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Zeitverschwendung oder Gewinn? - Georg Eisner, Ophthalmologie

Zeitverschwendung oder Gewinn? - Georg Eisner, Ophthalmologie

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<strong>Zeitverschwendung</strong> <strong>oder</strong> <strong>Gewinn</strong> 1<br />

<strong>Zeitverschwendung</strong> <strong>oder</strong><br />

<strong>Gewinn</strong><br />

Zur Untersuchung des Glaskörpers<br />

<strong>Georg</strong> <strong>Eisner</strong><br />

Text und Bilder eines Vortrages, gehalten an der Universitätsaugenklinik<br />

Zürich 2011<br />

(Die PowerPoint Präsentationen sind in Form von Dias wiedergegeben, um Kopien für deren<br />

weiteren Gebrauch zu ermöglichen)


<strong>Zeitverschwendung</strong> <strong>oder</strong> <strong>Gewinn</strong> 2<br />

Zeitverlust<br />

<strong>oder</strong><br />

<strong>Gewinn</strong><br />

Zur Untersuchung des<br />

Glaskörpers<br />

Einleitung:<br />

Als ich vor 18 Jahren die Türe meines Arbeitszimmers hinter mir schloss und mich<br />

von meinem aktiven Leben in der <strong>Ophthalmologie</strong> endgültig verabschiedete, gingen<br />

einige meiner Zuhörer noch in die Primarschule<br />

Wenn ich nun heute wage, mich zu einem ophthalmologischen Thema zu<br />

äussern, so gibt es gewiss ein Problem. Was kann denn ein Fossil schon<br />

Relevantes beitragen<br />

Allein, die Gefahr meiner Alterslastigkeit ist nicht das einzige Problem. Seit<br />

meinem radikalen Rückzug aus der Augenheilkunde hatte ich mich nur noch


<strong>Zeitverschwendung</strong> <strong>oder</strong> <strong>Gewinn</strong> 3<br />

ausnahmsweise mit <strong>Ophthalmologie</strong> beschäftigt, indem ich elektronische<br />

Lehrmittel zur Ausbildung in Biomikroskopie verfasste. Auf DVD habe ich bereits<br />

alles, was ich über Glaskörper berichten kann, dargestellt, und zwar weit<br />

ausführlicher, als ich dies hier tun kann,.<br />

Schutzhülle der DVD über die Untersuchung des Glaskörpers,<br />

die beim Sekretariat der Schweizerischen Ophthalmologischen Gesellschaft<br />

gratis bezogen werden kann<br />

Wenn nun das Thema auf DVD bereits in voller Breite zugänglich ist, fragt<br />

sich, ob eine abgekürzte Version – wie sie ein Vortrag bietet - mehr als eine reine<br />

Alibifunktion haben kann. Wäre dann mein Vortrag nicht bloss eine <strong>Zeitverschwendung</strong><br />

Es gibt jedoch auf den DVD’s eine Lücke, die sich nicht schliessen liess,<br />

nämlich die Beantwortung der Frage: „Wozu“ Was kann das Ziel einer genauen<br />

Untersuchung des Glaskörpers sein, was gewinnen diejenigen, die sich dieser<br />

Mühe unterziehen Solche Fragen lassen sich auf einer DVD mit vernünftigem<br />

Aufwand nicht abhandeln, und deshalb lohnt es sich, hier darüber zu sprechen.<br />

Dabei besteht meine Absicht nicht darin, meinen Zuhörern das Studium der<br />

DVD’s zu ersparen, sondern sie vielmehr dazu anzuregen.<br />

Und dann gibt es noch ein drittes Problem. Darauf werde ich am Ende<br />

meines Vortrages eingehen.


<strong>Zeitverschwendung</strong> <strong>oder</strong> <strong>Gewinn</strong> 4<br />

Als ich vor einem halben Jahrhundert meine Ausbildung zum<br />

Ophthalmologen begann, war der Glaskörper für die Untersucher lediglich ein<br />

Chaos und für die Chirurgen ein Feind. Wenn sich jemand mit Glaskörper<br />

beschäftigte, so tat er es mehr aus theoretischen Gründen.<br />

Die Kontroverse über die<br />

Bedeutung des Glaskörpers<br />

•Reines<br />

Ärgernis<br />

•Theoretisch interessant<br />

•Wichtige Funktion im Auge<br />

Eine der Fragen war: Woher stammt der Glaskörper, ist er ekt<strong>oder</strong>maler <strong>oder</strong><br />

mes<strong>oder</strong>maler Herkunft<br />

Darstellung des embryonalen Glaskörpers von Szent-Györgyi. Den canalis hyaloideus mit den<br />

embryonalen Gefässen pflegte man damals als mes<strong>oder</strong>mal zu interpretieren, den umhüllenden<br />

sekundären Glaskörper als ekt<strong>oder</strong>mal<br />

Eine andere Frage war: Hat das grösste Volumen im Auge eine Anatomie<br />

<strong>oder</strong> nicht<br />

Wohl gab es histologische Befunde, aber hatten diese bei einem Gewebe, das zu<br />

99,9% aus Wasser besteht, überhaupt einen Bezug zur Realität


<strong>Zeitverschwendung</strong> <strong>oder</strong> <strong>Gewinn</strong> 5<br />

Problem Der Der der Glaskörper als<br />

Histologie:<br />

als Gewebe<br />

Glaskörpergewebe: 99 % Flüssigkeit<br />

99,8% Flüssigkeit<br />

und dennoch ein Gewebe<br />

und dennoch ein Gewebe<br />

Unfixierter Glaskörper einer Kuh, von dem die Netzhaut mechanisch abpräpariert worden war. Links<br />

nativ in vollem Volumen. Rechts nach Trocknen: Der Glaskörper ist bloss noch eine hauchdünne<br />

zellophanartige Folie, vergleiche dazu die dickere Schicht der getrockneten Netzhaut und das<br />

Volumen der getrockneten Linse<br />

Sind die Resultate histologischer Methoden nicht einfach bedeutungslose<br />

Zufallsprodukte Gibt es doch Beobachtungen, dass sich dieselben Muster auch<br />

durch Auftropfen von fixierenden Flüssigkeiten auf inertes Gel erzeugen lassen.<br />

Histologie:<br />

Artefakt <strong>oder</strong> Anatomie<br />

Querschnitt durch menschliches Auge von Szent-Györgyi. Die ringförmigen Muster gleichen<br />

denjenigen, die man bei Fliessblatt-Chromatographie erhält<br />

Oder repräsentiert, im Gegenteil, die Histologie eventuell doch eine reale<br />

Anatomie Dafür spricht, dass man gleichartige Muster auch bei Spaltlampen -<br />

untersuchungen unfixierter Autopsieaugen beobachtet.


<strong>Zeitverschwendung</strong> <strong>oder</strong> <strong>Gewinn</strong> 6<br />

Anatomie des Glaskörpers<br />

Vergleich fixierter Präparate mit unfixierten Glaskörpern<br />

Szent- Györgyi<br />

1917 <strong>Eisner</strong> 1971<br />

Querschnitt durch den Glaskörper, links: Histologisches Präparat nach Fixation. Rechts:<br />

Spaltlampenuntersuchung eines unfixierten Präparats in gleicher Schnittrichtung<br />

Dafür spricht ferner, dass man gleiche Muster auch bei Spaltlampenuntersuchungen<br />

im lebenden Auge findet.<br />

Links histologischer Sagittalschnitt, rechts biomikroskopische Untersuchung der Glaskörperbasis mit<br />

den gleichen Verdichtungszonen (Tractus vitreales) und deren Ansätzen am Ciliarkörper und an der<br />

vorderen Grenzmembran


<strong>Zeitverschwendung</strong> <strong>oder</strong> <strong>Gewinn</strong> 7<br />

Mein Interesse an diesen Fragen begann, als ich im Rahmen meiner<br />

Habilitationsarbeit die äusserste Fundusperipherie biomikroskopisch erforschte.<br />

Dabei zeigte sich, dass dort – im Bereich der sogenannten Glaskörperbasis – in<br />

allen Augen ein genau definierbarer Bauplan existiert. Die Resultate meiner<br />

jahrelangen Bemühungen erschienen schliesslich als Buch, von dem ich allerdings<br />

vermute, dass sich seine Leser an einer – im besten Falle zwei – Händen abzählen<br />

lassen. Wissenschaftliches Allgemeingut sind sie gewiss nicht geworden, so dass ich<br />

hier getrost darauf zurückkommen kann.<br />

Überspringen wir nun einige Jahre. Inzwischen hatte man begonnen, das<br />

Tabu einer Glaskörperchirurgie zu brechen. Die Begeisterung ging bei Manchen<br />

soweit, dass man ihre Mentalität in Abwandlung des Bibelspruches (Bergpredigt<br />

Matthäus 5, 27-29) etwa so zusammenfassen kann: „Wenn er Dich stört, reiss ihn<br />

heraus!“<br />

Der Bruch des Tabus<br />

Der Beginn der Glaskörperchirurgie<br />

„Ärgert dich aber dein rechtes<br />

Auge, so reiss es aus und wirf<br />

es von dir.“<br />

(aus der Bergpredigt; Matthäus, 5. 29)<br />

Aber sollten wir nicht zuerst einmal wissen, was wir eigentlich herausschneiden<br />

wollen<br />

Dabei sind zwei Fragen zu beantworten. Die eine betrifft die Anatomie: Hat<br />

das, was wir bei unseren Untersuchungen sehen, eine klinische Bedeutung, - und<br />

wenn ja, welche Die zweite betrifft die Funktion: Wozu ist der Glaskörper da, - -<br />

resp. was ändert sich im Auge, wenn er nicht mehr da ist<br />

Themen<br />

Anatomie<br />

Hat die Anatomie des<br />

Glaskörpers eine<br />

klinische Bedeutung<br />

Funktion<br />

Führt eine hintere<br />

Glaskörperabhebung<br />

zu einem<br />

Funktionsausfall


<strong>Zeitverschwendung</strong> <strong>oder</strong> <strong>Gewinn</strong> 8<br />

Zur Anatomie:<br />

Anatomie<br />

Entwicklung<br />

Altersveränderungen<br />

Zur Beantwortung der ersten Frage untersuchte ich Leichenglaskörper unter<br />

Bedingungen, die denjenigen des lebenden Auges möglichst ähnlich sind. Frisch<br />

enucleierte Augen – vorgesehen für Hornhauttransplantationen – brachte ich in eine<br />

mit Flüssigkeit gefüllte Cuvette und befreite sie nativ, d.h. ohne vorherige chemische<br />

Fixation, von den Augenhäuten.<br />

Untersuchung des Glaskörpers<br />

• Frische, unfixierte<br />

Autopsie-Augen<br />

Augen<br />

• Entfernung der<br />

Netzhaut<br />

• Fotografie mit<br />

Spaltlampe<br />

Frisches Autopsieauge mit entfernter Netzhaut, Ansicht von hinten durch den klaren Glaskörper<br />

hindurch: oben die praepapilläre Zone (dunkel), unten die Linse und der Ciliarkörper umrahmt von der<br />

nicht abgelösten peripheren Netzhaut in der Glaskörperbasis.<br />

Dann fotografierte ich sie mit einer speziellen Spaltlampenkamera, die Prof. Peter<br />

Niesel entworfen und der hauseigene Feinmechaniker Walter Nydegger gebaut<br />

hatten.


<strong>Zeitverschwendung</strong> <strong>oder</strong> <strong>Gewinn</strong> 9<br />

Spaltlampenfotografie<br />

Schema der Niesel‘schen Aufnahmeeinrichtung, die optische Schnitte in konventioneller Richtung und<br />

Transversalschnitte von oben ermöglicht. Das Spaltlampenmikroskop wird durch eine Kamera ersetzt.<br />

Damit liessen sich optische Schnitte erzeugen in beliebigen Richtungen.<br />

Spaltlampenfotografie<br />

Serien optischer Schnitte<br />

Links: Präparat in flüssigkeitsgefüllter Cuvette, Lichteinfall von oben. Rechts: Sagittale und<br />

transversale optische Schnitte<br />

So entstanden hunderte von Aufnahmen, deren Resultate ich hier kurz<br />

zusammenfassen will.<br />

Serien optischer Schnitte


<strong>Zeitverschwendung</strong> <strong>oder</strong> <strong>Gewinn</strong> 10<br />

Beim Frühgeborenen hat der Glaskörper eine homogene Struktur mit einer<br />

feinen radiären Streifung. Er wird durchzogen vom canalis hyaloideus mit der arteria<br />

hyaloidea<br />

Altersentwicklung des Glaskörpers<br />

Infantile Radiärstruktur<br />

Canalis hyaloideus mit Arteria hyaloidea<br />

Frühgeburt, 32. Schwangerschaftswoche<br />

Beim Kleinkind persistiert die radiäre Streifung noch, und es bleiben<br />

Residuen des canalis hyaloideus und der Arterie.<br />

Altersentwicklung des Glaskörpers<br />

Infantile Radiärstruktur<br />

Canalis Hyaloideus<br />

Kleinkind, 7 Monate alt


<strong>Zeitverschwendung</strong> <strong>oder</strong> <strong>Gewinn</strong> 11<br />

Mit der Entwicklung der fovea centralis bildet sich ein zweiter Zentralkanal,<br />

der vom hinteren Pol nach vorn zieht.<br />

Altersentwicklung des Glaskörpers<br />

Entstehung eines präfovealen<br />

Kanals parallel zum präpapill<br />

papillären<br />

Kanal<br />

Kleinkind, 7 Monate alt<br />

Links, im Querschnitt, erkennt man beide Kanäle, den engen canalis hyaloideus und den weiten<br />

praefovealen Kanal. Rechts der praefoveale Kanal, dessen Vorderende nicht definierbar ist.<br />

Beim Kleinkind entstehen in den vorderen Abschnitten allmählich die tractus<br />

vitreales, in den hinteren Abschnitten persistiert die infantile Radiärstruktur.<br />

Altersentwicklung des Glaskörpers<br />

Beginnende Differenzierung von Tractus im vordern Segment<br />

Adoleszenter, , 14 Jahre alt


<strong>Zeitverschwendung</strong> <strong>oder</strong> <strong>Gewinn</strong> 12<br />

Beim Erwachsenen entsteht schliesslich das typische Vollbild des<br />

Glaskörpers: Die Tractus vitreales ziehen in S-förmiger Krümmung bis zum hinteren<br />

Pol, die radiäre Struktur verschwindet allmählich.<br />

Altersentwicklung des Glaskörpers<br />

Volle Ausbildung der Tractus<br />

Erwachsener, 70 Jahre alt<br />

Bereits während seiner Entwicklung beginnt die Destruktion des typischen<br />

Glaskörpergerüstes, und es bilden sich Höhlen, Fasern und unregelmässige<br />

Verklumpungen<br />

Altersentwicklung des Glaskörpers<br />

Entdifferenzierung, , unsystematisch<br />

Erwachsener, 31 Jahre alt


<strong>Zeitverschwendung</strong> <strong>oder</strong> <strong>Gewinn</strong> 13<br />

Im Alter hebt sich der Glaskörper von der Netzhaut ab und kollabiert.<br />

Altersentwicklung des Glaskörpers<br />

Hintere Glaskörperabhebung<br />

Erwachsener, 75 Jahre alt<br />

Im Bereich der praefovealen Lakune entsteht eine grosse Lücke in der hinteren Grenzmembran, durch<br />

die freie Glaskörpersubstanz in den neuentstehenden Retrovitrealraum strömt.<br />

Die Entwicklung der Glaskörperstruktur folgt also einem Muster, das im Laufe<br />

des Lebens aufgebaut und wieder abgebaut wird.<br />

Altersentwicklung des Glaskörpers<br />

• Homogene infantile<br />

Struktur<br />

• Differenzierung zur<br />

adulten Struktur<br />

• Entdifferenzierung zur<br />

„senilen“ Struktur


<strong>Zeitverschwendung</strong> <strong>oder</strong> <strong>Gewinn</strong> 14<br />

Da diese Entwicklung bei jedem Menschen unterschiedlich abläuft, findet man<br />

unzählige individuelle Varianten, bestehend aus einer Mischung von<br />

- adulter Tractusstruktur vorne,<br />

- infantiler Radiärstruktur hinten,<br />

- Destruktionshöhlen zentral.<br />

Anatomie des Glaskörpers<br />

Individuelle Varianten<br />

• Zentralsubstanz<br />

• Hüllschicht<br />

• Residuen der<br />

Radiärstruktur<br />

• Desintegration<br />

Auf Grund unserer Untersuchungen lässt sich ein Grundschema des Glaskörpers<br />

konstruieren. Dieses besteht aus<br />

- einer lockeren Zentralsubstanz, die gegen vorne offen ist und<br />

- einer festeren peripheren Hüllschicht, welche die Retina bedeckt, der sog.<br />

Glaskörperrinde<br />

• Hüllschicht<br />

von höherer h herer Dichte<br />

• Zentralsubstanz<br />

Das Grundschema des<br />

Glaskörpergewebes<br />

von niedriger Dichte<br />

Hüllschicht hellblau, Zentralsubstanz dunkel


<strong>Zeitverschwendung</strong> <strong>oder</strong> <strong>Gewinn</strong> 15<br />

Der zentrale Glaskörper besteht aus Räumen von optisch niedriger Dichte, in<br />

denen optisch dichtere Tractus vitreales, manchmal als Schleier, manchmal eher<br />

als Faserschichten imponierend, von vorn nach hinten ziehen.<br />

Anatomie des Glaskörpers<br />

Zentralsubstanz<br />

• von niedriger Dichte<br />

• durchsetzt von Tractus<br />

höherer herer Dichte<br />

• inserierend an Ora<br />

serrata und zirkulären<br />

ren<br />

Zonulabändern<br />

ndern<br />

Sie bilden ineinander geschachtelte Trichter, die im Bereich der Glaskörperbasis an<br />

charakteristischen Stellen ansetzen und sich diesen mit spezifischen Namen<br />

zuordnen lassen:<br />

- An der Ora serrata inseriert der Tractus präretinalis,<br />

- über dem Ziliarkörper inserieren die Tractus epiciliares posterior und anterior<br />

an korrespondierenden zirkulären Zonulabändern,<br />

- und am Linsenrand inseriert der Tractus retrolentalis.<br />

Demgegenüber hat die an die Netzhaut angrenzende Hüllschicht, die<br />

Glaskörperrinde, generell eine hohe Dichte. Sie ist durchsetzt von einigen Zonen<br />

niedriger Dichte, die mit spezifischen Strukturen der Umgebung korreliert sind, und<br />

zwar mit der Papille, der Netzhautmitte, den Gefässen, den vielfältigen Varianten der<br />

äquatorialen Degenerationen und mit Narbenarealen.


<strong>Zeitverschwendung</strong> <strong>oder</strong> <strong>Gewinn</strong> 16<br />

Zentralsubstanz und Glaskörperrinde getrennt dargestellt<br />

Tractus<br />

1. Tractus retrolentalis, inserierend am ligamentum retrolentale am Linsenrand<br />

(Wieger’s ligament)<br />

2. Tractus epiciliaris anterior, inserierend am ligamentum ciliare anterior über dem<br />

hinteren Drittel der pars plicata<br />

3. Tractus epiciliaris posterior, inserierend am ligamentum ciliare posterior in der Mitte<br />

der pars plana<br />

4. Tractus praeretinalis, inserierend an der ora serrata<br />

Praeretinale Hüllschicht („Glaskörperrinde“)<br />

a. Praefoveale Lakune<br />

b. Praepapilläre Lakune<br />

c. Praevasculäre spaltförmige Lakunen<br />

d. Praeanomale Lakune über peripheren Anomalien<br />

e. Praeäquatoriale Lakune über äquatorialen Degenerationen<br />

f. Praecicatricielle Lakune über retinalen Narben<br />

Da die im Spaltlicht sichtbaren Phänomene mit den histologisch<br />

nachweisbaren Strukturen übereinstimmen, darf man somit die Frage nach der<br />

Existenz einer Glaskörperanatomie positiv beantworten.


<strong>Zeitverschwendung</strong> <strong>oder</strong> <strong>Gewinn</strong> 17<br />

Fixierter und unfixierter GK<br />

Szent-Gy<br />

Györgyi<br />

<strong>Eisner</strong><br />

Darstellung der Glaskörperbasis mit den tractus vitrealis, links fixiert, rechts unfixiert<br />

Und dies führt uns zur nächsten Frage: Was nützt denn die genaue Kenntnis<br />

dieser Anatomie<br />

Klinisch wichtig sind die sichtbaren Strukturen des zentralen Glaskörpers, die<br />

Tractus vitreales, vor allem als Orientierungshilfen im Glaskörperraum.<br />

Klinische Bedeutung<br />

Zentralsubstanz<br />

Tractus<br />

sind<br />

topographische Orientierungshilfen<br />

im Glaskörperraum<br />

- Verlaufsbeobachtung von Prozessen<br />

- Indikatoren von Pathologie bei abnormem Verlauf<br />

Typischer Verlauf der tractus vitreales im Erwachsenenauge: Hinter der Linse abfallend,<br />

S-förmig geschweift, nach hinten konvergierend


<strong>Zeitverschwendung</strong> <strong>oder</strong> <strong>Gewinn</strong> 18<br />

Sie erlauben zum einen, pathologische Prozesse – etwa das Eindringen von<br />

Zellen – topographisch einzuordnen und dadurch eine allfällige Zunahme <strong>oder</strong><br />

Abnahme genauer zu registrieren.<br />

Zum andern sind Veränderungen ihres typischen Verlaufes wichtige<br />

Indizien für weitergehende Abklärungen.<br />

Tractus, z.B., die hinter der Linse invers, d.h. nicht von oben schräg nach<br />

unten sondern von unten schräg nach oben verlaufen, deuten auf das Eindringen<br />

von schweren Proteinen in den Glaskörperraum hin.<br />

Abnormer Verlauf als Indikator für f<br />

Pathologie<br />

Inverser Verlauf: Akkumulation löslicher l<br />

Fremdsubstanzen<br />

Inverser Verlauf der Tractus in einem Auge, dessen Schwerpunkt nach unten verlagert war<br />

Tractus, die hinter der Linse geradlinig von vorn nach hinten ziehen, weisen<br />

auf eine Perforation der Glaskörperhülle hin, sei es durch perforierendes Trauma,<br />

sei es, bei unverletztem Auge, eine rhegmatogene hintere Glaskörperabhebung.<br />

Abnormer Verlauf als Indikator für f<br />

Pathologie<br />

Geradliniger Verlauf: Perforation des Glaskörpers<br />

(z.B. rhegmatogene HGA)<br />

Leichte Perforation der Glaskörperrinde beim Versuch, die Netzhaut im Bereich der praefovealen<br />

Lakune abzupräparieren. Links: Vor der Perforation sind die tractus geschweift. Rechts: Nach der<br />

Perforation verlaufen die tractus gestreckt. Geradlinige tractus zeigen wie Pfeile auf den Ort einer<br />

Perforation.


<strong>Zeitverschwendung</strong> <strong>oder</strong> <strong>Gewinn</strong> 19<br />

Präparationsartefakt<br />

Kollabierender Glaskörper nach misslungener Präparation mit schwerer Perforation an der<br />

praefovealen Lakune, Glaskörpersubstanz fliesst aus, die tractus strecken sich. Das Bild gleicht<br />

demjenigen einer hinteren Glaskörperabhebung<br />

Klinische Bedeutung<br />

Periphere HüllschichtH<br />

„Lücken“<br />

sind<br />

Zonen mit verminderter Barrierefunktion<br />

- Zonen von erleichterter Invasion aus<br />

Umgebung<br />

- Zonen verstärkter<br />

rkter vitreo-retinaler<br />

retinaler Adhäsion<br />

Im Bereich der Glaskörperrinde, d.h. des netzhautnahen Glaskörpers, gibt es<br />

normalerweise keine tractus-ähnlichen Strukturen. Einzig an der Grenze zwischen<br />

Glaskörperrinde und zentralem Glaskörper ist ein Tractus erkennbar, nämlich der<br />

Tractus präretinalis, und auch diesen sieht man deutlich nur nahe der Ora serrata,<br />

wo er beginnt. Alle Strukturen, die weiter hinten, d.h., direkt an der Netzhaut<br />

inserierenden Strukturen sind verdächtig; Membranellen, die dort ansetzen, sind<br />

Indikatoren einer hinteren Glaskörperabhebung


<strong>Zeitverschwendung</strong> <strong>oder</strong> <strong>Gewinn</strong> 20<br />

Zur Funktion des Glaskörpers<br />

Funktion des Glaskörpers<br />

• Stütze tze für f r Netzhaut<br />

• Platzhalter während w<br />

Entwicklung des<br />

Auges<br />

• Barriere gegen Eindringen von<br />

Fremdsubstanzen<br />

<br />

Wozu dient der Glaskörper Ist der Glaskörper eine Stütze, welche die<br />

Netzhaut an die Aderhaut drückt Ist er ein temporärer Platzhalter, der während der<br />

Entwicklungsphase des Auges den Glaskörperraum vor eindringenden Geweben<br />

freihält und danach – analog einem Blinddarm – überflüssig wird Oder ist er eine<br />

Barriere, welche das Eindringen von Fremdmaterial verhindert, <strong>oder</strong> zumindest<br />

bremst, und so die Durchsichtigkeit des Innenraumes gewährleistet Oder.... <br />

Was man auch immer man als Funktion postulieren will – es ist eine<br />

Tatsache, dass ein normales Auge auch ohne Glaskörper seine Eigenschaften –<br />

zumindest diejenigen, die messbar sind - beibehält. Die meisten Augen erleben<br />

bekanntlich im Alter eine hintere Glaskörperabhebung, und wie die Erfahrung zeigt,<br />

verläuft diese meist schadlos und beeinträchtigt die Funktionen nicht.<br />

Hier gilt es allerdings dem Einwand zu begegnen, dass hintere<br />

Glaskörperabhebungen sehr wohl Komplikationen verursachen können, nämlich<br />

Netzhautablösungen. Dies geschieht jedoch nicht dann, wenn der Glaskörper sich<br />

vollständig ablöst, sondern wenn er sich nicht vollständig ablöst.<br />

Altersentwicklung des Glaskörpers<br />

Volle Ausbildung der Tractus<br />

Erwachsener, 70 Jahre alt<br />

Hintere Glaskörperabhebung<br />

Nein<br />

Altersentwicklung des Glaskörpers<br />

Hintere Glaskörperabhebung<br />

Erwachsener, 75 Jahre alt<br />

Ja<br />

Die Grundfrage bei der Beurteilung klinischer Situationen: Verhält sich das Auge verschieden bei<br />

anliegendem und abgehobenem Glaskörper


<strong>Zeitverschwendung</strong> <strong>oder</strong> <strong>Gewinn</strong> 21<br />

Wenn nun offensichtlich ein normales Auge sowohl bei anliegendem als<br />

auch bei abgehobenem Glaskörper funktionieren kann, so stellt sich die Frage, ob<br />

dies für pathologische Zustände auch gilt. Unterscheiden sich Spontanverlauf<br />

und therapeutische Beeinflussbarkeit von entzündlichen und degenerativen<br />

Netzhaut- und Gefässprozessen bei anliegendem und abgehobenem Glaskörper<br />

Unterscheiden sich die Erfolgsraten von medikamentösen und chirurgischen<br />

Therapien<br />

Um Antworten zu finden, müsste man deshalb in Statistiken über<br />

Spontanverläufe und Therapien die beiden Populationen trennen. Und auf Grund<br />

verbesserter statistischer Aussagen könnten sich dann für die genauer<br />

differenzierten Populationen die Behandlungen optimieren und unnötige<br />

Behandlungen vermeiden lassen.<br />

Das Feld ist viel zu weit, um es hier umfassend zu beackern. Ich beschränke<br />

mich auf einige Anregungen in Stichworten:<br />

Entzündungen:<br />

Entzündungen<br />

ndungen<br />

Wenn man von der Hypothese einer Barrierefunktion ausgeht, könnte man<br />

postulieren, dass der Zutritt von löslichen Substanzen und Zellen aus dem Blutstrom<br />

in das Augeninnere verändert wird, wenn Glaskörperkontakt fehlt.<br />

Entzündungsfördernde Substanzen, immunkompetente Zellen, aber auch<br />

Mikroben könnten nach einer hinteren Glaskörperabhebung leichter ins Auge hinein<br />

gelangen, und das gleiche könnte auch für Medikamente gelten, die enteral <strong>oder</strong><br />

parenteral verabreicht werden.<br />

Demgegenüber könnten bei anliegendem Glaskörper entzündungsfördernde<br />

Elemente schwerer ins Innere eindringen, dort aber auch länger verweilen.<br />

Entzündliche Prozesse könnten länger dauern, und ausserdem wären sie für<br />

Medikamente weniger angreifbar.<br />

Fibroplasie:<br />

Fibroplasie<br />

Plasie<br />

Plasis: : das Bilden= Prozess<br />

Blasten<br />

Blastos: Keim,Spross= = Objekt


<strong>Zeitverschwendung</strong> <strong>oder</strong> <strong>Gewinn</strong> 22<br />

Der Problemkreis der Fibroplasie betrifft die Einwanderung von Zellen, die<br />

befähigt sind zur Bildung von Faserwerken, welche sich kontrahieren und so zu<br />

Veränderungen der Netzhaut führen können. In der Literatur werden Gliazellen,<br />

Zellen aus dem Blutstrom, Zellen der Adventitia und Pigmentepithelzellen diskutiert.<br />

Wird deren Infiltration durch anliegenden Glaskörper gebremst Bereitet erst<br />

eine hintere Glaskörperabhebung das Terrain für die gefürchteten Komplikationen<br />

vor<br />

Haben etwa alle Patienten mit hinterer Glaskörperabhebung epiretinale<br />

fibroplastische Veränderungen, die sich jedoch mit heutigen Methoden nicht<br />

nachweisen lassen Bleiben sie klinisch stumm und werden erst nach bestimmten<br />

Stimuli aktiviert (z:B: nach Lichtkoagulationen)<br />

Falls es auch bei anliegendem Glaskörper Fibroplasien geben sollte,<br />

unterscheiden sich diese von solchen nach Glaskörperabhebung in ihrer Prognose<br />

und Therapiebedürftigkeit<br />

Venenthrombosen:<br />

Venenthrombosen<br />

Aetiologie<br />

Komplikationen<br />

Bei venösen Abflussbehinderungen scheint auf Anhieb ein Zusammenhang mit<br />

Glaskörperveränderungen unwahrscheinlich. Aber zwei Hypothesen sollte man<br />

dennoch prüfen:<br />

- Wenn, wie Beobachtungen zeigen, die Durchflussstörungen an den<br />

Kreuzungsstellen von Arterien und Venen durch Fibrosen verursacht werden<br />

können, so würden hintere Glaskörperabhebungen diese möglicherweise<br />

begünstigen (siehe Fibroplasie).<br />

- Falls vasoaktive Substanzen aus den gestauten Venen leichter in den<br />

Retrovitrealraum austreten sollten, so könnte die Häufigkeit und Prognose von<br />

präretinalen Neovaskularisationen bei anliegendem und abgehobenem Glaskörper<br />

variieren (siehe Entzündungen).<br />

Deshalb die Frage: Unterscheiden sich die Prognosen von<br />

Venenthrombosen bei anliegendem und abgehobenem Glaskörper


<strong>Zeitverschwendung</strong> <strong>oder</strong> <strong>Gewinn</strong> 23<br />

Glaskörperblutungen:<br />

Glaskörperblutungen<br />

Blutungen dürften sich in ihrer Prognose unterscheiden, indem bei anliegendem<br />

Glaskörper die spontane Resorption langsam verläuft, während retrovitreales Blut<br />

rascher resorbiert wird.<br />

Wäre demnach ein langes Verbleiben von Blut im retrovitrealen Raum ein<br />

Hinweis auf Nachblutungen<br />

Wie wirken sich derartige Überlegungen auf die Indikationsstellung von<br />

chirurgischen Massnahmen aus<br />

Maculaveränderungen:<br />

Maculaveränderungen<br />

Bei Maculadenerationen und Ödemen stellt sich die Frage nach dem Einfluss des<br />

Glaskörpers auf deren Häufigkeit, Prognose und Therapie.<br />

Welche Rolle spielt ein freier Kontakt der Netzhautmitte mit der retrovitrealen<br />

Flüssigkeit im Falle einer hinteren Glaskörperabhebung Und im Falle eines<br />

anliegenden Glaskörpers, welche Rolle spielt dann die prämaculäre Bursa Gibt es<br />

Variationen in der Konfiguration der Bursa, und welche Rolle spielen sie für die<br />

Maculapathologie<br />

Chirurgische Eingriffe:<br />

Chirurgische Eingriffe


<strong>Zeitverschwendung</strong> <strong>oder</strong> <strong>Gewinn</strong> 24<br />

Wie beeinflusst der Glaskörperstatus die Indikation von Vitrektomien Spielt<br />

für den Entscheid auch die Annahme eine Rolle, dass die chirurgischen Risiken bei<br />

einer vorbestehenden Glaskörperabhebung geringer werden<br />

Verbessert sich die Prognose z.B., wenn man mit einer allfälligen Entfernung<br />

von entzündlichem Material zuwartet, bis der Glaskörper – wie bei Entzündungen<br />

üblich – sich abgehoben hat<br />

Komplikationen bei Phakoemulsifikation:<br />

Komplikationen bei<br />

Phakoemulsifikation<br />

Abgesunkene Linsenpartikel nach einer Ruptur der Hinterkapsel verhalten<br />

sich möglicherweise im freien Retrovitrealraum anders als im strukturierten<br />

Glaskörper.<br />

Statistiken betr. Spontanresorption, Indikationen zu chirurgischer<br />

Interventionen und ihrer Resultate sollten deshalb den Faktor Glaskörperabhebung<br />

stets berücksichtigen.<br />

Intravitreale Injektionen:<br />

Intravitreale<br />

Injektionen<br />

Ist die Wirksamkeit von intravitrealen Injektionen zur Therapie von Netzhaut- und<br />

Gefässprozessen besser bei abgehobenem Glaskörper wegen erleichtertem<br />

Gewebskontakt Sind dann aber auch allfällige Nebenwirkungen höher<br />

Soll man in den Retrovitrealraum injizieren, um die Wirkung zu beschleunigen,<br />

<strong>oder</strong> eher in das Glaskörpergerüst, um die Wirkung zu verlängern<br />

Und wenn man bei anliegendem Glaskörper injiziert, soll man danach trachten,<br />

in den Zentralkanal zu injizieren, der direkt zur präfovealen Lakune niedriger Dichte<br />

(gemäss Worst: Bursa) führt<br />

Müsste man diesen Faktoren in den Erfolgstatistiken nicht Rechnung zu tragen


<strong>Zeitverschwendung</strong> <strong>oder</strong> <strong>Gewinn</strong> 25<br />

Prophylaxe von Netzhautablösungen durch Lichtkoagulation:<br />

Lichtkoagulation zur<br />

Prophylaxe von<br />

Netzhautablösungen<br />

Bei der Frage nach der Koagulationsbedürftigkeit von peripheren<br />

Netzhautveränderungen in normalen Augen wird die Indikationsstellung dadurch<br />

erschwert, dass die sog. gefährdenden Veränderungen häufig, die Amotionen<br />

jedoch selten sind.<br />

Das wirkliche Gefahrenpotential von vitreoretinalen Adhäsionen lässt sich<br />

erst nach einer hinteren Glaskörperabhebung einigermassen zuverlässig evaluieren.<br />

Ausnahmen von dieser Regel sind verdächtig auf hereditäre vitreoretinale<br />

Syndrome, wie z.B. das Syndrom der falschen hinteren Grenzmembran, das an der<br />

Berner Augenklinik von Jacques Rossier beschrieben wurde.<br />

Amotio ohne HGA<br />

Syndrom der falschen hinteren Grenzmembran<br />

Oben: Normales Auge, Verlauf der Tractus. Nach hinterer Glaskörperabhebung inseriert die hintere<br />

Grenzmembran (posterior limiting lamina PLL) hinter der ora serrata.<br />

Unten: Pseudo-PLL-syndrom: die falsche hintere Grenzmembran (Pseudo-limiting lamina PPLL) liegt<br />

vor dem tractus praeretinalis, der an der ora serrata inseriert. Bei einer Glaskörperabhebung sieht<br />

man dahinter die echte hintere Grenzmembran<br />

Für den Normalfall kann der folgende Entscheidungsbaum gelten:<br />

1. Ist der Glaskörper anliegend <strong>oder</strong> abgehoben<br />

2. Falls abgehoben, ist die Abhebung rhegmatogen <strong>oder</strong> arrhegmatogen<br />

Ein Unterschied, auf den wir hier aus Zeitgründen nicht eingehen.<br />

3. Ist die Abhebung rhegmatogen, kam sie bereits zum Stillstand <strong>oder</strong><br />

schreitet sie noch fort<br />

4. Falls Stillstand – ist die Abhebung vollständig <strong>oder</strong> sind retrovitreale<br />

Adhäsionen (VRA) verblieben


<strong>Zeitverschwendung</strong> <strong>oder</strong> <strong>Gewinn</strong> 26<br />

Entscheidungskriterien im Fall einer hinteren Glaskörperabhebung


<strong>Zeitverschwendung</strong> <strong>oder</strong> <strong>Gewinn</strong> 27<br />

Graphische Darstellung des oben diskutierten Entscheidungsbaumes (aus „Sherlock’s Vitreous)<br />

Notierung der Kriterien in Kürzeln<br />

HGA +/-<br />

rh +/-<br />

st +/-<br />

c +/-<br />

Sind alle vier Kriterien positiv, so ist die Abhebung vollständig, und der<br />

Patient braucht keine weiteren Kontrollen. Wenn hingegen die Abhebung noch nicht<br />

zum Stillstand kam, so muss der Patient überwacht werden; und falls vitreoretinale<br />

Adhäsionen persistieren, so stellt sich die Frage, ob sie therapiert werden müssen.<br />

Zur Beurteilung der bisher geschilderten Glaskörperprobleme genügen die<br />

einfachen klinischen Untersuchungsmethoden. Im Folgenden möchte ich noch drei<br />

Themen ansprechen, zu deren Klärung kompliziertere Techniken erforderlich sind.<br />

Über sie wissen wir deshalb bisher nur wenig.<br />

Den Glaskörperchirurgen sind manche dieser Phänomene nicht fremd, denn<br />

während eines Eingriffes gibt es gelegentlich Beobachtungen, die mit dem bisher<br />

gesagten nur bedingt übereinstimmen. Die Frage ist bloss: Kann man diese Fragen<br />

auch ohne Operation klären<br />

Wie entsteht überhaupt eine Glaskörperabhebung<br />

Offene Fragen<br />

1<br />

Wie kommt es überhaupt zu einer<br />

hinteren Glaskörperabhebung<br />

Wie kann man erklären, dass ein Glaskörper sich innert weniger Minuten<br />

ablösen und, gewissermassen in einem Schwung, vollständig kollabieren kann<br />

Entstehen etwa im Vorfeld multiple disseminierte Mini-Abspaltungen, die im<br />

Laufe der Zeit konfluieren<br />

Kommt der akute Kollaps dadurch zustande, dass die partiellen Abspaltungen<br />

die präfoveale Lücke erreicht haben und dann die Glaskörpersubstanz im Schwall<br />

hindurchströmen kann


<strong>Zeitverschwendung</strong> <strong>oder</strong> <strong>Gewinn</strong> 28<br />

Biomikroskopisch können Mini-Abspaltungen nicht sichtbar gemacht<br />

werden. Wie steht es mit m<strong>oder</strong>nen bildgebenden Verfahren<br />

Auf welchem Niveau wird die vitreoretinale Grenzschicht getrennt<br />

Offene Fragen<br />

2<br />

Auf welchem Niveau erfolgt die<br />

Trennung des Glaskörpers von<br />

der Retina<br />

Klinisch hat man den Eindruck, dass Spaltungen sowohl direkt an der<br />

limitans interna der Retina entstehen können als auch innerhalb von verschiedenen<br />

Lagen der vitreoretinalen Grenzzone – mit jeweils unterschiedlichen Folgen für die<br />

Netzhaut.<br />

Man denke etwa an das „Syndrom der dicken hinteren Glaskörpergrenzmembran“,<br />

das mit einer speziell Art von Netzhautläsionen verknüpft ist.<br />

Trennung des Glaskörpers von der<br />

Retina<br />

direkt an Retina - innerhalb Grenzschicht - über Grenzschicht<br />

Links: Trennung direkt an der Retinaoberfläche erzeugt eine dicke hintere Grenzmembran, erkennbar<br />

an einer intensiven Reflexion und scharfzackigen Fältelungen<br />

Mitte: Trennung innerhalb der Grenzmembran, es bleibt Material auf der Retina, die Grenzmembran<br />

reflektiert wenig. Sie ist dünn und leicht gewellt.


<strong>Zeitverschwendung</strong> <strong>oder</strong> <strong>Gewinn</strong> 29<br />

Rechts: Trennung entlang der Innenfläche der Grenzschicht, die hintere Glaskörpergrenze fällt glatt<br />

und ist praktisch unsichtbar<br />

Wird bei einer hinteren Glaskörperabhebung immer auch der prämaculäre<br />

Glaskörperpilz abgelöst<br />

Offene Fragen<br />

3<br />

Bleibt der prämacul<br />

maculäre<br />

Glaskörperpilz im Foveabereich<br />

adhärent<br />

rent<br />

Bleibt der praemaculäre Glaskörperpilz manchmal (<strong>oder</strong> auch immer) im<br />

Foveabereich noch adhärent Zur Beantwortung dieser Frage müsste man<br />

Patienten in Bauchlage untersuchen. Pilotversuche, wie sie Frau Andrea Gantenbein<br />

(Berner Augenklinik) in ihrer Dissertation durchgeführt hat, lassen hier neue<br />

Erkenntnisse erwarten.<br />

Ich nähere mich dem Schluss. Sie haben sich möglicherweise über meinen<br />

Vortrag geärgert.<br />

Wir haben den Glaskörper im Galopp durchrast – was bleibt davon Vielleicht<br />

kann man das Vorgehen mit der Taktik beim Besuch einer Kunstausstellung<br />

vergleichen, welche Sie zuerst im Schnellschritt durchschreiten, um das<br />

auszusuchen, was Sie in einem zweiten Durchgang genauer ansehen wollen. Für<br />

diese zweite, beschaulichere Phase lade ich Sie – wie eingangs angedeutet – ein,<br />

sich mittels den DVD’s des Dr. Sherlock kundig zu machen<br />

Und nun komme ich noch zum eingangs angesprochenen dritten Problem:<br />

Es wird Ihnen gewiss unangenehm aufgefallen sein, dass ich häufig den Konjunktiv<br />

und Fragezeichen benutzt, dass ich über Konzepte und Hypothesen gesprochen –<br />

sie aber nicht mit Daten untermauert habe.<br />

Dies ist gewiss unbefriedigend, aber es ist leider eine Tatsache, dass Daten<br />

fehlen. Dafür gibt es mannigfache Gründe, die zu erörtern hier müssig ist. Im<br />

Vordergrund steht indessen die Tatsache, dass unter den Autoren keine Einigkeit<br />

herrscht hinsichtlich der diagnostischen Kriterien von Glaskörperabhebungen.<br />

Wenn z.B. Statistiken von Glaskörperabhebungen allein auf die Sichtbarkeit<br />

einer präpapillären Flocke abstellen, so ist sicher die Zahl der aufgeführten Fälle zu<br />

klein.


<strong>Zeitverschwendung</strong> <strong>oder</strong> <strong>Gewinn</strong> 30<br />

Das Problem der Diagnose<br />

von hinteren<br />

Glaskörperabhebungen<br />

Typische flottierende praepapilläre Flocke<br />

In vielen Augen tritt bei einer Glaskörperabhebung nämlich gar<br />

keine präpapilläre Flocke auf. Die Patienten haben dann keine Symptome. Und für<br />

die untersuchenden Ärzte ist die präpapilläre Lakune auf der abgehobenen<br />

Grenzmembran kaum sichtbar.<br />

Präpapill<br />

papilläre Flocke als Kriterium<br />

Links: Beginnende hintere Glaskörperabhebung, die hintere Glaskörpergrenzmembran verläuft schräg<br />

nach hinten, die praefoveale Lakune steht senkrecht und ist deshalb in voller Grösse sichtbar. Die<br />

links oben liegende dunkle praepapilläre Lakune ist viel kleiner und wegen des Fehlens einer glialen<br />

Umrandung kaum erkennbar. Durch die praefoveale Lücke entweicht freie Glaskörpersubstanz nach<br />

hinten.<br />

Rechts: Vollständige Abhebung. Die Grenzmembran fällt steil nach unten, die praefoveale Lakune<br />

liegt nun horizontal und nur ihr Vorderrand ist deutlich erkennbar. Links davon die praepapilläre<br />

Lakune


<strong>Zeitverschwendung</strong> <strong>oder</strong> <strong>Gewinn</strong> 31<br />

Besonders erschwert wird die Diagnose bei engem Spaltlicht.<br />

Rhegmatische Glaskörperabhebung<br />

Diagnose<br />

Je schmaler der Lichtspalt, desto schwieriger die Diagnose<br />

Unfixiertes Autopsieauge mit praeexistenter hinterer Glaskörperabhebung. Bei breitem Lichtspalt (links<br />

oben) sind die praefoveale Lakune und die danebenliegende praepapilläre Lakune problemlos<br />

erkennbar, mit zunehmender Verengerung wird deren Diagnose immer schwieriger. Die kleine<br />

praepapilläre Lakune ist kaum sichtbar<br />

Das entscheidende Diagnostikum für eine Glaskörperabhebung ist der<br />

Ansatz einer Glaskörperlamelle direkt an der Netzhaut – ich erinnere daran, dass<br />

keine normalen Tractus hinter der Ora Serrata inserieren.<br />

Kriterien einer HGA<br />

Membranellen<br />

inserierend<br />

hinter der Ora serrata<br />

direkt an der Netzhaut<br />

Und diejenige Form, die uns hier interessiert, nämlich die rhegmatogene hintere<br />

Glaskörperabhebung, ist charakterisiert durch eine senkrecht fallende<br />

Grenzmembran, den freien Glaskörperpilz im Zentrum und durch die aufliegende<br />

Grenzmembran unten.


<strong>Zeitverschwendung</strong> <strong>oder</strong> <strong>Gewinn</strong> 32<br />

Rhegmatische Glaskörperabhebung<br />

Aspekt des vollständigen Kollapses<br />

• HGM fällt f<br />

senkrecht<br />

• Präfoveales<br />

Loch<br />

horizontal<br />

• Freie<br />

Glaskörpersubstanz<br />

hinter HGM<br />

• Untere HGM liegt NH<br />

auf, unsichtbar<br />

Damit komme ich endgültig zum Schluss. Die hier angeschnittenen Themen<br />

sind in der Praxis wichtig, denn - welche Funktionen der Glaskörper auch immer<br />

erfüllen mag – es ist anzunehmen, dass manche Prozesse im Auge nach einer<br />

hinteren Abhebung anders verlaufen als zuvor.<br />

Wenn diesem Umstand in der Klinik Rechnung getragen wird und in jeder<br />

Statistik die Fälle mit und ohne Abhebung als getrennte Populationen untersucht<br />

werden, so vermeidet man die Vermischung von Birnen und Äpfeln.<br />

Es lohnt sich also, die hier aufgeworfenen Probleme anzugehen, denn dank<br />

verbesserter Daten können Therapien auf die Fälle konzentriert werden, wo die<br />

Wahrscheinlichkeit positiver Effekte gross ist, und es können diejenigen Patienten,<br />

wo dies nicht der Fall ist, von unnötigen Nebenwirkungen – und Kosten –<br />

verschont werden.<br />

Es lässt sich also, kurz ausgedrückt, dank einer genauen Glaskörperanalyse<br />

der „Number To Treat“ reduzieren<br />

Diagnose HGA ja/nein<br />

gehört in jede KG<br />

HGA beeinflusst möglicherweisem<br />

• Verlauf von intra- und postoperativen<br />

Komplikationen<br />

• Wirkung intravitrealer Applikation von<br />

Medikamenten<br />

• Verlauf entzündlicher ndlicher und zirkulatorischer<br />

Prozesse im hinteren Segment


<strong>Zeitverschwendung</strong> <strong>oder</strong> <strong>Gewinn</strong> 33<br />

<strong>Zeitverschwendung</strong> <strong>oder</strong> <strong>Gewinn</strong><br />

Die Untersuchung des<br />

Glaskörpers<br />

Zeitverlust<br />

<strong>oder</strong><br />

<strong>Gewinn</strong><br />

Hier meine Antwort:<br />

Der Glaskörperstatus gehört zum Augenstatus.<br />

Denn dies ist unser <strong>Gewinn</strong>:<br />

- Indikator für Kontrollbedürftigkeit: Jede Abweichung von der<br />

Normalstruktur indiziert weitere Abklärungen zur Aufdeckung der dahinter<br />

steckenden Pathologie<br />

- Steuerungsmittel der Therapie: Einerseits können pathologische Prozesse<br />

in den umgebenden Geweben Substanzen in den Glaskörperraum<br />

ausschütten, deren Zunahme, resp. Abnahme anzeigt, ob Therapien<br />

notwendig sind, resp. bei Erfolg reduziert werden dürfen. Andererseits können<br />

pathologische Veränderungen des Glaskörpers selbst die umgebenden<br />

Gewebe lädieren, wobei deren Konfiguration abschätzen lässt, ob<br />

therapeutische Massnahmen nötig sind.<br />

- Reduktion des Number to Treat: Wenn wir verstehen, welchen Einfluss eine<br />

Glaskörperabhebung auf den Spontanverlauf und die Therapieeffizienz von<br />

vaskulären und retinalen Erkrankungen hat, lassen sich unnötige<br />

Therapiemassnahmen reduzieren und auf diejenigen Fälle beschränken, bei<br />

denen die besten Effekte zu erwarten sind.<br />

Bildnachweis<br />

- Alle Photos von Spaltlampenbefunden stammen vom Autor<br />

- Die Schemata wurden nach Vorlagen des Autors von den wissenschaftlichen<br />

Zeichnern Hans Holzherr und Willi Hess (Universität Bern) angefertigt<br />

- Die Zeichnungen von biomikroskopischen Befunden stammen von Adelheid Meyer<br />

und Willi Hess<br />

- Die Karikatur in der Einleitung stammt vom Autor

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