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Älteste Funde Süddeutschlands des Homo Heidelbergensis

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Mündling-Komplex - Ein Projekt der Landschaftsarchäologie<br />

mit dem Schwerpunkt Altpaläolithikum - <strong>Homo</strong> heidelbergensis (Mittleres<br />

Pleistozän) in Süddeutschland 4. Fassung September 2010 Gerd Elvers<br />

Die vierte Fassung einer Landschaftsarchäologie von rund 200 Quadratkilometern Umfang<br />

mit 355 Fundplätzen auf dem östlichen Rieskrater-Rand ist grundlegend überarbeitet worden.<br />

Viele einzelne Fundbeschreibungen und einiges Beiwerk sind aus der Langfassung heraus<br />

genommen worden. Dies soll der besseren Lesbarkeit dienen. Wichtige Fundbeschreibungen<br />

befinden sich auf der Homepage unter der Flag Deutschland. Sie werden in den nächsten<br />

Monaten mit Fotos dokumentiert. Die Einordnung in den geologischen Kontext ist anhand der<br />

aktuellsten Quartär- Publikationen Mitteldeutschlands revidiert worden. In den Überblick<br />

über das Altpaläolithikum Europas sind Nordspanien und Frankreich sowie die Tschechische<br />

Republik einbezogen worden. Eine Statistik <strong>des</strong> vorliegenden Materials ist begonnen worden.<br />

Den unterschiedlichen Schlag-Technologien <strong>des</strong> Altpaläolithikums (Amboss) ist breiterer<br />

Raum gegeben worden. Die bei den Ausgrabungen der Sesselfelsgrotte von Richter und<br />

Weißmüller angewandten Analyse-Methoden sind auf gegriffen worden.<br />

Man muss manchmal in Sackgassen gehen, dann wieder zurück und noch einmal neu<br />

anfangen – wer im heutigen Wissenschaftsbetrieb kann sich das leisten?<br />

Stichwörter: Archäologie Süddeutschland - 200 qkm Landschaftsaufnahme – Survey über 350 Fundplätze -<br />

Rieskraterrand - sämtliche Zeitepochen Mitteleuropas mit Schwerpunkt Mittleres Altpaläolithikum (<strong>Homo</strong><br />

heidelbergensis) - Bunte Brekzie (Brecce)<br />

Landschaftsarchäologie im Vieleck Donauwörth – Harburg – Wemding – Monheim<br />

Polygon Google – Earth<br />

1


Mündling – Komplex – ein Projekt der Landschaftsaufnahme Östlicher Rieskraterrand<br />

1. Fundgeschichte ..................................................................................................................... 3<br />

2. Field Research - Surveystrategien ..................................................................................... 4<br />

2.1. Begehung und Archivierung ..................................................................................................................... 4<br />

2.2. Methoden der Landschaftsarchäologie ................................................................................................... 5<br />

3. Geomorphologische Diversifikation <strong>des</strong> Raumes .............................................................. 7<br />

4. Geologie der Fundverhältnisse ......................................................................................... 13<br />

5. Menschliche Nutzung der Landschaft .............................................................................. 15<br />

5. 1. Unterscheidungskriterien für Nutzung von Fundplätzen ................................................................... 15<br />

5. 2. Offene Steppenlandschaft als ökologisches Umfeld der Jäger/Sammler <strong>des</strong> Paläolithikums ......... 16<br />

6. Zeitstellung der <strong>Funde</strong> unter besonderer Berücksichtigung der mittelpleistozänen<br />

„Mündlinger Geröllkultur“ <strong>des</strong> <strong>Homo</strong> heidelbergensis ..................................................... 16<br />

6.1. Einleitung - Ein wenig Farbenlehre ...................................................................................................... 16<br />

6.2. Alles im Fluss: Der <strong>Homo</strong> heidelbergensis <strong>des</strong> Altpaläolithikums ...................................................... 18<br />

6.2.1. Formenkundliche und technologische Definitionen für Geröllindustrien ................................. 20<br />

6.2.2. Sequence Reduction Analysis (Abbau-Technologien - Transformationsprozesse) .................... 23<br />

6.2.2.1. Abschläge ....................................................................................................................................... 24<br />

6.2.2.2. Olduwai – Tradition – Unterschiede Alt- Mittelpaläolithikum ................................................ 26<br />

6.2.3. Sonstige Artefakt-Merkmale der mittelpleistozänen Mündlinger Kultur .................................. 28<br />

6.2.4. Altpaläolithikum in Mittel-Deutschland - lithostratigraphisch - paläogeographisch ................ 31<br />

6.2.5. Eigene Kriterien für das Ältere Altpaläolithikum (MIS 18 - 13) ................................................ 33<br />

6.2.6. Mittleres Altpaläolithikum – mitteleuropäisches Clactonien – (MIS 9/11) ............................... 35<br />

6.2.7. Jüngeres Altpaläolithikum – Aveley-Interglazial (7) –- Schöningen Interglazial ...................... 37<br />

6. 3. Grundsätzliches zum Mittleren Paläolithikum: Eem - Interglazial (5 c) - Frühe Weichseleiszeit:<br />

(Interstadiale Brörup (5b) und Odderade (5a) - der Mensch von Ehringsdorf - Steinheim – Neandertal<br />

– Sesselfelsgrotte - Brünsee ............................................................................................................................ 38<br />

6.3.1. Mittelpaläolithikum Sesselfelsgrotte–Vergleich mit Paläolithikum Mündling-Komplex ......... 38<br />

6.3.2. Levallois-Technologie Brünnsee (Mündling 1) – keine Leitform für Mittelpaläolithikum <strong>des</strong><br />

Mündling-Komplexes ................................................................................................................................ 39<br />

6.3.3. Weinrot patinierte Knollen (Mündling 3/108) häufige Materialverwendung für<br />

Mittelpaläolithikum Mündling- Komplex ............................................................................................... 39<br />

6. 4. Zum Jungpaläolithikum - Moderner Mensch - Weichseleiszeit (MIS 4/3/2) .................................... 39<br />

6.5. Mesolithikum- Holozän (MIS I) ............................................................................................................. 40<br />

6.6. Zum Neolithikum .................................................................................................................................... 40<br />

6.7. Fundbeschreibungen – Zeitliche und lokale Einordnung .................................................................... 40<br />

6. 8. Rohmaterialnachbarschaften - Werksrückbildung und Transformationsprozesse - Praktische<br />

Methoden zur <strong>Funde</strong>rfassung und Analyse in der Bunten Brekzie ........................................................... 41<br />

6.8.1. Vereinfachung der Typologie (Klassifizierung) ............................................................................ 41<br />

6.8.2. Rohmaterialnachbarschaften nach Richter (Sesselfelsgrotte) – Rinde als Knollenteil im<br />

Mündling-Komplex ................................................................................................................................... 42<br />

6.8.3. Werksrückbildung – Sesselfelsgrotte (Weißmüller) – Mündling-Komplex ............................... 43<br />

7. Beschreibung einzelner Fundplätze ................................................................................ 44<br />

7.1. Einzelne Fundplätze Älteres- Mittleres- Jüngeres Altpaläolithikum.................................................. 44<br />

7.1.1. Älteres Altpaläolithikum (MIS 19 – 13) ......................................................................................... 44<br />

7.1.2. <strong>Funde</strong> Mittleres Altpaläolithikum–Clactonien (11) <strong>Homo</strong> heidelbergensis. .............................. 44<br />

7.1.3. Beschreibung einzelner Fundplätze Jüngeres Altpaläolithikum (MIS 10 – 7). ......................... 46<br />

7.2. Benennung einzelner Schlagplätze Mittelpaläolithikum ..................................................................... 50<br />

7.3. Chatelperronien 35 000 vor heute – Verhältnis Neandertaler – Moderner Mensch ........................ 54<br />

7.4. Benennung einzelner Fundplätze Jungpaläolithikum ......................................................................... 55<br />

7. 5. Benennung neolithischer <strong>Funde</strong> der Bunten Brekzie .......................................................................... 56<br />

2


8. Statistik als Beweisführung eines erweiterten Clactonien im Altpaläolithikum .......... 57<br />

8.1. Symbole bei der Verwendung der Statistik ........................................................................................... 57<br />

8.2. Auszählung aller Zeitstellungen ............................................................................................................. 58<br />

8. 3. Kommentierung der Statistik Faustkeile Levalloisartefakte .............................................................. 59<br />

9. Ambosstechnologie mitprägend für den Mündling – Komplex ..................................... 60<br />

10. Der <strong>Homo</strong> heidelbergensis <strong>des</strong> Altpaläolithikums – häufigste Begehungen aller<br />

Jäger-Kulturen ....................................................................................................................... 63<br />

12. Ein anderes Landnutzungsmuster? ................................................................................ 68<br />

13. Literaturverzeichnis ......................................................................................................... 69<br />

1. Fundgeschichte<br />

In meiner 20jährigen Suche im Auftrage <strong>des</strong> Bayerischen Lan<strong>des</strong>amtes Büro Ingolstadt nach<br />

oberflächigen archäologischen <strong>Funde</strong>n <strong>des</strong> Ingolstädter Raumes nördlich der Donau –<br />

konzentriert auf das Paläolithikum - wurde 1988 als westlichste Linie die ICE-Trasse<br />

Donauwörth-Treuchtlingen erreicht. Schon damals fiel mir der dichte „Silexteppich“ an<br />

rötlich-braun - patiniertem Silex im Raum Mündling - Fünfstetten auf. Es wurde der – neben<br />

Speckberg, Nassenfels - größte mittelpaläolithische Fundplatz Südbayerns nahe Marbach<br />

„wiederentdeckt“, den Franz Krippner schon Jahre zuvor entdeckt hatte (Kurzbesprechung<br />

durch Reisch in: Ausgrabungen und <strong>Funde</strong> in Bayerisch Schwaben 1972-1975, S. 11/12). In<br />

wenigen Tagen Suche 1988 wurden 10 <strong>Funde</strong> südlich von Mündling gemacht. (Mündling 1-<br />

10), darunter der Schlagplatz Mündling 3 auf der Anhöhe nördlich der Bronzezeitlichen<br />

Höhensiedlung. Dieser wurde von Karl-Heinz Rieder im Jahr 2000 in ein spätes<br />

Mittelpaläolithikum gestellt, in die gleiche Zeit wie der Fundplatz Mündling 1, Marbach -<br />

Brünnsee durch Reisch, Erlangen, wobei keine Ähnlichkeit der <strong>Funde</strong> vorliegt.<br />

In Konsultation mit der Außenstelle <strong>des</strong> Bayerischen Lan<strong>des</strong>amtes für Denkmalspflege<br />

Thierhaupten begann der neue Survey 1998. Ein Ansporn für meine Suche war das Auffinden<br />

eines Faustkeils 1962 in der Flur Birkau durch A. Schorer (O.Böhme, A. Schörer u. H.J.<br />

Seitz), der bewies, dass die Urgeschichte oberflächig greifbar war. (Verschiedene neue<br />

Faustkeile aus Bayern, Bayerisches Vorgeschichtsblatt 1963, S. 139). Bei Bauarbeiten für<br />

eine Verbindungstrasse zwischen Harburg und Sulzdorf konnte ein reichhaltiges neolithisches<br />

Inventar mit Silex und Keramik über die Zeitspanne einer jüngeren Stufe der<br />

Linearbandkeramik bis zur Bronzezeit erkundet werden (Ludwig Reisch: Vorgeschichtliche<br />

Siedlungsfunde von Mündling, in: Bayerische Vorgeschichtsblätter, Sonderdruck 1973).<br />

Westlich <strong>des</strong> Gebietes von Mündling beging Franz Krippner anfangs der 80iger Jahre<br />

systematisch die Felder <strong>des</strong> süd-östlichen Rieses von der Linie Harburg-Klein-Großsorheim-<br />

Hohenaltheim an nordwärts (Krippner 2000, S. 35 ff.) In frappierender Weise vermehrten sich<br />

die Fundpunkte am Rande <strong>des</strong> Rieskraters, wobei Krippner nach der sehr großen<br />

mittelpaläolithischen Freilandstation Brünnsee einzelne mittelpaläolithische Geräte und vor<br />

allem neolithisches Fundmaterial bei seinen Begegnungen fand (Ausgrabungen und <strong>Funde</strong> in<br />

Bayrisch-Schwaben 1983-1984, S. 239).<br />

Krippner hat diese interessanten <strong>Funde</strong> – wie seine weiteren Begehungen im Ries – teilweise<br />

in seinem Prachtband: „Der prähistorische Mensch im Nördlinger Ries“ (Nördlingen 2000)<br />

publiziert. Östlich dieser konzentrierten Suche mit rund 1000 Fundpunkten hat er die Felder<br />

3


entlang dem Ellerbach aufwärts durchstreift und dabei auch einen mousteroiden Schaber vom<br />

Typ La Quina aufgespürt (Krippner 2000, S. 42).<br />

Allerdings wurden bei diesen „Archäologische Wanderungen im Ries“, das Gebiet um<br />

Mündling – Fünfstetten nicht intensiv begangen. Das nördliche Ende <strong>des</strong> Rieskraters um<br />

Oettingen wurde systematisch durch Werner Paa durchsucht (Ausgrabungen und <strong>Funde</strong> in<br />

Bayerisch-Schwaben 1983-1984, S. 31). Werner Paa hat seine Begehungen, die sich auf die<br />

Gemeinden Ehingen, Schwörsheim, Oettingen, Megesheim beziehen, in seinem Büchlein:<br />

„Knochen, Scherben, Steine“, Nördlingen 2001 publiziert, wobei er sich bei seinen<br />

Feldbegehungen auf die Zeit ab der Altheimer Kultur konzentriert und ältere <strong>Funde</strong> nicht<br />

behandelt. Ein Durchforsten der Beihefte der Bayerischen Vorgeschichts-Blätter (hrsg. von d.<br />

Komm. für Bayer. Lan<strong>des</strong>geschichte bei d. Bayer. Akad. d. Wiss. in Verbindung mit d. Bayer.<br />

Lan<strong>des</strong>amt für Denkmalpflege ) ergab, dass die Gegend nicht weiter untersucht wurde.<br />

Aus beruflichen und persönlichen Gründen habe ich 1988 diese Art <strong>des</strong> „Field research“<br />

eingestellt und die bisherigen <strong>Funde</strong> in die „Sammlung Elvers“, Depot Zuchering der Stadt<br />

Ingolstadt übertragen. 10 Jahre später 1998 konnte die Suche wieder aufgenommen werden.<br />

Aufgrund der Erfahrungen von 1988 versprach der Raum um Mündling eine gute „Ausbeute“.<br />

Auch vergewisserte ich mich bei Franz Krippner, der einige meiner 10 Fundpunkte von 1988<br />

in seinen eigenen Publikationen berücksichtigt hatte (Brief von Januar 2000), dass er das<br />

Gebiet von Mündling nicht weiter prospektiert hatte.<br />

Im Gegensatz zur früheren Suchmethode im Ingolstädter Raum beschränkte ich mich auf ein<br />

kleineres überschaubares Gebiet um Fünfstetten und Mündling, das je<strong>des</strong> Jahr wiederkehrend<br />

über das ganze Jahr aufgesucht wurde. Diese selbst auferlegte Restriktion wurde allerdings ab<br />

2004 aufgegeben, aufgrund von interessanten <strong>Funde</strong>n am Rande <strong>des</strong> alten<br />

Untersuchungsgebietes, die ins Altpaläolithikum gestellt werden könnten. Das Suchgebiet<br />

wurde sowohl nach Süden (Wörnitz) wie nach Norden (Bun<strong>des</strong>straße Monheim-Wemding)<br />

ausgeweitet. Dabei konnte in einer ersten Orientierung an Lutz Fiedler (Steingeräte eines<br />

urtümlichen Altpaläolithikums, Quartär 1993, Jahrbuch für Erforschung <strong>des</strong> Eiszeitalters und<br />

der Steinzeit S. 115; Zur Formenkunde, Verbreiterung und Altersstellung altpaläolithischer<br />

Geräte, Quartär 1985, S. 81)) ein großflächiges Auftreten von Prämousterien vermutet<br />

werden. In meinem Projekt „Das Mittel- und Altpaläolithikum in der Ägyptischen Wüste um<br />

Luxor“ konnte ich meine Kenntnisse über diese Zeitperioden vertiefen. (Näheres ist meiner<br />

Homepage zu entnehmen). Später wurden über Fiedler hinaus jüngere Literatur sowie<br />

Experten hinzu gezogen, die das Auftreten eines Prämousterien verfestigten.<br />

2. Field Research - Surveystrategien<br />

2.1. Begehung und Archivierung<br />

Der endgültige Forschungsraum ist im Süden durch die Wörnitz, im Osten durch die ICE-<br />

Trasse Augsburg-Würzburg, im Westen durch die Strecke Listhof - Salchhof - Gosheim und<br />

im Norden durch die Straße Wemding - Monheim abgesteckt. Die Äcker um Sulzdorf, Itzing,<br />

Gunzenheim, Lommersheim, Heidmersbrunn, Asbacherhof, Nußbühl, Flotzheim und vor<br />

allem Wörnitz werden in meiner Dokumentation unter ihrem Dorf – oder Flussnamen<br />

gesondert erfasst, um die Übersichtlichkeit über den Gesamtkomplex nicht zu verlieren.<br />

Die Nummerierung der Fundpunkte auf den beiden Topographischen Karten 7230<br />

Donauwörth und 7130 Wemding im Maßstab 1 : 25 000 folgte in der Regel zeitlich den<br />

Momenten der Erfassung und Kartierung: Die 1 – 10 <strong>Funde</strong> mit der Bezeichnung „Mündling“<br />

wurden bis 1988 erfasst; ab 1998 bis Dezember 2002 die Fundpunkte Mündling 11 – 157;<br />

von Januar bis Mai 2003 erhöhten sich die <strong>Funde</strong> bis auf Mündling 170. Anfang 2008 wurde<br />

die Marke von Mündling 202 erreicht, bis 2010 die Markierung Mündling 207. Seit 2008<br />

4


„konsolidieren“ sich die „Mündling“ - <strong>Funde</strong>, indem die bisherigen intensiver begangen<br />

werden, während die anderen Komplexe wie „Wörnitz“ und ab 2008 „Flotzheim,<br />

Lommersheim, Heidmersbrunn, Asbacherhof, Nußbühl“ weitere neue <strong>Funde</strong> um die<br />

Ortskerne brachten..<br />

Jeder einzelne Fund wurde ursprünglich auf einer Kopie der topographischen Karten 1:25 000<br />

vermerkt. Seit 2002 wurden genauere Ausdrücke <strong>des</strong> Computerprogramms „Top50 Viewer“<br />

im Maßstab 1:50 000 und ab Juni 2002 das Programm Bayern 3D <strong>des</strong> Bayerischen<br />

Lan<strong>des</strong>vermessungsamtes im Maßstab 1:25 000 hinzu gezogen. Der Versuch, über meine<br />

„Betreuungsstelle“ Zweigstelle Thierhaupten <strong>des</strong> Bayerischen Lan<strong>des</strong>amtes für<br />

Denkmalspflege auch die Flurkarten von 1 : 5000 benutzen zu können, scheiterten an den<br />

administrativen Vorschriften. Dieses Manko einer lokalen Bestimmung konnte seit 2006<br />

durch die Benutzung von GPS mehr als ausgeglichen werden, das ich in Ägypten erfolgreich<br />

eingesetzt hatte. Die GPS - Daten der einzelnen Fundorte werden in das Programm Google<br />

Earth implementiert, und ein Schwarz-Weiß-Ausdruck <strong>des</strong> Fundortes mit den genauen<br />

Koordinaten und Höhen jedem Fund beigelegt. Oder die <strong>Funde</strong> werden zur rascheren<br />

Erfassung aus den Landkarten in das Programm Google Earth eingestellt, eine ungenauere<br />

Methodik, die aber für einen Fundplatz auf einem Acker brauchbare Ergebnisse liefert. (Zur<br />

Technologie von Google Earth in meinen Ausführungen auf meiner Homepage).<br />

2.2. Methoden der Landschaftsarchäologie<br />

Durch die Konzentration auf ein begrenztes Untersuchungsgebiet ergibt sich die Möglichkeit,<br />

unter den jeweiligen Bedingungen der oberflächigen Bodenbeschaffenheit je<strong>des</strong> Feld unter<br />

optimalen Bedingungen zu erforschen, wobei die anfänglich unterschiedlich<br />

intensiven Beprobungen der Landaufnahme sich mit der Zeit angleichen. Optimale<br />

Bedingungen sind abgeerntete durchgepflügte Felder, die nach Regen oder Schneeschmelze<br />

einige Zeit trocken brach liegen. Erfahrungsgemäß lohnt sich nur eine Survey-Beprobung<br />

unter diesen optimalen Bedingungen.<br />

Eine solche empirische Benutzungsanalyse <strong>des</strong> Bodens unterscheidet sich von der<br />

systematischen Landaufnahme durch mehrere Personen in einer übersehbaren Zeit und in<br />

einem vorher abgesteckten Claim. Als Beispiel sei hierfür das Tübinger Ausgrabungs- und<br />

Survey Projekt (TDASP) in Syrien genannt (Knut Bretzke, S. 69). Zu verweisen ist auf<br />

Aktivitäten der Tübinger Universität mit amerikanischen und deutschen ArchäologInnen für<br />

das Gebiet der Schwäbischen Alb (Lynn Fisher, Corina Knipper) – 50 km westlich meines<br />

Surveys in Fortsetzung der Alb aber mit gänzlich anderen geologischen Verhältnissen - und<br />

das Projekt von McPherron für die Ägyptische Wüste (Gelvers-Homepage, Flag Ägypten).<br />

Der ständige Fruchtwechsel und die sich jahreszeitlich ändernden klimatischen Bedingungen<br />

in Mitteleuropa machen eine jahrelange Beobachtung und Begehung <strong>des</strong> gleichen<br />

Flächenareals erforderlich, für die es im wissenschaftlich-universitären Bereich häufig an<br />

Finanzen, Personal und Zeit fehlt. Die jahrelangen Prospektionen auf der Schwäbischen Alb,<br />

geleitet von Lynn Fisher und finanziert durch amerikanische Sponsoren, kann als positives<br />

Gegenbeispiel dienen. Andererseits mangelt es oft bei dem One-Man-Survey an einem<br />

fruchtbaren Diskurs wie es innerhalb einer Gruppe vor Ort möglich ist. Um sich nicht zu<br />

verrennen, sind <strong>des</strong>halb möglichst viele Kontakte und Austausch von Meinungen gesucht<br />

worden. Auch <strong>des</strong>halb haben wir das Motto zu Anfang postuliert:<br />

Man muss manchmal in Sackgassen gehen, dann wieder zurück und noch einmal neu<br />

anfangen – wer im heutigen Wissenschaftsbetrieb kann sich das leisten?<br />

Eine umfassende Quantifizierung der <strong>Funde</strong> in der Landschaft – so notwendig sie für einen<br />

archäologischen Datensatz wäre, um einen akkuraten Einblick in die Raumnutzung durch den<br />

5


Menschen zu erhalten – ist unter den gegebenen Umständen noch nicht möglich. Es fehlt<br />

schlicht an Zeit und an Geld.<br />

Die Oberflächenfunde sind vielfältigen externen Veränderungen unterworfen, sei es durch<br />

Erosion, fluviale Einflüsse oder Bepflügen. Jede Feldfrucht, ob Weizen, Gerste, Roggen,<br />

Kartoffeln, Mais, Lupinen, Klee erfordert eine unterschiedliche Bodenbearbeitung und führt<br />

zu zeitlich unterschiedlich optimalen Konditionen der Survey-Beprobung. Schwierigkeiten in<br />

der archäologischen Arbeit sind nicht ungewöhnlich. Das höhlenarme England ist stark durch<br />

fluviale oder glaziale Umverlagerungen (Terrassen) geprägt. Aber die englische Archäologie<br />

hat sich nicht durch diese Schwierigkeiten entmutigen lassen (McNabb). Der Aufnahme von<br />

<strong>Funde</strong>n in der Bunten Brekzie kommt zugute, dass die Akkumulation von Artefakten zumeist<br />

Ränder aufweist, die den Fund begrenzen und somit als Fund definierbar machen, z.B. seine<br />

exakte Lage durch Google Earth. Manchmal – wie südlöstlich von Fünfstetten - kommt es<br />

hangabwärts zu einem flächigen Zerfließen von Artefakten, wahrscheinlich durch<br />

Solifluktion. Aber auch ein solcher Zustand lässt sich beschreiben.<br />

Die Artefaktdichte pro Fundplatz ist erfassbar. Allerdings nur zu einem bestimmten Zeitpunkt<br />

als Summe der bisherigen Begehungen. Weitere Begehungen erhöhen in der Regel in der<br />

Bunten Brekzie die Artefaktzahl, als Funktion der Frequenz <strong>des</strong> Aufpflügens bisher nicht<br />

erfasster Artefakte. Bis zur Pflugtiefe und darunter gibt es keine ältere Böden jenseits der<br />

Bunten Brekzie oder Felsauflagen. Aus meinen Erfahrungen erschöpft sich kein Fundplatz<br />

mit der Zeit. Theoretisch ließe sich eine vollständige Fundschöpfung durch ständiges Begehen<br />

und Aufsammeln bis zur Totalerfassung aller Artefakte erreichen. Aber was ist mit den<br />

Artefakten unterhalb der Pflugtiefe? Es wäre kühn zu behaupten, unterhalb der Pflugtiefe<br />

begänne der sterile Boden. Dies aber durch Ausgrabungen zu klären, übersteigt die<br />

Möglichkeiten.<br />

Wenn über zehn Jahre die Felder begangen worden sind, lassen sich einige<br />

Erfahrungsgrundsätze sammeln. Einer lautet, dass ein Fundplatz prima vista mit einer hohen<br />

Akkumulation an der Oberfläche diese auch später beibehält. Ein Platz mit anfänglich<br />

weniger <strong>Funde</strong>n lässt sich durch wiederholtes Begehen anreichern. Aber die Relation<br />

zwischen einer hohen und niedrigeren Akkumulation bleibt bewahrt. Die Hierarchie der<br />

Fundhäufigkeit verschiedener Fundplätze untereinander bleibt erhalten.<br />

Das häufige Pflügen führt zu einer gleichförmigen vertikalen Durchmischung eines Platzes<br />

mit Artefakten. Die vertikale Funddichte im Boden paust sich auf die Oberfläche durch.<br />

Horizontale Verfrachtungen durch das Pflügen finden ebenfalls statt. Da aber die<br />

Flugrichtung variieren kann, bleibt die Verfrachtung gering. Dies lässt sich an klar<br />

definierbaren Fundplätzen mit abnehmender Akkumulation zu den Rändern feststellen – trotz<br />

<strong>des</strong> Pflügens. Für zukünftige Projekte gilt: Quantitative Datensammlungen erscheinen<br />

möglich, wenn man die <strong>Funde</strong> als adäquate Stichproben der Artefaktdichte versteht (Knut<br />

Bretzke, S. 75). Soweit zur möglichen Objektivierung bei Survey-Aktionen.<br />

Doch das Subjektive darf nicht übersehen werden. Es liegt in der Neugierde <strong>des</strong> Menschen,<br />

dass Fundplätze mit einer hohen Artefaktdichte öfters aufgesucht werden als solche mit<br />

geringerer. Sie ziehen die Aufmerksamkeit auf sich. Subjektive Selektionen stören aber das<br />

Prinzip der Landschaftsarchäologie, einen unverfälschten Überblick über die Fundverteilung<br />

zu gewinnen. Wird man sich <strong>des</strong>sen bewusst, kann man willentlich dagegen steuern und den<br />

mageren Fundplätzen die gleiche Aufmerksamkeit widmen. Dieses bietet sich schon<br />

<strong>des</strong>wegen an, weil wenige Artefakte pro Fundplatz eine zeitliche Einordnung oft verhindern<br />

und den Eifer <strong>des</strong> Sammlers anspornen, für eine Zeitbestimmung genügend Material in die<br />

Hände zu bekommen.<br />

Es wird nicht möglich sein, jedem Fundplatz die ihm gebührende Aufmerksamkeit zu<br />

widmen. Aber durch den ständigen Wechsel der Bodenbearbeitung und der<br />

Wetterverhältnisse kommt es zu unterschiedlichen optimalen Zuständen der Survey-<br />

Beprobung, die die Auswahl eines Fel<strong>des</strong> zur Begehung – aus einer Menge von bekannten<br />

6


Fundplätzen - primär bestimmen. Über einen längeren Zeitraum wird die Chance größer, eine<br />

komplette Übersicht zu optimalen Bedingungen zu erhalten. Eine überschlägige Berechnung<br />

soll dies erläutern: Wenn über 12 Jahre rund 40 Tage pro Jahr das Gebiet besucht wird,<br />

kommen wir auf rund 500 Tages-Visiten für das Areal. Es könnten noch mehr sein, aber ein<br />

Anfang ist gemacht.<br />

Es gilt der Plausibilitätsschluss, dass die Artefaktdichte pro Fundplatz, die Art der Artefakte<br />

und die Verteilungsmuster der Fundplätze im Gelände Zeugnis über die Aktivitäten der<br />

Menschen in der Landschaft ablegen. Hinzu gezogen werden muss die Morphologie <strong>des</strong><br />

Bodens, die Hangneigung und die Nähe von Wasser, um zu entscheiden, welche<br />

Akkumulationen von mehr als 320 definierten Plätzen durch Verlagerungen herbeigeführt<br />

worden sind. Als ein Teilprojekt für die Zukunft bietet sich neben der Bestimmung der<br />

Hangneigung der Topographic Wetness Index (TWI) an (Knut Bretzke, S. 77).<br />

3. Geomorphologische Diversifikation <strong>des</strong> Raumes<br />

Bunte Brekzie und anderes Material<br />

Das im jüngeren Tertiär stattgefundene Impaktereignis durch einen Meteoriten hat dazu<br />

geführt, dass der Rohstoff für Werkzeuge – vorerst bis zu einer genaueren Bestimmung<br />

allgemein Silex, Feuerstein, Hornstein (feinkörnig), Quarzit (grobkörnig) und Granit genannt<br />

– selten tritt Lydit und Radiolarit auf - um den östlichen und südlichen Rand <strong>des</strong> Rieses in<br />

hoher Verdichtung als Gerölle oder Platten der Bunten Brekzie vorliegt ( Rudolf Hüttner,<br />

Hermann Schmidt-Kaler, Meteoritenkrater Nördlinger Ries 2003). Unter den Geröllen können<br />

sich auch postriesische Ablagerungen aus der Donau und ihren Nebenflüssen befinden<br />

(mündlicher Hinweis von Professor Reisch, Erlangen 2008). Jüngere pleistozäne Flugsande,<br />

fluviatil verfrachtet, treten mit eingebetteten Geröllen und größeren Silexplatten in einem<br />

Gebiet nördlich von Ebermergen, westlich von Fünfstetten, nördlich von Lommersheim und<br />

nördlich der Straße Wemding – Monheim auf. Dieser Silex weist an den Schlagflächen oft<br />

eine im direkten Sonnenlicht rötlich-gelb-braune Reflektion auf, im Gegensatz zu den<br />

„stumpfen“ Farbtönungen der Bunten Brekzie. Gerölle können auch aus präriesischen<br />

fluviatilen kleinen inselartigen Ablagerungen <strong>des</strong> Miozäns bestehen. Die meisten Gerölle <strong>des</strong><br />

Untersuchungsgebietes sind aber der „Bunten Brekzie“ zuzurechnen. Diese Gerölle sind nach<br />

dem Impaktereignis aus dem Karbongestein <strong>des</strong> Jura ausgewittert, einem Teil der<br />

Auswurfmasse. In der benachbarten Schwäbischen Alb (Lynn Fisher) existieren neolithische<br />

Gruben, in denen im rötlichen Verwitterungslehm <strong>des</strong> originären Juras nach Hornsteinknollen<br />

gezielt gesucht wurde. Diese Knollen weisen eine ähnliche Großenverteilung und Patinierung<br />

auf. Die vor dem Ereignis schon im Juraboden ausgewitterten Knollen dürften durch die<br />

Impaktenergie zerstört worden sein. Nur der Hornstein hat überlebt, der in der „schützenden“<br />

Umhüllung <strong>des</strong> Karbongesteins sich befand. Kreideformationen waren schon vor dem<br />

Ereignis weg erodiert worden. Der unter dem Jura liegende Keuper ist pulverisiert worden.<br />

Granitbrocken haben inmitten eines umgebenden Granitgrieses überlebt.<br />

7


Der Suchraum liegt auf dem südöstlichen Rande <strong>des</strong> Impaktkraters <strong>des</strong> Rieser Beckens. Das<br />

Dorf Mündling war anfangs der Prospektion mit 527 Meter Höhe der „zentrale Buckel“ <strong>des</strong><br />

Suchgebietes, von dem sich nach Norden (und Süden) ein „Wellenberg“ entlang zieht bis zum<br />

sandigen Becken von Fünfstetten. Im Osten schneidet sich das Trockental der ICE-Trasse und<br />

im Westen der Ellerbach bis auf rund 440 Meter in den Grund ein, so dass es angesichts <strong>des</strong><br />

Höhenunterschie<strong>des</strong> von über 80 Meter zu einer ausgeprägten hügeligen Struktur der Klein-<br />

Landschaft kommt. Der Ellerbach und seine Zuflüsse führen ständig Wasser, weil er in<br />

seinem Bett auf den feinkörnigen Verwitterungen <strong>des</strong> Keupers in der Bunten Brekzie fließt –<br />

der feinkörnige bis tonige Boden entstammt dem Trias-Sandstein - während das östlicher<br />

liegende Trockental (Bahnhof Bieberhof) den ortständigen Jura mit seinem porösen Gestein<br />

anschneidet, in dem das Wasser versickert.<br />

Mit der nördlichen Ausdehnung <strong>des</strong> Suchgebietes wurde der Höhenkamm der Straße<br />

Wemding – Monheim erreicht, <strong>des</strong>sen Nord und Südhänge weite Sichtverhältnisse gewähren,<br />

für altpaläolithische Großwildjäger vielleicht ein Kriterium für einen Aufenthalt. In südlicher<br />

Ausdehnung <strong>des</strong> Suchgebietes wurden die tieferen Ebenen um die Wörnitz erreicht, schon im<br />

Einflussbereich der Donau. Hier herrscht eine mehr kleinräumliche Landschaft vor.<br />

Die gesamte Fläche ist überwiegend durch die Auswurfmasse <strong>des</strong> Rieskraters bedeckt<br />

worden, die mit unterschiedlicher Mächtigkeit dem anstehenden Jura aufliegt. Das wirre<br />

Gemenge der ehemals im Rieskrater vorhandenen Gesteinsformationen besteht im<br />

wesentlichen aus dem kristallinen Grundgebirge, den Ablagerungen <strong>des</strong> Trias in Form der<br />

roten Feuerletten (Keuper) sowie weißen Malmbrocken (viel Jura + sehr seltene Kreide), die<br />

manchmal noch mit dem Rohmaterial für Artefakte, dem rot-braunen, gelben oder weiß<br />

patinierten Silex verbacken sind. Von der bunten Gemengelage kommt auch der Name „Bunte<br />

Brekzie“ (Josef Th. Groiss u.a., Das Ries und sein Vorland, 2000).<br />

Örtliche Unterschiede<br />

1996 hat der Geologe Schmidt - Kaler, Erlangen, die Gegend einer Revision unterzogen, d.h.<br />

die von Schröder/Dehm schon 1950 aufgenommene Prospektion, die noch unter der Annahme<br />

8


einer vulkanischen Ursache <strong>des</strong> Rieskraters erfolgte, berichtigt (Mündliche Mitteilung von<br />

Schmidt – Kaler, Februar 2002). Das Ergebnis ist das geologische Blatt Ries in dem Maßstab<br />

1:50 000.<br />

Der Jura tritt um Mündling in großen Kalkschollen auf, die aus dem Krater verfrachtet<br />

wurden – mehr geschoben und gerollt als geworfen. Am Osthang <strong>des</strong> Ellerbaches ragen<br />

vergrieste Malmkalkschollen (Geiselberg, Schindbuckel, Otterberg, Harberg, Adelsberg) aus<br />

der Bunten Brekzie, die herauserodiert worden sind. Manchmal weisen Ei - große präriesische<br />

Gerölle aus Nordbayern darauf hin, dass über dem alten Boden die westlichen Ausläufer <strong>des</strong><br />

Urmains mit der Flussrichtung nach Süden verliefen.<br />

Die höchste Erhebung der Gegend (566 Meter) ist der vom Wald bedeckte Haselberg, <strong>des</strong>sen<br />

Südflanke bei Harburg von den großen Abbauflächen <strong>des</strong> Steinbruchs Ronheim aufgerissen<br />

ist. An den Abbaukanten <strong>des</strong> Steinbruchs wird ersichtlich, was ansonsten vom Wald bedeckt<br />

ist: Über der Schlifffläche <strong>des</strong> Weißjura Delta liegt Bunte Brekzie. Das mächtige Juragestein<br />

ist durch den ungeheuren Druck <strong>des</strong> Meteoreinschlags in seiner Konsistenz zerrüttet, was die<br />

Erosion seiner steilen Hänge und das Bloßlegen <strong>des</strong> Silex in einer Zeit begünstigt haben<br />

dürfte, als der Berg nicht vom Wald bedeckt war. Der Westhang <strong>des</strong> Ellerbaches trägt Lehm,<br />

der vom vorherrschenden Westwind während der letzten Eiszeit im Lee der höheren<br />

Randberge <strong>des</strong> Ries abgelagert worden ist. Gleiche Verhältnisse sind südlich <strong>des</strong> Bahnhofs<br />

Mündling und beim Bahnhof Biberhof zu beobachten. Auch dort gewinnt der Löß eine<br />

größere Mächtigkeit. Es ist kein Zufall, dass dort auch größere neolithische <strong>Funde</strong> vorliegen.<br />

Der „Wörnitz“ – Komplex im Süden bis zur Donau weist durch den Einfluss von Donau und<br />

Wörnitz erodierte flache Terrassen auf, auf denen sich der Hornstein stark angereichert hat,<br />

zumeist in zerlegten „Scherben“ oder Knollen. Hier liegen Fundplätze, die sich durch<br />

dunkelbraun patinierte Choppers (Pebble tools), Chopping-tools, Beile, Disken, Pics, Cleaver,<br />

opportunistische Kerne sowie (Natur)Scherben auszeichnen, die ins Altpaläolithikum zu<br />

stellen sind. Die Wörnitz wird nur durch Niederterrassen begleitet. Darauf liegen flache<br />

Schotterkörper der Bunten Brekzie mit inselförmigen Breckzienkonzentrationen, die aufgrund<br />

<strong>des</strong> Silex geologisch ins Jura (Kimmerigde) gestellt werden. In einigen Fällen kann es sein,<br />

dass diese Silexkonzentrationen erst durch den Urmenschen zusammen getragen wurden, so<br />

dass die Geologen in ihren Begehungen von der Tätigkeit <strong>des</strong> homo heidelbergensis<br />

beeinflusst sein können.<br />

Ab einer Höhe von 500 Metern treten kleine Quellen aus, die entweder nach Westen in den<br />

Ellenbach münden, nach Osten im Trockental versickern oder in den Schlauchbach münden,<br />

der nach Norden entwässert. Es handelt sich nicht um Karstquellen, sondern um<br />

Entwässerungen der Trümmerfläche der Hochflächen. Das Auftreten von Quellen auf den<br />

Höhen der Fränkischen Alb ist ein erster Hinweis auf die Bunte Brekzie, deren lehmige,<br />

tonige Wasser speichernde Überdeckung auf den Keuper <strong>des</strong> Trias zurück geführt wird. Diese<br />

Wasserspeicherung böten den nässenden Böden schon bei geringer Hangneigung ideale<br />

Gleitflächen in den Eiszeiten, während in den Warmzeiten von einer jeweils neuen<br />

Bodenbildung auszugehen ist. Wenn heute keine Verlagerungen <strong>des</strong> oberflächigen Bodens<br />

oder gar Frostkeile festzustellen ist, kann dies auf das „Abscheren“ der alten Oberflächen<br />

zurück geführt werden. Es ist momentan nicht zu klären, warum viele der vorliegenden<br />

natürlichen oder artifiziellen Konzentrationen von rot-braun patinierten Silexnestern<br />

offensichtlich kein der Schwerkraft folgen<strong>des</strong> „Zerfließen“ <strong>des</strong> oberflächigen Bodens<br />

aufweisen, sondern deutlich abgrenzbare Ränder aufweisen. Vielleicht haben sich beim<br />

„Abrutschen“ <strong>des</strong> alten Bodens in heute nicht mehr sichtbaren Mulden, die als „Fallen“<br />

dienten, Silex - Konzentrationen gefangen. Bei größeren <strong>Funde</strong>n wie Mündling 03 ist ein<br />

deutliches breiartiges Zerfließen der Artefakte in die Niederung der Wörnitz zu beobachten.<br />

Auf jeden Fall kann nicht von der früher von mir vertretenen These eines „ruhigen Bodens“<br />

ausgegangen werden, wenn man von den Hochflächen absieht. Diese neueren Erkenntnisse<br />

9


sind aus Diskussionen mit einer Geologin aus Burgheim gewonnen worden, die den Bau der<br />

neuen Gasleitung quer durch mein Untersuchungsgebiet wissenschaftlich begleitete.<br />

Bodendynamik<br />

Erosion und Solifluktion eines Bunten – Brekzie - Bodens haben sich an der<br />

Oberflächengestaltung der Landschaft in einem komplizierten Prozess beteiligt. Feintonige<br />

Materialien sind von den Kuppen talabwärts geschwemmt worden, so dass auf den Kuppen<br />

oft der Silex mit Kalkbrocken vorherrscht. Zugleich lässt sich aber vielerorts beobachten, dass<br />

in tieferen Ablagerungsbereichen das typische Konglomerat der Bunten Brekzie mit Silex,<br />

Kalkbrocken und Granit ebenfalls vorliegt. Hier kann davon ausgegangen werden, dass<br />

aufgetaute Oberflächen großflächig abgeglitten sind. In Bachnähe dürfte abfließen<strong>des</strong> Wasser<br />

tiefere Schichten der Bunten Brekzie freigelegt haben. Die Dynamik der Bodenbewegungen<br />

folgt in den Böden der Bunten Brekzie anderen Gesetzen als in den Karstgebieten <strong>des</strong> Jura.<br />

Artefakte wurden nicht durch nachfolgende sterile Fließböden verschüttet, wie ich das in den<br />

sterilen Hängen <strong>des</strong> Altmühltals beobachtet habe. Auch ist die Situation nicht mit dem<br />

tertiären Hügelland südlich der Donau zu vergleichen, deren Fundleere an Paläolithikum auf<br />

die Zerstörungen der Siedlungsplätze durch Verfrachtungen <strong>des</strong> lockeren Gesteins<br />

zurückgeführt wird. Entsprechend der morphologischen Situation lassen sich folgende<br />

Unterschiede in der Bodenbewegung feststellen:<br />

1. Bei den horizontal gelagerten Böden auf den Hochflächen oberhalb <strong>des</strong> Quellen-Niveaus<br />

von 500 Metern handelt es sich um sogenannte Living-Floors, Begehungshorizonte, wie um<br />

Flotzheim, Nußbühl, Asbacherhof. Hier hat dominant die horizontale Erosion gewirkt und<br />

das alte Silexmaterial auf dem jetzigen Boden abgelegt. Es scheint nur eine einzige<br />

Bodenbildung <strong>des</strong> Holozän, der heutigen Warmzeit, vorzuliegen, ältere scheinen wegerodiert<br />

worden zu sein, wie die Wände von tiefen Bachausschnitten belegen, die eine homogene<br />

Struktur ohne Schichtung aufweisen.<br />

2. Hanglagen, wie der südlich von Mündling verlaufende frische (2008) Aufschluss durch<br />

einen langen Abwassergraben (Fotos S. 12), weisen nur eine Bodenbildung auf. Der humose<br />

Boden hat nur Pflugtiefe. Ältere Bodenbildungen sind nicht sichtbar. Unterhalb der Pflugtiefe<br />

setzt sich die Bunte Brekzie ungestört bis zu einem Meter Tiefe und tiefer fort. Das heißt, dass<br />

der Anteil von Silex an der Oberfläche dem in der Flugtiefe entspricht. Die Oberfläche gibt<br />

also getreu die Situation bis zur Pflugtiefe wieder. Ältere Bodenbildungen sind durch<br />

Fließböden in Eiszeiten abgeschert worden und mit ihnen ältere Fundplätze. Diese Regel gilt<br />

aber nicht überall. Südlich <strong>des</strong> Sichelberges ist der leicht geneigte Hang mit alten<br />

Silexscherben und konzentrierten Artefaktfunden (Mündling 144 und 202) übersäht.<br />

3. In Staubereichen an den heutigen Bächen findet sich tiefgründiger toniger Boden mit<br />

verdichteten Silex, zum Teil auf kleiner Fläche variierend. Einige <strong>Funde</strong> der Altsteinzeit in<br />

Hangneigung konzentrieren sich an Quellen wie Heidmersbrunn 14 am Schmalbach,<br />

Mündling 15 oder Nußbühl 3. Sie machen einen autochthonen Eindruck. Hier scheint es über<br />

einige Eiszeiten hinweg keine größere Verfrachtungen Hang abwärts gegeben zu haben.<br />

4. An längeren Bachzügen, die den tiefsten Talbereich füllen, können Fließböden mit ihrer<br />

Artefaktfracht aufgestaut worden sein. Hier kann es sich bei Fundkonzentrationen um<br />

sekundäre Verlagererungen handeln wie Lommersheim 2 am Doosbach, Mündling 159-160<br />

am Hühnerbach. Die originären Fundorte können höher gelegen haben. Sie können aber auch<br />

originäre Fundorte sein. Mehr Klarheit ergäben nur Ausgrabungen.<br />

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Die Bunte Brekzie ist ein Verbund von unterschiedlichen Auswurfgesteinen mit einer<br />

Mächtigkeit von bis zu hundert Metern und mehr über den autochthonen Juraböden. Sie hat<br />

keine Ähnlichkeit mit den fluvialen Aufschüttungen der tertiären Molasse nördlich der<br />

Donau als Resultat der Entstehung der Alpen, mit einer Mächtigkeit bis zu Tausenden von<br />

Metern. Die Bunte Brekzie ist von einer festeren Konsistenz, die das Pflügen erschwert. Die<br />

lockeren Kalk- und Silexbrocken sind oft in feinkörnigen Böden (Tonerde) aus aufgelösten<br />

Trias- und Granitschichten eingelagert. Aber selbst wenn die Wucht <strong>des</strong> Impakts in den<br />

Augenblicken als die Massen zu Ruhe kamen, eine Verdichtung der Bunten Brekzie schon an<br />

der Oberfläche bewirkt hat, dürfte die nachfolgende Erosion, die Akkumulation sowie die<br />

Solifluktion – begünstigt durch wässrige Lösungen in den feinkörnigeren Böden – zu einer<br />

Ummodulierung der Landschaft geführt haben. Ich wiederhole: Die ursprünglich verfolgte<br />

Theorie eines insgesamt „ruhigen Bodens“ kann nicht aufrecht erhalten werden. Dennoch<br />

kann gesagt werden, dass trotz Umlagerungen von Böden und <strong>Funde</strong>n sich eine relevante<br />

Präsenz menschlicher Tätigkeiten, die sich über Steinschläger manifestiert, auf der Oberfläche<br />

<strong>des</strong> Untersuchungsgebietes dokumentieren lässt.<br />

Kartographische Verdichtungen der geologischen Formationen<br />

Die geologische Karte 1 : 50 000 ist aktueller als die Karte 1 :25 000, aber monotoner. Je<br />

genauer die Karte <strong>des</strong>to fleckiger in der Darstellung der geologischen Formationen. Der große<br />

Maßstab 1 : 50 000 verschluckt viele Feinheiten, was ich „kartographische Verdichtung“<br />

nenne. Dennoch gibt sie einen ausreichenden Überblick. Sie weist im Untersuchungsgebiet<br />

nicht überall Bunte Brekzie auf. An steilen Ufern von Bächen tritt der autochthone Jura auf,<br />

der mittelpaläolithischen Jägerhorden besseres – bergfrisches - Silexmaterial bot<br />

(Mittelpaläolithischer Fund Mündling 1, Brünnsee). Auf der Höhe der Straße Wemding –<br />

Monheim, südlich von Heidmersbrunn und westlich von Fünfstetten ist eine<br />

zusammengehörige Fläche von Sanden, fluvial umgelagert, aus dem Quartär nachgewiesen<br />

worden in Verbindung auch mit Lehmüberdeckungen. Wie ich bei meinen Begehungen<br />

festgestellt habe, vermischen sich diese Flugsande – fluvial umgelagert - wie viele<br />

Lehmgebiete auch - mit dem Silex aus der Bunten Brekzie. Die Erosion ist hier soweit<br />

fortgeschritten, dass die ältere Oberfläche der Bunten Brekzie wieder an die Oberfläche<br />

auftaucht. Vielleicht schützten Lehm- und Sandüberdeckungen aus dem Quartär die älteren<br />

Living - Floors der Bunten Brekzie.<br />

Rund vierzig Prozent der Fläche ist von Eichen-Buchen-Wald und Trockenrasen bedeckt, der<br />

als Schafweide dient, die größere Fläche steht dem Ackerbau zur Verfügung. Im Verlauf <strong>des</strong><br />

agrarischen Strukturwandels und der Stilllegungsprämien der EU werden zunehmend Flächen<br />

in Grünland oder Brachland umgewandelt. So ist nach der Verpachtung <strong>des</strong> Fel<strong>des</strong> der<br />

mittelpaläolithische Schlagplatz Mündling 3 vor 10 Jahren in Grasland umgewidmet worden<br />

und somit einer weiteren Nachforschung entzogen.<br />

Was die Landschaft einzigartig macht, ist ihre Nähe zum Einschlagkrater. Nicht nur die<br />

Aufwurfmasse, sondern auch der lokale allochthone Jura ist durch die explosiven Ereignisse<br />

in seiner Konsistenz zerrüttet, was die Erosionseinwirkung in den letzten 15 Millionen Jahren<br />

erheblich begünstigt haben muss. Die unterschiedlichen Komponenten der Auswurfmasse an<br />

den ursprünglichen Oberflächen nach dem Impakt unterlagen gemäß ihrer chemischen und<br />

mechanischen Strukturen einem Auflösungsprozess, dem das „härtere“ Gestein wie der Silex<br />

und kleinere Brocken aus dem kristallinen Grundgebirge, z.T. auch Quarzit - Einschlüsse<br />

besser widerstanden. Bei der natürlichen Abtragung der ursprünglichen Oberfläche kam es zu<br />

einer Verdichtung <strong>des</strong> Silexmaterials im Verhältnis zu dem übrigen Gestein. (Ähnliches lässt<br />

sich auch für die Umgebung von Luxor, Ägypten beobachten). Das lässt sich am besten im<br />

Verhältnis zum Jurakalk festhalten. Es gibt nur wenige Fundpunkte, wo noch der Kalk mit<br />

11


dem Silex in seiner ursprünglichen Lage verbacken ist, ansonsten ist der Silex völlig von<br />

seiner alten Umgebung losgelöst und auf seinem „Weg“ von der alten Oberfläche hinab zur<br />

aktuellen etlichen Quetschungen oder Stoßungen ausgesetzt worden, was aber in den<br />

Millionen Jahre langen Zeiträumen wieder zu Abrundungen <strong>des</strong> Silexkörpers geführt hat.<br />

Das Impaktereignis, die vertikalen gravitativen oder nacheiszeitlichen Bewegungen,<br />

verursachten nicht die eolithischen Quetschungen wie die Schubbewegungen, denen der<br />

Silex in den eiszeitlichen Gletschern Norddeutschlands und <strong>des</strong> Voralpengebietes ausgesetzt<br />

war. Dennoch erschwert die geologische Dynamik <strong>des</strong> Bodens oft die analytische Trennung<br />

zwischen Artefakt und Natursilex in der Bestimmung <strong>des</strong> einzelnen Silex aus älteren<br />

Zeitperioden. Zusätzlich erschwerend für eine analytische Trennung ist die Präferenz einer<br />

Chopper- und Zweiseitentechnologie, die der Industrie <strong>des</strong> Altpaläolithikums unterstellt wird<br />

(Kronach als einziger möglicher Referenzfund in Bayern wird von mir ins jüngere<br />

Altpaläolithikum - älteres Mittelpaläolithikum gestellt). Die Chopper - Technologie drängt<br />

den Anteil der Abschläge mit eindeutigen Bulben in einem Ensemble zurück. Auf dem<br />

großen, dichten Fundplatz Mündling 03 entfallen auf rund hundert Bulbenabschläge Tausende<br />

von möglichen Chopper und Zweiseitern, die aber in dieser Dokumentation nur selten in die<br />

Analyse einbezogen werden.<br />

Der natürliche Zersetzungsprozess wirkt auf allen alten Oberflächen. Gleiches lässt sich<br />

auch im Fränkischen Jura östlich von Erlangen und Forchheim beobachten, wo die über den<br />

Juraschichten liegende Kreide abgetragen worden ist, mit Ausnahme eines Teils <strong>des</strong> in die<br />

Kreide eingebetteten Hornsteins bzw. Quarzits, der als „Zeugenstein“ einer untergegangenen<br />

geologischen Schicht dient. Im Gegensatz zum Mündling - Komplex sind allerdings keine<br />

kompletten Silex - Kalotten oder größere Silexplatten erhalten sondern die Oberfläche ist mit<br />

zersprungenen Silexscherben übersäht, die sich nicht - oder nur schlecht - als Material nach<br />

dem „Geschmack“ der Alt-Menschen für Artefakte eigneten, falls sie in dieser Konsistenz<br />

damals schon vorlagen. Auf die von kosmischen Zwischenfällen verschonten Fränkischen<br />

Hochflächen wirkten auch wesentlich längere Erosionszeiten (Kreide seit 65 Millionen Jahre)<br />

ein als die im geologischen Sinne kurzen 15 Millionen Jahre der Überdeckung durch die<br />

Bunte Brekzie.<br />

Unterer Teil: Der flache<br />

Kalkstreifen verläuft entlang<br />

der Flugtiefe; der überwiegend<br />

sandig-humose Boden dürfte<br />

eine Ablagerung <strong>des</strong> Keupers<br />

durch den Impakt sein; keine<br />

erkennbaren Bewegungen <strong>des</strong><br />

Bodens, keine Schichtungen.<br />

Auf der Höhe <strong>des</strong> kleinen<br />

weißen Brunnenhäuschen liegt<br />

eine kleine Linse der<br />

Süßwassermolasse<br />

Mittlerer Teil:<br />

Mit Kalkbröckchen<br />

angereicherter sandig-humoser<br />

Boden aus Keuper und Jura.<br />

ohne erkennbare Schichtung,<br />

ohne erkennbare<br />

Bodenbewegungen. . Die<br />

geologischen Erklärungen<br />

folgen Josef Th. Groiss,<br />

Hellmut Haunschild<br />

Oberer Teil:<br />

Mit Kalk angereicherter sandig-humoser<br />

Boden; der kalkangereicherte Streifen an der<br />

Oberfläche folgt der Flugtiefe. Die an der<br />

Oberfläche vorzufindenden Kalksteine<br />

folgen den Verhältnissen in Flugtiefe. Die<br />

durch einen schmalen Keuperstreifen<br />

unterhalb der Flugtiefe unterbrochene mit<br />

Kalk durchsetzten Sande setzen sich auf der<br />

Grabensole weiter fort; keine erkennbare<br />

Bodenbewegungen.<br />

12


Ein Meter tiefer Abwassergraben westlich von Mündling durch den Boden der Bunten Brekzie, aufgenommen<br />

Ende Oktober 2007; linkes Bild: tiefster Teil 470 m Höhe, Blick hangab- westwärts, das kleine Häuschen leitet<br />

die Abwässer nach Harburg. Mitte: 480 m Höhe, Blick ostwärts nach Mündling ; rechts: 487,3 m<br />

topographische Karte 7130, Richtung südöstlich gesehen. Der Graben durchschneidet keine silexangereicherte<br />

Schichten. Die Bodenbildung ist mit der Pflugtiefe identisch. Es sind keine weiteren Schichten von<br />

Bodenbildungen aus früheren Warmzeiten erkennbar. Angesichts der beachtlichen Hangneigung könnten ältere<br />

Bodenbildungen während dem Spätglazial abgerutscht sein.<br />

4. Geologie der Fundverhältnisse<br />

Mit der „Geologie der Fundverhältnisse“ wollen wir spezielle Bezüge zwischen<br />

Fundkonzentrationen und der örtlichen geologischen Situation erfassen. Ein wichtiger Aspekt<br />

der Landschaftsarchäologie sind die geologischen Bezüge. Es lassen sich verschiedene<br />

Kategorien von Fundverhältnissen unterscheiden:<br />

Rot-braun patinierte Silexnester der Bunten Brekzie<br />

Es liegen hochkonzentrierte Verdichtungen von Silex mit glatter oft einheitlich patinierter<br />

Oberfläche in Nestern in der Bunten Breckzie als Knollen und Fladen in typisch tiefrotbrauner,<br />

manchmal auch gelber und weißer Färbung vor. Der Kortex ist oft dünn, glatt und<br />

blass-braun bis weiß-gelb patiniert. Die Ausdehnung dieser „Nester“ variiert, sie kann bis zu<br />

100 Quadratmeter betragen. Auf 1 Quadratmeter können - grob geschätzt - einige wenige bis<br />

zu 10 Zentimeter dicke Knollen, bis zu 5 - 10 tischtennisgroße Knollen und Hunderte von<br />

kleineren Trümmern bis zu winzigen Absplissen (Chips) entfallen. Aus der Mehrheit der<br />

bisher bekannten Silexnestern lassen sich Artefakte auslesen, die von Weißmüller in eine<br />

Zeitperiode jünger als das Altpaläolithikum gestellt wurden. Die Oberflächen weisen keine<br />

Vernarbung und die Kanten keine Verwitterungsspuren zeigen, wie dies für das<br />

Altpaläolithikum üblich ist. Die Knollen mit ihrer „hautdünnen“ Patina haben eine<br />

Ähnlichkeit mit denen aus neolithischen Gruben in der Blaubeurer Alb gewonnenen (Lynn<br />

Fisher).<br />

Die hohe Konzentration von opportunistischen Kernen sowie Splittern können ein Ergebnis<br />

<strong>des</strong> „Werfens von Geröllen auf Ambossen“ sein, das im weiteren Text behandelt wird. Was<br />

als natürliche Trümmer auftritt, könnte auf anthropologische Ereignisse zurück zu führen sein,<br />

die die Unterscheidungskriterien zwischen dem Artifiziellen und der Natur verwischen.<br />

Plattensilex in Bunter Brekzie<br />

Zusammen mit dem rot-braunen Fladen- und Kugelsilex, tritt Plattensilex auf, der nach<br />

Schmid - Kaler ins Malm Delta bis Zeta geologisch einzuordnen ist. Um den Plattensilex zu<br />

beurteilen, habe ich ihn speziell in einem Extratext der Homepage, Flag Deutschland .<br />

untersucht.<br />

Silex - Trümmerfelder in Bunter Brekzie<br />

Insbesondere die Höhen über 500 Meter nördlich und östlich von Mündling, um<br />

Heidmersbrunn, Asbacher Hof, Nußbühl, Flotzheim aber auch der Unterlauf der Wörnitz auf<br />

400 Meter sind mit tiefrot-braunen Silex -Trümmerfeldern übersäht, die geologisch gesehen<br />

aus dem Jura <strong>des</strong> Rieskraters kommen und morphologisch als pliozäne und pleistozäne<br />

Schotter bezeichnet werden können, deren Oberfläche stark vernarbt sind. Inmitten dieser<br />

Naturscherben lassen sich Abschläge mit einfachen Plattformen und dicken clactonienartigen<br />

13


Bulben und Retuschen auflesen, die wegen ihrer dicken rot-braunen Patina und starken<br />

Verwitterung ins Altpaläolithikum zu weisen sind.<br />

Auf der Anhöhe nördlich von Mündling befinden sich in dem dichten Silexteppich kleinere<br />

plattige Silexstücke noch verbacken mit Jurakalk, während anderswo der weichere Kalk durch<br />

Wassereinwirkung aufgelöst worden ist.<br />

Die Ost- und Nordhänge von Mündling weisen einen auffällig grauweißen, wenig patinierten<br />

„frischen“ Silex – manchmal glasig - mit hell-brauner recht einheitlichen Rinde auf. Nach der<br />

geologischen Rieskarte liegt im Lehm ein Durcheinander von kleineren Inseln Malm Delta -<br />

Zeta, allochtone Überdeckung aus Granit, also Bestandteile der Bunte Brekzie vor. Es bietet<br />

sich an, die dort auffindbaren „glasigen“ grau-weißen bis schmutzig-blauen Scherben dem<br />

Jura zuzuschreiben. Die Glasur scheint durch chemische Prozesse im Boden erzeugt worden<br />

zu sein.<br />

Lehmüberdeckung und Sande<br />

In den tieferen Stellen westlich <strong>des</strong> Ellerbaches aber auch an anderen Stellen überwiegen die<br />

Lehmüberdeckungen, die aus dem eiszeitlichen äolischen Staub sich gebildet haben, den der<br />

Westwind im Lee abgeladen hat. Dies gilt vor allem für den mittelpaläolithischen Großfund<br />

Mündling 1 (Brünnsee), wo eine Lehmzunge sich vom Bauerngehöft ostwärts zum Ellerbach<br />

neigt. Wie kleinere Malmbrocken aufweisen, hat sich der Lehm mit der Bunten Brekzie<br />

vermischt. Ähnliches trifft auf die großen Lehmflächen Mündling 9a, 9b zu, die mit<br />

neolithischen Abschlägen übersäht sind, sowie auf 26a, 26b zu, ebenfalls neolithisch. Aber<br />

auch hier ist der Lehm schon so weit erodiert – durch Maisanbau? - dass die Bunte Brekzie an<br />

der Oberfläche erscheint.<br />

Nördlich, südlich und westlich von Fünfstetten treten Flugsande auf, fluvial verfrachtet,<br />

ähnlich den Sanden im Ostries-Kessel. Im September 2007 wurde entdeckt, dass auch die<br />

Nordhänge nördlich der Bun<strong>des</strong>straße Wemding – Monheim auf Höhe <strong>des</strong> Asbacher Hofes<br />

Lehmablagerungen vermischt mit Bunter Brekzie aufweisen.<br />

Haselberg-Osthang<br />

Eine eigene geologisch vorgeprägte Fundsituation existiert am Osthang <strong>des</strong> Haselberges. Es<br />

handelt sich hier um einen zerrütteten Jurakalk, der von der Bunten Brekzie überdeckt ist. In<br />

der Waldhöhe <strong>des</strong> steileren Osthangs tritt autochthoner Jurasilex aus, der sich weiter unten in<br />

den Feldern mit dem Silex aus der Überdeckung durch die Bunte Brekzie vermischt hat.<br />

Neben einer geringeren Anzahl tief-braun patinierter Artefakte - wohl mittelpaläolithischer<br />

Prägung - tritt vor allem plattig grau-weißer Silex auf. Es liegen 10 mittelpaläolithische<br />

Fundstellen vor, die durch Sammlertätigkeit in ihrer Interpretation beeinträchtigt sind. Über<br />

allen mittelpaläolithischen <strong>Funde</strong>n liegt ein neolithischer „Schleier“. In den tieferen Lagen<br />

ostwärts in Richtung <strong>des</strong> Ellerbaches wird der Boden lehmig tiefgründig.<br />

Konglomerate aus der Bunten Brekzie<br />

Als Konglomerate werden die Plätze bezeichnet, in denen eine starke Gemengelage<br />

unterschiedlich patinierter Silexformen aus unterschiedlichen Zeitepochen vorliegt:<br />

gemaserter Silex aus dem anstehenden Jura, Platten aus dem autochthonen Malm Delta und<br />

Zeta, tiefbraune aus der Bunten Brekzie, z.T. mit einer tiefblauen Glasur. Diese<br />

Durchmischung unterschiedlicher geologischer Formationen auf kleiner Fläche ist typisch für<br />

den gesamten geologischen Boden um den Rieskrater. Die Durchmischung ist aber<br />

unterschiedlich. Wenn auf der geologischen Karte 1: 50 000 eine Farbe vorherrscht, die für<br />

eine geologische Einordnung steht, ist dies oft nur ein Hinweis, dass diese geologische<br />

14


Formation an einem Ort dominiert. Je höher auflösend ein Kartenausschnitt ist, <strong>des</strong>to „bunter“<br />

wird er auch in der Darstellung.<br />

Einzelfunde in ansonsten fundleeren Bereichen<br />

Einen Teil der <strong>Funde</strong> machen Einzelfunde auf einer größeren Suchfläche aus. Diese<br />

Streufunde lassen sich nicht der örtlichen Gesteinsformation zuweisen, in der sie gefunden<br />

werden. Sie sind zumeist Werkzeuge in der weißen Formation der Bunten Brekzie, die vom<br />

Jura-Kalk beherrscht wird oder im rötlichen Gries <strong>des</strong> Granits und als „Verlustfunde“ zu<br />

bezeichnen, die der Mensch auf seinen Streifzügen „verlor“, also nicht absichtlich beiseite<br />

gelegt hat, weil sie einen gewissen Arbeitswert für ihn besaßen. Sie sind zumeist in dem<br />

silexleeren Boden auszumachen, in dem sich nur Trümmer von Kalk und Gries-Granit<br />

auffinden lassen.<br />

5. Menschliche Nutzung der Landschaft<br />

Aus dem einzigen Zeugenmaterial <strong>des</strong> Menschen, dem bearbeiteten Hornstein, können wir<br />

nur indirekte Schlussfolgerungen auf das tatsächliche Leben der Menschen und seinem<br />

Gebrauch der Landschaft ziehen. Es können nur Annäherungswerte sein mit einem gewissen<br />

Spekulationswert.<br />

5. 1. Unterscheidungskriterien für Nutzung von Fundplätzen<br />

Aus der Größe der Fundplätze, aus ihrer Zuordnung zur geologischen Umgebung, zum<br />

Wasser und zur landschaftlichen Lage ergeben sich erste Anhaltspunkte für ihre<br />

wahrscheinlichen Funktionen. Gegenüber der einfachen Unterscheidung: Freilandstation –<br />

Fundplatz, die z.B. Krippner tätigt, soll hier - gemäß der amerikanischen Kriterien (Thomas<br />

D. Dillehay: The Settelment of the Americas, S. 80 ff) zwischen Siedlungsplatz (Base Camps)<br />

- Rastplatz (Short-Term Campsite) –Jagdplatz (Butchering Station) - Schlagplatz (Quarrys)<br />

unterschieden werden.<br />

Siedlungsplatz (Base Camps): Eine größere Gruppe von Menschen hat sich an einer Stelle<br />

länger aufgehalten und von der Grundproduktion bis zu Endprodukten viele Abläge<br />

hinterlassen, die von Schlagplätzen geschleppt worden sind. Wasser sollte in der Nähe sein.<br />

Das Vorhandensein von finalen Geräten ist ein wichtiges Kennzeichen ebenso im<br />

Neolithikum Tonscherben und feuerausgesetzter Silex.<br />

Rastplatz (Short-Term Campsite): Eine Gruppe von Menschen hat sich auf seinen<br />

Streifzügen kurz an einer Stelle niedergelassen – womöglich auf einem reichen Silexplatz -<br />

und von der Grundproduktion bis zu Endprodukten Artefakte hinterlassen.<br />

Jagdplatz (Butchering Station): eine Gruppe von Menschen hat sich für kurze Zeit an einem<br />

Platz niedergelassen, von dem aus eine gute Sicht auf wandern<strong>des</strong> oder äsen<strong>des</strong> Großwild<br />

möglich ist oder in der Nähe von Schluchten liegt, in denen das Wild leichter zu erjagen ist<br />

oder wo das gejagte Wild ausgewertet worden ist (daher butchering Station). Der Silex ist von<br />

anderen Stellen herangetragen worden.<br />

Schlagplatz – Werkplatz - Steinbruch (Quarry): Der „Steinbruch“ ist von einer Gruppe<br />

von Menschen aufgesucht worden, um den vorhandenen Silex an Ort und Stelle auszubeuten.<br />

15


Der größte Teil <strong>des</strong> bearbeiteten Silex stammt aus der Grundproduktion und den<br />

Halbfabrikaten, während die meisten Endprodukte fort getragen worden sind (Off-sitetransportation).<br />

Die Bunte Brekzie kann man an vielen Stellen als eine durch geologische<br />

Prozesse ausgelöste Sonderform <strong>des</strong> Steinbruchs bezeichnen.<br />

5. 2. Offene Steppenlandschaft als ökologisches Umfeld der Jäger/Sammler <strong>des</strong><br />

Paläolithikums<br />

Das Paläolithikum – das Alt- Mittel- und Jungpaläolithikum - umfasst in Mitteleuropa einen<br />

Zeitraum von mehr als einer halben Million Jahren. In dieser Zeit hat es einen ständigen<br />

Wechsel <strong>des</strong> Klimas, der Flora und Fauna gegeben. Diesem ständigen Wechsel kann zwar<br />

kein bestimmtes Klimamuster abgerungen werden, es kommt aber in den Zyklen von<br />

Glazialen zu Interglazialen zu Wiederholungen. Für die Oberflächenfunde in der Landschaft<br />

gibt es keine Pollenanalyse, keine Faunen- oder Florareste wie bei Ausgrabungen. Für die<br />

Landnutzung gehen wir von einigen Voraussetzungen aus, die wir für pläsibel halten und<br />

werden noch später (Kapitel 11) genauer auf die Klimaphasen eingehen. Wir unterstellen ein<br />

ökologisches Szenario, das für Jäger und Sammler optimal war. Die Menschen, die die<br />

Landschaft genutzt haben, ließen ein Muster an Abfällen und Werkzeugen zurück, dass unter<br />

5. 1. theoretisch aufgelistet worden ist…Schlachtplätze, Rastorte, Jagdplätze,<br />

Siedlungen…Aus dem Muster der Silex - Verteilung und der Werkzeuge im Areal sind<br />

Großwildjäger in einer lichten Steppe mit Waldanteilen und Büschen oder Strauchtundra am<br />

wahrscheinlichsten. Kein dichter unübersichtlicher Wald, der unter seinem Florateppich das<br />

Rohmaterial und den Blick auf Tierherden verbarg, keine Kältewüste. Klimatisch wären<br />

die Übergänge von und zu Interglazialen und Interstadialen (Kapitel 11) für die Jäger am<br />

optimalsten. Die Feststellung von Ulrich C. Müller und Angela Schönfelder (S. 44), dass im<br />

letzten Glazial der Neandertaler sich in einer offenen Landschaft besser zurecht fand, als in<br />

den dicht geschlossenen Wäldern <strong>des</strong> Eem Interglazials kann auf vorangegangene<br />

klimatische Zyklen übertragen werden.<br />

Nach Weniger und Fisher (114) stellt die benachbarte Ulmer und Blaubeurer Alb ein<br />

potentielles Jagdgebiet dar, wo der Jurahornstein ein wichtiges Rohmaterial abgibt. Noch<br />

mehr gilt dies für die Südfränkisch-Schwäbische Alb 50 km weiter östlich, wo die<br />

Rohstoffquellen mit der Bunten Brekzie günstiger gelagert sind.<br />

6. Zeitstellung der <strong>Funde</strong> unter besonderer Berücksichtigung der mittelpleistozänen<br />

„Mündlinger Geröllkultur“ <strong>des</strong> <strong>Homo</strong> heidelbergensis<br />

(Dieser Abschnitt ist in laufender Bearbeitung).<br />

6.1. Einleitung - Ein wenig Farbenlehre<br />

Unter der Mündlinger Geröllkultur verstehen wir den gesamten Bereich <strong>des</strong><br />

Altpaläolithikums, untergliedert in Alt- Mittel- Jüngeres Altpaläolithikum, unter besonderer<br />

Berücksichtigung <strong>des</strong> Mittleren Altpaläolithikums, das in England mit dem „Clactonien“,<br />

(MIS 11/9) verbunden ist. Geröllkultur ist kein präziser Ausdruck bei Berücksichtigung <strong>des</strong><br />

Plattenmaterials, das mit den Geröllen verschwistert ist. Weniger an Platten - aus Gründen,<br />

die noch dargestellt werden - als an Geröllen lassen sich aber spezifische Formen und<br />

Abschlagsequenzen analysieren und mit anderen Kulturen vergleichen. Durch den Zusatz<br />

„Clactonien“ soll verdeutlicht werden, dass es sich um eine altpaläolithische Kultur handelt,<br />

in der Faustkeile zwar als Einzelformen vorkommen können, aber nicht prägnant sind. Das<br />

16


Altpaläolithikum verwendete im Untersuchungsgebiet Gerölle und Platten beliebig, während<br />

im Mittelpaläolithikum Gerölle (glattwandig, tief-braun patiniert) schwerpunktmäßig als<br />

Material verwendet wurden.<br />

Die Untergliederung in Alt- Mittel - Jung - Altpaläolithikum ist als eine erste<br />

Arbeitshypothese zu verstehen, wie anderswo dargelegt. Das Alte und Mittlere<br />

Altpaläolithikum wird heute mit dem <strong>Homo</strong> heidelbergensis verbunden ( Katerina Harvati, S.<br />

85). Das jüngere Altpaläolithikum ist in dieser vierten Fassung gegenüber den früheren einer<br />

Revision unterzogen worden, da ein großer Teil der ihm bisher zugewiesenen Zeitschiene<br />

nach den heute gültigen Maßstäben dem frühen Neandertaler in einem älteren<br />

Mittelpaläolithikum <strong>des</strong> auslaufenden Eem - Interglazials zugerechnet wird. Jede dieser drei<br />

Untergliederungen umfasst Hunderttausende von Jahren. Es wäre vermessen – selbst wenn<br />

man den „Altkulturen“ ein zähes Festhalten an Traditionen unterstellen würde – dass es<br />

innerhalb einer Epoche keine weitere Veränderungen in der Kulturausprägung gegeben hätte.<br />

In dieser vierten Fassung fällt die Untergliederung dort fort, wo zu wenig Material an einem<br />

Fundplatz vorliegt, um eine Differenzierung zu versuchen. In diesem Fall wird nur pauschal<br />

von Altpaläolithikum gesprochen und im Kapitel 8 statistisch gesondert ausgewiesen.<br />

Wie in meinem Untersuchungsgebiet in der Wüste von Luxor, Ägypten, sind keine<br />

überlagerte Begehungshorizonte in der Bunten Brekzie festzustellen. Stratigraphien mit der<br />

Möglichkeit von Datierungen gibt es nicht. Eine Probegrabung im mittelpaläolithischen<br />

Fundplatz Mündling 1 (Brünnsee) durch Reisch, Erlangen, erbrachte ebenfalls keine<br />

Stratigraphien. Das gleiche ist im oberen Nilbereich zu beobachten. In der Wüste um Luxor<br />

heben sich die von dem angereicherten Silex dunkleren Schichten der Bodenbildung - bis zu<br />

einem Meter mächtig - deutlich über dem sterilen hellen Kalkboden der reinen Wüste ab. Im<br />

Mündlinger Gebiet existiert oberflächig keine optisch deutliche Trennung zwischen der<br />

Schicht der dunkleren Bodenbildung mit möglichen Artefakten und einem darunter liegenden<br />

helleren sterilen Boden. Wo die oft dunkle Bunte Breckzie an der Oberfläche auftritt – der<br />

Bodenbildung ausgesetzt - setzt sie sich bis zur Pflugtiefe fort, wie oben ausgeführt. Hellere<br />

Oberflächen der Bunten Brekzie sind dominante Kalke oder weißlich zersetzter Granit. Wo<br />

ein heller – jurassischer - Kalkboden oberflächig dominant auftritt – ohne Beimengungen von<br />

Silex oder Granit, gibt es Artefakte nur als Einzelfunde.<br />

Bei dem Aushub von größeren Flächen beim Bau der Gaspipeline 2008, die sich quer durch<br />

das Untersuchungsgebiet gezogen hat, stieß man an einigen Stellen nach wenigen Zentimetern<br />

dunkler humoser Bodenbildung auf hellere silexlose Schichten, die der Bunten Brekzie<br />

entstammen, vielleicht ausgebleichter Keuper oder Granit, während das Jura fehlte.<br />

Spätglazial gebildete Lehmüberdeckungen könnten ältere Kulturschichten begraben haben.<br />

Aber bisher treten keine entsprechenden <strong>Funde</strong> auf. Wo Silex in Lehmböden auftritt, sind es<br />

Einzelfunde (zumeist perfekte Unikate <strong>des</strong> Neolithikums), oder durch die durch den<br />

Maisanbau beschleunigt wegerodierenden Lehmböden taucht der Silex der Bunten Brekzie<br />

auf wie westlich von Fünfstetten.<br />

Vertikale Abtragungen von ebenen Flächen ohne Neigung haben – wie in der Sahara bei<br />

Luxor – die ehemals höher gelagerten Schichten auf das aktuelle Niveau absinken lassen,<br />

was zur Vermischung verschiedener Kulturen auf der aktuelle Oberfläche geführt hat. Wenn<br />

wir von Living – Floors in diesem Zusammenhang sprechen, meinen wir nicht, dass die<br />

aktuelle Oberfläche auch die Begehungsfläche <strong>des</strong> Altpaläolithikums gewesen sei. Vielmehr<br />

hat sich in dem Fall einer ebenen Fläche der Artefakt-Niederschlag <strong>des</strong> Altpaläolithikums auf<br />

den heutigen Boden „durchgepaust“, wenn wir unterstellen, dass keine horizontale<br />

Verschiebungen stattgefunden haben. Dies trifft dann zu, wenn eine insulare zumeist<br />

kreisförmige Silex- und Artefaktkonzentration - eingrenzbar zu einer ansonsten Silex leeren<br />

17


Umgebung - vorliegt, und zudem sich die Artefakte vom Rande zum Zentrum der<br />

Silexkonzentration vermehren (Akkumulation). Trotz der starken Konturierung der<br />

Landschaft, von vielen Bächen durchzogen, sind dies keine Sonderfälle.<br />

Des Öfteren liegen Verlagerungen von Silex vor, die wahrscheinlich periglazial durch<br />

Solifluktion Hang abwärts verfrachtet worden sind. Dabei kann es zu Abrasionen der<br />

gesamten Kulturschicht gekommen sein, die – abwärts verfrachtet - zumeist in Mulden oder<br />

an Bachufern kumulieren. Solche „geologische Fallen“ simulieren Schlagplätze. Das<br />

gemeinsame Auftreten verschiedener Kulturen, auf der heutigen Oberfläche durchmischt,<br />

lässt sich in der Mündlinger Gegend in Einzelfällen beobachten und ist in dieser<br />

Untersuchung dokumentiert.<br />

Da die Stratigraphie zur Zeitbestimmung ausfällt, bleibt die formenkundliche Analyse sowie<br />

der technologischen Abbauprozess, speziell bezogen auf mittelpleistozäne Geröllindustrien.<br />

Dabei wird vor allem auf John McNabb, (The British Lower Palaeolithic 2007 ) Bezug<br />

genommen, der das Clactonien wieder als eigenständige Kultur neben dem Acheuléen<br />

postuliert. Des weiteren beziehe ich mich auf Joachim Hahn, Erkennen und Bestimmen von<br />

Stein- und Knochenartefakten, Tübingen 1993, auf John Wymer, Lower Palaeolithic<br />

Archaeology in Britain, Leif Steguweits Untersuchungen am mittelpleistozänen Flintinventar<br />

von Lübbow sowie Gebrauchsspuren an Artefakten der Hominidenfundstelle Bilzingsleben.<br />

Zur Klassifizierung von altpaläolithischen Artefakten greife ich auf L. Ramendo und andere<br />

zurück. Es werden verschiedene Aufsätze von Lutz Fiedler zum Altpaläolithikum wie Lutz<br />

Fiedler: Steingeräte eines urtümlichen Altpaläolithikum, Quartär 1993, S. 115 verwendet, der<br />

meines Erachtens eine „Renaissance“ im Wissenschaftsgetriebe angesichts der jüngeren<br />

Erkenntnisse zum Altpaläolithikum verdient hat. Zotz und Freunds klassische<br />

Untersuchungen der Kronacher Geröllindustrie werden ebenfalls hinzu gezogen, weil es sich<br />

hier nach meiner Meinung um den interessanten Übergang vom Jüngeren Acheuléen zum<br />

Älteren Mittelpaläolithikum handelt. Aktuelle Beiträge liefern Lothar Eißmann zu Alt- und<br />

mittelpaläolithische <strong>Funde</strong> Mitteldeutschlands sowie Clemens Pasda zur Steinrinne bei<br />

Bilzingsleben in den Berichten der Hugo Obermaier-Gesellschaft auf ihrer 52. Tagung in<br />

Leipzig 2010. Die Methoden von Richter und Weißmüller zur Sesselfelsgrotte sind<br />

neuerdings berücksichtigt worden. Das Internet liefert aktuelle interessante Publikationen wie<br />

Wikipedia (de.wikipedia.org) oder Nature, online. Im Übrigen wird auf die verwendete<br />

Literatur im Anhang verwiesen.<br />

6.2. Alles im Fluss: Der <strong>Homo</strong> heidelbergensis <strong>des</strong> Altpaläolithikums<br />

Die Artefakte der „Mündling-Kultur“ können erste Hinweise auf die ersten Menschen in<br />

Mitteleuropa geben. Wer waren die Menschen als Träger dieser Artefakte? Wir nannten ihn<br />

<strong>Homo</strong> erectus, der in dem heute aktuellen Hominidenstammbaum vom 1,7 bis 0,9 Millionen<br />

Jahren lebte (Jörg Orschiedt, Die Entstehung der Menschen, in: Vom Neandertaler zum<br />

modernen Menschen , hrsg. v. Nicholas J. Conard u. a. 2005). Allerdings betitelt Orschiedt<br />

diesen Stammbaum (S. 8) vielsagend mit „Alles ist im Fluss“. Man könnte auch sagen: Nichts<br />

genaues weiß man nicht. Die jüngeren Zeiträume, die früher der <strong>Homo</strong> erectus beanspruchte,<br />

wird dem <strong>Homo</strong> antecessor 0,9 – 0,6 und dem <strong>Homo</strong> heidelbergensis 0,6 – 0,3 Millionen<br />

Jahre zugeordnet, der in der aktuellen Archäologie als Übergangsform zu einem archaischen<br />

<strong>Homo</strong> sapiens verstanden wird.<br />

Wir werden an verschiedenen Stellen dieser Dokumentation immer wieder auf erhebliche<br />

analytische Probleme <strong>des</strong> Altpaläolithikums stoßen. Dies aus verschiedenen Gründen. Zum<br />

einen bietet das Altpaläolithikum viele ungelöste wissenschaftliche Grundsatzfragen, wie man<br />

am Beispiel <strong>des</strong> <strong>Homo</strong> heidelbergensis sieht. Oder wie ist das Jüngere Altpaläolithikum um<br />

18


Luxor - in meiner Homepage dokumentiert – mit dem jüngeren Acheuléen in Europa zu<br />

verbinden? Des Weiteren handelt es sich um Oberflächenfunde. Zusätzlich erschwert das<br />

lokale geologische Spezifikum der Bunten Brekzie eine Bestimmung für Artefakte, die ich<br />

dem älteren Teil <strong>des</strong> Altpaläolithikums zuordne. Sie sind von natürlichen Silices schwer zu<br />

unterscheiden.<br />

Dennoch wollen wir nicht vor Identifikationsproblemen kapitulieren: Nach meinen<br />

Beobachtungen ist nicht davon auszugehen, dass die Energie aus dem Impakt - Ereignis vor<br />

15 Millionen Jahren den singulären ausgewitterten Silex geformt hat – im Gegensatz zu den<br />

Schleifspuren, die die gleitend-rollenden Auswurfmassen auf den originären Kalkböden<br />

hinterlassen haben, die in Steinbrüchen <strong>des</strong> Untersuchungsraums freigelegt worden sind.<br />

Vielmehr dürften die Erosion in den letzten 14 Millionen Jahren, die Lösung <strong>des</strong> Silex von<br />

dem ihm umgebenden Kalk, die vertikalen wie horizontalen Verfrachtungen sowie die<br />

spaltenden Frostereignisse der verschiedenen Eiszeiten der letzten zwei Millionen Jahre auf<br />

die Formung (shaping) der Blancs (Rohkerne) dominierend eingegriffen haben. Allerdings<br />

sind die Abbauprodukte <strong>des</strong> Rohmaterials in den letzten 700 000 Jahren (MIS 17) durch den<br />

Menschen den Einflüssen verschiedener Eiszeiten und den Verlagerungen unterworfen<br />

worden. Eolithen und „Grauzonen“ erfordern eine besonders kritische Einstellung in der<br />

Beurteilung der Silices. Entscheidend ist dabei nicht nur die Beurteilung <strong>des</strong> einzelnen Silex,<br />

sondern auch das „Ensemble“ einer eingrenzbaren Fundstelle, in dem der singuläre Silex im<br />

Kollektiv mit anderen eingebettet ist. (Siehe weiter unten in der Einzelbesprechung von<br />

<strong>Funde</strong>n).<br />

Weiter erschwerend ist, dass wir es im Fundgebiet mit der postulierten Mündling-Kultur<br />

nicht mit einer gut definierbaren „Faustkeilkultur“ <strong>des</strong> Acheuléen oder „Levaloiskultur“ <strong>des</strong><br />

jüngeren Altpaläolithikums zu tun haben, wie in England (Wymer, McNabb) oder im<br />

jüngeren Acheuléen Afrikas um Luxor (Elvers, Homepage) oder im risszeitlichen<br />

Altpaläolithikum (Steguweit, Lüchow) mit einer Levallois-Technologie-Komponente.<br />

Vorherrschend sind „opportunistische“ Industrien mit wenig Levallois – Artefakten und<br />

Faustkeilen, wie es für das Clactonien beschrieben wird (Kapitel 8). Dennoch geben auch die<br />

raren Levalloisfunde Hinweise auf die Altersstellung.<br />

Dies gilt vor allem für den Zeitbereich eines „Mittleren Altpaläolithikums“. Wymer hatte in<br />

der Fundstelle Swanscombe, Barnfield, ein Clactonien unterhalb eines Mittleren Acheuléen<br />

diagnostiziert (Wymer, S. 288, 335). Ab 1979 stellte Milla Ohel die Hypothese auf,<br />

”Clactonian sites were merely preparatory areas where Acheulean knappers came to collect<br />

suitable raw material for roughing out handaxes” (cited by John McNabb, 293). Inzwischen<br />

stellt McNabb fest: “In recent years there has been a return to interpretations of the<br />

Clactonian that promote a purely cultural agenda” (McNabb, 302). Diese wird zeitlich<br />

korreliert mit der Tiefseechronologie MIS 11, Hoxnian, 427 ka. Noch älter, ins MIS 13, wird<br />

die Fundstelle Boxgrove gestellt. Mauer (<strong>Homo</strong> heidelbergensis) fällt ebenso ins MIS 12/13.<br />

Diese cromerzeitliche Warmphasen könnte man als Älteres Altpaläolithikum bezeichnen,<br />

wenn man die Begrifflichkeit von Müller-Beck übernehmen will.<br />

Mit der Rehabilitation eines englischen Clactonien ist noch nichts über ein Clactonien in<br />

Mitteleuropa ausgesagt – mangels überzeugender <strong>Funde</strong> bisher. Ich arbeite daran, dass die<br />

„Mündlinger Kultur“ als ein „erweitertes Clactonien“ in der Wissenschaft anerkannt wird.<br />

In den letzten Jahren hat sich in der Archäologie für das Mittlere Pleistozän als zuverlässigste<br />

absolute zeitliche Bestimmung der Abläufe von interglazialen - und glazialen Perioden die<br />

Sauerstoffisotopie der Tiefseesedimente durchgesetzt (Günther A. Wagner:<br />

Altersbestimmung von jungen Gesteinen und Artefakten, 1995, S. 243). Deutsche Abkürzung<br />

OIS, Englisch MIS für Marine Isotope Sequence. Allerdings stößt die Zuordnung der marinen<br />

Paläo-Klimazyklen (deep sea records) zu terrestische <strong>Funde</strong>n auf einige Schwierigkeiten. Im<br />

Fall von Mauer gelang es nach Wagner (S. 246) durch den kombinierten Einsatz von<br />

19


Paläontologie, Pollenanalyse, Pedostratigraphie, Paläomagnetismus, TL-, ESR- und<br />

Uranreihen Voraussetzungen für die Datierungen zu schaffen.<br />

Steguweit (Gebrauchsspuren, S. 29) hat die neuere Diskussion über Zuordnungen von<br />

Sauerstoffisotopenkurven zusammengetragen, was mit zusätzlichen Komplikationen<br />

verbunden ist. Ohne in eine inhaltliche Diskussion einzutreten, die mich überfordern müsste,<br />

steht aber fest: Allein auf Oberflächenfunden angewiesen – wie im Fall der Mündling-Kultur -<br />

ist eine engere Eingrenzung der Datierung wie im Fall der Sedimente von Mauer kaum<br />

möglich. Wir behelfen uns daher mit Annäherungswerten.<br />

6.2.1. Formenkundliche und technologische Definitionen für Geröllindustrien<br />

Auf dem Markt der archäologischen Wissenschaft liegen verschieden Angebote einer<br />

Klassifizierung für Geröllindustrien vor, die eine Vergleichbarkeit zwischen <strong>Funde</strong>n<br />

ermöglichen sollen. Dabei ergibt sich der Widerspruch, dass traditionelle formenkundliche<br />

Definitionen von Artefakte oft unscharfen, subjektiven Einschätzungen <strong>des</strong> einzelnen<br />

Begutachters unterliegen und dass das gleiche Fund-Objekt der Untersuchung zu<br />

unterschiedlichen statistischen Auswertungen führt. Aus Steguweits Untersuchungen über<br />

Gebrauchsspuren von mittelpleistozänen Artefakten (Bilzingsleben, Vértesszöllös, Bad<br />

Canstatt) ergibt sich der Eindruck, dass die formenkundlichen Ausprägungen (kassifizierte<br />

Profile z.B. von Bifazialen oder Abschlägen wie Schaber, Spitzen, u.s.w.) gegenüber ihrer<br />

faktischen Funktion <strong>des</strong> Kantengebrauchs – wie schneidend, schabend, kratzend - oft in<br />

keinem direkten Zusammenhang zu sehen sind. Auch <strong>des</strong>halb greift man zu statistischmathematisch<br />

verwertbaren Messgrößen zurück - um den Preis der komprehensiblen<br />

Anschaulichkeit.<br />

Eine solche statistisch relevante Auswertung setzt eine größere Materialhäufigkeit je<br />

Fundplatz voraus, die meine Fundplätze in der Regel nicht aufweisen. (Die Artefakte liegen in<br />

der Regel unter hundert). Ich konzentriere mich daher auf die traditionelle Formenkunde trotz<br />

ihrer methodischen Mängel und greife ab und zu auf die statistische Methode zurück.<br />

a) statistisch-mathematische Kategorien nach McNabb ( S. 317)<br />

Kernformen / Core shapes<br />

parallel/alternative/centripetal/random/mixed mit weiteren jeweiligen Unterteilungen<br />

Flaked pieces<br />

alternate/parallel flaking/single removals mit weiteren Unterteilungen<br />

Bifacially shaped pieces<br />

classic handaxes and cleavers/ rough-outs/non-classic-handaxes/chopping tools/<br />

Detached pieces - bi-products of knapping<br />

unretouched: chips/chunks/spalls<br />

retouched: unevenly ret. edges/ordinary notches, denticulated edges/irregular<br />

Bei McNapp fällt auf, das er sich an seinen ursprüngliche nüchtern statistische Vorgaben<br />

nicht hält und inhaltliche Begriffe wie „Faustkeil“ einbringt. Das relativ einfache<br />

Grundsystem weitet er zu einem komplizierten Framework aus, die Anschaulichkeit geht auf<br />

Kosten der größeren Unterteilungen verloren. Sein Anspruch, sein Framework über alles zu<br />

stülpen, steht im Widerspruch zur Variabilität <strong>des</strong> Altpaläolithikums.<br />

20


) statistisch-mathematische Klassifikation nach Ramendo<br />

0-Gespaltene Gerölle<br />

horizontal/schräg/längs zerlegt/Orangenschnitte<br />

1-Einseitig geschlagene Gerölle<br />

1 Negativ/mehr Negative/mit Spitze/konkave Arbeitskante<br />

2-Zweiseitig geschlagene Gerölle – 6 Unterteilungen darunter:<br />

26: mit Spitze Übergang zum Faustkeil<br />

3-In mehrere-Richtungen bearbeitetes Geröll, 4 Unterteilungen darunter:<br />

34: Polyeder mit umlaufenden Negativen<br />

4-Spezielle Arten<br />

Spitz zulaufen<strong>des</strong> Geröllgerät oder Pic<br />

Trieder<br />

c) Flussdiagramme aus plattig – knolligen Rohkernen nach Jan Weinig<br />

Jan Weinig hat eine Sequence Production Analysis in der Gegenüberstellung von plattigen zu<br />

knolligen Rohkernen als Flussdiagramme dargestellt. (Steinzeitliche Kulturen an Donau und<br />

Altmühl; 1989, 142 ff) Auch wenn er dies für einen neolithischen Fundplatz tätigt, hat er<br />

diese Gegenüberstellung auf eine prinzipielle Ebene gehoben, die für andere Kulturen<br />

zutreffen. Wir sind im ergänzenden Text auf der Homepage darauf näher eingegangen.<br />

Plattig und knollig sind das Prägende der sogenannten Geröllindustrie der Mündling-Kultur<br />

und daher von einer Gewichtigkeit, die eine Thematisierung verdient. Wegen dem Auftreten<br />

von Platten kann von einer „Geröllkultur“ im strengen Sinne nicht gesprochen werden. Es<br />

handelt sich bei den Geröllen nicht überwiegend um fluviale Ereignisse sondern – wie das<br />

gleichzeitige Auftreten von Silex-Platten aufzeigt, um nichtfluviale.<br />

d) komprehensible Klassifikation nach Produktformen (Zotz, Fiedler u.a.)<br />

Die komprehensible Klassifikation wird häufig in meinem Text bei der Beschreibung der<br />

einzelnen <strong>Funde</strong> verwendet. Zwar kenne ich die Kritik an dieser Methode, fühle mich aber<br />

überfordert, statistisch-mathematische Modelle einzuführen, auch weil es an genügendem<br />

Material pro Fundplatz fehlt. Abgesehen von solchen objektiven Gründen fehlt es mir bisher<br />

auch an Zeit, um einen solchen Aufwand zu betreiben. Diese Arbeit versteht sich als Anschub<br />

für eingehendere Untersuchungen. Generell lässt es sich sagen, dass es sich bei der Mündling-<br />

Kultur um eine makrolithische handelt im Gegensatz zum Beispiel zu Bilzingsleben. Fraglich<br />

bleibt, ob es sich dabei nicht um ein selektives Problem beim Aufsammeln handelt, weil<br />

mikrolithische Formen auf dem Boden schwerer erkannt werden. Weil mir dieses Problem<br />

beim Sammeln bewusst ist, achte ich besonders auf Kleinformatiges. Kleinformatige<br />

Artefakte weisen weniger markante artifizielle Ausprägungen auf, die ins Augen fallen.<br />

Möglich ist auch, dass in der Mündling-Kultur Großgeräte/wie plattige „Scherben“ oder<br />

Kernartige dominieren, weil ihre butching-places auf Schlachtvorgänge von Großsäugern<br />

konzentriert sind, wie Hiebgeräte (chopping-tools), Schneiden<strong>des</strong> (choppers, cleaver),<br />

gebuchtete Kanten usw.<br />

21


Chopper sind Gerölle, die einseitig zur Endform bearbeitet worden sind, um eine Arbeitskante<br />

mit der Rinde zu erzielen. Die Rinde (natürliche Oberfläche) dominiert flächig im Verhältnis<br />

zur bearbeiteten Fläche. Chopper treten sehr häufig auf.<br />

Chopping Tools sind Geräte aus Geröllen, die beidseitig bearbeitet worden sind, um eine –<br />

oder mehrere - Arbeitskanten zu erzielen. Die Rinde bedeckt nur noch einen kleineren Teil<br />

der Oberfläche. Sie treten häufig auf.<br />

Nichtklassische Cleaver (Spaltkeile)<br />

sind aus primären Trennabschlägen aus Geröllen entstanden. Im Gegensatz zu den englischen<br />

klassischen Cleaver weisen sie keine Flächen umfassende Retuschen auf. Die Trennfläche<br />

umfasst die gesamte Ventralfläche. Die Dorsalfläche kann total Rinden belassen sein, oder es<br />

greifen sekundäre Retuschen auf die Rinde über. Die durch den Abschlag entstandene Kante<br />

kann als Arbeitskante retuschiert sein. Diese kann eine „Hacken-“ oder Schaberfunktion<br />

haben. Cleaver können bei entsprechender symmetrischer Retuschen der Ventral- und<br />

Dorsalfläche den Übergang zu Protofaustkeilen darstellen.(Proto)-Faustkeile sind<br />

Spezialformen von bifazialen Geräten. Sie sind selten.<br />

Bei Spitzgeräten (Pics) ist die Intention auf die Bildung einer Spitze durch Kantenretusche<br />

gerichtet gewesen und weniger auf Schaberfunktion. Wenn der Spitze axial/proximal eine<br />

retuschierte Basis entspricht, spreche ich von einer – gewollten - Symmetrie. Die Übergänge<br />

zwischen den verschiedenen unterstellten Funktionen sind häufig fließend. Sie sind häufig bei<br />

Platten, seltener bei Geröllen.<br />

Hakenförmige bifaziale Geräte (Hooks)<br />

sind eine Spezialform von Spitzen durch die Retusche einer Kerbe an der Spitze. Sie treten<br />

um Mündling manchmal auf und können als ein Merkmal <strong>des</strong> Altpaläolithikums gelten. Sie<br />

können auch natürliche Ausbrüche sein. Die häufige Retusche an der Spitze spricht dagegen.<br />

Klassische Faustkeile,<br />

Protofaustkeile, nichtklassische Faustkeile sind nach Ramendo Spezialformen von Spitzen<br />

(2.6.26). Klassische Faustkeile sind die bifazial ästhetisch wohlgeformten<br />

doppelsymmetrischen Artefakte mit flächendeckender Feinretuschen und umlaufender Kante,<br />

wie sie im britischen Acheuléen auftreten und in Bayern als Unikate vorliegen. Ihr häufiges<br />

Auftreten ist das Kriterium, um das faustkeilführende Acheuléen vom Clactonien zu trennen.<br />

Sie sind bisher im Untersuchungsgebiet nicht gefunden worden (siehe Statistik Kapitel 9 und<br />

die Ergänzungen im Internet). Ob der sogenannte Mündlinger Faustkeil darunter fällt, muss<br />

noch näher untersucht werden.<br />

Protofaustkeile<br />

erfüllen in Größe, Profil (manchmal), Basis-Spitze-Symmetrie (oft) und manchmal auch mit<br />

umlaufender Kanten einige der Kriterien der klassischen Faustkeile. Was ihnen fehlt, ist die<br />

sorgfältige flächige Retuschierung, angeblich durch den weichen Schlag. Der Begriff<br />

Protofaustkeil - wie er auch bisher in der Detailbeschreibung einzelner Fundplätze verwendet<br />

wurde - ist etwas unglücklich, da er suggeriert, er sei der Vorläufer der klassischen Faustkeile,<br />

was unbewiesen ist. Sie sind nicht selten im Untersuchungsgebiet und sollten wegen ihrer<br />

Bedeutung im Fundmaterial einer gesonderten Untersuchung unterzogen werden. Neutraler ist<br />

der Begriff „Nichtklassischer Faustkeil“ nach McNabb (S. 330).<br />

Nichtklassische Faustkeile<br />

repräsentieren nach McNabb ein Minimum an Schmälerung (thinning) und Formung<br />

(shaping), oft nur auf einer Seite <strong>des</strong> Rohlings beschränkt. Sie haben wenig Ähnlichkeit mit<br />

22


den klassischen Faustkeilen. Der Mensch hat sich nicht um eine kontrollierte Profilierung<br />

(regularity on the outline) bemüht. Die Arbeit ist häufig auf die Ausgestaltung einer Seite <strong>des</strong><br />

Rohlings beschränkt. Sie kommen manchmal im englischen Clactonien und Acheuléen vor.<br />

Nach McNabb kann man ihre Existenz am besten damit erklären, dass der Mensch <strong>des</strong><br />

Mittleren Pleistozäns entsprechend seines sozialen Umfel<strong>des</strong> kompliziert und<br />

situationsbedingt flexibel (situationally flexible) war. Sie treten manchmal auf.<br />

Trieder sind Dreikant - Pics. Sie treten manchmal auf.<br />

Bei Uniface<br />

ist die gesamte Hälfte <strong>des</strong> Gerölls bearbeitet, als Spezialfall <strong>des</strong> Choppers. Im Gegensatz zum<br />

Cleaver handelt es sich nicht um einen Abschlag.<br />

Bei Biface ist das Geröll zweiseitig bearbeitet worden, um über zwei Seiten eine Arbeitskante<br />

zu erzielen.<br />

Segmente<br />

kommen oft im Untersuchungsgebiet vor. Es sind apfelsinenscheibenähnliche Artefakte, die<br />

aus einem Geröll scheibenweise erarbeitet worden sind. Der breitere Rücken-Teil eines<br />

Segments trägt noch den natürlichen Kortex, während die beidseitig konvergierenden<br />

Bearbeitungsflächen auf die Gestaltung einer dünnen Schneide als Arbeitskante ausgerichtet<br />

sind. Sie treten im Alt- aber auch in einem späten Mittelpaläolithikum auf wie in den E-<br />

Schichten der Sesselfelsgrotte. Dort sind Flussgerölle oft „zitronenschnitzförmig“ abgebaut,<br />

um einen natürlichen Rücken zu gewinnen (Utz Böhner, in Freund u.a.: Sesselfelsgrotte IV).<br />

Schaber<br />

nehmen in den meisten Kulturen - so auch in denen <strong>des</strong> Mittelpleistozäns - die häufigste<br />

Komponente ein. Im englischen Clactonien - aber auch im Acheuléen (MIS 11-9) - entfallen<br />

auf kantenretuschierte Schaber und modifizierte Schaber ( flaked flakes) die meisten<br />

Werkzeuge. Dies gilt auch für das Untersuchungsgebiet. Allerdings gemischt als Abschläge<br />

und bifazial. Sie sind mehr funktional als formenmäßig bestimmt. So haben viele Chopper<br />

Schaberfunktion.<br />

Rough-outs<br />

fehlen nach McNabb (329) jegliche Art einer Kategorisierung. Sie sind Ausdruck der<br />

situationsbedingten Flexibilität <strong>des</strong> Menschen <strong>des</strong> Mittelpleistozäns wie die nichtklassischen<br />

Faustkeile. Sie treten in den Detailbeschreibungen auf, sind aber bisher nicht als Rough-outs<br />

benannt.<br />

Levallois-Technologie<br />

zur Erzeugung von kontrollierten Schabern tritt im Altpaläolithikum selten auf, dient aber mit<br />

zur Trennung zwischen Mittel- und Altpaläolithikum und zur Untergliederung zwischen Jungund<br />

Mittleren Alpaläolithikum. Die Technologie lässt sich an entsprechenden Kernen und den<br />

kontrollierten Abschlägen markieren. Mit der Levallois-Technologie haben wir den Übergang<br />

von der Formenkunde zur Technologie.<br />

6.2.2. Sequence Reduction Analysis (Abbau-Technologien - Transformationsprozesse)<br />

Erst im September 2007, nachdem genügend Material vor allem im Wörnitz – Komplex<br />

(Mündling 0-Serie) vorlag, begann ich mit ersten Analysen der Abbauprozesse bei Geröllen<br />

23


und den Schlagtechnologien, die ich zum momentanen Zeitpunkt nur <strong>des</strong>kriptiv darstellen<br />

kann ohne eine statistische Auswertung. (In den „Ergänzungen“ im Internet sind weitere<br />

Ausführungen vorhanden). Bei den Geröllen der Bunten Brekzie dürfte es sich nicht<br />

überwiegend um wasserverfrachtete (fluviatile) Gerölle aus Terrassen sondern um<br />

Auswitterungen von Silexknollen, Fladen oder Platten aus dem Jura der Auswurfmasse<br />

handeln. Als Argumente können folgende Punkte dienen: Die Knollen sind mit ausgewitterten<br />

Platten verschwistert. Die nördliche tertiäre Klifflinie der oberen Meeresmolasse zerteilt auf<br />

der Höhe von Brünnsee mein Fundgebiet in einen nördlichen - unberührten - und in einen<br />

südlichen Teil. Im südlichen Teil treten aber die gleichen Knollenformen in vergleichbarer<br />

Menge auf, so dass ein Einfluss auf das Knollenmaterial nicht erkennbar ist.<br />

Gerölle können als natürliche Vorformen von Kernen (blancs) bezeichnet werden.<br />

In der mittelpleistozänen Mündling - Kultur werden entweder direkt Gerölle in einem<br />

(primären) oder in zwei (sekundären) und mehr kontrollierten Arbeitsschritten über Kerne zu<br />

Endgeräten hergestellt. Weiterhin ist die Amboss – Technologie präsent (Kapitel 9). Ebenso<br />

tritt eine zufällige (randome) „Zertrümmerungstechnik“ auf, begleitet von Absplissen (chips)<br />

und klobigen Silexbrocken (chunks). Aus einem Geröll wird in der Regel ein<br />

opportunistischer Kern erzeugt (Steguweit), der zur Weiterverarbeitung von Abschlägen<br />

dient. Selten sind derartige Kerne als „Proto – Levallois - Kerne anzusprechen.<br />

Klingennegative an Kernpräparierungen oder bei Abschlägen fehlen fast ganz.<br />

Es treten verschiedene Zerteilungsprozesse in der mittelpleistozänen Geröllindustrie der<br />

Mündling-Kultur bei Abschlägen und Bifazialen (oder Multifazialen) auf:<br />

6.2.2.1. Abschläge<br />

1. Aus hergestellten – opportunistischen – Kernen werden Zweiseiter oder kontrollierte<br />

Abschläge durch den direkten harten „Clactonienschlag aus der Hand“ hergestellt, viele<br />

davon mit ausgeprägten Bulben (u.a. Mündling 01/03/04). Es kann aber auch der flächige<br />

weiche Abschlag auftreten mit einer flächigen Trennkante ohne Bulben.<br />

2. Zertrümmerungstechnologie durch Werfen von Geröllen mit großer Kraft vertikal gegen<br />

einen Amboss-Stein, was zufällig einige geeignete Grundformen für Modifikationen ohne<br />

Bulben liefern. Kernreste entstehen nicht, dafür eine erhebliche Menge an Chips (Splittern)<br />

und Chunks (Klötze), die von Trümmern im Einzelfall nicht zu unterscheiden sind, vielleicht<br />

aber im Ensemble. Es wäre eine reizende aber arbeitsaufwändige Aufgabe, sie aus den<br />

Fundplätzen herauszufiltern. Im Altpaläolithikum könnten die scharfen Splitter das<br />

eigentliche Ziel der Zertrümmerung sein.<br />

3. Schlag mit einem Schlagstein auf einen Kern, der als Widerlager auf einem flachen<br />

Amboss liegt. Es entstehen keine Bulben, der Amboss weist in der Mitte flache Vertiefungen<br />

auf.<br />

3. Schlag mit der Geröllkante auf einen keilförmigen Amboss. Der Silex wird auf einen<br />

keilförmigen Amboss mit Grat gelegt, und es wird von oben mit einem Schlagstein auf den<br />

Silex eingeschlagen. Diese im Gegensatz zu 3. kontrollierte Ambosstechnologie gibt es auch<br />

im Jungpaläolithikum bei Quarzgeröllen (Gerhard Bosinski et. al. Zwei Schlagimpulse wirken<br />

gegenläufig auf den Silex, der vom Amboss reflektierte sowie der Impuls <strong>des</strong> Schlagsteins.<br />

Die gegenläufigen Impulse überlagern sich im Gestein. Zumeist entsteht kein Bulbus. Die<br />

entstandene ventrale Spaltfläche ist annähernd horizontal. Nach Bosinski (S. 39) entstehen an<br />

beiden Enden <strong>des</strong> Artefakts eher Aussplitterungen als Schlagflächenreste. Auch hier wäre es<br />

lohnend, das vorhandene Material nach dieser Technologie genauer zu prüfen.<br />

24


4. Schlag mit einem Schlagstein und Zwischenstück auf einen Kern, der auf einem Amboss<br />

liegt. Das Zwischenstück oder Punch erlaubt einen gezielten Schlag. (Dazu mehr im Kapitel<br />

9). Es entstehen keine Bulben.<br />

5. Ein Spezialfall der Clactonien-Industrie ist „thinning in marginal mode“ (McNabb, S. 308).<br />

Auf das – distale - Ende eines langgestreckten Kerns erfolgt ein weicher (?) Hammer-Schlag,<br />

der einen länglichen Splitter abspant. Die sich abschwächende Energie, die durch das<br />

Werkstück läuft, wölbt sich auf und formt das Werkstück zu einer Spitze mit einem<br />

proximalen dickeren Griffende (Wörnitz 17b, Mündling 03, im folgenden Text abgebildet<br />

und Internet, Flag Deutschland).<br />

Weil im Verhältnis zur Gesamtmenge eines Ensembles relativ wenige Bulbusabschläge<br />

vorliegen, von denen viele zudem in der Modifikation eines Artefakts als kleinere<br />

Retuschierreste zu werten sind, könnte geschlossen werden, dass die Fälle 2, 3 und<br />

4 dominieren. Dem wird so sein, aber es gibt auch Kernreste mit negativen<br />

Bulbeneinbuchtungen. Dass Altpaläolithikum zeichnet sich dadurch aus, (u.a. Mündling<br />

01/03/04, Wörnitz 17), dass auf einem Platz verschiedene Schlagtechniken verwendet worden<br />

sind. Theoretisch lässt sich eine Strategie dahinter vermuten. Für das Große, Grobe wäre der<br />

harte, kräftige Clactonien-Schlag zuständig, für das Feine der weiche Schlag, eventuell auch<br />

die Ambosstechnologie mit kleineren Schlägel. Wann aber die randome Chipserzeugung zum<br />

Zuge kam, bleibt ungewiss.<br />

Kugelförmige Gerölle bedürfen zur Weiterverarbeitung zuerst der Spaltung (direkter Schlag<br />

oder Ambosstechnologie). Soweit sie im Inneren einen Hohlraum mit Quarzbildungen<br />

aufweisen – was nicht selten ist - dürfte die Schlagdynamik entlang derartiger<br />

Schwächezonen verlaufen, oder es handelt sich von vorneherein um Naturprodukte.<br />

Wenn längs- oder quergespaltene Gerölle (Ramendo) eine einzige Bearbeitungsstufe<br />

aufweisen, liegt der theoretisch einfachste Fall vor. Eine klare Trennung zu Naturprodukten<br />

ist dann möglich, falls sie eine Schlagplattform (Schlagflächenrest) aufweisen, von der aus die<br />

intentielle Trennungsdynamik durch das Geröll gelaufen ist oder im Fall der kontrollierten<br />

Ambosstechnologie zwei gegensätzliche Aussplitterungen aufweisen (siehe Fall 4). Das<br />

Vorhandensein einer Schlagfläche, von der die Schlagenergie durch das lithische Material<br />

verläuft, ist also ein wesentliches Merkmal zur Bestimmung eines Artefakts im Gegensatz<br />

zum Naturprodukt.<br />

Schon aus der Logik der Zerlegung eines Gerölls ergeben sich zwei notwendige Schritte:<br />

Bipolares Abtrennen der Geröllkappe oder annähernd mittiges Durchschlagen <strong>des</strong> Gerölls<br />

(Wörnitz 17-Komplex). Weiterverarbeitung <strong>des</strong> gekappten oder durchgeschlagenen Gerölls<br />

durch direkte unipolare Gewinnung von Abschlägen. Öfters tritt auch die bipolare Gewinnung<br />

von (Kern-) Scheiben auf. Ob in einem dritten Schritt eine weitere uni- oder bipolare<br />

Zerlegung stattfindet, hängt nach meinen Beobachtungen von der Größe <strong>des</strong> Fundplatzes ab.<br />

Ob eine weitere Vertiefung <strong>des</strong> Abbauprozesses zudem von den unterschiedlichen Epochen<br />

abhängt, bedarf der Untersuchung (Angesichts der riesigen Zeitphasen ist der Begriff<br />

„Epoche“ berechtigt). Ab dem Mittleren Altpaläolithikum häufen sich die <strong>Funde</strong> für<br />

Modifikationen für Segmente mit zur Arbeitskante konvergierenden Seiten.<br />

Oder in der Sprache von McNabb: Eine differenzierte - tertiäre - kontrollierte Abbautechnik<br />

liegt vor, wenn der erste Abschlag als Basis für weitere sekundäre Abschläge dient. Diese<br />

Abschläge schaffen eine Schlagbasis für eine weitere tertiäre Verarbeitung zur Endform. Für<br />

McNabb ist dies ein Spezifikum <strong>des</strong> alternativen Schlages <strong>des</strong> Altpaläolithikums (alternate<br />

flaking S. 321).<br />

25


Parallel flaking, was für McNabb eine große Rolle spielt (S. 323), kommt in meinen <strong>Funde</strong>n<br />

seltener vor. Dies trägt zum Eindruck bei, dass die Mündling-Kultur insgesamt einen groberen<br />

(crude) Eindruck macht, als das publizierte englische Material, mit einigen Ausnahmen wie<br />

Kent s Cavern (McNabb 123). Die natürliche Form der Knollen scheint eine Rolle bei der<br />

zukünftigen Form zu spielen, um den Aufwand an Arbeit bis zur gewünschten Form zu<br />

verringern. (Minimalprinzip, Produktivitätsgesichtspunkt). Für die häufig vorkommenden<br />

Ovale blancs eignen sich für Schaberformen, sackförmige oder längliche für Kratzer mit Stiel<br />

und globular-amorphe Kerne für Mehrfunktionalität.<br />

Bearbeitete Kerne sind im Untersuchungsgebiet oft amorph, d.h. sie weisen auf dem ersten<br />

Blick keine planmäßig kontrollierten Schlagformen auf. Ausnahmen sind Proto - Levallois –<br />

Kerne, die von mir ins Mittlere Altpaläolithikum (MIS 9/11) gestellt werden.<br />

Beim Werfen von Geröllen (Fall 3, Hahn 76) wird auf einen kontrollierten Abbau verzichtet.<br />

Die zufällig entstandenen sekundären Teile werden sodann auf ihre Brauchbarkeit für eine<br />

weitere Verarbeitung geprüft. Aus Zufall wird Methode. Nichtartifiziell erscheinende<br />

Trümmer sind Ergebnis eines Abbauprozesses. Dieses ist auch eine im weiteren Sinn<br />

kontrollierte Abschlagstechnik, weil aus ihr randome Trümmer und Splitter entstehen, die<br />

wahrscheinlich vor Ort die höchste Schärfe zum Zerlegen von Tieren aufweisen. Die Grenzen<br />

zwischen Trümmer und Artefakt verschwinden und nur Ensemble-Kriterien helfen hier<br />

weiter.<br />

Weisen die negativen Kernpräparationsflächen getrennte verschiedene Richtungen auf, liegen<br />

unterschiedliche Vorgänge <strong>des</strong> Kernabbaus durch den direkten Schlag aus verschiedenen<br />

Richtungen vor. Dieses random flaking (McNabb), das scheinbar zufällig über die Fläche<br />

wandert, ist zum Beispiel bei einem Großkern in Mündlung 03 zu beobachten,<br />

Oder es kommt auf eine spezifische Ausformung <strong>des</strong> Kernes an (uni – bipolar – Levallois,<br />

manchmal auch zentripetal), um durch weitere Abschläge die erwünschte Endform zu<br />

erreichen. Bei manchmal auftretenden zentripetalen Abschlagstechniken rundum vom Rand<br />

her treffen dorsal in der Mitte <strong>des</strong> Objekts die auslaufenden Schlagbahnen zusammen und<br />

bilden eine Spitze oder falls sie sich nicht treffen eine winziges Plateau. Das Ziel ist wohl,<br />

einen Rundschaber mit Handgriff zu erzeugen.<br />

6.2.2.2. Olduwai – Tradition – Unterschiede Alt- Mittelpaläolithikum<br />

Chopper – Chopping Tools – Uni- Bi- Multifaziale – kernartige Geräte - Protofaustkeile<br />

Chopper, Chopping – Tools, sogar Segmente treten auch im Mittelpaläolithikum auf<br />

(Kronach, Sesselfelsgrotte). Mit Ausnahme von Mündling 03 gibt es in den Fundstellen <strong>des</strong><br />

Mündling – Komplexes keine Verbindung zum Mittelpaläolithikum wie Breitklingen,<br />

klassische Faustkeile, ausgefeilte Levallois-Technologie und andere modifizierte<br />

Kerntechnologien.<br />

Im Untersuchungsgebiet bevorzugt der Altpaläolithiker die uni- (Chopper) und bifaziale<br />

(Chopping Tools) Geröllverarbeitung mit wenigen Verarbeitungstiefen. Fladenförmige oder<br />

ovale „handliche“ Gerölle sind oft zu einfachen Chopper oder Chopping-Tools hergerichtet<br />

worden, die für diesen Zweck wahrscheinlich gezielt aufgesammelt worden sind. Am besten<br />

durch die Amboss-Technologie mit dem Ansatz an dem „natürlichen“ Distal- oder<br />

Proximalende von Naturgeröllen lassen sich einerseits Abschläge andererseits Arbeitskanten<br />

an den Kernen erstellen. Nach einer primären Bearbeitung weisen diese manchmal Retuschen<br />

auf, die vom Gebrauch herrühren könnten (Steguweit, Gebrauchsspuren).<br />

26


Menschheitsgeschichtlich stehen derartige Artefakte in der Tradition der Stufe (Bed) IV der<br />

alten Steinwerkzeuge <strong>des</strong> <strong>Homo</strong> erectus aus der Olduvai – Schlucht, einem Teil <strong>des</strong> hier Rift<br />

Valley genannten Ostafrikanischen Grabenbruchs. Das „Out of Africa“ erfolgte wohl in<br />

mehreren Wellen, und die erste Besiedlung Süd- und Mitteleuropas könnte die jüngste<br />

altpaläolithische aus Afrika gewesen sein.<br />

Oft wird mit wenigen Schlägen die gewünschte Form erzielt, manchmal reicht eine<br />

Bearbeitungsstufe, um dem Artefakt die gewünschte Form zu geben. Unretuschierte Formen<br />

sind für McNabb ein wichtiger Bestandteil der Clactonien Kultur (G1 - G5 S. 320). Bei der<br />

Beurteilung von Artefakten entscheidet die Beantwortung nach dem Grund <strong>des</strong> letzten<br />

Abschlags über die Beurteilung ob Halbfabrikat oder Endprodukt. Bei dem vorliegenden<br />

kruden Material ist dies schwer zu entscheiden. Wenn die Altmenschen die Bunte Breckzie<br />

als einen Steinbruch ansahen, wo sie reichlich das gewünschte Rohmaterial vorfanden,<br />

könnten sie die besseren Stücke mit genommen und die nicht geeigneten Halbfabrikate zurück<br />

gelassen haben. In diesem Fall der negativen Auslese wären die zu Hunderten vorliegenden<br />

bifaziale Formen ausschließlich auf Halden liegender Abfall und die unbekannten<br />

Endprodukte wären zu perfekten Geräten gestaltet, die vielleicht in ein mittelpaläolithisches<br />

Micoquien (Sesselfelsgrotte) hinein reichten. Davon ist nicht auszugehen. Nicht nur dass es<br />

Geräte gibt, die formalkundlich ein hohes Alter begründen. Es müsste bei der Herstellung von<br />

Zweiseitern <strong>des</strong> Mittelpaläolithikums auch solche Artefakte geben, die bei der Endherstellung<br />

zerbrachen und als unbrauchbar weggeworfen worden sind. Nur im Mittelpaläolithikum<br />

(Mündling 108) tauchen solche zerbrochene ausgearbeitete Endprodukte auf. Dieses<br />

Mittelpaläolithikum bevorzugte aber als Rohmaterialien rotbraune oder gelbe Knollen mit<br />

glatter Oberfläche und einer dünnen Patina, die einen wesentlich „frischeren“ Eindruck<br />

vermitteln.<br />

McNabb (320) hat sich um die Rough-outs, Chips, Chunks, die broken hard hammer flakes<br />

und debitages gekümmert, die notwendiges Beiwerk <strong>des</strong> Produktionsprozesses sind. Bei<br />

Oberflächenfunden stößt man hier auf Grenzen. Chips sind Silexfragmente unter 2 cm Länge.<br />

Es ist unmöglich, sie von Trümmern zu unterscheiden. Während McNabb beklagt, dass bei<br />

den vielfältigen Umlagerungen der altpaläolithischen <strong>Funde</strong> Chips leicht durch Wasser<br />

fortgeschwemmt werden, trifft dies auf die Bunte Breckzie nicht unbedingt zu. Chunks sind<br />

gröbere Klötze aus Kernen, die nicht weiter verarbeitet worden sind. Sie könnten auch als<br />

Ambosse oder wie in der ägyptischen Wüste als Sitzsteine verwendet worden sein (Homepage<br />

flag Ägypten).<br />

Es kommen im Untersuchungsgebiet große schwere kernartige Werkzeuge mit Arbeitskanten<br />

vor, die allseitig zugerichtet worden sind - Kennzeichen für das britische Clactonien nach<br />

McNabb. Schließen wir die Möglichkeit von Ambossen aus, könnte es sich um Werkzeuge<br />

zum Zerschlagen von Knochen handeln („Knochenbrecher“).<br />

Große Kerne wurden gespalten. Der größere Teil wurde an unbekannten Orten weiter<br />

verarbeitet. Für den vorgefundenen kleineren „Restkern“ wurde eine geeignete Arbeitskante<br />

beidseitig retuschiert. Aus einem Abschlag wird ein Zweiseiter. Die in der Archäologie oft<br />

ausgearbeitete Gegensätzlichkeit von Formen vermischt sich im Abbau-Prozess.<br />

Die Verarbeitung von Kernartigem zu Hau- oder Schaber-Geräten ist auch für Wymer<br />

charakteristisch für das Englische Clactonien (Wymer, S. 37). Er spricht von chopper-core<br />

(type A) oder Bi-conical chopper-core (type B). Aus solchen Kernartigen könnten die Protohandaxes<br />

(type C) entstanden sein (Wymer, S. 38), die auch im Mündling-Komplex<br />

vorkommen.<br />

Ohne eine statistische Auswertung bieten zu können, ist die bifaziale oder kernartige<br />

Methodik für „Endprodukte“ auf Schlagplätzen oft vorherrschend gegenüber Abschlägen.<br />

27


Die Plausibilität spricht dafür, dass je undifferenzierter die Abbautechnologie ist, <strong>des</strong>to ältere<br />

Perioden der Menschheit kommen in Frage. Dahinter steht die Idee, dass sich in der<br />

Schlagtechnologie auch die evolutionäre Ausformung <strong>des</strong> Gehirns widerspiegelt, wie sie z.B.<br />

durch die materialistische Dialektik <strong>des</strong> Marxismus (Engels) für die Entwicklung der<br />

Menschheit formuliert worden ist. In Kuba ist eine solche Interpretation auf marxistischer<br />

Basis für jüngere Indianerkulturen der Karibik von dem renommiertesten Archäologen Kubas,<br />

José Guarsch, versucht worden. Der Archäologe Villavicencio aus Sagua La Grande hat seine<br />

Doktorarbeit an der philosophischen Fakultät von Havanna über dieses Thema abgelegt, nach<br />

einem Stipendiat in Deutschland. Dieser marxistischen Interpretation ist - nach dem Fall der<br />

Berliner Mauer - ein gewisser Heroismus zu eigen, was aber wissenschaftlich nicht gegen sie<br />

spricht.<br />

Der Fortschritt der Menschheit, dargestellt in seinen Werkzeugen, mag über längere Perioden<br />

ein Gesetz sein. In der Abfolge einer Kultur auf die andere muss diese Regel nicht gelten.<br />

McNabb weist darauf hin, dass die sehr alte (cromerzeitliche) Fundstelle in Europa, Boxgrove<br />

(MIS 13) , mit ihren „thin, ovate, refind, symmatrical handaxes“ (S. 300) eine – zumin<strong>des</strong>t<br />

ästhetisch – höhere Entwicklungsstufe darstellt als das spätere Clactonien von MIS 11.<br />

Nature, Online meldet im Juli 2010 den ältesten Menschheitsfund in England vor 800 000<br />

Jahren mit einer ausgeklügelten Abschlagstechnologie. Aber vielleicht ermisst sich der<br />

Fortschritt nicht an der formenkundlichen Ästhetik sondern an der Produktivität eines<br />

Werkstücks, also an dem Verhältnis zwischen der Arbeitszeit zu seiner Herstellung und seiner<br />

Brauchbarkeit (Effektivität), losgelöst von der äußeren Formgebung, wie dies die<br />

Untersuchungen von Steguweit zu den mittelpleistozänen Gebrauchsspuren nahe legen.<br />

6.2.3. Sonstige Artefakt-Merkmale der mittelpleistozänen Mündlinger Kultur<br />

Intentionale Naturscherben aus Platten durch Längsspaltung<br />

In den Schlagplätzen mit klar erkennbaren Artefakten verbreitet sind 1 bis 2 cm dicke, flache,<br />

einseitig mit Naturrinde ausgestattete sehr stark patinierte „Naturscherben aus Platten“, deren<br />

Kanten steil retuschiert erscheinen (z.B. Mündling 02, 03 u.a.). Steile Kantenretuschen<br />

werden von Wymer als nicht artifiziell (natural crushing, S. 14) bezeichnet. Aber auch wenn<br />

wir steile Kantenformen als nichtartifiziell bezeichnen - wozu viele Kanten von Glasscherben<br />

sprechen, die ich für meine Sammlung mit aufgesammelt habe - können solche Scherben<br />

intentionale Einflüsse in ihren Retuschen im dorsalen Rindenteil tragen. Im Fundkatalog<br />

aufgenommene Naturscherben weisen oft dorsal flächige Retuschen auf, während ventral ein<br />

glatter unretuschierter Bruch vorliegt, der diesen Teil von dem anderen Teil einer Platte<br />

trennte. Bei den reinen Naturscherben fehlen diese Eigenschaften. Wir verweisen auf den<br />

ergänzenden Text im Internet, wo unter Bezugnahme auf Eric Boeda bei der Behandlung <strong>des</strong><br />

Micoquien der Kulna-Höhle dargestellt wird, dass plan-konvexe Überformungen von<br />

Bifazialen – worum es sich bei vielen Platten handelt – günstige Kanten aufweisen, auf denen<br />

Retuschen flexibel angewandt werden können. Zudem scheinen solche Kanten eine größere<br />

Stabilität aufzuweisen als bi-konvexe.<br />

Die Negative der Retuschen auf der Rindenseite und die Bruchseiten sind oft gleich patiniert.<br />

Es kommt aber auch vor, dass die Bruchseite eine dünnere (jüngere?) Patinierung tragen.<br />

Auch wenn es an eindeutigen Unterscheidungskriterien zwischen Natur und Kultur fehlt, sind<br />

einige in die Sammlung aufgenommen worden, die unter dem generellen Vorbehalt der<br />

Grauzone zu sehen sind. Vollständige Platten, auf die weiter unten Bezug genommen wird,<br />

sind im Gegensatz zu Naturscherben in ihrer Form aus der Kalkumbettung ausgelöst worden<br />

und beidseitig mit einer gleichen, zumeist dicken Rinde bedeckt.<br />

28


Es ist anzunehmen, dass flache intentionale Naturscherben durch Frostbruch an Platten<br />

entstanden sind und der Bruch Schwächezonen im Gestein folgt, parallel zur Naturrinde - und<br />

parallel zur verloren gegangenen anderen Plattenseite. Die Ursache für die Spaltung der Platte<br />

kann aber auch ein intentionaler Schlag gewesen sein. Wir wissen auch von Geröllen, dass die<br />

Rinde dem nahen Gesteinsinneren eine gewissen Zähigkeit bot, die mit der Tiefe <strong>des</strong> Gesteins<br />

verloren geht. Eine Energiewelle folgt dem geringsten Widerstand. In einer Platte wäre dies<br />

seine Mitte.<br />

Die dicke raue Patinierung auf Retuschen dorsalseitig sowie die Kantenverschliffenheit<br />

weisen auf den Durchgang durch mehrere unterschiedliche Klima-Perioden hin.<br />

„Naturscherben“ können vielleicht auch dadurch entstanden sein, dass der frühe Mensch aus<br />

den Silextrümmern, die er aus der Trümmertechnologie zufällig gewann, die für seinen<br />

Formwillen geeigneten aussuchte und retuschierte.<br />

Pick-Technik<br />

Im Untersuchungsgebiet verbreitet ist die so genannte Pick-Technik. Der Schlagstein wird<br />

senkrecht auf die Oberfläche <strong>des</strong> Gerölls geschlagen. Es kommt zu nebeneinander gesetzten<br />

flächigen Abarbeitungen (Beispiel Mündling 159). Im Auftreffbereich wird die kristalline<br />

Struktur <strong>des</strong> Rohstückes in kleinste Partikel aufgelöst (J. Weiner, S. 203). Körniges<br />

Granitgestein scheint bevorzugt worden zu sein, weil es die Auflösung erleichtert..<br />

Levallois-Technologie<br />

kann ebenfalls schon im jüngeren und auch im mittleren Altpaläolithikum zur Anwendung<br />

kommen. Wir unterscheiden zwischen einer Proto- und einer ausgereifteren<br />

Levalloistechnologie. Im Untersuchungsgebiet liegen für das Altpaläolithikum nur wenige<br />

Fundstellen in Levallois – Technologie vor. Sie werden im Kapitel 8 und in den Ergänzungen<br />

(Flag Deutschland) behandelt.<br />

Schlagsteine <strong>des</strong> Altpaläolithikums<br />

Während Arbeitsflächen von Schlagsteinen in späteren Perioden punktförmige oder<br />

grübchenförmige Narben über große Flächen verteilt aufweisen - der Schlagstein also<br />

während der Arbeit gedreht wurde, um durch eine gleichförmige Oberfläche einen<br />

kontrollierten Schlag zu ermöglichen - sind in den altpaläolithischen Fundplätzen bläuliche<br />

Gerölle vorhanden, die flächige aber begrenzte Ausbuchtungen und Ausbrechungen<br />

aufweisen, weil wiederholend auf eine Seite - oft auf der natürlichen Distalseite <strong>des</strong><br />

länglichen Gerölls - geklopft wurde (Beispiele Wörnitz 2, 5 sowie Nußbühl 23, im Internet<br />

abgebildet, sowie Kapitel 9). Dabei kam es öfters zu einer Zerklüftung der Schlagseite <strong>des</strong><br />

Gerölls zu kleinen „Höcker“. Bei dieser einseitigen – unilateralen - Schlagtechnologie fällt es<br />

schwer, Schlagsteine nach den üblichen Kriterien jüngerer Perioden zu identifizieren.<br />

Die Verwendung einer unilateralen Schlagtechnologie <strong>des</strong> erweiterten Clactonien <strong>des</strong> <strong>Homo</strong><br />

heidelbergensis“ ist unpraktisch bei der Herstellung von Werkzeugen beim direkten Schlag.<br />

Eine zerklüftete breite Aufschlagfläche <strong>des</strong> Schlagsteins nimmt dem Schläger die<br />

Möglichkeit, einen gezielten „Punkt“ - Schlag auf den Kern auszuüben, um eine kontrollierte<br />

Trennungsfläche zu erhalten oder eine Kante zu treffen. Wahrscheinlicher ist die Verwendung<br />

von spitzen Schlagsteinen oder Zwischenstücken, die die halbmondförmigen in der Rinde<br />

steckengebliebenen leicht schräg (oblique) geführten Einschläge erklären. Im Kapitel 9 ist die<br />

Möglichkeit dargestellt, dass beim Einsatz der Ambosstechnologie mit Zwischenstück diese<br />

unilaterale Schlagtechnologie angewendet werden konnte.<br />

Ein so genannter „weicher“ Schlag mit einem organischen Schlägel kann dann vorliegen,<br />

wenn eine breitere Aufschlagfläche vorhanden ist. Für McNabb ist der harte Schlag<br />

bezeichnend für das Clactonien, der weiche für die Faustkeilkulturen. Dieser Unterscheidung<br />

29


kann ich nicht folgen, da in meinen <strong>Funde</strong>n beide Schlagtechnologien angewandt worden<br />

sind, wenn auch der harte Schlag bevorzugt wurde.<br />

Zwei Schlagpunkte mit kleinen Schlagkegeln können auf der gleichen Kante dicht neben<br />

einander liegen. In diesem Fall misslang der erste Schlag und blieb als Konus im Kern<br />

stecken. Durch den zweiten – erfolgreichen - Trennschlag wurde der Konus freigelegt.<br />

Wie bei der Behandlung von Schlagsteinen schon ausgeführt, finden auf den Kortex-<br />

Oberflächen von Abschlägen sich nicht selten halbmond- napfförmige Eindrücke, die durch<br />

einen harten Schlag eines spitzen Schlagsteins (Abbildung in Kapitel 9) zumeist fast<br />

senkrecht auf den Vorgänger <strong>des</strong> Abschlags - seines Kernes - erfolgten und im Silexkörper<br />

stecken blieben. Zwei Interpretationen sind möglich. Entweder handelte es sich um<br />

Klopfproben, um den Widerstand, den der Kern bot, auszuloten, um das Maß für die nötige<br />

Schlagkraft für den Silex zu „eichen“. Für diese Vermutung spricht, dass die Probeimpakte<br />

über die Fläche <strong>des</strong> Silex manchmal willkürlich verteilt sind. Die oberflächigen Kerne – lange<br />

Zeit den Natureinflüssen ausgesetzt – boten keine „genormte homogene Härte“ sondern<br />

wiesen individuelle Variationen auf. Oder es handelt sich um Fehlschläge, zu schwach um<br />

den Kern zu spalten. Ein kräftigerer Einsatz führte sodann zu dem gewünschten Trennschlag.<br />

Ambosse<br />

Große dicke schwere Platten aus Silex weisen manchmal in der Mitte Zersplitterungen auf,<br />

die vielleicht als Auflagen oder Wurfziele für Silexbrocken dienten. Keilförmige Ambosse<br />

mit Grat sind in Kapitel 9 ausführlich besprochen worden.<br />

Verwitterung - Patina - Opalisierung<br />

Die altpaläolithischen Artefakte sind zumeist „Windkanter“, wie man früher Silex mit<br />

verwitterter Oberfläche benannte. Aufgrund der Schlagtechnologie treten Bulben nur bei<br />

manchen Cleavern sowie Kortex -Primärabschläge von der materia prima auf, sowie bei<br />

Retuschenresten für die Herstellung von Zweiseitern, wobei die meisten kleineren Abschläge<br />

wohl durch die Erosion zerstört worden sind. Im Altpaläolithikum Luxor existieren selten<br />

Abschläge unter drei Zentimeter.<br />

In der neueren Literatur wird der Patina schlichtweg das Indiz für eine Altersdifferenzierung<br />

abgesprochen (Steguweit, S. 6). Aus dem Blickwinkel meiner praktischen Feldbegehungen<br />

halte ich dies für übertrieben. Die als altpaläolithische Artefakte definierten Fundstücke<br />

weisen die gleiche zumeist tiefbraun-rötliche Patina und Verwitterungszustand auf wie der<br />

natürliche Silex. Sie sind dem gleichen Prozess unterworfen wie die Ablagerungen <strong>des</strong><br />

Schotterkörpers, was Fiedler als normal für altpaläolithische Artefakte bezeichnet (Lutz<br />

Fiedler: Steingeräte eines urtümlichen Altpaläolithikum, Quartär 1993, S. 115).. Gleiches<br />

kann ich für das Altpaläolithikum um Luxor bezeugen. Stark ausgeprägte Patinierung ist<br />

zumeist verbunden mit starker Verwitterung und einer Oberflächen nahen Lagerung <strong>des</strong> Silex.<br />

Unterschiedliche Patinierung auf einem Artefakt kommt ebenfalls vor, was darauf hinweist,<br />

dass die Patinisierung erst nach der Herstellung <strong>des</strong> Artefakts eingesetzt hat. Die Patina <strong>des</strong><br />

Mittelpaläolithikums ist deutlich schwächer als bei älteren Formen, so wie die Patina <strong>des</strong><br />

Jungpaläolithikums vom Mittelpaläolithikum deutlich abgesetzt ist.<br />

Opalisierte Oberflächen (Oberflächenglanz), so wie sie für den nordischen Flint<br />

petrographisch beschrieben werden (Steguweit, Gebrauchsspuren, S. 85 ff) kommen ebenfalls<br />

vor. Opalisierung führt zur Glättung der Oberfläche von Artefakten als Langzeitwirkung<br />

spezieller Sedimentationsbedingungen (Steguweit, Gebrauchsspuren, Tafel 14). Es kommt zu<br />

einer Anlagerung einer dünnen Schicht auf der alten Oberfläche und glättet deren kleineren<br />

Unebenheiten. Tiefere Einbrüche - sei es durch Frost, durch Schwächestrukturen im Silex<br />

30


oder durch mechanische Außenwirkungen - lassen sich nicht glätten. Allerdings ist es<br />

manchmal zu beobachten, dass solche Löcher ebenfalls Ablagerungen aufweisen.<br />

Umwelt - Abnutzung (Wear-Prozesse), Patinierung und Opalisierung beseitigen Wallner-<br />

Linien und können zur Abtragung von Bulben führen. Dies führt dazu, dass viele Artefakte<br />

<strong>des</strong> Altpaläolithikums einige Merkmale nicht aufzeigen, die für jüngere Perioden zur<br />

Bewertung von Artefakten hinzu gezogen werden können.<br />

6.2.4. Altpaläolithikum in Mittel-Deutschland - lithostratigraphisch - paläogeographisch<br />

In einer ersten Arbeitshypothese wird bei dem vorliegenden Fundmaterial zwischen Älteren,<br />

Mittleren und Jüngeren Altpaläolithikum unterschieden. In Anlehnung an angelsächsischer<br />

Umschreibung spricht Müller – Beck von Unteren, Mittleren und Oberen Altpaläolithikum<br />

(Müller – Beck, Das Obere Altpaläolithikum in Süddeutschland, 1956). Eine solche<br />

Dreiteilung lässt sich nach meinen eigenen formenkundlichen Kriterien aus den vorliegenden<br />

Oberflächenfunden heraus lesen mit allen Vorbehalten, die dieser Untersuchung unterliegen.<br />

Die Übertragung einer solchen formenkundlichen Dreiteilung auf statistisch-mathematische<br />

Sequenz-Modelle, die der Analyse von Fundstellen zugrunde gelegt werden, kann bisher nur<br />

für das Jüngere Altpaläolithikum (Markkleberg, Ehringsdorf) in der Bosinski-Definition<br />

gelingen, oder in der moderneren Bezeichnung eines Frühen Mittelpaläolithikums. Für ältere<br />

Perioden fehlt es an ausreichendem Basismaterial.<br />

Nach dem Stand der heutigen wissenschaftlich abgesicherten Archäologie kann überwiegend<br />

Mitteldeutschland das quartärstratigraphische wie paläogeographische abgesicherte Material<br />

für das Altpaläolithikum liefern. Die bisherigen <strong>Funde</strong> im Rheinland werden durch<br />

Rheindalen, neuerdings durch Kärlich-IG als jüngstes Cromer aufgewertet (Steguweit,<br />

Gebrauchsspuren S. 30). Süddeutschland gibt bisher für das Altpaläolithikum wenig her,<br />

natürlich mit dem Fund <strong>des</strong> Unterkiefers <strong>des</strong> Hominiden von Heidelberg als Ausnahme und<br />

den begleitenden Hornsteinartefakten (Beinhauer, S. 191). Man kann von einem Hiatus<br />

sprechen mit der Ausnahme von Mauer, Faustkeilen <strong>des</strong> Jungacheuléen als Unikate in<br />

ungesicherten Schottern Bayerns (Freund, Der Faustkeil von Biburg bei Abensberg, in<br />

Quartär 169, S. 163) sowie eine mir nicht zugängliche Ausstellung in Heidelberg (Mündliche<br />

Mitteilung von Müller-Beck 2009).<br />

Ein Präelsterkomplex mit Dominanz von Fluss-Schottern (MIS 13-17, Cromer-Komplex)<br />

treten in Untermaßfeld und Voigtstedt mit warmzeitlichen Säugern auf( 600 - 700 000 Jahre<br />

BP). Diese Warmzeit ist bisher ohne Befunde von Artefakten in Mitteldeutschland ( Lutz<br />

Katzschmann u.a. Autobahneinschnitt der A 71 nördlich Voigtstedt in H.O.G. - Tagung<br />

Leipzig 2010, S. 63), was nicht ausschließt, dass noch <strong>Funde</strong> seiner Präsenz wie in West- und<br />

Südeuropa gemacht werden können.<br />

Das Mittlere Altpaläolithikum (MIS 11) startet in Mitteldeutschland mit maximalen<br />

Eisvorstößen (Peaks: zwei Grundmoränen) der Elstereiszeit, 450 Tausend vor heute. Während<br />

dieser Zeit dürfte es für Tier und Mensch in Mitteleuropa zu kalt gewesen sein. Der erste –<br />

heute fassbare - Mensch tritt im mittleren Fluviatil <strong>des</strong> Elsterspätglazials und der beginnenden<br />

Holsteinwarmzeit auf. (Lothar Eißmann, Alt- und mittelpaläolithische <strong>Funde</strong><br />

Mitteldeutschlands im Lichte der Quartärstategraphie und Paläogeographie, iin H:O:G –<br />

Tagung, S. 53). Die Fundstätten nichtfluviatiler Genese sind Bilzingsleben sowie Schöningen<br />

320 000 vor heute (Jordi Serangeli, u.a., S, 91) Bei Bilzingsleben handelt es sich um eine<br />

mikrolithische Kulturausprägung, während meine <strong>Funde</strong> überwiegend makrolithisch sind.<br />

Allerdings könnten oberflächige Artefakte durch die Erosion zerstört worden sein und so ein<br />

falsches Bild liefern. Bei dem Menschen handelt es sich um den <strong>Homo</strong> <strong>Heidelbergensis</strong>, in<br />

31


der Spannweite zwischen Bilzingsleben und Mauer. Etwas älter, aber fluviatil, ist der<br />

Aufschluss Rehbach, südlich von Leipzig mit Elster- und Hauptterrasse. Die dortigen aus den<br />

Schottern aufgelesenen Artefakte weisen die klassischen Merkmale wie Bifaziale,<br />

Bulbusabschläge, Kerne mit leicht verschliffenen Oberflächen auf, die ich in meinem Fundus<br />

vorfinde.<br />

Das Jüngere Altpaläolithikum mit fließenden Übergängen ins Ältere Mittelpaläolithikum kann<br />

in der Definition von Bosinski, der das klassische Mittelpaläolithikum später beginnen lässt,<br />

mit der Saale-Eiszeit und dem Eem - warmzeitlichen Alter von Taubach, Ehringsdorf,<br />

Weimar, Neumark-Nord und Gröbern, das mit dem Steinheimmensch verbunden wird. In der<br />

neueren Definition beginnt das Ältere Mittelpaläolithikum schon mit Ehringsdorf. Auch<br />

McNabb folgt für England dieser neueren zeitlichen Kultureinteilung. Verbunden mit dem<br />

Aveley- Interglazial von MIS 7 ((242 Ka) beginnt das frühe Mittelpaläolithikum mit der<br />

englischen Levallois-Kultur (S. 187) und löst das Clactonien – Acheuléen ab.<br />

Wenn aber das Jüngere Acheuléen durch ein frühes Mittelpaläolithikum abgelöst wird, und<br />

der Mensch von Ehringsdorf als direkter Vorläufer <strong>des</strong> Neandertalers benannt wird, müssen<br />

die ästhetisch ansprechenden bayerischen Faustkeile - mit Einschränkungen auch <strong>des</strong><br />

Mündlingers - aus dem späten Alt- in ein frühes Mittelpaläolithikum gestellt werden.<br />

Kösten, dem ich bisher einem Übergang von Alt- ins Mittelpaläolithikum zugesprochen habe,<br />

fällt nun in ein frühes und eventuell in ein klassisches Mittelpaläolithikum. Durch die<br />

Aufteilung <strong>des</strong> bisherigen Jüngeren Altpaläolithikums in ein Vor – Eem –Saale - Eiszeitliches<br />

und Eem - Interglazial ergeben sich erhebliche Konsequenzen. Letzteres ist in ein Älteres<br />

Mittelpaläolithikum zu stellen - mit entsprechenden Konsequenzen für das Kapitel 10. Vorerst<br />

belasse ich es bei der Definition von Bosinski und einem klassischen Mittelpaläolithikum, bis<br />

ich mich intensiver mit dieser Epochenumstellung befasst habe.<br />

Ein erstes Fazit ist ernüchternd. Es ergeben sich für das Ältere- und Mittlere Altpaläolitikum<br />

keine Vergleichsmöglichkeiten mit meinen <strong>Funde</strong>n. Das Auftreten <strong>des</strong> ersten Menschen in<br />

Mitteldeutschland in dem Älteren Altpaläolithikum ist unsicher. Wir sind daher auf das<br />

Hinzuziehen von Literatur über <strong>Funde</strong> außerhalb von Mitteldeutschland angewiesen und<br />

müssen zumin<strong>des</strong>t für das Ältere Altpaläolithikum einen eigenen definitorischen Ansatz<br />

finden.<br />

Frankreich<br />

Bezüglich Frankreich wollen wir uns auf einige <strong>Funde</strong> im Norden und der Mitte <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong><br />

beschränken. Krude Bifaziale werden nach Breuil, Bor<strong>des</strong> und anderen dem französischen<br />

Abbevillien von den höheren Terrassen der Somme zugesprochen, der ältesten Kulturstufe im<br />

Günz-Mindel-Interglazial. Aus der Archäologensicht <strong>des</strong> 19. Jhts. gibt es einen<br />

Zusammenhang zwischen Abbeville und den nördlichen Acheuléen-Kulturen (Südenglands).<br />

Wegen dem Auftreten von Faustkeilen als Prototypen der späteren kann man nicht von einem<br />

kulturellen Zusammenhang mit Clactonien sprechen. Es sind perfektere Faustkeile mit<br />

umlaufender Kante trotz ihrer Krudität als die wenigen nichtklassischen aus meiner<br />

Sammlung.<br />

Sichere Clactonien-Fundplätze scheinen u.a. La Pointe-aux-Oies, Wimereux zu sein<br />

(Tuffreau A., 1995). Einige Stationen, die früher dem Clactonien zugeschrieben worden sind,<br />

wie an der Mündung der Seine bei Le Havre die heute nicht mehr zugängliche Station sous-<br />

Marines sind inzwischen wegen dem Vorkommen von Faustkeilen dem Acheuléen<br />

zugeschlagen worden (McNabb 219). Bei <strong>Funde</strong>n, die im Küstenwasser liegen, kann es sich<br />

auch um Geofakte handeln, da dynamisch-mechanische Einwirkungen eine Rolle gespielt<br />

haben.<br />

32


Unterhalb der Schicht, die dem Fundplatz La Micoque berühmt gemacht hat, befinden sich<br />

Schichten, die mit dem Clactonien verbunden werden. Breuil hat ihnen den Namen Tyacian<br />

gegeben und Tyacian steht für einige Clactonien-<strong>Funde</strong> in Frankreich. Die Industrie ist aber<br />

charakterisiert durch schmale kurze Schaber, die von länglichen Kernen geschlagen worden,<br />

was für das östliche Rieskraterrand nicht gilt.<br />

Tschechische Republik<br />

Bor<strong>des</strong> hat 1968 in seinem klassischen Werk The Old Stone Age eine bogenförmige Linie<br />

von der Elbe bis Venedig gezogen. Nach seiner Meinung sind östlich dieser Linie Industrien<br />

ohne Faustkeile und westlich davon mit Faustkeilen. Diese Einteilung ist nicht mehr aktuell.<br />

Zumin<strong>des</strong>t die Tschechische Republik muss in dem hier verwendeten archäo-klimatischen<br />

Begriff von Mitteleuropa nördlich der Alpen einbezogen werden. Aus dem reichhaltigen<br />

Fundus soll hier nur die altpaläolithische Fundstelle Stránská skála I bei Brno vorgestellt<br />

werden (Karel Valoch), die in ein mittleren Cromer-Komplex gestellt wird. Der jurassische<br />

Kalkstein enthält Hornsteinknollen und Platten sowie kleinere Quarzkiesel. Typologisch<br />

treten keine ausgeprägt retuschierte Geräte auf sondern Schaber mit partiellen Retuschen,<br />

einschließlich Kerben. Im weiteren Inventar sind Chopper, Chopping-tools zu erwähnen.<br />

Hochrückige Chopper sind wie im Mündling-Komplex steil zu Bogenschaber retuschiert<br />

(Valoch, Abb. 7,4). Die Hornsteinartefakte sind in der Regel größer als 3 cm und schließen<br />

ein mikrolithisches Altpaläolithikum aus. Die Abwesenheit von Flächenbearbeitung schließt<br />

einen Zusammenhang mit dem Acheuléen-Kreis aus. Eine gewisse Ähnlichkeit mit den Ries-<br />

<strong>Funde</strong>n bietet sich an. Plattige Quarzartefakte sind durch Steilretuschen konturiert (Valoch,<br />

Abb. 6,8).<br />

6.2.5. Eigene Kriterien für das Ältere Altpaläolithikum (MIS 18 - 13)<br />

Formenkundlich:<br />

Das Ältere Altpaläolithikum in Europa beginnt mit dem frühesten Auftreten <strong>des</strong> Menschen in<br />

Atapuerca – Gran Dolina MIS 19 - und reicht bis Boxgrove, Mauer OIS 13 und Atapuerca –<br />

Sima de los Huesos OIS 12. Die Gran Dolina weist in der Schicht TD6 780 000 vor heute<br />

Quarzit - Chopper auf, die in der Olduvai – Tradition stehen (es.wikipedia.org, S 14) und die<br />

typologisch vielen Chopper in meiner Sammlung ähneln. Sie werden als Modo técnico 1<br />

bezeichnet. Die Besiedlung durch die ersten europäischen Menschen <strong>Homo</strong> antecessor fällt<br />

kurz nach der Umpolung <strong>des</strong> Magnetischen Erdfel<strong>des</strong> (Matuyama Chronologie) um 780<br />

Tausend vor heute zusammen. (Noch ältere <strong>Funde</strong> wie Ceprano sind nicht gesichert). In der<br />

Sima de los huesos finden sich die Knochenreste von 30 <strong>Homo</strong>s heidelbergensis. 300 000<br />

Jahre später treten in der Galería von Atapuerca typische Acheuléen – Faustkeile auf (Modo<br />

técnico 2). Angewendet auf die Mündling-Kultur kann ich nur auf eine formenkundliche<br />

relative Datierung zurück greifen, die im hohen Maße spekulativ ist. Ob der früheste Mensch<br />

in Spanien auch in Mitteleuropa präsent war, bleibt fraglich. Diese Pre-Anglian- oder Vor-<br />

Elster-Zeit wird als Cromer bezeichnet. (siehe auch Ausführungen in Kapitel 10). In<br />

Atapuerca sind wie in England später zuerst Chopper präsent, denen später Acheuléen –<br />

Faustkeile folgen.<br />

Bei den <strong>Funde</strong>n <strong>des</strong> Älteren Altpaläolithikum, wie dem übrigen Altpaläolithikums, handelt es<br />

sich überwiegend um eine Macro-Chopping-Tool Assemblage, um eine Großgeräte-Chopper-<br />

Industrie.<br />

33


Ich definiere die Hinterlassenschaften <strong>des</strong> frühesten Menschen als „Borderline“ zu<br />

Naturprodukten. Die ältesten Hinterlassenschaften <strong>des</strong> Menschen in Mitteleuropa sind nach<br />

meiner Arbeitsthese zugleich auch am schwierigsten von Naturprodukten zu unterscheiden,<br />

wenn wir das formenkundliche Kriterium – aber auch die Technologie - ansetzen. Dies aus<br />

vier Gründen: Erstens: Im Vergleich zu späteren Perioden hat eine zusätzliche, die Elster-<br />

Eiszeit, die kälteste von allen, mit ihrer besonders zerstörerischen Kraft auf oberflächennahen<br />

<strong>Funde</strong>n gewirkt. Die natürlichen Abnutzungen erschweren eine Rekonstruktion der<br />

ursprünglichen Artefakte. Zum Zweiten unterstellen wir eine indifferente Formengestaltung,<br />

auch wenn dies wie oben dargestellt für Boxgrove nicht gilt. Zum Dritten beschränken sich<br />

die Kern-Technologien auf wenige Produktionsschritte, Zertrümmerungstechnologien<br />

überwiegen, die Abschläge und Zweiseiter folgen der Olduvai – Tradition. Zum Vierten<br />

beschränken sich die Kern-Technologien auf wenige Produktionsschritte,<br />

Zertrümmerungstechnologien überwiegen. Dieser Punkt ist besonders wichtig. McNabb<br />

berichtet (244) aus eigener Anschauung von Vérteszölös, Ungarn, dass das dortige Quarzit-<br />

Geröll überwiegend durch den Einsatz der Wurftechnologie auf Ambosse gespalten wurde.<br />

Eine Menge von Absplissen (chips) und Brocken (shatter, chunks) entstanden. Trotz dieser<br />

terminologischen Kriterien bleibt die Trennung zwischen Älteren und Mittleren<br />

Altpaläolithikum unbefriedigend.<br />

Die Unterscheidung <strong>des</strong> Mittleren Altpaläolithikum zum Älteren ergibt sich durch die relative<br />

„Frische“ <strong>des</strong> Silex, obwohl einige „angewittert“ sind. Die Formenansprache ist<br />

differenzierter. Manchmal treten nichtklassischen Faustkeile auf, so wie modifizierte<br />

Artefakte, die eine rindenlose Sequenztiefe aufweisen, wie Spitzen, Schaber, Segmente. Im<br />

Vorgriff auf das Mittlere Altpaläolithikum unter Abschnitt 6.1.6. kann Wörnitz 17 dienen.<br />

In der Technologie<br />

scheint im Älteren mehr noch als im Mittleren Altpaläolithikum das Gesetz <strong>des</strong><br />

„Minimalismus“ zu gelten. Grobe Kantenpräparierung von Platten benötigt den geringsten<br />

Arbeitseinsatz. Solche Artefakte zählen zur Grauzone. Vom Rohkern (Geröll) bis zum<br />

Endprodukt gelten wenige Bearbeitungsstufen als Norm. Flächige Retuschen fehlen, mögliche<br />

Arbeitskanten sind nur mit wenigen einfachen Retuschen erzielt. Als Beispiel für ein Mittleres<br />

Altpaläolithikum nehmen wir Wörnitz 17 d. Einige Gerölle weisen 2 bis 3 größere tief in den<br />

Silexkörper greifende Negative auf, die von einer „groben“ clactoniengemäßen, von einer mit<br />

hohem Energieeinsatz geprägten Handfertigkeit zeugen und auf bifaziale Produktziele<br />

ausgerichtet sind. Große Gerölle sind (durch Ambosstechnologie) geteilt worden und die eine<br />

Hälfte am Rande zu einfachen Schabergeräten retuschiert worden. Eine besondere<br />

Präparierung von Kernen für Abschläge fehlt.<br />

Wörnitz 17 d - Mittleres Altpaläolithikum in Abgrenzung zum Älteren.<br />

Es soll mit den bescheidenen Fotomitteln - mit der Präsentation auf dem Arbeitstisch - der<br />

Eindruck einer hohen Variabilität in den Geräte - Formen vermittelt werden, die nach<br />

McNabb (S. 355) typisch für das Mittlere Altpaläolithikum (Swanscombe MIS 11) ist. Nach<br />

McNabb wäre in diesem Fall der soziale Druck zur Konformität nicht ausgebildet gewesen.<br />

Anders formuliert: Die gruppendynamischen Prozesse zur Normierung <strong>des</strong> Geräteinventars<br />

sind oft im Mittleren Altpaläolithikum schwach ausgeprägt. Das Ältere Altpaläolithikum kann<br />

dagegen solche Gruppenzwänge zur Normierung aufweisen. Dies führt zu dem scheinbaren<br />

Paradoxon, dass ältere Fundplätzen wie Boxgrove einen „moderneren“ Eindruck nach<br />

unserem „heutigen Kultur-Geschmack“ vermitteln, das Normierung als „harmonisch<br />

geordnet“ versteht, als jüngere.<br />

34


Oben Mitte:<br />

Übersicht über Wörnitz 17 d,<br />

gruppiert nach Form-Gruppen<br />

Oben links III:<br />

rindenlose Endprodukte: Spitzen,<br />

Segmente, Schaber, zwei<br />

klingenförmige Abschläge<br />

Mitte links II:<br />

zwei Abschläge mit<br />

halbmondförmigen Schlag-Narben<br />

auf ihrer Oberfläche, von im Stein<br />

steckengebliebenen Fast-90-Grad –<br />

Konus. Diese, auf die häufige<br />

Punch-Technologie im<br />

Altpaläolithikum<br />

zurückzuführenden Marker, sind<br />

im Kapitel 9 besprochen<br />

Mittig VI: zwei Klopfsteine, der<br />

linke unilateral benutzt<br />

Mitte rechts VIII:<br />

Abschläge mit Bulben<br />

VII:<br />

Spitzen mit ausgearbeiteten Basen<br />

Unten Mitte V:<br />

vier Rest-Kerne von Knollen; eine<br />

gespaltene Platte als großer flacher<br />

Schaber mit Rinde<br />

6.2.6. Mittleres Altpaläolithikum – mitteleuropäisches Clactonien – (MIS 9/11)<br />

Das Mittlere Altpaläolithikum in Mitteleuropa vergleiche ich mit dem British Clactonian,<br />

stelle es aber nicht auf eine Stufe. (John McNabb, The British Lower Palaolithikc 2007, Hahn<br />

S. 84; John Wymer, Lower Palaeolithic Archaeology in Britain, London 1968, Mittleres<br />

Fluviatil für Mitteldeutschland). Vieles ist vergleichbar, einiges ist anders (McNabb, 245).<br />

Die Clactonien-Industrie von Swanscombe und Clacton-on-Sea u. a. weisen nach Wymer und<br />

McNabb neben nichtklassischen Faustkeilen im Vergleich zum Älteren Altpaläolithikum<br />

differenziertere Abschläge auf, die als Seitenschaber, hakenförmige Artefakte (hooks),<br />

„Messer“, Bohrer und Spitzen zu deuten sind, und auch in dem Mündling-Komplex<br />

auftauchen. Sie sind deutlich von dem Jüngeren Acheuléen – repräsentiert durch klassische<br />

Faustkeile – getrennt. Nach McNabb ist der große Unterschied zwischen England und Europa<br />

- er meint Kontinentaleuropa mit Süd- und Osteuropa - in der großen Zahl von Spitzen mit<br />

konvergierenden retuschierten Kanten und der großen Zahl von modifizierten Schabern in<br />

Europa im Vergleich zu England zu sehen (S. 246).<br />

Der erste in Mitteldeutschland bisher sicher erfasste Mensch tritt in der späten Elster - frühen<br />

Holsteinzeit auf. Ältere Datierungen von Bilzingsleben und Schöningen (MIS 11) werden<br />

heute von der mehrheitlichen Wissenschaftsmeinung nicht mehr akzeptiert (Mündliche<br />

Mitteilungen auf der H:O:G – Tagung Leipzig 2010). Von einer zeitlich einheitlichen<br />

Kulturstufe „Clactonien“ mit europaweiter Geltung kann keine Rede sein. Clactonien ist auf<br />

eine Schlagtechnik in verschiedenen Kulturen zu reduzieren, als Nicht-Faustkeil-Kultur zu<br />

definieren und ihre Geltungszeit in England und Mitteleuropa auf MIS 9 zu beziehen.<br />

In unserem Untersuchungsgebiet gibt es eine Reihe von Fundplätzen, die folgende<br />

Charakteristika haben: Nichtklassische Faustkeile, größere Abschläge als konvexe, konkave<br />

Schaber mit häufigen Buchten, die als Ausbrüche durch Gebrauch zu interpretieren sind oder<br />

durch Natureinflüsse. Es treten häufig Chopper, Chopping Tools auf, in Ambosstechnik<br />

35


einfach zerlegte große Flintstücke, Geröllkerne mit wenigen Abschlagsnegativen, wenige<br />

aber ausgeprägte Schlagkegel durch den direkten, starken Schlag, mehr flache, schwer<br />

erkennbare Bulben oder überhaupt keine, viele dorsale Kortexreste, Kerngeräte oder Spitzen.<br />

Diese Charakteristika sind bei Hahn (S. 84-87) typisch für die Clactonien - Technik. Die<br />

Amboss-Technologie ist häufig. Nur mit ihr – nicht durch den direkten harten Schlag – lassen<br />

sich von Cobbles – runden Geröllen ohne Kanten – flache bipolare Rindenabschläge<br />

gewinnen. Wegen dieser definitorischen Abdeckung mit meinen <strong>Funde</strong>n verwende ich den<br />

Begriff „ erweitertes Clactonien“. Bei weiteren <strong>Funde</strong>n und Analysen wird sich die dreistufige<br />

Untergliederung <strong>des</strong> Altpaläolithikums entweder verfestigen oder sie muss verworfen werden.<br />

Nußbühl 22 – Mittleres Altpaläolithikum – Chatelperron (?), gefunden am 22. Juli 2010<br />

Inmitten <strong>des</strong> Altpaläolithikums treten Chatelperronspitzen auf (III), die in die Übergangsphase<br />

xom Mittel- zum frühen Aurignacien <strong>des</strong> Jungpaläolithikums gesetzt werden könnten. Sie<br />

werden <strong>des</strong>halb unter Chatelperron gesondert behandelt.<br />

Nußbühl 22<br />

43 Artefakte, vernarbt, verschliffen, Platten und Knollen, keine größere Kerne bisher gefunden<br />

I. verbrannter Silex II. 3 Schaber, ventralseitig. Rechtsaußen ein flacher , rindenloser Faustkeil, Doppelsymmetrie - Basis-Spitzen- sowie<br />

Querschnitte. „Klassisch“ kann man ihn aber nicht nennen, da ein rund umlaufender Grat fehlt. III. 5 schmale Chatelperron-Spitzen,<br />

einige könnten als Speerspitzen gedient haben . Linke Spitze ohne Rinde, mittlere bifazial, blattspitzenähnlich.aber ohne Feinretuschen.<br />

IV. Geräteformen Links Platte, konvergierend gegenläufige stichelförmige Kanten-Zurichtung, Basis gerader Trennschlag. Was Zufall der<br />

Natur sein könnte, tritt häufig auf. V. 6 Bulbusabschläge, darunter eine gelbe Klinge, ansonsten Retuschen. VI. 1 großes Zwischenstück<br />

(Abschnitt Amboss); 1 Platte mit wulstförmiger Oberfläche, Vergleichsstück für Fund im Wellheimer Trockental (Verweis auf Abschnitt<br />

Technologie Weißmülller<br />

36


VII. Kleine Kerne, 1 Eisenknolle, vernarbt… Im Abschnitt 7.3. wird das Chatelperronien näher dargestellt.<br />

6.2.7. Jüngeres Altpaläolithikum – Aveley-Interglazial (7) –- Schöningen Interglazial<br />

Das vor kurzem noch postulierte Jüngere Altpaläolithikum (Jüngeres Acheuléen) wird heute<br />

überwiegend als Älteres Mittelpaläolithikum verstanden. Wir unterstellen für Mitteleuropa<br />

eine Übergangsphase, für England gilt dies nicht. In England tritt mit dem Aveley-Interglazial<br />

(MIS 7) die Levallois-Industrie auf und beendet das Clactonien (McNabb 187) noch vor der<br />

kontinentalen Saale-Eiszeit. Dadurch gerät die englische Chronologie in gewisse<br />

Schwierigkeiten, denn die Saale-Eiszeit (MIS 6) schneidet in ihren zwei Kälte-Maxima (Eis-<br />

Peaks) so gravierend in das Paläoklima ein, dass auch in England - wie im mittleren<br />

Kontinentaleuropa - kein höheres Leben möglich erscheint. Vorher und nachher tritt zum<br />

einzigen Mal in England das Mammut auf. Danach setzt sich das Aveley Interglazial 7<br />

scheinbar ungebrochen weiter fort – ohne dass geklärt werden kann, wie eine Kultur<br />

unbeeindruckt von lebensfeindlichen Kälteeinschnitten ihre Traditionen fortsetzen kann.<br />

Das Jüngere Altpaläolithikum Mitteleuropas könnte mit MIS 7 bis zu den <strong>Funde</strong>n von<br />

Ehringsdorf (Tiefsee-Stadium 5c) verbunden werden, das heute zu dem Frühen<br />

Mittelpaläolithikum gezählt wird. (Kurze Umwelt-Chronologie <strong>des</strong> Schöninger<br />

Braunkohleabbaus). Vor der Saale-Eiszeit machen 3 Interstadiale - höheres Leben möglich,<br />

das sogenannte Schöningen sowie das Böddensted I und II. Das Jüngere Altpaläolithikum<br />

wird mit den „prächtigen“ Faustkeilen eines jüngeren Acheuléen in Bayern verbunden, die<br />

aber leider nur als Unikate auftreten, keinesfalls aber mit Ehringsdorf. Da sie zumeist in<br />

Schottern aufgefunden werden, könnten sie aus der beginnenden Saale-Eiszeit stammen. Der<br />

Faustkeil von Donauwörth könnte auch dazu zählen. Er könnte vor – Saale - zeitlich sein und<br />

um einige zehntausende von Jahren älter sein als die angenommenen 130 000 vor heute.<br />

Um Luxor ist das Jüngere Acheuléen ebenso mit Faustkeilen vertreten (gelvers.de, flag<br />

Ägypten). Es tritt dort aber schon 400 Tausend Jahre vor heute auf. Eine Proto - Levallois -<br />

Technologie zur Erzeugung der bekannten Nubischen Spitzen ist ebenfalls dort vorhanden.<br />

Die Geröllindustrie Kronach, das ich ins Jüngere Altpaläolithikum setze – mit Übergängen in<br />

ein frühes Mittelpaläolithikum – weist keine „Acheuléen – Faustkeile auf. Sie steht in der<br />

Traditions - „Palette“ - <strong>des</strong> Clactonien, aber in einem „frischeren“ Erhaltungszustand der<br />

Oberflächenfunde, mit vielen distinktiven Bulbenabschlägen (Cleaver) und eindeutigen<br />

Artefakten <strong>des</strong> Mittelpaläolithikums.<br />

Zu der Übergangsphase Jüngeres Altpaläolithikum – Älteres Mittelpaläolithikum zählt der<br />

Fund Mündling 00-01, der sich durch einen beachtlichen Anteil an Bulben - Abschlägen<br />

auszeichnet. Hinzu kommt Mündling 03. Diese eindeutige Bulbenabschläge als Zeugen für<br />

die klassische Schlagtechnologie „aus der Hand“ treten bei dem älteren tiefbraun patinierten<br />

vernarbten Inventar um Asbacher Hof, Nußbühl, Heidmersbrunn seltener auf (Bsp: Nußbühl<br />

22). In Mündling 03 treten neben dem relativ hohen Anteil an ausgeprägten Bulbusabschlägen<br />

mittelpaläolithische Merkmale hinzu wie ein bipolarer Kern, ein Chapeau de Gendarme –<br />

Abschlag und ein Klingenkern (Beurteilung durch Jan Weinig).<br />

37


6. 3. Grundsätzliches zum Mittleren Paläolithikum: Eem - Interglazial (5 c) - Frühe<br />

Weichseleiszeit: (Interstadiale Brörup (5b) und Odderade (5a) - der Mensch von<br />

Ehringsdorf - Steinheim – Neandertal – Sesselfelsgrotte - Brünsee<br />

Mit der Saale-Eiszeit, die in Mitteleuropa zu Vergletscherungen und Kaltsteppe einhergeht,<br />

erlöscht die Epoche <strong>des</strong> Altpaläolithikums. Mit dem Ende der Saaleeiszeit (149 Ka) und der<br />

Neubesiedlung Mitteleuropas beginnt das frühe Mittelpaläolithikum. Es trägt noch ein<br />

kulturelles Erbe <strong>des</strong> Altpaläolithikums in sich (Mündlung 00/01, 03). Dies könnte ein Hinweis<br />

darauf sein, dass der Altpaläolithiker nicht völlig von der europäischen Landkarte - und der<br />

von Eurasien - verschwand, sondern vor der Eiszeit nach Südeuropa und Eurasien auswich<br />

und nach dem Kälte-Maximum Mitteleuropa nördlich der Alpen wieder besiedelte.<br />

6.3.1. Mittelpaläolithikum Sesselfelsgrotte–Vergleich mit Paläolithikum Mündling-<br />

Komplex<br />

Für Bayern ist die Sesselfelsgrotte (Freund, Richter, Weißmüller u.a.) maßgebend, weil in ihr<br />

sich viele stratigraphisch unterscheidbare Schichten <strong>des</strong> Mittelpaläolithikums ergeben wie<br />

Hunas, wo es aber an Artefakten fehlt. Ähnlich wie im Altpaläolithikum, wo eine bifaziale<br />

(Faustkeil-) Kultur – Acheuléen – von einer Abschlagskultur geschieden wird – Clactonien –<br />

wurde früher ein typisches Moustérien – weitgehend frei von bifazialen Werkzeugen von<br />

einem Micoquien unterschieden, der Bifaziales aufweist. Ein wesentliches Ergebnis der<br />

Ausgrabungen der Sesselfelsgrotte ist, dass eine Unterscheidung von Micoquien und<br />

Moustérien zumin<strong>des</strong>t im Stadium E 3 überdacht werden soll, da außer dem Vorkommen an<br />

Bifazial-Werkzeugen die Gemeinsamkeiten überwiegen. Es bedarf eine anstrengende aber<br />

lohnende Arbeit, um das Inventar der Sesselfelsgrotte nach Vergleichsstücken mit dem<br />

Mittelpaläolithikum Mündlings zu durchmustern. Ein Teil der unteren M-Schichten ist<br />

mikrolithisch. In der E3-Schicht <strong>des</strong> späten Mittelpaläolithikums tritt zur Herstellung der<br />

Grundformen ein Levalloiskonzept auf, das in meinem Inventar fehlt.<br />

Des Weiteren wäre es <strong>des</strong> Schweißes der Archäologen Wert, auch Teile <strong>des</strong> von mir ins<br />

Altpaläolithikum Gestellten auf seine mögliche Einordnung ins Mittelpaläolithikum der<br />

Sesselfelsgrotte zu überprüfen, auch wenn ich im Text auf die Unvereinbarkeit <strong>des</strong> Mittleren<br />

Altpaläolithikums mit dem Mittelpaläolithikum hingewiesen habe. Das bifazielle Micoquien<br />

der Sesselfels-Grotte ist weitaus sorgfältiger flächig behandelt als meine <strong>Funde</strong> mit einigen<br />

Ausnahmen wie mögliche Micoque-Spitzen in Wörnitz 15. Andererseits weisen die<br />

Transformationsprozesse Ähnlichkeiten mit Teilen meines Altpaläolithikums auf, da von<br />

Rohstücken oder vorpräparierten Kern nur meist kurze Abschlagsequenzen abgebaut wurden.<br />

Es gilt auch für die Sesselfelsgrotte das Prinzip <strong>des</strong> Minimalismus. Die<br />

Kernflankenpräparation beschränkt sich auf das Notwendige. Es tritt die Technologie auf, die<br />

mir auch beim Mündling-Komplex ins Auge gefallen ist. Die Schläger weisen derart<br />

geschickte Fähigkeiten auf, dass sie Abbauwinkel erzeugen, die keine Modifikationen mehr<br />

benötigen.<br />

Auch die Formen der unteren M-Schichten wie einfache Schaber, Mehrfach- und Breitschaber<br />

sowie gekerbte Stücke passen in mein Inventar. Sie sind aber so unspezifisch, dass eine<br />

Typologie nicht erstellbar ist. Gerölle sind oft zitronenschnitzförmig abgebaut, um einen<br />

natürlichen Rücken zu gewinnen.<br />

Die unteren M-Schichten könnten bereits im Eem-Interglazial einsetzen. Sie zählen nach<br />

Weißmüller sicher zu den Interstadialen Brörup und Odderade (Weißmüller: Stadium 4, heute<br />

5).<br />

38


6.3.2. Levallois-Technologie Brünnsee (Mündling 1) – keine Leitform für<br />

Mittelpaläolithikum <strong>des</strong> Mündling-Komplexes<br />

Als gewichtiger Teil <strong>des</strong> Fundkomplexes Mündling wird der bekannte Fund Mündling 1<br />

(Brünnsee) hinzu gezogen: ausgereifte Levallois-Technologie, ausgefeilte Kernpräparation,<br />

tief gestaffelte Bearbeitungssequenzen vom Kern zum Werkzeug, mittelpaläolithische<br />

Klingentechnologie. Es treten aber gravierende Unterschiede zum üblichen<br />

Mittelpaläolithikum <strong>des</strong> Mündling-Komplexes auf. Das Silexmaterial scheint aus dem<br />

anstehenden Jura zu stammen, nicht aus der Bunten Brekzie. Es ist von erheblich besserer<br />

Qualität als das Material aus der Bunten Brekzie. Die Unterschiede zum Befund <strong>des</strong> übrigen<br />

Mündling-Komplexes sind signifikant. Der entscheidende Unterschied besteht aber darin,<br />

dass es sich bei Mündling 1 um eine Levallois-Kulturprägung handelt, im krassen<br />

Widerspruch zu den übrigen <strong>Funde</strong>n. Die Fundrelation ist frappierend. Auf 54<br />

mittelpaläolithische Schlagplätze entfallen 24 Levallois-Artefakte, auf Mündling 1 mehr als<br />

100 (Abschnitt 8.2.). In einem anderen Punkt gibt es ebenfalls keine Übereinstimmung:<br />

Während in Mündling 1 keine Faustkeile auftreten, treten diese – wenn auch nicht häufig – in<br />

anderen <strong>Funde</strong>n auf. Mündling 1 verwendet als Rohmaterial nur Knollen wie das übrige<br />

Mittelpaläolithikum, keine Platten. Die Verwendung von Platten ist auf das Altpaläolithikum<br />

beschränkt.<br />

6.3.3. Weinrot patinierte Knollen (Mündling 3/108) - häufige Materialverwendung für<br />

das Mittelpaläolithikum im Mündling- Komplex<br />

Eine bestimmte Materialform ist prägend für das mittelpaläolithische Mündling. Es sind die<br />

Knollen aus dem weinrot patinierten, splittrigen aber rindenglatten Hornstein aus der Bunten<br />

Brekzie. Hierfür ist das Mittelpaläolithikum von Mündling 3 beispielgebend (Analyse durch<br />

Weissmüller) und Mündling 108 u.a. Bei der Behandlung von Mündling 1 ist schon Bezug<br />

auf Technologien <strong>des</strong> Mittelpaläolithikums genommen: Keine Levallois-Prägung, wenige<br />

Faustkeile, einfache Abschläge (Schaber), irreguläre Kerne, wenige Klingentechnologie,<br />

keine Verwendung von Platten. Zu den weinroten Knollen treten weiß patinierte Zweiseiter<br />

auf (Mündling 86).<br />

Die La Quina Technik <strong>des</strong> Mittelpaläolithikums liegt ebenfalls vor. Diese ist auf meiner<br />

Präsentation <strong>des</strong> Erlanger Kongresses dokumentiert und im Internet einsichtig. Rieder,<br />

Reisch, Weißmüller, Weinig haben etliche meiner mittelpaläolithischen <strong>Funde</strong> analysiert zu<br />

einem Zeitpunkt, als ich das Altpaläolithikum noch nicht im Fokus meiner Suchaktionen<br />

hatte.<br />

6. 4. Zum Jungpaläolithikum - Moderner Mensch - Weichseleiszeit (MIS 4/3/2)<br />

Um 30 000 vor heute wandert während der mittleren Weichseleiszeit der moderne Mensch -<br />

ursprünglich aus Afrika stammend - in Mitteleuropa ein. Auf seinem langen Marsch nach<br />

Norden und Westen dürfte er nach jüngsten DNA-Analysen <strong>des</strong> Max-Planck-Instituts für<br />

evolutionäre Anthropologie Leipzig geringe Erbteile <strong>des</strong> verschwindenden Neandertalers<br />

aufgenommen haben (mpg.de, Science, 7. Mai 2010). In der Presse kam es zu hübschen<br />

Überschriften wie: Hatten unsere Vorfahren Sex mit Neandertalern? Ähnlich wie im Fall <strong>des</strong><br />

englischen Aveley Interglazials (MIS 7) durchschneidet um 18 000 vor heute ein<br />

Gletschervorstoß das Jungpaläolithikum. Die sich ausbreitende Kältewüste hat höheres Leben<br />

in Mitteleuropa nördlich der Alpen vernichtet. Vor diesem Kältepeak gab es 3 Interstadiale<br />

mit Strauch-Tundra, sowie 3 etwas kältere Interstadiale mit Tundra. Es war die Zeit <strong>des</strong><br />

Aurignacien und <strong>des</strong> Gravettien.<br />

39


Erst in jüngerer Zeit ist es gelungen, aus dem Fundmaterial einige wenige jungpaläolithische<br />

Fundplätze wie Mündling 25 sowie Streufunde in Fundplätzen anderer Perioden auszulesen,<br />

die dem Aurignacien an Hand von Kielkatzern, in einem Fall (Mündling 117) dem Gravettien<br />

zugesprochen werden können (Zur Statistik Kapitel 8).<br />

6.5. Mesolithikum - Holozän (MIS I)<br />

tritt nur in einigen wenigen Einzelfunden auf. Es gibt nur eine kleinere mesolithische<br />

Konzentration in Sulzdorf 4 und in Mündling 4a, obwohl ich nur wenige Kilometer östlich<br />

vor 1988 große mesolithische Schlagplätze und Siedlungsplätze in den Monheimer Sanden<br />

ausgemacht habe (Sammlung Elvers, Depot Zuchering). Ein geometrisches Messerchen ist in<br />

Mündling 181 gefunden worden. Auch wenige Kilometer westlich im Rieskessel, in den<br />

Sanddünen von Gosheim tritt Mesolithikum auf.<br />

6.6. Zum Neolithikum<br />

Es lassen sich zwei neolithische Formkreise im Fundgebiet unterscheiden: einerseits die<br />

„klassische“ Klingenkultur, die ins Früh oder Mittelneolithikum zu stellen ist, wie die<br />

Ausgrabung von Reisch ( Gunzenheim 9a/9b) beim Bau der Straße Mündling – Gunzenheim<br />

und das bronzezeitliche Spätneolithikum wie Mündling 149, das klingenlos Keramikscherben,<br />

z. T. unterschiedlich gebrannt, Schlacke und große unpatinierte Quarzabschläge aufweist. Um<br />

nicht archäologisch eingelaufene Pfade zum hundertsten Mal abzuklappern, sind in diesem<br />

Papier nur <strong>Funde</strong> <strong>des</strong> Spätneolithikums aufgenommen worden, wo noch Wissenschaftslücken<br />

existieren,<br />

6.7. Fundbeschreibungen – Zeitliche und lokale Einordnung<br />

(in fortwährender Bearbeitung entsprechend der neuen <strong>Funde</strong>)<br />

Durch den Verweis vieler Fundbeschreibungen in einen Anhang (Appendix Homepage Teil<br />

Deutschland) kann dieser Abschnitt übersichtlicher gestaltet werden. Durch die komplette<br />

Bearbeitung aller <strong>Funde</strong> und ihre Beschreibung nach einem einheitlichen Muster hat sich auch<br />

eine präzisere Auswertung ergeben.<br />

Lokale Konzentrationen <strong>des</strong> Altpaläolithikums<br />

Es existieren drei lokale Konzentrationen von <strong>Funde</strong>n <strong>des</strong> Altpaläolithikums: Nord- und<br />

südlich der Höhenstraße Wemding – Monheim, Sichelberg, südwestlich und östlich von<br />

Fünfstetten sowie der Unterlauf der Wörnitz. Ansonsten streuen <strong>Funde</strong> <strong>des</strong> Altpaläolithikums<br />

über das gesamte Suchareal. Die Konzentrationen liegen in allen Höhenlagen von 530 bis 400<br />

Meter, sind aber zumeist am Vorkommen der Bunten Brekzie gebunden.<br />

Erst im Oktober 2007 ist mir aufgefallen, dass die Morphologie der Landschaft <strong>des</strong><br />

Untersuchungsgebietes zwei weiträumige und eine kleinere „ flache Schüssel oder Teller oder<br />

Troge“ aufweisen. Vom zentralen, zugleich tiefsten Punkt solcher „Schüssel“ ist ein guter<br />

Rundum - Blick auf die Ränder dieser Schüssel in alle Himmelsrichtungen möglich. Diese tief<br />

gelegenen Zentren weisen nicht nur Wasser auf, sondern sind für Jäger auch als günstige<br />

Beobachtungspunkte auf die unverstellten Hänge der Schüsselränder zu bezeichnen. Die<br />

Doppelfunktion von Rast- und Jagdplatz wäre gegeben. Solche Zentren bilden die Fundplätze<br />

Mündling 107/108, südlich von Fünfstetten, Gunzenheim 2 und das sehr dichte Zentrum<br />

Wörnitz 2/5/15/17.<br />

40


Höhenstraße Wemding – Monheim<br />

Die altpaläolithischen <strong>Funde</strong> nord- und südlich <strong>des</strong> 530 Meter Höhenkamms der Straße liegen<br />

auf flachem Terrain rund 30 Meter über dem Quellhorizont der Bunten Breckzie und in der<br />

Regel nur ein paar hundert Meter von ihnen entfernt. Von den Schlagplätzen geht der Blick<br />

weit nach Süden bis nach Fünfstetten, während er heute nach Norden durch die nahen Wälder<br />

verdeckt wird – für Großwildjäger ein geeigneter Überblick über die Umgebung, wenn wir<br />

von einer Wald- oder Strauchsteppen-Landschaft ausgehen.<br />

Sichelberg<br />

Die Fundplätze um den Sichelberg liegen im Einflussbereich <strong>des</strong> Schlauch- und<br />

Hühnerbaches, also um die 500 Meter-Höhen. Die Landschaft ist kleinräumig, nur nach<br />

Westen weiträumiger. Zum Teil orientieren sich die Plätze an der Lage der Bäche.<br />

Ellerbach/Wörnitz<br />

Die Silex - Trümmerfelder liegen nur ein paar Meter über der 400 Meter-Niederterrasse der<br />

Wörnitz, die wenige Kilometer östlich bei Donauwörth in die Donau mündet. Außer der<br />

Niederterrasse sind im Fundgebiet keine höheren Terrassen erkennbar. Der Prellhang der<br />

Wörnitz bei Felsheim und Kreuzhof bildet keine Flussterrasse aus. Es ist erstaunlich, dass in<br />

einem Gebiet, das ohne Zweifel im Pleistozän fluvialen Einflüssen ausgesetzt gewesen ist, die<br />

Schlagplätze unbeeinflusst davon erscheinen. Eine mögliche Erklärung wäre, dass bis zu dem<br />

Ausgang der letzten Eiszeit viele Schlagplätze durch Überdeckungen geschützt wurden, die<br />

dann abgetragen worden sind. Der bekannte mittelpaläolithische Schlagplatz Mündling 1 hat<br />

eine Sonderentwicklung, weil er durch osthängige Lößablagerungen der letzten Eiszeit<br />

geschützt gewesen ist, die danach erodierten, was den Schlagplatz bloßlegte.<br />

Die bedeutsamen <strong>Funde</strong> (Wörnitz 2, 5, 15 ,16 ,17 ,19) liegen im Zentrum der weiten Schüssel,<br />

die die Wörnitz entwässert. Von ihnen hatte der Altsteinjäger einen guten Rundumblick auf<br />

die randlichen Hänge, die mögliche Äsungsplätze für Tiere boten.<br />

6. 8. Rohmaterialnachbarschaften - Werksrückbildung und Transformationsprozesse -<br />

Praktische Methoden zur <strong>Funde</strong>rfassung und Analyse in der Bunten Brekzie<br />

Die praktische Herangehensweise beim Surveygang und der <strong>Funde</strong>ingrenzung ist schon<br />

mehrfach angesprochen worden. Die durch den Impakt zusammengeworfenen bunten Silices<br />

sind in der Landschaft so reichhaltig, dass man von einer „Silex-Landschaft“ oder einem<br />

„landdeckenden Steinbruch“ sprechen kann. Die Akkumulationen (Fundplätze) erforderten<br />

keine Importe von größeren Entfernungen. In umfassenden natürlichen Akkumulationen von<br />

Trümmer-Silex liegen zumeist auch Artefakte. Ein Teil der Chips und Chunks, der Absplissen<br />

und der Brocken, die manchmal massenhaft und hochkonzentriert auf Plätzen liegen, können<br />

randome Produkte <strong>des</strong> „Amboss-Werfens“ sein. Die Grenzen zwischen Trümmer und<br />

Artefakte verwischen sich. Viele Naturscherben und Platten scheinen Präparationen<br />

aufzuweisen. In dieser unübersichtlichen Gemengelage eine gewisse Ordnung hinein zu<br />

bringen, ist nicht einfach. Wie kann man sich das Arbeiten erleichtern, um zu brauchbaren<br />

Sortierungen und Strukturierungen zu kommen?<br />

6.8.1. Vereinfachung der Typologie (Klassifizierung)<br />

Zeitaufwendig und schwierig ist die Klassifizierung nach Formen, vor allem nach<br />

vergleichbaren und verwandten Endformen. Ein erheblicher Bereich dieser Arbeit zeugt von<br />

diesen Anstrengungen (Abschnitt 6.1.1) Sie stehen oft nicht in einem Verhältnis zum Ertrag.<br />

41


Im Folgenden sollen daher vereinfachte brauchbare Möglichkeiten aufgezeigt werden. Eine<br />

davon ist die vereinfachte Typologie.<br />

Das Rezept ist einfach: Die Vielfalt in der formenkundlichen Ansprache (Abschnitt 6.1.2)<br />

wird auf wenige aussagekräftige reduziert: Rohstücke – Kerne – Trümmer – Absplisse<br />

(Chips) – Abschläge – Bifaziale. Abschläge und Bifaziale können bei lokalen oder regionalen<br />

Besonderheiten weiter unterteilt werden, wie dies unter 6.2.1 geschehen ist. Zusätzlich<br />

könnten zur Klärung von wichtigen Fragen, angepasst auf örtliche Besonderheiten, weitere<br />

Klassifikationen hinzu gezogen werden wie Chunks, Sitzsteine (?) oder Ambosse wie unter<br />

Kapitel 9 geschehen.<br />

6.8.2. Rohmaterialnachbarschaften nach Richter (Sesselfelsgrotte) – Rinde als<br />

Knollenteil im Mündling-Komplex<br />

Dass auch Ausgrabungen ihre Probleme mit der Zuordnung von stratigraphischen<br />

Äquivalenten haben können – und nicht nur Oberflächenbegehungen - berichtet Jürgen<br />

Richter über seine Ausgrabungen der G – Schichten der Sesselfelsgrotte (Freund u.a.,Band<br />

III, 1997). Diese Unklarheit betraf die zwischen zwei Schichten kontaktierenden<br />

Randbereiche. Für mehr Klarheit entwickelte er eigens die Methode<br />

Rohmaterialnachbarschaften zu analysieren. Nach dieser Methode ist je<strong>des</strong> Belegungsereignis<br />

an einer besonderen Kombination von Rohmaterialgruppen wieder zu erkennen. Dahinter<br />

stehen bestimmte Menschengruppen mit spezifischen Materialkenntnissen und Mobilitäten in<br />

der Landschaft. Die These konnte er an vorhanden sicheren Befunden an Feuerstellen<br />

evaluieren und die Artefakte entsprechend <strong>des</strong> Sortierens von Rohmaterialgruppen in<br />

verschiedene Einheiten gliedern und voneinander trennen.<br />

Mit den Oberflächenfunden bin ich nicht in einer ähnlichen komfortablen Situation. Dennoch<br />

kann man im Mündling – Komplex für das Alt- und Mittelpaläolithikum eine Variation der<br />

Methode Richter einsetzen. Da es sich beim Rohmaterial überwiegend um rindenbedeckte<br />

Knollen handelt, die Rinde je<strong>des</strong> Knollens in der bunten Brekzie ihre spezifische Patinierung<br />

und Oberflächenkonturierung aufweist, und die Rinde erfahrungsgemäß unverändert bleibt<br />

nach der Zerlegung, ist es relativ einfach, eine rindenorientierte Sortierung an den Artefakten<br />

vorzunehmen, um Einheiten zu erkennen (Mündling 25, Wörnitz 17 und andere <strong>Funde</strong>). Da<br />

zudem - zumin<strong>des</strong>t im Altpaläolithikum - es nur wenige Stufen bei den Abschlägen und der<br />

Modifizierung gibt, und auch im Mittelpaläolithikum die Mehrheit der Artefakte rindenbesetzt<br />

ist (Mündling 1) kann mit dieser Methode – theoretisch – das gesamte Sequenzspektrum nach<br />

verfolgt und unterschiedliche Einheiten eines Befun<strong>des</strong> voneinander selektiert werden. Ich bin<br />

allerdings – anders als Richter – nicht dazu gekommen, solche Einheiten mit konventionellen<br />

– also bekannten – kulturellen Einheiten <strong>des</strong> westmitteleuropäischen Moustérien vergleichen<br />

zu können. Auf das Altpaläolithikum ist diese Methodik sowieso kaum einsetzbar, weil es an<br />

dem Pendant zu meinen <strong>Funde</strong>n – das wären konventionelle kulturelle Ensembles - im<br />

mitteleuropäischen Altpaläolithikum bisher fehlt.<br />

Neben der Erkennung von Einheiten in einem Befund gibt es auch übergreifende Vergleiche.<br />

Ein kleiner Kernrest im Urdonau-Trockental von Dollnstein – Groppenhof weist die gleichen<br />

natürlichen „Rindenwulste“ auf wie größere Kernreste nördlich der Straße Wemding –<br />

Monheim, Lommersheim und anderswo. Derartige merkwürdige blasig-wulstige Gebilde<br />

treten nur in der Bunten Brekzie auf. Im Wellheimer Trockental gibt es davon Reste. Daraus<br />

folgt: Da die „Altmühldonau“ in der „mittleren Risseiszeit“ das Wellheimer-Tal verlassen<br />

hat, (Mayer und Schmidt-Kaler, 1991, S. 32) nachdem sie die Schutter-Enge durchbrochen<br />

hatte, und das alte Donaubett bei Groppenhof, südlich von Dollstein, trocken lief, können wir<br />

die Kernreste Nußbühl 22 mit dem Artefakt Groppenhof ungefähr auf ein Interstadial vor<br />

42


oder nach dem Kältemaximum Elster korrelieren. Dies fiele in das Ende <strong>des</strong> Mittleren –<br />

Beginn <strong>des</strong> Jüngeren Altpaläolithikums, würde also in unser Zeitschema hinein passen.<br />

Der kleine Teil mit der gleichen Rinde kann als<br />

Restkern bezeichnet werden. Die große Platte ist<br />

von Nußbühl 22, auf S. 36, VI abgebildet<br />

Die oppositionelle Seite ist ebenfalls mit Rinde bedeckt.<br />

Die beiden anderen Seiten sind Abschlag-Negative, die<br />

sich zu einer Kante (Kratzer?) vereinen.<br />

Ein weiteres Unterscheidungskriterium ergibt sich im Abschnitt 6.2.2. Die Knollen mit einer<br />

dünnen, glatten, rötlichen „Haut“ als Patina sind mit dem Mittelpaläolithikum verbunden, wie<br />

Mündling 3 und andere Befunde beweisen. Typologie und Technologie bestätigen diese<br />

Chronologie.<br />

6.8.3. Werksrückbildung – Sesselfelsgrotte (Weißmüller) – Mündling-Komplex<br />

Die Analyse <strong>des</strong> Transformationsprozesses als eine weitere Möglichkeit der Bildung von<br />

Einheiten aus der Gemengelage von Befunden haben wir an anderer Stelle eingehend erörtert<br />

(Abschnitt 6.2.2). Die Analyse der Technologie ist aber nicht einfach und sie setzt die<br />

Definition von Einheiten (Ensembles) innerhalb eines Fundplatzes voraus. Als ein<br />

praktikabler Weg kann die Methode Weißmüller weiterhelfen, die er für die unteren M-<br />

Schichten der Sesselfelsgrotte eingesetzt hat (Wolfgang Weißmüller, Sesselfelsgotte II,<br />

Quartär-Bibliothek, 1995).<br />

Unter 6.8.2. ist in Anlehnung an Richter dargestellt worden, wie an einem Ort die bunte<br />

Gemengelage zu sortieren ist, ausgehend vom Rohmaterial (in meinem Fall die Rinde), das in<br />

die spezifischen Zerlegungsprozesse hinein wirkt. Mein verehrter Lehrer an der Uni Erlangen<br />

ging den umgekehrten Weg. Er ging daran, die Artefakte eines Befun<strong>des</strong> zu den<br />

ursprünglichen Gesteinsstücken zurück zu sortieren (Werksrückbildung), bzw. diejenigen als<br />

Einzelstücke auszusondern, für die eine Formgebung in der Fund-Fläche nicht nachweisbar<br />

ist, die also von außerhalb importiert worden sind. Wenn die Werksrückbildung über etliche<br />

Stufen möglich ist, können die Stadien der Formveränderungen am Platz rekonstruiert<br />

werden. An dieser Stelle treffen sich die Methoden Richter und Weißmüller.<br />

Im Mündling-Komplex fanden Importe vor allem im Jungpaläolithikum statt (Abschnitt 7.3).<br />

Mit Ausnahme von Mündling 25 sind jungpaläolithische <strong>Funde</strong> nur spärlich, und andere<br />

Kulturen dominieren an zehn Fundplätzen zahlenmäßig über das Jungpaläolithikum. Es<br />

fanden also in der Zeit <strong>des</strong> modernen Jägers unverhältnismäßig viele Importe statt. Ähnliches<br />

lässt sich für etliche spätneolithische Befunde sagen (Abschnitt 7.4.).<br />

43


7. Beschreibung einzelner Fundplätze<br />

Auf der Homepage unter „Projekt Rieskraterrand, Deutschland“ ist eine Auswahl der<br />

größeren Fundplätze im Detail erläutert.<br />

7.1. Einzelne Fundplätze Älteres- Mittleres- Jüngeres Altpaläolithikum<br />

7.1.1. Älteres Altpaläolithikum (MIS 19 – 13)<br />

Neun Fundplätze insgesamt, wovon 8 hier aufgenommen worden sind<br />

Nußbühl 23 als PDF Datei mit Fotos<br />

Die übrigen <strong>Funde</strong> sind im Internet unter Flag Deutschland in Kurzbeschreibungen erfassbar:<br />

Asbach 23 - Flotzheim 5a - Lommersheim 9 - Mündling105 - Mündling 051 - Mündling 107 -<br />

Wörnitz 17 e<br />

7.1.2. Mittleres Altpaläolithikum–Clactonien (11) <strong>Homo</strong> heidelbergensis.<br />

(Es wird auf den Text, vor allem auf Kapitel 10 verwiesen).<br />

41 Fundplätze insgesamt. Aus ihnen sind nur die größeren Fundplätze über 50 Artefakte<br />

berücksichtigt mit Ausnahme von Wörnitz 24 und Nußbühl 16<br />

Nußbühl 16<br />

16 Artefakte, 1 Bulbusabschlag. Nußbühl 16 ist mit drei Fotos als PDF – Datei in der Flag<br />

Deutschland Mittleres Altpaläolithikum abgespeichert<br />

Flotzheim 2<br />

55 Artefakte 10 Bulbusabschläge. Flotzheim 2 ist mit 2 Fotos als PDF-Datei in der Flag –<br />

Deutschland Mittleres Altpaläolithikum abgespeichert<br />

Mündling 02 55 Artefakte 7 Bulbusabschläge - Mündling 04 150 Artefakte 15<br />

Bulbusabschläge - Mündling 150 c 83 Artefakte 20 Bulbusabschläge<br />

Mündling 159<br />

Mündling 159 - Bulbusabschläge<br />

Mündling 159<br />

Ein Teil der zumeist<br />

rindenlosen Artefakte<br />

weist die Dorsalseite,<br />

der andere die<br />

Ventralseite auf.<br />

Bei den kleineren<br />

Abschlägen dürfte es<br />

sich um Retuschereste<br />

handeln.<br />

Eine intensive rotbraune,<br />

tief in das<br />

Gestein eindringende<br />

Patina, überwiegt<br />

An einigen Artefakten<br />

ist der Übergang von<br />

einer glatten<br />

Ventralfläche zu einer<br />

rissigen erkennbar,<br />

entsprechend der<br />

abnehmenden Schlag-<br />

Energie<br />

44


Wörnitz 5 – Beispiel für <strong>des</strong>kriptive Unterscheidung Jüngeres – Mittleres Altpaläolithikum<br />

90 Artefakte, davon 10 Bulbenabschläge, mit einer Ausnahme ohne Plattformen, z. T. von der „Spitze“ aus von<br />

einem größeren Block getrennt („thinning in marginal mode“ McNabb, 308).<br />

Formenkundlicher Versuch einer Trennung zwischen Jüngeres und Mittleres Altpaläolithikum<br />

Jüngeres Altpaläolithikum:<br />

1 nichtklassischer Faustkeil, dorsal ist die Rinde weitgehend belassen, ventral Basis, Mittelteil und Spitze<br />

retuschiert, 4 Chopper, 3 runde unterschiedlich große zur Rinde von großen Kernen sehr flach abgetrennte<br />

Schaber (?) mit rarer Retusche, 3 Trieder, 3 flache bohrerähnliche Abschläge (Spitzen), 1 bifazialer Schaber mit<br />

Gebrauchsspuren aus grünlichem Material (mousteroid), 10 kleine Retuscheabfälle, 1 trapezoide dicke Haue<br />

(oder Kielamboss) mit bifazial zugerichteter Arbeitskante, 2 flache Doppelspitzen mit 2 steil retuschierten<br />

oppositionellen Kanten.<br />

Mittleres Altpaläolithikum: 5 Spitzen, tiefbraune Patina, Wind verschliffen, rindenlos, bifacial, oval und länglich<br />

(elongated), darunter auch ein flaches, heller patiniertes Stück, stark „abgeblättert“. 1 Fragment eines runden<br />

Klopfsteins,<br />

Wörnitz 16 82 Artefakte 20 Bulbusabschläge - Wörnitz 17 d 52 Artefakte 3 Bulbusabschläge<br />

Foto oben - Wörnitz 19 54 Artefakte 6 Bulbusabschläge<br />

Sichelberg – Komplex - Beispiel für kleinräumliche Landschaftsarchäologie<br />

Um den Sichelberg, südöstlich von Fünfstetten, finden wir – wie auch um Heidmersbrunn, Asbacherhof, Nußbühl - Konzentrationen von<br />

„Silexteppichen“ inmitten von Naturscherben, aus dem sich mögliche Artefakte auslesen lassen, die wegen ihrer starken Vernarbung und<br />

der Formgebung ein Altpaläolithikum (Mittelpleistozän) nahe legen. Die Artefakte sind über die Hänge verstreut und erst am Ellerbach<br />

konzentrierter. Wegen möglicher Fließbewegungen die Hangneigung hinab fehlt es an Akkumulationen mit distinkten Rändern. Die Kerne<br />

sind amorph, Zweiseiter sind schwierig als Artefakte zu analysieren, zusätzlich bleibt oft offen, ob es sich um unvollständige Preforms<br />

handelt oder um Endprodukte. Es gibt wenig Abfall von Retuschen, die bei der Herstellung der Vorformen von Geräten an Ort und Stelle<br />

anfallen müssten. Das an der Oberfläche vom Urmenschen aufgelesene „ausgetrocknete“ - spröde Silex -Rohmaterial („Natur-Scherben“,<br />

Kerne) ist oft inhomogen zerklüftet, so dass der Aufbau einer exakten Schlagenergie zur zielgerichteten Spaltung <strong>des</strong> Rohlings in diesen<br />

Fällen kaum möglich ist.<br />

Es liegen Chopper, Chopping-Tools, Pics, Kerne, Haue (Kielambosse), nach den Kriterien der Olduvai- Tradition vor.<br />

Mündling 151/152<br />

Mündling 151/152<br />

Der von rechts-oben<br />

kommende<br />

Schlagschatten gibt<br />

den Artefakten<br />

Plalstizitat<br />

oben - von links nach<br />

rechts:<br />

Nichtklassischer<br />

Faustkeil dorsal,<br />

Cleaver ventral mit<br />

glänzender Mangan-<br />

Oberfläche,<br />

2 Abschläge mit<br />

Bulben ventral,<br />

ähnlich Nußbühl 23<br />

unten von links nach<br />

rechts:<br />

klingenförmiges<br />

Artefakt dorsal,<br />

einfacher<br />

Rindenabschlag mit<br />

Bulbus ventral,<br />

Spitze dorsal,<br />

Gradkantschaber<br />

dorsal, zerbrochen.<br />

45


Heidmersbrunn 0<br />

Links: Protofaustkeil dorsal, flächige Retusche an Basis, rechts:<br />

2 Clactonienabschläge<br />

Rechts: linker Protofaustkeil ventral; links: Segment zur Spitze verarbeitet<br />

Wörnitz 24<br />

24 Artefakte, davon 4 mit Bulben<br />

Clacton – Technik, „ Mündling-Kultur“ (MIS 9/11)<br />

Charakteristika (Hahn 84): grobe Geröll-Geräte, größere Abschläge – ohne vertiefte Weiterverarbeitung -<br />

bifaziale Geräte mit Hohlkerben, Geräte mit „Haken“ (Bill-hooks) Chopper, Chopping tools, Kerne mit wenigen<br />

Abschlagnegativen, vorherrschend unregelmäßige Kerne, Protofaustkeile – grobe Spitzen mit Basis, kaum<br />

retuschiert.<br />

7.1.3. Beschreibung einzelner Fundplätze Jüngeres Altpaläolithikum (MIS 10 – 7).<br />

15 Fundplätze insgesamt. Es werden nur Fundplätze über 50 Artefakte aufgeführt mit<br />

Ausnahme <strong>des</strong> Referenzfun<strong>des</strong> Groppenhof , Depot Zuchering<br />

BAYERISCHES LANDESAMT FÜR DENKMALPFLEGE<br />

Dienststelle Ingolstadt<br />

Landkreis<br />

Gemeinde<br />

TK 1:25000<br />

Gemarkung<br />

Flurk. 1:5000<br />

Ortsflur<br />

Fl.Nr.<br />

Fundart<br />

Datierung<br />

Lesefunde: Dollnstein-<br />

Groppenhof 1a-b<br />

Spät-altpaläolithisch frühmittelpaläolithisch<br />

neolithisch<br />

Flurname<br />

Verbleib Zuchering Kiste 747<br />

46


Kommentierung von Groppenhof 1 a-b<br />

Der große Schlagplatz mit geschätzten 500 Artefakten liegt im Zentrum <strong>des</strong><br />

Wellheimer Tals im dichten Geröll der Riss-Donau, das hier an die<br />

Oberfläche tritt, südlich <strong>des</strong> Erholungsteiches. Schuttfächer der Hänge<br />

können mit ausgewitterten Silex im Spiel sein. Der Talschotter weist auch<br />

Silex aus der Bunten Brekzie auf. Der wulstförmige Artefakt, der als<br />

Vergleich für den Mündling – Komplex dient, liegt auf dem Acker nördlich<br />

<strong>des</strong> Teiches. Das Mittlere Riss nach älteren Terminologien kann mit einem<br />

Riss Interstadial verbunden werden (Gipping, Wymer S. 387),dem Ende <strong>des</strong><br />

Mittleren Pleistozäns. Demgemäß handelt es sich um ein Jüngeres<br />

Altpaläolithikum (siehe auch Abschnitt 6.8.2.).<br />

Mündling 00 und 01<br />

125 Artefakte 31 Bulbusabschläge<br />

(Leider durch Sammler beeinträchtigt)<br />

Zusammenstellung von<br />

Abschlägen mit Bulben<br />

<strong>des</strong> <strong>Funde</strong>s Mündling<br />

00/01.<br />

Die Bulben sind<br />

ausgeprägt (Clacton-<br />

Schlag)<br />

Der linke untere Abschlag<br />

ist ventralseitig, die<br />

übrigen dorsalseitig<br />

gezeigt. Sie sind<br />

entsprechend dem<br />

intentionellen Schlag –<br />

ausgehend vom Bulbus -<br />

ausgerichtet.<br />

Der Silex weist<br />

unterschiedliche Färbung<br />

auf, wenn auch das Rot-<br />

Braune überwiegt<br />

Mündling 03<br />

Größter altpaläolithischer Fund mit mittelpaläolitischer Komponente im Untersuchungsgebiet<br />

60 Bulben-Abschläge<br />

Nach Karl Heinz Rieder spricht nichts gegen die Einordnung ins Altpaläolithikum. Jan Weinig weist darauf hin,<br />

dass auch einige mittelpaläolithische Komponente mit eingeschlossen sind. Versuch einer Unterscheidung<br />

zwischen Alt- und Mittelpaläolithikum<br />

Jüngeres Altpaläolithikum:<br />

Zur Charakterisierung <strong>des</strong> Altpaläolithikums allgemein: Tief-braune Patinierung, z.T. verschliffene<br />

Oberflächen, z.T. natürliche Ausbrüche.: 1 Faustkeilschaber, 1 ovales Halbfabrikat für einen Acheuleen –<br />

Faustkeil (?), große, dicke „grobe“ Klingenabschläge. Es kommt eine sog Proto - Levallois – Technologie vor,<br />

die noch untersucht werden muss, sowie flächig bearbeitete Schaber und Stichel. Die meisten der bisher<br />

gefundenen Kerne zählen zu den sog. „Chopper-Kernen“ (Wymer) oder Ambosse. Ein großer Amboss ist<br />

Kapitel 8 besprochen worden. Es liegen sehr große auf dem Acker herum, die aus Gewichtsgründen nicht<br />

47


mitgenommen wurden. Ein dorsal verschliffener sehr sorgfältig bearbeiteter Levallois-Kern ist nach dem<br />

Abschlag vielleicht als Schaber verwendet worden.<br />

Älteres Mittelpaläolithikum:<br />

1 „ausgereifter“ Levallois-Kern, 1 würfelförmiger Klingenkern, 1 typische Levallois-Spitze <strong>des</strong><br />

Mittelpaläolithikums, 1 chapeau-de-gendarme.<br />

Zusammenstellung von<br />

Abschlägen mit Bulben aus<br />

dem Fund Mündling 03.<br />

Alle Artefakte zeigen die<br />

Dorsalseite. Sie sind nach der<br />

Schlagrichtung vom Bulbus<br />

aus orientiert.<br />

Das mittlere untere Exponat<br />

ist der verschliffene Rücken<br />

eines Moustérien - Levallois -<br />

Kernes. Das Moustérien-<br />

Stück weist die gleiche Patina<br />

und Verschliffenheit auf wie<br />

die altpaläolithischen<br />

Artefakte.<br />

Der große Abschlag links<br />

unten verjüngt sich im<br />

Bulbus-Bereich. Die ventral<br />

retuschierte gerade Kante<br />

weist den Abschlag als<br />

Werkzeug aus.<br />

Wörnitz - Komplex 17/17a/17b<br />

Das große Feld ist in drei Teile zergliedert, unten nördlich <strong>des</strong> Mittelbaches 17a, das wegen<br />

bisher geringer <strong>Funde</strong> nicht aufgenommen wird, Mitte 17 und die Anhöhe mit Blick auf<br />

Bun<strong>des</strong>straße Wörnitz 17b. Es handelt sich um eines der größten Fundplätze, ergänzt um 17d.<br />

Wörnitz 17 b<br />

48


Feld Wörnitz 17 Beispiel für Archivierung einer Landschaftsaufnahme durch Google<br />

Wörnitz 17 Feld Google<br />

Earth plus Übersicht, Foto<br />

aus 409 Meter über Boden<br />

skaliert.<br />

Die Flags sind direkte<br />

Einmessungen von<br />

Feldecken mit GPS -<br />

Garmin, betreffend unteren<br />

Teil Wörnitz A (fast ohne<br />

<strong>Funde</strong>), mittleren Teil<br />

Wörnitz und oberen Teil<br />

Wörnitz 17b. Mit dem<br />

handlichen GPS-Gerät<br />

wurden grünlichblaumarkierte<br />

Tracks<br />

gezogen, indem ich die<br />

Felder abgegangen bin. Die<br />

durchgezogenen Linien<br />

bestehen aus Hunderten von<br />

Messpunkten, die in Google<br />

gespeichert worden sind.<br />

Die Messwerte <strong>des</strong> GPS-<br />

Geräts wurden automatisch<br />

in Google Earth importiert.<br />

Das Foto ist beliebig<br />

skalierbar.<br />

Die gelben Pinnadeln sind<br />

nachträglich in Heimarbeit<br />

in das Google-Foto für die<br />

Fundplätze eingesetzt<br />

worden, die nicht vor Ort<br />

eingemessen wurden.<br />

49


Wörnitz 17<br />

Obere Reihe von links:<br />

1 kleiner Abschlag mit<br />

Bulbus;<br />

Hohlschaber;<br />

kleine Klinge mit<br />

Schneideretusche;<br />

Gradkantschaber,<br />

rindenlos;<br />

einfache Spitze<br />

Mittlere Reihe von links:<br />

zwei bläuliche<br />

Schlagsteine, der erste ist<br />

rundum vernarbt, der<br />

zweite nur an einer Stelle;<br />

runder im Restkern<br />

stecken gebliebener<br />

Konus, durch senkrechten<br />

Schlag bedingt. Die raue<br />

Abplatzung könnte vom<br />

Fehlschlag herrühren<br />

Untere Reihe von links:<br />

zwei Gradkantschaber<br />

flach;<br />

Proto-Levallois Abschlag<br />

Mündling 109/110<br />

Eines der größten und bedeutenden <strong>Funde</strong><br />

60 Silices, Bunte Breckzie, darunter 30 Bulbusabschläge,<br />

Dass der Fund ins Altpaläolithikum zu stellen sind, erweist sich neben dem Formenspektrum an den haarfeinen<br />

Frost-Klüften und der tief-braunen oder tief-bläulichen Patina. Östlich von Mündling 109/110 setzt sich mit<br />

Mündling 159 ein altpaläolithischer Schlagplatz weiter fort, den wir aber wegen dem bisherigen Fehlen von<br />

sorgfältig bearbeiteten Bifacialen ins Mittlere Altpaläolithikum setzen.<br />

7.2. Benennung einzelner Schlagplätze Mittelpaläolithikum<br />

66 Fundplätze insgesamt. Es werden nur die größeren hier aufgeführt. Während wir uns mit<br />

dem Altpaläolithikum oftmals auf unsicheren Boden befinden, ist die Zuschreibung beim<br />

Mittelpaläolithikum auch bei skeptischer Bewertung eher vertretbar. Als Referenzfunde für<br />

das Mittelpaläolithikum gelten Mündling 1 (Reisch), Mündling 3 (Rieder), Mündling 15,<br />

Mündling 108 (Weißmüller). Fundbeschreibungen auch im Internet unter Flag Deutschland.<br />

50


Mündling 1 (Marbach-Brünsee)<br />

757 Artefakte, davon 90 Silexstücke, deren Artefaktcharakter zwar nicht nach Maßstäben der Schularchäologie<br />

feststellbar ist, die aber in den Lehmhang importiert worden sind. Typisch für das Mittelpaläolithikum ist – im<br />

Gegensatz zum Altpaläolithikum -, dass nur 1 Plattensilex vorhanden ist. Der homogene feinkörnige Silex dürfte<br />

nicht aus der Bunten Brekzie stammen sondern aus autochthonen Juraschichten. Die dicke Rinde dürfte sich<br />

durch chemische Prozesse schon im Kalk gebildet haben<br />

Die Levallois-Technologie, die ansonsten kaum im Inventar auftaucht, wurde im Februar<br />

2003 einer gesonderten Untersuchung unterzogen<br />

Fünf Schritte <strong>des</strong> Kernabbaus<br />

1. Reihe:<br />

1.1. Seitenansicht, selektierter Rohkern (Schritt 1)<br />

aus Hornstein mit brauner zerfurchter Rinde;<br />

1.2. Aufsicht eines unvollendeten Kernes;<br />

alternative "Zick-Zack" Kantenbearbeitung (Schritt<br />

2) für Kielkantenpräparation;<br />

1.3. Aufsicht: vollendeter Schildkern ohne Rinde;<br />

1.4. Seitenansicht. vollendeter Schildkern ohne<br />

Rinde, (Produktionsschritt 3).<br />

2. Reihe: Verschiedene Abschläge als Abfall bei<br />

der Bearbeitung der Levallois- Kerne mit<br />

abnehmenden Rindenanteilen;<br />

3. Reihe:<br />

3.1. Levallois-Abschlag der 1. Serie mit einem<br />

zentralen Grat (Schritt 3..)<br />

3.2. Levallois-Spitze der 2. Serie, wobei der linke<br />

randlicher Abschlag nicht die Rinde komplett<br />

beseitigen konnte (Schritt 4); 3.3. komplette<br />

Levalloispitze der 2. Serie (Schritt 4).<br />

4. Reihe: Levallois-Kerne in abnehmender Größe<br />

gereiht, entsprechend der weiteren Bearbeitung<br />

(Stufe 5).<br />

1. Line: 1.1. Blank core, chert (1. step); 1.2. Profile<br />

of core: Zick-Zack-edged, unfinished; 1.3. complete<br />

core plano/convex (tortoise in 2. step); 1.4. like 1.3.<br />

but face-view. 2. Line: Debris-flakes from cores<br />

with different cortex. 3.Line: 3.1. Levallois-flake of<br />

the 1. series with 1 central ridge; 3.2. Levallois-<br />

Point of the 2. series (step 4); 3..3. complete<br />

Levallois-point of the 2. series (step 4). 4. Line:<br />

cores, getting smaller by repeated chipping (step 5).<br />

Reisch legt das Alter auf rund 50 000 Jahre v.h. Der Fund kommt dem Mousterien von der<br />

Abrifundstelle La Ferassie im südwestfranzösischen Departement Dordogne nahe. (Krippner<br />

2000, S. 39).<br />

Mündling 3<br />

200 Artefakte, darunter mehr als 30 Kerne<br />

Von Mündling 1 unterscheidet 3 sich in folgenden Punkten: Die Kerne sind wechselseitig behauen ohne<br />

erkennbare Zielrichtung, ohne Levallois-Technik. Klingen- und Endprodukte fehlen fast völlig, die wenigen<br />

Halbfabrikate (Schaber, Spitze/Bohrer? Kratzer) sind zumeist bifaziale durch eine feine schuppige<br />

„mousteroide“ Retusche zugerichtet wie sie im Micoquien der Sesselfesgrotte auftaucht. Die Rinde der Artefakte<br />

ist einheitlich feinkörnig hellbraun – ein Marker für das Mittelpaläolithikum der Gegend..<br />

Mündling 22<br />

135 Artefakte<br />

30 mit Bulben, der Schlagkegel ist oft ausgebrochen oder weg retuschiert.<br />

51


Neben Knollen und Platten treten sackförmige Silices auf, die wie Mü 83 f der mittelpaläolithischen Quina-<br />

Technologie zuzuordnen sind.<br />

Die Bulben stellen nicht die klassischen Hertzschen Kegelbrüche dar, weil es an dem homogenen spröden<br />

„bergfrischen“ isotrophen Material mangelt (Hahn S. 34), angesichts der schon lange an der Oberfläche<br />

ausgewitterten Platten und Knollen. Durch die Verwitterung sind auch die Wallnerlinien wegerodiert. Es gibt<br />

aber oft Schlagflächenreste, Schlagnarben. Es mangelt oft an druck-kontrollierte Bruchausdehnungen, die auf<br />

eine perfekt kontrollierte „intentionelle“ Technologie hinweisen würde.<br />

Es überwiegt eine bifaziale Schlagtechnologie. Unklar ist, ob die zumeist fehlende Sekundärretuschen Kulturgut<br />

sind (altpaläolithisch?) oder auf unfertige Zustände von Halbfabrikaten hinweisen. Ebenso schwierig ist die<br />

Unterscheidung von Restkernen und bifazialen Halb- oder Viertelfabrikaten, wobei einige Flächen auch<br />

Resultate von Frostausbrüchen sind.<br />

Mündling 23 a<br />

55 Artefakte<br />

1 großer Levallois-Schildkern, hellgrau; 1 Chopping Tool, hellgrauer Hohlschaber; 1 Klingenbohrer mit Bulbus;<br />

etliche tiefbraune Restkerne.<br />

Mündling 108<br />

tief-rotbraun-patinierten Silex<br />

Weißmüller stellte den Fund ins Mittelpaläolithikum.<br />

rund 50 Abschläge, Runde, trapezoide, sackförmige, irreguläre Kerne: über 30 kleinere bis mittelgroße Bulben-<br />

Abschläge, keine Geräte.<br />

1 Basis eines weißpatinierten mousteroiden Faustkeils. Wenige Kerne mit Levallois-Technik, einige facettierte<br />

Bulben, glatte tiefbraune Patinierung - aber ohne Verwitterung - Frostausbrüche.<br />

Solnhofen 3<br />

Wie Dollnstein-Groppenhof handelt es sich bei Solnhofen um einen weit außerhalb <strong>des</strong> Such-<br />

Polygons liegenden Referenzfun<strong>des</strong> in einer Insel der Bunten Brekzie nördlich über der<br />

Steilkante <strong>des</strong> Altmühltals<br />

BAYERISCHES LANDESAMT FÜR DENKMALPFLEGE<br />

Dienststelle Ingolstadt<br />

Landkreis<br />

TK 1:25000<br />

Flurk. 1:5000<br />

Fl.Nr.<br />

Gemeinde<br />

Gemarkung<br />

Ortsflur<br />

Flurname<br />

Fundart<br />

Datierung<br />

Lesefunde: Solnhofen 3<br />

mittelpaläolithisch<br />

Verbleib Zuchering 770<br />

Aus der Bunten Brekzie <strong>des</strong> Ries-Kraters, der inselartig sich an der Kante<br />

zur Altmühl östlich von Solnhofen ausbreitet, lassen sich über 100<br />

mittelpaläolithische Abschläge mit Punktbulben auslesen. Sie sind durch<br />

Feuereinwirkung z.T. tief-rot patiniert, zum übrigen Teil tief gelbbräunlich.<br />

1 typischer bifazialer Mousterien-Schaber aus einem Abschlag,<br />

Sesselfelsgrotte-Micoquien(?). Die Ventralseite ist flächig muschelig<br />

retuschiert, 1 Klingenkern, 1 Klingenschaber mit Feinretusche.<br />

Landschaftskomplex Haselberg-O Mündling 55, 55a, 62, 62a, 67, 84, 85<br />

Der Komplex stellt einen Teilbereich der Landschaftsarchäologie <strong>des</strong> Raumes dar. Auf engem<br />

Raum <strong>des</strong> östlichen Ausläufers <strong>des</strong> höchsten Berges der Gegend „Haselberg“ liegen mehrere<br />

52


mittelpaläolithische Schlagplätze nebeneinander. Z.T. bestehen Verbindungen zueinander wie<br />

zwischen Mündling 86 und 85, 62 und 62a.<br />

Mündling 62<br />

Mittelpaläolithikum –Aurignacien<br />

Der größte Schlagplatz <strong>des</strong> Komplexes – formenkundliche Unterscheidungen<br />

Mittelpaläolithikum: 1 kleiner bifacialer Rundschaber, hellbraun; 1 Klingenkratzer, steil retuschiert; 1 flacher<br />

Chopper, Spitze; 2 bifaciale Seitenschaber, davon 1 gelb-weiß glänzend, 1 blau-weiß; 1 unipolarer Klingenkern;<br />

1 plattiger Klingenkern; 1 geköpfter Kernrest mit 4 parallelen Kratzerretuschen; 15 sonstige amorphe Kerne.<br />

Aurignacien: 1 länglicher Klingenkratzer wie Aurignacien Möckenlohe 22 (Depot Elvers, Ingolstadt), 2<br />

Kielkrater; 1 steiler Rundkratzer; 1 kleiner Klingenabschlag, hellgelb glänzend; 1 flächig retuschierter<br />

Seitenschaber hellglänzend; Stichelreste.<br />

Mündling 55<br />

Altpaläolithikum - Mittelpaläolithikum –– Aurignacien - Neolithikum<br />

300 Artefakte, Feld wurde von Privat- Interessenten abgesammelt<br />

Altpaläolithikum: 1 11 cm großer Cleaver aus hier raren weiß-bläulich patiniertem Silex mit rissiger Rinde; 1<br />

Segment<br />

Mittelpaläolithisch: Der Silex ist uneinheitlich patiniert: tiefbraun glatt wie MP Mündling 108 und 15 – stumpf<br />

grau weiß wie MP üblich am Haselberg – porzellan-weiß ebenfalls mittelpaläolithisch; Stichel (?) aus Fladen,<br />

Bohrer, indifferente Kerne; die Masse der kleinen Abschläge mit Bulben (Retuschen)<br />

Aurignacien: 1 doppelter Kielkratzer, Mehrfachgerät, Rinde z.T. belassen, ventraler distaler Gegenschlag; 1<br />

doppelter Kielkrater, länglich gestreckt, ventraler distalerGegenabschlag; 1 Flachkratzer mit ventralen distalen<br />

Gegenabschlag; 2 flächige größere Rindenabschläge mit Kratzerstirn.<br />

Neolithisch: flache Platten mit Rinde, Kanten gebrochen<br />

Levallois-Kern Mündling 170<br />

Levallois-Kern Aufsicht Dorsalseite<br />

Levallois-Core ventral under core flat surface, South-Germany, Bavaria,<br />

eastside of the Ries - Impact-Crater<br />

Mündling 83 f<br />

30 Artefakte, 5 Bulbusabschläge<br />

hohe Konzentration von Fladen. Knollen, wurst- oder sackförmigen Natursilex. Bor<strong>des</strong> hat in seiner „Typologie<br />

du Paléolithique Ancien et Moyen“; Bordeaux 1961, unter Planche 107 derartige sackförmige Silices mit<br />

Retuschen abgebildet und sie folgendermaßen benannt : 4/5 Nucléus informe. Moustérien type Quina. Hahn<br />

unterscheidet an länglichen Silices vier Abschlagsformen (S. 87). Die vorliegenden Sequenzen lassen sich nicht<br />

in die 4 „streng definierten“ Techniken einordnen. Vielmehr handelt es sich um eine opportunistische<br />

Abschlagstechnik, in der die „Wurstscheiben-Salami-Technik“, die Abschläge mit Kortex, Grundformen mit<br />

natürlichen Rücken miteinander vermischt sind. Folgende Abbau-Stadien sind heraus zu lesen:<br />

Transformationsprozess:<br />

1. Stadium: Ein einziger Abschlag kappt die Spitze <strong>des</strong> Vollkerns, um eine Plattform für weitere Abschläge zu<br />

gewinnen. Als Reste fallen kleine bucklig-runde Rinden-Enden mit glatter Abschlagsfläche ab, die manchmal zu<br />

Rundschabern nachgearbeitet werden.<br />

2. Stadium: Von der gewonnenen Plattform aus werden eine oder mehrere Abschläge zumeist mit 90 Grat<br />

externen Winkels entlang der Rindenwand vom Kern abgeschlagen, in dem eventuellen Bemühen,<br />

53


Klingenabschläge parallel zur Rinde zu gewinnen oder neue Plattformen für weitere Abschläge. Einige<br />

misslingen und bleiben nach kurzer Strecke im Gestein stecken. Falls dieser Fall vorliegt, kann das andere Ende<br />

für einen neuen Versuch abgekappt werden. In diesem Fall liegen an beiden Enden gekappte Röhrenkerne vor.<br />

3. Stadium: Bei den dickeren Kernen werden die gewonnenen Flächen als Plattformen für weitere Abschläge<br />

benutzt. Es entstehen irreguläre vielkantige Kernreste mit einem unterschiedlichen Anteil an Rinde.<br />

4. Stadium: Vorformen von Geräten oder Endgeräten: Manchmal sind die entstandenen scharfen Kanten aus dem<br />

3. Stadium nachretuschiert worden, um als Gradschaber oder Kratzer zu dienen, wobei Versuche ergeben, dass<br />

die irregulären Formen manchmal einen besonders guten Halt für die Finger ergeben können. Produktionsziel<br />

für diesen verbreiteten sackförmigen Kerntypus sind Rundschaber, Gradschaber, Kratzer. Klingen liegen hier<br />

nicht vor.<br />

Mündling 83 b. - Quina Technologie - Mittelpaläolithikum<br />

Oben links:<br />

2 Schaber mit<br />

„natürlichen“<br />

Rücken 3. Artefakt:<br />

„Klingenschaber“<br />

Oben rechts<br />

1 Sack mit distaler<br />

bifazial zugerichtete<br />

Schneide<br />

Unten links<br />

2. Artefakt 1<br />

Kernscheibe von<br />

einem Sack mit<br />

Rostspuren vom<br />

Pflug<br />

7.3. Chatelperronien 35 000 vor heute – Verhältnis Neandertaler – Moderner Mensch<br />

Das Chatelperronien – überwiegend in Burgund (Harald Floss, S. 109), ist das Bindeglied<br />

zwischen Mittel- und Jungpaläolithikum (Älteres Aurignacien), wobei unklar ist, ob hinter der<br />

Kultur der Neandertaler oder der anatomisch moderne Mensch steht. Es treten traditionelle<br />

mittelpaläolithische Stücke wie Schaber auf und zugleich Klingengeräte<br />

(Chatelperronspitzen), Kielkratzer und Stichel. Fund Nußbühl 22 weist ähnliches Material<br />

auf. Falls es sich tatsächlich um ein Chatelperronien handelt, wäre es das östlichste bisher.<br />

54


Nußbühl 22/-<br />

Grotte de la<br />

Verpillière<br />

Das zugrunde<br />

liegende Blatt<br />

weist die<br />

Kollektion von<br />

Chatelperron-<br />

Spitzen auf<br />

(Harald Floss, S.<br />

120).<br />

Die darüber<br />

liegenden<br />

Artefakte<br />

stammen aus dem<br />

jüngsten Fund<br />

Nußbühl 22 vom<br />

Juli 2010, den ich<br />

bisher ins Mittlere<br />

Altpaläolithikum<br />

gestellt habe..<br />

Die Ähnlichkeit<br />

der rindenlosen<br />

Spitzen ist<br />

signifikant. Ein<br />

etwas grobes<br />

Gerät links unten<br />

in Seitenansicht<br />

könnte als<br />

Kielkratzer<br />

bezeichnet<br />

werden.<br />

Nicht an dieser<br />

Stelle<br />

dokumentiert sind<br />

etliche Schaber in<br />

Moustérien-<br />

Tradition und ein<br />

Kratzer in<br />

Nußbühl 22. Eine<br />

gelbe Breit-Klinge<br />

als<br />

Bulbusabschlag<br />

von einfacher<br />

Plattform eines<br />

möglichenÄlteren<br />

Aurignacien ist<br />

ebenfalls<br />

vorhanden.<br />

Frappierend sind die starke Vernarbung und Abgeschliffenheit der Artefakte, sowie die oft<br />

vorhandene tief-rote Färbung, die ich bisher dem Altpaläolithikum zugesprochen habe.<br />

7.4. Benennung einzelner Fundplätze Jungpaläolithikum<br />

22 Fundplätze einschließlich von Artefakten in Fundzusammenhängen mit anderen Kulturen<br />

(Statistik Kapitel 8). Erst im September 2007 konnte bei der Revision der <strong>Funde</strong> aus dem<br />

vorliegenden Material Spuren eines Aurignacien aussortiert werden, das bisher der<br />

Aufmerksamkeit entgangen war. Neben den Beschreibungen nachfolgender Fundplätze sei<br />

auf <strong>Funde</strong> verwiesen, die im Zusammenhang mit anderen Zeitstellungen gesondert<br />

beschrieben worden sind: Mündling 55/62/64c/70a/93. Wie bei den anderen Kulturen sind<br />

einige nähere Beschreibungen im Internet unter der flag „Deutschland“ präsent.<br />

55


Mündling 7 Gravettien 50 Artefakte - Mündling 24 Aurignacien: 1 breites, sehr flaches<br />

Klingenmesser, fein retuschiert; 1 kräftiger Klingenstichel; 1 Breitklinge; aus blaugrauen Silex, Rundschaber,<br />

etwas verwittert; 1 länglicher Klingenblock. - Mündling 25 Aurignacien:<br />

52 Abschläge, 15 Bulbus-Klingen-Abschläge<br />

Es lassen sich aus Tausenden von Silextrümmern – von denen viele bei großzügiger Interpretation artifiziell sein<br />

könnten – einige Kerne, Abschläge sowie Geräte auslesen, wobei die kleineren Abschläge z.T. Bulben tragen.<br />

Das vorliegende Spektrum: 1 Kielkrater; 1 hochrückiger Klingenkratzer; 2 Stichel; 1 breiter flacher<br />

Klingenabschlag; 1 Bohrer aus flachen Plattensilex; 1 Seitenschaber mit Bulbus. Wegen der gleichförmigen<br />

schwarzkörnigen Rinde gelingt es, die Artefakte in Form einer einfachen Werksrückbildung zu einem Ensemble<br />

zusammen zu führen.<br />

7. 5. Benennung neolithischer <strong>Funde</strong> der Bunten Brekzie<br />

42 Fundplätze insgesamt (Kapitel 8). Bei der Behandlung der mittelpaläolithischen <strong>Funde</strong><br />

wurden dort schon neolithische „Schleier“ – wie Haselberg – behandelt. Hier geht es um<br />

Schwerpunkte neolithischer Ereignisse. Es werden weiterhin nur die neolithischen <strong>Funde</strong><br />

behandelt, die nicht dem üblichen bekannten neolithischen Klingenspektrum entsprechen, wie<br />

sie Reisch für Mündling oder Weinig für den Raum Ingolstadt festgemacht haben. Typische<br />

neolithische Klingenkomplexe wie Mündling 9a, 9b oder 26a, 26b werden ausgeklammert. Es<br />

geht also darum, eine „unübliche“ neolithische Industrie dar zu stellen, die sich einer<br />

sofortigen Einordnung – wie bei den neolithischen Klingenkulturen mit entsprechender<br />

Keramik – verschließt.<br />

Die meisten neolithischen Schlagplätze auf den Hochflächen über 500 Meter dürften von<br />

Menschen aus Siedlungen in dem nahen 100 Meter tieferen und klimatisch günstigeren Ries-<br />

Krater stammen. Auf der Hochfläche hat es keine neolithische Dörfer gegeben<br />

Von den 37 erfassten Fundstellen werden nur einige aufgeführt.<br />

Mündling 4f<br />

Spätmesolithisch-frühneolithische kleine Verdichtung<br />

20 Artefakte<br />

1 relativ große trapezoide Pfeilspitze mit grader Basis<br />

2. Pfeilspitze im Komplex Mündling trägt nach Art der amerikanischen Folsom-Points einen „fluted“- flake, d.h.<br />

einen basis-verdünnenden Abschlag.<br />

Schlagplatz-Komplex Mündling 28, 28 a-c, 80, 93, 138, 139.<br />

mit „frischen“ hell-blau-grau patiniertem Silex<br />

Nordöstlich <strong>des</strong> Dorfes tritt in den von West nach Ost ziehenden Hangrücken zum Trockental<br />

der ICE-Trasse ein dritter besonderer Silexkomplex auf – neben den tiefbrau-rot patinierten<br />

Silexnestern der Bunten Brekzie und zusammen getragenen Silexkonglomeraten. Es ist ein<br />

splittrig frisch-hell-blau-grau erscheinender Silex überwiegend in Platten in unterschiedlicher<br />

Dicke in hoher Verdichtung. Die körnige Rinde ist überwiegend grau-braun gesprenkelt und<br />

trägt oft rostige Flugspuren.<br />

Mündling 28/28a/28b/28c<br />

Neolithikum – Altpaläolithikum -<br />

150 Artefakte, überwiegend neolithische Platten.<br />

1 Befund <strong>des</strong> Altpaläolithikums: großes Segment, Funktion Hohlschaber<br />

Mündling 28 c 1 in der Mitte zerbrochener (Biegebruch) neolithischer Dolch<br />

Mündling 149<br />

Spät-neolithischer Schlagplatz<br />

21 Artefakte 1 Bulbusabschlag<br />

56


Der gesamte Silex in die Mulde ist zusammen getragen worden.<br />

rundliche - Irreguläre Kerne – Platten - Keramikscherben, Schlacke und feuerausgesetzte Bruchstücke -<br />

Halbgeräte und Geräte.<br />

1 große „Granithaue“. Ventral geht von der graden Basis ein unebener Abschlag mit einem dicken Bulbus aus.<br />

Die Dorsalseite dürfte durch Picktechnik etwas verflacht worden sein. Ebenfalls durch Picktechnik könnte der<br />

Ventralbereich verflacht worden sein, was die Unebenheit erklären könnte, um eine scharfe grade Arbeitskante<br />

zu erreichen.<br />

Sulzdorf 10<br />

20 Artefakte 6 Bulbusabschläge<br />

8. Statistik als Beweisführung eines erweiterten Clactonien im Altpaläolithikum<br />

Stand Juni 2010<br />

Die Statistik erfasst zwar alle 355 Fundplätze, dient aber speziell als Beweis für ein Nicht-<br />

Faustkeilführen<strong>des</strong>-Clactonien<br />

8.1. Symbole bei der Verwendung der Statistik<br />

Beispiel für eine Datei, die einen Fundplatz präsentiert: MÜ 1 MP 755 230:<br />

Interpretation für 4 Merkmale im Dateinamen: Fundplatz: Mündling 1 Zeit:<br />

Mittelpaläolithikum, 755 Artefakte, davon 230 Bulbusabschläge<br />

ÄA<br />

MA<br />

JA<br />

AP<br />

MP<br />

Au<br />

GR<br />

JP<br />

NE<br />

NEU<br />

U<br />

EI<br />

TR<br />

Grauzone<br />

Artefakt<br />

Älteres Altpaläolithikum<br />

Mittleres Altpaläolithikum<br />

Jüngeres Altpaläolithikum<br />

Altpaläolithikum<br />

Der Begriff AP wird verwendet, wenn eine zeitliche Unterteilung in AÄ,<br />

MA und JA nicht möglich ist<br />

Mittelpaläolithikum<br />

Aurignacien<br />

Gravettien Ein<br />

Jungpaläolithikum; eine zeitliche Unterteilung innerhalb JP ist nicht möglich<br />

Neolithikum<br />

Neuzeit<br />

unbestimmt, unbestimmbar<br />

Artefakte aus Eisenbahnschotter Rheinisches Schiefergebirge, auf die Felder transportiert<br />

Trümmer<br />

TR bezieht sich auf einen ganzen Fundplatz. Er steht für<br />

Natursilex. Nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein Teil durch<br />

Amboßtechnologie verursacht worden ist, also durch Menschen.<br />

Der Begriff ist noch nicht in die Untersuchung eingeführt. Ein großer<br />

Teil <strong>des</strong> ÄA fällt wahrscheinlich in die Grauzone. Die Grauzone steht<br />

in der Analyse einzelner Silices unentschieden zwischen Artefakt und Trümmer<br />

Artefakte sind wahrscheinliche oder sicher vom Menschen modifizierte Materia prima.<br />

Bei einer genaueren Analyse werden ein Teil der Artefakte als<br />

Trümmer anfallen. Andererseits kann ein Teil der Trümmer, der vom<br />

Acker nicht aufgelesen wurde, Artefakte sein<br />

Bulbus-Abschlag<br />

57


wird.<br />

Silex<br />

Punktueller Trenn-Abschlag, der von der Schularchäologie als weitgehend gesichert bezeichnet<br />

Rohmaterial der Bunten Breckzie aus Granit, Quarzit oder Feuerstein<br />

8.2. Auszählung aller Zeitstellungen<br />

12 Schlagplätze: Mündling 0 – Serie (Wörnitz-Komplex)<br />

ÄA MA JA AP MP Au Gr JP ME NE Ei NEU U<br />

2 4 2 2 1 1<br />

29 Schlagplätze: Fundbericht Mündling 1 (willkürliche Teilmenge)<br />

2 2 8 2 4 2 1 1 7<br />

174 Schlagplätze: Fundbericht Mündling 2 (willkürliche Teilmenge)<br />

2 22 5 20 41 1 4 4 10 4 4 55<br />

122 Schlagplätze außerhalb <strong>des</strong> engeren Mündling-Komplexes mit eigenen Dorfnamen<br />

ÄA MA JA AP MP Au Gr JP ME NE Ei NEU U<br />

7 23 8 16 7 1 5 11 2 62<br />

355 - Summe aller Fundplätze<br />

11 51 15 38 58 1 3 8 12 22 5 6 115<br />

Zusammengefasste paläolithische Fundplätze in 3 Gruppen: Alt- Mittel-<br />

Jungpaläolithikum<br />

ÄA/MA/JA/AP MP Au/Gr/JP<br />

115 58 12 (22)<br />

Kurze Kommentierung der Zahlen für die Schlussfolgerungen in Kapitel 11.<br />

Einige Fundplätze sind durch verschiedene Kulturen überlagert. In dieser Statistik sind daher<br />

die häufigsten <strong>Funde</strong> einer Kultur als dominant aufgeführt und die anderen Kulturen nicht<br />

benannt worden. Dadurch ist vor allem das Jungpaläolithikum (JP) unterrepräsentiert, weil es<br />

10 weitere Fundplätze aufweist, die aber von einer anderen Kultur dominiert werden.<br />

58


8. 3. Kommentierung der Statistik Faustkeile Levalloisartefakte<br />

Levallois-Formen und Faustkeile sind zwei in der Archäologie genau definierte<br />

Merkmalsformen, an denen man eine Alters- und Kulturbestimmung an Fundplätzen<br />

vornehmen kann. Die Einzelbeschreibungen der <strong>Funde</strong> finden sich in der Homepage Flag<br />

Deutschland.<br />

Klasssische Faustkeile, Protofaustkeile, nichtklassische Faustkeile<br />

Im gesamten Fundareal befinden sich 16 Faustkeile der verschiedenen Kategorien, darunter<br />

sind auch zerbrochene und zweifelhafte aufgeführt. Zur Definition sei auf Abschnitt 6. 2. 1<br />

verwiesen.<br />

An klassischen mousteroiden Faustkeilen einschließlich von 2 zerbrochenen und den sog.<br />

Faustkeilabschlägen sind 5 im gesamten Fundgebiet ausgezählt. Einschließlich <strong>des</strong> schon in<br />

den 60iger Jahren gefundenen Mündlinger- Faustkeils aus der Eem-Zeit sind es 6.<br />

Der größere Teil....10.... zählt zu den nichtklassischen Faustkeilen <strong>des</strong> Jüngeren, wenige auch<br />

<strong>des</strong> Mittleren Altpaläolithikums nach der Definition von McNabb. Es sind keine Vorformen<br />

der späteren klassischen Faustkeilen. Ausdrücklich als Faustkeile <strong>des</strong> Jungacheuléen sind 4<br />

bezeichnet. Der Rest dürfte ins Mittlere Altpaläolithikum fallen oder unbestimmbar sein, weil<br />

der Übergang zu Spitzen fließend ist. Verteilt auf über hundert Fundplätzen <strong>des</strong><br />

Altpaläolithikums sind sie nicht kulturprägend. Die altpaläolithische Mündling-Kultur -<br />

Macro-Chopping-Tool-Assemblage - kann man <strong>des</strong>halb nach McNabb als eine Nicht-<br />

Faustkeil-Führende bezeichnen, das wesentliche Kriterium für ein „erweitertes Clactonien“.<br />

Näheres ist den Einzelbeschreibungen der <strong>Funde</strong> zu entnehmen.<br />

Levallois-Abschläge - Levallois-Kerne<br />

Es liegen 24 Levallois-Abschläge und Kerne vor, wenn man die reichgesegnete Levallois-<br />

Fundstelle Mündling 1 nicht berücksichtigt, die nicht ausgezählt worden ist.<br />

Levallois-Abschläge: 10 Levallois-Kerne: 14<br />

Die Levallois-Kerne überwiegen leicht. Ähnlich wie bei den Kernen reicht die Palette über<br />

klassische Levallois-Artefakte <strong>des</strong> Mousterien bis zu denen <strong>des</strong> Jüngeren und Mittleren<br />

Altpaläolithikums.<br />

Im Mittelpaläolithikum treten 11 Levallois-Formen auf, wenn man Mündling 1 ausklammert.<br />

Auch die reichen Fundstellen wie Mündling 3 und 108 weisen wenige oder übehaupt keine<br />

auf.<br />

Die Proto-Levallois-Formen <strong>des</strong> Altpaläolithikums kann man vielleicht als Vorformen der<br />

späteren Zeiten auffassen. Hier kann man <strong>des</strong>halb im Gegensatz zu den Faustkeilen von<br />

Proto-Formen sprechen. Die Kerne sind größer und ihre beiden Flächen kruder retuschiert als<br />

die stark abgebauten mittelpaläolithischen mit Ausnahme <strong>des</strong> Unikats Mündling 170. Auch<br />

die Abschläge weisen eine krudere Form als die klassischen auf. Als Proto-Levallois-Formen<br />

sind 5 benannt worden.<br />

2 Levallois-Abschläge beziehen sich im Text im Appendix auf die Schicht Rheindalen B 5<br />

und wären demzufolge in das Mittlere Altpaläolithikum zu stellen. Sie zeigen, dass auch im<br />

mittleren Altpaläolithikum gute Levalloisformen auftreten können. Ähnliches hat McNabb<br />

beim Auftreten der englischen Levallois-Kultur in MIS 7 dokumentiert (S. 188).<br />

59


9. Ambosstechnologie mitprägend für den Mündling – Komplex<br />

In der erfassten Landschaftsarchäologie <strong>des</strong> Mündling – Komplexes liegen für das<br />

Altpaläolithikum alle Schlagtechnologien zur Geröllzerlegung vor: Harter und weicher<br />

Schlag, randomes Werfen von Geröllen gegen Gestein, Ambosstechnologie, Biegebrüche,<br />

Retuscheure. Der Normalfall einer Geröllzerlegung in der Bunten Brekzie dürfte der sein,<br />

dass nach der Tötung eines Tieres vor Ort der üppig in der Nachbarschaft vorkommende<br />

oberflächige Silex bearbeitet worden ist, um die Beute mit geeigneten Geräten zu zerlegen<br />

(butchering place) und auf die beteiligten Jäger zu verteilen. Ein Teil <strong>des</strong> Tierkörpers wird zur<br />

Siedlung gebracht und mit anderen Geräten (durch Frauen?) weiter verarbeitet. Ein Transport<br />

von Silex über weitere Strecken ist unnötig. Geräte, die der Holz-, Knochen-, Geweih- oder<br />

der Fellbearbeitung dienen, werden in den Siedlungen hergestellt.<br />

Der harte Schlag, mit einem punktförmigen Treffen auf den Kern, mit großer Kraft<br />

ausgeführt, der zu einer starken Wölbung <strong>des</strong> Bulbus führt, ist mit dem Begriff Clactonien-<br />

Schlag belegt. Im Fundgebiet ist er nur in Siedlungen häufig (Mündling 03, Wörnitz 16).<br />

Wenn wir von Clactonienkultur sprechen, beziehen wir uns auf das Fehlen von Faustkeilen.<br />

Er ist Bestandteil der makrolithischen Abschlagskultur <strong>des</strong> Mündling - Komplexes.<br />

Technologisch stellt der harte Schlag die höchsten Anforderungen an den Schläger, gilt es<br />

doch, aus der (rechten) Hand den mit der linken Hand oder im Schoß gehaltenen Kern mit<br />

höchster Genauigkeit zu treffen.<br />

Beim direkten weichen Schlag mit einem aus organischem Material bestehenden Schlägel wie<br />

Holz, Knochen und Geweih trifft der weichere Schlägel auf ein härteres Werkstück. Denkbar<br />

sind auch weiche Kalkgerölle oder weicher Sandstein, die aber zerbrechen würden. Dabei<br />

wird auf eine scharfe, spitzwinklige Kante selbst geschlagen. Die harte Kante dringt in den<br />

Schlägel ein, und es wird allgemein ein weit auf der Abbaufläche verlaufender dünner<br />

Abschlag vom Werkstück gelöst (J. Weiner, S. 205). Die Kante muss vorher verstumpft (edge<br />

abrading) werden, weil es ansonsten zu „hinge oder step fractures“ kommt, da die<br />

nichtverstumpfte Kante sich als zu fragil erweist, um die kinetische Energie <strong>des</strong> weichen<br />

Schlägels aufzunehmen. Bulben sind grundsätzlich diffus ausgeprägt, Schlagnarben können<br />

auftreten.<br />

Randomes Werfen von Silexbrocken auf größere Silex-Platten, die als eine Art Amboss<br />

wirken, ist die leichteste Form der Werkzeugerstellung. Der Jäger sammelt die geeigneten<br />

messerscharfen Splitter aus der Gesamtmenge zur Tierkörperzerteilung auf. Restbrocken<br />

können nach ihrer groben Modifizierung zur Zertrümmerung der Knochen von Großtieren<br />

verwendet werden. „Natürliche“ Trümmer werden zu Artefakten, die Schularchäologie gerät<br />

aus den Fugen, weil ihr die Kriterien zur Scheidung in diesem Fall abhanden kommt.<br />

Splittrige Trümmer entziehen sich einer Entlarvung als Menschenwerk.<br />

Die Ambosstechnologie hinterlässt nach meinen Beobachtungen im Mündling – Komplex<br />

einige Merkmale:<br />

1. Ambossplatten als Unterlage für Kernspaltung mit Schlagstein<br />

2. Kielförmiger Amboss als Unterlage für Kernspaltung mit Schlagstein (Schlägel)<br />

3. Amboss als Unterlage für Kernspaltung mit Zwischenstück (Meißel) und Schlagstein<br />

(Punchtechnik)<br />

60


Fall 2: Kielförmiger Amboss als Unterlage für die<br />

Spaltung <strong>des</strong> Kerns mit quarzförmigen Kiesel als<br />

Schlagstein<br />

Am Kern (Werkstück) treten zwei Verletzungen auf:<br />

am Schlagpunkt und konträr an der Kontaktstelle <strong>des</strong><br />

Ambosses mit dem Kern. Auf der spitzen<br />

Auflagefläche <strong>des</strong> Amboss kommt es beidseitig zu<br />

Aussplitterungen, die als bifazial präparierte<br />

Schneidekanten eines Gerätes (Knochenhaue) falsch<br />

interpretiert werden könnten (Mündling 03).<br />

Bildnachweis: G. Bosinski<br />

Die zwei Schlagbahnen verlaufen konträr wie ein<br />

Collider im Genfer Kernspaltungszentrum quer durch<br />

den Kern und kollidieren. Es entstehen zwei bipolare<br />

Abschläge. Ein Teil kann als Abschlag, der andere als<br />

Restkern bezeichnet werden, je nach der<br />

beabsichtigten weiteren Verwendung.<br />

An den Resten lässt sich erkennen, welche Technologie verwendet wurde.<br />

Zu 1: Es entfallen drei Elemente: Ambossauflage – Werkstück (Kern) – Schlagstein. Größere<br />

flächige Ambossplatten weisen in der Mitte flache narbige Höhlungen (Schlagnarbenfelder)<br />

auf. Diese sind die Markierungen der Auflagen von Kernen, die die konzentrische<br />

Schlagenergie von Schlaginstrumenten an die Ambosse weitergaben, die diese auffingen. Die<br />

Energie federt vom Amboss zurück in das Werkstück. Der gesamte Kernkörper bietet<br />

Widerstand zum originären Schlagimpuls ähnlich – wenn auch nicht so stark - wie im Fall <strong>des</strong><br />

Bulbusschlags aus der Hand. An der Fläche <strong>des</strong> vom Kern abgespaltenen Artefakts ist eine<br />

mehr oder weniger gerade verlaufende Ventralseite erkennbar mit Anfang und auslaufenden<br />

Ende <strong>des</strong> Schlagimpulses. Falls ein zu schwach eingesetzter kinetische Impuls vorzeitig<br />

ausbricht, entsteht ein unipolarer Abschlag. Falls die Spaltfläche durch den gesamten Kern<br />

läuft (bipolar), müsste – theoretisch – das Ende <strong>des</strong> Abschlags Spuren der Ambossauflage<br />

aufweisen. In Wörnitz-17-Areal<br />

Zu 2. Kontrollierter ist die Benutzung der kielförmigen Ambosse. Es entfallen wie bei 1. drei<br />

Elemente. Die Ambosse mit breiter Basis für eine stabile Bodenauflage konvergieren zu<br />

einem Grat. Der Kern wird auf den scharfen Grat gelegt. Der Stoß <strong>des</strong> Schlagsteins wird<br />

durch den Amboss konzentriert reflektiert, die beiden Impulse treffen sich in der Mitte <strong>des</strong><br />

Abschlags. Der oben getroffene Vergleich mit einer Kernspaltung hinkt in einem<br />

entscheidenden Punkt. Beide Energien prallen nicht ungebremst aufeinander, ansonsten würde<br />

das Artefakt zersprengt werden. Vielmehr verlieren die Stoßimpulse bei ihrem Verlauf durch<br />

den Steinkörper an Energie. Es entsteht oft ein bipolarer Abschlag mit grader Spaltfläche.<br />

Von beiden Enden verlaufen kontroverse Impulsbahnen und kollidieren mittig, ohne dass das<br />

Artefakt zersprengt werden darf. In der richtigen Impulskraft – nicht zersprengend aber<br />

spaltend - besteht die Kunst <strong>des</strong> Schlägers bei der Anwendung dieser Ambosstechnologie.<br />

61


Aufsicht auf die bifazial zugerichtete Kielkante <strong>des</strong> großen<br />

Amboss. Ihre Höhe beträgt 10 cm über dem Boden<br />

Seitenansicht <strong>des</strong> großen Amboss. Rechts die<br />

Kielkante, links der Bodenteil für eine stabile<br />

Auflage<br />

Links: Zwei bipolare flache Rinden-Abschläge, ventralseitig.<br />

Spuren der Polkontakte sind erkennbar.<br />

Rechts; Vierkantiger Punch mit Schlagbasis und Spitze, unbenutzt.<br />

Der schmale lange Punch wäre nur für Arbeiten mit geringem<br />

Energieaufwand geeignet. .Solche Spitzen verursachten die<br />

halbmondförmigen Konusabdrücke in der Rinde, wenn der Schlag,<br />

mit zu geringer Energie ausgeführt, im Stein stecken blieb.<br />

Zwei Zwischenstücke. Links ein großer Punch mit bifazialen<br />

Absplitterungen in dem mit einer dicken Rinde überzogenen<br />

Steinkörper an der etwas stumpfen Spitze. Wegen der wenigen<br />

Schlagmarkierungen an der Basis vielleicht ein „Handhammer“ .<br />

Rechts ein für einen Punch ausgewählter Natursilex. Spitze Spitze<br />

mit wenigen flachen Absplitterungen in der Rinde, Basis mit<br />

etlichen Schlagspuren.<br />

Zu 3: Amboss – Punchtechnologie. Vier verschiedene Materialien werden miteinander<br />

kombiniert: Amboss, Kern (Werkstück), Zwischenstück (Meißel) und Schlagstein. Als<br />

Amboss genügt eine größere flächige Platte (oder allgemein Unterlage) wie unter (1), da die<br />

Verwendung <strong>des</strong> Zwischenstücks einen gezielten Schlagimpuls auf den Kern ausübt. Die<br />

länglichen oder kurzen Zwischenstücke (Punches) können an beiden Enden Gebrauchsspuren<br />

aufweisen. Sie sind im Jungpaläolithikum aus Elfenbein oder Geweih überliefert<br />

(Geißenklösterle). Ich präsentiere Zwischenstücke aus Silex, sogenannte Steinpunches aus<br />

dem Altpaläolithikum. Das den Schlagimpuls aufnehmende Ende bietet eine breitere Basis,<br />

das andere Ende verjüngt sich zu einer Spitze oder zur kurzen Gratkante. Da der Schlagstein<br />

auf eine breitere Basis <strong>des</strong> Zwischenstücks trifft, franst er an der Gebrauchsseite aus, die sich<br />

beim wiederholten Gebrauch vertiefen kann, ohne seine Wirkung sofort zu verlieren. Die<br />

einseitige Verletzung von Schlagsteinen, die ich im Text problematisiert habe, kann hier seine<br />

62


Ursache haben. Es ist also nicht die Dummheit <strong>des</strong> <strong>Homo</strong> heidelbergensis - wie ich es früher<br />

unterstellt habe -, wenn er auf eine ständige Drehung <strong>des</strong> Schlagsteins auf den Punch<br />

verzichtet. Es können deutliche Bulben hinterlassen werden.<br />

Entgegen J. Hahn (1977) steht J. Weiner den Steinpunches skeptischer gegenüber (S. 213).<br />

Oben kleiner kielförmiger Amboss aus Granit, (Hb<br />

12) ; linksseitig bogenförmige Kiel-Kante, rechts<br />

durch einen Abschlag geschaffene Flächen-Auflage.<br />

Unten: unilateral verwendete kleinere Schlagsteine<br />

(Mü 03, Sd 8) in typischer bläulicher Färbung<br />

2 halbmondförmige Konusabdrücke in der Rinde<br />

(Pfeilmarkierungen) eines ehemaligen Kerns,<br />

verursacht durch einen etwas schräg angesetzten<br />

spitzen Schlagstein oder Punch (Zwischenstück). Das<br />

Rindenteil ist vom Kern flach abgebrochen.<br />

10. Der <strong>Homo</strong> heidelbergensis <strong>des</strong> Altpaläolithikums – häufigste Begehungen aller<br />

Jäger-Kulturen<br />

Die intensive Aufnahme der Begehungsflächen (Living Floors) auf rund 200 qkm Fläche<br />

liefert die einzigartige Gelegenheit in der Archäologie, die Populationen im Paläolithikum<br />

statistisch zu erfassen. Auch wenn ein Drittel der Fläche durch Wald bedeckt ist, auch wenn<br />

die Erosion unterschiedlich auf den Boden gewirkt hat, so ist doch eine ungefähre Erfassung<br />

der Living-floors möglich. Bei Auszählung sämtlicher Fundplätze <strong>des</strong> östlichen Rieskrater-<br />

Ran<strong>des</strong> beim Stand vom 10. Augusti 2010 entfallen auf das Paläolithikum, das Zeitalter <strong>des</strong><br />

Großwildjägers: Altpaläolithikum 1115 Fundplätze, Mittelpaläolithikum 58,<br />

Jungpaläolithikum 22.<br />

Die Dominanz <strong>des</strong> Altpaläolithikums an Fundplätzen ähnelt den <strong>Funde</strong>n in der ägyptischen<br />

Wüste westlich von Luxor. Diese Dominanz an Fundplätzen könnte noch gewichtiger sein,<br />

wenn wir beachten, dass ein erheblicher Teil der über hundert ungewissen Schlagplätzen<br />

ebenfalls in die Rubrik <strong>des</strong> Altpaläolithikums fallen. Diese Plätze sind zumeist <strong>des</strong>halb nicht<br />

zeitlich zu erfassen, weil nur wenige aussagefähige Artefakte vorliegen. (Bei einer Nachsuche<br />

aber weitere Artefakte liefern würden). Die Dominanz in der Bunten Brekzie könnte als<br />

lokale Besonderheit interpretiert werden - abgesehen von den Unwägbarkeiten einer exakten<br />

zeitlichen Bestimmung der unterschiedlichen Kulturen. Ich wage aber den Umkehrschluss:<br />

Aufgrund günstiger geologischen Besonderheiten haben sich wie in den Westbanks von<br />

Luxor am Kraterrand <strong>des</strong> Rieses die realen Begehungen durch den Großwildjäger der letzten<br />

500 000 – und vielleicht 700 000 Jahren in Mitteleuropa erhalten.<br />

63


Die Begehungen werden an der Zahl der Fundplätze gemessen, die anthropologische<br />

Akkumulationen pro Flächeneinheit repräsentieren. Woanders sind sie unter ungünstigeren<br />

Erhaltungszuständen wie Erosion, Überdeckung usw. verloren gegangen.<br />

Es wird vereinfachend davon ausgegangen, dass während der paläoökologisch erfassbaren<br />

längeren interglazialen Perioden (Warmzeiten) und den kürzeren Stadialen in Mitteleuropa<br />

ein vergleichbares natürliches Ressourcenangebot für die Jägerpopulationen vorlag. (Im<br />

Folgenden stütze ich mich auf die kurze Chronologie der Quartärgliederung Mitteleuropas im<br />

Tagebau Schöningen, verändert durch B. Urban 2007 und auf Lothar Eißmann, der für<br />

Sachsen Anhalt auf der 52. Tagung der Hugo-Obermaier-Gesellschaft Leipzig, 2010, eine<br />

ähnliche Chronologie vorgelegt hat). Dieses Subsistenzangebot nutzten die Jägergruppen<br />

optimal aus, auch durch Teilung und Vermehrung der Gruppen, bis sie an die Grenzen der<br />

Nahrungsversorgung stießen. Nach Erreichen dieser Grenzen waren die Populationen relativ<br />

stabil. (Ernst Peter Fischer, S. 202). Ideengeschichtlich hat schon Thomas Robert Malthus das<br />

Wachstum menschlicher Populationen von den Ressourcen abhängig gemacht. 1837 kam<br />

Charles Darwin zu der Erkenntnis, dass über die natürliche Selektion die Natur eine Relation<br />

zwischen Populationen und ihren Lebensgrundlagen herstellt (Gary Stix, S. 10). Im<br />

Paläolithikum waren die Menschen Teil dieser natürlichen Selektion. Erst am Ende der<br />

Weichseleiszeit (Ausrottung der Mammuts?) und erst recht in der agrarischen Revolution<br />

nahmen sie Einfluss auf die natürliche Selektion der Natur.<br />

In allen erfassbaren interglazialen und vielleicht auch in allen stadialen Warmzeiten mit Wald<br />

fand eine Besiedlung statt. Der dichte Wald bot aber nicht die günstigen Jagdbedingungen wie<br />

in den Übergängen mit Steppe und Tundra. In einer offenen Landschaft fanden die<br />

Jägerhorden die optimalsten Bedingungen. Es liegt im Mündling – Komplex eine<br />

erstaunlichen Dichte an Fundplätzen vor. Die bisherigen Vorstellungen über die Intensität der<br />

Landnutzung müssen revidiert werden.<br />

Was sind Warmzeiten und ihre Übergänge, die Fauna, Flora und dem Menschen Raum zu<br />

Leben gaben? Sie werden im doppelten Sinne definiert. Einmal negativ als Zwischeneiszeiten,<br />

sodann positiv als eine Zeit, deren Jahresdurchschnittstemperaturen eine Gras- Waldsteppe<br />

erlaubte, die vom Großwild abgegrast werden konnte und dem Wild im Winter eine Chance<br />

zum Überleben bot. Die frühere Vorstellung von kompakten interglazialen Zeiträumen ist<br />

durch die Vielfalt mariner Sauerstoffisothopen Stadien sowie den paläoökologischen Studien<br />

abgelöst worden. Dadurch haben sich zwischen den klassischen großen Warmzeiten - das<br />

heutige Holozän, Eem und Holstein - etliche erheblich kürzere Interstadiale geschoben. Wie<br />

wir von dem Fundplatz der Schöninger Jäger auf Wildpferden mit Speeren wissen, fällt diese<br />

in das Reinsdorf Interstadial B <strong>des</strong> sogenannten Saale – Komplexes, eine Fichten-Wald-<br />

Steppe mit Wildpferden. Bilzingsleben wird in die ausgehende Elster-Eiszeit kurz vor der<br />

Holstein-Warmzeit gesetzt, mit einer jährlichen Durchschnittstemperatur von einem Grad<br />

über heute.<br />

Durch die Abfolgen der Interstadialen nach der Elstereiszeit hat sich begrifflich die Saale -<br />

Eiszeit zu einem Saale - Komplex von kurz aufeinander folgenden kalten und wärmeren<br />

Zeiten aufgelöst bis zum Schluss dieses Komplexes die Saaleeiszeit eintrat, die in ihren zwei<br />

Eisvorstößen bis nach Mitteldeutschland fassbar ist. Nach den bisherigen Ergebnissen der<br />

Forschungsgruppe Schöningen entfallen auf den Saale - Komplex zwei weitere Warmzeiten:<br />

Reindorf und Schöningen-Interglazial, von der Bedeutung <strong>des</strong> Holstein-Interglazials. Dies<br />

wird aber nicht durch die Forschung in Sachsen-Anhalt gedeckt (Eißmann, S. 54). In<br />

Deutschland orientieren sich die Warmzeiten nach Bun<strong>des</strong>ländern.<br />

Eine vergleichbare Begriffsumwandlung von Eiszeiten findet für die Zeit vor der<br />

Elstervereisung statt. Diese heißen in Sachsen-Anhalt Thüringen-Komplex (Voigtstedt mit 3<br />

interstadialen Böden) und Frühpleistozän (Untermaßfeld, Eißmann, S. 54), in deren Zeit die<br />

Amplituden der Wärme-Kälte-Abläufe weniger ausschlugen, und wesentlich rascher abliefen.<br />

64


Die Cromerzeit - soweit man noch an ihr namentlich festhält – wird nicht mehr als eiszeitlich<br />

definiert, sondern innerhalb <strong>des</strong> Cromer -Komplexes wechseln sich warm und kalt ab.<br />

Für McNabb ist der Begriff Cromer zu einfach, weil zu viele unterschiedliche Ereignisse<br />

anfallen. Zumin<strong>des</strong>t werden für England kurz nach der magnetischen Umpolung 4 und für die<br />

pre-Anglian glaciation 4 sichere Fundplätze ausgemacht: Boxgrove, Wavery Wood und<br />

Happisburg 1 als Faustkeilkulturen und Westbury-sub-Mendip als Abschlagskultur ohne<br />

Faustkeile (McNabb. p 105. Er zitiert dort Coope, G.R. Insect Faunas Associated with<br />

Palaeolithic Industries from Five Sites of Pre-Anglian Age in Central England. Quaternay<br />

Science Rewiews, 25, 2006)<br />

Wann fanden Flora, Fauna und Hominide im Konkreten mögliche Lebensräume vor? Aus der<br />

Kurz-Chronologie <strong>des</strong> Schöninger Braunkohletagebaus ergeben sich folgende<br />

paläoökologische Unterteilungen: Vergletscherung, Kältewüste, Tundra, Strauch-Tundra,<br />

Nadelwald-Waldsteppe, Mischwald. In der Weichseleiszeit war die Strauch-Tundra<br />

besiedelbar, von den Reinsdorfer Interstadialen A und B <strong>des</strong> Saale-Komplexes wissen wir,<br />

dass der Nadel-Mischwald die Möglichkeit von Leben bot. Für Roebroeks konnte der <strong>Homo</strong><br />

heidelbergensis auch kältere Zeiten durchstehen (Roebroeks W.).<br />

Wann fanden Flora, Fauna und Hominide keinen möglichen Lebensraum mehr in<br />

Mitteleuropa vor? Dies trifft auf die Kältemaxima der Elster- Saale- und Weichseleiszeiten<br />

zu. Sie vernichteten höher organisiertes Leben oder vertrieben es nach Südeuropa. Wie stand<br />

es aber mit den Kältespitzen der Stadialen, die die Interstadiale voneinander trennten? Auch<br />

wenn es sich nur um kurze Kälteereignisse handeln würde, wäre die Ausbreitung von<br />

Kältewüsten aus der vorangegangenen Tundrenzeit heraus für das Überleben höher<br />

organisierten Lebens nördlich der Alpen nicht denkbar.<br />

Andererseits muss bedacht werden - wie schon mehrmals hervor gehoben wurde - dass eine<br />

dichte Bewaldung während der Wärmeperioden den Jägern ein unübersichtliches Terrain bot,<br />

und die Großtiere nur in Waldlichtungen äsen konnten. Eine offene Gras-Steppenlandschaft<br />

lieferte den Herden der Weide-Tiere das größte Nahrungsangebot. Am günstigsten für<br />

Jagdgruppen war eine offene Steppen-Landschaft mit Baumgruppen in geschützten<br />

Positionen, die das nötige Holz für Feuerstellen und für die Speer-Armierung bot. Aus den<br />

Pollendiagrammen wissen wir, dass eine offene Steppen-Wald-Vegetation am ehesten in den<br />

Übergangszonen der Glazialen und in kurzen Interstadialen vorlag. Aber auch hier liegen die<br />

Dinge nicht so einfach, wie sich aus Analysen der Weichsel-Eiszeit ergibt. Die Migration der<br />

Bäume aus den kaltzeitlichen Refugien im Mittelmeeraum nach Norden um die alpine<br />

Gebirgsregion herum beanspruchte Zeit. Falls das Interstadial nur kurz ausfiel, kam es zu<br />

keiner Bewaldung (Ulrich C. Müller et. a., S. 45).<br />

Folgt man den Lebenskurven der paläoökologischen Entwicklung, so öffnete sich seit dem<br />

Abschluss der Elstereiszeit 17mal das Zeitfenster für ein höher entwickeltes Leben in<br />

Mitteleuropa, wobei sich auf den Saale - Komplex die häufigsten Ereignisse bezogen. Wir<br />

können von Siedlungszyklen sprechen. Bei Einbeziehung <strong>des</strong> Cromer - Komplexes (wozu es<br />

noch keine Belege gibt) könnte sein Zeitraum eine menschliche Besiedlung in Mitteleuropa<br />

ermöglicht haben, nicht unterbrochen durch unwirtliche Vergletscherungen und Kaltwüsten<br />

nördlich der Alpen, wie dies später der Fall war.<br />

Nach dem heutigen Stand der Archäologie konnten verschiedenen Jägerhorden in<br />

Mitteleuropa unterschiedliche Besiedlungszeiten ausnutzen: der <strong>Homo</strong> heidelbergensis um<br />

500 000 Jahre vor heute, der Menschen von Bilzingsleben und Schöningen um 320 000, der<br />

<strong>Homo</strong> steinbergensis, Weimar und Ehringsdorf eines frühen Neandertalers ab 220 000, der<br />

klassische Neandertaler um 50 000 und der moderne Mensch ab 36 000. Der <strong>Homo</strong><br />

heidelbergensis existierte min<strong>des</strong>tens 300 000 Jahre, vom cromerzeitlichen Frühpleistozän,<br />

65


dem Thüringen-Komplex, der auslaufenden Elster-Eiszeit, über die wärmere Holstein- bis zu<br />

Beginn der Eemzeit, unterbrochen durch die Kältepeaks der Elster- und Saale-Eiszeit. Falls<br />

wir für Mitteleuropa die Existenz eines Vor-Elster d.h. cromerzeitlichen <strong>Homo</strong> antecessor<br />

unterstellen wie in Südeuropa (Atapuerca- Dolina), reicht der Zeithorizont <strong>des</strong><br />

Altpaläolithikums fast bis zur Matuyama - Magnetfeld- Umpolung 200 000 Jahre weiter<br />

zurück. Ließe sich die These <strong>des</strong> Älteren Altpaläolithikums aus dem vorliegenden Ries-<br />

Material belegen, wäre dies die Cromer-Zeit <strong>des</strong> <strong>Homo</strong> - antecessor. Ob dem so sei oder<br />

nicht, dem Altpaläolithiker stand mehr Zeit zur Begehung als den nachfolgenden Kulturen zur<br />

Verfügung. Dies erklärt ihre numerische Dominanz auf den Flächen der Bunten Brekzie.<br />

Der frühe und spätere Neandertaler, den wir mit dem Mittelpaläolithikum verbinden, lebte<br />

von der späten Eem - Warmzeit - und frühen Weichseleiszeit bis zu seinem Verschwinden um<br />

28 000 vor heute. Sein Leben währte rund 150 Tausend Jahre. Daraus ergibt sich in der<br />

Relation zwischen dem Alt- und dem Mittelpaläolithikum: Die Begehungen - wie sie sich<br />

durch die Häufigkeit von Fundplätzen definiert - durch den <strong>Homo</strong> heidelbergensis und erst<br />

recht bei Hinzuziehung <strong>des</strong> <strong>Homo</strong> Antecessor - waren insgesamt häufiger, weil diesen<br />

Spezies mehr Existenzzeit zur Verfügung stand. Da sich aber auf den Altpaläolithiker mehr<br />

Siedlungszyklen verteilen, war seine Nutzungsintensität pro Klimazyklus geringer als beim<br />

Neandertaler. Dies gilt auch dann, wenn wir Bosinski folgen, der die Neandertalerzeit enger<br />

fasste. Aus der intensiveren Flächennutzung kann geschlussfolgert werden, dass der<br />

Neandertaler eine optimalere Nutzung der natürlichen Ressourcen besaß - , solange er<br />

existierte.<br />

Dem Menschen der Chattelperron-Kultur standen in der Übergangsphase vom Neandertaler<br />

zum modernen Menschen nur wenige Jahrtausende zur Verfügung. Folglich können wir ihn<br />

vorerst nur auf einem Fundplatz (Nußbühl 22) abgreifen.<br />

Dem modernen Jungpaläolithiker als Großwildjäger standen vom Aurignacien bis zum<br />

Mesolithikum rund 20 000 Jahre zur Benutzung <strong>des</strong> Bodens zur Verfügung. Dem<br />

entsprechend gering ist mit 22 zumeist kleinen Fundplätzen die statistische Ausbeute. Die<br />

meisten Artefakte sind Importe.<br />

Die hohe Beanspruchung <strong>des</strong> Bodens im Altpaläolithikum ist keine neue Erkenntnis, wenn<br />

man sich die <strong>Funde</strong> europaweit vor Augen hält. Die Themse und ihre Zuflüsse haben in den<br />

Kiesgruben (pits) der Flussterrassen eine Unmenge an altpaläolithischen <strong>Funde</strong>n geliefert.<br />

Dies trifft auch auf Nordfrankreich (Somme, Abbeville) zu. Häufige <strong>Funde</strong> lieferten die<br />

Braunkohlegruben um Leipzig (Markkleeberg). Zumeist wurden die reichhaltigen <strong>Funde</strong> auf<br />

besondere lokale Präferenzen durch den altsteinzeitlichen Menschen zurückgeführt. Diese<br />

These ist nicht mehr haltbar.<br />

In den letzten Jahrzehnten hat es in Mittel- und Norddeutschland eine beachtliche<br />

Vermehrung der altpaläolithischen <strong>Funde</strong> gegeben. Wo immer man pleistozäne Schichten<br />

zufällig oder geplant aufriss, und Archäologen diese in Augenschein nahmen, kamen meistens<br />

auch altpaläolithische Spuren zum Vorschein. Als Beispiel dienen die Fundstellen von<br />

Schöningen: Schö 13 I, 13 I DB-Pfeiler, Schö 12 A, B, C, 12 II Plateau 0 - 1, Schö 12 II, Schö<br />

13 II. (Jordi Serangeli, u. a., S 99). Die Affinität von Travertin mit dem Alt- und dem<br />

Mittelpaläolithikum ist ebenfalls augenscheinlich (Ehringsdorf, Bilzingsleben, Vértesszölös).<br />

Eine Erklärung für diese Symbiose war die, dass der Altmensch eine Vorliebe für Quellen<br />

aufwies. Es dürfte aber so sein, dass Travertin ein wirksames, wenn auch lokal begrenztes<br />

Schutzschild für altpaläolithische <strong>Funde</strong> abgab. Diese fast üppige Fundsituation steht im<br />

Widerspruch zum Bild einer angeblichen Kargheit im Auftreten <strong>des</strong> Altpaläolithikers in<br />

Mitteleuropa.<br />

66


In Süddeutschland böten die weiten Karstflachen der Fränkischen und Schwäbischen Jura die<br />

theoretische Möglichkeit für altpaläolithische Begehungen. Bei meinen systematischen<br />

30jährigen Begehungen sind mir altpaläolithische <strong>Funde</strong> mit einigen Ausnahen nicht ins Auge<br />

gefallen, wie ich auf meiner Homepage dokumentiert habe. Auch die Höhlen im Jura bieten<br />

mit wenigen Ausnahmen keinen Hort für altpaläolithische <strong>Funde</strong>. Offene Höhlen scheinen zu<br />

Beginn der Weichseleiszeit durch klimatische Ereignisse ausgeräumt worden zu sein. Nur wo<br />

besondere Ereignisse stattfanden, wie im Fall der Versturzhöhle Beixenstein im Wellheimer<br />

Trockental (für Gerhard Bosinski Jüngeres Acheuléen) sind Faustkeile <strong>des</strong> Frühen<br />

Mittelpaläolithikum nach der heutigen Zeiteinteilung erhalten geblieben.<br />

11. Abstracts: Living floors of Lower Palaeolithic (<strong>Homo</strong> heidelbergensis), Middle<br />

Palaeolithic (Neanderthal) and Upper Palaeolithic (Modern Man) in Colourful Brecce<br />

(Bunte Brekzie), east of the impact crater Ries, Southern Germany<br />

In the last 10 years, I did a survey of an area of 200 qkm, systematically<br />

observing the fields east of the meteorite crater Ries, South - Bavaria.<br />

The geological formation - ejected out of the crater - is the Colourful Brecce as a result of the<br />

impact of a meteorite 15 millions years ago. In this geological formation these unique deposits<br />

have preserved sites and artifacts in some “Living Floors”, through all the times, that gives us<br />

a good survey about using the soil. On the surface of the Colourful Brecce, the silex<br />

reductions and tools of all cultures of the mankind are available from the Lower Palaeolithic<br />

700 000 years ago up to the Bronze Age 3000 years ago.<br />

In the 10 years, I have found many sites of hunters: Lower Palaeolithic (Clactonian cobbleindustries)<br />

of the <strong>Homo</strong> Antecessor and <strong>Homo</strong> heidelbergensis: 115 sites, Middle Palaeolithic<br />

of the Neanderthal: 58, Upper Palaeolithic of modern man: 22 sites.<br />

Until now no single Lower Palaeolithic site existed in Southern Germany – with the exception<br />

of famous <strong>Homo</strong> heidelbergensis. There is the theoretical possibility that the frequent visits<br />

during the Lower Palaeolithic time was the result of a special preference of local inspections<br />

of quarries of Colourful Brecce. I think however, it was just the opposite: On the basis of<br />

favourable geological circumstances many of the sites reflect the true frequencies of<br />

inspections by humans in the past. Elsewhere, without favourable conditions of preservation,<br />

the inspections were <strong>des</strong>troyed by erosion or have been buried by younger layers. Other<br />

possibilities of lack of evidence of human traces were simply missing the corresponding silex<br />

or the game hunters found no prays. Some erosions and fluviatil movements also took place at<br />

the eastern border of the Ries crater. But at all this did not falsificate the results.<br />

Analysing the statistics, three conclusions emerge:<br />

1. There was a remarkable frequency of settlings in the time of the Middle and Upper<br />

Pleistocene in Central Europe, above all else in the Palaeolithic. <strong>Homo</strong> antecessor and<br />

heidelbergensis had a supremacy.<br />

2. Comparing <strong>Homo</strong> heidelbergensis with Neanderthal the using of the Living floor by the<br />

<strong>Homo</strong> heidelbergensis was altogether more frequent than by the Neanderthal. The <strong>Homo</strong><br />

heidelbergensis had the triple of time for his settlements compared with the Neanderthal. That<br />

explains his dominant presence all together. Within one cycle of one single interglacial time,<br />

the Neanderthal dominated by a higher frequency of his inspections however. He used his<br />

natural resources more optimally.<br />

3. Let's compare the lithic utilization of the soil by modern man (Upper Palaeolithic). We<br />

have only 22 sites opposite to more than hundred of the older periods. That scarcity seems to<br />

67


e striking. But archaeological excavations are often focused to the Upper Palaeolithic man.<br />

Their local spots of rich cultures find high attention in the world of archaeology. So we do not<br />

get a true picture of his real presence using the environment as hunter. However regarding his<br />

short-term presence of only 20 000 years in Central Europe we may have a similar optimal<br />

utilization of the resources like the Neanderthal.<br />

12. Ein anderes Muster für Landnutzung?<br />

Ansätze für eine alternative Konzeption zur Landschaftsnutzung<br />

Die bisherigen Darstellungen folgten einer Idee vor 10 Jahren, verschiedene Kulturen zu<br />

erfassen, die ihre Spuren auf einer Fläche von 10 – 20 km hinterlassen haben, begünstigt<br />

durch die einzigartige geologische Situation der Bunten Breckzie am östlichen Rieskraterrand.<br />

An dieser Grundidee kann auch nach 10 Jahren Beschäftigung mit dem Areal fest gehalten<br />

werden.<br />

Ein ungelöstes Problem bietet aber die zeitlichen Einteilungen, vor allem die Unterteilung <strong>des</strong><br />

Altpaläolithikums in drei Phasen, die sich anboten, mit dem Schwerpunkt Mittleres<br />

Altpaläolithikum. Ein erheblicher Teil der Widersprüche ließe sich beseitigen, wenn ich von<br />

einer einzigen Kultur um MIS 11 - 9 für das gesamte Altpaläolithikum ausgehen würde. Der<br />

nächste Schritt wäre die These, dass nicht verschiedene Migrationswellen unterschiedlicher<br />

Epochen mit Hunderttausenden von Jahren das Gebiet betroffen haben, sondern dass es sich<br />

um eine autochthone Entwicklung eines begrenzten Zeitraums handelt. Die in ÄA/MA/JA/AP<br />

unterteilten altpaläolithischen <strong>Funde</strong> ließen sich in ein MA, ein Mittleres Altpaläolitikum,<br />

vereinen. Morphologisch überwiegen in ihren Grundformen die Gemeinsamkeiten mehr als<br />

das Trennende. Unter landschaftsarchäologischen Aspekten böten sich für das MA folgende<br />

drei Funktionseinheiten:<br />

1. Vier große Schlag- und Siedlungsplätze an der Wörnitz (Mündling 00 01, 03, Wörnitz 16,<br />

Wörnitz 17 ff), den tiefsten und klimatisch günstigsten Fundstellen <strong>des</strong> Gebietes, nahe der<br />

Donau.<br />

2. Etliche mittelgroße Schlag- und Rastplätze an kleinen Bächen zur Rohstoffgewinnung und<br />

kurzen Aufenthalten bis zu den Anhöhen über den Quellen.<br />

3. Viele kleine Fundstellen mit geringen <strong>Funde</strong>n, die als Butchering-Plätze zu verstehen sind<br />

und über das gesamte Gebiet streuen.<br />

Dahinter steckt der Gedanke, Oberflächenfunde als Quelle einer siedlungsarchäologischen<br />

Dynamik zu sehen (Knut Bretzke, S. 89). Dem liegt die Annahme zu Grunde, dass die<br />

Verteilung der Artefakte im Raum eine Funktion der Nutzungsintensität paläolithischer<br />

Populationen ist. In der Gesamtverteilung ist ein heterogenes Muster zu erwarten, das aber<br />

einen logischen Zusammenhang besitzt. Erforderlich ist eine hohe Intensität der Surveys.<br />

Diese stellen die Abweichungen pro definierte Nutzungseinheit bezogen auf die jeweilige<br />

Flächeneinheit fest und fragen nach Erklärungsmustern für die Abweichungen. Die<br />

notwendige Intensität meiner Begehungen wurde durch Besuche der Flächen über 10 Jahre zu<br />

unterschiedlichen Jahreszeiten gewährleistet. Sie ist den üblichen Surveys, mit vielen<br />

Beteiligten in einen präzisen Abstand voneinander eine Fläche abzusuchen, zumin<strong>des</strong>t<br />

ebenbürtig.<br />

Zu recht stellt Knut Bretzke fest, dass Flächen mit geringer Funddichte oder gar Fundleere<br />

die Aufmerksamkeit verdienen, wie die <strong>Funde</strong> selber (S. 91), um gewisse Grundregeln der<br />

68


Aktivitätszentren und Art und Weise der Raumnutzung zu erfassen. Keine leichte Aufgabe,<br />

weil wie Bretzke sagt, hierfür die theoretische und terminologische Basis erst im Entstehen<br />

ist. Dies gilt erst recht für das Altpaläolithikum. Aber es gibt Beispiele. In dem<br />

altpaläolithischen südfranzösischen Fundplatz Tautavel (Arago) hauste eine Gruppe von<br />

vielleicht 50 - 100 Menschen und mehr. Sie bejagten ein Gebiet um die Siedlungszelle von 65<br />

x 30 km Umfang. Nach den Streifzügen kehrten die kleineren Gruppen immer wieder zu<br />

ihrem Zentrum zurück, das als ein soziales Zentrum zu verstehen ist, wo man sich zum<br />

Schwatzen (realistischer wohl mehr ein Grunzen), zur Beuteverteilung - wenn dies nicht<br />

schon am Butchering-Place passierte - zu erotischen Relationen, vor allem aber zur<br />

Verfestigung eines Gruppenbewusstseins traf, nach dem Schema: Wir sind wir und alle<br />

anderen sind draußen. Es war auch der Ort zur Standardisierung der Schlagtechnologien, in<br />

dem Tradiertes mit neuen Konzepten sich mischen konnte.<br />

Mündling 03 mit den benachbarten großen Fundplätzen könnte eine solche Siedlungszelle mit<br />

Tausenden von Bifazialen (einschließlich Platten) und Abschlägen gewesen sein, wenn wir<br />

das verdächtige Material außerhalb der eindeutigen Artefakte mit einbeziehen. Das mehr oder<br />

minder willkürlich ausgewählte Fundgebiet von 10 x 20 km Querschnitt durch ein Poygon hat<br />

dabei nur einen Teil <strong>des</strong> tatsächlichen Jagdbereichs erfasst.<br />

Auch ein solches alternatives Modell ist nicht ohne Widersprüche. Zum Beispiel:<br />

Warum sollten in der Zeit <strong>des</strong> Altpaläolithikums mit einer halben Million Jahren möglicher<br />

Begehungen derartige Ereignisse nur in einem kurzen Moment passiert sein?<br />

In Zeiten von Klimaerwärmungen ist davon auszugehen, dass das Riesgebiet als häufiges<br />

Transitgebiet für Wanderungen vom Süden nach Norden diente. Viele Gruppen dürften dabei<br />

ihre Spuren hinterlassen haben.<br />

Es ist nötig, dass Projekt auf eine höhere Stufe zu heben.<br />

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