Die Ethik des Jesus von Nazareth in der deutschen Rechtsgegenwart
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JESUSVONNAZARETH<br />
Gegenwartsperspektiven jesuanischer<br />
Rechtsethik.<br />
Was kann nun aus <strong>der</strong> bislang dargestellten<br />
Rechtsethik Jesu für e<strong>in</strong>e Rechtsethik<br />
gewonnen werden, die den Anfor<strong>der</strong>ungen<br />
<strong>der</strong> Gegenwart Rechnung trägt Ist<br />
<strong>der</strong> Staat <strong>des</strong> Grundgesetzes aufgrund<br />
se<strong>in</strong>er weltanschaulichen Neutralität ü-<br />
berhaupt berechtigt, sich an <strong>der</strong> christlichen<br />
Kultur zu orientieren Inwieweit dürfen<br />
also die rechtsethischen Grundsätze<br />
Jesu <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>deutschen</strong> Rechtswirklichkeit<br />
ihren Nie<strong>der</strong>schlag f<strong>in</strong>den<br />
Daß es e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>haltlichen Zusammenhang<br />
zwischen deutscher Rechtstradition<br />
und christlicher Kultur gibt, hat das BVerfG<br />
zuletzt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kruzifix-Entscheidung aus<br />
dem Jahre 1995 festgestellt (6) . <strong>Die</strong>ser Zusammenhang,<br />
gewissermaßen zwischen<br />
„weltlicher“ und „geistiger“ Macht, beruht<br />
bekanntlich auf geschichtlichen Gründen.<br />
Das König- und Kaisertum hatte e<strong>in</strong>e religiöse<br />
Grundlage. Ihm kam nach mittelalterlicher<br />
Anschauung im göttlichen Heilsplan<br />
e<strong>in</strong>e wichtige Stellung zu. Als höchster<br />
Träger obrigkeitlicher Gewalt hatte <strong>der</strong><br />
Monarch die durch den Sündenfall verdorbene<br />
Welt vor ihrem Nie<strong>der</strong>gang, mit<br />
dem sie dem Jüngsten Tag zueilte, notdürftig<br />
zu bewahren. Das Königtum wurde<br />
daher als e<strong>in</strong> solches „<strong>von</strong> Gottes Gnaden“<br />
aufgefasst. (7)<br />
Heute wird <strong>in</strong> Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 I<br />
WRV die pr<strong>in</strong>zipielle Trennung <strong>von</strong> Staat<br />
und Kirche <strong>in</strong>soweit festgestellt, dass ke<strong>in</strong>e<br />
Staatskirche bestehen soll. Mit e<strong>in</strong>er solchen<br />
Trennung war jedoch nicht die Absicht<br />
verbunden, dass Staat und christliche<br />
<strong>Ethik</strong> nunmehr <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>er Weise verbunden<br />
se<strong>in</strong> sollen. Vielmehr bezeugt die<br />
Festlegung <strong>des</strong> Art. 140 GG, dass die Art.<br />
136 – 139 und 141 WRV Bestandteil <strong>des</strong><br />
GG se<strong>in</strong> sollen, dass e<strong>in</strong> Modell wie etwa<br />
das französische, US-amerikanische o<strong>der</strong><br />
sowjetische gerade nicht gewollt war.<br />
Das BVerfG hat denn auch mehrfach und<br />
konsequent das GG <strong>in</strong> dem S<strong>in</strong>ne ausgelegt,<br />
dass trotz <strong>der</strong> <strong>in</strong>stitutionellen Trennung<br />
<strong>von</strong> Kirche und Staat und bei voller<br />
Achtung <strong>des</strong> Grundrechtes <strong>der</strong> Religionsfreiheit<br />
<strong>der</strong> spezifische - geschichtliche<br />
und sachliche - Zusammenhang zwischen<br />
Christentum und demokratischem<br />
Rechtsstaat <strong>von</strong> <strong>der</strong> Rechtsprechung zu<br />
beachten sei. <strong>Die</strong> vom Gericht gewählte<br />
Formulierung <strong>von</strong> <strong>der</strong> „Prägekraft <strong>des</strong> Christentums“<br />
br<strong>in</strong>gt zum Ausdruck, dass <strong>der</strong>en<br />
fundamentale Bedeutung für den mo<strong>der</strong>nen<br />
Rechtsstaat anzuerkennen und nicht<br />
preiszugeben ist. <strong>Die</strong> Kruzifix-Entscheidung<br />
<strong>des</strong> BVerfG spricht sogar <strong>von</strong> <strong>der</strong><br />
„überragenden Prägekraft“ <strong>des</strong> Christentums.<br />
(8)<br />
Das Urteil hat e<strong>in</strong>e breite und lange anhaltende<br />
öffentliche Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung<br />
hervorgerufen, bei <strong>der</strong> es darum g<strong>in</strong>g und<br />
weiter geht, wie unsere demokratische<br />
Gesellschaft sich zu dem geschichtlichen<br />
und sachlichen Zusammenhang <strong>von</strong><br />
Christentum und politischer Kultur stellt.<br />
In <strong>der</strong> Kruzifix-Entscheidung wird ausdrücklich<br />
da<strong>von</strong> gesprochen, dass <strong>der</strong><br />
Staat wegen <strong>des</strong> gesellschaftlichen Zusammenhalts<br />
und zur Erfüllung se<strong>in</strong>er<br />
eigenen Aufgaben die Prägekräfte nicht<br />
ignorieren o<strong>der</strong> „abstreifen“ dürfe. (9)<br />
<strong>Die</strong> Grundelemente <strong>des</strong> demokratischen<br />
und sozialen Rechtsstaates entsprechen <strong>in</strong><br />
ihrer Zielrichtung dem christlichen<br />
Verständnis <strong>des</strong> Menschen: <strong>der</strong> <strong>in</strong> Verantwortung<br />
vor Gott wahrgenommenen<br />
Freiheit, die aus dem christlichen Glauben<br />
folgt, und dem Gebot <strong>der</strong> Nächstenliebe.<br />
Der zum Ebenbild Gottes geschaffene<br />
Mensch ist <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Würde unantastbar<br />
und zur Mitmenschlichkeit bestimmt. <strong>Die</strong><br />
durch das GG geschützten und gewährleisteten<br />
Grundrechte beruhen damit auf<br />
Wertentscheidungen, <strong>in</strong> denen sich die<br />
prägende Kraft <strong>des</strong> Christentums, wie es<br />
das BVerfG nennt (E 41, 65 [84]), auswirkt.<br />
Das Grundgesetz kennt mith<strong>in</strong> ke<strong>in</strong>en<br />
laizistischen Auftrag. Ausdrücklich wird<br />
nicht e<strong>in</strong>mal die religiös-weltanschauliche<br />
Neutralität erwähnt. Das BVerfG hat diesen<br />
Grundsatz aus dem Zusammenklang<br />
• <strong>des</strong> Gleichheitssatzes (Art. 3 I, III sowie<br />
Art. 33 III G),<br />
• <strong>der</strong> Religionsfreiheit (Art 4, 140 GG i.V.m.<br />
Art 136 I, IV WRV) und<br />
• dem Verbot <strong>der</strong> Staatskirche (Art. 140<br />
GG i.V.m. Art 137 I WRV)<br />
hergeleitet und zu e<strong>in</strong>em zentralen verfassungsrechtlichen<br />
Pr<strong>in</strong>zip entwickelt.<br />
Demnach hat sich <strong>der</strong> Staat e<strong>in</strong>es religiösweltanschaulichen<br />
Urteils zu enthalten<br />
und ke<strong>in</strong>e dieser Enthaltungspflicht wi<strong>der</strong>sprechenden<br />
Entscheidungen zu treffen.<br />
<strong>Die</strong>se Neutralität ist je nach Sachzusammenhang<br />
mit e<strong>in</strong>er unterschiedlichen<br />
Intention verbunden. Bei typischen Aufgabenfel<strong>der</strong>n<br />
<strong>des</strong> Staates, wie etwa den<br />
drei Gewalten Legislative, Exekutive und<br />
Jurisdiktion, zielt die Intention <strong>der</strong> Neutralitätswahrung<br />
sicherlich auf Distanz ab.<br />
<strong>Die</strong>s ist allerd<strong>in</strong>gs an<strong>der</strong>s, wenn zwar <strong>der</strong><br />
Staat bestimmte Bereiche <strong>des</strong> gesellschaftlichen<br />
Lebens organisiert und leitet,<br />
dieser staatlichen Leitung aber die bürgerliche<br />
Freiheit <strong>der</strong> Individuen entgegen<br />
steht, wie etwa beim Schulwesen. In diesem<br />
Fall zielt <strong>der</strong> Neutralitätsauftrag <strong>des</strong><br />
GG darauf ab, den vom GG selbst gesetzten<br />
Rahmen unter Berücksichtigung auch<br />
und gerade <strong>der</strong> christlichen Tradition <strong>der</strong><br />
Verfassungsgeschichte auszufüllen. (10)<br />
E<strong>in</strong>e solche Auslegung <strong>des</strong> Neutralitätsgebotes<br />
hat im übrigen auch das BVerfG<br />
<strong>in</strong> se<strong>in</strong>er 1973 ergangenen Entscheidung<br />
über das „Kreuz im Gerichtssaal“ vorgenommen.<br />
(11) Demnach erfor<strong>der</strong>t die Exegese<br />
<strong>des</strong> Neutralitätspr<strong>in</strong>zips „neben<br />
rechts- und justizgeschichtlichen Untersuchungen<br />
e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>gehen auf die verschiedenen<br />
Verhältnisse und Anschauungen <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen<br />
Lan<strong>des</strong>teilen <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>republik (...)<br />
und <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e e<strong>in</strong>e rechtsgrundsätzliche<br />
Würdigung <strong>des</strong> (...) Pr<strong>in</strong>zips <strong>der</strong> Nicht-Identifikation“.<br />
In se<strong>in</strong>er Begründung stellte das BVerfG<br />
se<strong>in</strong>erzeit fest, „dass weite Kreise <strong>der</strong> Bevölkerung<br />
gegen die Anbr<strong>in</strong>gung <strong>von</strong> Kreuzen<br />
<strong>in</strong> Gerichtssälen nichts e<strong>in</strong>zuwenden haben<br />
und dass auch im übrigen das Maß <strong>der</strong> <strong>in</strong><br />
dieser Ausstattung möglicherweise zutage<br />
tretenden Identifikation mit spezifisch christlichen<br />
Anschauungen nicht <strong>der</strong>art ist, daß<br />
die Teilnahme an Gerichtsverhandlungen <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em entsprechend ausgestatteten Gerichtssaal<br />
<strong>von</strong> an<strong>der</strong>sdenkenden (...) <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Regel als unzumutbar empfunden wird.<br />
Denn das bloße Vorhandense<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es Kreuzes<br />
verlangt <strong>von</strong> ihnen we<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e eigene<br />
Identifizierung mit den dar<strong>in</strong> symbolhaft<br />
verkörperten Ideen o<strong>der</strong> Institutionen noch<br />
e<strong>in</strong> irgendwie geartetes aktives Verhalten.“<br />
(12)<br />
Demgegenüber hat das BVerfG 1995 entschieden,<br />
dass die staatlich angeordnete<br />
Anbr<strong>in</strong>gung <strong>von</strong> Kreuzen o<strong>der</strong> Kruzifixen<br />
<strong>in</strong> staatlichen Pflichtschulen dem <strong>in</strong> Art. 4 I<br />
GG festgelegten Grundsatz <strong>der</strong> Religionsfreiheit<br />
zuwi<strong>der</strong>laufe. Wohl dürfe die Schule<br />
ihren Schülern die Bedeutung <strong>des</strong> Kreuzes<br />
als S<strong>in</strong>nbild christlicher Werte und<br />
Normen vermitteln, sie darf das Kreuz aber<br />
nicht <strong>in</strong> ihren Räumen anbr<strong>in</strong>gen. (13) <strong>Die</strong><br />
Entscheidung ist vielfach kommentiert<br />
und kritisiert worden. (14) Legt man dem<br />
Toleranz-Auftrag <strong>des</strong> GG e<strong>in</strong>en solchen<br />
Maßstab zugrunde, dann bräuchten etwa<br />
muslimische Mädchen nicht am Sportunterricht<br />
teilzunehmen und es müssten die<br />
im wesentlichen christlicher Prägung entsprungenen<br />
gesetzlichen Feiertage abgeschafft<br />
werden.<br />
Vielmehr ersche<strong>in</strong>t es aber angebracht,<br />
die gesellschaftliche Tendenz zur Unverb<strong>in</strong>dlichkeit<br />
nicht noch unter dem Deckmantel<br />
<strong>der</strong> Toleranz großzuziehen. <strong>Die</strong><br />
Gewährleistung <strong>der</strong> weltanschaulich-religiösen<br />
Neutralität läuft ansonsten Gefahr,<br />
den Bezug zu ihrer Geschichte genauso zu<br />
verlieren, wie sie die Gegenwart statt mit<br />
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