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RASUR KULTUR

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Reine Männersache? Frauen fühlen mit.<br />

Im Bad meiner Großeltern, sie lebten in einer kleinen Werksvilla im Rheinland, stand ein Barbierstuhl<br />

– in Kinderaugen ein faszinierendes Möbel. Zwei Mal pro Woche, vielleicht erlaubten die Mittel<br />

nicht mehr, kam der Dorffriseur ins Haus und rasierte den Opa, den Mann, den ich in meiner<br />

Kindheit mit Abstand am liebsten küsste, mit dem Messer. Ich saß auf einem Hocker und verfolgte<br />

die Prozedur mit angehaltenem Atem. Ein dampfendes Handtuch wurde aufgelegt, das geliebte<br />

Gesicht virtuos eingeseift, dann rasierte der Friseur in geübten Strichen seine Flächen – mein<br />

Großvater wurde wieder sichtbar; ich hopste auf seine Knie und gab ihm einen „dicken Kuss“ –<br />

Herkunftsland kleine Göre, Ruhrgebiet. Der Vater zuhause benutzte einen Elektrorasierer, sein<br />

Brummen war mir unheimlich. Lange Zeit habe ich gedacht, der Apparat frisst die Haare.<br />

Als Teenager wartete ich lange auf den ersten „richtigen“ Kuss. Ich glaube, ich bekam ihn mit 14<br />

auf einem Spielplatz, mein damaliger Schulfreund war weit davon entfernt, dieses lang ersehnte,<br />

aufregende Erlebnis durch das Pieken oder Kratzen störenden Bartwuchses zu beeinträchtigen.<br />

Vier Jahre später – erste gemeinsame Wohnung mit meiner damaligen großen Liebe – war das<br />

anders. Innige Liebesbezeugungen ließen mich jedes Mal rot wie ein Radieschen anlaufen, ich<br />

habe eine feine Haut – Bartstoppeln wirken darauf wie eine Muskatnuss-Reibe. Die Partner<br />

wechselten. Ebenso ihre Rasurgewohnheiten. Einem schenkte ich einen Rasierapparat,<br />

notgedrungen. Wir sahen uns selten, meist in großer Eile, er hatte einen starken Bartwuchs und<br />

die wenigen kostbaren Momente wollte ich nicht auch noch „halbverwundet“ überstehen. Meiner<br />

wirklich großen Liebe bin ich vor drei Jahren begegnet. In unserem Badezimmer steht ein<br />

wunderbarer Dachshaarpinsel neben einem feinen Porzellantiegel mit einer duftenden Seife.<br />

Wir lieben dieses Arrangement, beide aus gutem Grund: Ein perfekt-rasierter, wohlduftender<br />

Mann fühlt sich wohl – und wunderbar an.

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