</strong> aller Beteiligten<br />
auswirken können. Es hat sich durch höchstes Know How sowie durch ein unschätzbares<br />
Erfahrungspotential zum heutigen Stand entwickelt. Diese Entwicklung<br />
ist jedoch als Prozess zu sehen, der nie zum Stillstand kommen darf bzw. abgeschlossen<br />
ist.<br />
Eine kritische Eigenbeurteilung, ein ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein und<br />
eine gute Portion Außenansicht sind erforderlich, um dieses System noch weiter zu<br />
verbessern bzw. zu optimieren – diese Voraussetzungen sind gegeben und die Motivation<br />
aller Beteiligten ist immer vorhanden.<br />
Die Ursachen der Unfälle und Beinaheunfälle während der Bergführerausbildung in<br />
der Vergangenheit haben grundsätzlich bestätigt, dass dieses Risikomanagement in<br />
den allermeisten Situationen funktioniert.<br />
130
Peter Geyer<br />
Risikomanagement in der staatlichen Bergführerausbildung<br />
Möglicherweise war auch in manchen Fällen Glück im Spiel und trug zum glimpflichen<br />
Ausgang bei – aber wer kann dies schon genau beurteilen.<br />
In der Bergführerausbildung können und wollen wir uns nicht auf das Glück verlassen,<br />
wir zählen auf ein effizientes Risikomanagement und hoffen dabei, dass uns<br />
das Pech nicht nachläuft.<br />
131
132
Karl Schrag/Chris Semmel/Stefan Winter<br />
Risiko und Position des DAV, Kinder und Risiko<br />
Risiko und Position des DAV, Kinder und Risiko:<br />
Empfehlung zur Sicherungskompetenz von Kindern und<br />
Jugendlichen beim Klettern<br />
Karl Schrag 1<br />
Klettern ist für Kinder ein Grundbedürfnis. Es gibt wenige Bewegungsformen,<br />
bei denen Kinder besser Kraft und Gewandtheit<br />
erwerben können. Beim Klettern können sie die Kletterwand,<br />
sich selbst und die Gemeinschaft spüren und selbstbestimmtes<br />
Handeln erlernen. In der Senkrechten können sie sich kalkulierbaren<br />
Wagnissen aussetzen, dabei Erfolg und Misserfolg erleben<br />
und lernen, damit umzugehen. Beim gegenseitigen Sichern 2<br />
können sie Verantwortung für andere übernehmen und Vertrauen fassen. Kinder<br />
können jedoch nicht dasselbe leisten wie erwachsene Kletterer. Wegen der unterschiedlichen<br />
Voraussetzungen müssen Betreuer und Trainer bei Kindern wichtige<br />
zusätzliche <strong>Sicherheit</strong>saspekte und Aufsichtsformen berücksichtigen.<br />
Mit zunehmendem (Kletter-)Alter entwickeln sich die motorischen, kognitiven und<br />
sozialen Kompetenzen von Kindern, so dass sie in der Regel schrittweise mehr Verantwortung<br />
beim Sichern übernehmen können. Das kalendarische Alter dient hierbei<br />
als Orientierungshilfe.<br />
So kann mit dem Sichern unter Kontrolle ab ca. 8 Jahren angefangen werden. Selbständiges<br />
Sichern ganz ohne Aufsicht ist erst ab 14 Jahren möglich. 3 Die entscheidende<br />
Frage lautet aber: „Was kann das Kind?“ und nicht „Wie alt ist das Kind?“.<br />
1<br />
Am Vortragstag hat Herr Schrag neben der Präsentation der Position des DAV mit Empfehlungen zur Sicherungskompetenz<br />
von Kindern und Jugendlichen beim Klettern den im Programm mit Referent Chris Semmel angekündigten<br />
Vortrag Risiko und Position des DAV, Kinder und Risiko an seiner Stelle gehalten.<br />
2<br />
Unter dem Begriff „Sichern“ werden hier sämtliche Sicherungsvorgänge für den Sichernden verstanden, vom<br />
Partnercheck bis zum Umlenken und Ablassen, sowohl beim Toprope wie Vorstieg. Die erforderlichen Grundfertigkeiten<br />
sind in den entsprechenden DAV- und JDAV-Medien veröffentlicht. Die Empfehlungen gelten für gleichalte<br />
bzw. gleichschwere Personen bei einer altersgerechten Sicherungsmethode.<br />
3<br />
Nicht selten kommt es bei Altersangaben zu Fehlern, insbesondere beim Verwenden von Ordnungszahlen.<br />
So ist beispielsweise ein Kind im 11. Lebensjahr nicht 11 Jahre alt, sondern 10. Um Verwechslungen auszuschließen,<br />
empfiehlt es sich Altersangaben mit Kardinalzahlen zu geben; im besagten Fall heißt es dann „mit 10<br />
Jahren“, „10 Jahre alt“, „ab 10 Jahren“. Für Kinder unter 14 Jahren gilt aus Rechtssicht die unwiderlegliche Vermutung<br />
der Schuldunfähigkeit. Ein Jugendlicher zwischen 14 und 17 Jahren ist bedingt strafmündig und kann<br />
deshalb auch nur bedingt Eigenverantwortung übernehmen.<br />
133
Karl Schrag/Chris Semmel/Stefan Winter<br />
Risiko und Position des DAV, Kinder und Risiko<br />
Eine Reduktion auf das Alter verkürzt die Problematik und gibt ihm einen nicht gerechtfertigten<br />
Stellenwert. Entscheidend ist die individuelle Sicherungskompetenz.<br />
Die Sicherungskompetenz ergibt sich aus den erforderlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten<br />
im motorischen, kognitiven und sozialen Bereich und ist mehrstufig. Für diese<br />
gibt es Kriterien, anhand derer sich die Sicherungskompetenz altersunabhängig und<br />
dafür kompetenzorientiert einschätzen lässt. Die Kompetenzstufen bauen aufeinander<br />
auf und gehen fließend ineinander über. Je nach Könnensstand ist eine geeignete<br />
Aufsichtsform zu wählen: „Sichern unter Kontrolle“ oder „Sichern mit Betreuung“.<br />
Grundsätzlich gilt: je geringer die Sicherungskompetenz, desto unmittelbarer, lückenloser<br />
und redundanter die Aufsicht.<br />
Mit steigender Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit des Kindes kann die Aufsicht<br />
von kontrollierter Form in betreute Form übergehen. Dabei lassen sich keine allgemeingültigen<br />
Aussagen treffen, nach welcher Dauer oder ab welchem Alter der<br />
Schritt vom „Sichern unter Kontrolle“ zum „Sichern mit Betreuung“ erfolgen kann.<br />
Dies hängt von den individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten ab, aber auch von den<br />
Rahmenbedingungen wie z.B. dem Betreuerschlüssel. In jedem Fall aber darf das<br />
Kind erst ohne Hintersicherung (aber betreut) sichern, wenn sich der Betreuer persönlich<br />
und ausführlich davon überzeugt hat, dass das Kind die dazu notwendige<br />
Sicherungskompetenz besitzt.<br />
134
Karl Schrag/Chris Semmel/Stefan Winter<br />
Risiko und Position des DAV, Kinder und Risiko<br />
Kinder beim Klettern<br />
Trainer haften für ihre Kinder 4<br />
Ab wann können Kinder Kinder sichern? Diese Frage stellt sich im Hallen-<br />
Zeitalter immer häufiger und intensiver. Lesen Sie die Empfehlungen der DAV-<br />
Ressorts Breitenbergsport, Ausbildung, <strong>Sicherheit</strong> und Jugend.<br />
Klettern ist cool. Besonders Kinder und Jugendliche begeistern sich für das Sportklettern.<br />
Die vielen Kletterhallen erleichtern den Zugang zu diesem Sport. Mit dem<br />
Radl oder öffentlichen Verkehrsmitteln sind sie leicht erreichbar, so ist nach der<br />
Schule Bouldern oder „Hardmoven“ angesagt. Kraft, Beweglichkeit und Nervenstärke<br />
sind gefragt. Ein optimaler Sport um sich auszutoben, sich zu erproben und Selbstvertrauen<br />
zu gewinnen.<br />
Die zahlreichen Kinder- und Jugendgruppen der Alpenvereins-Sektionen können die<br />
Nachfrage nach Kinderkletterkursen kaum befriedigen. Gemeinsam in der Gruppe ist<br />
Bouldern und Klettern ein ideales Medium für die Kinder- und Jugendgruppenarbeit.<br />
Aber wie immer gibt es auch hier eine Kehrseite der Medaille. Sechs Unfälle wurden<br />
der DAV-<strong>Sicherheit</strong>sforschung in den letzten zwei Jahren gemeldet, bei denen Personen<br />
unter 14 Jahren betroffen waren – also rechtlich gesehen „Kinder“. Bis zum<br />
14. Geburtstag gilt man als Kind, danach als Jugendlicher und erst ab 18 als Erwachsener.<br />
Das erklärt auch, warum in den Kletterhallen der Eintritt ohne Begleitung<br />
eines Erwachsenen erst ab 14 möglich ist.<br />
Bei zwei der sechs Unfälle waren Nachwuchs-Kids einer Trainings- oder Kadergruppe<br />
betroffen. Vorsteiger und Sichernde waren jeweils erfahren und kletterten in Routen<br />
des neunten Schwierigkeitsgrades. Dennoch kam es in beiden Fällen durch Fehler<br />
der sichernden Kinder zu Bodenstürzen mit schweren Verletzungen. Auch beim<br />
Schulsport gab es einen Unfall: Eine 12-Jährige, gesichert von einer 11-Jährigen,<br />
stürzte ab. Klar, das passiert auch Erwachsenen. Im Gegensatz zu jenen stellt sich<br />
aber bei Kindern die Frage nach Aufsicht und Verantwortung. Die Fragen des Ge-<br />
4<br />
Vgl. FN 1 auf Seite 133. Die Empfehlungen und diesen Text haben die DAV-Ressorts Breitenbergsport, <strong>Sicherheit</strong>,<br />
Ausbildung und Jugend gemeinsam erarbeitet. Weitere Tipps finden Sie im Artikel „Headline“ auf den<br />
folgenden Seiten. Und im Internet unter www.alpenverein.de -> Breitenbergsport -> Sicher Klettern.<br />
135
Karl Schrag/Chris Semmel/Stefan Winter<br />
Risiko und Position des DAV, Kinder und Risiko<br />
richts richteten sich ausschließlich an den Aufsichtführenden: nach seiner Qualifikation,<br />
seiner Unterrichtsorganisation und seiner Einschätzung zu den Fähigkeiten der<br />
Sichernden. Kernpunkt dabei ist: War das Kind überhaupt in der Lage, die ihm zugemutete<br />
Sicherungsaufgabe zu bewältigen?<br />
Verantwortung und Haftung<br />
Kinder, Jugendliche und Erwachsene werden bezüglich der Schuldfrage und -<br />
fähigkeit vom Gesetzgeber ganz unterschiedlich bewertet. Verursacht ein Erwachsener<br />
einen Kletterunfall, dann haftet er auch dafür. Betrachtet man dagegen Kinder,<br />
erscheint es unvertretbar, ihnen Verantwortung für die gesundheitliche Unversehrtheit<br />
anderer Personen aufzuerlegen.<br />
Kinder (unter 14) sind auch grundsätzlich nicht strafmündig; das heißt, sie können für<br />
die Folgen ihres Tuns weder bestraft noch in Haftung genommen werden. Ein Geschädigter<br />
kann also keinen Schadenersatz oder Schmerzensgeld von einem Kind<br />
erhalten. Im Falle eines Sicherungsfehlers durch ein Kind wird der Aufsichtführende<br />
Rechenschaft ablegen müssen; bei Verletzung der Aufsichtspflicht muss er die Verantwortung<br />
für die Folgen übernehmen. Im Umkehrschluss heißt das, klar formuliert:<br />
Kinder können nicht ohne Aufsicht eigenverantwortlich andere Kinder sichern.<br />
Jugendlichen (ab 14 Jahren) kann in gewissem Maß und abhängig von ihrer Reife,<br />
ihren Kenntnissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten eine gewisse Verantwortung für ihr<br />
Handeln zugemutet werden. Das bedeutet: Hier wird immer im Einzelfall geprüft und<br />
entschieden, ob der Jugendliche die Kompetenzen besitzt, um die betreffende Situation<br />
eigenverantwortlich meistern zu können. Grundsätzlich gilt bis zum Erreichen<br />
des Erwachsenalters auch für Jugendliche eine Aufsichtspflicht, die mit zunehmendem<br />
Alter (16 Jahre) gelockert wird – etwa bezüglich Alkoholkonsum oder Gaststättenbesuch.<br />
Beim Klettern kann man damit beginnen, Jugendliche ab 14 Jahren ohne<br />
Aufsicht sichern zu lassen, vorausgesetzt dass sie entsprechend ausgebildet sind<br />
und das Sichern „variabel beherrschen“.<br />
Dieses Schlagwort „Variable Beherrschung“ bedeutet, dass die Sicherungstechnik<br />
auch unter Störeinflüssen (Ablenkung, Lärm, Enge,…) und unter unterschiedlichen<br />
Rahmenbedingungen (unterschiedliche Routen, Hakenabstände, Gelände,…) sicher<br />
beherrscht wird. Dies zu beurteilen ist Aufgabe des Aufsichtführenden. Eine Aufgabe<br />
mit enorm hoher Verantwortung. Voraussetzung ist, dass der Aufsichtführende fach-<br />
136
Karl Schrag/Chris Semmel/Stefan Winter<br />
Risiko und Position des DAV, Kinder und Risiko<br />
kompetent ist, den Jugendlichen über einen längeren Zeitraum kennt und daher einschätzen<br />
kann, ob er ihm die Sicherungsverantwortung übergeben darf – und in welchem<br />
Maß.<br />
Aufsicht – aber wie?<br />
Was bedeutet das für die Kursprogramme der Sektionen, für den Schulsport, für Jugend-<br />
und Trainingsgruppen? Muss man nun alles untersagen und stoppen? Nein,<br />
auch Kinder können sich gegenseitig in der Halle sichern, entscheidend ist jedoch<br />
die Form der Aufsicht. Klar ist: Wenn etwas passiert, wird die Verantwortlichkeit nie<br />
beim Kind liegen, sondern immer bei der „Aufsichtsperson“. Das ist Fakt. Entscheidend<br />
ist also die Qualität der Beaufsichtigung. Hier unterscheidet man folgende Formen:<br />
Sichern unter Kontrolle: Das bedeutet eine unmittelbare Beaufsichtigung des Sichernden<br />
mit Hintersicherung, so dass der Coach jederzeit direkt eingreifen kann.<br />
Dabei kann er nur eine Seilschaft betreuen. Die erwachsene Aufsichtsperson steht<br />
direkt neben oder hinter dem Sichernden. (Bild „Kontrolliert“)<br />
Sichern mit Betreuung: Bei dieser Aufsichtsform können gleichzeitig mehrere Seilschaften<br />
beaufsichtigt werden – entsprechend ist die Voraussetzung dafür fortgeschrittenes<br />
Sicherungskönnen. Die Kinder sichern selbständig, aber die Aufsichtsperson<br />
hat immer Sichtkontakt und kann jederzeit verbal eingreifen oder das Verhalten<br />
des Sichernden steuern. Dabei kann ein weiterer Teilnehmer oder ein Kind wie<br />
oben „hintersichern“, also das Bremsseil zusätzlich kontrollieren. Zumindest beim<br />
Topropen; im Vorstieg ist eine gute Hintersicherung schwierig, weil man dabei sehr<br />
kompetent mitdenken muss, etwa um beim Clippen schnell Seil auszugeben (s.u.).<br />
Die Aufsichtsform „Sichern mit Betreuung“ erlaubt einen fließenden Übergang zu<br />
mehr und mehr eigenverantwortlichem Handeln, wenn die motorische, kognitive und<br />
soziale Sicherungskompetenz der Kinder wächst. (Bild „Betreut“)<br />
Selbständiges Sichern: „Sichern ohne Kontrolle und Betreuung“ bedeutet eigenverantwortliches<br />
Sichern ohne Aufsicht. Das ist generell frühestens ab 14 Jahren zu<br />
empfehlen; bei Kursen und in kommerziellen Kletteranlagen ist bis zum Alter von 18<br />
Jahren die Einverständniserklärung der Eltern notwendig. Bei Kursen oder in Klettergruppen<br />
muss der Kursleiter oder Trainer verantwortlich abschätzen, ob ein Jugend-<br />
137
Karl Schrag/Chris Semmel/Stefan Winter<br />
Risiko und Position des DAV, Kinder und Risiko<br />
licher ausreichende Sicherungskompetenz hat, um ohne Beaufsichtigung sichern zu<br />
können.<br />
Es kommt drauf an…<br />
Wann genau Kinder und Jugendliche die Reife und Erfahrung haben, unter Aufsicht<br />
oder selbständig zu sichern, lässt sich schwer an einer Altersstufe festmachen. Der<br />
individuelle Entwicklungs- und Ausbildungsstand des Kindes ist ausschlaggebend.<br />
Daher werden bei Unfällen immer individuell alle Einflussfaktoren hinterfragt. Wie<br />
lang wurde das Sichern bereits geschult? Welche Erfahrung lag vor? War die Form<br />
der Beaufsichtigung angemessen? Wo stand die Aufsichtsperson?…<br />
Beim gegenseitigen Sichern können und sollen Kinder und Jugendliche Verantwortung<br />
für andere übernehmen. Der Schritt zum eigenverantwortlichen Sichern darf<br />
aber nicht zu früh oder zu schnell erfolgen. Der Prozess muss behutsam begleitet<br />
werden und führt über eine stufenweise Übernahme von Sicherungsverantwortung.<br />
Sicherungskompetenz ist erlernbar! Das setzt aber voraus, dass Kinder und Jugendliche<br />
auf jeder Kompetenzstufe ausreichend Zeit bekommen, ihre motorischen, sozialen<br />
und kognitiven Fähigkeiten zu entwickeln. Das Diagramm „Aufsichtsformen“<br />
stellt die DAV-Empfehlung dazu dar.<br />
Besonders bei langjährigen Betreuungssituationen (Jugendgruppen oder Leistungsförderung<br />
beim Wettkampfklettern) gibt es Kinder, die dank intensiver Ausbildung<br />
und langer individueller Betreuung eine sehr hohe Qualität der Sicherungsbedienung<br />
und des Risikoverhaltens zeigen. In solchen Fällen kann der verantwortliche Coach<br />
von den Empfehlungen auch mal nach unten abweichen und beispielsweise früher<br />
vom „kontrollierten“ zum „betreuten“ Sichern übergehen. Andererseits muss er genauso<br />
die Bremse ziehen und auf einer strengeren Aufsichtsform beharren, wenn<br />
sein Schützling nicht imstande oder willens ist, immer korrekt und aufmerksam zu<br />
arbeiten.<br />
Vom Toprope zum Vorstieg<br />
Das Vorstiegssichern unterscheidet sich eklatant vom Sichern im Toprope. Hier ist<br />
die Fehlerrate um ein Vielfaches höher – laut einer Studie der DAV-<br />
<strong>Sicherheit</strong>sforschung zeigten knapp 50 Prozent der Sichernden in den untersuchten<br />
138
Karl Schrag/Chris Semmel/Stefan Winter<br />
Risiko und Position des DAV, Kinder und Risiko<br />
Kletterhallen einen oder mehrere Sicherungsfehler beim Sichern eines Vorsteigers;<br />
beim Toprope-Sichern waren es nur 16 Prozent. Das liegt daran, dass die Vorstiegssicherung<br />
wesentlich komplexer ist. Während man beim Topropen nur das Seil einholen<br />
muss, gibt es im Vorstieg einen permanenten Wechsel zwischen langsamem<br />
Seilausgeben (beim Klettern), schnellem Seilausgeben (beim Clippen) und Seileinnehmen<br />
(nach dem Clip). Zudem sind der richtige Standort, das Gewichtsverhältnis,<br />
die Handkraft und die Fähigkeit, Sturzverläufe richtig einzuschätzen, mit entscheidend<br />
für die <strong>Sicherheit</strong>. Es ist also eine viel umfassendere Kompetenz des Sichernden<br />
gefordert, bevor man ihm mehr Eigenverantwortung zumuten darf.<br />
Für die Praxis heißt das: Vorstiegssichern kommt erst in Frage, wenn das Kind oder<br />
der Jugendliche das Sichern im Toprope solide beherrscht. Die ersten Versuche im<br />
Vorstiegssichern müssen dann wieder „unter Kontrolle“ laufen – und erst wenn Automatisation<br />
und verständiges Mitdenken erkennbar sind, kann man zum „Sichern<br />
mit Betreuung“ oder zum selbständigen Sichern übergehen.<br />
Welches Gerät ist günstig?<br />
Geeignete Sicherungsgeräte sind prinzipiell das Tube, die HMS und die halbautomatischen<br />
Sicherungsgeräte Smart, GriGri und Click Up. Die Entscheidung, welches<br />
dieser Geräte verwendet wird, hängt von den motorischen Fähigkeiten der Kinder<br />
und Jugendlichen und der Hintersicherungssituation ab. Die dynamischen Sicherungsgeräte<br />
müssen über einen langen Zeitraum mit einer Hintersicherung bedient<br />
werden. Erst wenn der Betreuer sich vergewissert hat, dass seine Schützlinge die<br />
Bedienung „beherrschen“, kann er zum Betreuten Sichern übergehen.<br />
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140
Pit Schubert<br />
<strong>Sicherheit</strong> und Risiko in Kletterhallen und am Berg<br />
<strong>Sicherheit</strong> und Risiko in Kletterhallen und am Berg<br />
Pit Schubert<br />
Kletterseile – Seilbruchgefahr<br />
Früher, bis in die 1980er/Anfang der 1990er Jahre, fand das Klettern<br />
überwiegend in den höheren alpinen Regionen statt. Seitdem<br />
ist ein deutlicher Rückgang in diesen Regionen festzustellen. Die<br />
Wände des Wilden Kaisers sind an einem schönen Wochenende<br />
im Grunde genommen leer. Keine Kletterer in der ganzen Fleischbank-Ostwand,<br />
ebenso wie in der Südostwand und in den Wänden<br />
der übrigen Gipfel. Bestenfalls eine Seilschaft am Kopftörlgrat<br />
oder in der Predigtstuhl-Nordkante oder in anderen leichteren Routen. Eine Seilschaft<br />
in einer der schwierigeren Routen ist eine Seltenheit. Musste man sicher früher<br />
beeilen, um als dritte oder vierte Seilschaft in die Dülferführe an der Fleischbank-<br />
Ostwand einsteigen zu können, ist die heutzutage menschenleer. Das Klettern hat<br />
sich völlig verlagert. Es spielt sich inzwischen überwiegend in Kletterhallen und in<br />
Klettergärten ab und in solchen alpinen Gebieten, die relativ schnell zu erreichen und<br />
wo die Routen nur wenige Seillängen lang sind. Ein Gipfel ist nicht mehr gefragt. Es<br />
wird abgeseilt, meist über die Route, gelegentlich seitlich davon.<br />
Vom Klettern in den Hallen ist man gewohnt, mit Einfachseil zu klettern, mit einem<br />
möglichst leichten bzw. dünnen Seil, Durchmesser um die 9 mm. So gesichert ist<br />
man heute vielfach auch im alpinen Gelände unterwegs – doch damit wird die Gefahr<br />
eines Seilrisses besonders heraufbeschworen. Denn im alpinen Gelände gibt es immer<br />
wieder mehr oder weniger scharfe Felskanten.<br />
In Kletterhallen gibt es keine scharfen Kanten und die Zwischensicherungen sind<br />
gewöhnlich nur eineinhalb Meter voneinander entfernt, im unteren Kletterbereich gar<br />
nur einen Meter, was immer eine relativ geringe Sturzhöhe zur Folge hat. So kann<br />
ein Seil in einer Kletterhalle nicht reißen. Der einzige bisher bekannt gewordene Seilbruch<br />
in einer Kletterhalle ist durch falsches Seileinhängen in den Umlenkkarabiner<br />
passiert; das Seil wurde an der scharfen Kante des Schnapperverschlusses abgeschert<br />
(siehe nachfolgend).<br />
141
Pit Schubert<br />
<strong>Sicherheit</strong> und Risiko in Kletterhallen und am Berg<br />
Am Fels aber, insbesondere im alpinen Gelände, ist dies völlig anders. Es gibt immer<br />
wieder scharfe Felskanten und wesentlich größere Sturzhöhen. Beides können<br />
Gründe für einen Seilbruch sein. Man sollte also im alpinen Gelände, auch im Klettergarten,<br />
nicht (!) mit Einfachseil klettern, sondern mindestens mit Zwillingsseil, besser<br />
mit zwei Halbseilen. Schließlich kann man auch zwei Halbseile verwenden wie<br />
Zwillingsseile. Die Bremskraft im Fall eines Sturzes, wird nur geringfügig größer, und<br />
zwar in einer Größenordnung, die vernachlässigbar ist.<br />
Die Gefahr eines Seilbruches in der Praxis lässt sich auch in etwa (!) aus den bei der<br />
Prüfung ermittelten Sturzzahlen ersehen. Die leichten Einfachseile halten nur fünf,<br />
höchstens sechs Normstürzen stand, die Zwillingsseile 12 und etwas mehr, zwei<br />
Halbseile halten dagegen 20 bis 25 (!) Normstürze.<br />
Der Hauptgrund für die geringere Bruchgefahr der Halb- und Zwillingsseile liegt aber<br />
auch darin, dass die Seile bei Sturzbelastung selten bei einander liegen und exakt<br />
gleichmäßig ausgegeben sind, was nur zufällig der Fall sein kann. Auf diese Weise<br />
passiert es gewöhnlich, dass ein Seil bei Belastung über eine scharfe Kante läuft und<br />
abgeschert wird, das andere aber nicht an der gleichen Stelle liegt und folglich hält.<br />
Solche Fälle hat es mehrfach gegeben. Ein Seil ist gerissen, das andere hat gehalten.<br />
Ein weiterer wichtiger Punkt, der für die Verwendung von Doppel- bzw- Zwillingsseil<br />
im alpinen Gelände spricht, ist der Rückzug. Mit Einfachseil kann man bekanntlich<br />
nur die halbe Seillänge abseilen. Mit Halb- oder mit Zwillingsseil die gesamte Seillänge,<br />
und somit ist man schneller unten.<br />
142
Pit Schubert<br />
<strong>Sicherheit</strong> und Risiko in Kletterhallen und am Berg<br />
Nachfolgend alle Seilrisse unter deutschen und österreichischen Bergsteigern und<br />
Kletterern innerhalb von 28 Jahren, und zwar von 1983 – 2010.<br />
-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------<br />
Seilrisse unter deutschen und österreichischen Bergsteigern und Kletterern seit 1983<br />
-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------<br />
Anzahl<br />
Anzahl<br />
Jahr Seilrisse Berg Ursache Ausgang Jahr Seilrisse Berg Ursache Ausgang<br />
----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------<br />
1983 --- 1999 ---<br />
1984 --- 2000 ---<br />
1985 --- 2001 ---<br />
1986 --- 2002 ---<br />
1987 --- 2003 ---<br />
1988 --- 2004 ---<br />
1989 --- 2005 ---<br />
1990 --- 2006 3 Rienswand Δ (†)<br />
1991 --- Kletterhalle Δ* (☺)<br />
Großer Möseler Δ (☺)<br />
1992 --- 2007 ---<br />
1993 1 Hörndlwand Δ (☺) 2008 3 „Chin. Mauer“ Δ/٥ (†)<br />
1994 1 Gehrenspitze SV (†)(†)(☺) Montasch Δ (†)<br />
1995 --- Windhaag Δ (☺)<br />
1996 --- 2009 ---<br />
1997 --- 2010 ---<br />
1998 --- Stand November <strong>2011</strong><br />
----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------<br />
Alle verwendeten Seile waren Einfachseile!<br />
Ursache: Δ = scharfe Kante Δ* = Seil falsch in Umlenkkarabiner eingehängt, Bruch durch Kantenbelastung,<br />
siehe nachfolgen im Text SV = Schmelzverbrennung Δ/٥ = scharfe Kante und/oder Steinschlag<br />
Ausgang: (†) = tödlich (☺) = überlebt<br />
----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------<br />
Seilriss eines Einfachseiles.<br />
(nachgestellt).<br />
Bei einem Sturz glücklicherweise nicht (!) ganz gerissen<br />
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Pit Schubert<br />
<strong>Sicherheit</strong> und Risiko in Kletterhallen und am Berg<br />
Das ist saugefährlich.<br />
Im alpinen Gelände nur mit Zwillings- oder Doppelseil.<br />
Nachfolgend der Seilriss in der Kletterhalle (siehe Tabelle, im Jahr 2006) durch falsches<br />
Einhängen in den Umlenkkarabiner. Dies verdeutlicht den Einfluss einer scharfen<br />
Kante auf ein belastetes Seil. Der Bruch erfolgte allein durch das ins Seilsetzen<br />
beim Ablassen, es war also nicht einmal ein Sturz. Dies verdeutlicht die geringe Haltbarkeit<br />
der Seile bei Sturz und Scharfkanteneinfluss.<br />
Aus Nachlässigkeit wurde das Seil nicht korrekt eingehängt.<br />
144
Pit Schubert<br />
<strong>Sicherheit</strong> und Risiko in Kletterhallen und am Berg<br />
Bei der Kantenbelastung an der Nase ist das Seil gerissen.<br />
Solche Karabiner sollten zur Umlenkung verwendet werden,<br />
selbstverständlich zwei und diese gegenläufig eingehängt.<br />
Ein weiterer Grund für Seilrisse ist der Einfluss von Schwefelsäure, wie diese in der<br />
Autobatterie vorkommt. Der Einfluss am Seil ist nicht (!) erkennbar. Die Bruchkraft<br />
kann so stark reduziert werden, dass ein Seil allein beim Ablassen reißt. Die letzten<br />
beiden Seilrisse dieser Art ereigneten sich in Oberbayern und in Tirol, ersterer liegt<br />
vier Jahre zurück, letzterer zwei Jahre. Diese und weitere Seilrisse durch den Einfluss<br />
von Autobatterieflüssigkeit sind in der obigen Tabelle nicht (!) aufgeführt, weil es<br />
sich bei der Ursache um eine nicht korrekte Lagerung bzw. Handhabung handelte.<br />
Ein Seilriss durch Schwefelsäureeinfluss sieht völlig anderes<br />
aus als ein Seilriss durch Scharfkanteneinfluss.<br />
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Pit Schubert<br />
<strong>Sicherheit</strong> und Risiko in Kletterhallen und am Berg<br />
Karabiner können noch brechen<br />
Doch ist ein Bruch nur unter bestimmter Voraussetzung möglich. So lange der<br />
Schnapper geschlossen ist, ist ein Bruch nicht vorstellbar. Aber – wenn der Schnapper<br />
offen ist, und der braucht nur wenige Millimeter offen zu sein – dann trifft die Belastung<br />
nur auf den Hauptschenkel und jeder Karabiner kann schon bei einem ein,<br />
zwei Meter hohen Sturz zu Bruch gehen. Erfolgt die Belastung gar vom tragenden<br />
Schenkel etwas entfernt, reicht ein ein Meter hoher Sturz, und der Karabiner geht zu<br />
Bruch. Glücklicherweise kommt dies nicht allzu häufig vor.<br />
Die Prüfung der Karabiner erfolgt immer horizontal, damit<br />
die Belastung möglichst nahe des Hauptschenkels eingeleitet wird.<br />
Mit offenem Schnapper hält jeder Karabiner erheblich weniger,<br />
– wenn die Belastung noch vom tragenden Hauptschenkel entfernt auftritt,<br />
dann ist die Bruchkraft noch geringer.<br />
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Pit Schubert<br />
<strong>Sicherheit</strong> und Risiko in Kletterhallen und am Berg<br />
passieren.<br />
Das kann, wenn auch relativ selten, so schließlich doch<br />
Ein Bruch mit offenem Schnapper, immer deutlich an der<br />
aufgebogenen Karabinerform zu erkennen.<br />
Eine Nachsteigerin in einem Klettergarten<br />
Eine junge Anfängerin wurde von ihrem erfahrenen Partner am Fels ins Klettern eingeführt.<br />
Er erklärte ihre alles ausführlich, wie sie angeseilt wird (mit Karabiner), wie<br />
sie im Nachstieg die Karabiner und das Seil auszuhängen hat usw. Er kletterte darauf<br />
los und sicherte sie vom Gipfel nach. Offensichtlich war die junge Anfängerin<br />
etwas erregt, denn als sie an der ersten Zwischensicherung angekommen war, hatte<br />
sie die von ihrem Partner erhaltenen Erläuterungen vergessen und rief nach oben,<br />
was sie nun tun soll. Antwort von oben: „Den Karabiner aushängen!“ – Klar, was<br />
sonst?<br />
Die junge Anfängerin hing auch den Karabiner aus, – jedoch nicht (!) den in der Zwischensicherung,<br />
sondern ihren Anseilkarabiner (!). Es kam – wie kaum anders zu<br />
erwarten – zum Sturz, den sie glücklicherweise überlebte.<br />
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Pit Schubert<br />
<strong>Sicherheit</strong> und Risiko in Kletterhallen und am Berg<br />
Ohne Worte.<br />
Ein Riss im Achter<br />
Abseilachter müssen wie alle andere Bergsteigerausrüstung vor der Auslieferung<br />
vom Hersteller ausreichend hinsichtlich möglicher Fertigungsfehler überprüft werden.<br />
Abseilachter mit einem Riss dürfen per Gesetz nicht in den Handel gebracht werden,<br />
weil fehlerhaft hergestellt. Trotzdem kommt es – zwar selten genug – doch hier und<br />
da einmal vor, dass ein Achter mit einem deutlich erkennbaren Riss in den Verkauf<br />
gelangt.<br />
Der hier gezeigte Abseilachter ist von einem namhaften europäischen Hersteller auf<br />
den Markt gebracht und vom Käufer, der den Riss rechtzeitig entdeckte, nicht (!) ein<br />
einziges Mal benutzt worden. Grundsätzlich empfiehlt es sich also, seinen Abseilachter<br />
einmal hinsichtlich irgendwelcher Risse genau anzuschauen, dies am besten mit<br />
einer Lupe. Sollte ein Riss zu erkennen sein, kann man ihn im Sporthaus umtauschen.<br />
Zwar wird das Sporthaus in der Regel darüber nicht sonderlich erfreut sein<br />
und versuchen, sich aus der Angelegenheit herauszureden, doch gibt es in solchen<br />
Fällen eine gute Frage seitens des Käufers: Wie tief ist der Riss, und was hält der<br />
Abseilachter? – Da wird jeder Verkäufer keine Antwort wissen, und der Reklamierende<br />
wird einen neuen Abseilachter bekommen. Sollte dies nicht der Fall sein, sende<br />
man den Achter an den Autor, der den Achter während der nächsten Messe dem<br />
Hersteller auf den Tisch legt und dafür mit entschuldigenden Worten der Herstellers<br />
einen neuen Achter bekommt (und diesen dem Besitzer zusendet). Dies hat sich<br />
schon einige Male zugetragen.<br />
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Pit Schubert<br />
<strong>Sicherheit</strong> und Risiko in Kletterhallen und am Berg<br />
Öse.<br />
Der nagelneue Abseilachter mit dem Riss an der kleineren<br />
Hier ist der Riss deutlicher zu erkennen.<br />
Ein nicht „ganz korrektes“ Klettersteigset<br />
Ein Bergführer hatte in seinem Lager eine Menge Ausrüstung. Eines Tages sollte er<br />
eine Dame über einen Klettersteig führen. Er nahm ein Klettersteigset aus seinem<br />
Vorrat, das sicher schon etliche Jahre dort gelegen hatte, und machte sich mit der<br />
Dame auf den Weg. Am Klettersteig angekommen, wurde das Klettersteigset angelegt,<br />
die Dame über alle Dinge noch einmal informiert und der Bergführer stieg voran,<br />
sie hinter ihm her. Es passierte bald, dass der Dame die Kräfte ausgingen und sie<br />
stürzte.<br />
Das verwendete Klettersteigset.<br />
149
Pit Schubert<br />
<strong>Sicherheit</strong> und Risiko in Kletterhallen und am Berg<br />
Die Verbindung der beiden Stränge …<br />
… war nur mit Klebeband zusammengehalten; der Knoten,<br />
der an dieser Stelle vorhanden gewesen ist, war – durch wen und wann auch<br />
immer – gelöst worden.<br />
Was passierte? Das Klettersteigset ist gerissen (!). Wie ging die Sache aus? – Es ist<br />
glücklicherweise nichts (!) passiert, weil der Bergführer die Dame, weil eine schwache<br />
Anfängerin, noch zusätzlich am Seil gesichert hatte.<br />
Die Frage, wer den Knoten am Klettersteigset gelöst haben könnte, war nicht mehr<br />
festzustellen. Wie auch immer – grundsätzlich keinerlei Klettersteigsets mehr mit<br />
Knoten verwenden. Die heutzutage vom Fachhandel angebotenen Klettersteigsets<br />
weisen auch keinerlei Knoten mehr auf. Bleibt abschließend nur der Hinweis, grundsätzlich<br />
kein „altes Gelump“ mehr zu verwenden.<br />
Fotos: Vom Autor, ausgenommen die letzten drei (Bildautor nicht mehr bekannt).<br />
Zeichnung: Georg Sojer<br />
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www.alpinsymposium.de<br />
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