25.12.2014 Aufrufe

Boehme: Vierte Kulturtechnik - Gymnasium

Boehme: Vierte Kulturtechnik - Gymnasium

Boehme: Vierte Kulturtechnik - Gymnasium

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Gernot Böhme August 2001<br />

Eine vierte <strong>Kulturtechnik</strong><br />

Über Bildungspolitik in der Wissensgesellschaft<br />

1. Zum Begriff der Wissensgesellschaft<br />

Der Begriff der Wissensgesellschaft hat in der Bundesrepublik Deutschland eine<br />

Konjunktur, seit dieser Begriff aus dem Diskurs der Wissenschaftsforschung vom<br />

Bundesministerium für Bildung und Forschung in der letzten Regierung Kohl aufgegriffen<br />

wurde. Auf diesen Erfolg hat die wissenschaftliche Szene naturgemäß dankbar reagiert,<br />

obgleich keineswegs sichergestellt ist, dass damit das kritische Potential, das in diesem<br />

Begriff seit seiner Einführung 1 enthalten war, wahrgenommen wurde. Vielmehr diente der<br />

Begriff dem Ministerium zur relativen Stärkung des eigenen Ressorts bzw. zur<br />

Legitimation bestimmter Programme, insbesondere des Programms Schulen ans Netz. Die<br />

Apostrophierung der Gegenwartsgesellschaft als Wissensgesellschaft hatte politisch den<br />

Sinn, eine Umstrukturierung des Bildungssystems anzubahnen. Der zentrale Punkt dieser<br />

eingeleiteten Umstrukturierung besteht in der Auffassung, dass die Fähigkeit zum Umgang<br />

mit Daten, sprich Computer- und Medienkompetenz, das für die Zukunft der Gesellschaft<br />

entscheidende menschliche Kapital darstellen wird. Um das zu sagen, hätte man freilich<br />

aus der seit den 60er Jahren in der Wissens- und der Wissenschaftssoziologie laufenden<br />

Diskussion auch andere Begriff und Theoreme aufgreifen können. Doch die These etwa<br />

vom Wandel der Wissenschaft zur unmittelbaren Produktivkraft oder die These von der<br />

wissenschaftlich-technischen Revolution waren wegen ihres marxistischen Hintergrunds<br />

nicht politikfähig. Das Konzept der postindustriellen Gesellschaft verbot sich für eine<br />

Bildungspolitik, in der das Engagement der Industrie gerade eine hervorragende Rolle<br />

spielen sollte und die Begriffe Informationsgesellschaft und Wissenschaftsgesellschaft 2<br />

wollte man offenbar einer verbeamteten Lehrerschaft, die noch immer durch den Geist<br />

1<br />

2<br />

Gernot Böhme/Nico Stehr, (eds.), The Knowledge Society (Sociology of the Sciences, Yearbook 1986)<br />

Dordrecht/Boston: Reidel 1986.<br />

Gernot Böhme, The structures and prospects of knowledge society, in: Social Sciences Information<br />

1997, 36(3), pp. 447-468. Dt. in: Divinatio Studia Culturologica Series, vol 5, Autumn-Winter 1997, 53-<br />

74. Dieser Aufsatz ist übrigens als Gutachten für das BMBF 1996 in Vorbereitung der Delphi-Befragung<br />

Potentiale und Dimensionen der Wissensgesellschaft – Auswirkungen auf Bildungsprozesse und<br />

Bildungsstrukturen entstanden.<br />

1


Goethes und von Humboldts geprägt ist, offenbar als terminus ad quem ihrer Bemühungen<br />

nicht anbieten. Aber Wissensgesellschaft – welch ein glänzendes Feldzeichen für den<br />

Einzug des Computers in die Schule!<br />

Der Begriff der Wissensgesellschaft konnte so wegen der positiven Konnotationen, die mit<br />

dem Begriff des Wissens verbunden sind, ideologische Funktionen übernehmen. Im<br />

Übrigen wurde er im politischen Bereich rein deskriptiv verwendet, nämlich zur<br />

Beschreibung eines gewissen Megatrends, nämlich der wachsenden Bedeutung der<br />

Verfügung über Wissen für die gesellschaftliche Prosperität. Demgegenüber ist<br />

festzuhalten, dass die Theorie der Wissensgesellschaft als kritische Gesellschaftstheorie<br />

gemeint war. Der Terminus Wissen wurde anstelle von etwa Information oder<br />

Wissenschaft gewählt, um darauf hinzuweisen, dass es alternative Wissensformen gibt,<br />

dass sich unter den Wissensformen Hierarchien herausbilden und dass diese als<br />

Hierarchien unter den jeweiligen Wissensträgern gesellschaftliche Bedeutung erlangen.<br />

Auf diesem Hintergrund können Prozesse der Verwissenschaftlichung humaner und<br />

gesellschaftlicher Verhältnisse kritisch beschrieben werden, etwa als wachsende<br />

Entmündigung des Einzelnen durch Abhängigkeit von Experten. Ferner tritt in den Blick,<br />

dass Wissen gegenüber den älteren Faktoren Geburt und Kapital als Basis<br />

gesellschaftlicher Macht wie auch persönlicher Lebenschancen an Gewicht gewinnt.<br />

Ersteres gilt auch für die Macht in internationalen Beziehungen.<br />

Um dieses kritische Potential der Theorie auszubilden und zu bewahren, gilt es, mit<br />

Doppelbegriffen zu arbeiten, so wie mit dem Paar Wert und Preis in der Kritik der<br />

politischen Ökonomie und mit dem Paar Leib und Körper in der kritischen Theorie der<br />

menschlichen Natur. In der Theorie der Wissensgesellschaft ist das entscheidende<br />

Begriffspaar Wissen und Information. Diese Begriffe sind so auszubilden, dass sie<br />

aufeinander verweisen, aber zugleich eine deutliche Differenz wahren. Dazu genügt es<br />

nicht, auf die philosophiegeschichtliche Tradition des Wissensbegriffes zu rekurrieren,<br />

weil in dieser Tradition seit Platon 3 gerade ein emphatischer Wissensbegriff (gleich<br />

Wissenschaft) herausgebildet wurde, der die Hierarchie der Wissensformen befestigte bzw.<br />

andere Wissensformen gegenüber der Wissenschaft diskrititierte und der Obsoleszens<br />

anheim gab. Ebenso wenig genügt es, etwa den umgangssprachlichen Begriff von<br />

3<br />

Dass bereits Platons Auseinandersetzung mit den Sophisten ein Kampf um die Zuständigkeit im Bereich<br />

höherer Bildung war, zeige ich in meinem Aufsatz Demarcation as a Strategy of Exclusion:<br />

Philosophers and Sophists, in: G. Böhme/N. Stehr (eds.), aaO.<br />

2


Information (ich informiere mich) hoch zu stilisieren 4 noch auf den fachterminologischen<br />

Gebrauch, wie er durch die Informationstheorie begründet wurde, zu rekurrieren. Auf diese<br />

begriffsgeschichtlichen und terminologischen Hintergründe muss man sich beziehen,<br />

worauf es aber ankommt, ist, beide Begriffe so in eine Beziehung zueinander zu bringen,<br />

dass sie geeignet sind, Gesellschaften kritisch zu beleuchten, in denen das Verfügen über<br />

objektivierte Wissensbestände ein zentrales Thema geworden ist. 5 Ich habe deshalb<br />

vorgeschlagen, Wissen als Weise der Partizipation an Dingen, Sachverhalten, also auch<br />

an gesellschaftlichen Verhältnissen, zu definieren. Man kann auch sagen: Durch Wissen<br />

sind einem Dinge und Sachverhalte gegeben. Man sieht, dass dieser Wissensbegriff ein<br />

Relationsbegriff ist und dass er den Realitätsbezug auf der einen Seite und den<br />

Personenbezug auf der anderen Seite impliziert. Entscheidend ist nun, dass man Wissen<br />

objektivieren kann. In trivialer Form: Man kann es aufschreiben. Das Wissen wird dadurch<br />

in Daten verwandelt. Es ist sinnvoll, dieses objektivierte Wissen als Information zu<br />

bezeichnen. Wenn im Wissen einem die Gegenstände oder Sachverhalte gegeben sind, so<br />

ist im objektivierten Wissen, also der Information das, Was einem gegeben ist, in<br />

symbolischer Repräsentation verfügbar. Man sieht bereits hier, was nötig ist, um<br />

Information wieder in Wissen zu verwandeln: Aufgrund der Information muss das Subjekt<br />

eine Beziehung zur Realität herstellen, d. h. sowohl der Personenbezug als auch der<br />

Realitätsbezug müssen reaktiviert werden.<br />

Entscheidend für das gesellschaftliche Leben in der Wissensgesellschaft ist nun, dass es<br />

einen Wissenstyp, den man auch Wissen zweiter Stufe nennen könnte, gibt, der nicht in der<br />

unmittelbaren Partizipation an den Dingen oder Sachverhalten besteht, sondern in der<br />

Partizipation am bereits objektivierten Wissen. Dass dieser Wissenstyp überhaupt sinnvoll<br />

ist, dann aber sogar von größerem Gewicht als der Wissenstyp erster Art, liegt daran, dass<br />

man für viele Zusammenhänge den Gegenstandsbezug von Wissen dahingestellt sein<br />

lassen kann bzw. mehr noch daran, dass die gesellschaftliche Wirklichkeit selbst nicht die<br />

Realität 6 ist, sondern ein Zusammenhang von Repräsentationen oder, besser gesagt,<br />

symbolische Formen. Als Wissenschaftler braucht man keineswegs in jedem Einzelfall den<br />

Gegenstandsbezug herstellen, sondern kann sich darauf verlassen, dass er durch andere<br />

Wissenschaftler bereits hergestellt ist. Es genügt also, sich auf etablierte Daten und<br />

Gesetze zu beziehen. Wissenschaftliches Wissen ist deshalb weitgehend bereits<br />

4<br />

5<br />

6<br />

P. Janich, Informationsbegriff und methodische kulturalistische Philosophie, in: Ethik und<br />

Sozialwissenschaft 9 (1998), 169-182.<br />

Es sind übrigens gerade diese Gesellschaften, die so etwas wie Wissenspolitik ausbilden.<br />

Für die terminologische Unterscheidung von Realität und Wirklichkeit, s. mein Buch Theorie des Bildes,<br />

München: Fink 1999.<br />

3


Partizipation an objektiviertem Wissen. Das Entsprechende gilt für kulturelles Wissen,<br />

weil die kulturellen Gebilde in symbolischen Formen bestehen und in der Regel bereits in<br />

Form von Daten, also Texten, Noten und digitalen Medien gegeben sind. Da dieses Wissen<br />

zweiter Stufe gegenüber dem unmittelbaren Wissen als Partizipation an den Dingen und<br />

Sachverhalten dominant geworden ist, bedeutet Wissen in der Regel Aneignung von<br />

Informationen. Die entscheidende Frage ist deshalb, welche Kompetenzen zur Aneignung<br />

von Informationen entwickelt werden müssen. Die pure technische Verfügbarkeit von<br />

Informationen bedeutet beim Einzelnen wie im gesellschaftlichen Durchschnitt noch<br />

keineswegs ein erhöhtes Maß von Wissen. Im Gegenteil kann das Anwachsen der zur<br />

Verfügung stehenden Information sogar das Wissensniveau sinken lassen, weil nämlich<br />

elaboriertere Aneignungskompetenzen verlangt sind. Um im trivialen und klassischen<br />

Beispiel zu sprechen: Um die Informationen, die eine Bibliothek enthält, nutzen zu<br />

können, muss man selbstverständlich lesen können. Die Schätze der Bibliothek werden<br />

sich aber erst erschließen, wenn man irgendeinen systematischen Zugang dazu hat. 7 Aber<br />

das Beispiel Lesen können ist auch unter den klassischen vielleicht zu trivial. Sich<br />

beispielsweise den Satz des Pythagoras – im rechtwinkligen Dreieck ist das Quadrat über<br />

der Hypotenuse gleich der Summe der Quadrate über den Katheten (c 2 = a 2 + b 2 ) –<br />

anzueignen, dazu muss man ihn einerseits in seinen Fundamenten verstehen, nämlich ihn<br />

beweisen können, und andererseits im Potential seiner Anwendungen und Erweiterungen.<br />

Entsprechend kann man verallgemeinernd sagen, dass zur Aneignung von Informationen<br />

gehört, sie aufzufinden, sich zu bewerten und einzuordnen, sich insbesondere ein Bild von<br />

ihrem Zustandekommen zu machen, sie schließlich zu verstehen, mit anderen<br />

Informationen in Beziehung setzen zu können und sie schließlich anwenden zu können.<br />

2. Der Computer als Herausforderung des Bildungssystems<br />

Der Computer ist der eigentliche Anlass, eine Theorie der Wissensgesellschaft<br />

auszubilden. Zwar hat es auch schon in anderen Perioden der Geschichte<br />

Wissensgesellschaften gegeben, etwa in dem Sinne, dass in ihnen Wissen die Basis von<br />

Macht und der Schlüssel zur Verteilung von Lebenschancen war. Man könnte die<br />

altägyptische Gesellschaft dafür anführen. Aber die Notwendigkeit, die Differenz zwischen<br />

Wissen und Information zu machen, ist jüngeren Datums. Sie ist bestimmt durch die<br />

leichte Verfügbarkeit von ungeheuren Mengen objektivierten Wissens oder besser gesagt<br />

7<br />

Jean Paul Sartre hat in seinem Roman „Der Ekel“ dieses Problem durch die Erfindung der Figur des<br />

Autodidakten literarisch inszeniert. Der Autodidakt versucht sich zu bilden, indem er die Bücher der<br />

Bibliothek nach der alphabetischen Reihenfolge ihrer Autoren durchliest.<br />

4


die technische Verfügbarkeit dieses objektivierten Wissens. Just wegen der technischen<br />

Verfügbarkeit von Information tritt eine Differenz auf zwischen der Fähigkeit, über<br />

Information zu verfügen und der Fähigkeit, sie in Wissen zu verwandeln. Diese Differenz<br />

bestand vor der Technisierung der Informationsverarbeitung nicht. Vielmehr galt die<br />

Gleichsetzung: Wer einen Text lesen kann, der kann ihn auch verstehen – mehr oder<br />

weniger gut natürlich.<br />

Das Buch war und ist das traditionelle Medium zur Objektivierung von Wissen. Wir<br />

können es kulturhistorisch rückblickend als Medium zur Speicherung von Informationen<br />

ansehen. Die Kompetenz, diese Informationen sich anzueignen, war und ist das Lesen.<br />

Dabei wird unter Lesen nicht etwa die Verlautbarung eines gedruckten Textes verstanden –<br />

faktisch liest auch kaum ein Mensch in dieser Weise – sondern vielmehr der Vorgang,<br />

durch den die Schriftsymbole so rezipiert werden, dass der Text einen Sinn ergibt. Lesen<br />

im emphatischen Sinne ist also zugleich Interpretieren. Wollte man diese Verhältnisse<br />

verallgemeinern, so müsste man sagen: der Computer (einschließlich Netz und<br />

Datenbanken) ist unser verallgemeinertes Medium der Speicherung von objektiviertem<br />

Wissen, also von Information. Die Fähigkeit, sich diese Information anzueignen, könnte<br />

man allgemein als Computer- oder Netzkompetenz bezeichnen. Das wäre nicht falsch,<br />

birgt aber die Gefahr, die Differenz zwischen technischer Verfügung über Informationen<br />

und ihrer sinngebenden Umwandlung in Wissen zu verdecken.<br />

Genau dies ist die Gefahr, in die eine Bildungspolitik gerät, die den Computer als die<br />

zentrale Herausforderung für das moderne Bildungssystem ansieht. Bildung wird als<br />

Wissensvermittlung verstanden und da das Wissen zunehmend in objektivierter Form auf<br />

elektronischen Datenträgern vorliegt und als solches über Computer und das Netz weltweit<br />

zugänglich ist, sieht man als eine der zentralen Kompetenzen, die Heranwachsenden<br />

vermittelt werden müssen die Computer- bzw. Netzkompetenz an. Sie wird als die vierte<br />

<strong>Kulturtechnik</strong> neben Rechnen, Lesen und Schreiben verstanden, und das nicht ganz zu<br />

Unrecht. Zumindest in den sog. fortgeschrittenen Gesellschaften sind schon sehr viele<br />

gesellschaftliche Vollzüge wie etwa Banking oder Shopping durch digitale Medien<br />

vermittelt, insbesondere aber ist für einen wachsenden Teil der Berufe die Computer- bzw.<br />

Netzkompetenz Voraussetzung für deren Ausübung. Es sieht so aus, dass man in Kürze<br />

nicht mehr kompetent am gesellschaftlichen Leben teilnehmen kann, wenn man den<br />

Umgang mit dem Computer nicht beherrscht, ebenso wie bisher auch eine kompetente<br />

Beteiligung am gesellschaftlichen Leben ohne die Fähigkeit, rechnen, lesen und schreiben<br />

5


zu können, nicht möglich war. In diesem Sinne kann man also die Computer- und die<br />

Netzkompetenz als vierte <strong>Kulturtechnik</strong> bezeichnen. Diese Technik könnte sogar die<br />

anderen drei dominieren, wenn nicht gar ersetzen. So besteht schon heute für viele<br />

Menschen die Fähigkeit rechnen zu können darin, den Taschenrechner bedienen zu<br />

können. Man stelle sich vor, was das für das Schreiben und Lesen bedeuten könnte! Es<br />

hängt schließlich nur von der Software ab, ob – zumindest – ein computer-aided-writing<br />

möglich ist. Die Notwendigkeit verbindet sich hier nur allzu leicht mit der Verführung.<br />

Wenn die Computer- und Netzkompetenz als vierte <strong>Kulturtechnik</strong> einzuschätzen ist, dann<br />

ist es in der Tat eine öffentliche Aufgabe, die Vermittlung dieser Kompetenz<br />

sicherzustellen. Es muss aber Rang und Reihenfolge zwischen den drei klassischen<br />

<strong>Kulturtechnik</strong>en und der vierten <strong>Kulturtechnik</strong> bestimmt werden. Es ist daran festzuhalten,<br />

dass die klassischen <strong>Kulturtechnik</strong>en die unabdingbare Voraussetzung für den<br />

kompetenten Umgang mit Computer und Netz darstellen. Wer nicht rechnen kann, kann<br />

auch nicht kompetent mit elektronischen Rechnern umgehen, wer nicht lesen und<br />

schreiben kann, nicht kompetent mit textverarbeitenden Maschinen. Das sind Postulate,<br />

und es ginge auch anders. Weltweit gesehen ist die Verführung groß, die<br />

Alphabetisierungsprogramme durch Computerkurse zu ersetzen. Diese Modernisierung<br />

würde die Menschen auf das Niveau der Affen herabsetzen, mit denen Affenforscher<br />

kommunizieren, indem sie ihnen den Gebrauch der Schreibmaschine beibringen.<br />

Doch was muss man eigentlich lernen, um kompetent mit Computer und Netz umgehen zu<br />

können Eines ist klar, dass es mit dem Eindringen des Computers in das Bildungssystem<br />

in der Gegenwart nicht dieselbe Sache ist wie vor Jahrzehnten die Einrichtung von sog.<br />

Sprachlabors. Die Erfahrungen, die man damit gemacht hat, sind immerhin lehrreich. Die<br />

Erwartungen, die man an Sprachlabors in den Schulen geknüpft hat, haben sich keineswegs<br />

erfüllt, insbesondere konnten sie nicht den lebendigen Unterricht durch Lehrer ersetzen.<br />

Mit der gegenwärtigen Welle der Computerisierung der Schulen ist gleichwohl jene ältere<br />

Welle nicht zu vergleichen, denn der Computer erscheint gegenwärtig nicht einfach als<br />

Hilfsmittel, andere Wissensinhalte schneller, leichter oder lustvoller sich anzueignen –<br />

auch das ist der Fall –, sondern er erscheint als Unterrichtsbereich eigener Art. Die<br />

Computerkompetenz als solche soll vermittelt werden und nicht nur in anderen<br />

Lehrbereichen angewandt. Aber worin besteht sie und was soll vermittelt werden Die<br />

nächste, freilich kurzschlüssige Antwort ist: Informatik. Da der Computer als<br />

informationsverarbeitendes System verstanden wird, meint man, die Informatik sei das<br />

6


geeignete Fach, die notwendige Computerkompetenz zu erwerben. Das entspricht auch<br />

dem Selbstverständnis der Informatiker. So formulierten beispielsweise Wilfried Brauer et<br />

al: „Informatik ist die Wissenschaft von der systematischen Verarbeitung von<br />

Informationen – insbesondere der automatischen Verarbeitung mit Hilfe von<br />

Digitalrechnern. Sie und die Technologie der Datenverarbeitungssysteme bilden die<br />

Grundpfeiler der Datenverarbeitung.“ 8 Die Informatik ist hier so unkritisch wie diejenigen,<br />

die sie als Schulfach einführen, um den Notwendigkeiten der Wissensgesellschaft zu<br />

entsprechen. So hat beispielsweise ein humanistisches <strong>Gymnasium</strong> in Darmstadt die<br />

Informatik als Alternative zu Altgriechisch bzw. Französisch eingeführt. Eine kritische<br />

Theorie der Informatik steht noch aus. Sie hätte, wie die kritische Theorie der<br />

Wissensgesellschaft, die Differenz von Wissen und Information zu machen. Ein Ansatz<br />

dazu zeigt sich bei Alfred Lothar Luft, der die Informatik als eine Technikwissenschaft<br />

beschreibt, in der es „um die Repräsentation von Wissen in Form von Daten und um die<br />

Reduktion geistiger Tätigkeiten auf Algorithmen und maschinell simulierbarer Prozesse“<br />

geht. 9 Eine kritische Informatik hätte nicht nur die Informationsverarbeitung als solche<br />

zum Thema, sondern Prozesse der Informatisierung von Wissen auf der einen Seite und der<br />

Aneignung von Informationen und ihre Verwandlung in Wissen auf der anderen Seite. Erst<br />

eine solche Informatik könnte im eigentlichen Sinne Computerkompetenz vermitteln,<br />

nämlich gerade die Fähigkeiten, die das Gewicht und die Bedeutung technisch bereit<br />

gestellter Informationen einzuschätzen gestattet und sie in sinnvolles Wissen umzusetzen<br />

erlaubt.<br />

3. Kurzschlüssige Bildungspolitik<br />

1995 hat das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie<br />

(BMWF) das groß angelegte Programm Schulen ans Netz gestartet – wohlgemerkt in<br />

Kooperation mit der Deutschen Telekom. Dieses Programm setzte sich zum Ziel, 10000<br />

deutsche Schulen ans Netz zu bringen. Es war außerordentlich erfolgreich. In Verfolgung<br />

dieses Zieles wurden bis Januar 2000 16500 (von 40000) Schulen vernetzt, bis Ende 2001<br />

sollen alle bundesdeutschen Schulen ans Internet angeschlossen sein. 10 Für dieses<br />

8<br />

9<br />

10<br />

Wilfried Brauer/Wolfhart Haacke/Siegfried Münch: Studien- und Forschungsführer Informatik,<br />

Heidelberg: Springer 1984, S. 34.<br />

Alfred Lothar Luft, Informatik als Technikwissenschaft. Eine Orientierungshilfe für das<br />

Informatikstudium, Mannheim/Wien/Zürich: BI Wissenschaftsverlag 1988, S. 14. Luft bezieht sich<br />

dabei auf H. Zemanek.<br />

Computer + Unterricht, Heft Nr. 41 (1. Quartal 2001), Schulen ans Netz, Ergebnisse und Perspektiven,<br />

S. 10.<br />

7


Programm gab es keine pädagogischen Motive und auch rückblickend stellt ein so<br />

wohlwollendes Blatt wie Computer + Unterricht fest: „Der Nachweis der grundlegenden<br />

Qualitätsverbesserung von Unterricht durch die Nutzung neuer Medien steht noch aus“. 11<br />

Sehr viel deutlicher hätte man das bereits drei Jahre vorher aus den USA vernehmen<br />

können: „A 1997 survey of 6000 United States teachers, computer coordinators, and school<br />

librarians found that 87 percent believe that Internet usage by students in grades 3 to 12<br />

does not help improve classroom performance“. 12 Auch wenn immer wieder pädagogische<br />

Vorteile des Computereinsatzes im Unterricht ausgemalt werden, wie etwa kooperatives<br />

Lernen, interaktives Lernen, Erhöhung der Kommunikationsfähigkeit, so sind das allenfalls<br />

Nebeneffekte, nicht das, was eigentlich angezielt wird. Und das ist, wie es Burkhardt<br />

Strassmann so schön in seinem Beitrag zum Zeitpunkte-Heft Lernen mit dem Computer<br />

formuliert: „Schulkinder am Computer fit zu machen für die volldigitale Zukunft“. 13 Dabei<br />

wird also unterstellt, dass das Leben in den fortgeschrittenen Gesellschaften in Zukunft so<br />

stark durch den Computer bestimmt ist, dass die Computerkompetenz – wie oben<br />

ausgeführt – als vierte <strong>Kulturtechnik</strong> anzusehen ist. Freilich, von pädagogischen Zielen<br />

spricht man selten. Vielmehr wird schlicht konstatiert: „Mit dem Wandel von der<br />

Industriegesellschaft zur Informationsgesellschaft oder Wissensgesellschaft vollzieht sich<br />

im Bildungsbereich ein Paradigmawechsel“. 14 Diese konstatierende Redeweise ist<br />

vielleicht auch die ehrlichste, denn jede Behauptung, die aus dem Wandel von der<br />

Industrie- zur Informationsgesellschaft oder Wissensgesellschaft die Notwendigkeit einer<br />

grundlegenden Reform im Bildungsbereich ableitete, würde übersehen, dass die<br />

Computerisierung und Vernetzung der Schule ein wesentliches Moment der Durchsetzung<br />

der Informations- oder Wissensgesellschaft ist. Die volldigitale Zukunft wird gerade durch<br />

die Einführung der Computer in den Unterricht vorangetrieben, indem entsprechende<br />

Grundhaltungen früh eingeübt werden und der Computergebrauch in allen Bereichen wie<br />

Arbeit, Freizeit, Verkehr zur Selbstverständlichkeit wird.<br />

Das Interesse an der Entwicklung der Jugendlichen ist also nicht das grundlegende Motiv<br />

der forcierten Einführung des Computers in die Schule. Sie wird auch von den Pädagogen<br />

nur halbherzig mitgetragen. Der Paradigmenwechsel, der sich, wie man sagt, im<br />

11<br />

12<br />

13<br />

14<br />

Computer + Unterricht, Heft Nr. 41, aaO., S. 8.<br />

Don Tapscott, Growing Up Digital. The Rise of the Net Generation, New York McGraw-Hill, 1998, S.<br />

138.<br />

Zeitpunkte Nr. 1/2000. Lernen mit dem Computer. Wie die neuen Medien Schule und Hochschule<br />

erobern, S. 28.<br />

So Renate Schulz-Zander, einführend in dem oben zitieren Heft 41 von Computer + Unterricht, S. 6, das<br />

beansprucht, die ersten Evaluationen des Programms Schulen ans Netz darzustellen.<br />

8


Bildungsbereich vollzieht, besteht denn auch bei näherer Betrachtung primär darin, dass<br />

dieser Bereich zu einem kapitalintensiven Bereich wird. Das hätte man schon an dem<br />

Engagement der Telekom im Projekt Schulen ans Netz sehen können. Es wird deutlicher,<br />

wenn man sich die Summen ansieht, um die es bei der Computerisierung bzw. Vernetzung<br />

der Schulen geht. Nach einer von der Bertelsmann-Stiftung in Auftrag gegebenen und an<br />

der Universität Bremen durchgeführten Studie müssten 81 Milliarden aufgebracht werden,<br />

um jedem Schüler in seiner gesamten Schulzeit einen Computer zur Verfügung zu stellen.<br />

24 Milliarden kämen jährlich für Wartung und Betriebskosten hinzu. 15 Diese Zahlen sind<br />

hoch und gelten nur für die Vollcomputerisierung. Aber auch das real Durchgeführte ist<br />

eindrucksvoll. So hat die Stadt München allein für das Jahr 2000 200 Millionen für die<br />

Computerisierung der Schulen eingesetzt 16 und das Land Baden-Württemberg setzt für die<br />

Computerisierung der Schulen im Jahr 2001 1 Milliarde an. 17 Diese Zahlen werden<br />

besonders eindrucksvoll, wenn man sich klar macht, was dadurch nicht mehr möglich sein<br />

wird. So würde man etwa in der Stadt München allein von den Folgekosten der<br />

Computerisierung 200 neue Lehrerstellen finanzieren können. Umgekehrt sind für etwa<br />

1000 Computer – eine Zahl, die in Zukunft an großen Gymnasien leicht erreicht werden<br />

wird – nach Einschätzung von Ingrid Hamm, Leiterin des Bereichs Medien in der<br />

Bertelsmann-Stiftung, zwei volle Stellen für EDV-Techniker notwendig. 18 Wenn man auch<br />

nicht glaubt, dass der Einsatz des Computers im Unterricht den Lehrer gewissermaßen<br />

wegrationalisieren wird, so ist doch unvermeidlich, dass im Bildungsbudget ein ungeheurer<br />

Druck auf die Personalkosten entsteht und damit endgültig ausgeschlossen wird, dass die<br />

Klassen kleiner werden – eine Forderung, die ja seit Jahrzehnten von allen Pädagogen<br />

erhoben wird. Der Bildungssektor wird ein kapitalintensiver Sektor und so soll es sein –<br />

nach Willen der Industrie. Kein Wunder, dass sie „spontan ihre Unterstützung zugesagt<br />

hat“, als die Ministerin für Bildung und Forschung, Hildegard Bulmahn, zur größten<br />

Sponsoring-Aktion: Internet-Computer für alle Schulen aufgerufen hat. 19 Diese<br />

Kapitalisierung des Bildungssektors wurde an einem Zuständigkeitsstreit zwischen Land<br />

und Kommunen im Land Baden-Württemberg manifest. Die Kosten für die öffentliche<br />

Bildung waren bisher folgendermaßen aufgeteilt: Während das Land für die<br />

15<br />

16<br />

17<br />

18<br />

19<br />

Zeitpunkte 1/2000, S. 22. Für die amerikanischen Verhältnisse vgl. Colleen Cordes, Edward Miller (eds.)<br />

Fool’s Gold: A Critical Look at Computers in Childhood. www.allianceforchildhood.net. Nach dort<br />

zitierten Schätzungen waren die staatlichen Ausgaben für die Computerisierung der Schulen im<br />

Rechnungsjahr 1999/2000 7,8 Milliarden $ (p. 77). Eine von Präsident Clinton eingesetzte Berater-<br />

Kommission hat empfohlen, diese Summe auf 15 Milliarden $ zu erhöhen (pp. 97/85).<br />

SZ Nr. 242 v. 19.10.1999.<br />

Stuttgarter Zeitung, 19.6.2001, Streit um Schulcomputer spitzt sich zu.<br />

Zeitpunkte 1/2000, S. 23.<br />

Darmstädter Echo, 6.11.1999.<br />

9


Personalkosten aufkam, bezahlten die Gemeinden als Schulträger die Sachkosten – und<br />

dabei ging es bisher hauptsächlich um die Gebäude und ihre Erhaltung. Die Gemeinden<br />

wehren sich verständlicherweise dagegen, dass der neue erhebliche Posten für EDV-<br />

Ausrüstung, Erneuerung und Wartung ihnen als Sachkosten aufgebürdet wird. 20 Hier, an<br />

dieser Stelle wird der Paradigmenwechsel im Bildungsbereich manifest. Er besteht primär<br />

und vor allem in einer Revolutionierung der öffentlichen Ausgaben für den Bildungssektor.<br />

Die Computerisierung und Vernetzung der Schulen wird seit Jahren von der<br />

Bildungspolitik als das eigentlich innovative Projekt im Bildungssektor propagiert.<br />

Pädagogische Konzepte dafür fehlen vollständig. Zwar stellt man sich vor, dass der<br />

Computer gewissermaßen ein Hilfsmittel ist, das in allen Schulfächern die Effizienz<br />

erhöhen soll, faktisch geht es aber primär um die Ausbildung von Computer- und<br />

Netzkompetenz als solcher. Auch die ersten Auswertungen zeigen, dass der Computer im<br />

überwiegenden Maße im informationstechnischen Bereich in den Schulen zur Anwendung<br />

kommt. 21 Dieser Bereich, der häufig noch in Form von Arbeitsgemeinschaften bedient<br />

wurde, wird systematisch zum Fach ausgebildet. Ende der 70er Jahre erfolgte die<br />

Einführung des Fachs Informatik. In den 80er Jahren wurde die informationstechnische<br />

Grundbildung (ITG) in die Sekundarstufe I aller Schulformen eingeführt. Freilich muss<br />

man sagen, dass diese Institutionalisierung des informationstechnischen Unterrichts<br />

tatsächlich kaum umgesetzt werden konnte, weil es an qualifiziertem Lehrpersonal fehlte.<br />

Das änderte sich erst langsam seit den 90er Jahren. 22 Was aber vor allem fehlt, und zwar<br />

bis heute, ist ein Konzept, was denn überhaupt unter informationstechnischer<br />

Grundbildung zu verstehen ist, was in den entsprechenden Fächern gelehrt werden soll.<br />

Ebenso fehlt eine Vorstellung darüber, ab wann, das heißt von welcher Jahrgangsstufe an,<br />

ein Computerunterricht angezeigt ist. Charakteristisch für die übereilte Anpassung der<br />

Politik an den Zeitgeist ist, dass die bayerische Landesregierung in ihren Grundlagen und<br />

Leitlinien für die Grundschule schreibt: „Im Rahmen der informationstechnischen<br />

Grundbildung ist auch der Umgang mit dem Computer unerlässlich“ (Abschnitt 1.5) – wie<br />

gesagt, bereits in der Grundschule! Man hat sogar einen Wettbewerb Enter-Preis<br />

ausgeschrieben, um zu zeigen, „dass Computer auch in der Grundschule sinnvoll und<br />

kreativ genutzt werden können“. 23 An anderen Stellen denkt man bereits darüber nach,<br />

Computer in Kindergärten zu installieren.<br />

20<br />

21<br />

22<br />

23<br />

Stuttgarter Zeitung, 19.6.2001, Der Streit um Schulcomputer spitzt sich zu.<br />

Computer + Unterricht, Heft Nr. 41, S. 18.<br />

Computer + Unterricht, Heft Nr. 41, S. 7.<br />

Computer + Unterricht, Heft Nr. 41, S. 10.<br />

10


Zum Schluss: Was ist das Vernünftige in der Bildungspolitik<br />

Nach Verabschiedung der großen Vernunft wird man nicht ohne Weiteres sagen können,<br />

was die richtige Bildungspolitik in der Wissensgesellschaft ist. Aber man wird doch<br />

wenigstens unterscheiden, was vernünftig ist im Sinne von reasonable und was nicht. Eine<br />

Bildungspolitik ist vernünftig, wenn sie im Blick auf die gesellschaftlichen Realitäten<br />

konzipiert wird, aber ebenso im Blick auf die Entwicklungsmöglichkeiten der Kinder und<br />

Jugendlichen. 24 Sie wird akzeptieren, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der<br />

Computer- und Netzkompetenz zur vierten <strong>Kulturtechnik</strong> wird, aber sie wird in Beziehung<br />

zu den klassischen <strong>Kulturtechnik</strong>en setzen und deren Vermittlung dem Lebensalter der<br />

Heranwachsenden anpassen. Unvernünftig ist es jedenfalls, die Schule in den Dienst eines<br />

kurzfristigen Bedarfs zu stellen, also etwa die forcierte Computerisierung der Schulen mit<br />

dem aktuellen Bedarf hochqualifizierter IT-Techniker zu rechtfertigen. Unvernünftig ist es<br />

ebenfalls, die langfristig notwendige Einstellung der Schule auf die Wissensgesellschaft<br />

quasi von der Hardware her zu initiieren, das heißt die Schulen mit Computern zu<br />

überschwemmen und damit die Bildungsbudgets zu überlasten bzw. den Verlockungen<br />

durch die Initiativgeschenke der Industrie nachzugeben. Der Computer hat nicht das<br />

menschliche Leben verbessert, er hat nicht einmal zu Effizienzsteigerungen bzw.<br />

Produktivitätssteigerungen 25 geführt. Das Leben ist nicht besser geworden, sondern anders.<br />

Der Haupteffekt, der dadurch zustande gekommen ist, ist, dass der Wirtschaft ein neuer<br />

Wachstumssektor eröffnet wurde, der den Rückgang anderer Sektoren zu kompensieren<br />

erlaubte. Auch die Schule wird dadurch anders werden, aber es ist unvernünftig, sich<br />

darauf von der technischen Seite von Computer und Netz her einstellen zu wollen, etwa<br />

durch die Einführungen von informationstechnischer Grundbildung und Informatik an den<br />

Schulen.<br />

Den technischen Umgang mit Computer und Netz lernen heute die Jugendlichen<br />

wesentlich voneinander, in der peergroup. Sie sind darin in der Regel der älteren<br />

Generation, das heißt ihren Lehrern, voraus. Dieses Lernen ist spielerisch und innovativ<br />

und folgt rasch den jeweiligen technischen Innovationen. Demgegenüber muss<br />

Computerunterricht an den Schulen notwendig nach Regeln erfolgen, wird deshalb schnell<br />

24<br />

25<br />

Vgl. dazu die Ausführungen von C. Cordes und E. Miller in Fool’s Gold (op. cit. Anm. 15) Chapt 1,<br />

Healthy Children: Lessons from Research on Child Developement. Auch die Untersuchungen von J.<br />

Piaget sollte man berücksichtigen.<br />

Nico Stehr, Reiner Grundmann, Die Arbeitswelt in der Wissensgesellschaft, in: Thomas Kurtz (ed.)<br />

Aspekte des Berufs in der Moderne. Opladen: Leske u. Budrich 2001.<br />

11


veralten und jedenfalls keinen kreativen Umgang mit der Technologie erlauben. Auch<br />

Informatik, jedenfalls so, wie sie heute existiert, ist als Schulfach ungeeignet. Die Schule<br />

ist nicht dazu da, kleine Informatiker heranzubilden und, was die Maschine tut, nämlich<br />

Daten zu verarbeiten, auf theoretischer Ebene noch einmal nachzuvollziehen. Vor allem ist<br />

es unvernünftig, Kinder schon sehr früh mit dem Computer, insbesondere seiner<br />

technischen Seite, zu konfrontieren. Der Computer ist ein analytisches und algorithmisch<br />

arbeitendes Gerät. In der kindlichen Entwicklung bilden sich aber zuerst die intuitiven und<br />

gestalthaften Fähigkeiten aus. Sie müssten zunächst gefestigt sein, bevor man Kinder mit<br />

Computern konfrontiert. Es ist deshalb unvernünftig, Kinder bereits im Vorschul- oder im<br />

Grundschulalter an den Computer zu setzen.<br />

Die Wissensgesellschaft wird bestimmt durch das Vorhandensein eines gewaltigen<br />

Wissenskapitals, das in Form von Informationen technisch zugänglich ist. Die<br />

Wissensgesellschaft ist ferner dadurch bestimmt, dass die Lebenschancen des Einzelnen –<br />

von seiner gesellschaftlichen Stellung bis zu seinen Möglichkeiten von<br />

Selbstverwirklichung und Lebensvollzug – durch die Möglichkeiten, sich Wissen<br />

anzueignen, bestimmt sind. Die Wissensgesellschaft ist ferner national wie international<br />

von den Zugängen zum Wissen abhängig und nach dem Maß der Verfügung über Wissen<br />

hierarchisiert. Eine Bildungspolitik, die Kinder und Jugendliche auf diese Situation<br />

vorbereitet, muss der Unterschied von Information und Wissen, muss der Unterschied von<br />

technischer Verfügung über Information und ihrer Aneignung und Wandlung zu<br />

persönlichem Wissen betonen. Das heißt nicht, den Computer auszuschließen, sondern es<br />

heißt, von ihm einen vernünftigen Gebrauch zu machen. Dieser vernünftige Gebrauch setzt<br />

aber gerade die Stärkung klassischer Kompetenzen voraus. Damit der Computer nicht<br />

einfach als Rechengerät verwendet wird, muss der Schüler sich ein Bild von<br />

mathematischen Zusammenhängen machen können, er muss mathematische Operationen<br />

verstehen, er muss Sätze beweisen können. Damit der Computer am Netz nicht einfach<br />

bloß zum Herunterladen und Kompilieren von Texten benutzt wird, muss der Jugendliche<br />

Quellenkritik üben, er muss interpretieren können, er muss aus einer Idee einen<br />

Textzusammenhang entwickeln können. Kurz gesagt, der kompetente Gebrauch von<br />

Computer und Netz setzt gerade die Entwicklung der klassischen <strong>Kulturtechnik</strong>en<br />

Rechnen, Lesen und Schreiben in einem emphatischen Sinne voraus. 26 Vernünftiges<br />

Verhalten ist auch in der Bildungspolitik wie in anderen Bereichen nicht ohne ein gewisses<br />

26<br />

Dazu G. Böhme, Bildung als Widerstand, in: Die ZEIT 16.9.1999; Antizyklisch denken, in: Aargauer<br />

Zeitung 29.4.2000; Heike Schmoll, Nur wer lesen kann, wird den Computer beherrschen, in: FAZ<br />

22.4.2001; Wer klassisch gebildet ist, surft besser, in: Badische Zeitung 5.10.2000.<br />

12


Maß an Distanz und Bereitschaft zum Widerstand zu haben. Gerade wenn man die Fakten<br />

der Wissensgesellschaft anerkennt und die Jugendlichen darauf vorbereiten will, dann ist<br />

es nicht vernünftig, sich schlicht ihren Trends zu überlassen, denn die heißen:<br />

Umwandlung des Bildungssektors zum kapitalintensiven Betrieb, Technisierung des<br />

Umgangs mit Wissen und Abhängigkeit des Einzelnen von der informationstechnischen<br />

Versorgung.<br />

13

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!