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Rangordnung in der Pferdeherde: Von Vertrauen und Verantwortung

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von 2 28.11.2011 09:26<br />

<strong>Rangordnung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Pferdeherde</strong>: <strong>Von</strong> <strong>Vertrauen</strong> <strong>und</strong> <strong>Verantwortung</strong><br />

In freier Wildbahn leben Pferde <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Herdenverband<br />

mit fester <strong>Rangordnung</strong>. Die Herde wird von e<strong>in</strong>er<br />

erfahrenen Leitstute angeführt. Sie entscheidet wann, wo<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong> welcher Zeit Nahrung aufgenommen wird. Die Stute<br />

ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel e<strong>in</strong> älteres Tier mit e<strong>in</strong>em umfangreichen<br />

Erfahrungsschatz über Weide- <strong>und</strong> Rastplätze, sowie<br />

geeignetem Wetterschutz. Außerdem weiß sie, wie man<br />

Fohlen erzieht, <strong>und</strong> entscheidet bei Gefahr, wie sich die<br />

Herde zu verhalten hat.<br />

© Jürgen Stroscher<br />

Der Leithengst ist dagegen für das Zusammenleben <strong>und</strong> die Verteidigung <strong>der</strong> Herde verantwortlich. E<strong>in</strong>e<br />

Pferdefamilie besteht normalerweise aus nicht mehr als 20 Tieren. Zu e<strong>in</strong>em Leithengst gehören bis zu<br />

sechs erwachsene Stuten mit ihrem Nachwuchs bis zu e<strong>in</strong>em Alter von drei Jahren. Es kommt aber<br />

durchaus vor, dass sich mehrere Familienverbände aus Sicherheitsgründen zu e<strong>in</strong>er größeren Gruppe<br />

von bis zu 100 Pferden zusammenschließen.<br />

In jedem Herdenverband besteht e<strong>in</strong>e strikte Rangfolge. Diese<br />

Ordnung dient dem Schutz <strong>der</strong> Herde <strong>und</strong> trägt zum<br />

harmonischen Zusammenleben bei. Neben Leitstute <strong>und</strong><br />

Leithengst hat jedes Herdenmitglied e<strong>in</strong>e festgelegte Position.<br />

Den rangniedrigeren Tieren gibt dies e<strong>in</strong> Gefühl von<br />

Geborgenheit <strong>und</strong> Sicherheit, sie wissen genau, was sie dürfen<br />

<strong>und</strong> was nicht. Die Junghengste haben bei Vater <strong>und</strong> Mutter<br />

nichts zu melden. Sie müssen untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> ihren eigenen<br />

Status erkämpfen. Die Saugfohlen stehen unter dem<br />

une<strong>in</strong>geschränkten Schutz <strong>der</strong> Stuten. In e<strong>in</strong>em Alter von etwa<br />

drei Jahren verlassen die Hengste entwe<strong>der</strong> freiwillig o<strong>der</strong><br />

gezwungenermaßen den Familienverband. Dann schließen sich<br />

die männlichen Tiere zu Junggesellengruppen mit eigener<br />

© Gregor Schläger, entnommen aus<br />

"Die Dülmener Wildpferde im Merfel<strong>der</strong><br />

Bruch", FNverlag<br />

Rangfolge zusammen. Erst als Fünf- o<strong>der</strong> Sechsjährige s<strong>in</strong>d sie körperlich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage, e<strong>in</strong>e eigene<br />

Familie zu gründen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Leithengsten ihre Herde streitig zu machen. In dieser Form leben<br />

Pferde <strong>in</strong> Deutschland allerd<strong>in</strong>gs sehr selten zusammen. E<strong>in</strong> Beispiel s<strong>in</strong>d die Dülmener Wildpferde <strong>in</strong><br />

Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen (Merfel<strong>der</strong> Bruch).<br />

Das ursprüngliche Verhalten ist <strong>in</strong> den Inst<strong>in</strong>kten <strong>der</strong> Pferde fest<br />

verankert, <strong>und</strong> auch bei unseren am Haus lebenden Pferden<br />

noch vorhanden. Das wirkt sich auch auf die Stall- <strong>und</strong><br />

Weidehaltung aus. Denn jede auch noch so kle<strong>in</strong>e Gruppe, zum<br />

Beispiel <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>schaft von zwei Pferden, legt ihre<br />

Rangfolge fest. Deshalb ist es für jeden Pferdehalter sehr<br />

wichtig zu wissen, wie sich Pferde untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> verhalten. Aber<br />

auch für e<strong>in</strong>e harmonische <strong>und</strong> gut funktionierende Beziehung<br />

zwischen Mensch <strong>und</strong> Pferd ist das Verständnis über das Sozial<strong>und</strong><br />

Hierarchieverhalten <strong>der</strong> Pferde bedeutend.<br />

© Jürgen Stroscher<br />

Für jede Herde, ob gemischte Jungtiere, Junghengste, Wallache, Stuten- o<strong>der</strong> Seniorengruppen gilt das<br />

gleiche Verhaltensmuster. Die Intensität <strong>der</strong> Rangeleien kann dabei sehr unterschiedlich se<strong>in</strong>. Pferde<br />

verfügen über e<strong>in</strong>e sehr ausgeprägte Körpersprache. Bevor es zu körperlichen Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzungen<br />

kommt, wird zunächst versucht, die an<strong>der</strong>en Pferde mit Drohgebärden zu imponieren. Dabei geht es<br />

sehr ritualisiert zu.<br />

Es werden die Ohren anlegt, <strong>in</strong> die Flanke gebissen o<strong>der</strong><br />

versucht, das Vor<strong>der</strong>be<strong>in</strong> des an<strong>der</strong>en wegzuziehen. Das<br />

e<strong>in</strong>geschüchterte Pferd dagegen kneift den Schweif e<strong>in</strong>, fängt an<br />

zu kauen o<strong>der</strong> verlässt den Bereich des Konkurrenten. Im<br />

allgeme<strong>in</strong>en gehen die Pferde e<strong>in</strong>em Verletzungsrisiko aus dem<br />

Weg, denn <strong>in</strong> <strong>der</strong> Freiheit könnte es für sie lebensgefährlich<br />

werden. E<strong>in</strong> Neul<strong>in</strong>g br<strong>in</strong>gt aber vor allem <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em größeren<br />

Herdenverband alles durche<strong>in</strong>an<strong>der</strong>. In je<strong>der</strong> Position kommt es<br />

zu Verschiebungen. Ist die Hierarchie nur <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mitte o<strong>der</strong> bei<br />

den Rangniedrigen betroffen, verlaufen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel die<br />

<strong>Rangordnung</strong>skämpfe sehr schnell <strong>und</strong> ohne große Blessuren.<br />

© Jürgen Stroscher<br />

Wird allerd<strong>in</strong>gs <strong>der</strong> Herdenchef attackiert, kann die Rangelei<br />

durchaus heftiger ausfallen. Im Extremfall muss <strong>der</strong> Pferdebesitzer e<strong>in</strong>greifen.


Ist die Ordnung aber e<strong>in</strong>mal hergestellt, geht es sehr friedlich zu. E<strong>in</strong> niedriger Rang <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er<br />

Herde muss nicht zwangsläufig mit Nachteilen verb<strong>und</strong>en se<strong>in</strong>. Gras <strong>und</strong> Wasser gibt es im Regelfall für<br />

alle genug. Pferde fühlen sich im Verband mit Artgenossen sicher - das rangniedrigere Tier hat eben nur<br />

weniger <strong>Verantwortung</strong>. Außerdem s<strong>in</strong>d Herdenstrukturen dynamisch <strong>und</strong> können sich von Zeit zu Zeit<br />

auch än<strong>der</strong>n.<br />

2 von 2 28.11.2011 09:26<br />

Die Herdenleitung wird aber nicht nur durch Dom<strong>in</strong>anz <strong>und</strong> Kraft geprägt. Denn für die Führungsposition<br />

s<strong>in</strong>d auch viele an<strong>der</strong>e Fähigkeiten <strong>und</strong> Qualitäten gefragt. So muss das Leittier ursprünglich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage<br />

se<strong>in</strong>, die Herde zusammen zu halten, ihr Sicherheit zu geben <strong>und</strong> sie vor drohenden Gefahren zu<br />

beschützen. Also kann hier durchaus von <strong>Vertrauen</strong> gesprochen werden, das dem Leitpferd von den<br />

an<strong>der</strong>en Gruppenmitglie<strong>der</strong>n entgegen gebracht werden muss. Mit re<strong>in</strong>er Unterwerfung hat die<br />

<strong>Rangordnung</strong> bei Pferden also nichts zu tun. E<strong>in</strong> aggressives Führungspferd würde vielmehr immer für<br />

sich alle<strong>in</strong> stehen, weil es von den an<strong>der</strong>en Pferden aus Angst gemieden wird.<br />

Vielmehr ist zu beobachten, dass manche Pferde selbst <strong>in</strong><br />

höhere Positionen "gewählt" werden, sich ihnen nahezu freiwillig<br />

angeschlossen wird. So wird die Nähe von solchen Pferden<br />

gesucht, weil diese kaum Gewalt anwenden, an<br />

<strong>Rangordnung</strong>skämpfen nicht <strong>in</strong>teressiert s<strong>in</strong>d, Ruhe <strong>und</strong><br />

Selbstsicherheit ausstrahlen. Konflikte gehen diese Pferde wenn<br />

möglich geschickt aus dem Weg, Sie behalten die Umgebung im<br />

Blick <strong>und</strong> erkennen Gefahren. Auch solche Pferde können sich<br />

durchsetzen.<br />

Da Pferde Fluchtiere <strong>und</strong> sehr sensibel s<strong>in</strong>d, sollte <strong>der</strong> Mensch<br />

e<strong>in</strong>e fre<strong>und</strong>schaftliche Atmosphäre schaffen. Harter Umgang <strong>und</strong><br />

grobe Behandlung lösen beim Pferd eher Ängste aus.<br />

Ungehorsam <strong>und</strong> Untugenden s<strong>in</strong>d die Folge.<br />

Es liegt an uns, das Pferd mit se<strong>in</strong>en Lebensbed<strong>in</strong>gungen<br />

vertraut zu machen, ihm die Angst vor Unbekannten zu nehmen.<br />

Nur durch e<strong>in</strong>e gewaltfreie, dem Verhalten <strong>und</strong> Verständnis des<br />

Pferdes angemessene, aber konsequent durchgeführte<br />

Behandlung trägt dazu bei, dass es uns als "Leittier" akzeptieren<br />

wird. Re<strong>in</strong>e Dom<strong>in</strong>anz reicht dazu nicht aus.<br />

© Jürgen Stroscher<br />

Dies ist e<strong>in</strong> Thema des Newsletters "pferdenah". Weitere bereits erschienene Themen s<strong>in</strong>d im Archiv zu<br />

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