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Genomische Selektion in der Praxis - CongressEvents St. Gallen

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MEDIEN-INFO<br />

13. Internationale Fachmesse für Nutztierhaltung, landwirtschaftliche<br />

Produktion, Spezialkulturen und Landtechnik<br />

<strong>St</strong>.<strong>Gallen</strong>, 21. – 24. Februar 2013<br />

Fachtext, Autor: Michael Götz, Eggersriet SG<br />

<strong>Genomische</strong> <strong>Selektion</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Praxis</strong><br />

Zuchtwertberechnung auf Grund des Genoms<br />

<strong>Genomische</strong> <strong>Selektion</strong> war bis vor kurzem noch e<strong>in</strong> Fremdwort. Heute lassen vor<br />

allem Spitzenzüchter den genomischen Zuchtwert ihrer <strong>St</strong>iere und Kühe schon<br />

beim Kalb bestimmen und gew<strong>in</strong>nen damit Zeit.<br />

„Vor etwa zwei Jahren hatten wir bei e<strong>in</strong>em Embryotransfer mit Mischsperma sechs<br />

<strong>St</strong>ierkälber. Der Zufall wollte es, dass alle sechs <strong>St</strong>iere denselben Vater hatten; es waren<br />

also Vollgeschwister. Swissgenetics hatte Interesse an den <strong>St</strong>ieren, weshalb sie<br />

e<strong>in</strong>en Genomtest <strong>der</strong> <strong>St</strong>iere durchführen liessen“, erzählt Mart<strong>in</strong> Haab. Er ist Braunviehzüchter<br />

<strong>in</strong> Mettmenstetten (ZH). Aus se<strong>in</strong>em <strong>St</strong>all kommen immer wie<strong>der</strong> Kühe und<br />

<strong>St</strong>iere mit Spitzenresultaten.<br />

Genomtest brachte hohe Zuchtwerte zutage<br />

Die genomischen Zuchtwerte <strong>der</strong> <strong>St</strong>iere <strong>in</strong> Milch und Exterieur waren so hoch, dass die<br />

KB-Organisation vier <strong>der</strong> sechs <strong>St</strong>iere kaufte. Zwei <strong>der</strong> <strong>St</strong>iere kamen <strong>in</strong> den E<strong>in</strong>satz;<br />

e<strong>in</strong>e Bewertung auf Grund <strong>der</strong> Milchleistung ihrer Töchter ist noch zu früh, da die ersten<br />

Töchter erst jetzt geboren wurden, doch weist auch <strong>der</strong>en Genomtest hohe Zuchtwerte<br />

auf. So hat das R<strong>in</strong>d Swissness, e<strong>in</strong>e Tochter von <strong>St</strong>ier Eric, den höchsten direkten<br />

genomischen Zuchtwert (DGZW) 1) betreffend Milchmenge aller weiblichen Braunviehtiere,<br />

welche <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schweiz bisher getestet wurden. Bei Mart<strong>in</strong> Haab‘s Tieren hat<br />

somit <strong>der</strong> Genomtest hohe züchterische Leistungen zum Vorsche<strong>in</strong> gebracht und ihm<br />

Vorteile bei <strong>der</strong> Vermarktung se<strong>in</strong>er <strong>St</strong>iere gebracht. „So kam ich <strong>in</strong> das Umfeld <strong>der</strong><br />

genomischen <strong>Selektion</strong>“, stellt <strong>der</strong> Züchter rückblickend fest.<br />

Doch s<strong>in</strong>d die Zuchtwerte, welche auf Grund des Erbgutes berechnet wurden, auch<br />

realistisch? „Es wird sich zeigen, wie genau die genomische <strong>Selektion</strong> stimmt. Doch,<br />

wenn ich sehe, wie sich die USA und an<strong>der</strong>e Län<strong>der</strong> nur noch auf die genomische <strong>Selektion</strong><br />

stützen, dann muss etwas dran se<strong>in</strong>“, sagt Mart<strong>in</strong> Haab. Als bekannter Schauexperte<br />

weiss er auch, dass es noch an<strong>der</strong>e wichtige Kriterien für die Zuchtauswahl<br />

gibt als Zuchtwerte. „Unsere Vorfahren beurteilten die Kühe an den Viehschauen nach<br />

dem Aussehen“, führt <strong>der</strong> Experte aus. In den 70er Jahren habe man begonnen, den<br />

Zuchtwert mit Hilfe statistischer Methoden (BLUP) zu berechnen, und heute sei die<br />

genomische Analyse dazu gekommen. Wer <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zucht weiterkommen möchte, müsse<br />

alle drei Entscheidungsgrundlagen geschickt komb<strong>in</strong>ieren und gewichten.<br />

22_<strong>Genomische</strong>_<strong>Selektion</strong>_TT2013<br />

1


<strong>Genomische</strong> <strong>Selektion</strong> verkürzt Wartezeit<br />

Der grösste Vorteil <strong>der</strong> genomischen <strong>Selektion</strong> liegt dar<strong>in</strong>, dass man schon bei jungen<br />

Tieren verlässliche Aussagen betreffend Zuchtwert machen kann. Bei männlichen Tieren<br />

lässt sich vier bis fünf Jahre früher feststellen, ob sie für die Zucht geeignet s<strong>in</strong>d;<br />

bei weiblichen Tieren s<strong>in</strong>d es etwa zweie<strong>in</strong>halb Jahre. E<strong>in</strong>en weiteren Vorteil <strong>der</strong> genomischen<br />

<strong>Selektion</strong> sieht Mart<strong>in</strong> Haab dar<strong>in</strong>, dass sie den Zuchtwert unabhängig vom<br />

Umfeld bestimmt. Wie die Kuh gefüttert und gehalten wird, hat ke<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluss auf den<br />

genomischen Zuchtwert. Korrekturfaktoren s<strong>in</strong>d nicht nötig.<br />

Im Vergleich zur traditionellen Zuchtwertschätzung ist <strong>der</strong> Aufwand für die genomische<br />

Zuchtwertschätzung ger<strong>in</strong>g. Mit e<strong>in</strong>em „überdimensionierten Ohrenstäbli“ nimmt man<br />

aus <strong>der</strong> Nase des Kalbes e<strong>in</strong>en Schleimhautabstrich, welcher im Labor untersucht<br />

wird. Auf Grund dieser Ergebnisse berechnet die Qualitas AG <strong>in</strong> Zug den genomischen<br />

Zuchtwert <strong>der</strong> verschiedenen Merkmale. Die Kosten dafür betragen zurzeit 270.- Fr. je<br />

Tier. Die genomische Zuchtwertschätzung ist nach Me<strong>in</strong>ung des Züchters bei <strong>der</strong> <strong>Selektion</strong><br />

von <strong>St</strong>ieren, welche <strong>in</strong> die breite Zucht kommen, essentiell. So liessen sich „faule<br />

Eier“ schneller entdecken und ausscheiden. Auch allen Zuchtstierhaltern empfiehlt<br />

Mart<strong>in</strong> Haab, die genomische Zuchtwertschätzung anzuwenden, damit es zu ke<strong>in</strong>en<br />

„bösen“ Überraschungen beim E<strong>in</strong>satz ihrer <strong>St</strong>iere komme. Für die breite Basis <strong>der</strong><br />

Züchter sieht er ke<strong>in</strong>e Notwendigkeit, ihre Kühe genomisch testen zu lassen, da es für<br />

den Landwirt auch darauf ankomme, wie gut die Kuh zum <strong>St</strong>all passe. Immer mehr<br />

solle man jedoch neben den Abstammungszuchtwerten auch die genomischen Zuchtwerte<br />

beachten.<br />

Funktionale Merkmale nicht vernachlässigen<br />

Indem die genomische Zucht es möglich macht, den Zuchtfortschritt noch mehr zu beschleunigen,<br />

birgt sie auch Gefahren <strong>in</strong> sich. Die Zucht darf nicht e<strong>in</strong>seitig se<strong>in</strong>“, warnt<br />

Mart<strong>in</strong> Haab. Es kann nicht s<strong>in</strong>nvoll se<strong>in</strong>, immer nur auf mehr Milch, mehr Fett und Eiweiss<br />

zu züchten. Denn für e<strong>in</strong>e hohe Leistung benötigt die Kuh auch e<strong>in</strong>e entsprechende<br />

Konstitution. Für den Züchter heisst dies, er muss neben den Leistungsmerkmalen<br />

auch die funktionalen Merkmale beachten. Dazu gehören im Beson<strong>der</strong>en Fundament,<br />

Aufhängung des Euters, Zellzahl, Persistenz, Fruchtbarkeit und Nutzungsdauer.<br />

Je<strong>der</strong> Züchter hat hier e<strong>in</strong>e grosse Verantwortung, welche mit <strong>der</strong> Anwendung <strong>der</strong><br />

genomischen <strong>Selektion</strong> als sehr effektivem Hilfsmittel steigt.<br />

1) DGZW: Der direkte genomische Zuchtwert (DGZW) ist <strong>der</strong> Wert, welcher ausschliesslich<br />

auf Grund des Genoms berechnet wird. In <strong>der</strong> Schweiz werden die DGZW mit den<br />

traditionellen Zuchtwerten zu genomisch optimierten Zuchtwerten (GOZW) komb<strong>in</strong>iert.<br />

Mart<strong>in</strong> Haab ist nicht nur Braunviehzüchter, son<strong>der</strong>n auch Schauexperte. In den Jahren<br />

1999 bis 2004 war er Präsident <strong>der</strong> Interessengeme<strong>in</strong>schaft <strong>der</strong> Brown Swiss Züchter<br />

(IGBS). „Wir brachten das Wissen über die Brown Swiss Population <strong>in</strong> die Schweiz“,<br />

sagt er. Zusammen mit se<strong>in</strong>em Sohn bewirtschaftet er <strong>in</strong> Mettmenstetten ZH e<strong>in</strong>en<br />

Familienbetrieb mit 40 ha und 60 – 70 Milchkühen, welche <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Laufstall mit Liegeboxen<br />

untergebracht s<strong>in</strong>d. Se<strong>in</strong> Zuchtziel ist e<strong>in</strong>e leistungsfähige Kuh, welche möglichst<br />

viel Milch aus Raufutter produziert. Die durchschnittliche Milchleistung se<strong>in</strong>er<br />

Herde liegt bei 9‘000 kg Milch mit 4.35 % Fett- und 3.54 % Eiweissgehalt.<br />

22_<strong>Genomische</strong>_<strong>Selektion</strong>_TT2013<br />

2


Fragen an Franz Seefried, Genetiker bei <strong>der</strong> Qualitas AG <strong>in</strong> Zug<br />

Wie hoch ist die Sicherheit <strong>der</strong> genomischen Zuchtwertschätzung?<br />

Die genomische Zuchtwertschätzung ist genauer als die bisherige auf Grund <strong>der</strong> Abstammung.<br />

Leistungsmerkmale haben wie bei <strong>der</strong> bisherigen Zuchtwertschätzung e<strong>in</strong>e<br />

höhere Genauigkeit als funktionelle Merkmale (Fruchtbarkeit, Nutzungsdauer).<br />

Warum ist die genomische Zuchtwertschätzung <strong>in</strong> den funktionellen Merkmalen<br />

weniger genau als <strong>in</strong> den Leistungsmerkmalen?<br />

Der Grund liegt klar <strong>in</strong> <strong>der</strong> Erblichkeit o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>s ausgedrückt <strong>in</strong> dem Anteil an Variation,<br />

welcher sich durch additiv genetische Varianz erklärt. Dieser ist <strong>in</strong> den funktionellen<br />

Merkmalen sehr niedrig, das heisst, die Merkmale werden wenig additiv genetisch<br />

vererbt. Dies hat damit zu tun, dass entwe<strong>der</strong> nicht additive Effekte, zum Beispiel Dom<strong>in</strong>anz<br />

o<strong>der</strong> Epistasie, e<strong>in</strong>e Rolle spielen, o<strong>der</strong> dass die Merkmale bzw. die Phänotypen,<br />

die wir erfassen, nur m<strong>in</strong>imal genetisch festgelegt s<strong>in</strong>d.<br />

Wann werden die genomischen Zuchtwerte die traditionellen Zuchtwerte auf<br />

Grund <strong>der</strong> Abstammung und Nachkommenprüfungen ablösen?<br />

Traditionelle Zuchtwerte werden bis auf weiteres nötig se<strong>in</strong>, denn sie werden für die<br />

Effektschätzung verwendet.<br />

Bildlegenden (Bil<strong>der</strong> auf CD-ROM "<strong>Genomische</strong>_<strong>Selektion</strong>")<br />

(Bei Abdruck bitte Fotograf angeben)<br />

Abb. 1: Schleimhautabstrich aus <strong>der</strong> Nase des Kalbes. (Foto: Swissgenetics)<br />

Abb. 2: E<strong>in</strong> Mitarbeiter von Swissgenetics nimmt e<strong>in</strong>en Schleimhautabstrich, <strong>der</strong> im<br />

Labor untersucht wird. (Foto: Swissgenetics)<br />

Abb. 3: Braunviehzüchter Mart<strong>in</strong> Haab wendet die genomische <strong>Selektion</strong> an.<br />

(Foto: zur Verfügung)<br />

Autor: Michael Götz (Dr. Ing. Agr.), Freier Agrarjournalist, LBB-GmbH,<br />

Säntisstrasse 2a, CH-9034 Eggersriet<br />

Tel. +41 71 877 22 29, migoetz@paus.ch, www.goetz-beratungen.ch<br />

Weitere Informationen<br />

Genossenschaft Olma Messen <strong>St</strong>.<strong>Gallen</strong><br />

Tier&Technik<br />

Splügenstrasse 12, Postfach, CH-9008 <strong>St</strong>.<strong>Gallen</strong><br />

Tel. +41 71 242 01 99 / Fax +41 71 242 02 32<br />

tier.technik@olma-messen.ch / www.tierundtechnik.ch<br />

<strong>St</strong>.<strong>Gallen</strong>, Januar 2013<br />

22_<strong>Genomische</strong>_<strong>Selektion</strong>_TT2013<br />

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