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LernGesundheit. Lebensfreude und Lernfreude in der Schule.

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PAUKOS Ausgabe 01/2008<br />

6<br />

<strong>LernGes<strong>und</strong>heit</strong>. <strong>Lebensfreude</strong> <strong>und</strong> <strong>Lernfreude</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>.<br />

Dr. Eckhard Schiffer*<br />

Dr. Schiffer bei se<strong>in</strong>em Vortrag<br />

In dem Titel me<strong>in</strong>es Vortrages ist<br />

<strong>der</strong> Zusammenhang <strong>und</strong> die<br />

Entfaltung von Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong><br />

Lernmotivation angesprochen.<br />

Hierfür s<strong>in</strong>d weitgehend auch<br />

Lernprozesse entscheidend. Wir<br />

lernen ständig, wir können uns gar<br />

nicht dagegen wehren, denn unser<br />

Gehirn hat nichts an<strong>der</strong>es vor <strong>und</strong><br />

nichts an<strong>der</strong>es zu tun als zu<br />

lernen. Sogar im Schlaf. Die Frage<br />

ist nur, was, wie <strong>und</strong> wo wir lernen.<br />

Körperliche Korrelate von Lernprozessen,<br />

die schon vorgeburtlich<br />

e<strong>in</strong>setzen, s<strong>in</strong>d die (synaptischen)<br />

Verän<strong>der</strong>ungen <strong>in</strong> den<br />

Verknüpfungen <strong>der</strong> Nervenzellen<br />

des Gehirns. Unser Gehirn ist e<strong>in</strong>e<br />

ständige Umbaustelle. Wenn Sie<br />

nach diesem Vortrag aus dem<br />

Saal herausgehen, haben Sie mit<br />

Sicherheit e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es Gehirn als<br />

das, mit dem sie here<strong>in</strong>gekommen<br />

s<strong>in</strong>d. Und damit etwas Gutes<br />

daraus wird – dafür brauchen wir<br />

e<strong>in</strong> starkes Kohärenzgefühl.<br />

In dem Konzept zur Ges<strong>und</strong>heitsentstehung,<br />

dem Salutogenesekonzept<br />

von Aaron Antonovsky ist<br />

das Kohärenzgefühl die entscheidende<br />

Gr<strong>und</strong>lage von Ges<strong>und</strong>heit.<br />

Foto: Arne Arnemann<br />

Kohärenz kommt aus dem Late<strong>in</strong>ischen<br />

<strong>und</strong> das bedeutet ebenso<br />

viel wie Zusammenhang, Zusammenhalt,<br />

e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>neren <strong>und</strong> äußeren<br />

Halt haben. Sich <strong>in</strong>nerlich<br />

<strong>und</strong> äußerlich getragen, gehalten<br />

fühlen <strong>und</strong> sich auch selber <strong>in</strong>nerlich<br />

<strong>und</strong> äußerlich Halt verschaffen<br />

können.<br />

In diesem Zusammenhang e<strong>in</strong>ige<br />

Anmerkungen zur Entstehungsgeschichte<br />

des Konzeptes vom<br />

Kohärenzgefühl:<br />

Im Jahre 1970 führte Antonovsky<br />

<strong>in</strong> Israel e<strong>in</strong>e Befragung zur Ges<strong>und</strong>heit<br />

von Frauen durch, die<br />

den Schrecken <strong>und</strong> das Entsetzen<br />

von Verfolgung, Inhaftierung<br />

<strong>und</strong> Konzentrationslagern<br />

überlebt hatten. Diese Frauen<br />

waren im K<strong>in</strong>des- <strong>und</strong> JugendalterschwerstenTraumatisierungen<br />

ausgesetzt gewesen; 71<br />

% berichteten als Folge dessen<br />

über deutliche seelische <strong>und</strong><br />

körperliche Bee<strong>in</strong>trächtigungen<br />

ihrer Ges<strong>und</strong>heit. Dies war auch<br />

zu erwar-ten gewesen <strong>und</strong> daher<br />

nicht weiter verw<strong>und</strong>erlich. Was<br />

Antonovsky vielmehr beschäfigte,<br />

war die Frage, warum 29 % <strong>der</strong><br />

Frauen trotz <strong>der</strong> massiven Belas-<br />

tungen dennoch bei relativ guter<br />

Ges<strong>und</strong>heit waren. Diesen Wechsel<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Perspektive bezeichnete<br />

er rückblickend als die entscheidende<br />

Wende <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

Arbeit, aus <strong>der</strong> heraus er dann<br />

auch se<strong>in</strong> Konzept vom Kohärenzgefühl<br />

entwickeln konnte.<br />

Zur weiteren Annäherung an das<br />

Kohärenzgefühl habe ich Ihnen<br />

zwei Texte mitgebracht. In dem<br />

ersten geht es um e<strong>in</strong>e Szene<br />

aus <strong>der</strong> Geschichte me<strong>in</strong>es Liebl<strong>in</strong>gshelden<br />

Huckleberry F<strong>in</strong>n. Der<br />

an<strong>der</strong>e ist e<strong>in</strong> Ausschnitt aus dem<br />

Brief Dietrich Bonhoeffers Weihnachten<br />

1943 aus dem Gefängnis<br />

Tegel an se<strong>in</strong>e Eltern.<br />

Huckleberry F<strong>in</strong>n ist <strong>in</strong> Mark<br />

Twa<strong>in</strong>s Geschichten um Tom<br />

Sawyer <strong>der</strong> Bürgerschreck - faul,<br />

verwahrlost, ohne festen Wohn-<br />

sitz; <strong>der</strong> Vater e<strong>in</strong> gewalttätiger<br />

Säufer, von <strong>der</strong> Mutter ist schon<br />

gar nicht mehr die Rede. Nach<br />

unseren heutigen Vorstellungen<br />

wäre demnach Huckleberry F<strong>in</strong>n<br />

hochgradig gefährdet. Offensichtlich<br />

kommt <strong>der</strong> Huck jedoch gut<br />

über die R<strong>und</strong>en. Der Leser sympathisiert<br />

mit ihm, die Geschichten<br />

laden e<strong>in</strong>, sich mit Huck zu<br />

identifizieren.<br />

Auf <strong>der</strong> Flucht vor se<strong>in</strong>em eigenen<br />

Vater, <strong>der</strong> ihm nach dem Leben<br />

trachtet, trifft Huck den entflohenen<br />

Negersklaven Jim. Beide<br />

müssen um ihr Leben fürchten.<br />

Das Floß, das sie f<strong>in</strong>den <strong>und</strong> mit<br />

dem sie auf dem Mississippistrom<br />

flussabwärts flüchten, wird<br />

zu ihrem Freiraum <strong>und</strong> Fluchtort.<br />

Unser Text knüpft an e<strong>in</strong>e Passage<br />

an, <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong>er sie an<br />

e<strong>in</strong>er geschützten Uferstelle Halt<br />

machen, um <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Höhle auf<br />

e<strong>in</strong>em offenen Feuer ihr Mittagessen<br />

zu bereiten:<br />

„Wir nahmen noch’n paar Fische<br />

von den Haken, die <strong>in</strong>zwischen<br />

angebissen hatten <strong>und</strong> warfen die<br />

Angelschnüre wie<strong>der</strong> aus. Dann<br />

machten wir alles zum Mittag-<br />

Chefarzt <strong>der</strong> Abteilung für Psychosomatische Mediz<strong>in</strong> mit <strong>in</strong>tegriertem familientherapeutischem Zentrum<br />

am Christlichen Krankenhaus Quakenbrück.


essen fertig.<br />

Der Zugang zur Höhle war nicht<br />

größer als’n Schwe<strong>in</strong>skopf. Auf<br />

<strong>der</strong> gegenüberliegenden Seite<br />

war<strong>der</strong> Boden etwas erhöht. Hier<br />

machten wir e<strong>in</strong> Feuer <strong>und</strong> kochten<br />

unser Mittagessen. Unsere<br />

Decken legten wir als Teppich auf<br />

die Erde. Wir setzten uns darauf<br />

<strong>und</strong> aßen. (...)<br />

Sehr bald wurde es dunkel, <strong>und</strong><br />

es f<strong>in</strong>g an zu donnern <strong>und</strong> zu<br />

blitzen. (...) Gleich h<strong>in</strong>terher f<strong>in</strong>g<br />

es an zu regnen, <strong>und</strong> bald goss<br />

es wie mit Eimern. Und <strong>der</strong> W<strong>in</strong>d<br />

heulte, wie ich’s noch nie gehört<br />

hatte. Es war e<strong>in</strong> richtiges Sommergewitter.<br />

Es wurde so duster,<br />

dass draußen alles wie <strong>in</strong> T<strong>in</strong>te<br />

getaucht aussah (...). Und dann<br />

tauchte e<strong>in</strong> Blitz alles <strong>in</strong> helles,<br />

goldenes Licht <strong>und</strong> man konnte<br />

für e<strong>in</strong>en Moment Baumkronen<br />

erkennen, die ganz weit weg<br />

waren.<br />

‘Jim, ist das nicht schön?’ fragte<br />

ich. ‘Ich möchte nirgendwo an<strong>der</strong>s<br />

se<strong>in</strong> als hier.<br />

Gib mir noch mal’n Stück Fisch<br />

<strong>und</strong> ‘nen heißen Maiskuchen.’ “<br />

Auf dem Bild zu dieser Textpassage<br />

aus dem „Huckleberry F<strong>in</strong>n”<br />

fühlen sich die beiden offensichtlich<br />

wohl. Ihnen schmeckt es<br />

ausgezeichnet, obwohl ihr Mahl -<br />

Fisch <strong>und</strong> Maiskuchen - relativ<br />

bescheiden ist <strong>und</strong> draußen die<br />

Welt unterzugehen sche<strong>in</strong>t. Die<br />

beiden haben augensche<strong>in</strong>lich<br />

ke<strong>in</strong>e Angst, fühlen sich <strong>in</strong> ihrer<br />

Fre<strong>und</strong>schaft gut aufgehoben <strong>und</strong><br />

geborgen. Und eben diese Fre<strong>und</strong>schaft<br />

ist es, die <strong>in</strong> ihrem sonst<br />

eher e<strong>in</strong>samen Leben S<strong>in</strong>n stiftet.<br />

Zusammen fühlen sie sich stark,<br />

zusammen meistern sie die Anfor<strong>der</strong>ungen,<br />

die die Wildnis <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Strom Mississippi mit all den<br />

dazugehörigen Gefahren an sie<br />

stellen.<br />

Der zweite Text, den ich Ihnen<br />

mitgebracht habe, sche<strong>in</strong>t aus<br />

e<strong>in</strong>er ganz an<strong>der</strong>en Welt heraus<br />

entstanden zu se<strong>in</strong>, aber es gibt<br />

zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong>e bedeutende<br />

Geme<strong>in</strong>samkeit:<br />

Dietrich Bonhoeffer schrieb Weihnachten<br />

1943 aus dem Gefängnis<br />

<strong>in</strong> Tegel an se<strong>in</strong>e Eltern: „Ich<br />

brauche Euch nicht zu sagen, wie<br />

Ausgabe 01/2008 PAUKOS<br />

groß me<strong>in</strong>e Sehnsucht nach Freiheit<br />

<strong>und</strong> nach Euch allen ist. Aber<br />

Ihr habt uns durch Jahrzehnte h<strong>in</strong>durch<br />

so unvergleichlich schöne<br />

Weihnachten bereitet, dass die<br />

dankbare Er<strong>in</strong>nerung daran stark<br />

genug ist, um auch e<strong>in</strong> dunkleres<br />

Weihnachten zu überstrahlen. In<br />

solchen Zeiten erweist es sich<br />

eigentlich erst, was es bedeutet,<br />

e<strong>in</strong>e Vergangenheit <strong>und</strong> e<strong>in</strong> <strong>in</strong>-<br />

neres Erbe zu besitzen, das von<br />

dem Wandel <strong>der</strong> Zeiten <strong>und</strong> Zufälle<br />

unabhängig ist. (...) Ich glaube,<br />

wer sich im Besitze solcher Kraft-<br />

Kraftreserven weiß, braucht sich<br />

auch weicherer Gefühle, die<br />

me<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach doch zu<br />

den besseren <strong>und</strong> edleren <strong>der</strong><br />

Menschen gehören, nicht zu<br />

schämen, wenn die Er<strong>in</strong>nerung an<br />

e<strong>in</strong>e gute <strong>und</strong> reiche Vergangen-<br />

7


PAUKOS Ausgabe 01/2008<br />

8<br />

heit sie hervorruft”. 1<br />

Dieser Text vermittelt auf <strong>der</strong> gedanklichen<br />

Ebene, was die Episode<br />

vom Huckleberry F<strong>in</strong>n emotional<br />

vermittelt, nämlich das Kohärenzgefühl.<br />

Das Kohärenzgefühl kann sich wie<br />

<strong>in</strong> dem Bonhoeffer-Text auf e<strong>in</strong>e<br />

E<strong>in</strong>zelperson beziehen, aber<br />

auch auf e<strong>in</strong> Paar wie <strong>in</strong> dem Text<br />

zu Huckleberry F<strong>in</strong>n. Ebenso<br />

kann sich das Kohärenzgefühl<br />

jedoch auf e<strong>in</strong>e Gruppe von<br />

mehreren Menschen beziehen<br />

wie z. B. auf e<strong>in</strong>e Familie, e<strong>in</strong> Lehrerkollegium,<br />

e<strong>in</strong>e Schulklasse<br />

o<strong>der</strong> sogar e<strong>in</strong>e ganze <strong>Schule</strong>.<br />

Wie das Kohärenzgefühl e<strong>in</strong>er<br />

Schulklasse aussieht, dafür habe<br />

ich Ihnen e<strong>in</strong> Foto mitgebracht.<br />

Es geht hier um e<strong>in</strong>e bildnerische<br />

Geme<strong>in</strong>schaftsproduktion <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

zweiten Schuljahr, <strong>in</strong> dem die<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> auf e<strong>in</strong>er 1 x 1 Meter großen<br />

Le<strong>in</strong>wand jeweils e<strong>in</strong>e Blume<br />

malen konnten. Ke<strong>in</strong>e Blume wurde<br />

übermalt. Die K<strong>in</strong><strong>der</strong> entdeckten,<br />

dass ihre Blume zusammen<br />

mit den an<strong>der</strong>en jeweils viel schöner<br />

aussieht, als wenn sie alle<strong>in</strong>e<br />

auf <strong>der</strong> Le<strong>in</strong>wand zu sehen gewesen<br />

wäre...<br />

Das Kohärenzgefühl, beziehungsweise<br />

<strong>der</strong> Kohärenzs<strong>in</strong>n me<strong>in</strong>en<br />

e<strong>in</strong>en Welt- <strong>und</strong> Selbstbezug, <strong>in</strong><br />

dem die eigene Existenz als s<strong>in</strong>nvoll,<br />

Probleme <strong>und</strong> Aufgaben als<br />

verstehbar <strong>und</strong> handhabbar erlebt<br />

werden. Verstehbarkeit <strong>und</strong><br />

Handhabbarkeit von Problemen<br />

sowie S<strong>in</strong>nhaftigkeit s<strong>in</strong>d die drei<br />

Teilkomponenten des Kohärenzgefühles<br />

bzw. des Kohärenzs<strong>in</strong>nes.<br />

Von Kohärenzs<strong>in</strong>n sprechen<br />

wir, wenn wir weniger die gefühlshafte<br />

Erlebensweise, son<strong>der</strong>n<br />

mehr die damit verknüpften<br />

gedanklichen Aspekte me<strong>in</strong>en.<br />

Um das Kohärenzgefühl bzw. den<br />

Kohärenzs<strong>in</strong>n geht es im wesentlichen<br />

<strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Vortrag. Die<br />

These, die ich Ihnen heute mitgebracht<br />

habe, ist die, dass aus den<br />

Intermediärräumen des Spielens<br />

<strong>und</strong> des schöpferischen Handelns<br />

sowie des Dialoges heraus sich<br />

e<strong>in</strong> starkes Kohärenzgefühl entwickeln<br />

kann. (Schema 1 <strong>und</strong> 2 -<br />

siehe Seite 9)<br />

Die Intermediärräume, wörtlich<br />

übersetzt: Zwischenräume, s<strong>in</strong>d<br />

nicht sichtbar, aber erlebbar.<br />

Geme<strong>in</strong>t s<strong>in</strong>d die Zwischenräume,<br />

die sich im Spielen wie<br />

im Dialog <strong>und</strong> natürlich auch im<br />

spielerischen Dialog o<strong>der</strong> dialogischen<br />

Spiel eröffnen. Es s<strong>in</strong>d<br />

die Räume zwischen <strong>der</strong> Fantasie<br />

des K<strong>in</strong>des <strong>und</strong> z. B. dem Sandhaufen<br />

vor dem K<strong>in</strong>d wie auch die<br />

Räume zwischen zwei Menschen,<br />

die im Dialog vertieft s<strong>in</strong>d.<br />

In den Spiel<strong>in</strong>termediärräumen<br />

wie <strong>in</strong> den dialogischen Interme-<br />

diärräumen kann man sich<br />

verlieren – <strong>und</strong> bereichert aus<br />

ihnen zurück-kehren. Und das,<br />

was man für sich <strong>in</strong> diesen<br />

Intermediärräumen spie-lend an<br />

Schätzen entdecken kann, s<strong>in</strong>d<br />

Lebens- bzw. Lern-freude <strong>und</strong><br />

Friedensfähigkeit. Man kann aber<br />

noch viel mehr dar<strong>in</strong> entdecken:<br />

z. B. se<strong>in</strong>e eigene Kreativität <strong>und</strong><br />

Ges<strong>und</strong>heit. Das kl<strong>in</strong>gt fast nach<br />

e<strong>in</strong>em fernen W<strong>und</strong>erland...<br />

Erstmals beschrieben worden, ist<br />

dieses W<strong>und</strong>erland von dem genialen<br />

Donald W<strong>in</strong>nicott <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />

1 Leibholz-Bonhoeffer, S. (1971): Weihnachten im Hause Bonhoeffer. Wuppertal-Barmen: Johannes Kiefel.


Ausgabe 01/2008 PAUKOS<br />

Schema 1<br />

Schema 2<br />

9


PAUKOS Ausgabe 01/2008<br />

10<br />

se<strong>in</strong>em Buch „Vom Spiel zur Kreativität”.<br />

2<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus bedeutet e<strong>in</strong><br />

solches Spielen <strong>in</strong> Intermediärräumen<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Gruppe (peer<br />

group) auch dann noch Freude am<br />

Spielen haben zu können, wenn<br />

ich dabei desillusioniert werde,<br />

das heißt erlebe, dass die an<strong>der</strong>en<br />

schneller laufen o<strong>der</strong><br />

schwimmen, besser klettern, gewandter<br />

mit dem Ball umgehen<br />

o<strong>der</strong> sich besser ausdrücken<br />

können. Die <strong>in</strong>tr<strong>in</strong>sisch begründete<br />

Lust auf Welt bleibt <strong>in</strong>erhalb<br />

solcher Spielerfahrungen trotz<br />

Enttäuschungen erhalten. Ich bedarf<br />

dann auch nicht zw<strong>in</strong>gend <strong>der</strong><br />

Suchtmittel <strong>und</strong> -handlungen, um<br />

Enttäuschungen zu verkraften<br />

o<strong>der</strong> um „kicks” zu erleben.<br />

Das Geheimnis e<strong>in</strong>er solchen<br />

Gruppe spielen<strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>: Sie<br />

entfaltet e<strong>in</strong>e Haltefunktion, die<br />

man sonst <strong>in</strong> <strong>der</strong> Psychologie<br />

e<strong>in</strong>er liebevollen Mutter zuschreibt<br />

(hold<strong>in</strong>g function).<br />

Das Wohlbef<strong>in</strong>den, das wir <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Gruppe empf<strong>in</strong>den, wenn wir mit<br />

an<strong>der</strong>en zusammen <strong>in</strong> dieser<br />

Weise spielen, hat auch se<strong>in</strong><br />

neurobiologisches Korrelat. Denn<br />

es wird im Gehirn vermehrt das<br />

hochwirksame Oxytoc<strong>in</strong> ausgeschüttet,<br />

das dafür sorgt, dass wir<br />

uns <strong>in</strong> liebevollen <strong>und</strong> fre<strong>und</strong>schaftlichen<br />

Beziehungen wohlfühlen,<br />

worüber eben diese<br />

Beziehungen stabilisiert werden.<br />

Und K<strong>in</strong><strong>der</strong>, die sich beim Spielen<br />

so fabelhaft betragen <strong>und</strong> zugleich<br />

getragen fühlen, können vondieser<br />

Freiheit auch besser e<strong>in</strong> Stück<br />

abgeben <strong>und</strong> sich <strong>in</strong> s<strong>in</strong>nvolle<br />

Regeln e<strong>in</strong>fügen, ohne sich dabei<br />

<strong>in</strong> ihrer <strong>Lebensfreude</strong> e<strong>in</strong>geengt zu<br />

fühlen. Diesen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n fällt dann<br />

<strong>der</strong> Schritt von <strong>der</strong> Autonomie zur<br />

verantworteten Autonomie, das<br />

heißt vom play zum fair play nicht<br />

schwer. Fairplay me<strong>in</strong>t den an<strong>der</strong>en<br />

wahrnehmen, sich nach<br />

se<strong>in</strong>en Möglichkeiten entfalten<br />

lassen, ihn nicht zur Seite schubsen<br />

o<strong>der</strong> ausschalten müssen.<br />

Hierüber kann sich e<strong>in</strong> starkes<br />

Element entfalten, das die gegenwärtig<br />

immer mehr wuchernde<br />

Konkurrenzmentalität, die auch<br />

2 1979, Stuttgart: Klett-Cotta.<br />

Wassily Kand<strong>in</strong>sky - “Quadratische Kreise”<br />

Geme<strong>in</strong>schaftsbild <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> e<strong>in</strong>es zweiten Schuljahres<br />

zum Bild von Wassily Kand<strong>in</strong>sky<br />

schon K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendliche erfasst,<br />

mil<strong>der</strong>n könnte. Im Fairplay<br />

istHierüber kann sich e<strong>in</strong> starkes<br />

Element entfalten, das die<br />

gegenwärtig immer mehr<br />

wuchernde Konkurrenzmentalität,<br />

die auch schon K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong><br />

Jugendliche erfasst, mil<strong>der</strong>n<br />

könnte. Im Fairplay ist me<strong>in</strong><br />

Gegenüber zwar me<strong>in</strong> spielerischer<br />

Gegner, me<strong>in</strong> Konkurrent,<br />

trotzdem verliere ich dessen<br />

- das sei etwas altmodisch ausgedrückt<br />

- Antlitzhaftigkeit nicht<br />

aus den Augen. Er bleibt trotz<br />

aller Rauferei me<strong>in</strong> Spielkamerad.<br />

Er<strong>in</strong>nert sei an die Spiele von<br />

Pippi Langstrumpf o<strong>der</strong> von Tom<br />

Sawyer, Huckleberry F<strong>in</strong>n <strong>und</strong><br />

ihren Fre<strong>und</strong>en. In diesen Spielen<br />

g<strong>in</strong>g es oftmals wild zu, es gab<br />

Gehässigkeiten, Geme<strong>in</strong>heiten,<br />

aber ke<strong>in</strong>er wurde ausgeschaltet.


Der fre<strong>und</strong>schaftlich-tragende<br />

Zusammenhalt wurde nicht<br />

zerstört. Solch e<strong>in</strong> Zusammenhalt<br />

ist Gr<strong>und</strong>lage des Kohärenzgefühles<br />

e<strong>in</strong>er Gruppe.<br />

Und wie das Kohärenzgefühl<br />

aussieht, das sehen Sie auf<br />

diesem Bild mit den Blumen: Die<br />

Identität des E<strong>in</strong>zelnen geht <strong>in</strong><br />

dieser Geme<strong>in</strong>schaftsproduktion<br />

nicht verloren, son<strong>der</strong>n ist gut<br />

aufgehoben, sogar erhöht. Und<br />

jedes K<strong>in</strong>d wusste auch, wer<br />

welche Blume gemalt hat - die<br />

jeweils an<strong>der</strong>en wurden also mit<br />

ihren Produktionen gleichfalls<br />

wahrgenommen.<br />

Die gleiche Erfahrung machten die<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit dem Geme<strong>in</strong>schaftsbild<br />

„Quadratische Kreise”:<br />

Zunächst wurde mit den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />

e<strong>in</strong>es zweiten Schuljahres das<br />

Kand<strong>in</strong>sky-Bild „Quadratische<br />

Kreise” besprochen. Dann konnte<br />

jedes K<strong>in</strong>d drei o<strong>der</strong> vier Bierdeckel<br />

mit Kreisen „verzaubern”.<br />

Für die K<strong>in</strong><strong>der</strong> wie für die Eltern,<br />

die später das Geme<strong>in</strong>schaftsbild<br />

sahen, war es e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>drucksvolles<br />

Erlebnis zu entdecken, dass die<br />

e<strong>in</strong>zelnen Bierdeckel zusammen<br />

vielmehr „hermachten”, als drei<br />

o<strong>der</strong> vier Bierdeckel je auf e<strong>in</strong>em<br />

Tisch.<br />

Die Freude <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> am geme<strong>in</strong>samen<br />

Wahrnehmen <strong>und</strong> Gestalten<br />

zeigt auch das Bild, das<br />

anlässlich des Besuches e<strong>in</strong>er<br />

H<strong>und</strong>ertwasser-Ausstellung <strong>in</strong><br />

Quakenbrück entstanden ist.<br />

Jedes K<strong>in</strong>d zeichnete e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es<br />

Detail aus e<strong>in</strong>em H<strong>und</strong>erwasser-<br />

Bild se<strong>in</strong>er Wahl ab <strong>und</strong> malte um<br />

dieses Detail herum se<strong>in</strong> eigenes<br />

„H<strong>und</strong>ertwasser-Bild”, das se<strong>in</strong>en<br />

eigenen E<strong>in</strong>fällen <strong>und</strong> Gestaltungs<strong>in</strong>tentionen<br />

entsprach. Die Bil<strong>der</strong><br />

bee<strong>in</strong>druckten die Ausstellungsorganisatoren<br />

so sehr, dass sie<br />

sie im Foyer <strong>der</strong> Ausstellungsräumlichkeiten<br />

aufhängen ließen.<br />

Mit dabei war auch das Bild e<strong>in</strong>er<br />

Schüler<strong>in</strong>, die zwischen den<br />

beiden St<strong>und</strong>en, <strong>in</strong> denen die<br />

Bil<strong>der</strong> hergestellt wurden, erkrankte<br />

<strong>und</strong> deswegen ihr Bild<br />

nicht selber fertig malen konnte.<br />

Dies übernahm e<strong>in</strong> Mitschüler,<br />

dessen „Vollendung” des Bildes<br />

Ausgabe 01/2008 PAUKOS<br />

Dei K<strong>in</strong><strong>der</strong> des zweiten Schuljahres die das Geme<strong>in</strong>schaftsbild<br />

erstellt haben<br />

von <strong>der</strong> erkrankten Schüler<strong>in</strong> freudig<br />

akzeptiert wurde. Der Herstellungsprozess<br />

<strong>der</strong> Bil<strong>der</strong> sowie die<br />

Präsentation <strong>in</strong> den Ausstellungsräumen<br />

führte zu e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>tensiven<br />

Kommunikation zwischen<br />

den Schülern e<strong>in</strong>erseits sowie<br />

den Schülern <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Eltern<br />

an<strong>der</strong>erseits. Letztere wurden von<br />

den Schülern <strong>in</strong> die Ausstellung<br />

mitgenommen <strong>und</strong> konnten sich<br />

nur noch w<strong>und</strong>ern, was die Schüler<br />

von dem Maler <strong>und</strong> dessen<br />

Werk alles wussten. Dialogisch<br />

verdichtete sich situativ das Kohärenzgefühl<br />

zwischen den<br />

Schülern <strong>und</strong> zugleich auch zwischen<br />

den Schülern <strong>und</strong> Eltern,<br />

<strong>in</strong>dem diese Sonntagnachmittags<br />

eben nicht nur vor dem Fernseher<br />

saßen, son<strong>der</strong>n <strong>in</strong>tensiv e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames<br />

Thema verfolgten.<br />

Das Kohärenzgefühl <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gruppe<br />

kann wie über diese bildnerische<br />

Geme<strong>in</strong>schaftsprduktionen<br />

auch über Projektarbeit <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Schule</strong>, o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>enorts, geför<strong>der</strong>t<br />

werden, wie auf den folgenden<br />

Bil<strong>der</strong>n unschwer zu erkennen ist.<br />

Diese hat mir Herr Haist von <strong>der</strong><br />

Stiftung Eigen-S<strong>in</strong>n, Freudenstadt,<br />

fre<strong>und</strong>licherweise zur Verfügung<br />

gestellt.<br />

Dazu sei noch angemerkt, dass<br />

die Hauptschule <strong>in</strong> Freudenstadt<br />

eng mit <strong>der</strong> Stiftung Eigen-S<strong>in</strong>n<br />

zusammenarbeitet <strong>und</strong> viele<br />

Projekte dieser Art <strong>in</strong> jedem<br />

Schuljahr verwirklicht. Dies hat –<br />

wie ich mich selbst überzeugen<br />

konnte – auf das Kohärenzgefühl<br />

<strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen Schulklassen, des<br />

Lehrerkollegiums sowie <strong>der</strong> Schu-<br />

Hüttenbau - Bil<strong>der</strong> e<strong>in</strong>es Projektes <strong>der</strong> Stiftung “EiGEN-SINN”<br />

http://www.stiftung-eigens<strong>in</strong>n.de/<br />

11


PAUKOS Ausgabe 01/2008<br />

12<br />

Die folgenden fünf Projekt-Bil<strong>der</strong> wurden ebenfalls von <strong>der</strong> Stiftung<br />

“EiGEN-SINN” zur Verfügung gestellt.<br />

http://www.stiftung-eigens<strong>in</strong>n.de/<br />

le <strong>in</strong>sgesamt e<strong>in</strong>en außerordentlich<br />

positiven E<strong>in</strong>fluss.<br />

Das Kohärenzgefühl entfaltet sich<br />

<strong>in</strong> den Intermediärräumen <strong>in</strong> dem<br />

schöpferisch-gestalterischen Prozess,<br />

<strong>der</strong> damit genauso wichtig<br />

ist, wie das Produkt selbst. Das<br />

Bauen e<strong>in</strong>er Hütte ist m<strong>in</strong>destens<br />

genauso wichtig, wie die fertige<br />

Hütte selbst. Wesentlich ist dabei<br />

die dialogische Intersubjektivität<br />

aus <strong>der</strong> heraus sich wechselseitige<br />

Wahrnehmung als die<br />

Gr<strong>und</strong>lage von S<strong>in</strong>nhaftigkeit entfaltet.<br />

Kohärenzgefühl <strong>und</strong> Kohärenzs<strong>in</strong>n<br />

bewirken dann e<strong>in</strong>e verm<strong>in</strong><strong>der</strong>te<br />

Lebensangst <strong>und</strong> mehr Gelassenheit<br />

bei Belastungen. Dies<br />

hat auf unsere Lernfähigkeit <strong>und</strong><br />

Ges<strong>und</strong>heit e<strong>in</strong>en entscheidenden<br />

E<strong>in</strong>fluss. Denn bei e<strong>in</strong>em<br />

starken Kohärenzgefühl s<strong>in</strong>d es<br />

vergleichsweise nur wenige akute<br />

Belastungsreaktionen, <strong>in</strong> denen<br />

das Stresshormon Cortisol deutlich<br />

vermehrt ausgeschüttet wird.<br />

Die Ausschüttung des Cortisols<br />

bei stark empf<strong>und</strong>enem Stress ist<br />

zunächst s<strong>in</strong>nvoll, weil dadurch die<br />

Kampf- <strong>und</strong> Fluchtreaktion des<br />

Gesamtorganismus heruntergeregelt<br />

wird. Wenn jedoch aufgr<strong>und</strong><br />

e<strong>in</strong>er starken Ängstlichkeit<br />

bei mangelhaftem Kohärenzgefühl<br />

e<strong>in</strong>e Kampf-/Fluchtreaktion auf<br />

die an<strong>der</strong>e folgt, bleibt <strong>der</strong> Cortisolspiegel<br />

dauerhaft erhöht. Hierdurch<br />

wird dann wegen <strong>der</strong> gewebs-<br />

<strong>und</strong> zelldeaktivierenden<br />

Wirkung des Cortisols zum Beispiel<br />

das Immunsystem unterdrückt,<br />

wodurch wir für Infekte,<br />

aber auch für Krebserkrankungen,<br />

anfälliger werden. Die W<strong>und</strong>heilung<br />

verzögert sich, <strong>der</strong> Knochen<br />

wird abgebaut, beson<strong>der</strong>s aber<br />

wird auch das Hirngewebe als<br />

hochaktives Umbaugewebe <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>er Aktivität, bzw. Ausbildung<br />

gebremst. Dadurch bleiben unsere<br />

Lernbemühungen erfolglos.<br />

Denn wir lernen dauerhaft nur,<br />

wenn sich dabei im Gehirn die<br />

Verknüpfungen unter den Nervenzellen<br />

verdichten.Ich sagte nun<br />

e<strong>in</strong>gangs, dass durch Spiel <strong>und</strong><br />

Dialog e<strong>in</strong> starkes Kohärenzgefühl<br />

entsteht, wodurch die Lebensangst<br />

weniger <strong>und</strong> die Gelassen-


heit gestärkt wird. Bemerkenswert<br />

ersche<strong>in</strong>t <strong>in</strong> diesem Zusammenhang,<br />

dass bereits die ersten<br />

Begegnungen zwischen Mutter<br />

<strong>und</strong> K<strong>in</strong>d sich <strong>in</strong> spielerisch-dialogischen<br />

Intermediärräumen abspielen.<br />

Für den Außenstehenden<br />

wird diese spielerisch-dialogische<br />

Begegnung noch deutlicher, wenn<br />

das K<strong>in</strong>d im Alter von zwei Monaten<br />

im Kontakt zu lächeln beg<strong>in</strong>nt,<br />

die k<strong>in</strong>dlichen Laute nuancenreicher<br />

werden, Wohlbehagen <strong>und</strong><br />

Freude sowie Ärger <strong>und</strong> Spannung<br />

unterscheidbarer werden<br />

lassen, die Bewegungen immer<br />

zielgerichteter werden. Die Mutter<br />

(o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Vater) nimmt die Gesten<br />

<strong>und</strong> Laute des K<strong>in</strong>des auf, wie<strong>der</strong>holt<br />

diese variierend. K<strong>in</strong>d <strong>und</strong><br />

Bezugsperson stellen sich dabei<br />

<strong>in</strong> ihrer Körpermotorik <strong>und</strong> Lautbildung<br />

so aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong> e<strong>in</strong> wie<br />

zwei, „die geme<strong>in</strong>sam freudig<br />

tanzen” 3 o<strong>der</strong> im Duett s<strong>in</strong>gen.<br />

Diese aktivierende Kraft <strong>der</strong><br />

spielerisch-dialogischen Begegnung<br />

erspüren wir jedoch nicht nur<br />

bereits schon <strong>in</strong> den ersten Tagen<br />

des menschlichen Lebens,<br />

son<strong>der</strong>n auch noch an dessen<br />

Ende: gehen wir <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Altersheim,<br />

befreien wir die stumpfs<strong>in</strong>nig vor<br />

<strong>der</strong> Glotze hängenden Alten von<br />

diesem Medium, s<strong>in</strong>gen wir mit<br />

ihnen, tanzen wir mit ihnen – <strong>und</strong><br />

wir staunen immer wie<strong>der</strong> neu, wie<br />

rege, fröhlich <strong>und</strong> Geistesgegenwärtig<br />

diese Menschen sich auf<br />

e<strong>in</strong>mal zeigen können.<br />

Über das Musizieren im Allgeme<strong>in</strong>en<br />

sowie über das S<strong>in</strong>gen im<br />

Beson<strong>der</strong>en werden im Gehirn<br />

über die Ausschüttung von Neurotransmitter<br />

Prozesse aktiviert, die<br />

für das Lernen von größter Bedeutung<br />

s<strong>in</strong>d.<br />

Im Frontalhirn wird das Dopam<strong>in</strong><br />

ausgeschüttet, das sowohl für die<br />

gute Laune wie auch für die Konzentration<br />

<strong>und</strong> die Impulsregulierung<br />

zuständig ist, im zentralen<br />

Höhlengrau s<strong>in</strong>d es die Endorph<strong>in</strong>e,<br />

die für Angstfreiheit, Beruhigung<br />

<strong>und</strong> Schmerzmil<strong>der</strong>ung<br />

sorgen. Diesen Effekt des S<strong>in</strong>gens<br />

kannten noch die alten<br />

Volksschulpauker, die acht Jahrgänge<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Klasse hatten.<br />

Ausgabe 01/2008 PAUKOS<br />

Wenn es um zwölf Uhr <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Klasse etwas kribbelig wurde,<br />

dann ließen sie ihre Schüler<strong>in</strong>nen<br />

<strong>und</strong> Schüler aufstehen <strong>und</strong> s<strong>in</strong>gen.<br />

Danach g<strong>in</strong>g es e<strong>in</strong>e halbe<br />

St<strong>und</strong>e wie<strong>der</strong> konzentriert <strong>und</strong><br />

ruhig weiter.<br />

Und wegen <strong>der</strong> genannten Neurotransmitterausschüttung<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

beim S<strong>in</strong>gen gibt es<br />

Wiegen- <strong>und</strong> Gutenachtlie<strong>der</strong>,<br />

haben wir gesummt <strong>und</strong> gepfiffen,<br />

wenn wir früher im Keller Angst<br />

hatten <strong>und</strong> deswegen haben die<br />

Menschen früher <strong>in</strong> Not nicht nur<br />

gebetet, son<strong>der</strong>n auch gesungen.<br />

Aber stellen Sie sich vor:<br />

An e<strong>in</strong>em sommerlichen Montagmorgen<br />

stehen Sie – nicht alkoholisiert<br />

– an e<strong>in</strong>er Straßenbahn-<br />

haltestelle. Sie aktivieren Ihr<br />

körpereigenes Dopam<strong>in</strong>-Belohnungssystem,<br />

<strong>in</strong>dem Sie nicht<br />

den MP3-Player e<strong>in</strong>schalten,<br />

son<strong>der</strong>n laut <strong>und</strong> freudig s<strong>in</strong>gen:<br />

„Geh aus me<strong>in</strong> Herz ...” Neben<br />

den diagnostischen Erwägungen<br />

seitens <strong>der</strong> Mitwartenden werden<br />

Sie vermutlich auch noch e<strong>in</strong><br />

allgeme<strong>in</strong>es Pe<strong>in</strong>lichkeitsgefühl<br />

auslösen.<br />

An<strong>der</strong>s h<strong>in</strong>gegen die Reaktion<br />

noch im Gr<strong>und</strong>schulunterricht<br />

me<strong>in</strong>er Frau, <strong>in</strong> dem diese gerade<br />

e<strong>in</strong> neues Lied e<strong>in</strong>übt. Die kle<strong>in</strong>e<br />

Sonja meldet sich: „Das Lied kenne<br />

ich schon aus dem K<strong>in</strong><strong>der</strong>garten.<br />

Soll ich es mal vors<strong>in</strong>gen?”<br />

„Oh ja, gern!”. Die an<strong>der</strong>en K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

hören aufmerksam <strong>und</strong> anerkennend<br />

zu. Ke<strong>in</strong>e hämische Bemer-<br />

3 Milch, W. (2000): Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>dforschung <strong>und</strong> psychosomatische Störungen. Psychotherapeut, 45, 18-24.<br />

13


PAUKOS Ausgabe 01/2008<br />

14<br />

kung; niemand lacht.<br />

Das, was die kle<strong>in</strong>e Sonja aus<br />

dem K<strong>in</strong><strong>der</strong>garten mitbr<strong>in</strong>gt, ist<br />

e<strong>in</strong>e kostbare, immer seltener<br />

werdende salutogenetische Ressource.<br />

Es hat nun lei<strong>der</strong> auch etwas mit<br />

<strong>Schule</strong> zu tun, wenn uns eben<br />

diese sowohl für unsere<br />

Ges<strong>und</strong>heit als auch für unsere<br />

Lernfähigkeit so wertvolle Ressource<br />

verdorben wird.<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> s<strong>in</strong>d mit ihren kreativkommunikativenAusdrucksformen<br />

identifiziert. Es s<strong>in</strong>d ihre<br />

jeweils eigenen Produktionen <strong>und</strong><br />

ke<strong>in</strong>e Re-Produktionen, wie zum<br />

Beispiel die korrekte Lösung e<strong>in</strong>er<br />

Rechenaufgabe. Wird das Lied<br />

o<strong>der</strong> das Bild, die Geschichte o<strong>der</strong><br />

die turnerische Übung schlecht<br />

bewertet, wird auch das K<strong>in</strong>d<br />

entwertet. Und zwar viel stärker<br />

als bei e<strong>in</strong>er schlechten Mathematikarbeit,<br />

denn diese ist nicht<br />

das eigene Produkt, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>e<br />

Re-Produktion. Von daher ist e<strong>in</strong>e<br />

Distanzierung viel eher möglich als<br />

von e<strong>in</strong>em entwerteten Bild.<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> s<strong>in</strong>d mit ihren kreativkommunikativenAusdrucksformen<br />

identifiziert.<br />

Lehrer s<strong>in</strong>d mit ihren kreativkommunikativenAusdrucksformen,<br />

nämlich ihrem Unterricht,<br />

identifiziert.<br />

Werden wir nun <strong>in</strong> unseren kreativ-kommunikativenAusdrucksformen<br />

benotet <strong>und</strong> bewertet,<br />

dabei im Zweifelsfalle entwertet,<br />

werden wir auch als Person<br />

entwertet!<br />

Die ersten kreativ-kommunikativen<br />

Eigendarstellungsweisen des<br />

Menschen s<strong>in</strong>d dessen k<strong>in</strong>dliche<br />

Lächeldialoge.<br />

Hierauf freuen sich die Eltern<br />

e<strong>in</strong>es jeden K<strong>in</strong>des, sofern sie das<br />

Lächeln nicht schon vorher<br />

verlernt o<strong>der</strong> selbst nie erfahren<br />

haben. „Bis zum Alter von sechs<br />

Monaten gibt es unter normalen<br />

Umständen bis zu dreißigtausend<br />

solcher Lächelbewegungen (...).<br />

Es s<strong>in</strong>d dies ke<strong>in</strong>e Affektansteckungen<br />

son<strong>der</strong>n echte Dialoge<br />

(...). Mit je<strong>der</strong> <strong>der</strong> dreißigtausend<br />

Lächelbewegungen wächst e<strong>in</strong><br />

Stück Wissen, dass das entstehende<br />

Selbst die Quelle <strong>der</strong><br />

mütterlichen Freude ist. Das K<strong>in</strong>d<br />

weiß nun, dass es für die an<strong>der</strong>en<br />

e<strong>in</strong> Geschenk ist.” 4 Das wahrnehmende<br />

Lächeln <strong>der</strong> Eltern<br />

schützt vor negativen Stresse<strong>in</strong>wirkungen,<br />

denen das K<strong>in</strong>d im<br />

Laufe se<strong>in</strong>er weiteren Entwicklung<br />

ausgesetzt ist. So bleibt das K<strong>in</strong>d<br />

unter Belastung – wie zum<br />

Beispiel <strong>der</strong> e<strong>in</strong>er vorübergehenden<br />

Trennung – gelassener.<br />

Es reagiert weniger angstvoll o<strong>der</strong><br />

aggressiv, wenn es nur häufig<br />

genug diesen wahrnehmenden<br />

Lächeldialog erlebt hat. Es zeigt<br />

e<strong>in</strong>e basale Gelassenheit, die<br />

durchaus als Gr<strong>und</strong>lage des späteren<br />

Kohärenzgefühles aufgefasst<br />

werden kann.<br />

Das erste Lächeln des K<strong>in</strong>des<br />

erfolgt spontan im Schlaf <strong>und</strong> wird<br />

dann im wachen Dialog durch das<br />

antwortende Lächeln <strong>der</strong> Eltern<br />

verstärkt, was wie<strong>der</strong>um <strong>der</strong>en<br />

Lächeln <strong>und</strong> Freude för<strong>der</strong>t. Hier<br />

f<strong>in</strong>det sich die Gr<strong>und</strong>form e<strong>in</strong>es<br />

positiven selbstverstärkenden<br />

Zirkels zur <strong>Lebensfreude</strong>. Solche<br />

selbstverstärkenden Zirkel zur<br />

<strong>Lebensfreude</strong> können späterh<strong>in</strong><br />

überall da entstehen, wo e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d<br />

im Spiel schöpferisch etwas<br />

hervorbr<strong>in</strong>gt <strong>und</strong> als Geschenk<br />

präsentieren möchte - z. B. se<strong>in</strong><br />

Bild. Entscheidend ist dann das<br />

annehmende Lächeln <strong>und</strong>: die<br />

aufmerksame Wahrnehmung des<br />

Bildes. Denn das Bild ist das<br />

K<strong>in</strong>d. - Und: <strong>der</strong> Unterricht ist <strong>der</strong><br />

Lehrer. -<br />

In <strong>der</strong> Übergangsphase vom<br />

Krabbeln zum Laufen, mit ungefähr<br />

e<strong>in</strong>em Jahr also, wird die<br />

Umwelt für das Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>d aufregen<strong>der</strong><br />

als <strong>in</strong> den vorausgegangenen<br />

zwölf Monaten <strong>der</strong> Säugl<strong>in</strong>gszeit.<br />

Das K<strong>in</strong>d kann eigenmotiviert<br />

<strong>und</strong> selbständig die Haltung<br />

auf allen vieren überw<strong>in</strong>den<br />

<strong>und</strong> sich <strong>in</strong> das Abenteuer <strong>der</strong><br />

spielerischen Umwelterk<strong>und</strong>ung<br />

stürzen. Es verbr<strong>in</strong>gt nun weniger<br />

Zeit als zuvor mit <strong>der</strong> Erk<strong>und</strong>ung<br />

des mütterlichen o<strong>der</strong> väterlichen<br />

Gesichtes. Se<strong>in</strong> Interesse gilt<br />

auch <strong>der</strong> aufregenden Welt um ihn<br />

herum. Mit allen S<strong>in</strong>nen wird diese<br />

Welt erk<strong>und</strong>et.<br />

Diese Erfahrungsräume des<br />

Spielens s<strong>in</strong>d die schon genannten<br />

Intermediärräume.<br />

Im Alter zwischen e<strong>in</strong>e<strong>in</strong>halb <strong>und</strong><br />

vier Jahren hat das Spielen außer<br />

<strong>der</strong> Lust <strong>und</strong> <strong>der</strong> Freude, die das<br />

K<strong>in</strong>d dadurch erfährt, auch e<strong>in</strong>e<br />

dialogische Funktion, die an die<br />

Stelle <strong>der</strong> Lächeldialoge gerückt<br />

ist. Nun ist es nicht mehr nur „face<br />

to face” <strong>der</strong> elterliche Gesichtsausdruck,<br />

über den das K<strong>in</strong>d<br />

etwas von sich selbst zurückgespiegelt<br />

bekommt <strong>und</strong> auch<br />

zugleich etwas von den Eltern<br />

erfährt, son<strong>der</strong>n auch die elterlichen<br />

Kommentare zu se<strong>in</strong>em<br />

Spiel s<strong>in</strong>d es, denen diese Doppelfunktion<br />

zukommt. Und die<br />

Kommentare <strong>der</strong> Erzieher<strong>in</strong>nen<br />

sowie die <strong>der</strong> Lehrer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong><br />

Lehrer stehen genau <strong>in</strong> <strong>der</strong> Fortsetzung<br />

dieser wahrnehmenden<br />

<strong>und</strong> bestätigenden Kommunikation,<br />

die mit den Lächeldialogen<br />

beg<strong>in</strong>nt <strong>und</strong> sich über die Handlungskommentare<br />

<strong>der</strong> Eltern zu<br />

den Entfaltungen des K<strong>in</strong>des <strong>in</strong><br />

den Erfahrungsräumen des Spielens<br />

fortsetzt. Aber auch noch den<br />

Kommentaren unserer Lehrherren,<br />

Professoren o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>weitigen<br />

Vorgesetzten haftet dieses<br />

Moment an. „Schul-TÜV” <strong>in</strong>clusive.<br />

Und diese Kommentare können<br />

ermutigen o<strong>der</strong> zerstören.<br />

Auf den beiden folgenden Bil<strong>der</strong>n<br />

ist es die Großmutter, die ihrem<br />

Enkel vermutlich sagt: „Fe<strong>in</strong>, dass<br />

du mir so schön hilfst ...”. Gleichzeitig<br />

besteht aber noch e<strong>in</strong> „face<br />

to face”-Kontakt, das Enkelchen<br />

schaut sich noch sehr genau das<br />

Gesicht <strong>der</strong> Großmutter an. Bei<br />

den nächsten Bil<strong>der</strong>n – „Papa<br />

beim Verputzen helfen” – ist dieser<br />

Blickkontakt schon nicht mehr<br />

nötig. Das K<strong>in</strong>d weiß die vermutlich<br />

wohlwollende Äußerung des<br />

Papas schon gut e<strong>in</strong>zuschätzen.<br />

4 Krause, R. (2001): Affektpsychologische Überlegungen zur menschlichen Destruktivität. Psyche<br />

– Z Psychoanal, 55, 934-960.


Ausgabe 01/2008 PAUKOS<br />

Danach geht es um das „Unterscheidungslernen”.<br />

Auch wenn die<br />

Hilfsbereitschaft des K<strong>in</strong>des, den<br />

Kam<strong>in</strong> säubern zu wollen, positiv<br />

e<strong>in</strong>zuschätzen ist, so ist das Ergebnis<br />

für die Eltern vermutlich<br />

nicht beson<strong>der</strong>s beglückend ausgefallen.<br />

Anstelle e<strong>in</strong>es Lobes wird<br />

es wohl eher e<strong>in</strong>en entsetzten<br />

Aufschrei gegeben haben. Dennoch:<br />

wenn dieses Bild vierzehn<br />

Tage später beim Kaffeeklatsch<br />

gezeigt worden ist, dann wird dies<br />

vermutlich von e<strong>in</strong>em herzlichen<br />

Gelächter begleitet worden se<strong>in</strong>.<br />

Lernprozesse dieser Art bleiben<br />

ke<strong>in</strong>em K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en spielerischen<br />

Erk<strong>und</strong>ungs- <strong>und</strong> Eroberungsprozessen<br />

erspart. Entscheidend<br />

ist, dass die Kommentierungen<br />

solcher „kle<strong>in</strong>en Katastrophen”<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e wohlwollendakzeptierende<br />

Gr<strong>und</strong>stimmung,<br />

die das K<strong>in</strong>d täglich erfährt, e<strong>in</strong>gebettet<br />

s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> dass das K<strong>in</strong>d<br />

nicht tiefgreifend beschämt wird.<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> suchen im Laufe ihrer<br />

Entwicklung Spielsituationen, die<br />

e<strong>in</strong>en zunehmenden Anfor<strong>der</strong>ungscharakter<br />

aufweisen: Balancieren,<br />

Klettern, Schwimmen,<br />

Buden bauen, Fahrrad fahren,<br />

Computer nutzen ... Die <strong>Lebensfreude</strong><br />

e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des schließt die<br />

lustvolle Welt- <strong>und</strong> Selbsterfahrung<br />

vermöge zunehmen<strong>der</strong> eigener<br />

15


PAUKOS Ausgabe 01/2008<br />

16<br />

Kompetenz mit e<strong>in</strong>. Diese Erfahrensräume<br />

des Spielens schließen<br />

unmittelbar an die eben genannten<br />

frühen Intermediärräume<br />

an. In den Geschichten z. B. um<br />

Huckleberry F<strong>in</strong>n o<strong>der</strong> Pippi Langstrumpf<br />

werden <strong>der</strong>en für das Kohärenzgefühl<br />

so bedeutsame<br />

Erfahrungen <strong>in</strong> diesen Intermediärräumen<br />

e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glich vermittelt.<br />

Das Gleiche gilt aber auch für alle<br />

schöpferischen Fächer <strong>und</strong> die<br />

Projektarbeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>.<br />

Dies gilt aber nur unter <strong>der</strong> Voraussetzung,<br />

dass <strong>der</strong> Prozess, das<br />

Handeln selbst genauso wichtig<br />

ist wie das Produkt <strong>und</strong> dass es<br />

zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> <strong>der</strong> Primärpädagogik<br />

ke<strong>in</strong>e Bewertungen <strong>und</strong><br />

damit auch ke<strong>in</strong>e Entwertungen<br />

gibt.<br />

Das Spannende an dem schöpferischen<br />

Gestalten ist, dass über<br />

die zunehmenden Anfor<strong>der</strong>ungsstrukturen<br />

die K<strong>in</strong><strong>der</strong> eben das<br />

erfahren, was <strong>in</strong> dem Salutogenesemodell<br />

als Handhabbarkeit<br />

<strong>und</strong> Verstehbarkeit beschrieben<br />

wird. Verstehbarkeit <strong>und</strong> Handhabbarkeit<br />

werden dann <strong>in</strong> den<br />

Intermediärräumen des Dialoges<br />

<strong>in</strong> das Moment <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nhaftigkeit<br />

<strong>in</strong>tegriert. (die drei Teilkomponenten<br />

des Kohärenzgefühls!) Der<br />

Erwerb von Fertigkeiten geht mit<br />

e<strong>in</strong>em Kohärenzgefühl e<strong>in</strong>her. Und<br />

das Kohärenzgefühl vermittelt<br />

Sicherheit, die wie<strong>der</strong>um auch<br />

e<strong>in</strong>en Schutz gegen Unfälle darstellen<br />

kann. Die Bedeutung<br />

dessen mag das folgende Bild verdeutlichen.<br />

Damit s<strong>in</strong>d wir wie<strong>der</strong> bei unserer<br />

E<strong>in</strong>gangsthese angelangt. Zugleich<br />

müssen wir uns mit <strong>der</strong><br />

Frage beschäftigen, vor welchen<br />

Aufgaben wir als Eltern, Pädagogen,<br />

Ärzte stehen, angesichts des<br />

Umstandes, dass die K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

immer mehr ihre abenteuernde<br />

Welterfahrung mit allen S<strong>in</strong>nen<br />

gegen freiwilligen Stubenarrest<br />

e<strong>in</strong>getauscht haben. Bedrückend<br />

ist, dass viele Eltern immer mehr<br />

Schwierigkeiten haben, das Spiel<br />

ihrer K<strong>in</strong><strong>der</strong> im S<strong>in</strong>ne von Play <strong>und</strong><br />

Fairplay zu för<strong>der</strong>n, da sie selber<br />

schon nicht mehr über e<strong>in</strong> implizites<br />

<strong>und</strong> explizites Spielwissen<br />

verfügen. Das Gleiche gilt lei<strong>der</strong><br />

auch für viele Erzieher<strong>in</strong>nen am<br />

Anfang ihrer Ausbildung - so die<br />

Hilfe beim Säubern des Kam<strong>in</strong>s<br />

sorgenvolle Mitteilung von Fachschulleiter<strong>in</strong>nen<br />

auf e<strong>in</strong>er Fachtagung<br />

<strong>in</strong> Erfurt November 2007.<br />

Dabei zeigt sich doch die Lust<br />

an <strong>der</strong> affektusensumotorischen<br />

Welterk<strong>und</strong>ung vermutlich schon<br />

im Mutterleib, wenn das K<strong>in</strong>d<br />

strampelt. Und postnatal geht es<br />

genauso weiter. Hierzu schreibt<br />

Mart<strong>in</strong> Dornes (1993) 5 , <strong>in</strong>dem er<br />

sich auf die Ergebnisse <strong>der</strong> beobachtenden<br />

Säugl<strong>in</strong>gsforschung<br />

bezieht:<br />

„Experimente lehren, dass nicht<br />

nur Trieb- <strong>und</strong> Körperlust, son<strong>der</strong>n<br />

auch Entdeckerlust <strong>und</strong> das<br />

Gefühl, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Außenwelt s<strong>in</strong>nvolle<br />

Zusammenhänge bewirken <strong>und</strong><br />

erkennen zu können, zentrale<br />

Motivatoren von Lebensbeg<strong>in</strong>n an<br />

s<strong>in</strong>d”.<br />

E<strong>in</strong> zweites Zitat sagt literarischpo<strong>in</strong>tiert<br />

das gleiche <strong>und</strong> stammt<br />

aus <strong>der</strong> Autobiografie von Astrid<br />

L<strong>in</strong>dgren:<br />

„Als ich noch <strong>in</strong> die Vorschule<br />

g<strong>in</strong>g, fragte die Lehrer<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es<br />

Tages, wozu Gott uns die Nase<br />

gegeben habe, <strong>und</strong> e<strong>in</strong> Knäble<strong>in</strong><br />

antwortete treuherzig: ‘um Rotz<br />

dar<strong>in</strong> zu haben’. Ach, Alb<strong>in</strong>, wie<br />

konntest du nur so etwas Dummes<br />

sagen, hast du denn wirklich<br />

nicht gewusst, dass die Nase<br />

dazu da ist, damit wir uns gleich<br />

5 Dornes, M. (1993): Der kompetente<br />

Säugl<strong>in</strong>g. Frankfurt/M, Fischer


jungen H<strong>und</strong>en durch unser K<strong>in</strong><strong>der</strong>leben<br />

schnuppern <strong>und</strong> schnüffeln<br />

<strong>und</strong> Seligkeiten entdecken?”<br />

Und wie werden die Seligkeiten<br />

entdeckt? Spielend!<br />

Geme<strong>in</strong>t ist von Astrid L<strong>in</strong>dgren<br />

e<strong>in</strong> Spielen - wie auf dem<br />

Brueghel-Bild - im S<strong>in</strong>ne von paidia<br />

(griechisch: k<strong>in</strong>dliches Spielen)<br />

o<strong>der</strong> play (altsächsisch: plegan =<br />

pflegen), <strong>und</strong> das bedeutet<br />

leibhaftige Welterfahrung mit allen<br />

S<strong>in</strong>nen, e<strong>in</strong>schließlich des Bewegungss<strong>in</strong>nes<br />

sowie <strong>der</strong> Gefühle<br />

(wir sprechen von Affektu-Sensumotorik).<br />

Diese leibhaftige Welterfahrung<br />

wird als implizit-prozedurales<br />

Wissen gespeichert. Es handelt<br />

sich um e<strong>in</strong> Wissen, das weitgehend<br />

ohne Worte auskommt.<br />

Der Anschluss an Worte ist<br />

jedoch <strong>in</strong> unterschiedlicher Weise<br />

möglich <strong>und</strong> s<strong>in</strong>nvoll, manchmal<br />

aber sehr schwer <strong>und</strong> auch nicht<br />

immer zweckmäßig. Beschreiben<br />

Sie mal mit Worten für an<strong>der</strong>e<br />

nachvollziehbar, welche e<strong>in</strong>zelnen<br />

F<strong>in</strong>gerbewegungen Sie ausführen,<br />

wenn Sie zum Beispiel Ihre<br />

Schuhe mit e<strong>in</strong>er Schleife zub<strong>in</strong>den.<br />

Dies wird Ihnen nur sehr<br />

schwer gel<strong>in</strong>gen.<br />

Wir sollten uns <strong>der</strong> Bedeutung,<br />

die die Intermediärräume für die<br />

schöpferische Entfaltung <strong>der</strong><br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> über Spiel <strong>und</strong> Dialog <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Familie <strong>und</strong> im K<strong>in</strong><strong>der</strong>garten<br />

haben, stets gewahr se<strong>in</strong>. Spielen<br />

ist für die ges<strong>und</strong>e Entwicklung<br />

e<strong>in</strong> kostbarer, unersetzbarer<br />

Vorgang <strong>und</strong> sollte ke<strong>in</strong>esfalls<br />

durch vorzeitige Lern- <strong>und</strong><br />

Paukprogramme e<strong>in</strong>getauscht<br />

werden. Schon gar nicht durch<br />

irgendwelche Computerprogramme.<br />

Denn die Durchorganisation<br />

<strong>und</strong> Vernetzung unseres<br />

Gehirns erfolgt unter dem E<strong>in</strong>fluss<br />

eben des Spielens <strong>und</strong> des<br />

Dialoges. In <strong>der</strong> affektu-sensumotorischen<br />

<strong>und</strong> dialogischen<br />

Hungeratmosphäre <strong>der</strong> Medienwelt<br />

verkümmert die Gehirnentwicklung.<br />

Das Gehirn arretiert <strong>in</strong><br />

dem, was es schon von Geburt<br />

an kann, nämlich e<strong>in</strong> lebhaftes<br />

Interesse des Menschen für<br />

äußere bewegte Bil<strong>der</strong> erzeugen.<br />

Kultureller Fortschritt ist aber erst<br />

möglich, wenn das Gehirn die<br />

Ausgabe 01/2008 PAUKOS<br />

Kapazität, die es für die Wahrnehmung<br />

äußerer bewegter Bil<strong>der</strong><br />

vorhält, für <strong>in</strong>nere bewegte Bil<strong>der</strong><br />

verwendet. Und <strong>in</strong>nere bewegte<br />

Bil<strong>der</strong> s<strong>in</strong>d als Denksymbole<br />

entscheidend für unsere Denkfähigkeit.<br />

Diese Umwidmung <strong>der</strong><br />

Hirnkapazität für <strong>in</strong>nere bewegte<br />

Bil<strong>der</strong> wird <strong>in</strong> den Intermediärräumen<br />

des Spielens <strong>und</strong> des<br />

Dialoges aktiviert. Zugleich entfaltet<br />

sich e<strong>in</strong> starkes Kohärenzgefühl,<br />

das nicht nur diesen<br />

Umwandlungsprozess, son<strong>der</strong>n<br />

die Lernfähigkeit im Allgeme<strong>in</strong>en<br />

för<strong>der</strong>t. Das Gehirn entfaltet dabei<br />

die Fähigkeit, sich auf neue<br />

Lernsituationen immer wie<strong>der</strong><br />

optimal e<strong>in</strong>zustellen. K<strong>in</strong><strong>der</strong>, die<br />

wie auf dem Brueghel-Bild<br />

spielen, können sowohl <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en<br />

Baum klettern als auch ab elf<br />

o<strong>der</strong> zwölf Jahren optimal mit<br />

e<strong>in</strong>em Computer umgehen. Sie<br />

überholen dabei mit ihren Fähigkeiten<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>, die bislang vorwiegend<br />

vor dem Computer gesessen,<br />

aber nie an<strong>der</strong>weitig gespielt<br />

haben. Medienk<strong>in</strong><strong>der</strong> entwickeln<br />

e<strong>in</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Funktionen sehr e<strong>in</strong>geschränktes<br />

Gehirn, haben<br />

dann we<strong>der</strong> die Kompetenz noch<br />

die Lust <strong>in</strong> Bäume zu klettern<br />

o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Aufgaben zu meistern,<br />

die nicht per Mausklick zu<br />

erledigen s<strong>in</strong>d.<br />

Hier s<strong>in</strong>d Eltern, ErzieherInnen<br />

<strong>und</strong> Lehrkräfte präventiv gefor<strong>der</strong>t,<br />

die virtuellen Räume zum<strong>in</strong>dest<br />

vorübergehend zu verschließen<br />

<strong>und</strong> salutogenetische Intermediärräume<br />

eröffnen zu helfen.<br />

Konkrete Empfehlungen gibt es<br />

hierzu auf dem kostenlosen<br />

Flyern <strong>und</strong> Plakaten des Beltz-<br />

Verlages: „Nehmen Sie sich Zeit<br />

...”.<br />

17


PAUKOS Ausgabe 01/2008<br />

18<br />

Ich habe Ihnen nun aus diesem<br />

Flyer zum Abschluss noch zwei<br />

„Rezepte” zum Zuhörenüben <strong>und</strong><br />

S<strong>in</strong>gen mitgebracht. Was entdecken<br />

Sie auf diesem Bild?<br />

Richtig, es geht hier um das Zuhören<br />

bei <strong>der</strong> Gutenachtgeschichte<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Therapie. Und<br />

ich b<strong>in</strong> mal so frech <strong>und</strong> behaupte,<br />

wer Ersteres hat, braucht nicht so<br />

oft Letzteres.<br />

In beiden Situationen geht es um<br />

das Erzählen <strong>und</strong> Zuhören. Und<br />

wenn e<strong>in</strong>er erzählt, <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e gut<br />

zuhört - auch wechselweise im<br />

Dialog - dann geschieht folgendes:<br />

1. Da beide die gleiche Geschichte<br />

hören, entwickeln sie<br />

auch ähnliche eigene <strong>in</strong>nere<br />

Bil<strong>der</strong> <strong>und</strong> auch dazugehörige<br />

ähnliche Stimmungen. Und<br />

wenn zwei ähnliche Stimmungen<br />

haben, dann s<strong>in</strong>d sie<br />

aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong> e<strong>in</strong>gestimmt.<br />

2. In dieser Übere<strong>in</strong>stimmung<br />

kann die Gelassenheit <strong>der</strong> Mutter/des<br />

Therapeuten auf das<br />

K<strong>in</strong>d abfärben. Gelassenheit<br />

me<strong>in</strong>t nun nicht Gleichgültig-<br />

keit, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>en „ausreichend<br />

großen <strong>in</strong>neren Topf” für<br />

heftige Gefühle <strong>und</strong> Impulse.<br />

3. Wenn wir <strong>in</strong>nere Bil<strong>der</strong> beim<br />

Zuhören entwickeln, dann können<br />

unsere Gefühle über diese<br />

eigenen <strong>in</strong>neren Bil<strong>der</strong> „vom<br />

Gefühlsufer zum Sprachufer<br />

kommen” <strong>und</strong> dort verarbeitet<br />

werden. Gelangen diese Gefühle<br />

nicht vom Gefühlsufer<br />

zum Sprachufer, dann können<br />

Neue Osnabrücker Zeitung vom 8.2.2003<br />

Gute-Nacht-Geschichte als Lernhilfe<br />

Oxford, 7.2. (dpa/epd)<br />

Die abendliche Gute-Nacht-Geschichte<br />

ist e<strong>in</strong>e prima Lernhilfe:<br />

E<strong>in</strong>er britischen Langzeitstudie zufolge<br />

hilft das abendliche Erzählen<br />

o<strong>der</strong> Vorlesen den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n dabei,<br />

später e<strong>in</strong>en guten Schulabschluss<br />

zu machen.<br />

Wie die Psycholog<strong>in</strong> Eir<strong>in</strong>e<br />

Flouri von <strong>der</strong> Universität Oxford am<br />

Frei-tag berichtete, waren an <strong>der</strong><br />

Studie 17 000 K<strong>in</strong><strong>der</strong> beteiligt. Mädchen<br />

<strong>und</strong> Jungen, die von ihren<br />

Vätern regelmäßig etwas vorgelesen<br />

bekommen hatten, erzielten<br />

demnach „deutlich” bessere Schulabschlüsse.<br />

Ob die Eltern geschieden<br />

waren, fiel dabei nicht <strong>in</strong>s Gewicht,<br />

solange <strong>der</strong> Vater <strong>in</strong> regel-<br />

sie uns „Löcher <strong>in</strong> den Magen<br />

brennen” o<strong>der</strong> unseren Blutdruck<br />

„auf 180" br<strong>in</strong>gen. Alternativ<br />

dazu können die Gefühle<br />

durchbrechen, wenn wir sie<br />

gerade überhaupt nicht<br />

brauchen - z. B. wenn wir im<br />

Straßenverkehr gelassen bleiben<br />

sollten. Insbeson<strong>der</strong>e<br />

dann, wenn wir, wie unsere<br />

hyperaktiven K<strong>in</strong><strong>der</strong>, uns vordrängeln,<br />

unbed<strong>in</strong>gt jetzt überholen<br />

müssen.<br />

mäßigen Kontakt mit se<strong>in</strong>em K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />

stand.<br />

Natürlich könne die Geschichte<br />

auf von <strong>der</strong> Mutter vorgelesen<br />

werden, betonte Flouri: „In<br />

die-ser Studie haben wir uns<br />

allerd<strong>in</strong>gs nur mit den Vätern<br />

beschäftigt.” Warum das Vorlesen<br />

o<strong>der</strong> geme<strong>in</strong>same Betrachten von<br />

Bil<strong>der</strong>büchern sich so positiv<br />

auswirkt, hat die Forscher<strong>in</strong> nicht<br />

untersucht. Allerd<strong>in</strong>gs hält sie<br />

das Vorlesen von Geschichten für<br />

beson<strong>der</strong>s geeignet: Diese rufe<br />

beim K<strong>in</strong>d emotionale Sicherheit<br />

hervor <strong>und</strong> sei sehr entspannend.<br />

An<strong>der</strong>e geme<strong>in</strong>same Beschäftiungen<br />

waren – <strong>in</strong> Bezug auf das<br />

Lernverhalten – nicht so för<strong>der</strong>lich.


4. Die <strong>in</strong>neren Bil<strong>der</strong>, die sich beim<br />

guten Zuhören e<strong>in</strong>stellten,<br />

ermöglichen aber noch e<strong>in</strong>en<br />

weiteren wichtigen Schritt:<br />

diese Bil<strong>der</strong> stellen sich dann<br />

nicht nur e<strong>in</strong>, wenn wir etwas<br />

vorgelesen bekommen, son<strong>der</strong>n<br />

auch wenn wir selbst<br />

etwas lesen, so dass <strong>der</strong> Text<br />

- auch ohne Bil<strong>der</strong> - uns nicht<br />

mehr zutextet. Zugleich stellt<br />

sich, oft unbewusst, die gemütliche<br />

Stimmung von <strong>der</strong> Gutenachtgeschichte<br />

e<strong>in</strong>, wenn wir<br />

uns mit e<strong>in</strong>em Buch zurückziehen.<br />

Für die nächste PISA-Studie ist<br />

die Gutenachtgeschichte also e<strong>in</strong><br />

heißer Tip.<br />

Über die Gelassenheit <strong>und</strong> Geborgenheit,<br />

als Gr<strong>und</strong>elemente des<br />

Kohärenzgefühles - die z. B. <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Situation um die Gutenachtgeschichte<br />

herum möglich<br />

s<strong>in</strong>d - kommt es zu e<strong>in</strong>er optimalen<br />

Entwicklung wichtiger<br />

Abschnitte im Gehirn, so des<br />

Hippocampus, <strong>der</strong> für unser<br />

Kurzzeitgedächtnis zuständig ist<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> präfrontalen Hirnabschnitte,<br />

die für die Steuerung<br />

unserer Impulse wichtig s<strong>in</strong>d. Gerade<br />

die präfrontalen Hirnabschnitte<br />

s<strong>in</strong>d bei hyperaktiven<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>n unterentwickelt.<br />

Wenn Sie also jemanden kennen,<br />

<strong>der</strong> gerne e<strong>in</strong>e Gutenachtgeschichte<br />

hört, dann gehen Sie<br />

noch heute Abend zu ihm h<strong>in</strong> <strong>und</strong><br />

erzählen Sie ihm e<strong>in</strong>e. Sie tun auf<br />

diese Art <strong>und</strong> Weise auch etwas<br />

für Ihr Wohlbef<strong>in</strong>den, denn auch<br />

Sie br<strong>in</strong>gen über ihre <strong>in</strong>neren<br />

Bil<strong>der</strong> Ihre Gefühle vom Gefühlsufer<br />

zum Sprachufer. Wie gut das<br />

tut, das wussten noch unsere<br />

Großeltern, wenn die sich w<strong>in</strong>tertags<br />

vor das Herdfeuer setzten,<br />

sangen <strong>und</strong> Geschichten erzählten.<br />

Und ich danke Ihnen, dass Sie<br />

me<strong>in</strong>er Gutenvormittagsgeschichte<br />

so aufmerksam zugehört<br />

haben.<br />

Ausgabe 01/2008 PAUKOS<br />

Literaturverzeichnis<br />

Antonovsky, A. (1997): Salutogenese. Zur Entmystifizierung <strong>der</strong> Ges<strong>und</strong>heit.<br />

Tüb<strong>in</strong>gen, dgvt-Verlag.<br />

Dornes, M. (1993): Der kompetente Säugl<strong>in</strong>g. Die präverbale Entwicklung<br />

des Menschen. Frankfurt/M., Fischer.<br />

L<strong>in</strong>dgren, A. (1977): Das entschw<strong>und</strong>ene Land. Hamburg, Oett<strong>in</strong>ger<br />

Schiffer, H. & Schiffer E. (1982), Die Welt nicht mehr begreifen können.<br />

Evangelische Kommentare, 15, 385 – 387.<br />

Schiffer, E. (1985), Patient <strong>Schule</strong>. Evangelische Kommentare, 18, 319<br />

– 322.<br />

Schiffer, E. (1993/1997), Warum Huckleberry F<strong>in</strong>n nicht süchtig wurde.<br />

Anstiftung gegen Sucht <strong>und</strong> Selbstzerstörung bei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>und</strong> Jugendlichen.<br />

We<strong>in</strong>heim <strong>und</strong> Basel, Beltz.<br />

Schiffer, E. (2001), Wie Ges<strong>und</strong>heit entsteht. Salutogenese: Schatzsuche<br />

statt Fehlerfahndung. We<strong>in</strong>heim <strong>und</strong> Basel, Beltz.<br />

Schiffer, E. & H. (2002), Nachdenken über Zappelphilipp - ADS: Beweg-<br />

Gründe <strong>und</strong> Hilfen. We<strong>in</strong>heim <strong>und</strong> Basel: Beltz.<br />

Schiffer, E. & H. (2004), <strong>LernGes<strong>und</strong>heit</strong>. <strong>Lebensfreude</strong> <strong>und</strong> <strong>Lernfreude</strong><br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> <strong>und</strong> an<strong>der</strong>swo. We<strong>in</strong>heim <strong>und</strong> Basel, Beltz.<br />

Schiffer, E. (2007), Reise zur Gelassenheit. Den sicheren Ort <strong>in</strong> sich<br />

entdecken. Freiburg/Brsg., Her<strong>der</strong>.<br />

Twa<strong>in</strong>, M. (1980), Huckleberry F<strong>in</strong>ns Abenteuer. Berl<strong>in</strong>: Verlag Neues<br />

Leben. Lizenzausgabe für den Her<strong>der</strong>-Verlag, Freiburg/Brsg.<br />

W<strong>in</strong>nicott, W. Donald (1979), Vom Spiel zur Kreativität. Stuttgart: Klett-<br />

Cotta.<br />

“7. Neuverteilung von E<strong>in</strong>kommen, Arbeit <strong>und</strong> Macht<br />

Die Analysen <strong>und</strong> Überlegungen <strong>in</strong> unserem diesjährigen Memorandum durchzieht<br />

als e<strong>in</strong> roter Faden die These, dass e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Ursache <strong>der</strong> vielfältigen<br />

ökonomischen, sozialen <strong>und</strong> wirtschaftspolitischen Probleme <strong>in</strong> Deutschland <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er zunehmend falschen Verteilung liegt: e<strong>in</strong>e falsche Verteilung von E<strong>in</strong>kommen<br />

führt zum Stocken <strong>der</strong> gesamtwirtschaftlichen Entwicklung <strong>und</strong> zu wachsen<strong>der</strong> Armut<br />

<strong>und</strong> Polarisierung sowie zur spekulativen Überhitzung <strong>der</strong> F<strong>in</strong>anzmärkte. E<strong>in</strong>e<br />

falsche Verteilung von Arbeit verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t, dass die positiven Wirkungen langfristiger<br />

Produktivitätssteigerungen <strong>und</strong> des damit verb<strong>und</strong>enen s<strong>in</strong>kenden Arbeitsvolumens<br />

<strong>in</strong> kürzere Arbeitszeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er vollbeschäftigten Wirtschaft umgesetzt werden;<br />

stattdessen führt steigende Produktivität zu Massenarbeitslosigkeit <strong>und</strong> längerer<br />

<strong>und</strong> schlechterer Arbeit. E<strong>in</strong>e falsche Verteilung von Macht <strong>und</strong> E<strong>in</strong>flussmöglichkeiten<br />

<strong>der</strong> Menschen auf die Politik schließlich hat zu e<strong>in</strong>er Wirtschaftspolitik<br />

geführt, die <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie die Reichen bedient, sich von den Bedürfnissen <strong>und</strong><br />

Problemen <strong>der</strong> meisten Menschen immer weiter entfernt <strong>und</strong> so die Gr<strong>und</strong>lagen<br />

e<strong>in</strong>er demokratischen Gesellschaft untergräbt...” - Seite 20<br />

Auszug aus dem Memorandum <strong>der</strong> Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik<br />

http://www.memo.uni-bremen.de/<br />

19


PAUKOS Ausgabe 01/2008<br />

20<br />

„Nehmen Sie sich Zeit ...”<br />

1. Nehmen Sie sich Zeit, mit ihren K<strong>in</strong><strong>der</strong>n zu sprechen. Denn K<strong>in</strong><strong>der</strong> lernen Sprache vor allem im Dialog - von<br />

Angesicht zu Angesicht.<br />

2. Zeigen Sie im Gespräch Interesse für das, was Ihr K<strong>in</strong>d erlebt hat, was es bewegt. Es kann sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er solchen<br />

Atmosphäre leichter öffnen <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Gefühle besser verarbeiten. Es gibt dann nicht mehr so viel, was Ihrem K<strong>in</strong>d<br />

„schwer im Magen liegt”, ihm „Kopfzerbrechen bereitet”, <strong>und</strong> „an die Nieren geht”. Gleichzeitig erwirbt Ihr K<strong>in</strong>d<br />

Lebendigkeit im sprachlichen Ausdruck <strong>und</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Phantasie. Ihr K<strong>in</strong>d kann se<strong>in</strong>em Sprachgefühl vertrauen, es<br />

kann se<strong>in</strong>e Anliegen sprachlich darstellen. Und es braucht dazu weniger se<strong>in</strong>e Fäuste.<br />

3. K<strong>in</strong><strong>der</strong>, denen gut zugehört wird, können auch selber gut zuhören. Wenn sich also e<strong>in</strong> Gespräch zwischen Ihnen<br />

<strong>und</strong> Ihrem K<strong>in</strong>d ergibt, schalten sie Fernseher, Computer <strong>und</strong> Radio aus. Sie (<strong>und</strong> Ihr K<strong>in</strong>d) können besser<br />

zuhören bzw. beim Zuhören eigene <strong>in</strong>nere Bil<strong>der</strong> entwickeln. Auch wenn Sie me<strong>in</strong>en, gar nicht auf den Fernseher<br />

zu achten, wird Ihre Wahrnehmung alle<strong>in</strong> schon durch die unterschwellig wahrgenommenen, ständig wechselnden<br />

Licht- <strong>und</strong> Schattenverhältnisse des Raumes gründlich gestört.<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>, denen gut zugehört wird, s<strong>in</strong>d gelassener, schlafen besser, fühlen sich weniger unter Stress <strong>und</strong> transportieren<br />

das, was sie tagsüber gelernt haben, im Schlaf besser vom Kurzzeitgedächtnis <strong>in</strong>s Langzeitgedächtnis.<br />

4. Lesen Sie Ihrem K<strong>in</strong>d etwas vor <strong>und</strong> geben Sie ihm Bücher zum Selberlesen. Schaffen Sie e<strong>in</strong>e gemütliche<br />

Stimmung beim Vorlesen, wie z.B. bei <strong>der</strong> Gutenacht-Geschichte. Diese gemütliche Stimmung entsteht später<br />

auch dann, wenn das K<strong>in</strong>d alle<strong>in</strong>e e<strong>in</strong> <strong>in</strong>teressantes Buch aufklappt <strong>und</strong> es liest. Lesen ist das entscheidende<br />

Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g für das Gehirn – nicht wahlloser Medienkonsum.<br />

5. Stellen Sie Ihrem K<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>en eigenen Fernseher zur Verfügung. Je weniger Ihr K<strong>in</strong>d mit Fernsehen <strong>und</strong><br />

Computerspielen se<strong>in</strong>e Zeit verbr<strong>in</strong>gt, desto besser. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen e<strong>in</strong>deutig: K<strong>in</strong><strong>der</strong>,<br />

die übermäßig elektronische Medien konsumieren, s<strong>in</strong>d häufiger leistungsschwach <strong>und</strong> übergewichtig, traurig<br />

<strong>und</strong> beziehungsleer <strong>und</strong> sie neigen eher zu Gewalt.<br />

6. K<strong>in</strong><strong>der</strong> brauchen Bewegung im Spiel, ke<strong>in</strong>en Stubenarrest vor den Medien. Lassen Sie <strong>in</strong> Ihrer Familie Wan<strong>der</strong>n,<br />

Fahrradfahren, Schwimmen, Ballspiele auch mit ihrer eigenen Beteiligung zur Selbstverständlichkeit werden.<br />

Wenn Ihr K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Sportvere<strong>in</strong> geht, besprechen Sie mit se<strong>in</strong>en Betreuern dort, dass das sportliche Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong>,<br />

die sportliche Aktivität <strong>und</strong> nicht <strong>der</strong> Sieg im Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong> steht.<br />

7. Wenn Ihr K<strong>in</strong>d am Malen Freude hat, för<strong>der</strong>n Sie dies mit Material <strong>und</strong> Aufmerksamkeit. Greifen Sie nicht korrigierend<br />

<strong>in</strong> die Gestaltungen e<strong>in</strong>, lassen Sie den Eigen-S<strong>in</strong>n gelten. Vermeiden Sie unbed<strong>in</strong>gt Negativzensuren. Es bedarf<br />

aber auch ke<strong>in</strong>es <strong>in</strong>flationären Lobes. Wenn Sie – s<strong>in</strong>ngemäß – sagen: „Toll, dass du so gerne malst!”, reicht das<br />

schon. Die Bil<strong>der</strong> nicht gleich wegpacken, son<strong>der</strong>n gut sichtbar aufhängen. Zum Beispiel am P<strong>in</strong>nbord <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Küche o<strong>der</strong> im Flur, wo alle sie sehen können.<br />

8. S<strong>in</strong>gen Sie zusammen mit Ihren K<strong>in</strong><strong>der</strong>n – zum Beispiel zur Gutenacht-Geschichte. Ke<strong>in</strong>e entwertenden<br />

Bemerkungen, wenn Sie me<strong>in</strong>en, dass Ihr K<strong>in</strong>d „schräg” s<strong>in</strong>gt. Beson<strong>der</strong>s wenn wir s<strong>in</strong>gen, s<strong>in</strong>d wir durch Kritik<br />

sehr leicht verletzbar. (Das gilt im Gr<strong>und</strong>e für alle schöpferischen Tätigkeiten e<strong>in</strong>schließlich <strong>der</strong> „Kurzgeschichten”,<br />

die die K<strong>in</strong><strong>der</strong> am Ende e<strong>in</strong>es Tages zu ihren Erlebnissen erzählen.) Beg<strong>in</strong>nen Sie mit dem (Vor-)S<strong>in</strong>gen so früh<br />

wie möglich. Am besten schon während <strong>der</strong> Schwangerschaft. Wenn Ihr K<strong>in</strong>d (auch <strong>und</strong> beson<strong>der</strong>s zusammen<br />

mit an<strong>der</strong>en K<strong>in</strong><strong>der</strong>n) Interesse <strong>und</strong> Freude am S<strong>in</strong>gen o<strong>der</strong> Musizieren hat, kann ihm für die Entwicklung se<strong>in</strong>er<br />

sozialen Qualitäten kaum etwas Besseres passieren. Wichtig dabei: Es kommt nicht darauf an, im Wettbewerb<br />

<strong>der</strong> beste zu se<strong>in</strong>, son<strong>der</strong>n sich auf an<strong>der</strong>e „e<strong>in</strong>stimmen” zu können.<br />

9. S<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> eigenes Musizieren senken Angst <strong>und</strong> för<strong>der</strong>n Aufmerksamkeit. Beides schafft damit die besten<br />

Voraussetzungen für <strong>Lernfreude</strong> <strong>und</strong> Lernfähigkeit.

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