Das ganze Heft als PDF-Datei - Zeitschrift für Umweltrecht - Nomos
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ZUR<br />
<strong>Zeitschrift</strong> für <strong>Umweltrecht</strong><br />
<strong>Das</strong> Forum für<br />
Umwelt- und<br />
Planungsrecht<br />
Immissionsschutz ■ Naturschutz ■ Klimaschutz ■ Bodenschutz ■ Gentechnik<br />
Energiewirtschaft ■ Abfallwirtschaft ■ Gewässerschutz ■ Chemikaliensicherheit<br />
Herausgeber<br />
Verein für <strong>Umweltrecht</strong> e.V.<br />
in Verbindung mit:<br />
Prof. Dr. Martin Beckmann<br />
Siegfried Breier<br />
Prof. Dr. Matthias Dombert<br />
Dr. Günther-Michael Knopp<br />
Prof. Dr. Hans-Joachim Koch<br />
Prof. Dr. Gertrude Lübbe-Wolff<br />
Dr. Frank Petersen<br />
Dr. Renate Phillip<br />
Michael Sauthoff<br />
Prof. Dr. Reinhard Sparwasser<br />
Prof. Dr. Michael Uechtritz<br />
Prof. Dr. Ludger-Anselm Versteyl<br />
Prof. Dr. Andreas Voßkuhle<br />
Prof. Dr. Gerd Winter<br />
Aus dem Inhalt<br />
Aufsätze<br />
Arno Scherzberg,<br />
Risikomanagement vor der WTO 1<br />
Martin Beckmann/Joachim Hagmann,<br />
Stilllegung, Rekultivierung und Nachsorge<br />
von Deponien 9<br />
Hans-Joachim Koch/Cornelia Ziehm,<br />
Schiffssicherheit und Meeresumweltschutz 16<br />
Rechtsprechung<br />
Keine einstweilige Anordnung gegen gesetzliche Pflicht<br />
zur Teilnahme am Emissionshandel, VG Karlsruhe 22<br />
Mit einer Anmerkung von Uwe Neuser 26<br />
Festlegung von Flugrouten, BVerwG 27<br />
Fluglärm – Fehlerhafte Abwägung von<br />
Spitzenpegelbelastungen, OVG Brandenburg 33<br />
Airbus-Erweiterung, OVG Hamburg 38<br />
Gesetzgebung<br />
Josef Falke,<br />
Neueste Entwicklungen im Europäischen<br />
<strong>Umweltrecht</strong> 46<br />
1/2005<br />
Jahrgang 16 · Seiten 1– 56 · E 10882<br />
Rechtsprechung in Leitsätzen<br />
Tagungsberichte, Buchrezension<br />
<strong>Zeitschrift</strong>enschau, Termine<br />
<strong>Nomos</strong>
Angela Dageförde-Reuter<br />
Umweltschutz durch<br />
öffentliche Auftragsvergabe<br />
Nicht zuletzt aufgrund der Novellierung der EG-Vergaberichtlinien<br />
wird der Handhabung des öffentlichen Auftragswesens<br />
zum Zwecke des Umweltschutzes derzeit besondere<br />
Aufmerksamkeit zuteil. Dieser Band der Berliner<br />
<strong>Umweltrecht</strong>lichen Schriften stellt die Rechtsnormen zusammen,<br />
die von öffentlichen Auftraggebern bei der Beschaffungstätigkeit<br />
einzuhalten sind und zeigt Möglichkeiten<br />
auf, wie Umweltaspekte in rechtlich zulässiger Weise<br />
in das Vergabeverfahren einfließen können. Ein Schwerpunkt<br />
liegt auf dem Umgang mit Bietern, die über ein zertifiziertes<br />
Umweltmanagement verfügen. <strong>Das</strong> neue, Ende<br />
April 2004 in Kraft getretene europäische Vergaberecht<br />
wird dabei durchgehend berücksichtigt.<br />
Angela Dageförde-Reuter<br />
Umweltschutz durch öffentliche Auftragsvergabe (Diss.)<br />
Band 4 · Berliner <strong>Umweltrecht</strong>liche Schriften · Berlin 2004<br />
337 Seiten · € 43,– · ISBN 3-936232-23-7<br />
Haedrich/Kotulla (Hrsg.)<br />
Berliner <strong>Umweltrecht</strong>liche Schriften<br />
Ebenfalls sind in dieser Reihe erschienen:<br />
Florian Kirchhof<br />
Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung (Diss.)<br />
Band 1 · Berliner <strong>Umweltrecht</strong>liche Schriften · Berlin 2003 · 293 Seiten · € 41,– · ISBN 3-936232-06-7<br />
Jochen Kerkmann<br />
Natura 2000: Verfahren und Rechtsschutz im Rahmen der FFH-Richtlinie (Diss.)<br />
Band 5 · Berliner <strong>Umweltrecht</strong>liche Schriften · Berlin 2004 · 316 Seiten · € 42,– · ISBN 3-936232-24-5<br />
Tankred Schuhmann<br />
Wissenschaftliche-technische Standards im britischen Umwelt- und Technikrecht (Diss.)<br />
Band 2 · Berliner <strong>Umweltrecht</strong>liche Schriften · Berlin 2003 · 330 Seiten · € 41,– · ISBN 3-936232-07-5<br />
Andrea Menz<br />
Gesellschaftsrechtliche Haftung im Regime der Gefahrenabwehr (Diss.)<br />
Band 6 · Berliner <strong>Umweltrecht</strong>liche Schriften · Berlin 2004 · 192 Seiten · € 39,– · ISBN 3-936232-26-1<br />
Christian Schimansky<br />
Die Problematik des Freiflächenverbrauchs in Deutschland (Diss.)<br />
Band 3 · Berliner <strong>Umweltrecht</strong>liche Schriften · Berlin 2003· 262 Seiten · € 43,– · ISBN 3-936232-08-3<br />
Bitte bestellen Sie im Buchhandel oder beim Lexxion Verlag,<br />
Lützowstraße 102–104, 10785 Berlin, Tel.: 030-81 45 06-0, Fax: 030-81 45 06-22, bestellung@lexxion.de
EDITORIAL<br />
EDITORIAL<br />
Verehrte ZUR-Leser,<br />
die ZUR, das Forum für Umwelt- und Planungsrecht, erscheint<br />
im 16. Jahrgang erstm<strong>als</strong> <strong>als</strong> Monatszeitschrift<br />
mit 11 Ausgaben im Jahr und einem deutlich erweiterten<br />
Umfang. Verlag und Schriftleitung tragen damit den<br />
gestiegenen Informationsbedürfnissen von Praxis und Wissenschaft<br />
im <strong>Umweltrecht</strong> Rechnung und unterstreichen<br />
ihren Anspruch, die führende <strong>Umweltrecht</strong>szeitschrift herauszubringen.<br />
Die neue ZUR wird an Bewährtem festhalten und ihr Profil<br />
schärfen. Geplant sind weiterhin pro Jahr drei bis vier<br />
Schwerpunkthefte zu einzelnen Themen des <strong>Umweltrecht</strong>s.<br />
Im laufenden Jahr sollen Themen, wie etwa die<br />
Umweltaspekte der beabsichtigten Föderalismusreform, die<br />
Fortentwicklung des FFH-Rechts oder die weitere Implementation<br />
der Wasserrahmen-Richtlinie behandelt werden.<br />
Der größere Umfang ermöglicht es uns, intensiver <strong>als</strong> bisher<br />
die Vielfalt der umweltrechtlichen Entwicklung zu begleiten<br />
und die Rechtsprechung noch vollständiger und aktueller<br />
zu dokumentieren. Den Einwirkungen durch das<br />
europäische und das internationale Recht sowie vielfältige<br />
Verzahnungen mit anderen Fachrechten, wie dem Bauleitplanungs-,<br />
dem Fachplanungs- oder dem Energiewirtschaftsrecht,<br />
gilt dabei ganz besondere Aufmerksamkeit.<br />
Anmerkungen und Praxishinweise zu ausgewählten Entscheidungen<br />
helfen dem praktisch tätigen Umweltjuristen<br />
bei seiner tagtäglichen Arbeit. Der umfangreiche Serviceteil<br />
wird weiterhin die gesetzgeberischen Aktivitäten und die<br />
wissenschaftlichen Entwicklungen im <strong>Umweltrecht</strong> dokumentieren.<br />
Die ZUR dient zwar primär der umweltrechtlichen Praxis,<br />
was jedoch grundsätzliche reflektierende wissenschaftliche<br />
Beiträge keineswegs ausschließt. Diese Konzeption wird<br />
auch im vorliegenden <strong>Heft</strong> deutlich. So befasst sich Prof.<br />
Dr. Arno Scherzberg mit dem Spannungsfeld zwischen<br />
nationaler bzw. europäischer Vorsorgepolitik und WTO-<br />
Recht, einem besonders brisanten Thema des internationalen<br />
Wirtschaftsrechts. Im Anschluss daran greifen<br />
Prof. Dr. Martin Beckmann und Dr. Joachim Hagmann,<br />
Rechtsanwälte in Münster, mit der »Stilllegung von<br />
Deponien« ein für die Vollzugs- und Beratungspraxis<br />
außerordentlich bedeutsames Thema auf. Prof. Dr. Hans-<br />
Joachim Koch, Vorsitzender des Rates von Sachverständigen<br />
für Umweltfragen, und Dr. Cornelia Ziehm<br />
widmen ihren Beitrag »Meeresumweltschutz und Schiffssicherheit«<br />
einem ebenfalls hochaktuellen Thema, das auf-<br />
grund seiner rechtlichen Komplexität für Wissenschaft und<br />
Praxis gleichermaßen von Interesse ist.<br />
Schließlich kommentiert Dr. Uwe Neuser, Rechtsanwalt<br />
in Berlin, im Anmerkungsteil eine der ersten verwaltungsgerichtlichen<br />
Entscheidungen zum neuen Emissionshandelsrecht.<br />
Die Kombination von größtmöglicher Aktualität, zuverlässiger<br />
Berichterstattung über die wesentlichen Entwicklungen<br />
im <strong>Umweltrecht</strong> sowie wissenschaflicher Gründlichkeit<br />
mit engagierten Standpunkten kennzeichnen das<br />
Programm und die Konzeption der ZUR.<br />
Garant für die Umsetzung dieses Programms ist eine<br />
dreiköpfige Schriftleitung, die mit 13 Fachredakteuren,<br />
durchweg erfahrene wissenschaftlich und praktisch arbeitende<br />
<strong>Umweltrecht</strong>ler, eng zusammenarbeitet. Durch diese<br />
redaktionelle Arbeit wird sichergestellt, dass die Entscheidungen<br />
über den Inhalt der einzelnen <strong>Heft</strong>e auf der Grundlage<br />
bestmöglicher sachverständiger Informationen über<br />
Entwicklungen im <strong>Umweltrecht</strong> getroffen werden können.<br />
Fachlich unterstützt werden Schriftleitung und Redaktion<br />
seit dem nun laufenden 16. Jahrgang von renommierten,<br />
fachlich hervorragend ausgewiesenen persönlichen Herausgebern<br />
aus Wissenschaft, Verwaltung, Anwaltschaft<br />
und Richterschaft, die zum Gründungsherausgeber, dem<br />
Verein für <strong>Umweltrecht</strong>, hinzutreten und die gesamte berufliche<br />
Spannbreite der mit <strong>Umweltrecht</strong> befassten Juristen<br />
widerspiegeln.<br />
<strong>Nomos</strong>-Verlagsgesellschaft<br />
mbH & Co.KG, Baden-Baden<br />
Schriftleitung ZUR<br />
ZUR 1/2005 | I
Die europäische Perspektive des <strong>Umweltrecht</strong>s<br />
Epiney<br />
UMWELTRECHT<br />
in der Europäischen Union<br />
Primärrechtliche Grundlagen<br />
Gemeinschaftliches Sekundärrecht<br />
<strong>Umweltrecht</strong>liche und umweltpolitische Problemstellungen mit<br />
ihren grenzüberschreitenden Implikationen und Herausforderungen<br />
nehmen stetig an Bedeutung zu. Hierbei spielt das<br />
gemeinschaftliche <strong>Umweltrecht</strong> eine immer größere Rolle. Daher<br />
ist die Kenntnis des europäischen <strong>Umweltrecht</strong>s unabdingbare<br />
Voraussetzung, um die Rückwirkungen auf das nationale Recht<br />
erfassen zu können.<br />
In diesem Sinne behandelt das vorliegende Fachbuch das in der<br />
Europäischen Union geltende und das durch die Europäische<br />
Gemeinschaft erlassene <strong>Umweltrecht</strong>. Es gibt damit eine<br />
zusammenfassende Sicht der europarechtlichen Vorgaben und<br />
der damit entstehenden nationalen Umsetzungs- und Durchführungsprobleme.<br />
Dabei werden im 1. Teil des Werkes die primärrechtlichen<br />
Grundlagen erläutert, während der 2. Teil das<br />
gemeinschaftliche Sekundärrecht darstellt.<br />
258-04 / Angebotsstand: 12-2004 / 4. / Carl Heymanns Verlag KG, 50926 Köln / AG Köln HRA 3666<br />
Dieses präzise Praxiswissen im EU-<strong>Umweltrecht</strong> ist eine wichtige<br />
Arbeitshilfe für Fachanwälte, nationale und internationale Umweltbehörden<br />
und –verbände, sowie universitäre und private<br />
Forschungseinrichtungen. Darüber hinaus kommt das Buch <strong>als</strong><br />
kompetente Informationsquelle für das Umweltmanagement<br />
gewerblicher Betriebe und Umweltbetriebsprüfer zum Einsatz.<br />
AUSDER BESPRECHUNGEN DER VORAUFLAGE<br />
„Insgesamt handelt es sich um ein sehr empfehlenswertes<br />
Buch, das nicht nur den Spezialisten des Europarechts und<br />
europäischen <strong>Umweltrecht</strong>s, sondern fast jeden nationalen<br />
<strong>Umweltrecht</strong>ler aus Theorie und Praxis interessieren sollte.“<br />
Prof. Dr. E. Rehbinder, in: Deutsches Verwaltungsblatt<br />
Carl Heymanns Verlag<br />
Von Professorin Dr. Astrid Epiney<br />
2., neu bearbeitete Auflage<br />
2005. Etwa 468 Seiten.<br />
Kartoniert ca. e 58,-<br />
ISBN 3-452-25873-4<br />
In Vorbereitung für Januar 2005<br />
Bestellen Sie in Ihrer Buchhandlung<br />
oder bei Carl Heymanns Verlag KG, 50926 Köln<br />
Fax 0221/94373-502, E-Mail: bestellung@heymanns.com<br />
www.heymanns.com
INHALT<br />
Schriftleitung<br />
Prof. Dr. Wolfgang Köck (V.i.S.d.P.)<br />
UFZ – Umweltforschungszentrum Leipzig-Halle<br />
GmbH<br />
Universität Leipzig<br />
Dr. Moritz Reese<br />
Rat von Sachverständigen für Umweltfragen,<br />
Berlin<br />
Dr. Sabine Schlacke<br />
Universität Rostock<br />
Redaktionsadresse:<br />
Verein für <strong>Umweltrecht</strong> e.V.<br />
Große Fischerstr. 5 c 28195 Bremen<br />
Tel. 0421/33 54 143<br />
Fax: 0421/33 54 141<br />
E-Mail: zur-bremen@t-online.de<br />
Redaktion:<br />
Dr. Peter Beyer<br />
Rechtsanwalt, Ecologic, Berlin<br />
Prof. Dr. Christian Calliess<br />
Universität Göttingen<br />
Prof. Dr. Andreas Fisahn<br />
Universität Bielefeld<br />
Dr. Harald Ginzky<br />
Umweltbundesamt<br />
Carola Glinski<br />
Universität Bremen<br />
Dr. Ekkehard Hofmann<br />
Universität Hamburg<br />
Dr. Malte Kohls<br />
Rechtsanwalt, Hamburg<br />
Stefan Kopp-Assenmacher<br />
Rechtsanwalt, Potsdam<br />
Dr. Silke R. Laskowski<br />
Universität Hamburg<br />
Christian Maaß, MdHB<br />
Vorsitzender des Umweltausschusses<br />
der Hamburgischen Bürgerschaft,<br />
Hamburg<br />
Dr. Peter Schütte<br />
Rechtsanwalt, Hamburg<br />
Prof. Dr. Bernhard W. Wegener<br />
Universität Erlangen<br />
Dr. Cornelia Ziehm<br />
Rat von Sachverständigen für Umweltfragen,<br />
Hamburg<br />
Verlag:<br />
<strong>Nomos</strong>-Verlagsgesellschaft<br />
Waldseestr. 3-5 c 76520 Baden-Baden<br />
Telefon (07221) 2104-0<br />
Fax: (07221) 2104-27<br />
<strong>Zeitschrift</strong> für<br />
<strong>Umweltrecht</strong><br />
<strong>Das</strong> Forum für Umwelt und Recht<br />
16. Jahrgang, S. 1- 56<br />
ZUR 1/2005<br />
AUFSÄTZE<br />
Risikomanagement vor der WTO<br />
zum jüngsten Handelsstreit zwischen der<br />
Europäischen Union und den Vereinigten<br />
Staaten über den Umgang mit gentechnisch<br />
veränderten Organismen<br />
Arno Scherzberg 1<br />
Stilllegung, Rekultivierung und<br />
Nachsorge von Deponien<br />
Abfallrechtliche und bodenschutzrechtliche<br />
Anforderungen<br />
Martin Beckmann/Joachim Hagmann 9<br />
Schiffssicherheit und<br />
Meeresumweltschutz<br />
Hans-Joachim Koch/Cornelia Ziehm 16<br />
RECHTSPRECHUNG<br />
VG Karlsruhe<br />
Keine einstweilige Anordnung gegen<br />
gesetzliche Pflicht zur Teilnahme<br />
am Emissionshandel<br />
Beschluss vom 18. Oktober 2004<br />
– 10 K 2205/04 – nicht rechtskräftig – 22<br />
Mit einer Anmerkung von<br />
Uwe Neuser 26<br />
BVerwG<br />
Festlegung von Flugrouten<br />
Urteil vom 24. Juni 2004<br />
– 4 C 11.03 27<br />
OVG Brandenburg<br />
Fluglärm – Fehlerhafte Abwägung von<br />
Spitzenpegelbelastungen<br />
Urteil vom 9. Juni 2004<br />
– 3 D 29/01.AK 33<br />
OVG Hamburg<br />
Airbus-Erweiterung<br />
Beschluss vom 9. August 2004<br />
– 2 Bs 300/04 38<br />
Rechtsprechung in Leitsätzen 45<br />
GESETZGEBUNG<br />
Neueste Entwicklungen im Europäischen<br />
<strong>Umweltrecht</strong><br />
Josef Falke 46<br />
TAGUNGSBERICHTE<br />
Reduzierung der Flächeninanspruchnahme<br />
durch lokale und regionale<br />
Flächenressourcenbewirtschaftung –<br />
Rechtliche und institutionelle Handlungsbedingungen,<br />
Fachtagung<br />
25. und 26. Oktober 2004 im UFZ-Umweltforschungszentrum<br />
Leipzig-Halle<br />
Jana Bovet 49<br />
Gute fachliche Praxis – Zur Standardisierung<br />
von Verhalten<br />
Ein Bericht zur Tagung an der Universität<br />
Lüneburg am 24. Juni 2004<br />
Jannes Fröhlich 52<br />
Buchrezension<br />
Schumacher, Jochen/Fischer-Hüftle,<br />
Peter: Bundesnaturschutzgesetz –<br />
Kommentar 2003<br />
Peter Kersandt 54<br />
RUBRIKEN<br />
ZEITSCHRIFTENSCHAU 55<br />
TERMINE/NACHRICHTEN<br />
Vorschau auf <strong>Heft</strong> 2/2005<br />
Vorgesehen sind u.a.<br />
Abfallerzeuger und -besitzer nach<br />
deutschem und europäischem<br />
Recht<br />
Walter Frenz<br />
Ist unausgekofferter kontaminierter<br />
Boden Abfall<br />
Christoph Riese/Nora Karsten<br />
Beilagenhinweis: Dieser Ausgabe liegt ein Prospekt des C.H. Beck Verlags bei.<br />
Wir bitten freundlichst um Beachtung.<br />
VI<br />
ZUR 1/2005 | III
Europäische Zertifikatshandelssysteme<br />
im Vergleich<br />
Seit weniger <strong>als</strong> einem Jahrzehnt haben einige europäische<br />
Länder ihre Palette an Fördermechanismen für regenerative<br />
Energien um ein neues Instrument – die sogenannten<br />
quotengestützten Zertifikatshandelssysteme – ergänzt<br />
(Belgien, Großbritannien, Italien und Schweden); andere<br />
europäische Staaten haben entsprechende Pläne eingeleitet<br />
und vorläufig zurückgestellt (Dänemark) bzw. sogar bereits<br />
wieder abgeschafft (Österreich). Die Niederlande operierten<br />
zwischen 1998 und 2003 mit verschiedenen<br />
Zertifikatssystemen und entschieden sich zuletzt für ein<br />
vergleichbares System handelbarer Herkunftsnachweise.<br />
Schriftenreihe<br />
Richard-E. Himmer<br />
Energiezertifikate<br />
in den Mitgliedstaaten<br />
der Europäischen Union<br />
Eine rechtsvergleichende und europarechtliche Analyse<br />
quotengestützter Zertifikatshandelssysteme<br />
zur Förderung erneuerbarer Energien<br />
14<br />
<strong>Das</strong> vergleichsweise neue Förderinstrument der Zertifikatssysteme<br />
ist bislang nur in der ökonomischen Literatur<br />
erforscht und dort weitgehend etabliert; eine umfassende<br />
rechtswissenschaftliche Untersuchung fehlt indes<br />
gegenwärtig. Der vorliegende Band schließt diese Lücke: Er<br />
stellt die Regelungen über die Zertifikatshandelssysteme in<br />
den verschiedenen EU-Mitgliedstaaten rechtsvergleichend<br />
dar und untersucht sie auf ihre Vereinbarkeit mit dem<br />
Gemeinschaftsrecht.<br />
<strong>Nomos</strong><br />
Energiezertifikate in den<br />
Mitgliedstaaten der<br />
Europäischen Union<br />
Eine rechtsvergleichende und<br />
europarechtliche Analyse<br />
quotengestützter<br />
Zertifikatshandelssysteme zur<br />
Förderung erneuerbarer Energien<br />
Von Richard-E. Himmer<br />
2004, 518 S., brosch., 98,– €,<br />
ISBN 3-8329-1016-6<br />
(Schriftenreihe Institut für Energieund<br />
Wettbewerbsrecht in der<br />
Kommunalen Wirtschaft e.V. an der<br />
Humboldt-Universität zu Berlin,<br />
Bd. 14)<br />
<strong>Nomos</strong><br />
Bitte bestellen Sie bei Ihrer<br />
Buchhandlung oder bei:<br />
<strong>Nomos</strong>Verlagsgesellschaft<br />
76520 Baden-Baden<br />
Telefon 0 72 21/21 04-37/-38<br />
Telefax 0 72 21/21 04-43<br />
sabine.horn@nomos.de<br />
www.nomos.de
ZUR<br />
<strong>Das</strong> Forum für Umwelt- und Planungsrecht<br />
<strong>Zeitschrift</strong> für<br />
<strong>Umweltrecht</strong><br />
Herausgeber:<br />
Verein für <strong>Umweltrecht</strong> e.V.<br />
Prof. Dr. Martin Beckmann, Rechtsanwalt, Münster; Siegfried Breier, EU-Kommission,<br />
Brüssel; Prof. Dr. Matthias Dombert, Rechtsanwalt, Potsdam; Dr. Günther-Michael<br />
Knopp, Ministerialrat, Umweltministerium München; Prof. Dr. Hans-Joachim Koch,<br />
Universität Hamburg; Prof. Dr. Gertrude Lübbe-Wolff, Richterin des Bundesverfassungsgerichts,<br />
Karlsruhe; Dr. Frank Petersen, Ministerialrat, Bundesministerium für Umwelt,<br />
Naturschutz und Reaktorsicherheit, Bonn; Dr. Renate Phillip, Richterin am Bundesverwaltungsgericht,<br />
Leipzig; Michael Sauthoff, Vizepräsident des Oberverwaltungsgerichts<br />
Greifswald; Prof. Dr. Reinhard Sparwasser, Rechtsanwalt, Freiburg; Prof. Dr. Michael<br />
Uechtritz, Rechtsanwalt, Stuttgart; Prof. Dr. Ludger-Anselm Versteyl, Rechtsanwalt, Hannover;<br />
Prof. Dr. Andreas Voßkuhle, Universität Freiburg; Prof. Dr. Gerd Winter, Universität<br />
Bremen<br />
Schriftleitung: Prof. Dr. Wolfgang Köck, Dr. Moritz Reese, Dr. Sabine Schlacke<br />
1/2005<br />
16. Jahrgang • Seiten 1- 56<br />
AUFSÄTZE<br />
Arno Scherzberg<br />
Risikomanagement vor der WTO<br />
zum jüngsten Handelsstreit zwischen der Europäischen Union<br />
und den Vereinigten Staaten über den Umgang mit gentechnisch<br />
veränderten Organismen<br />
Beim Anbau von Nutzpflanzen kommen weltweit immer mehr genetisch<br />
veränderte Organismen (GVO) zum Einsatz. So werden heute bereits<br />
51 % der Sojabohnen, 12 % der Baumwolle, 9% des Mais und ein geringerer<br />
Anteil weiterer Produkte aus transgenem Saatgut erzeugt. 1 Die<br />
Anbauflächen befinden sich bislang zu 99% in den USA, China, Argentinien<br />
und Kanada. 2<br />
Die Qualität und die Eintrittswahrscheinlichkeit von Neben- und Folgewirkungen<br />
dieses massenhaften Einsatzes der Gentechnik sind derzeit<br />
noch nicht umfassend erforscht und deshalb nicht sicher abschätzbar.<br />
Daher ist auch die Abwägung zwischen Risiken und Nutzen schwierig<br />
zu treffen. <strong>Das</strong> Vorsorgeprinzip ist ein weltweit geläufiger, wenn auch<br />
nicht unumstrittener Ansatz, um mit derartigen Unsicherheiten umzugehen.<br />
Um seine Anwendung geht es auch in dem seit mehreren Jahren<br />
geführten Streit um die Zulassung gentechnisch veränderten Saatgutes<br />
auf dem Gebiet der EU, der auf Antrag der USA jüngst in der Eröffnung<br />
eines Streitschlichtungsverfahrens im Rahmen der WTO gipfelte.<br />
Der Streit beruht, wie im Folgenden argumentiert wird, weniger auf<br />
gegensätzlichen Auffassungen über die Anerkennung des Vorsorgeprinzips<br />
<strong>als</strong> vielmehr auf unterschiedlichen Konzepten zur Ausgestaltung<br />
der Vorsorge. Diese weisen auf unterschiedliche kulturelle Präferenzen<br />
im Umgang mit dem Risiko hin. Vergegenwärtigt man sich, dass das<br />
Verständnis und die Verarbeitung von Risiken in einer Gesellschaft<br />
maßgeblich von kulturellen Faktoren geprägt sind, es sich bei Differenzen<br />
in der Art der Risikoverarbeitung <strong>als</strong>o um kulturelle Differenzen<br />
handelt, wird fraglich, ob und wie diese nach den allein auf wirtschaftspolitische<br />
Ziele gerichteten Vorgaben der WTO angemessen<br />
gelöst werden können. Nachfolgend wird vorgeschlagen, dass die WTO<br />
die kulturelle Bedingtheit des Umgangs mit Risiken respektiert und diesen<br />
Umstand in ihr Rechtssystem integriert.<br />
A. Die Grundlagen des Handelsstreits<br />
I. Nutzen und Risiken der GVO<br />
Wird einem Organismus ein bestimmtes, aus einem anderen Organismus<br />
stammendes Gen übertragen, erhält er damit die mit<br />
* Übersetzte, teilweise erweiterte und mit Fußnoten versehene Fassung eines<br />
Vortrags, den der Verfasser im August 2004 beim Oxford Round Table in der<br />
Oxford Union gehalten hat. Meinem Mitarbeiter Dr. Stephan Meyer danke<br />
ich für umfangreiche Vorbereitungsarbeiten.<br />
1 First Submission of the US (WT/DS 291, 292 and 293), 11; Bundesministerium<br />
für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (BMVEL), Diskurs<br />
Grüne Gentechnik, 2003, S. 6.<br />
2 BMVEL (o. Fn. 1), S. 6-7.<br />
ZUR 1/2005 | 1
AUFSÄTZE | Scherzberg, Risikomanagement vor der WTO<br />
diesem Gen verknüpften Eigenschaften des fremden Organismus.<br />
Anders <strong>als</strong> bei Züchtungen und spontanen Mutationen kann dabei<br />
die Artenschranke überschritten werden und lassen sich nahezu<br />
unbegrenzte Rekombinationen von Erbmaterial denken. Entsprechend<br />
vielfältig sind die von gentechnischen Verfahren erwarteten<br />
Nutzen. Die landwirtschaftliche Produktion kann<br />
gesteigert, die Verwendung von Insektiziden reduziert werden. Die<br />
Widerstandsfähigkeit gegen Herbizide und Viren lässt sich erhöhen<br />
und der Nährwert verbessern. 3<br />
Andererseits werden eine Reihe von nachteiligen Effekten befürchtet.<br />
Wechselwirkungen der GVO mit ihrer Umwelt könnten<br />
die Eigenschaften GVO-basierter Erzeugnisse in unvorhersehbarer<br />
Weise verändern. 4 Wird die Widerstandsfähigkeit gegenüber Herbiziden<br />
etwa auf Unkraut übertragen, könnte dies das Ziel des<br />
Pflanzenschutzes nachgerade konterkarieren. 5 Eine unkontrollierte<br />
Ausbreitung besonders gut angepaßter GVO könnte die Zusammensetzung<br />
der Pflanzenpopulationen verändern und etwa virusresistenten<br />
Arten Dominanz verschaffen. 6 Giftstoffe, welche <strong>als</strong><br />
genetisch eingebaute Insektizide dienen, könnten eine unerwartete<br />
Art der Toxizität entwickeln. 7 Genetische Modifikationen können<br />
auch Allergien auslösen. 8 Schließlich macht der weltweite Einsatz<br />
ähnlicher Arten von GVO diese verwundbar gegenüber neuen<br />
Schädlingen oder Krankheiten, wodurch die Lebensmittelversorgung<br />
der Menschheit insgesamt in Gefahr geraten könnte. 9 Die<br />
wissenschaftliche Haltbarkeit dieser Gefahrenhypothesen ist umstritten.<br />
Während die EU eine unentschiedene Beweislage annimmt,<br />
behaupten die USA einen »proven safety record«. 10<br />
II. Die streitentscheidenden Normen<br />
Im aktuellen Streitschlichtungsverfahren werfen die Vereinigten<br />
Staaten der EU vor, sie hätte die Zulassung gentechnisch veränderter<br />
Produkte seit Oktober 1998 suspendiert. 11 Dieses Moratorium<br />
sei unvereinbar mit den Bestimmungen des Welthandelsrechts.<br />
Verletzt seien insbesondere die Vorschriften des WTO-Übereinkommens<br />
über die Anwendung gesundheitspolizeilicher und<br />
pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen, 12 auf die sich die folgenden<br />
Ausführungen beschränken.<br />
Nach Art. 2.1 SPS dürfen die Mitglieder notwendige Maßnahmen<br />
zum Schutze menschlichen, pflanzlichen oder tierischen Lebens<br />
bzw. der Gesundheit treffen. Gem. Art. 2.2, 3.3 und 5 SPS mit Anhang<br />
A darf jedes Mitglied dazu sein eigenes Schutzniveau festlegen<br />
und solche Schutzmaßnahmen vorsehen, die aus Sicht einer<br />
wissenschaftlichen Risikobewertung zur Erreichung des Schutzniveaus<br />
notwendig erscheinen. Dabei darf das Schutzniveau dasjenige<br />
der internationalen Standards übersteigen. Die Maßnahmen<br />
dürfen gem. Art. 2.3 SPS aber nicht zu willkürlichen oder ungerechtfertigten<br />
Unterschieden zwischen Mitgliedern führen oder<br />
verschleierte Beschränkungen für den Welthandel bewirken. Sofern<br />
wissenschaftliche Nachweise unzureichend sind, dürfen gem.<br />
Art. 5.7 vorläufige Maßnahmen getroffen werden, sofern die Mitglieder<br />
sich bemühen, zusätzliche Informationen zu gewinnen,<br />
und die Maßnahmen innerhalb eines angemessenen Zeitraumes<br />
überprüfen. Gem. Art. 8 i.V.m. Anhang C sind Kontroll-, Inspektions-<br />
und Genehmigungsverfahren so rasch wie möglich abzuschließen.<br />
III. Die Streitfrage<br />
Die Vereinigten Staaten sind der Auffassung, das Moratorium sei<br />
eine Schutzmaßnahme, für die wissenschaftliche Grundlagen im<br />
Sinne der Art. 2.2, 3.3 und 5 SPS fehlen. Vor allem habe die EU keine<br />
Risikobewertung vorgelegt, welche ihre Maßnahmen tragen<br />
könnte. Hierdurch verletze sie Art. 5.1 SPS.<br />
Die EU hingegen behauptet, es habe kein Moratorium gegeben.<br />
Die Antragsverfahren hätten sich vielmehr aufgrund zusätzlichen<br />
Informationsbedarfs der Genehmigungsbehörden verzögert. 13 Diese<br />
Einlassung ist allerdings in rechtstatsächlicher Hinsicht nicht<br />
überzeugend: fehlende Antragsdaten allein können einen mehrjährigen<br />
faktischen Zulassungsstopp in einer Mehrzahl von Verfahren<br />
nicht befriedigend erklären. Gegen die Behauptung der EU<br />
spricht auch eine zeitliche Koinzidenz: die Genehmigungsverfahren<br />
blieben gerade so lange unbeschieden, bis die zeitgleich betriebene<br />
Überarbeitung der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen<br />
zum Umgang mit GVO abgeschlossen war. 14<br />
Es liegt deshalb nahe, den von den USA im Streitschlichtungsverfahren<br />
der WTO monierten Stillstand der Genehmigungsverfahren<br />
auf das Ziel der Reform des gemeinschaftlichen Regelungswerks zum<br />
Gentechnikrecht zu beziehen: das Vertrauen von Verbrauchern und<br />
der Öffentlichkeit in die Verwendung von GVO wiederherzustellen,<br />
das Potential der Biotechnologie wieder nutzbar zu machen und die<br />
Abwanderung von Forschern in diesem Bereich zu stoppen. 15 Nicht<br />
zuletzt die Kommission selbst hat an anderer Stelle eingeräumt, dass<br />
es bei ihrer Zurückhaltung bei der Genehmigung der Markteinführung<br />
und Freisetzung von GVO-Produkten um einen angemessenen<br />
Umgang mit den Sorgen der Verbraucher ging. 16<br />
Daher ist die für den Ausgang des Streitschlichtungsverfahrens<br />
entscheidende Frage nicht die nach der Existenz eines Moratoriums.<br />
Streitentscheidend wird vielmehr sein, ob die EU nach den<br />
Vorgaben der WTO rechtlich gehindert war, die im Raum der Gemeinschaft<br />
spürbare öffentliche Besorgnis gegenüber den Risiken<br />
der Gentechnik bei ihren Entscheidungen in Rechnung zu stellen,<br />
das gemeinschaftsrechtliche Regelwerk darauf einzustellen und anhängige<br />
Anträge bis zum Abschluss der Reform zurückzustellen.<br />
Um diese Frage zu beantworten, bedarf es einer näheren Betrachtung<br />
der Aufgabe, welche sich den Gemeinschaftsorganen stellte:<br />
die Wahl von geeigneten Mitteln des Risikomanagements.<br />
B. Risiko und Risikomanagement<br />
I. Begriffliche Klärungen<br />
In der Entscheidungstheorie bezieht sich der Risikobegriff üblicherweise<br />
auf den Erwartungswert eines (bestimmten) Schadens.<br />
3 First Submission of the US (o. Fn. 1), 7-8; BMVEL (o. Fn. 1), passim; Rat von Sachverständigen<br />
für Umweltfragen (Rat), Umweltgutachten 2004, Abs. 846.<br />
4 Rat (o. Fn. 3), Abs. 881.<br />
5 Bartsch, in: T. Potthast, Ökologische Schäden – begriffliche, methodologische<br />
und ethische Aspekte, Reihe »Theorie in der Ökologie«, Band 10, 2004 (i. E., Seitenzahlen<br />
beziehen sich auf Manuskript), S. 5; Rat (o. Fn. 3), Abs. 882; Wissenschaftlicher<br />
Beirat der Bundesregierung Globale Veränderungen (WBGU), Welt<br />
im Wandel: Strategien zur Bewältigung globaler Umweltrisiken, 1999, S. 114.<br />
6 WBGU (o. Fn.5 ), S. 78, 110, 115.<br />
7 WBGU (o. Fn. 5), S. 115.<br />
8 WBGU (o. Fn. 5), S. 80.<br />
9 WBGU (o. Fn. 5), S. 80, 114. Ein derartiger Vorfall ereignete sich bereits 1970,<br />
<strong>als</strong> ein Hochleistungsgetreide – entstanden durch klassische Züchtung – von<br />
einer zuvor harmlosen Pilzerkrankung zum großen Teil zerstört wurde.<br />
10 First Submission of the US (o. Fn. 1), 9; siehe auch Robertson, in:<br />
Kellow/Robertson, Globalization and the Environment, 2001, S. 206 (207-<br />
212).<br />
11 First Submission of the US (o. Fn. 1), 9; siehe auch Robertson (o. Fn. 10),<br />
S. 207-212.<br />
12 WTO Agreement on the Application of Sanitary and Phytosanitary Measures,<br />
SPS, ABl. EG 1994 L 336/40.<br />
13 First submission of the EU (DS291/DS292/DS293), para. 486, 561.<br />
14 Am 19.5.2004 wurde der Süßmais Bt 11 zugelassen; dazu näher Commission<br />
of the European Communities (Commission), Commission authorizes import<br />
of canned GM-sweet corn under new strict labelling conditions – consumers<br />
can choose, Press Release IP/04/663, 2004.<br />
15 Commission, Communication to the Commission from the President for an<br />
orientation debate on Genetically Modified Organisms (GMOs) and related<br />
issues, SEU (2004) 80/1, S. 2; Brack/Falkner/Goll, in: The Royal Institute of International<br />
Affairs, Briefing Paper No. 8, 2003, S. 3.<br />
16 Commission (o. Fn. 15), S. 2 f.<br />
2 | ZUR 1/2005
Scherzberg, Risikomanagement vor der WTO | AUFSÄTZE<br />
Dieser errechnet sich <strong>als</strong> Produkt von Schadenshöhe und Eintrittswahrscheinlichkeit.<br />
Ist die Eintrittswahrscheinlichkeit nicht<br />
hinreichend bekannt, ist meist von »Ungewissheit« die Rede.<br />
Wenn aufgrund unzureichenden Wissens das Vorhandensein von<br />
nachteiligen Wirkungen nicht bekannt ist, aber auch nicht ausgeschlossen<br />
werden kann, handelt es sich um »Nichtwissen«.<br />
Diese Unterscheidungen sind von analytischem Wert für entscheidungstheoretische<br />
Modellierungen, vernachlässigen jedoch,<br />
dass der Entscheider in der Lebenswirklichkeit ex ante nicht beurteilen<br />
kann, in welcher der drei Entscheidungssituationen er sich befindet,<br />
und er sich regelmäßig auch nicht auf mathematisch errechenbare<br />
Wahrscheinlichkeiten und das Gesetz der großen Zahl<br />
stützen kann, das unerwartete Entwicklungen in Einzelfällen kompensiert.<br />
Nachfolgend wird der Begriff des Risikos deshalb in Anlehnung<br />
an den allgemeinen Sprachgebrauch in einem weiten Sinne<br />
gebraucht, welcher alle drei erwähnten Konstellationen umfasst.<br />
Die moderne Wissenschaft erweitert fortlaufend unser Wissen<br />
über die physische und soziale Welt und legt ihre Interdependenzen<br />
offen. Zugleich fördert sie aber in zunehmendem Maße auch<br />
das Wissen um unser Nichtwissen. Dieses wachsende Bewußtsein<br />
von der Lückenhaftigkeit und den Grenzen menschlicher Erkenntnis<br />
lässt bei der Einführung potentiell riskanter Technologien<br />
ein gewisses Maß an Vorsorge geboten erscheinen. Vorsorgemaßnahmen<br />
begrenzen die Entfaltung von Innovationen. Ihr Einsatz<br />
birgt deshalb seinerseits Risiken und Chancen. So kann ein<br />
Zuwenig an Vorsorge einen Eintritt negativer Effekte begünstigen<br />
oder ein Zuviel an Vorsorge Innovationen verhindern und die<br />
grundrechtliche Entfaltung unnötig beeinträchtigen. 17 Im Rahmen<br />
staatlichen Risikomanagements sind daher stets zwei Arten<br />
von Risiken zu unterscheiden: <strong>Das</strong> Gefahrenpotential der neuen<br />
Technologie oder des neuen Stoffes selbst, das »Risiko erster Ordnung«,<br />
und die möglichen Irrtumskosten der rechtlichen Regulierung,<br />
das »Risiko zweiter Ordnung«. 18<br />
II. Die „ratio“ staatlichen Risikomanagements<br />
1. Risikoverarbeitung <strong>als</strong> wissenschaftlich angeleiteter Prozess<br />
Um beide Risikotypen sachgerecht zu verarbeiten, verpflichtet das<br />
Recht die Entscheidungsträger traditionell auf die Beachtung der<br />
Erkenntnisse der Wissenschaft. So knüpfen auch die skzizzierten<br />
Bestimmungen der WTO die Zulässigkeit nationaler Handelsbeschränkungen<br />
an den wissenschaftlichen Nachweis ihrer Notwendigkeit.<br />
Dem dürfte die Annahme zugrundeliegen, einer<br />
wissenschaftsbasierten Risikobewertung werde regelmäßig keine<br />
einseitige politische Präferenz oder ein partikulares Interesse zugrundeliegen.<br />
19 In der Tat sollte die Unabhängigkeit von (handels-<br />
)politischen Erwägungen eine grundlegende Eigenschaft der in Bezug<br />
genommenen Expertenurteile sein. Diese Feststellung erübrigt<br />
aber nicht die Auseinandersetzung mit der Frage, ob die wissenschaftliche<br />
Analyse überhaupt eine hinreichende und hinreichend<br />
verlässliche Referenz für die Bewertung von Risiken und die Auswahl<br />
von Maßnahmen im Rahmen des staatlichen Risikomanagements<br />
bietet. Zweifel daran sind in dreierlei Hinsicht angebracht:<br />
Eine technologische Innovation kann eine Vielfalt nachteiliger<br />
Wirkungen mit sich bringen. Sie kann die menschliche Gesundheit<br />
durch giftige Stoffe, Produkte mit mangelndem Nährwert oder<br />
durch unerwartete Wechselwirkungen von an sich harmlosen Bestandteilen<br />
bedrohen. Die Natur könnte einen Verlust an Biodiversität<br />
erleiden. 20 Die Innovation kann wirtschaftliche Schäden<br />
nach sich ziehen, sofern externe Effekte erzeugt, aber nicht internalisiert<br />
werden. Sie kann schließlich soziale Wirkungen zeitigen,<br />
wenn etwa das Unbehagen über die Einführung der Technologie<br />
verbunden mit mangelndem Vertrauen in die Fähigkeit der Verantwortlichen<br />
zur Gefahrenbeherrschung die Offenheit der Gesellschaft<br />
für weitere Innovationen und damit mittelbar die Wettbewerbsfähigkeit<br />
des Landes beeinträchtigt. 21<br />
Eine vollständige Risikobewertung müsste alle diese Wirkungen<br />
antizipieren. Einer solch umfänglichen Analyse stünden indes sowohl<br />
ein Mangel an Wissen <strong>als</strong> auch ein Mangel an Ressourcen entgegen.<br />
22 Kumulative und indirekte Wirkungen bleiben deshalb bei<br />
Kosten-Nutzen-Bewertungen vielfach unberücksichtigt, 23 die Wirkungsvielfalt<br />
wird auf voraussehbare, unmittelbare und schwere<br />
Konsequenzen für Mensch und Umwelt reduziert. Eine entsprechende<br />
Beschränkung der Analyse(kosten) ist jedoch nur politisch,<br />
nicht wissenschaftlich zu begründen. Gleiches gilt im Ergebnis für<br />
die speziell im Rahmen gentechnischer Risikosteuerung zu treffende<br />
Entscheidung, welche Wirkungen überhaupt <strong>als</strong> nachteilig<br />
bewertet werden sollen. So ist der Austausch genetischer Informationen<br />
zwischen Individuen oder Populationen ein biologisches<br />
Prinzip und nicht notwendig eine ökologische Gefahr. 24 Deshalb<br />
erfordert bereits der Begriff des »nachteiligen Effekts« eine ethisch<br />
oder kulturell basierte Definition. 25 Die Entscheidung, eine bestimmte<br />
Wirkung im Rahmen des Risikomanagements für schädlich<br />
zu halten, setzt mithin eine allein aufgrund von naturwissenschaftlicher<br />
Expertise nicht zu treffende, <strong>als</strong> politisch zu qualifizierende<br />
Wertung voraus. 26<br />
Die Anmutung der Vollständigkeit einer Risikoanalyse erforderte<br />
überdies den Vergleich aller relevanten Wirkungen und ihrer<br />
Charakteristika. Aspekte wie Schwere, Unmittelbarkeit oder Reversibilität<br />
wären einander gegenüberzustellen und vergleichend<br />
zu gewichten. 27 Nachteilige Folgen für Mensch und Umwelt sind<br />
aber in aller Regel inkommensurabel. Noch weniger kann eine wissenschaftlich<br />
begründete Abwägung zwischen potentiellem Nutzen<br />
und potentiellem Schaden gelingen. 28 GVO-Nutzpflanzen<br />
könnten etwa die Hungersnot in der Dritten Welt lindern und zugleich<br />
die Biodiversität und die Gesundheit der Verbraucher in diesem<br />
oder einem anderen Teil der Welt beeinträchtigen. Solche Folgen<br />
zu gewichten, ist eine Funktion sozialer und politischer Wertung<br />
29 – wissenschaftliche Maßstäbe können diese nicht ersetzen.<br />
Schließlich lässt sich mit wissenschaftlicher Exaktheit vielfach<br />
nicht einmal die statistische Wahrscheinlichkeit für die Verwirklichung<br />
eines bestimmten Schadenspotenti<strong>als</strong> angeben. Der Nutzen<br />
einer neuen Technologie oder eines neuen Stoffes ist regelmäßig<br />
leicht nachzuweisen – auf diesen Nutzen hin wurde die Innovation<br />
schließlich konzipiert. Ihre Folge- und Nebenwirkungen lassen<br />
sich hingegen nur punktuell antizipieren und sind auch insoweit<br />
zumeist nur Schätzungen zugänglich, denen unsichere und divergente<br />
Prämissen zugrundeliegen können und die deshalb nicht selten<br />
zu widersprüchlichen Resultaten führen. Vielfach zeigen sich<br />
unerwünschte Effekte auch erst im Zuge der praktischen Anwendung<br />
der neuen Technologie – die gesamte Gesellschaft gerät dann<br />
zum Labor.<br />
17 Scherzberg, in: VVDStRL 63 (2004), 214 (225); Gleich, in: Bröchler/Simonis/Sundermann,<br />
Handbuch Technikfolgenabschätzung, 1999, S. 287 (292).<br />
18 Scherzberg (o. Fn. 17), S. 219-220; Sunstein, Risk and Reason, 2002, S. 99<br />
(Chapter 6); Gleich (o. Fn. 17), S. 288.<br />
19 Dies machen nicht zuletzt Art. 2 und 5 SPS deutlich, indem sie »scientific evidence«<br />
einerseits und versteckte Handelshemmnisse andererseits gegenüberstellen.<br />
20 Stirling, On Science and Precaution in the Management of Technological<br />
Risk, A synthesis report of case studies, 1999, S. 10.<br />
21 So verdankt sich das Misstrauen gegenüber GVO in Europa wohl zu einem<br />
nicht unerheblichen Ausmaß der noch nicht abgeschlossenen Erfahrungen<br />
mit BSE; vgl. Economic & Social Research Council (ESRC), The politics of GM<br />
food. Risk, science & public trust, Special Briefing No 5, 1999, S. 7-8.<br />
22 Rat (o. Fn. 3), Abs. 889.<br />
23 Stirling (o. Fn. 20), S. 11.<br />
24 Bartsch (o. Fn. 5), S. 5; WBGU (o. Fn. 5), S. 109.<br />
25 Bartsch (o. Fn. 5), S. 4.<br />
26 Rat (o. Fn. 3), Abs. 876.<br />
27 Stirling (o. Fn. 20), S. 11; Scherzberg (o. Fn. 17), S. 231.<br />
28 Stirling (o. Fn. 20), S. 11; Scherzberg (o. Fn. 17), S. 231-232.<br />
29 Stirling (o. Fn. 20), S. 10.<br />
ZUR 1/2005 | 3
AUFSÄTZE | Scherzberg, Risikomanagement vor der WTO<br />
Ohne eine verlässliche Berechnung der Wahrscheinlichkeit<br />
nachteiliger Wirkungen lässt sich der Umgang mit ihnen nicht in<br />
rationaler Weise determinieren. Dies gilt naturgemäß besonders<br />
dann, wenn die Wissenschaft keinen oder keinen sicheren Hinweis<br />
darauf liefert, dass es überhaupt zu nachteiligen Effekten kommen<br />
kann. <strong>Das</strong> Fehlen eines Risikonachweises darf nicht <strong>als</strong> Nachweis<br />
des Fehlens von Risiken missverstanden werden. 30 Im Gegenteil<br />
verbietet es die praktische Vernunft, nachteilige Folgen einer nachhaltigen<br />
zivilisatorischen Einwirkung auf die Umwelt generell auszuschließen.<br />
31 <strong>Das</strong> ist nicht zuletzt eine Lehre aus den Erfahrungen<br />
mit den FCKW. Die European Environmental Agency stellte hierzu<br />
fest:<br />
»There can be little doubt that a conventional risk assessment, in say<br />
1965, would have concluded that there were no known grounds for concern.<br />
It would have noted that CFCs were safe to handle, being chemically<br />
very inert, […] and having very low levels of toxicity. […] The assessment<br />
might have pointed out that it was not known what happens<br />
to CFCs when they are released to the atmosphere, but would no doubt<br />
have added that they had been released for more than 30 years with no<br />
apparent harm being done.« 32<br />
Der Schaden war aber eben nur noch nicht sichtbar geworden.<br />
Damit soll nicht gesagt werden, dass die Wissenschaft keine Beiträge<br />
zur gesellschaftlichen Verarbeitung von Ungewissheit und<br />
Nichtwissen zu leisten vermag. Im Gegenteil stellt der Umgang mit<br />
den Grenzen des Wissens ein zentrales Element wissenschaftlichen<br />
Arbeitens dar. Nach den Erkenntnissen des kritischen Rationalismus<br />
kann dabei aber niem<strong>als</strong> beansprucht werden, eine abschließende<br />
Wahrheit aufzufinden. Gerade in den Grenzbereichen<br />
unsicheren Wissens sind überdies eindeutige Standards zur Bestimmung<br />
der wissenschaftlichen Güte einer Theorie schwer beizubringen.<br />
Immer existieren auch alternative Paradigmen, oft können<br />
unterschiedliche Prämissen zugrundegelegt werden und häufig<br />
liefern unterschiedliche Disziplinen auch konfligierende<br />
Ergebnisse. 33 Der Beitrag der Wissenschaft zur Risikosteuerung ist<br />
deshalb begrenzt.<br />
2. Risikomanagement <strong>als</strong> politischer Prozess<br />
Wenn es kein »rationales« Verfahren der wissenschaftlichen Verarbeitung<br />
von Ungewissheit und Nichtwissen sowie der Abwägung<br />
von Nutzen und Kosten von Risiken gibt, 34 erweist sich Risikobewertung<br />
<strong>als</strong> eine volitive Operation. 35 Die »ratio« staatlicher Risikosteuerung<br />
darf sich deshalb nicht auf das Postulat ihrer Wissenschaftlichkeit<br />
beschränken. 36 Wie aber kann Risikomanagement<br />
ohne sichere wissenschaftliche Basis in rationaler Weise betrieben<br />
werden<br />
Zunächst muss die Risikoentscheidung die Vorläufigkeit des vorhandenen<br />
Wissens in Rechnung stellen und darf den Erwerb weiteren<br />
Wissens nicht behindern. 37 In Anbetracht der Existenz von<br />
Risiken zweiter Ordnung bedürfen Entscheidungen deshalb eines<br />
fortlaufenden Monitorings und der Evaluation, um auftretenden<br />
Änderungsbedarf rechtzeitig zu erkennen und die gesellschaftliche<br />
Anpassungs- und Lernfähigkeit zu erhalten. Dies erfordert kontrollierte<br />
Verfahren von Versuch und Irrtum, welche den Behörden<br />
bereits in einem frühen Stadium das Aufspüren bislang unbekannter<br />
Gefahren sowie deren Eindämmung ermöglichen. 38<br />
Gleichzeitig sollte die staatliche Risikosteuerung die Erkundung alternativer<br />
Verfahren und Stoffe anregen, welche bei gleichem Nutzen<br />
ein geringeres Risiko mit sich bringen könnten.<br />
Des Weiteren sind die Prämissen der zugrundegelegten Risikoanalyse<br />
offenzulegen. 39 Den Betroffenen und der Öffentlichkeit<br />
wird damit erkennbar, welche Wirkungen in Betracht gezogen und<br />
wie sie gewichtet wurden. Erst die Transparenz der Grundannahmen<br />
der Risikoanalyse macht einen Risikodiskurs möglich, der die<br />
Sinnhaftigkeit der vorgenommenen „Reduktion von Komplexität“<br />
hinterfragt. Dies erscheint gerade bei der Analyse der Risiken komplexer<br />
technischer Systeme erforderlich, besteht hier nach den Untersuchungen<br />
von Charles Perrow doch die Neigung der Entscheidungsträger,<br />
auf einfache probabilitische Berechnungsweisen<br />
zurückzugreifen, deren Anwendungsvoraussetzungen gar nicht<br />
vorliegen. 40 Bei den Vermittlungsvorgängen zwischen der scientific<br />
community, den Entscheidungsträgern und der Öffentlichkeit<br />
muss ferner deutlich werden, welche Fragen aus wissenschaftlicher<br />
Sicht vorläufig <strong>als</strong> unbeantwortet gelten müssen. 41<br />
Handelt es sich bei der Verarbeitung von Risiken um eine wertebasierte<br />
Operation, muss sie schließlich in Rechnung stellen, dass<br />
in der Gesellschaft konkurrierende und konfligierende soziale Werte<br />
bestehen und sich daraus unterschiedliche Präferenzen und Abwägungsergebnisse<br />
ergeben. <strong>Das</strong> Arrow-Theorem 42 lehrt uns, dass<br />
diese unterschiedlichen Präferenzen nicht einfach zu einer Gesamtnutzenfunktion<br />
aggregiert werden können. Es ist vielmehr<br />
die Aufgabe des politischen Systems zu entscheiden, ob und unter<br />
welchen Bedingungen eine neue Technologie eingeführt und wie<br />
mit deren Risiken umgegangen werden soll. 43 Als drittes Erfordernis<br />
muss sich das politische System zur Notwendigkeit einer politischen<br />
Risikobewertung bekennen und hierfür die Verantwortung<br />
übernehmen, anstatt auf die vermeintliche Autorität der Wissenschaft<br />
zu verweisen. 44<br />
3. Risikobewertung <strong>als</strong> kulturell geprägter Prozess<br />
Für die Akzeptabilität von Risiken gibt es kein allgemeingültiges<br />
Maß. Ihre individuelle und gesellschaftliche Bewertung ist, wie die<br />
moderne Risikoforschung erweist, in hohem Maße von subjektiven<br />
Faktoren wie Freiwilligkeit, Vertrautheit, Zurechenbarkeit,<br />
Streuung, Zeitnähe und Kontrollierbarkeit des Risikos abhängig. 45<br />
Der Umgang mit dem Risiko folgt offenbar kollektiven Mustern<br />
und Traditionen und ist damit Ausdruck der jeweils vorherrschenden<br />
Kultur. Etwa lassen sich deutliche Unterschiede in der Risikowahrnehmung<br />
zwischen Europa und den USA feststellen.<br />
Während in Europa die »grüne Gentechnik« anders <strong>als</strong> die »rote<br />
Gentechnik« erheblichen Widerständen ausgesetzt ist, sind beide<br />
in den USA weithin akzeptiert und erscheint dort auch ihre unterschiedliche<br />
Behandlung kaum nachvollziehbar. 46 Ähnliche Gegensätze<br />
bestehen offenkundig bei der Bewertung der Risiken der<br />
Klimaveränderung. 47 Kollektive Muster erschließen sich ferner bei<br />
der Risikobewertung im Straßenverkehr. Während die USA schon<br />
seit langem generelle Geschwindigkeitsbeschränkungen auf Autobahnen<br />
kennen, erscheint die bundesdeutsche Öffentlichkeit we-<br />
30 ESRC (o. Fn. 21), S. 7.<br />
31 Scherzberg (o. Fn. 17), S. 252; Gleich (o. Fn. 17), S. 287-288.<br />
32 European Environmental Agency (EEA), Late lessons from early warnings: the<br />
precautionary principle 1896–2000. Environmental issue report No 22, 2001, S.<br />
82.<br />
33 Stirling (o. Fn. 20), S. 19.<br />
34 Stirling (o. Fn. 20), S. 10, 12.<br />
35 Scherzberg (o. Fn. 17), S. 249; Dose, in: Böschen/Lerf/Schneider, Handeln trotz<br />
Nichtwissen. Vom Umgang mit Chaos und Risiko in Politik, Industrie und<br />
Wissenschaft, 2004, S. 121 (123 f.); Holland/Kellow, in: Kellow/Robertson,<br />
Globalization and the Environment, 2001, S. 229 (238).<br />
36 Douglas, Risk and culture, 1982, S. 194.<br />
37 Scherzberg (o. Fn. 17), S. 233.<br />
38 Scherzberg (o. Fn. 17), S. 258.<br />
39 Stirling (o. Fn. 20), S. 12.<br />
40 Perrow, Normal accidents: living with high-risk technologies, 1999, S. 62 ff.<br />
41 Dose (o. Fn. 35), S. 135.<br />
42 Stirling (o. Fn. 20), S. 12.<br />
43 Sundermann, in: Bröchler/Simonis/Sundermann, Handbuch Technikfolgenabschätzung,<br />
1999, S. 119 (122); Dose (o. Fn. 35), S. 123 f., 125.<br />
44 Bartsch (o. Fn. 5), S. 2; Hennen, in: Bröchler/Simonis/Sundermann, Handbuch<br />
Technikfolgenabschätzung, 1999, S. 565 (565); Meyer-Abich, in: Bröchler/Simonis/Sundermann,<br />
Handbuch Technikfolgenabschätzung, 1999, S. 309<br />
(311, 316).<br />
45 Stirling (o. Fn. 20), S. 11; Deane, in: Kellow/Robertson, Globalization and the<br />
Environment, 2001, S. 106 (107-111); Scherzberg (o. Fn. 17), 231.<br />
46 Robertson (o. Fn. 10), S. 207-208, 217.<br />
47 WBGU (o. Fn. 5), S. 135-140.<br />
4 | ZUR 1/2005
Scherzberg, Risikomanagement vor der WTO | AUFSÄTZE<br />
der von der Rekordzahl von 21.000 Verkehrstoten im Jahr 1970<br />
noch vom gegenwärtigen Stand von etwa 6.600 Opfern pro Jahr<br />
im größeren Ausmaß beunruhigt. Man stelle sich dagegen den Aufruhr<br />
vor, der entstünde, wenn eine vergleichbare Zahl von Todesopfern<br />
auf das Konto von gentechnisch erzeugtem Saatgut ginge.<br />
Offensichtlich gibt es risikoaverse und risikofreundliche Gemeinschaften,<br />
und gehen auch im Einzelnen die soziokulturellen Bewertungen<br />
von Risiken auseinander. 48<br />
Wenn die Risikoverarbeitung von gesellschaftlichen Einschätzungen<br />
abhängt, lässt sich ihre Akzeptabilität nur im Wege der Kommunikation<br />
mit der Gesellschaft ermitteln. Staatliches Risikomanagement<br />
verlangt daher nach einer öffentlichen Risikokommunikation.<br />
49 Ein politisch initiierter Risikodialog über die Chancen<br />
und Gefahren neuer Technologien fördert nicht nur das Vertrauen<br />
der Menschen in die politische Führung, sondern erhält auch<br />
die Fähigkeit der Gesellschaft zur Innovation. Schon mehrfach hat<br />
der öffentliche Widerstand in der Bundesrepublik den Verzicht auf<br />
risikobehaftete Investitionen erzwungen. Gorleben und Wackersdorf<br />
sind nur die bekanntesten Stichworte. Aber nicht nur das Verhinderungspotential<br />
der Öffentlichkeit gibt Anlass dafür, gesellschaftliche<br />
Besorgnisse aufzugreifen und in die Risikobewertung zu<br />
integrieren. 50 Risikokommunikation kann auch positiv die Legitimität<br />
der politischen Entscheidungen im Rahmen des Risikomanagements<br />
erhöhen. 51<br />
Zeichnet sich eine neue Technologie oder ein neues Risikophänomen<br />
ab, sollte der Staat einen umfassenden Diskurs über die<br />
Chancen und Risiken der Innovation und ihre Alternativen initiieren.<br />
52 Bei der Darstellung des Standes der Wissenschaft sind dazu<br />
die Grenzen der wissenschaftlichen Aussagen und ihre Abhängigkeit<br />
von bestimmten Grundannahmen aufzuzeigen. 53 Dabei ist<br />
deutlich zu machen, dass die unterschiedlichen Prognosen bis zu<br />
einer F<strong>als</strong>ifikation <strong>als</strong> gleichwertig gelten müssen. 54 Werden politische<br />
Entscheidungen getroffen, sollte ihre Begründung diejenigen<br />
Werte und Konzepte bezeichnen, die der abschließenden Abwägung<br />
zugrunde liegen. Ferner sollte offen gelegt werden, inwieweit<br />
die Entscheidungsfolgen einer Revision zugänglich sind.<br />
Dabei sollte der Öffentlichkeit nicht zuletzt verdeutlicht werden,<br />
dass selbst »unverdächtige« Technologien unerwartete Wirkungen<br />
mit sich bringen können 55 und Risiken aufgrund von Ungewissheit<br />
und Nichtwissen letztlich nur dann ausgeschlossen werden könnten,<br />
wenn die Gesellschaft vollständig auf Innovation verzichtet.<br />
Ein entsprechender Risikodiskurs führt nicht notwendig zu einem<br />
gesamtgesellschaftlichen Konsens. 56 Er kann aber Glaubwürdigkeit<br />
und Akzeptanz schaffen. 57 Er ist deshalb mit dem Ziel zu organisieren,<br />
auch diejenigen Teilnehmer einzubinden, deren Auffassungen<br />
sich am Ende nicht durchsetzen werden. Ihnen sollte die<br />
Risikoentscheidung am Ende nicht mehr <strong>als</strong> willkürlich und ungerechtfertigt<br />
erscheinen, sondern – wenn schon nicht wissenschaftlich<br />
zwingend –, so doch wenigstens nachvollziehbar begründet.<br />
58<br />
III. Fazit: Der Umgang mit dem Risiko <strong>als</strong> soziales Konstrukt<br />
Die Definition, Bewertung und Abwägung von Risiken und Chancen<br />
ist nach dem Gesagten ein soziales Konstrukt. 59 Dies beginnt<br />
mit der Auswahl der <strong>als</strong> relevant und nachteilig zu qualifizierenden<br />
Wirkungen und setzt sich fort bei der Frage, wie die betroffenen<br />
individuellen und kollektiven Güter zu gewichten und auf<br />
welche Weise Sicherheit von Nutzen und Ungewissheit von Nebenfolgen<br />
zueinander ins Verhältnis zu setzen sind. Es endet mit<br />
der politischen Entscheidung, unter welchen Annahmen und Bedingungen<br />
die ermittelten Risiken akzeptabel erscheinen. Im Rahmen<br />
des staatlichen Risikomanagements geht es mithin nicht allein<br />
oder auch nur vorrangig um die Ermittlung der besten technischen<br />
Vorkehrungen zur Vorbeugung und Minimierung eines<br />
nachteiligen Effekts, sondern in jedenfalls gleichem Maße auch um<br />
die Definition, Reflexion und Selektion sozialer Werte und Präferenzen<br />
im Umgang mit der Ungewissheit. Diese besondere Qualität<br />
staatlicher Risikoentscheidung legt prozedural besondere Vorgehensweisen<br />
und material die Verwendung besonderer Maßstäbe<br />
nahe. Für beides stehen im internationalen und europäischen<br />
Recht der Begriff und das Konzept der Vorsorge.<br />
C. Vorsorge <strong>als</strong> Strategie des Risikomanagements<br />
<strong>Das</strong> Vorsorgeprinzip verkörpert eine bestimmte Strategie des Risikomanagements.<br />
60 Es ist nach allgemeinem Verständnis anwendbar,<br />
sofern eine fundierte Sachstandserhebung die Besorgnis veranlasst,<br />
ein umwelt- oder gesundheitsrelevantes Geschehen könnte<br />
auf individuelle oder kollektive Güter rechtlich relevante<br />
nachteilige Wirkungen zeitigen. 61 Um Risikomanagement durch<br />
Vorsorge geht es auch im vorliegenden Handelsstreit. Vor einer<br />
Analyse des Vorsorgeprinzips im SPS-Übereinkommen sei kurz dessen<br />
Rezeption im internationalen und europäischen Recht skizziert.<br />
I. Die Rezeption des Vorsorgeprinzips im internationalen<br />
und europäischen Recht<br />
1. Vorsorge im internationalen Recht<br />
Die Anwendung des Vorsorgeprinzips im internationalen Recht<br />
geht auf die Anregung der Rio Declaration on Environment and<br />
Development aus dem Jahre 1992 zurück und beruht auf spezifischen<br />
Abkommen wie dem Cartagena Protocol on Biosafety und<br />
der UN Framework Convention on Climate Change. 62<br />
<strong>Das</strong> Principle 15 der Rio Declaration 63 berücksichtigt ausdrücklich<br />
das Problem der Ungewissheit. So soll Vorsorge gerade dort<br />
Platz greifen, wo »full scientific certainty« nicht besteht. Der Bereich<br />
des Nichtwissens wird hingegen nicht thematisiert. Als Voraussetzung<br />
für die Anwendung des Vorsorgesprinzips werden vielmehr<br />
»threats of serious or irreversible damage« benannt. Dies impliziert,<br />
dass man diese Bedrohungen im Grundsatz kennt. <strong>Das</strong> ist,<br />
wie oben gezeigt, vielfach nicht der Fall. Auch der sozio-kulturelle<br />
Aspekt der Risikowahrnehmung bleibt außer Betracht.<br />
48 Robertson (o. Fn. 10), S. 3.<br />
49 Deane (o. Fn. 45), S. 111-114.<br />
50 Deane (o. Fn. 45), S. 114-115.<br />
51 Hennen (o. Fn. 44), S. 565.<br />
52 Stirling (o. Fn. 20), S. 25; Sundermann (o. Fn. 43), S. 121.<br />
53 Dressel, BSE – The New Dimension of Uncertainty. The Cultural Politics and<br />
Decision-Making, 2000, S. 192-197; Sunstein (o. Fn. 18), S. 110; Hennen<br />
(o. Fn. 44), S. 566; Dose (o. Fn. 35), S. 135 ff.<br />
54 Stirling (o. Fn. 20), S. 12.<br />
55 Beispielsweise ist der Gleichstrom in Solarstromanlagen anfällig für selbsterhaltende<br />
Lichtbögen, welche Feuersbrünste auslösen können. Nach einer<br />
kürzlichen Studie macht die Strahlung von Mobiltelefonen Männer unfruchtbar.<br />
56 Stirling (o. Fn. 20), S. 24.<br />
57 Deane (o. Fn. 45), S. 113-114.<br />
58 Hennen (o. Fn. 44), S. 570.<br />
59 Scherzberg (o. Fn. 17), S. 258; Sunstein (o. Fn. 18), S. 108-110; Douglas<br />
(o. Fn. 36), S. 186-198; Deane (o. Fn. 45), S. 108.<br />
60 Commission, Communication from the Commission on the precautionary<br />
principle, COMM(2000) 1 final, 2000, S. 8.<br />
61 Commission (o. Fn. 60), S. 2.<br />
62 Rio Declaration on Environment and Development = U. N. Doc.<br />
A/CONF.151/26 (Vol. I). <strong>Das</strong> Cartagena Protocol on Biosafety ist veröffentlicht<br />
im ABl. EG 2002 L 201/48. UN Framework Convention on Climate<br />
Change = U. N. Doc. A/AC.237/18 (Part II) (Add. 1), Misc 6 (1993), Cm 2137;<br />
31 I.L.M. 848.<br />
63 »In order to protect the environment, the precautionary approach shall be<br />
widely applied by States according to their capabilities. Where there are<br />
threats of serious or irreversible damage, lack of full scientific certainty shall<br />
not be used as a reason for postponing cost-effective measures to prevent environmental<br />
degradation«.<br />
ZUR 1/2005 | 5
AUFSÄTZE | Scherzberg, Risikomanagement vor der WTO<br />
<strong>Das</strong> Cartagena Protocol on Biosafety erweitert den Vorsorgegedanken<br />
der Deklaration. Maßnahmen sind gerade auch dort gestattet,<br />
wo der wissenschaftliche Nachweis bezüglich des Ausmaßes<br />
möglicher nachteiliger Wirkungen fehlt. <strong>Das</strong> Protokoll erlaubt mithin<br />
auch die Vorsorge gegenüber bislang unbekannten Wirkungen,<br />
umfasst <strong>als</strong>o auch Fälle des Nichtwissens. Ausdrücklich wird darauf<br />
hingewiesen, dass das Fehlen wissenschaftlicher Erkenntnisse<br />
oder des wissenschaftlichen Konsenses nicht zwangsläufig ein bestimmtes<br />
Risikoniveau, das Ausbleiben eines Risikos oder die Annehmbarkeit<br />
des Risikos impliziert. 64 Bei der Entscheidung über die<br />
Einfuhr von GVO dürfen auch sozio-ökonomische Aspekte berücksichtigt<br />
werden. Ferner ist die Öffentlichkeit über GVO-bezogene<br />
Gefahren aufzuklären. Bei neuen wissenschaftlichen Befunden soll<br />
schließlich eine Revision der Entscheidung erfolgen können.<br />
2. Vorsorge im Gemeinschaftsrecht<br />
a. Die Mitteilung der Europäischen Kommission zur Anwendung des Vorsorgeprinizips<br />
<strong>Das</strong> Vorsorgeprinzip findet seine vertragliche Grundlage in Art.<br />
174 EG-Vertrag. Es kommt nach einer Mitteilung der Kommission<br />
über dessen Regelungsbereich hinaus in allen Fällen zur Anwendung,<br />
in denen die wissenschaftlichen Beweise nicht ausreichen,<br />
keine eindeutigen Schlüsse zulassen oder unklar sind, in denen jedoch<br />
aufgrund einer vorläufigen wissenschaftlichen Risikobewertung<br />
begründeter Anlass zu der Besorgnis besteht, dass die möglicherweise<br />
gefährlichen Folgen für die Umwelt und die Gesundheit<br />
von Menschen, Tieren und Pflanzen mit dem von der EU angestrebten<br />
Schutzniveau unvereinbar sein könnten. 65<br />
Die Kommission weist darauf hin, dass die politischen Entscheidungsträger<br />
den für die Gesellschaft zumutbaren Risikograd festzulegen<br />
hätten und dabei mit nachgewiesenen, nicht hinnehmbaren<br />
Risiken, mit wissenschaftlicher Unsicherheit und mit einer besorgten<br />
Öffentlichkeit konfrontiert sein können. 66 Darauf sei jeweils auf<br />
der Basis einer Kosten/Nutzen-Analyse zu reagieren, die auch<br />
nichtwirtschaftliche Gesichtspunkte wie etwa die Akzeptanz in der<br />
Öffentlichkeit berücksichtigen müsse. 67 Ggf. dürften Maßnahmen<br />
auch dann ergriffen werden, wenn keine abschließenden wissenschaftlichen<br />
Erkenntnisse vorliegen. Etwa könnten die Mitglieder<br />
bestimmte Produkte a priori für gefährlich halten und ihr Inverkehrbringen<br />
im Wege der Beweislastumkehr an den Nachweis ihrer<br />
Unschädlichkeit knüpfen. 68 Stets wird eine fortlaufende Aktualisierung<br />
der Entscheidung nach Maßgabe neuester wissenschaftlicher<br />
Daten gefordert. 69 In keinem Falle gestatte das Vorsorgeprinzip willkürliche<br />
Entscheidungen. 70 Die Kommission hält daher seine Anwendung<br />
für vereinbar mit den Vorgaben des SPS-Abkommens. 71<br />
b. <strong>Das</strong> Beispiel der Richtlinie über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter<br />
Organismen in die Umwelt<br />
Die neue Richtlinie 2001/18 ersetzt ihre Vorgängerin aus dem Jahre<br />
1990. Sie nimmt ausdrücklich Bezug auf das Vorsorgeprinzip. 72<br />
Besonderes Gewicht wird auf die Beteiligung der Öffentlichkeit gelegt.<br />
73 Materiell gilt das Stufenprinzip, wonach die Einschließung<br />
der GVO stufenweise gelockert und ihre Freisetzung in der gleichen<br />
Weise ausgeweitet wird, sofern die Auswertung der Ergebnisse der<br />
vorherigen Stufen entsprechende Unbedenklichkeit für die<br />
menschliche Gesundheit und die Umwelt signalisiert. 74 Schließlich<br />
müssen die Unternehmen bei der Anmeldung der Freisetzung eine<br />
Umweltverträglichkeitsprüfung vorlegen. 75 »Entsprechend dem<br />
Vorsorgeprinzip« ist diese in wissenschaftlich fundierter und transparenter<br />
Weise durchzuführen 76 und hat alle Merkmale der GVO<br />
zu ermitteln, die mit der genetischen Veränderung in Verbindung<br />
stehen und schädliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit<br />
oder die Umwelt haben können. 77<br />
c. <strong>Das</strong> Beispiel der Verordnung über genetisch veränderte Lebensmittel und<br />
Futtermittel<br />
Auch die Verordnung 1829/2003 nimmt Bezug auf das Vorsorgeprinzip.<br />
Sie fordert eine bestmögliche wissenschaftliche Bewertung<br />
aller Risiken gentechnisch veränderter Lebensmittel und Futtermittel<br />
vor deren Inverkehrbringen. 78 Kein Lebensmittel soll zugelassen<br />
werden, bevor der Antragsteller nicht in geeigneter und ausreichender<br />
Weise nachgewiesen hat, dass keine nachteiligen Auswirkungen<br />
für Umwelt und Gesundheit bestehen, der Verbraucher<br />
nicht irregeführt wird und sich das veränderte Lebensmittel von<br />
den Lebensmitteln, die es ersetzen soll, nicht so stark unterscheidet,<br />
dass dessen normaler Verzehr Ernährungsmängel für den Konsumenten<br />
mit sich brächte. 79 Ferner wird eine Pflicht zur eindeutigen<br />
Kennzeichnung der Verwendung gentechnisch veränderten<br />
Materi<strong>als</strong> – unabhängig von der Nachweisbarkeit von DNA oder<br />
Proteinen aufgrund der genetischen Veränderungen im Endprodukt<br />
– eingeführt, wie sie von den Verbrauchern im Gebiet der EU<br />
gewünscht und gefordert wird. Die Kennzeichnung soll fundierte<br />
Entscheidungen erleichtern und Irrtümer hinsichtlich des Herstellungs-<br />
oder Gewinnungsverfahrens ausschließen. 80<br />
II. <strong>Das</strong> Vorsorgeprinzip im SPS-Übereinkommen<br />
1. Die Entscheidung des Berufungsgremiums<br />
<strong>Das</strong> SPS-Übereinkommen enthält keinen ausdrücklichen Bezug auf<br />
das Vorsorgeprinzip. Inzident wird dieses jedoch in Art. 3.3 und 5<br />
inkorporiert. Für das Verständnis dieser Regelungen kann auf die<br />
Entscheidung des Berufungsgremiums der WTO im Hormonfleischfall<br />
zurückgegriffen werden.<br />
<strong>Das</strong> Berufungsgremium lässt ausdrücklich offen, ob das Vorsorgeprinzip<br />
Bestandteil des allgemeinen Völkerrechts ist. 81 Es betont,<br />
dass es im SPS-Übereinkommen nicht ausdrücklich aufgenommen<br />
worden sei, um Konflikte mit anderen Verpflichtungen des Übereinkommens<br />
zu vermeiden. 82 Dennoch spiegele sich das Prinzip in<br />
den Art. 5.7 und 3.3 wider, die ausdrücklich das Recht jedes Mitglieds<br />
anerkennen, ein eigenes angemessenes Schutzniveau festzulegen.<br />
83 <strong>Das</strong> Vorsorgeprinzip verdränge dabei aber nicht die Regelungen<br />
der Art. 5.1 und 5.2, welche eine Risikobewertung und<br />
einen wissenschaftlichen Nachweis verlangen. 84 Diese Anforderungen<br />
seien essentiell für die Wahrung der vom Vertrag festgelegten<br />
Balance zwischen der Förderung des Welthandels und dem<br />
Schutz menschlichen Lebens. 85 Allerdings wies das Berufungsgremium<br />
das erstinstanzliche Panel, welches die Existenz eines ausreichenden<br />
wissenschaftlichen Nachweises zu prüfen hatte, ausdrücklich<br />
darauf hin, dass verantwortliche Regierungen im Allge-<br />
64 Annex III.4 des Protokolls.<br />
65 Commission (o. Fn. 60), S. 14.<br />
66 Commission (o. Fn. 60), S. 3.<br />
67 Commission (o. Fn. 60), S. 4.<br />
68 Commission (o. Fn. 60), S. 4.<br />
69 Commission (o. Fn. 60), S. 7.<br />
70 Commission (o. Fn. 60), S. 13.<br />
71 Commission (o. Fn. 60), S. 10-12.<br />
72 Richtlinie 2001/18/EC, Präambel (8) und Artikel 1, Anhang II B (ABl. EG 2001<br />
L 106/1).<br />
73 Richtlinie 2001/18/EC, Präambel (9, 10, 46) und Artikel 9, 24, 29.<br />
74 Richtlinie 2001/18/EC, Präambel (24).<br />
75 Richtlinie 2001/18/EC, Artikel 4.2, 13.<br />
76 Richtlinie 2001/18/EC, Anhang II B.<br />
77 Richtlinie 2001/18/EC, Anhang II C.2.1.<br />
78 Verordnung (EC) No 1829/2003, Präambel (9), Artikel 6.4, 18.4 (ABl. EG 2003<br />
L 268/1).<br />
79 Verordnung (EC) No 1829/2003, Artikel 4.1, 4.3, 16.1, 16.3.<br />
80 Verordnung (EC) No 1829/2003, Präambel (21).<br />
81 EU Measures Concerning Meat and Meat Products, WT/DS26/AB/R,<br />
WT/DS48/AB/R, adopted 13 February 1998, para. 123.<br />
82 EU Measures Concerning Meat and Meat Products (o. Fn. 81), para. 124.<br />
83 EU Measures Concerning Meat and Meat Products (o. Fn. 81), para. 124.<br />
84 EU Measures Concerning Meat and Meat Products (o. Fn. 81), para. 125.<br />
85 EU Measures Concerning Meat and Meat Products (o. Fn. 81), para. 177.<br />
6 | ZUR 1/2005
Scherzberg, Risikomanagement vor der WTO | AUFSÄTZE<br />
meinen mit Umsicht und Vorsicht handelten, wenn irreversible<br />
Schäden für das menschliche Leben drohen. 86<br />
Damit anerkennt das Berufungsgremium zwar die Notwendigkeit<br />
der Vorsorge, berücksichtigt aber weder den kulturellen Aspekt<br />
der Risikobewertung noch die Notwendigkeit einer Verarbeitung<br />
des Nichtwissens im vorgenannten Sinne. Nach seinem Verständnis<br />
soll es den Mitglieder im Rahmen des Art. 5.7 SPS nur dann gestattet<br />
sein, vorläufige Schutzmaßnahmen festzulegen, wenn der<br />
Nachweis für die Möglichkeit spezifischer Risiken mit unbekannter<br />
Eintrittswahrscheinlichkeit erbracht ist. 87<br />
2. Die Defizite der Entscheidung<br />
Indem das Berufungsgremium auch im Falle vorläufiger Maßnahmen<br />
an der Notwendigkeit eines wissenschaftlichen Nachweises zumindest<br />
für die Möglichkeit eines bestimmten Risikos festhält, bevorzugt<br />
es die Nutznießer einer neuen Technologie gegenüber den<br />
von ihr potentiell Geschädigten. Während der Nutzen einer Innovation,<br />
wie bereits angesprochen, in der Regel hinlänglich bekannt<br />
ist, ist die Vielfalt möglicher nachteiliger Wirkungen zumeist nur<br />
sehr unvollkommen untersucht. In diesen Fällen gewährt Art. 5.7<br />
SPS in der Lesart des Berufungsgremiums einen Aufschub für zusätzliche<br />
Forschungen nur, wenn bereits spezifische nachteilige<br />
Wirkungen der betreffenden Verfahren oder Produkte in wissenschaftlich<br />
nachvollziehbarer Weise identifiziert worden sind.<br />
Folgt man diesem Verständnis, würde das WTO-System wesentliche<br />
Erkenntnisse moderner Risikoforschung ignorieren, wonach<br />
– bereits die Auswahl nachteiliger Wirkungen sowie deren Qualifizierung<br />
<strong>als</strong> »nachteilig« auf einer soziokulturellen Wertung basieren,<br />
die sich eines wissenschaftlichen »Nachweises« entziehen,<br />
– eine vollständige Risikoanalyse angesichts zeitlicher und finanzieller<br />
Beschränkungen häufig nicht erreichbar ist,<br />
– hinreichend »sichere« Anzeichen für spezifische nachteilige<br />
Wirkungen oft erst im Zuge der praktischen Anwendung einer<br />
Innovation erkennbar werden und<br />
– es sich beim Umgang mit Ungewissheit und Nichtwissen um einen<br />
weniger wissenschaftlich determinierten <strong>als</strong> kulturell geprägten<br />
Vorgang handelt.<br />
Angesichts dieses Befundes stellt sich die Frage, ob es sich bei der<br />
vom Berufungsgremium gewählten Auslegung um die einzig mögliche<br />
Interpretation der einschlägigen SPS-Regelungen handelt.<br />
Nach dessen Präambel soll das Abkommen den notwendigen<br />
Schutz menschlichen, tierischen und pflanzlichen Lebens sowie<br />
der Gesundheit gewährleisten und gleichzeitig willkürliche Diskriminierungen<br />
und verschleierte Beschränkungen des Welthandels<br />
verhindern. Es zielt <strong>als</strong>o auf die Herstellung eines Gleichgewichts<br />
zwischen Handelsfreiheit und Rechtsgüterschutz. Dieser<br />
Zielsetzung folgend wäre zu berücksichtigen, dass die Alternative<br />
von verschleierter Handelsbeschränkung einerseits und wissenschaftsbasiertem<br />
Rechtsgüterschutz andererseits nicht so ausschließlich<br />
ist, wie dies das Berufungsgremium im Hormonfleischfall<br />
unterstellt. Da Risikobewertung im Falle von Ungewissheit und<br />
Nichtwissen ein wertungsbedürftiger Prozess ist, der sich nicht in<br />
der Anwendung wissenschaftlicher Standards erschöpft, kann es<br />
sehr wohl Schutzmaßnahmen geben, die von sozio-kulturellen<br />
Wertungen und nicht von wissenschaftlichen Standards gefordert<br />
werden – die aber nach ihrem Sinn und Zweck dennoch weder <strong>als</strong><br />
willkürlich noch <strong>als</strong> verschleierte Handelsbeschränkungen angesehen<br />
werden können. 88<br />
Maßnahmen dieser Art sind unter das SPS-Abkommen nicht eindeutig<br />
zu subsumieren. Nach seinem Wortlaut wären sie unzulässig.<br />
Von seinem Regelungszweck könnten sie dagegen durchaus gedeckt<br />
sein. Wenn die Mitglieder danach berechtigt sind, ihr Schutzniveau<br />
gegenüber den bekannten Gefahren einer neuen Technologie<br />
autonom festzulegen und dabei auch eine Null-Risiko-Strategie<br />
zu verfolgen, müsste ihnen diese Null-Risiko-Strategie erst recht<br />
gegenüber unbekannten Risiken und Risiken mit unsicherer Eintrittswahrscheinlichkeit<br />
eingeräumt werden, handelt es sich dabei<br />
doch um Situationen noch höherer kognitiver Unsicherheit, deren<br />
Verarbeitung in noch weitergehendem Maße von den politischen<br />
und kulturellen Mustern und Bewertungen der jeweiligen Gesellschaft<br />
abhängt.<br />
Die Zulassung kulturell basierter Vorsorge würde auch die Kompatibilität<br />
des SPS-Übereinkommens mit anderen internationalen<br />
Vereinbarungen wie dem Cartagena Protokoll herstellen, die die<br />
Probleme von Ungewissheit und Nichtwissen aufnehmen und ihre<br />
soziokulturelle Verarbeitung ermöglichen. Andernfalls würden<br />
die Konflikte zwischen dem Ziel der Handelsliberalisierung und anderen<br />
legitimen Politikzielen einseitig zugunsten des Freihandelsprinizips<br />
gelöst und dem SPS-Übereinkommen im Ergebnis ein<br />
»kulturelles Homogenitätsgebot« entnommen, das die Funktion<br />
und die Legitimation der WTO übersteigen und seine weltweite<br />
Anerkennung in Frage stellen würde. Damit soll nicht einem undifferenzierten<br />
»Imperialismus«-Vorwurf das Wort geredet werden,<br />
der die positiven Wirkungen der Überwindung des Protektionismus<br />
leugnete. 89 Die Gefahr einer Überschreitung der funktionellen<br />
Grenzen der WTO aber besteht, und wurde auch vom Berufungsgremium<br />
erkannt, wenn es im shrimp-turtle-Fall andeutete,<br />
dass Regelungskonflikte zwischen der WTO und multilateralen<br />
Umweltabkommen möglicherweise auch zulasten der Ziele des<br />
freien Welthandels zu lösen sein könnten. 90<br />
Eine Interpretation der SPS-Regelungen, die die Probleme von<br />
Ungewissheit und Nichtwissen aufgreift und kulturell basierte Vorsorgemaßnahmen<br />
ermöglicht, erscheint daher – auch zur Erhaltung<br />
der Funktionsfähigkeit der WTO – vorzugswürdig. Danach<br />
wäre präventives Handeln gerechtfertigt, sofern die Wissenschaft<br />
das Eintreten bestimmter Neben- oder Folgewirkungen eines Produkts<br />
nicht ausschließt und der Mitgliedstaat substantiiert darlegt,<br />
dass die Verwirklichung entsprechender Risiken dem Gemeinwesen<br />
eine sozial nicht akzeptable Belastung auferlegen würde. Für<br />
die Angemessenheit eines solchen Ansatzes sprechen nicht zuletzt<br />
die Lehren aus dem Scheitern des britischen BSE-Managements.<br />
D. Exkurs: Die Lektion des BSE-Falles<br />
I. Eine kurze Geschichte des BSE-Managements 91<br />
Die erste offizielle Diagnose der »Bovinen Spongiformen Enzephalopathie«<br />
in Großbritannien stammt vermutlich aus dem November<br />
1986. Im Juni 1987 informierte das Central Veterinary<br />
Office das britische Landwirtschaftsministerium (MAFF) über die<br />
Existenz einer neuen Rinderkrankheit. Im Dezember 1987 wurden<br />
Hinweise gefunden, wonach aus Wiederkäuern gewonnenes Tiermehl<br />
ursächlich für die Verbreitung von BSE sein könnte. Dennoch<br />
wurde BSE erst im Juni 1988 meldepflichtig, und entsprechendes<br />
Tiermehl erst im Juli 1988 verboten. Im August 1988 trat eine<br />
Schlachtungsanordnung für betroffene Rinder in Kraft. Der Southwood<br />
Report vom Februar 1989 bezeichnete das Risiko für Men-<br />
86 EU Measures Concerning Meat and Meat Products (o. Fn. 81), para. 124.<br />
87 So auch Cottier, in: Kellow/Robertson, Globalization and the Environment,<br />
2001, S. 41 (52).<br />
88 Byron, in: Kellow/Robertson, Globalization and the Environment, 2001, S. 27<br />
(28, 34).<br />
89 Poulantzas, in: Hirsch/Jessop/Poulantzas, Die Zukunft des Staates. Denationalisierung,<br />
Internationalisierung, Renationalisierung, 2001, passim; Imperialistische<br />
Globalisierung, Prokla 133, <strong>Heft</strong> 4/2003.<br />
90 United States – Import Prohibition of Certain Shrimp and Shrimp Products,<br />
WT/DS58/AB/R, adopted 6 November 1998, para.185.<br />
ZUR 1/2005 | 7
AUFSÄTZE | Scherzberg, Risikomanagement vor der WTO<br />
schen <strong>als</strong> »entfernt« und »höchst unwahrscheinlich«. Noch im<br />
Mai 1990 behauptete der Landwirtschaftsminister, britisches Rindfleisch<br />
sei absolut sicher. 1995 trat eine alarmierende Zahl der „new<br />
variant“ Creutzfeld-Jakob-Krankheit auf. 1996 gestand die britische<br />
Regierung schließlich die Gefahr für Menschen ein. Bis 2004<br />
gab es im Vereinigten Königreich 139 Todesfälle wegen BSE.<br />
Die USA richteten 1986 ein BSE-Überwachungsprogramm ein.<br />
1987 wurde BSE zur meldepflichtigen Krankheit. Im Juli 1989 wurde<br />
der Import lebender Wiederkäuer aus Ländern verboten, in denen<br />
die Existenz von BSE bekannt war. <strong>Das</strong> FDA-Verbot der Verfütterung<br />
von tierischem Eiweiß an Rinder trat im August 1997 in<br />
Kraft. Im Dezember 1997 wurde der Import aus Europa vollständig<br />
verboten. Der erste BSE-Fall trat in den USA erst Ende 2003 auf. Todesfälle<br />
bei Menschen sind nicht bekannt.<br />
II. Die Lehren aus der BSE-Erfahrung<br />
In den USA wurden die ersten Schutzmaßnahmen bereits getroffen,<br />
<strong>als</strong> wissenschaftliche Beweise für die Gefährlichkeit von BSE<br />
noch unzureichend waren. Die Infektionsraten blieben niedrig. In<br />
Großbritannien hingegen bot das Fehlen eindeutiger Beweise Anlass,<br />
überhaupt keine, unzureichende oder verspätete Maßnahmen<br />
zu treffen. 92 Die Wahrscheinlichkeit der Übertragbarkeit auf den<br />
Menschen wurde <strong>als</strong> vernachlässigbar erachtet, weil man annahm,<br />
BSE stamme von Scrapie ab, welches den Menschen nicht befällt. 93<br />
Auch <strong>als</strong> deutlich wurde, dass das Verfüttern tierischen Proteins für<br />
die Ausbreitung verantwortlich war, wurde das Tierfutterverbot<br />
zunächst auf Wiederkäuer beschränkt und mit mehreren Monaten<br />
Verzögerung erlassen.<br />
<strong>Das</strong> Handeln der britischen Regierung war lange vorwiegend<br />
darauf gerichtet, Panikreaktionen der Verbraucher zu verhindern. 94<br />
Ihre maßgebliche Besorgnis galt einer Schädigung der landeseigenen<br />
Lebensmittelindustrie. 95 Erst der untrügliche Nachweis eines<br />
Zusammenhangs zwischen BSE und CJD und die ersten Todesfälle<br />
veranlassten die britische Regierung zu einem wirksamen Risikomanagement.<br />
Zuvor wurden Informationen über die neue<br />
Krankheit zurückgehalten und ein breiter wissenschaftlicher Dialog<br />
verhindert. 96 Ein solcher Dialog hätte zwar durchaus auch ergeben<br />
können, ökonomische Interessen der öffentlichen Gesundheit<br />
vorzuziehen, solange keine schlüssigen wissenschaftlichen Resultate<br />
vorlagen. Er hätte aber wenigstens ein öffentliches<br />
Problembewusstsein geschaffen, welches den Verbrauchern die<br />
Möglichkeit souveräner Entscheidung über den Umgang mit dem<br />
Risiko gegeben hätte.<br />
Vermutlich wäre die Öffentlichkeit aber auch in England nicht<br />
bereit gewesen, die eigene Gesundheit der wirtschaftlichen Prosperität<br />
unterzuordnen. Eine nachhaltige öffentliche Forderung<br />
nach wirkungsvollen Schutzmaßnahmen hätte der Regierung die<br />
vorherrschenden Wertvorstellungen der Gesellschaft verdeutlicht.<br />
Selbst wenn entsprechende öffentliche Reaktionen nicht immer rational<br />
im wissenschaftlichen Sinne erscheinen mögen, so kann<br />
dies für das britische BSE-Management im Ergebnis noch weit weniger<br />
gelten: keines der seinerzeit angestrebten Ziele wurde erreicht,<br />
viele Menschen verloren ihr Leben und die Fleischindustrie<br />
wurde schwer geschädigt.<br />
E. Schlussfolgerungen<br />
Von BSE zurück zu GVO: Der Umgang der EU mit GVO erscheint<br />
nicht weniger wissenschaftlich <strong>als</strong> der Ansatz der USA. Nur die sozialen<br />
Werte und Präferenzen, welche dem Umgang mit der Ungewissheit<br />
zugrundeliegen, sind verschieden. Vielleicht offenbart<br />
sich darin der Unterschied zwischen einer risikofreundlichen und<br />
einer risikoaversen Gesellschaft. Jedenfalls ist das gegenwärtige<br />
WTO-System kaum darauf vorbereitet, derartige kulturell basierte<br />
Differenzen zu bewältigen. 97 Der Wertungsaspekt der Risikoanalyse<br />
wird vernachlässigt und die Phänomene der Ungewissheit und<br />
des Nichtwissens werden nicht angemessen verarbeitet. 98<br />
Um ähnliche Rechtsstreitigkeiten in der Zukunft zu vermeiden,<br />
hat die WTO zwei Optionen: entweder gestattet sie ihren Mitgliedern,<br />
Maßnahmen des Risikomanagements auf die Ergebnisse des<br />
gesellschaftlichen Risikodiskurses zu stützen, oder sie etabliert einen<br />
solchen Diskurs auf internationaler Ebene selbst. 99 Sofern Risiken<br />
nationale Grenzen überschreiten und daher nicht durch nationale<br />
Regulierung eingedämmt werden können, könnte das<br />
WTO Committee on Trade and Environment (CTE) mit der Aufgabe<br />
betraut werden, eine supranationale Risikokommunikation<br />
zu initiieren und öffentliches Feedback aus den Mitgliedern zu gewinnen.<br />
Basierend auf diesen Erkenntnissen könnten die WTO-Organe<br />
dann eine Leitlinie für die Zulässigkeit von Handelsbeschränkungen<br />
im Rahmen des nationalen Risikomanagements<br />
entwickeln, die die kulturellen Bedürfnisse der WTO- Mitglieder respektiert.<br />
Prof. Dr. Arno Scherzberg<br />
Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaft, Staatswissenschaftliche<br />
Fakultät Universität Erfurt, Nordhäuser Straße 63, 99089<br />
Erfurt.<br />
Tätigkeitsschwerpunkte: Staatswissenschaften <strong>als</strong> Forschungszusammenhang<br />
– Recht der Risikoverwaltung, Funktion des Rechts <strong>als</strong> Mittel gesellschaftlicher<br />
Steuerung, Verwaltungsmodernisierung, Juristische Rationalität<br />
Aktuelle Veröffentlichungen: Risikosteuerung durch Verwaltungsrecht: Ermöglichung<br />
oder Begrenzung von Innovationen, in: VVDStRL 63 (2004),<br />
214 ff.; Rationalität – staatswissenschaftlich betrachtet – Prolegomena zu<br />
einer Theorie juristischer Rationalität, in: Walter Krebs (Hrsg.), Liber Amicorum<br />
Hans-Uwe Erichsen: zum 70. Geburtstag am 15. Oktober 2004,<br />
Köln, Berlin, München 2004, 177 ff.; Wozu und wie überhaupt noch<br />
öffentliches Recht, Berlin 2003; Wissen, Nichtwissen und Ungewissheit im<br />
Recht, in: Engel/Halfmann/Schulte, Wissen – Nichtwissen – Unsicheres<br />
Wissen, Baden-Baden 2002, S. 113 ff; Die Öffentlichkeit der Verwaltung,<br />
Baden-Baden 2000.<br />
91 Zum Folgenden vgl. Report of the BSE Inquiry, Stationery Office, 2000; National<br />
Meat Association Resource, http://meat.tamu.edu/ pdf/BSEresource.pdf.<br />
92 Dressel (o. Fn. 53), S. 50-51.<br />
93 BSE Inquiry (o. Fn. 91), Executive Summary, 19; EEA (o. Fn. 32), S. 157.<br />
94 BSE Inquiry (o. Fn. 91), Executive Summary, 18.<br />
95 EEA (o. Fn. 32), S. 159.<br />
96 BSE Inquiry (o. Fn. 91), Executive Summary, 19; EEA (o. Fn. 32), S. 159; Dressel<br />
(o. Fn. 53), S. 68-75.<br />
97 Sampson, in: Kellow/Robertson, Globalization and the Environment, 2001,<br />
S. 15 (24-25); Cottier (o. Fn. 87), S. 42.<br />
98 Cottier (o. Fn. 87), S. 53.<br />
99 Cottier (o. Fn. 87), S. 53, schlägt Umfragen und Expertenanhörungen vor »to<br />
look into factors such as acceptance of new technologies and ethical considerations«.<br />
8 | ZUR 1/2005
Beckmann/Hagmann, Stillegung, Rekultivierung und Nachsorge von Deponien | AUFSÄTZE<br />
Martin Beckmann/Joachim Hagmann<br />
Stilllegung, Rekultivierung und Nachsorge<br />
von Deponien<br />
Abfallrechtliche und bodenschutzrechtliche Anforderungen<br />
Die rechtlichen Probleme der Deponiestilllegungen sowie der Sanierung<br />
von Deponiestandorten bleiben angesichts des in diesem Jahr uneingeschränkt<br />
eingreifenden Vorbehandlungsgebotes der Abfallablagerungsverordnung<br />
und der Deponieverordnung weiterhin aktuell. Viele in der<br />
Vergangenheit stillgelegte Deponiestandorte sind zudem heute Altlasten<br />
im Sinne des Bundes-Bodenschutzgesetzes. Oftm<strong>als</strong> stellt sich die Frage,<br />
ob für solche Standorte deponierechtliche oder bodenschutzrechtliche<br />
Vorschriften zur Anwendung gelangen, da die Vorgaben hinsichtlich der<br />
inhaltlichen Anforderungen und insbesondere im Hinblick auf den in<br />
Anspruch zu nehmenden Adressatenkreis voneinander abweichen. Der<br />
vorliegende Beitrag befasst sich mit den rechtlichen Vorgaben zur Stilllegung,<br />
Rekultivierung und Nachsorge von Deponien. Von besonderer Bedeutung<br />
ist dabei die Abgrenzung der deponierechtlichen Vorgaben zum<br />
Regime des Bundes-Bodenschutzgesetzes, die nach den §§ 36 Abs. 2 S.<br />
2 KrW-/AbfG, 3 Abs. 1 Nr. 2 BBodSchG vorzunehmen ist.<br />
A. Einführung<br />
Zwischen 1972 und 1986 wurde in der Bundesrepublik die Zahl der<br />
Deponien von ca. 50.000 auf etwa 3.000 verringert. Bei vielen dieser<br />
Altablagerungen handelt es sich heute um sanierungsbedürftige<br />
Altlasten. In der ehemaligen DDR wurden 1989 etwa 120 geordnete<br />
Deponien, ca. 2.000 betriebseigene Deponien und ca.<br />
10.000 wilde Müllkippen registriert, die heute ebenfalls häufig <strong>als</strong><br />
sanierungsbedürftige Altlasten anzusehen sind. 1 Die rechtlichen<br />
Anforderungen an die Stilllegung und die Nachsorge von Deponien<br />
gewinnen darüber hinaus aktuell stark an Bedeutung, weil zahlreiche<br />
Deponien die Anforderungen der zum 1.3.2001 in Kraft getretenen<br />
Abfallablagerungsverordnung – AbfAblV- und der zum<br />
1.8.2002 in Kraft getretenen Deponieverordnung – DepV- für den<br />
Weiterbetrieb von Deponien nicht erfüllen und deshalb stillgelegt<br />
werden müssen oder bereits stillgelegt worden sind und nachgesorgt<br />
werden müssen. 2 Von den im Jahre 2000 in Deutschland<br />
noch vorhandenen rund 370 Hausmülldeponien werden Mitte<br />
2005 etwa die Hälfte stillgelegt sein, weil sie die Anforderungen der<br />
AbfAblV nicht einhalten können. Laufende Deponien, die noch<br />
vor dem 15.7.2005 den Ablagerungsbetrieb einstellen, werden<br />
nach § 14 Abs. 6 S. 2 DepV zudem privilegiert. Die zuständige<br />
Behörde kann für diese Deponien Ausnahmen von den Anforderungen<br />
für die Stilllegung und Nachsorge nach § 14 Abs. 4 DepV<br />
i.V.m. §§ 12, 13 DepV und Nr. 11.2.1 h TA Siedlungsabfall zulassen,<br />
wenn der Deponiebetreiber im Einzelfall den Nachweis erbringt,<br />
dass durch andere geeignete Maßnamen das Wohl der Allgemeinheit,<br />
gemessen an den mit den Anforderungen der DepV<br />
und der AbfAblV zu erreichenden Zielen eines dauerhaften<br />
Schutzes der Umwelt, insbesondere des Grundwassers, nicht beeinträchtigt<br />
wird. <strong>Das</strong> soll die Bereitschaft zur Deponiestilllegung<br />
erhöhen. Bis zum Jahre 2020 möchte die Bundesregierung nahezu<br />
vollständig auf eine Abfallbeseitigung in Form der Abfallablagerung<br />
verzichten.<br />
Bei den Deponiestillegungen bis etwa 1986 dachte kaum jemand<br />
daran, die Deponien zur Vermeidung unkontrollierter Sickerwasseraustritte<br />
und Entgasungen zu sanieren und nachzusorgen. Sie<br />
wurden zumeist nur mit einer Bodenschicht abgedeckt und begrünt.<br />
Viele von ihnen sind deshalb Altlasten, über deren Sanierung<br />
auf der Grundlage des 1998 in Kraft getretenen BBodSchG gestritten<br />
wird. Natürlich gehen auch von den nach Inkrafttreten des<br />
AbfG 1972 in Betrieb genommenen Zentraldeponien Gefahren für<br />
die Umwelt, insbesondere durch die Belastung des Grundwassers<br />
aus. Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen befürchtet<br />
wegen der unzureichenden technischen Ausstattung und der Ablagerung<br />
unvorbehandelter Abfälle für die bis zum Jahre 2005 stillzulegenden<br />
Deponien lange Nachsorgezeiten und aufwändige Sanierungsmaßnahmen.<br />
Nach Ansicht des Umweltrates kann bei<br />
Hausmülldeponien unter Umständen erst nach über 100 Jahren<br />
anfallendes Sickerwasser wegen der bis dahin stattfindenden<br />
Auslaugung des Deponiekörpers in ein Gewässer eingeleitet werden.<br />
Auch die Entgasung einer solchen Hausmülldeponie mit unvorbehandelt<br />
abgelagerten Abfällen kann mehrere Jahrzehnte in<br />
Anspruch nehmen. 3<br />
Für die Stilllegung und Nachsorge von Deponien sind abfallrechtliche<br />
Bestimmungen maßgeblich. Daneben können aber<br />
auch Vorschriften des Bodenschutzrechts über die Sanierung von<br />
Altablagerungen beachtlich sein. In Rechtsprechung und Literatur<br />
werden in jüngerer Zeit zu der Frage, welche Vorschriften zur Anwendung<br />
kommen, unterschiedlichste Auffassungen vertreten. 4<br />
Im Nachfolgenden soll nach einem Überblick über die zu beachtenden<br />
abfallrechtlichen Regelungen auf die Bestimmungen des<br />
Bodenschutzrechts eingegangen und erläutert werden, welche unterschiedlichen<br />
Konsequenzen sich aus einer Anwendung des<br />
BBodSchG ergeben können. Da die Abgrenzung der Anwendungsbereiche<br />
des KrW-/AbfG und des BBodSchG schwierig ist, sollen<br />
schließlich die Anwendungsbereiche beider Gesetze bei der Stilllegung,<br />
Nachsorge und Sanierung von Deponien voneinander abgegrenzt<br />
werden.<br />
B. Lebensphasen der Deponie<br />
In der DepV sind erstm<strong>als</strong> verschiedene zeitliche Phasen der Errichtung,<br />
des Betriebs, der Stilllegung und der Nachsorge von De-<br />
1 Kersting/Spieß, Bestandsschutz für Altdeponien in den alten Bundesländern,<br />
LKV 1999, 425; Bericht der Bundesregierung, BT-Drs. 11/8041.<br />
2 Dazu Beckmann, in: Landmann/Rohmer, <strong>Umweltrecht</strong>, Band III, Loseblatt,<br />
§ 36 KrW-/AbfG Rn. 10.<br />
3 Umweltrat, Umweltgutachten 2002, Stuttgart 2002, Anmerkung 1078 ff..<br />
4 OVG Weimar, Urt. v. 11.6. 2001 – 4 KO 52/97, NuR 2002, 172; OVG Münster,<br />
Urt. v. 16.11.2000 – 20 A 1774/99, NVwZ 2001, 1186; VGH München,<br />
Beschl. v. 9.7.2003 – 20 CS 03.103, NVwZ 2003, 1281; VG Meiningen, Urt.<br />
v. 2.12.2003 – 2 K 800/00; VGH München, Beschl. v. 2.2.2001 - 20 ZB<br />
00.3551, NVwZ 2001, 576; VG Regensburg, Urt. v. 6.3.2003 – 7 KO 01.1236,<br />
AbfallR 2004, 92; Thärichen, Die Abgrenzung zwischen Abfallrecht und Bodenschutzrecht<br />
bei der Altlastensanierung, AbfallR 2004, 55; Frenz, Abfallund<br />
Bodenschutzrecht – Abgrenzung, Parallelen und Zusammenspiel, UPR<br />
2002, 201; Plogmann, Anwendung des Bodenschutzrechts auf die Sanierung<br />
stillgelegter Deponien, UPR 2002, 432; Beckmann/Hagmann, Rechtsgrundlagen<br />
der Rekultivierung und Nachsorge von Deponien nach Inkrafttreten des<br />
BBodSchG, DVBl. 2001, 1636; Schäfer, Zum Altlastenregime des Bundes-Bodenschutzgesetzes,<br />
NuR 2001, 429; Schäfer, Stilllegung von Deponien, NVwZ<br />
2001, 1133; Rossi, Anmerkung zum Urteil des OVG Weimar v. 11.6.2001, NJ<br />
2002, 219.<br />
ZUR 1/2005 | 9
AUFSÄTZE | Beckmann/Hagmann, Stillegung, Rekultivierung und Nachsorge von Deponien<br />
ponien definiert und auf diese Weise voneinander abgegrenzt worden.<br />
Sie sind für das Verständnis der abfallrechtlichen Anforderungen<br />
für die Stilllegung und Nachsorge und auch für die Abgrenzung<br />
der Anwendungsbereiche des BBodSchG und des KrW-<br />
/AbfG von zentraler Bedeutung. Die Verordnung unterscheidet<br />
eine Betriebsphase und eine Nachsorgephase.<br />
An die Betriebsphase schließt sich gem. § 2 Nr. 24 DepV die Nachsorgephase<br />
an. Sie umfasst den Zeitraum nach der endgültigen<br />
Stilllegung der Deponie bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die zuständige<br />
Behörde nach § 36 Abs. 5 KrW-/AbfG den Abschluss der Nachsorge<br />
feststellt. <strong>Das</strong> Gesetz sieht dazu den Erlass eines weiteren<br />
feststellenden Verwaltungsaktes vor, mit dem der Inhaber einer Deponie<br />
aus der Nachsorgephase entlassen wird. Welchen konkreten<br />
zeitlichen Rahmen die Nachsorgephase umfassen kann, regelt das<br />
Gesetz nicht. Einen Anhaltspunkt enthält dazu § 19 Abs. 3 DepV,<br />
der Einzelheiten zu der von Deponiebetreibern zu erbringenden Sicherheitsleistung<br />
bestimmt. 7 Danach soll für die Berechnung der<br />
Höhe der zu leistenden Sicherheit bei Deponien der Deponieklasse<br />
I, II, III und IV ein Nachsorgezeitraum von mindestens 30 Jahren,<br />
bei Deponien der Klasse 0 ein Nachsorgezeitraum von mindestens<br />
10 Jahren zugrunde gelegt werden. Die tatsächliche Dauer<br />
des Nachsorgezeitraums hängt jedoch allein von den Umständen<br />
des jeweiligen Einzelfalls ab. Sie kann den in § 19 Abs. 3 DepV genannten<br />
Zeitraum deutlich über- oder unterschreiten.<br />
I. Betriebsphase<br />
Die Betriebsphase umfasst gem. § 2 Nr. 5 DepV den Zeitraum von<br />
der Abnahme der für den Betrieb einer Deponie oder eines Deponieabschnittes<br />
erforderlichen Einrichtungen durch die zuständige<br />
Behörde bis zur Feststellung der endgültigen Stilllegung einer Deponie<br />
nach § 36 Abs. 3 KrW-/AbfG. Zur Betriebsphase zählen eine<br />
Ablagerungsphase und eine Stilllegungsphase.<br />
1. Ablagerungsphase<br />
Die Ablagerungsphase erstreckt sich gem. § 2 Nr. 2 DepV auf den<br />
Zeitraum von der Abnahme der für den Betrieb einer Deponie oder<br />
eines Deponieabschnittes erforderlichen Einrichtungen durch die<br />
zuständige Behörde bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die Ablagerung<br />
von Abfällen zur Beseitigung auf der Deponie oder dem Deponieabschnitt<br />
beendet wird. Ihr geht die so genannte Einrichtungsphase<br />
voraus, die sämtliche tatsächlichen Maßnahmen am Anlagenstandort<br />
umfasst, die der Errichtung der Deponie dienen. 5<br />
Gem. § 5 DepV darf der Deponiebetreiber eine Deponie oder einen<br />
Deponieabschnitt erst dann in Betrieb nehmen, wenn die zuständige<br />
Behörde die für den Betrieb erforderlichen Einrichtungen abgenommen<br />
hat. Die Abnahme ist im Betriebstagebuch zu dokumentieren.<br />
Mit der behördlichen Abnahme beginnt gem. § 2 Nr. 2<br />
DepV die Ablagerungsphase.<br />
Die Ablagerungsphase endet, wenn die Ablagerung von Abfällen<br />
zur Beseitigung auf der Deponie oder dem Deponieabschnitt eingestellt<br />
wird. § 36 Abs. 1 KrW-/AbfG verpflichtet den Inhaber einer<br />
Deponie, ihre beabsichtigte Stilllegung der zuständigen Behörde<br />
unverzüglich anzuzeigen. Für das Ende der Ablagerungsphase<br />
kommt es jedoch nicht auf die Anzeige, sondern auf die tatsächliche<br />
Beendigung des Ablagerungsbetriebs an. 6<br />
2. Stilllegungsphase<br />
Mit dem Ende der Ablagerungsphase beginnt gem. § 2 Nr. 26 DepV<br />
die Stilllegungsphase. Sie dauert bis zur “endgültigen Stilllegung”<br />
der Deponie. Die endgültige Stilllegung ist der Zeitpunkt, zu dem<br />
alle Stilllegungsmaßnahmen abgeschlossen sind. Gem. § 36 Abs. 3<br />
KrW-/AbfG hat die zuständige Behörde den Abschluss der Stilllegung<br />
<strong>als</strong> den Zeitpunkt der endgültigen Stilllegung festzustellen.<br />
II. Nachsorgephase<br />
C. Abfallrechtliche Stilllegung und Nachsorge von Deponien<br />
Die Stilllegungs- und Nachsorgeregelungen des § 36 KrW-/AbfG<br />
gelten für die nach Inkrafttreten des AbfG 1972 errichteten und betriebenen<br />
Deponien sowie für die Deponien im Sinne des § 35 Abs.<br />
1 KrW-/AbfG, die vor dem 11.7.1972 betrieben wurden oder mit<br />
deren Errichtung begonnen war. Für Uraltdeponien, d. h. für solche<br />
Deponien, die bereits vor dem 11.6.1972 endgültig stillgelegt<br />
worden waren, gelten die Regelungen dagegen nicht. 8<br />
I. Anzeigepflicht<br />
Gem. § 36 Abs. 1 S. 1 KrW-/AbfG hat der Inhaber einer Deponie ihre<br />
beabsichtigte Stilllegung der zuständigen Behörde unverzüglich<br />
anzuzeigen. Der Anzeige sind Unterlagen über Art, Umfang und Betriebsweise<br />
sowie über die beabsichtigte Rekultivierung und sonstige<br />
Vorkehrungen zum Schutz des Wohls der Allgemeinheit beizufügen.<br />
Eine Zustimmung oder ein behördliches Einverständnis mit der<br />
Stilllegung ist nicht erforderlich. Auch einer Genehmigung oder<br />
Planfeststellung bedarf die Stilllegung grundsätzlich nicht. <strong>Das</strong> gilt<br />
jedenfalls, wenn die beabsichtigte Stilllegung nicht von den Regelungen<br />
des Planfeststellungsbeschlusses abweicht. Sieht der Planfeststellungsbeschluss<br />
bereits Bestimmungen für die im Zusammenhang<br />
mit der Stilllegung notwendige Rekultivierung und Nachsorge<br />
vor und soll davon abgewichen werden, weil diese Anforderungen<br />
z.B. nicht mehr dem Stand der Technik entsprechen, dann kann bei<br />
einer wesentlichen Änderung neben der Anzeige ein Zulassungsverfahren<br />
erforderlich werden. Eine planfeststellungs- oder plangenehmigungsbedürftige<br />
Änderung der Deponie durch Maßnahmen der<br />
Rekultivierung und Nachsorge setzt im Übrigen voraus, dass der Bescheid,<br />
von dem abgewichen werden soll, noch wirksam ist. 9<br />
Einer Stilllegungsanzeige bedarf es nicht, wenn die zuständige<br />
Behörde den Deponiebetreiber nach § 12 Abs. 1 DepV zu einer Stilllegung<br />
verpflichtet. 10 Denn in diesem Fall fehlt es an einer Stilllegungsabsicht<br />
des Deponiebetreibers. Auch eine Unterrichtung der<br />
Behörde ist nicht erforderlich, weil sie die bevorstehende Stilllegung<br />
selbst veranlasst hat. Die Vorlage der nach § 36 Abs. 1 S. 2<br />
KrW-/AbfG der Anzeige beizufügenden Unterlagen kann die zuständige<br />
Behörde bei einer Stilllegungsanordnung verlangen,<br />
wenn sie diese benötigt, um ihre Stillegungsanordnung zu konkretisieren.<br />
Ob die Ermächtigung des § 12 Abs. 1 DepV zum Erlass<br />
einer Stilllegungsanordnung mit § 36 KrW-/AbfG vereinbar ist, ist<br />
zweifelhaft. Denn anders <strong>als</strong> der Verordnungsgeber geht der Gesetzgeber<br />
nicht davon aus, dass jede Beeinträchtigung des Allgemeinwohls<br />
zu einer Stilllegung berechtigt. 11 Offensichtlich ist, dass<br />
aus Gründen der Verhältnismäßigkeit vorrangig zur Vermeidung<br />
5 Klett, Deponieverordnung – Ausgewählte Fragen zu deren Anwendung, AbfallR<br />
2002, 23 ff.; Gaßner/Siederer, Deponierecht, Kommentar zur Abfallablagerungsverordnung<br />
und zur Deponieverordnung, Berlin 2004, § 2 DepV, Rn. 2.<br />
6 Gaßner/Siederer, Fn. 5, § 2 DepV, Rn. 2; vgl. auch BR-Drs. 231/02, S. 73.<br />
7 Siehe dazu Beckmann/Gesterkamp, Sicherheitsleistungen für Abfallentsorgungsanlagen<br />
und Entsorgungsdienstleistungen, UPR 2003, 206 ff.<br />
8 Beckmann, Fn. 2, § 36 KrW-/AbfG Rn. 18; Paetow, in: Kunig/Paetow/Versteyl,<br />
Kommentar zum KrW-/AbfG, 2. Aufl., München 2003, § 36 Rn. 5.<br />
9 Beckmann, Fn. 2, § 36 KrW-/AbfG Rn. 24.<br />
10 Paetow, Fn. 8, § 36 Rn. 7.<br />
11 Beckmann, Fn. 2, § 36 KrW-/AbfG Rn. 27; Beckmann, Rechtliche Vorgaben für<br />
Abfallwirtschaftsplanung und Deponiezulassung zum Weiterbetrieb und zur<br />
Stilllegung von Deponien, in: Tagungsband zu den Kölner Abfalltagen 2002,<br />
Köln 2003; Klett, Fn. 5, AbfallR 2002, 23 (28 f.).<br />
10 | ZUR 1/2005
Beckmann/Hagmann, Stillegung, Rekultivierung und Nachsorge von Deponien | AUFSÄTZE<br />
von Beeinträchtigungen des Allgemeinwohls an den Erlass<br />
nachträglicher Anordnungen zu denken ist, was in § 32 Abs. 4<br />
KrW-/AbfG auch vom Gesetzgeber so vorgesehen ist. Reichen<br />
nachträgliche Auflagen zur Vermeidung von Allgemeinwohlbeeinträchtigungen<br />
nicht aus, kann auf der Grundlage der gesetzlichen<br />
Regelungen allenfalls über eine Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses<br />
entschieden werden. Hinsichtlich der Stilllegung<br />
von Deponien geht dagegen die Initiative nach dem Gesetz vom<br />
Deponiebetreiber aus. Dieser ist nach § 36 Abs. 1 S. 1 KrW-/AbfG<br />
lediglich verpflichtet, eine von ihm beabsichtigte Stilllegung rechtzeitig<br />
anzuzeigen. Die umfassende Stilllegungsbefugnis des § 12<br />
Abs. 1 DepV für die Behörde ist mit dieser gesetzlichen Regelung,<br />
die dem Deponiebetreiber die Entscheidung für oder gegen eine<br />
Stilllegung belässt, ist mit § 36 KrW-/AbfG unvereinbar.<br />
Anzeigepflichtig ist nicht die tatsächliche Stilllegung der Deponie,<br />
sondern bereits die beabsichtigte Stilllegung. Die Stilllegungsabsicht<br />
besteht, wenn der Inhaber der Deponie auf der Grundlage<br />
konkreter Planungen entschieden hat, den Ablagerungsbetrieb einzustellen.<br />
Die Anzeige muss demnach schon vor der Stilllegung unverzüglich,<br />
d. h. im Sinne des § 121 Abs. 1 BGB ohne schuldhaftes<br />
Zögern abgegeben werden, nachdem sich der Deponieinhaber zur<br />
Stilllegung entschlossen hat. Nach § 20 Abs. 3 S. 1 DepV ist die Stilllegung<br />
einer Deponie der Klasse 0, I, II, III oder IV oder eines Deponieabschnitts<br />
einer solchen Deponie nach § 36 Abs. 1 KrW-<br />
/AbfG mindestens ein Jahr vor dem beabsichtigten Ende der Ablagerungsphase<br />
bei der zuständigen Behörde schriftlich anzuzeigen.<br />
Hat der Deponiebetreiber seine Pflicht zur unverzüglichen Anzeige<br />
der Stilllegungsabsicht versäumt, dann handelt er gemäß § 61<br />
Abs. 2 Nr. 2 a KrW-/AbfG ordnungswidrig. Nach überwiegender<br />
Auffassung ist der Deponiebetreiber verpflichtet, eine versäumte<br />
Stilllegungsanzeige nachzuholen. 12<br />
Nach § 36 Abs. 1 S. 2 KrW-/AbfG sind der Anzeige über die beabsichtigte<br />
Stilllegung Unterlagen über Art, Umfang und Betriebsweise<br />
sowie die beabsichtigte Rekultivierung und sonstige Vorkehrungen<br />
zum Schutz des Wohls der Allgemeinheit beizufügen. Einzelheiten<br />
der beizufügenden Unterlagen regelt neuerdings § 20 Abs. 3<br />
S. 2 i. V. m. Abs. 1 S. 1 – 3 DepV. Die Unterlagen sollen eine Feststellung<br />
der zuständigen Behörde ermöglichen, ob die vorgesehenen<br />
Maßnahmen für eine Rekultivierung und zur Vermeidung von<br />
Beeinträchtigungen des Wohls der Allgemeinheit ausreichend sind.<br />
Dabei kann allerdings auf Regelungen des Planfeststellungsbeschlusses<br />
zur Rekultivierung und Nachsorge und auf die dazu<br />
gehörenden Antragsunterlagen Bezug genommen werden, soweit<br />
in dem Planfeststellungsbeschluss entsprechende Regelungen vorhanden<br />
bzw. in den Antragsunterlagen auch entsprechende Planungen<br />
beigefügt sind, die nicht auf der Grundlage des sich entwickelnden<br />
Standes der Technik und der Laufzeit der Deponie überholt<br />
sind. Es ist allerdings davon auszugehen, dass die bereits im<br />
Planfeststellungsverfahren vorgelegten Untersuchungen etwa zur<br />
Bodenbeschaffenheit des Deponiestandortes und seiner Umgebung<br />
grundsätzlich auch für die Überlegungen zur Stilllegung und Nachsorge<br />
aussagekräftig sind. 13 Bei einer wesentlichen Änderung im<br />
Rahmen des Stilllegungsverfahrens gilt nach § 20 Abs. 3 S. 3 DepV<br />
zusätzlich § 36 Abs. 1 S. 4 KrW-/AbfG entsprechend. Danach sind<br />
in den Unterlagen zu den in der Anlage 2 des UVPG genannten Kriterien<br />
Aussagen zu treffen, die eine Vorprüfung des Einzelfalls zur<br />
Frage der Umweltverträglichkeitsprüfung ermöglichen.<br />
II. Rekultivierungs- und Nachsorgeanordnungen<br />
Gem. § 36 Abs. 2 S. 1 KrW-/AbfG hat die zuständige Behörde, soweit<br />
entsprechende Anforderungen nicht bereits im Planfeststellungsbeschluss,<br />
in der Plangenehmigung oder in einem Bescheid<br />
nach § 35 KrW-/AbfG bzw. in den für die Deponie geltenden umweltrechtlichen<br />
Vorschriften geregelt sind, den Deponiebetreiber<br />
zur Rekultivierung und Nachsorge zu verpflichten. Eine Anordnung<br />
nach § 36 Abs. 2 S. 1 KrW-/AbfG setzt nicht voraus, dass der<br />
Deponiebetreiber pflichtgemäß die Anzeige nach § 36 Abs. 1 S. 1<br />
KrW-/AbfG abgegeben hat. 14<br />
Die Kosten für die Rekultivierung und Nachsorge müssen von<br />
dem Deponiebetreiber während der gesamten Ablagerungsphase<br />
in der Entgelt- bzw. Gebührenkalkulation berücksichtig werden.<br />
Gem. § 36 d Abs. 1 S. 1 KrW-/AbfG müssen die vom Deponiebetreiber<br />
für die Ablagerung von Abfällen in Rechnung zu stellenden<br />
Entgelte auch die geschätzten Kosten für die Stilllegung und die<br />
Nachsorge für einen Zeitraum von mindestens 30 Jahren abdecken.<br />
Der Gesetzgeber geht von einem Vorrang der Rekultivierungs-<br />
und Nachsorgeregelungen im Zulassungsbescheid bzw. in<br />
einer Anordnung nach § 35 KrW-/AbfG aus. Denn eine Anordnung<br />
nach § 36 Abs. 2 S. 1 KrW-/AbfG kommt nur in Betracht, soweit<br />
entsprechende Regelungen nicht bereits in den erwähnten Bescheiden<br />
enthalten sind.<br />
Die Anordnungsbefugnisse nach § 36 Abs. 2 S. 1 KrW-/AbfG richten<br />
sich gegen den Inhaber der Deponie, nicht gegen den Grundstückseigentümer,<br />
wenn dieser nicht mit dem Inhaber der Deponie<br />
identisch ist, weil er das Grundstück z.B. an den Inhaber der<br />
Deponie verpachtet hat. 15 Als Inhaber der Deponie wird der Deponiebetreiber<br />
angesehen. Deponiebetreiber ist nach § 2 Nr. 12<br />
DepV die natürliche oder juristische Person, die die rechtliche oder<br />
tatsächliche Verfügungsgewalt über eine Deponie innehat. § 36<br />
Abs. 2 S. 1 KrW-/AbfG ermächtigt auch nicht zu einer Verpflichtung<br />
des Eigentümers, erforderliche Rekultivierungs- und Sicherungsmaßnahmen<br />
zu dulden. Eine derartige Duldungspflicht ist allerdings<br />
teilweise in den Landesabfallgesetzen geregelt. Regelmäßig<br />
wird sie sich darüber hinaus aus den zivilrechtlichen Verhältnissen,<br />
etwas aus einem Pachtvertrag, einem Erbbaurechtsvertrag etc. ergeben.<br />
Nötigenfalls kann die Duldung auch über das allgemeine<br />
Ordnungsrecht durchgesetzt werden. 16 Eine fehlende Duldungspflicht<br />
des Eigentümers führt nicht zur Rechtswidrigkeit der Anordnung<br />
nach § 36 Abs. 2 S. 1 KrW-/AbfG gegenüber dem Deponiebetreiber,<br />
sondern allein zu einem vorübergehenden Durchsetzungshindernis.<br />
17<br />
Ob sich Anordnungen gem. § 36 Abs. 2 S. 1 KrW-/AbfG auch gegen<br />
frühere Anlageninhaber richten können, ist umstritten. Teilweise<br />
wird dies mit der Begründung verneint, die Verfügung könne<br />
sich nur an den letzten Inhaber richten, der die Anlage stilllegen<br />
möchte und deshalb eine entsprechende Anzeige abgegeben<br />
hat oder hätte abgeben müssen. 18 Von der Gegenmeinung wird dagegen<br />
unter Hinweis auf Sinn und Zweck des Gesetzes eine solche<br />
Inanspruchnahme nicht ausgeschlossen. 19 Umstritten war in der<br />
Vergangenheit außerdem, ob und inwieweit eine Inanspruchnahme<br />
nach § 36 Abs. 2 KrW-/AbfG bzw. der Vorgängerregelung des<br />
§ 10 AbfG zeitlich nur begrenzt zulässig ist. Auf diesen Rechtsstreit<br />
kommt es nur noch an, soweit die Inanspruchnahme nicht auf der<br />
Grundlage des § 36 Abs. 2 S. 2 KrW-/AbfG nach dem BBodSchG zu<br />
12 Siehe z.B. Paetow, Fn. 8, § 36 Rn. 9; Ebling, in: Fluck (Hrsg.), Kreislaufwirtschafts-<br />
, Abfall- und Bodenschutzrecht, Loseblatt, § 36 KrW-/AbfG Rn. 29; a.A. Beckmann,<br />
Fn. 2, § 36 KrW-/AbfG Rn. 32.<br />
13 Ebling, Fn. 12, § 36 KrW-/AbfG Rn. 42.<br />
14 Zutreffend Frenz, Kommentar zum KrW-/AbfG, 3. Aufl., Köln u.a., 2002, § 36<br />
Rn. 2.<br />
15 Nach u.E. zweifelhafter Auffassung von Kügel, NJW 2004, 1570, soll im Zweifel<br />
von einer Mitinhaberschaft des Grundstückseigentümers ausgegangen<br />
werden, wenn die Rechtsverhältnisse mit dem Hauptnutzer des Grundstücks<br />
so unklar gestaltet sind, dass die Inhaberschaft nicht eindeutig zu klären ist.<br />
16 Paetow, Fn. 8, § 36 Rn. 15.<br />
17 Frenz, Fn. 14, § 36 Rn. 10; BVerwG, Urt. v. 28.4.1972 – IV C. 42, BVerwGE 40,<br />
101 (103).<br />
18 v. Lersner, in: v. Lersner/Wendenburg, Recht der Abfallbeseitigung, Loseblatt<br />
Berlin, § 36 KrW-/AbfG Rn. 25; Paetow, Fn. 8, § 36 Rn. 15.<br />
19 BVerwG, Beschl. v. 14.4.1986 – 7 B 18/86, NVwZ 1986, 640; Schoeneck, in: Jarass/Ruchay/Weidemann,<br />
Kommentar zum KrW-/AbfG, Loseblatt München,<br />
§ 36 Rn. 68 m. v. N.<br />
ZUR 1/2005 | 11
AUFSÄTZE | Beckmann/Hagmann, Stillegung, Rekultivierung und Nachsorge von Deponien<br />
erfolgen hat. <strong>Das</strong> BVerwG hatte insoweit erwogen, den ursprünglich<br />
in § 17 Abs. 4 a BImSchG genannten Zeitraum von 10 Jahren,<br />
der allerdings durch eine Änderung des § 17 Abs. 4 a BImSchG zwischenzeitlich<br />
auf ein Jahr verkürzt worden ist, <strong>als</strong> Anhaltspunkt für<br />
eine solche zeitliche Beschränkung heranzuziehen. 20 Allerdings<br />
dürfte die jetzt nach § 17 Abs. 4 a BImSchG geltende Jahresfrist auf<br />
Deponien nicht übertragbar sein, weil schädliche Auswirkungen<br />
der Deponie innerhalb einer so kurzen Frist häufig nicht festzustellen<br />
sind. 21 Der Zeitraum, in dem derartige Anordnungen nach<br />
der Stilllegung einer Deponie ergehen können, bestimmt sich<br />
mangels einer genauer definierten zeitlichen Begrenzung nach<br />
dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. 22 Dementsprechend gibt<br />
es keine festen zeitlichen Grenzen für eine solche Inanspruchnahme.<br />
Wo sie genau liegen, lässt sich abstrakt nicht festlegen, sondern<br />
bedarf einer Abwägung im Einzelfall, wobei z. B. die Frage, ob der<br />
Deponiebetrieb seinerzeit ordnungsgemäß oder unter Missachtung<br />
seinerzeit beachtlicher Regelungen oder Zulassungen geführt worden<br />
ist, im Rahmen dieser Abwägung berücksichtigt werden kann.<br />
Nach Auffassung des BVerwG konnten jedenfalls nach früherer<br />
Rechtslage für den Fall einer unterlassenen Stilllegungsanzeige Anordnungen<br />
auch noch 13 Jahre nach Stilllegung zulässig sein. 23<br />
1. Rekultivierung<br />
Unter einer Rekultivierung wird die Umgestaltung der Deponiefläche<br />
in einer Weise verstanden, die lediglich eine andere Bodennutzung<br />
ermöglicht. 24 Andere verstehen unter dem Begriff der Rekultivierung<br />
die Wiedereingliederung der Deponiefläche in die<br />
Landschaft im Sinne der Anpassung an ihre natürliche Umgebung. 25<br />
Die Rekultivierung der stillgelegten Deponie dient in erster Linie<br />
nicht dem Bodenschutz, insbesondere der Vermeidung oder Beseitigung<br />
schädlicher Bodenveränderungen im Sinne des § 2 Abs. 3<br />
BBodSchG, sondern dem Natur- und Landschaftsschutz, und zwar<br />
zumeist und vor allem dem Ausgleich eines mit der Errichtung und<br />
dem Betrieb der Deponie in aller Regel verbundenen erheblichen<br />
Eingriffs in das Landschaftsbild. Allerdings muss die Rekultivierungsanordnung<br />
nicht immer auf einen Ausgleich des Eingriffs in<br />
Natur und Landschaft gerichtet sein. Denn nach den konkreten Umständen<br />
des Einzelfalls kommt auch eine gewerbliche oder sonstige<br />
bauliche Nachnutzung des Deponiegeländes in Betracht, so dass eine<br />
Rekultivierungsanordnung darauf Rücksicht zu nehmen hat. 26<br />
2. Sonstige Vorkehrungen<br />
Gem. § 36 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 KrW-/AbfG hat die zuständige Behörde<br />
den Deponiebetreiber zu verpflichten, auf seine Kosten alle sonstigen<br />
erforderlichen Vorkehrungen, einschließlich der Überwachungs-<br />
und Kontrollmaßnahmen während der Nachsorgephase<br />
zu treffen, um die in § 32 Abs. 1 – 3 KrW-/AbfG genannten Anforderungen<br />
auch nach der Stilllegung zu erfüllen. Nach § 36 Abs. 2<br />
S. 1 Nr. 3 KrW-/AbfG ist der Deponiebetreiber zu verpflichten, der<br />
zuständigen Behörde alle Überwachungsergebnisse zu melden, aus<br />
denen sich Anhaltspunkte für erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen<br />
ergeben. 27<br />
III. Endgültige Stilllegung<br />
Die zuständige Behörde hat nach § 36 Abs. 3 KrW-/AbfG den Abschluss<br />
der Stilllegung festzustellen. Diese Feststellung wird vom<br />
Gesetzgeber <strong>als</strong> endgültige Stilllegung definiert. Mit der Feststellung<br />
des Abschlusses der Stilllegung endet die Stilllegungsphase im<br />
Sinne des § 2 Nr. 26 DepV. Nach der endgültigen Stilllegung beginnt<br />
die Nachsorgephase im Sinne von § 2 Nr. 24 DepV.<br />
IV. Abschluss der Nachsorgephase<br />
Gem. § 32 Abs. 5 KrW-/AbfG hat die zuständige Behörde auf Antrag<br />
den Abschluss der Nachsorgephase festzustellen. Die Einzelheiten<br />
der Nachsorge und der Feststellung des Abschlusses der<br />
Nachsorgephase sind in § 13 DepV geregelt. Der Betreiber der Deponie<br />
hat die zuständige Behörde gem. § 13 Abs. 3 S. 1 DepV unverzüglich<br />
über alle festgestellten nachteiligen Auswirkungen der<br />
Deponie auf die Umwelt während der Nachsorgephase zu unterrichten.<br />
Er hat die Maßnahmen, die im Fall des Überschreitens der<br />
Auslöseschwellen zu treffen sind, in Maßnahmenplänen gem. § 13<br />
Abs. 3 S. 2 DepV zu beschreiben. Kommt die zuständige Behörde<br />
nach Prüfung aller vorliegenden Ergebnisse der Kontrollen nach<br />
§ 13 Abs. 2 DepV unter Berücksichtigung der Prüfkriterien nach<br />
§ 13 Abs. 5 DepV zu dem Schluss, dass sich aus dem Verhalten einer<br />
Deponie der Klasse 0, I, II, III oder IV zukünftig keine Beeinträchtigungen<br />
des Wohls der Allgemeinheit zu erwarten sind, dann<br />
kann sie auf Antrag des Deponiebetreibers die Kontroll- und Überwachungsmaßnahme<br />
aufheben und nach § 36 Abs. 5 KrW-/AbfG<br />
den Abschluss der Nachsorgephase feststellen. Mit der Feststellung<br />
des Abschlusses der Nachsorgephase endet die abfallrechtliche Verantwortung<br />
des Deponiebetreibers für die Deponie endgültig.<br />
D. Bedeutung des BBodSchG für Altdeponien<br />
Während für die Anordnung von Rekultivierungs- und Nachsorgemaßnahmen<br />
im zeitlichen Zusammenhang mit einer noch bevorstehenden<br />
und lediglich beabsichtigten Stilllegung einer Deponie<br />
auf der Grundlage des § 36 Abs. 2 S. 1 KrW-/AbfG abfallrechtliche<br />
Anforderungen an den Inhaber der Deponie gerichtet<br />
werden können, finden auf bereits stillgelegte Deponien nach § 36<br />
Abs. 2 S. 2 KrW-/AbfG unter den dort genannten Voraussetzungen<br />
Regelungen des BBodSchG Anwendung. Umstritten ist allerdings<br />
der Begriff der stillgelegten Deponie. Kommt es insoweit auf die<br />
Einstellung des Ablagerungsbetriebes, auf den Abschluss der Stilllegungsmaßnahmen<br />
im Sinne einer endgültigen Stilllegung gem.<br />
§ 36 Abs. 3 KrW-/AbfG oder gar auf den Abschluss der Nachsorgephase<br />
im Sinne von § 36 Abs. 5 KrW-/AbfG an Die Bedeutung des<br />
BBodSchG für die Stilllegung und Nachsorge von Deponien bzw.<br />
die Sanierung von Altablagerungen hängt aber nicht nur von dem<br />
umstrittenen Stilllegungsbegriff, sondern auch von der ebenfalls<br />
umstrittenen Frage ab, ob die Anwendbarkeit des BBodSchG dazu<br />
führt, dass – im Sinne eines vollständigen Rechtsregimewechsels –<br />
die Vorschriften des KrW-/AbfG unanwendbar werden oder ob sie<br />
neben dem BBodSchG eigenständige Bedeutung behalten. Die<br />
Schwierigkeiten bei der Bestimmung der für die Stilllegung, Nachsorge<br />
und Sanierung von Altdeponien maßgeblichen Vorschriften<br />
haben ihren Grund in widersprüchlichen und unklaren Regelungen<br />
des Gesetz- und Verordnungsgebers des Bundes. Der Bundesgesetzgeber<br />
wollte 1998 mit dem Inkrafttreten des BBodSchG und<br />
der Neuregelung des § 36 Abs. 2 S. 2 KrW-/AbfG einerseits mög-<br />
20 BVerwG, Beschl.v. 6.5.1997 – 7 B 142/97, NVwZ 1997 1000 (1001); vgl. auch VGH<br />
München, Beschl. v. 2.2.2001 – 20 ZB 00.3551, NVwZ 2001, 576, wonach auch<br />
eine Inanspruchnahme 22 Jahre nach der Stilllegung noch verhältnismäßig sein<br />
kann, wenn dem Inhaber der Anlage einige Jahre nach der Einstellung der Abfallablagerung<br />
die Notwendigkeit von Nachsorgemaßnahmen bekannt war.<br />
21 v. Lersner, Fn. 18, § 36 Rn. 27; siehe aber auch OVG Hamburg, Urt. v.<br />
1.12.1992 – Bf. VI 29/91, NVwZ-RR 1993, 602 (604); VGH München, Urt. v.<br />
10.12.1996 – 20 B 96.521,UPR 1997, 193 f.<br />
22 OVG Münster, Urt. v. 16.11.2000 - 20 A 1774/99, NVwZ 2001, 1186.<br />
23 BVerwG, Beschl .v. 6.5.1997 – 7 B 142/97,NVwZ 1997, 1000.<br />
24 Dazu Schoeneck, Fn. 19, § 36 Rn. 73 f.<br />
25 Paetow, Fn. 8, § 36 Rn. 17.<br />
26 Paetow, Fn. 8, § 36 Rn. 17.<br />
27 Zu Beispielen aus der Rechtsprechung für mögliche Vorkehrungen siehe Paetow,<br />
Fn. 8, § 36 Rn. 21.<br />
12 | ZUR 1/2005
Beckmann/Hagmann, Stillegung, Rekultivierung und Nachsorge von Deponien | AUFSÄTZE<br />
lichst frühzeitig und bundesweit Vorschriften des BBodSchG bei der<br />
Sanierung von Altablagerungen anstelle der abfallrechtlichen Bestimmungen<br />
zur Geltung bringen. Andererseits hat der Gesetzgeber<br />
zwischenzeitlich im Jahre 2001 mit § 36 Abs. 3 und Abs. 5 KrW-<br />
/AbfG sowie der Verordnungsgeber im Jahre 2002 mit den Regelungen<br />
der §§ 12, 13 DepV zur Stilllegung und Nachsorge von Deponien<br />
und insbesondere mit der Forderung des § 23 DepV, auch<br />
Stilllegungsanordnungen im Sinne von § 36 Abs. 2 S. 1 KrW-/AbfG<br />
alle vier Jahre daraufhin zu überprüfen, ob zur Einhaltung des Standes<br />
der Technik im Sinne von § 3 Abs. 12 KrW-/AbfG noch weitere<br />
Bedingungen, Auflagen oder Befristungen angeordnet werden müssen,<br />
dafür Sorge tragen wollen, dass abfallrechtliche Anforderungen<br />
noch weit nach der Einstellung des Ablagerungsbetriebes und auch<br />
nach der endgültigen Stilllegung zu beachten sind.<br />
I. Anwendbarkeit des BBodSchG<br />
Der in § 2 KrW-/AbfG geregelte Geltungsbereich des KrW-/AbfG<br />
sieht eine Abgrenzung zum Anwendungsbereich des BBodSchG<br />
nicht vor. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 BBodSchG besteht für schädliche<br />
Bodenveränderungen ein Anwendungsvorrang der Vorschriften<br />
des KrW-/AbfG über die Zulassung und den Betrieb von Abfallbeseitigungsanlagen<br />
zur Beseitigung von Abfällen sowie über die Stilllegung<br />
von Deponien. Im Übrigen aber ist das BBodSchG anwendbar,<br />
wenn es sich bei der nachzusorgenden Deponie um eine<br />
Altlast im Sinne von § 2 Abs. 5 BBodSchG handelt oder wenn von<br />
ihr schädliche Bodenveränderungen im Sinne von § 2 Abs. 3 BBod-<br />
SchG ausgehen. Als Altlast definiert der Gesetzgeber in § 2 Abs. 5<br />
Nr. 1 BBodSchG stillgelegte Abfallbeseitigungsanlagen sowie sonstige<br />
Grundstücke, auf denen Abfälle behandelt, gelagert oder abgelagert<br />
worden sind (Altablagerungen), durch die schädliche Bodenveränderungen<br />
oder sonstige Gefahren für den Einzelnen oder<br />
die Allgemeinheit hervorgerufen werden.<br />
§§ 32, 36 Abs. 1 und 2 KrW-/AbfG regeln Anforderungen an Errichtung<br />
und Betrieb und Stilllegung von Deponien, die angesichts<br />
des Anwendungsvorrangs grundsätzlich eine Anwendbarkeit des<br />
BBodSchG ausschließen. Allerdings enthält § 36 Abs. 2 S. 2 KrW-<br />
/AbfG eine Rückausnahme, die wiederum auf das BBodSchG verweist.<br />
Hinzu kommt, dass das Abfallrecht keine Regelungen für die<br />
Sanierung bereits eingetretener Schäden außerhalb des Deponiekörpers<br />
enthält. Für die Sanierung dieser Schäden gelten unstreitig<br />
nur die Vorschriften des BBodSchG. Die Anwendbarkeit des<br />
BBodSchG im Übrigen ist nach § 36 Abs. 2 S. 2 KrW-/AbfG von zwei<br />
Voraussetzungen abhängig. Es muss sich einerseits um eine stillgelegte<br />
Deponie nach § 36 Abs. 1 KrW-/AbfG handeln. Zum anderen<br />
muss hinsichtlich dieser Deponie der Verdacht bestehen, dass<br />
von ihr schädliche Bodenveränderungen oder sonstige Gefahren<br />
für den einzelnen oder die Allgemeinheit ausgehen.<br />
1. Stillgelegte Deponie<br />
Für Maßnahmen der Sanierung und Nachsorge von Deponien wird<br />
damit der Zeitpunkt der Stilllegung der Deponie entscheidend. Der<br />
Begriff der Stilllegung im Sinne des § 36 Abs. 2 S. 2 KrW-/AbfG wird<br />
im Gesetz nicht eindeutig erläutert. Es verwundert deshalb nicht,<br />
dass in Rechtsprechung und Literatur von verschiedenen Stilllegungsbegriffen<br />
ausgegangen wird. 28 Teilweise wird unter Stilllegung<br />
im Sinne des § 36 Abs. 2 S. 2 KrW-/AbfG die Beendigung des<br />
Ablagerungsbetriebs verstanden. 29 Nach anderer Auffassung wird<br />
jedoch <strong>als</strong> Stilllegung im Sinne des § 36 Abs. 2 S. 2 KrW-/AbfG der<br />
Zeitpunkt nach Abschluss der Stilllegungsmaßnahmen im Sinne<br />
der endgültigen Stilllegung gem. § 36 Abs. 3 KrW-/AbfG angesehen.<br />
30 Stillgelegt ist eine Deponie danach erst, wenn die zuständige<br />
Behörde den Abschluss der Stilllegung festgestellt hat. Schließlich<br />
soll nach einer weiteren Auffassung von einer stillgelegten Deponie<br />
erst nach behördlicher Feststellung des Abschlusses der<br />
Nachsorgephase im Sinne von § 36 Abs. 5 KrW-/AbfG ausgegangen<br />
werden können. 31<br />
Für die Anwendbarkeit des BBodSchG nach § 36 Abs. 2 S. 2 KrW-<br />
/AbfG kommt es weder darauf an, dass die Behörde die »endgültige<br />
Stilllegung« gemäß § 36 Abs. 3 KrW-/AbfG noch dass sie den Abschluss<br />
der Nachsorgephase im Sinne von § 36 Abs. 5 KrW-/AbfG<br />
festgestellt hat. Stillgelegte Deponien im Sinne des § 36 Abs. 2 S. 1,<br />
Abs. 1 KrW-/AbfG sind demnach Deponien, auf denen dauerhaft<br />
und nicht nur vorübergehend keine Abfälle mehr abgelagert werden.<br />
32 <strong>Das</strong>s der Zeitpunkt der behördlichen Feststellung des Abschlusses<br />
der Nachsorgephase nicht maßgeblich sein kann, ergibt<br />
sich bereits daraus, dass sich die Nachsorgephase an den Zeitpunkt<br />
des Abschlusses der Stilllegung im Sinne einer endgültigen Stilllegung<br />
anschließt. Es kann deshalb nicht ernstlich bezweifelt werden,<br />
dass es sich bei Deponien, die sich bereits in der Nachsorgephase<br />
befinden, um stillgelegte Deponien im Sinne des § 36 Abs. 2<br />
S. 2 KrW-/AbfG handelt. Hinzu kommt, dass bei einer auf den Zeitpunkt<br />
des Abschlusses der Nachsorgephase abstellenden Sichtweise<br />
die vom Gesetzgeber beabsichtigte, möglichst frühzeitige Anwendung<br />
des BBodSchG auf Altablagerungen weitestgehend vereitelt<br />
würde. Denn die Nachsorgephase wird vom Gesetzgeber –<br />
wie sich aus § 36 d Abs. 1 S. 1 KrW-/AbfG ergibt – auf einen Zeitraum<br />
von mindestens dreißig Jahren nach dem Abschluss der Stillegung<br />
geschätzt. Wie bereits erwähnt kann nach Ansicht des Umweltrates<br />
bei Hausmülldeponien unter Umständen erst nach über<br />
100 Jahren anfallendes Sickerwasser wegen der bis dahin stattfindenden<br />
Auslaugung des Deponiekörpers in ein Gewässer eingeleitet<br />
werden. Da es bis dahin einer Nachsorge hinsichtlich der Sickerwasserfassung<br />
bedarf, könnte das BBodSchG auf sehr lange, unabsehbare<br />
Zeit nicht zur Anwendung kommen, wenn man <strong>als</strong><br />
stillgelegte Deponie lediglich solche Anlagen ansehen würde, für<br />
die behördlich der Abschluss der Nachsorgephase festgestellt worden<br />
ist. <strong>Das</strong> war offensichtlich vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt.<br />
Aber auch der Zeitpunkt der behördlichen Feststellung der endgültigen<br />
Stilllegung der Deponie dürfte für die Eröffnung des Anwendungsbereichs<br />
des BBodSchG über § 36 Abs. 2 S. 2 KrW-/AbfG<br />
letztlich jedenfalls im Sinne eines vollständigen Rechtsregimewechsels<br />
nicht maßgeblich sein. Der Wortlaut des § 36 Abs. 2 S. 2<br />
KrW-/AbfG spricht nicht von einer »endgültigen Stilllegung«, sondern<br />
von einer »stillgelegten Deponie nach § 36 Abs. 1«. Die in § 36<br />
Abs. 1 KrW-/AbfG geregelte Verpflichtung, eine beabsichtigte Stilllegung<br />
anzuzeigen, bezieht sich jedoch auf die beabsichtigte Einstellung<br />
des Ablagerungsbetriebs und nicht auf den Abschluss der<br />
Stilllegung nach Durchführung von Stilllegungsmaßnahmen im<br />
Sinne von § 36 Abs. 3 KrW-/AbfG. Denn es würde keinen Sinn machen,<br />
die Anzeigepflicht nach § 36 Abs. 1 S. 1 KrW-/AbfG auf den<br />
Zeitpunkt zu beziehen, zu dem die Stillegungsmaßnahmen abgeschlossen<br />
sind. Diese sollen, soweit erforderlich, von der Behörde<br />
aus Anlass der Stilllegungsanzeige erst noch angeordnet werden.<br />
Der Wortlaut des § 36 Abs. 2 S. 2 KrW-/AbfG setzt somit für die Stilllegungsanzeige<br />
eine Deponie voraus, deren Ablagerungsbetrieb<br />
eingestellt werden soll.<br />
Hinzu kommt die Systematik der Stilllegungsregelungen des § 36<br />
Abs. 1 und 2 KrW-/AbfG. Der Gesetzgeber ging von der Vorstellung<br />
28 Siehe dazu die gute Übersicht bei Thärichen, Fn. 4, AbfallR 2004, 55 (58).<br />
29 OVG Weimar, Urt. v. 11.6. 2001 – 4 KO 52/97, NuR 2002, 172 (174); Plogmann,<br />
Fn. 4, UPR 2002, 432; v. Lersner, Fn. 18, § 36 KrW-/AbfG, Rn. 11; Schoeneck,<br />
Fn. 19, § 36 Rn. 31; Gaßner/Siederer (Hrsg.), Handbuch Recht und Praxis<br />
der Abfallwirtschaft, Rn. 323; VG Regensburg, Urt. v. 6.3.2003 – RO 7 K<br />
01.1236.<br />
30 Vgl. dazu Sondermann/Knorpp, Die Deponieverordnung, ZUR 2003, 198 (200);<br />
Klett, Fn. 4, AbfallR 2003, 23 (29); Thärichen, Fn. 4, AbfallR 2004, 55 (58 ff.).<br />
31 Paetow, Fn. 8, § 36 Rn. 26 f.; Schäfer, Fn. 4, NuR 2001, 429 (432); ders., Fn. 4,<br />
NVwZ 2001, 1133.<br />
32 Schoeneck, Fn. 19, § 36 Rn. 31; Paetow, Fn. 8, § 36 Rn. 10.<br />
ZUR 1/2005 | 13
AUFSÄTZE | Beckmann/Hagmann, Stillegung, Rekultivierung und Nachsorge von Deponien<br />
aus, dass die Stilllegung und Nachsorge einer Deponie grundsätzlich<br />
bereits in der abfallrechtlichen Planfeststellung geregelt sind.<br />
<strong>Das</strong> ergibt sich daraus, dass die zuständige Behörde nach § 36 Abs.<br />
2 S. 1 KrW-/AbfG weitere Stilllegungsmaßnahmen nur anordnen<br />
darf, soweit entsprechende Regelungen in der abfallrechtlichen<br />
Deponiezulassung noch nicht enthalten sind. Der abfallrechtliche<br />
Planfeststellungsbeschluss regelt die Errichtung und den Betrieb einer<br />
Deponie grundsätzlich einschließlich der für die Stilllegung<br />
und Nachsorge erforderlichen Maßnahmen. Die Stillegungsanzeige<br />
des Deponiebetreibers bereits vor dem Ende der Ablagerung soll<br />
der zuständigen Behörde Gelegenheit geben, sich zu vergewissern,<br />
ob die mit dem Planfeststellungsbeschluss bereits angeordneten<br />
Maßnahmen für die Stilllegung und Nachsorge ausreichend sind<br />
oder nachgebessert werden müssen. Gegebenenfalls sollen noch<br />
nach der Stilllegungsanzeige, jedoch vor der Stilllegung die entsprechenden<br />
Anordnungen getroffen werden. § 20 Abs. 3 S. 1 DepV<br />
verlangt eine Stilllegungsanzeige mindestens ein Jahr vor dem Ende<br />
der Ablagerungsphase. <strong>Das</strong> sichert der Behörde einen ausreichenden<br />
Zeitraum für rechtzeitige Stilllegungsanordnungen noch<br />
vor dem Ende der Ablagerung. Stellt sich erst nach dem Ende der<br />
Ablagerung heraus, dass trotz der Anordnungen des Planfeststellungsbeschlusses<br />
bzw. des diesen ergänzenden Stilllegungsbeschlusses<br />
von der Deponie schädliche Bodenveränderungen oder<br />
sonstige Gefahren ausgehen, soll nach § 36 Abs. 2 S. 2 KrW-/AbfG<br />
das BBodSchG zur Anwendung kommen.<br />
Dieses Ergebnis entspricht auch den Gesetzesmaterialien zur Änderung<br />
des § 36 Abs. 2 KrW-/AbfG. 33 Denn mit der Einführung des<br />
§ 36 Abs. 2 S. 2 KrW-/AbfG durch Art. 2 des Gesetzes zum Schutz<br />
des Bodens vom 17.3.1998 wollte der Gesetzgeber den Grundsatz<br />
der abfallrechtlichen Nachsorge für Abfallentsorgungsanlagen<br />
nicht verändern. Er wollte jedoch sicherstellen, dass bei Deponien,<br />
deren Betrieb eingestellt worden ist und die altlastenverdächtig<br />
sind, die Vorschriften des BBodSchG Anwendung finden. In den<br />
Gesetzesmaterialien ist ein ausdrücklicher Hinweis darauf enthalten,<br />
dass die Schnittstelle zwischen der Anwendung des KrW-/AbfG<br />
und des BBodSchG »die Einstufung <strong>als</strong> altlastenverdächtige Fläche<br />
bildet« (BT-Drs. 13/6701, S. 47). Insoweit enthalten die Gesetzesmaterialien<br />
die Aussage, dass es dem Gesetzgeber für eine Anwendung<br />
des Bodenschutzrechts maßgeblich auf die Einstufung <strong>als</strong><br />
altlastenverdächtigte Fläche ankommt und nicht auf das formale<br />
Kriterium des Abschlusses von Stilllegungsmaßnahmen. Dies hat<br />
sich jedenfalls bezogen auf die Anwendbarkeit des BBodSchG<br />
durch den neu eingefügten § 36 Abs. 3 KrW-/AbfG grundsätzlich<br />
nicht geändert. Die Änderung des § 36 Abs. 2 S. 1 KrW-/AbfG diente<br />
der Umsetzung des Art. 13 Deponierichtlinie und sollte lediglich<br />
klarstellen, dass die Behörde im Rahmen der Stilllegungsverfahren<br />
die Einhaltung der Sanierungs- und Rekultivierungspflicht sicherzustellen<br />
hat. § 36 Abs. 2 KrW-/AbfG sollte unverändert bleiben. 34<br />
Auch § 36 Abs. 3 KrW-/AbfG dient der Umsetzung von Art. 13 b<br />
Deponierichtlinie. Danach ist eine Deponie nur dann <strong>als</strong> »endgültig<br />
stillgelegt« anzusehen, wenn die zuständige Behörde eine<br />
Schlussabnahme durchgeführt, alle vom Betreiber vorgelegten Berichte<br />
einer Bewertung unterzogen und dem Betreiber ihre Zustimmung<br />
für die Stilllegung erteilt hat. Diese in der Deponierichtlinie<br />
vorgesehene Zustimmung für eine endgültige Stilllegung<br />
gestaltet § 36 Abs. 3 KrW-/AbfG <strong>als</strong> einen feststellenden Verwaltungsakt<br />
aus. Darin erschöpft sich der Regelungsgehalt des § 36<br />
Abs. 3 KrW-/AbfG. Eine weitergehende Änderung des § 36 KrW-<br />
/AbfG war nicht beabsichtigt. Insbesondere war nicht beabsichtigt,<br />
die Anwendbarkeit des BBodSchG von dem Erlass eines förmlichen<br />
Stilllegungsbescheides abhängig zu machen. Daher verbleibt es<br />
auch nach geltender Rechtslage bei der Anwendung des Bodenschutzrechts,<br />
wenn bei einer Deponie, deren Ablagerungsbetrieb<br />
eingestellt worden ist, ein Altlastenverdacht besteht.<br />
Auch Sinn und Zweck der Vorschrift sprechen dafür, die Anwendbarkeit<br />
des BBodSchG nicht von einem förmlichen Bescheid mit der<br />
Feststellung der endgültigen Stilllegung abhängig zu machen. Denn<br />
das die Altlastenproblematik bundeseinheitlich regelnde BBodSchG<br />
soll Anwendung finden, wenn der Verdacht besteht, dass von einer<br />
Deponie schädliche Bodenveränderungen oder sonstige Gefahren<br />
für die Umwelt ausgehen. Gerade auch stillgelegte Deponien, von<br />
denen Gefahren für Mensch und Umwelt ausgehen, sollen seinem <strong>als</strong><br />
umfassend verstandenen Handlungsinstrumentarium unterworfen<br />
sein und die altlastenbedingten Gefahren sollen in ihrer Gesamtheit<br />
erfasst und sachgerecht bewältigt werden. 35 Diese Gesetzessystematik<br />
muss unabhängig davon gelten, ob ein die endgültige Stilllegung<br />
feststellender Verwaltungsakt ergangen ist oder nicht.<br />
2. Bestehen eines Altlastenverdachtes<br />
Ferner setzt § 36 Abs. 2 S. 2 KrW-/AbfG das Bestehen eines Altlastenverdachtes<br />
für die Anwendbarkeit des BBodSchG voraus. Altlastenverdächtige<br />
Flächen sind nach der Legaldefinition des § 2<br />
Abs. 5 und 6 BBodSchG u.a. stillgelegte Deponien, bei denen der<br />
Verdacht schädlicher Bodenveränderungen oder sonstiger Gefahren<br />
für den einzelnen oder die Allgemeinheit bestehen. Somit<br />
genügt vom Wortlaut des § 36 Abs. 2 Satz 2 KrW-/AbfG für das Eingreifen<br />
der bodenrechtlichen Bestimmungen der bloße Verdacht<br />
schädlicher Bodenveränderungen oder Altlasten. Auch nach Auffassung<br />
des OVG Münster ist das Bodenschutzrecht beim Verdacht<br />
einer Altlast anwendbar. Im Übrigen gilt ein Erst–Recht–Schluss:<br />
Wenn schon bei einer altlastenverdächtigen Fläche das BBodSchG<br />
eingreift, gilt dies erst recht bei einer Altlast. 36 Nach Auffassung des<br />
OVG Weimar liegt ein Altlastenverdacht vor, wenn die Schwelle einer<br />
konkreten Gefahr entsprechend § 9 Abs. 2 BBodSchG erreicht<br />
wird. Danach müssen konkrete Anhaltspunkte bestehen, die den<br />
hinreichenden Verdacht einer schädlichen Bodenveränderungen<br />
oder sonstiger Gefahren begründen. 37<br />
II. Folgen einer Anwendbarkeit des BBodSchG<br />
Die Anwendbarkeit des BBodSchG führt hinsichtlich der Sanierung<br />
und Nachsorge von Deponien zu verschiedenen Konsequenzen hinsichtlich<br />
der möglichen Adressaten einer Inanspruchnahme, hinsichtlich<br />
möglicher Ausgleichsansprüche und hinsichtlich der materiell-rechtlichen<br />
Voraussetzungen einer Inanspruchnahme. <strong>Das</strong> Bodenschutzrecht<br />
setzt anders <strong>als</strong> die abfallrechtlichen Stilllegungs- und<br />
Nachsorgepflichten für die Durchführung von Gefahrenabwehr- und<br />
Sanierungsmaßnahmen das Überschreiten einer Gefahrenschwelle<br />
voraus. Nicht zuletzt sind für die abfallrechtliche Überwachung der<br />
Altdeponie und des Vollzugs des BBodSchG regelmäßig unterschiedliche<br />
Behörden zuständig. Die Anwendbarkeit des BBodSchG bedeutet<br />
allerdings seit der Neuregelung im Jahre 2001 nicht mehr, dass abfallrechtliche<br />
Bestimmungen im Zeitpunkt der Anwendbarkeit keine<br />
Rolle mehr zu spielen hätten, dass <strong>als</strong>o mit dem Zeitpunkt der Stilllegung<br />
der Deponie ein vollständiger Wechsel des Rechtsregimes vom<br />
Abfallrecht hin zum Bodenschutzrecht stattfinden könnte.<br />
1. Weitergeltung abfallrechtlicher Regelungen<br />
<strong>Das</strong> OVG Münster hatte noch in einem Urteil vom 16.11.2000 zur<br />
damaligen Rechtslage ausgeführt, aus dem Ineinandergreifen der<br />
33 Plogmann, Fn. 4, UPR 2002, 432 (433).<br />
34 Plogmann, Fn. 4, UPR 2002, 432 (433).<br />
35 BT-Drs. 13/6701; Plogmann, Fn. 4, UPR 2002, 432 (433 f.); OVG Münster, Urt.<br />
v. 16.11.2000 -20 A 1774/99, NVwZ 2001, 1186 (1187); OVG Weimar, Urt. v.<br />
11.6. 2001 – 4 KO 52/97, NuR 2002, 172 (173).<br />
36 OVG Münster, Urt. v. 16.11.2000 -20 A 1774/99, NVwZ 2001, 1186 (1187,<br />
1188).<br />
37 OVG Weimar, Urt. v. 11.6. 2001 – 4 KO 52/97, NuR 2002, 172 (175).<br />
14 | ZUR 1/2005
Beckmann/Hagmann, Stillegung, Rekultivierung und Nachsorge von Deponien | AUFSÄTZE<br />
bodenschutzrechtlichen und deponierechtlichen Vorschriften ergebe<br />
sich, dass das KrW-/AbfG Einwirkungen auf den Boden und sonstige<br />
Gefahren für den Einzelnen oder die Allgemeinheit, die sich<br />
nach der Stilllegung einer Deponie ergäben, nicht mehr regele. 38 Die<br />
Stilllegung der Deponie bilde in Bezug auf diese Gefahren einen<br />
Schnittpunkt zwischen dem Regime des Abfallrechts und demjenigen<br />
des Bodenschutzrechts. <strong>Das</strong> BBodSchG solle das Problem der Altlasten<br />
bundeseinheitlich regeln. Gerade auch stillgelegte Deponien,<br />
von denen Gefahren für Mensch und Umwelt ausgingen, sollten seinem<br />
<strong>als</strong> umfassend verstandenen Handlungsinstrumentarium unterworfen<br />
sein. Die altlastenbedingten Gefahren sollten in ihrer Gesamtheit<br />
erfasst und sachgerecht bewältigt werden. Nach anderer<br />
Auffassung ist mit dem Eingreifen der bodenschutzrechtlichen Vorschriften<br />
durch den Verweis in § 36 Abs. 2 Satz 2 KrW-/AbfG kein<br />
vollständiger Rechtsregimewechsel verbunden. 39 Der Anwendungsvorrang<br />
des Bodenschutzrechts nach § 36 Abs. 2 S. 2 KrW-/AbfG umfasse<br />
nicht sämtliche Maßnahmen im Zusammenhang mit einer<br />
stillgelegten Deponie, sondern nur Maßnahmen zur Erfassung, Untersuchung,<br />
Bewertung und Sanierung, die sich auf die bestehenden<br />
oder drohenden schädlichen Bodenveränderungen oder sonstige<br />
Gefahren bezögen. § 36 Abs. 2 S. 2 KrW-/AbfG schließe daher die Anwendung<br />
des Abfallrechts nur insoweit aus, <strong>als</strong> es um Sanierungsmaßnahmen<br />
im Sinne von § 2 Abs. 7 BBodSchG gehe. Die abfallrechtliche<br />
Befugnis zur Anordnung von Rekultivierungsmaßnahmen<br />
bleibe vom Vorrang des Bodenschutzrechts unberührt. 40<br />
Überwiegendes dürfte in der Tat dafür sprechen, dass ein vollständiger<br />
Rechtsregimewechsel vom KrW-/AbfG zum BBodSchG<br />
auf der Grundlage des § 36 Abs. 2 S. 2 KrW-/AbfG, wie ihn noch<br />
das OVG Münster allerdings auf der Grundlage der alten Rechtslage<br />
zutreffend im Auge hatte, nicht stattfindet. Ausgangspunkt für<br />
die Frage, inwieweit Bestimmungen des KrW-/AbfG durch Regelungen<br />
des BBodSchG bei der Stilllegung, Sanierung und Nachsorge<br />
von Deponien durch Vorschriften des BBodSchG abgelöst werden,<br />
ist § 3 Abs. 1 Nr. 2 BBodSchG. Danach tritt das Bodenschutzrecht<br />
zurück, soweit Vorschriften des KrW-/AbfG über die<br />
Zulassung und den Betrieb von Abfallbeseitigungsanlagen sowie<br />
über die Stilllegung von Deponien Einwirkungen auf den Boden regeln.<br />
<strong>Das</strong> BBodSchG geht von einem Anwendungsvorrang des Deponierechts<br />
aus, soweit dieses Einwirkungen auf den Boden regelt.<br />
§ 36 Abs. 2 S. 2 KrW-/AbfG regelt hierzu eine Rückausnahme. Allerdings<br />
kann § 36 Abs. 2 S. 2 KrW-/AbfG nicht isoliert gesehen werden.<br />
Denn der Gesetzgeber hat durch weitere Regelungen im KrW-<br />
/AbfG keinen Zweifel daran gelassen, dass trotz der Rückausnahme<br />
des § 36 Abs. 2 S. 2 KrW-/AbfG und des Verweises auf das<br />
BBodSchG auch weiterhin jedenfalls bestimmte Regelungen des<br />
KrW-/AbfG weiterhin Anwendung finden sollen. <strong>Das</strong> gilt offensichtlich<br />
für die Regelungen des § 36 Abs. 3 und Abs. 5 KrW-/AbfG,<br />
aber auch für die auf Ermächtigungsgrundlagen des § 36 c KrW-<br />
/AbfG gestützten Regelungen der DepV über die Stilllegung und<br />
Nachsorge von Deponien. Hinzu kommt, dass das BBodSchG angesichts<br />
seiner auf den Bodenschutz gerichteten Zweckrichtung eine<br />
Vielzahl von Fragen, die sich im Zusammenhang mit der Stilllegung<br />
und Nachsorge von Deponien stellen, nicht regelt. <strong>Das</strong> betrifft<br />
z.B. Fragen des landschaftsrechtlichen Eingriffsausgleichs und<br />
der Rekultivierung. Es findet insoweit kein vollständiger Wechsel<br />
des Rechtsregimes vom Abfallrecht zum Bodenschutzrecht statt,<br />
wie er möglicherweise ursprünglich im Jahre 1998 bei der Neuregelung<br />
des § 36 Abs. 2 S. 2 KrW-/AbfG beabsichtigt war. Diese Intention<br />
eines vollständigen Wechsels zum BBodSchG sollte oder<br />
konnte vom Gesetzgeber mit den Neuregelungen des § 36 KrW-<br />
/AbfG und der DepV im Zusammenhang mit der Umsetzung der<br />
Deponierichtlinie nicht aufrechterhalten werden, weil die Deponierichtlinie<br />
eine abfallrechtliche Überwachung der Deponie auch<br />
für die Stilllegungs- und Nachsorgephase verlangt.<br />
2. Ausgleichsansprüche nach § 24 Abs. 2 BBodSchG<br />
Soweit Deponien in der Vergangenheit nacheinander von verschiedenen<br />
Inhabern betrieben worden sind, die an der Verursachung<br />
einer schädlichen Bodenveränderung mitgewirkt haben,<br />
können sich bei einer Inanspruchnahme auf der Grundlage des<br />
BBodSchG gem. § 24 Abs. 2 BBodSchG Ausgleichsansprüche ergeben,<br />
die dem <strong>als</strong> letzten Deponieinhaber nach den Vorschriften des<br />
KrW-/AbfG in Anspruch genommenen Deponiebetreiber bis dahin<br />
nicht zustanden. Nicht zuletzt hat mit Inkrafttreten des BBodSchG<br />
das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht <strong>als</strong> Grundlage eines<br />
ordnungsrechtlichen Einschreitens zur Beseitigung von Gefahren,<br />
die von stillgelegten Deponien ausgehen, grundsätzlich ausgedient,<br />
jedenfalls soweit es um Gefahren geht, deren Vermeidung<br />
und Beseitigung Regelungsgegenstand des BBodSchG ist. 41<br />
3. Adressaten einer Sanierungsanordnung<br />
Die Anwendung des BBodSchG betrifft einerseits materielle Maßstäbe<br />
der Sanierung und Nachsorge, nämlich das »Ob« und das<br />
»Wie« einer solchen Sanierung oder Nachsorge sowie der Planung<br />
derartiger Maßnahmen. Andererseits ergibt sich aus der Eröffnung<br />
des Anwendungsbereichs des BBodSchG in § 36 Abs. 2 S. 2 KrW-<br />
/AbfG auch ein anderer Maßstab für die Frage, wer für die Sanierung<br />
und Nachsorge in Anspruch zu nehmen ist. Der Verweis des<br />
§ 36 Abs. 2 S. 2 KrW-/AbfG auf das BBodSchG führt dazu, dass nicht<br />
notwendigerweise der Inhaber der Deponie, sondern der in § 4 Abs.<br />
3 BBodSchG genannte Personenkreis <strong>als</strong> Adressat einer Nachsorgeanordnung<br />
in Betracht zu ziehen ist. Auch einen abstrakten Vorrang<br />
der Inanspruchnahme des Deponiebetreibers kann es im Geltungsbereich<br />
des BBodSchG nicht geben. Gleichwohl dürfte die<br />
personelle Verantwortung des Inhabers der stillgelegten Deponie<br />
für die Stilllegung und Nachsorge regelmäßig bei der Störerauswahl<br />
viel dafür sprechen dürfte, auf den Deponiebetreiber zuzugehen. 42<br />
Hinsichtlich des gefährdeten Schutzguts enthält § 36 Abs. 2 S. 2<br />
KrW-/AbfG in seinen objektiven Voraussetzungen zwei Alternativen.<br />
Die erste Möglichkeit besteht darin, dass von einer stillgelegten<br />
Deponie der Verdacht einer schädlichen Bodenveränderung<br />
ausgeht. Schädliche Bodenveränderungen sind gem. § 2 Abs. 3<br />
BBodSchG Beeinträchtigungen der Bodenfunktionen, die geeignet<br />
sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen<br />
für den Einzelnen oder die Allgemeinheit herbeizuführen.<br />
Zum anderen verweist § 36 Abs. 2 S. 2 KrW-/AbfG auf das BBod-<br />
SchG, wenn der Verdacht besteht, dass von einer stillgelegten Deponie<br />
sonstige Gefahren für den Einzelnen oder die Allgemeinheit<br />
ausgehen.<br />
Prof. Dr. Martin Beckmann und Dr. Joachim Hagmann<br />
Die Verfasser sind Sozien und Fachanwälte für Verwaltungsrecht der<br />
Rechtsanwälte Baumei-ster, Piusallee 8, 48147 Münster.<br />
Sie sind unter anderem auf abfallrechtliche und bodenschutzrechtliche<br />
Mandate spezialisiert.<br />
38 OVG Münster, Urt. v. 16.11.2000 – 20 A 1774/99, NVwZ 2001, 1186 ff.; im Ergebnis<br />
wohl auch VGH München, Beschl. v. 9.7.2003 – 20 CS 03.103, NVwZ<br />
2003, 1281 ff.; zustimmend Frenz, Fn. 4, UPR 2002, 201 (205).<br />
39 Vgl. OVG Weimar, Urt. v. 11.6.2001 -4 KO 52/97, NuR 2002, 172 ff.; Thärichen,<br />
Fn. 4, AbfallR 2004, 55 (60); Gaßner/Siederer, Fn. 28, Rn. 321 f.; Schäfer,<br />
Fn. 4, NVwZ 2001, 1133.<br />
40 So: Gaßner/Siederer, Fn. 29, Rn. 322; in ähnlichem Sinne Frenz, Fn. 4, UPR<br />
2002, 201 (205).<br />
41 BVerwG, Urt. v. 15.6.2000 – 3 C 2.00, NuR 2000, 689; OVG Weimar, Urt. v.<br />
11.6.2001 – 4 KO 52/97, NuR 2002, 172 (173); OVG Münster, Urt. v.<br />
16.11.2000 – 20 A 1774/99, NVwZ 2001, 1186 (1187).<br />
42 Sondermann/Knorpp, Fn. 30, ZUR 2003, 198 (202), gehen dagegen davon aus,<br />
dass eine Inanspruchnahme zu Durchführung bodenschutzrechtlicher Maßnahmen<br />
ausschließlich gegen den Betreiber der Anlage gerichtet werden<br />
können.<br />
ZUR 1/2005 | 15
AUFSÄTZE | Koch/Ziehm, Schiffssicherheit und Meeresumweltschutz<br />
Hans-Joachim Koch/Cornelia Ziehm<br />
Schiffssicherheit und Meeresumweltschutz*<br />
Die EU sollte im Bereich der Schiffssicherheit fortsetzen, was sie insbesondere<br />
mit den sog. »Erika«-Maßnahmepaketen begonnen hat. Sie sollte<br />
mit den ihr zur Verfügung stehenden Instrumenten auf eine konsequente<br />
Durchsetzung international vereinbarter Schiffssicherheitsstandards<br />
in den neuen wie in den alten Mitgliedstaaten drängen. Außerdem<br />
sollte sie nicht zögern, gegebenenfalls durch regionale Normsetzung eine<br />
Anstoßfunktion gegenüber dem internationalen Recht wahrzunehmen<br />
und zu dessen Weiterentwicklung beizutragen. Von maßgeblicher Bedeutung<br />
ist es allerdings auch, Fragen der Schiffssicherheit in die gegenwärtige<br />
Entwicklung einer europäischen Meeresschutzstrategie einzubeziehen.<br />
Die Chance, die Meeresschutzstrategie zu einem Beispiel wirklicher<br />
Umweltschutzintegration werden zu lassen, sollte nicht vertan<br />
werden.<br />
A. Handlungsbedarf<br />
Die Straße von Dover sowie die Schifffahrtsstraßen vor den deutschen<br />
Küsten gehören schon heute mit zu den weltweit am stärksten<br />
befahrenen. Dies gilt für die Deutsche Bucht und die Einfahrt<br />
zum Hamburger Hafen genauso wie für die Ein- und Ausfahrt des<br />
Nord-Ostseekan<strong>als</strong> und die in der Ostsee südlich vom dänischen<br />
Gedser gelegene Kadetrinne. Allein der Transitverkehr in der Nordsee<br />
umfasst etwa 48.000 Schiffsbewegungen pro Jahr, der Transitverkehr<br />
in der Ostsee wird auf ca. 30.000 Bewegungen jährlich geschätzt.<br />
1 Die Welthandelsflotte expandierte im Zeitraum von 1990<br />
bis 2000 von einer Bruttoraumzahl (BRZ) von etwa 426 Mio. BRZ<br />
auf 558 Mio. BRZ. 2 <strong>Das</strong> entspricht einem Wachstum von 31 %. Die<br />
Öltankerflotte nahm von 232 Mio. TDW (Tragfähigkeitstonnage)<br />
Anfang 1989 auf 305 Mio. TDW Anfang 2003 zu, wobei das Durchschnittsalter<br />
der Tankschiffflotte von 17,5 Jahren in 1999 auf 18,3<br />
Jahre Anfang 2003 stieg. 3 Bereits vor der Osterweiterung der EU erfolgten<br />
90 % des Erdölhandels mit der EU über den Seeweg. 70 %<br />
der Erdöleinfuhren der Union wurden an der bretonischen Küste<br />
entlang und durch den Ärmelkanal transportiert. 4 8.200 Tanker<br />
fuhren durchschnittlich jährlich durch die Kadetrinne. 800 Mio. t<br />
Erdöl wurden über Gemeinschaftshäfen umgeschlagen. 5<br />
Der Seeverkehr wird in den nächsten Jahren noch weiter ansteigen.<br />
<strong>Das</strong> wirtschaftliche Wachstum insbesondere in der Ostseeregion<br />
infolge des Beitritts der baltischen Staaten und Polens zur EU<br />
wird zu erhöhtem Schiffsverkehr und damit zu zusätzlichen Sicherheits-<br />
und Verschmutzungsrisiken führen. Helcom etwa geht<br />
von einer Zunahme des Risikos schwerer Ölunfälle in der Ostsee<br />
um 25 % aus. 6<br />
B. Schiffssicherheit und Meeresumweltschutz – neue Politikbereiche<br />
der EU<br />
Die Havarien insbesondere der »Erika« 1999 vor der Bretagne und<br />
der »Prestige« 2002 vor der galizischen Küste Spaniens und die katastrophalen<br />
Auswirkungen dieser Unfälle für Mensch und Umwelt<br />
sind in eindringlicher Erinnerung. Die Relevanz der Schiffsicherheit<br />
für den Meeresumweltschutz ist evident. Gleichwohl sind der<br />
Schutz der Meere und Fragen der Schiffssicherheit auf Gemeinschaftsebene<br />
lange Zeit nicht bzw. nur ansatzweise behandelt worden:<br />
I. Schiffssicherheit<br />
Die EU-Kommission war zwar bereits nach der Katastrophe der<br />
»Amoco Cadiz« im Jahr 1978 vor der Bretagne von den Mitgliedstaaten<br />
aufgefordert worden, Maßnahmen zur Überwachung und<br />
Verringerung der Ölverschmutzung der Meere zu unterbreiten. In<br />
der Folge wurden auch ehrgeizige Vorschläge erarbeitet. Herausgekommen<br />
sind schließlich jedoch lediglich einfache Erklärungen<br />
oder Entschließungen, welche die Mitgliedstaaten veranlassen sollten,<br />
vorhandene internationale Übereinkommen zu ratifizieren.<br />
Die seinerzeitige Aktivität verwundert wenig, ist doch bei den Mitgliedstaaten<br />
die Tendenz auszumachen, zwingende Regelungen<br />
überhaupt vermeiden zu wollen, sobald sich der von einem Schiffsunfall<br />
ausgehende Impuls abgeschwächt hat. 7 Hinzukommen<br />
Vorbehalte der Mitgliedstaaten gegen eine »Vergemeinschaftung«<br />
der Meere auf Grund dadurch befürchteter eigener nationaler Kompetenzverluste.<br />
8 An der Befugnis der EU zur Etablierung einer gemeinschaftlichen<br />
Schiffssicherheitspolitik kann indes in Anbetracht<br />
von Art. 71 Abs. 1 lit.b, 80 Abs. 2 EG und der Bestimmungen<br />
über die transeuropäischen Netze kein Zweifel bestehen.<br />
Mit der 1993 vom Rat verabschiedeten Entschließung über »Eine<br />
gemeinsame Politik im Bereich der Sicherheit im Seeverkehr« 9<br />
wurde schließlich auch der Grundstein für eine eigentliche europäische<br />
Schiffssicherheitspolitik gelegt. Die in der Folge dieser<br />
Entschließung ergangenen Gemeinschaftsregelungen wurden in<br />
* Dem Beitrag liegt ein Vortrag zugrunde, der im Rahmen der Veranstaltung »30<br />
Years E.C. Environmental Law« am 24.9.2004 in Bremen gehalten wurde.<br />
1 Brenk, Verschmutzung der Nord- und Ostsee durch die Seeschifffahrt, in: Lozán/Rachor/Reise/Sündermann/Westernhagen<br />
(Hrsg.), Warnsignale aus<br />
Nordsee und Wattenmeer, 2003, S. 107.<br />
2 Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH), Verkehrsweg. Online im<br />
Internet: http://www.bsh.de/de/Meeresnutzung/Wirtschaft/Verkehrsweg/index.jsp.<br />
3 Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik, 2003, Executive Summary –<br />
SSMR Market Analysis No. 1/2. World merchant fleet, OECD Shipping and<br />
Shipbuilding. Online im Internet: http://www.isl.org/products_services/publications/pdf/Fleet_short.pdf;<br />
Verband für Schiffbau und Meerestechnik,<br />
2003, Entwicklung der Weltschifffahrt und des Weltschiffbaus 1998. Online<br />
im Internet: http://www.vsm.de/ftp/JB98ii.pdf.<br />
4 EU-Kommission, Mitteilung vom 21.3.2000 an das Europäische Parlament<br />
und den Rat über die Sicherheit des Erdöltransports zur See, KOM(2000) 142<br />
endg.; dies., Mitteilung vom 6.12.2000 an das Europäische Parlament und<br />
den Rat über ein zweites Paket von Maßnahmen der Gemeinschaft für die<br />
Sicherheit der Seeschifffahrt im Anschluss an den Untergang des Öltankschiffs<br />
Erika, KOM(2000) 802 endg.<br />
5 S. ausführlich auch Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU), Sondergutachten<br />
»Meeresumweltschutz für Nord- und Ostsee«, 2004, BT-Drs.15/2626,<br />
Tz. 105 f., 194 f., 359.<br />
6 Helcom, Newsletter 1/2003, S. 4.<br />
7 EU-Kommission, Mitteilung vom 21.3.2000 an das Europäische Parlament<br />
und den Rat über die Sicherheit des Erdöltransports zur See, KOM(2000) 142<br />
endg., S. 4.<br />
8 Vitzthum, Sicherheit im Seeverkehr – völker- und europarechtliche Entwicklungslinien,<br />
in: Ehlers/Erbguth (Hrsg.), Aktuelle Entwicklungen im Seerecht<br />
II (Dokumentation der Rostocker Gespräche zum Seerecht 2000-2002) 2003,<br />
S. 61, 74; Krämer, E. C. Environmental Law, 5. Aufl. 2003, S. 265; Erbguth/Jenisch/Herma/Keller,<br />
Maritime Sicherheit im Ostseeraum 2002, Endbericht, in:<br />
Landtag Mecklenburg-Vorpommern, Maritime Sicherheit im Ostseeraum, Bd.<br />
2, 2002, S. 257; Nollkaemper, The External Competences of the European<br />
Community with Regard to Marine Pollution from Maritime Transport: the<br />
Frail Legal Support for Grand Ambitions, in: Ringbom (Hrsg.), Competing<br />
Norms in the Law of Marine Environmental Protection, 1997, S. 169; Bothe,<br />
Versuch einer Bilanz. Ratifizierungs-, Durchsetzungs-, Ausfüllungs- und Überwachungsdefizite,<br />
in: Koch/Lagoni (Hrsg.), Meeresumweltschutz für Nordund<br />
Ostsee, 1996, S. 329 ff.; Cron, <strong>Das</strong> Umweltregime der Nordsee – völkerund<br />
europarechtliche Aspekte, 1995, S. 167 f.; Frees, Maßnahmen und rechtliche<br />
Möglichkeiten der Europäischen Gemeinschaft zur Bekämpfung und<br />
Verhütung von Öltankerunfällen vor ihren Küsten, NuR 1992, 1 (18).<br />
9 Entschließung vom 8. Juni 1993, ABl. EG 1993, Nr. C 271/1.<br />
16 | ZUR 1/2005
Koch/Ziehm, Schiffssicherheit und Meeresumweltschutz | AUFSÄTZE<br />
erster Linie <strong>als</strong> Umsetzung internationaler Vorgaben verstanden. 10<br />
Zu diesen Gemeinschaftsregelungen zählen insbesondere<br />
– die Richtlinie 93/75/EG über Mindestanforderungen an Schiffe,<br />
die Seehäfen der Gemeinschaft anlaufen oder aus ihnen auslaufen<br />
und gefährliche Stoffe oder umweltschädliche Güter befördern,<br />
11<br />
– die Richtlinie 94/57/EG über gemeinsame Vorschriften und<br />
Normen für Schiffsüberprüfungs- und -besichtigungsorganisationen<br />
und die einschlägigen Maßnahmen der Seebehörden, 12<br />
– die Richtlinie 95/21/EG zur Durchsetzung internationaler Normen<br />
für die Schiffssicherheit, die Verhütung von Verschmutzung<br />
und die Lebens- und Arbeitsbedingungen an Bord von<br />
Schiffen, die Gemeinschaftshäfen anlaufen und in Hoheitsgewässern<br />
der Mitgliedstaaten fahren (Hafenstaatkontrolle). 13<br />
Eine eigene Initiativfunktion übernahm die EU im Bereich der<br />
Schiffssicherheit erstm<strong>als</strong> 2000 unter dem Eindruck der Auswirkungen<br />
der Havarie der »Erika« mit den sog. »Erika«-I- 14 und »Erika«-II-<br />
15 Maßnahmepaketen sowie weiteren Vorschlägen 16 im Anschluss<br />
an den Untergang der »Prestige«. Hierzu im Einzelnen sogleich<br />
(Ziffer C.).<br />
II. Meeresumweltschutz<br />
Handelt es sich bei der gemeinschaftlichen Schiffssicherheitspolitik<br />
mithin um einen noch »jungen« Politikbereich, so existierte eine<br />
explizite EU-Meeresumweltschutzpolitik bislang überhaupt<br />
nicht. Richtlinien wie beispielsweise die Gewässerschutzrichtlinie<br />
76/464/EWG 17 oder die Nitratrichtlinie 91/676/EWG 18 leisten zwar<br />
– mehr oder weniger reflexartig – einen Beitrag zum Schutz der<br />
Meeresumwelt, indem sie etwa Schadstoffeinleitungen aus landseitigen<br />
Quellen in Oberflächengewässer oder den Eintrag von<br />
Stickstoff im Rahmen landwirtschaftlicher Düngung regulieren. 19<br />
Die Meere sind dabei aber stets Annex zum Gemeinschaftsterritorium,<br />
nicht selbständiges Schutzgut. 20 Während der Verhandlungen<br />
über die Wasserrahmenrichtlinie 21 war die Ausdehnung des<br />
qualitätsbezogenen Ansatzes auf marine Gewässer insgesamt seitens<br />
der Kommission eingebracht worden. 22 Sie hat sich mit diesem<br />
Vorschlag jedoch nicht durchsetzen können. Der Geltungsbereich<br />
23 für den »guten ökologischen Zustand« ist in der endgültigen<br />
Fassung der Wasserrahmenrichtlinie beschränkt worden auf<br />
einen Bereich von lediglich 1 sm, der »gute chemische Zustand«<br />
ist bis zu einer Entfernung von nur 12 sm maßgeblich. 24<br />
<strong>Das</strong> Sechste Umweltaktionsprogramm 25 aus dem Jahre 2002<br />
sieht nunmehr die Erarbeitung einer thematischen Strategie zum<br />
Schutz der Meeresumwelt vor. Als ersten Schritt hierfür hat die<br />
Kommission im Oktober 2002 die Mitteilung »Hin zu einer Strategie<br />
zum Schutz und zur Erhaltung der Meeresumwelt« 26 veröffentlicht.<br />
Auf dieser Grundlage erarbeitet sie derzeit eine Strategie, deren<br />
»zero version« im November 2004 beraten wurde und deren<br />
endgültige Fassung Mitte 2005 vorliegen soll.<br />
So begrüßenswert die Idee einer Meeresschutzstrategie ist, so kritisch<br />
muss doch der bislang beabsichtigte Inhalt betrachtet werden.<br />
Denn auf Grund der bisherigen Arbeiten der Kommission ist davon<br />
auszugehen, dass wesentliche Bereiche wie Landwirtschaft, Fischerei<br />
und eben auch die Schifffahrt nicht bzw. allenfalls marginal umfasst<br />
sein werden. Maßgeblich dafür sind die geteilten Zuständigkeiten<br />
innerhalb der Kommission und damit einhergehende differierende<br />
Interessenslagen. Die Generaldirektion Umwelt übt<br />
Zurückhaltung überall dort, wo Kompetenzen beispielsweise der<br />
Generaldirektion Verkehr berührt sind. Selbstverständlich sind die<br />
einzelnen Verantwortungsbereiche zu beachten. Nur: eine Strategie,<br />
die maßgebliche Verschmutzungs- und Belastungsquellen wie die<br />
Schifffahrt ausklammert, wird notwendig in ihrer Wirkungskraft begrenzt<br />
bleiben. Der von der Kommission – zu Recht – verfolgte sog.<br />
ökosystemare Ansatz zum Schutz der Meere 27 bleibt von vornherein<br />
lückenhaft. In Anbetracht der tatsächlichen Belastungssituation<br />
der Gemeinschaftsmeere ist dies schwerlich sachgerecht.<br />
Wegen des Gebots der Integration des Umweltschutzes in sämtliche<br />
Politikbereiche der EU ist eine solche Restriktion auch rechtlich<br />
nicht geboten. Im Gegenteil, die Querschnittsklausel des Art.<br />
6 EG ist endlich auch innerhalb der Kommission zu verwirklichen.<br />
Der sog. Cardiff-Prozess ist weitgehend gescheitert. 28 Die in seinem<br />
Rahmen entwickelte Grundidee der Selbstverantwortlichkeit der<br />
einzelnen Sektoren für die Einbeziehung des Umweltschutzes in<br />
ihre Politiken 29 ist vielfach Theorie geblieben. Warum sollte <strong>als</strong>o für<br />
die Meeresschutzstrategie nicht an der ressortübergreifenden Kooperation<br />
angesetzt werden, wie sie in Form einer gemeinsamen<br />
Mitteilung von Verkehrsdirektion und Umweltdirektion nach der<br />
Havarie der »Prestige« 30 schon einmal praktiziert worden ist Die<br />
Meeresschutzstrategie hätte auf diese Weise die Chance, zu einem<br />
Beispiel wirklicher Umweltschutzintegration zu werden.<br />
C. Die konkreten Maßnahmen der EU-Schiffssicherheitspolitik<br />
Die »Erika«-Maßnahmenpakete und die Mitteilungen in Reaktion<br />
auf die Havarie der »Prestige« enthalten Vorschläge<br />
– für eine Verschärfung der Hafenstaatkontrollen insbesondere<br />
durch ein Anlaufverbot für Substandard-Schiffe und intensivierte<br />
Überprüfungen,<br />
10 Vgl. EU-Kommission, Mitteilung vom 2.10.2002 an das Europäische Parlament<br />
und den Rat »Hin zu einer Strategie zum Schutz und zur Erhaltung der Meeresumwelt«,<br />
KOM(2002) 539 endg., S. 16, 51.<br />
11 Richtlinie des Rates vom 13.9.1993, ABl. EG 1993, Nr. L 247/19.<br />
12 Richtlinie des Rates vom 22.11.1994, ABl. EG 1994, Nr. L 319/20.<br />
13 Richtlinie des Rates vom 19.6.1995, ABl. EG 1995 Nr. L 157/1.<br />
14 EU-Kommission, Mitteilung vom 21.3.2000 an das Europäische Parlament<br />
und den Rat über die Sicherheit des Erdöltransports zur See, KOM(2000) 142<br />
endg.<br />
15 EU-Kommission, Mitteilung vom 6.12.2000 an das Europäische Parlament<br />
und den Rat über ein zweites Paket von Maßnahmen der Gemeinschaft für<br />
die Sicherheit der Seeschifffahrt im Anschluss an den Untergang des Öltankschiffs<br />
Erika, KOM(2000) 802 endg.<br />
16 EU-Kommission, Mitteilung vom 3.12.2002 an das Europäische Parlament<br />
und den Rat zur Erhöhung der Sicherheit im Seeverkehr nach dem Untergang<br />
des Öltankschiffs Prestige, KOM(2002) 681 endg.; Mitteilung vom<br />
5.3.2003, Bericht an den Europäischen Rat über die angesichts der Folgen der<br />
Prestige-Katastrophe zu ergreifenden Maßnahmen, KOM(2003) 105 endg.<br />
17 Richtlinie des Rates vom 4.5.1976 betreffend die Verschmutzung infolge der<br />
Ableitung bestimmter gefährlicher Stoffe in die Gewässer der Gemeinschaft<br />
(76/464/EWG), ABl. EG 1976, Nr. L 129/23.<br />
18 Richtlinie des Rates vom 12.12.1991 zum Schutz der Gewässer vor Verunreinigung<br />
durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen (91/676/EWG), ABl.<br />
EG 1991, Nr. L 375, S. 1.<br />
19 Die einzelnen vorhandenen Richtlinien reichen bei weitem nicht zur Gewährleistung<br />
eines effektiven Meeresumweltschutzes aus, vgl. SRU (o. Fn. 5),<br />
Tz. 295 ff., 336 ff.<br />
20 Krämer (o. Fn. 8), S. 264.<br />
21 Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.10.2000 zur<br />
Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im<br />
Bereich der Wasserpolitik (2000/60/EG), ABl. EG 2000, Nr. L 327/1.<br />
22 Änderungsvorschlag der EU-Kommission zur Wasserrahmenrichtlinie vom<br />
27.11.1997, ABl. EG 1998, Nr. C 16/14.<br />
23 S. aber zur Beachtlichkeit des – vom Geltungsbereich zu unterscheidenden<br />
– Wirkbereichs der Wasserrahmenrichtlinie SRU (o. Fn. 5), Tz. 296, 349.<br />
24 Seidel, Gewässerschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 163,<br />
zufolge spielte für diese Begrenzung jedenfalls auch die »Befürchtung« der<br />
Mitgliedstaaten eine Rolle, dass der Gemeinschaft durch die Einbeziehung<br />
des Meeresschutzes in die Wasserrahmenrichtlinie schrittweise eine ausschließliche<br />
Außenkompetenz im Rahmen der internationalen Meeressschutzabkommen<br />
zuwachsen könnte.<br />
25 EU-Kommission, Mitteilung an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts-<br />
und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen vom<br />
24.1.2001 zum Sechsten Umweltaktionsprogramm »Umwelt 2010: Unsere<br />
Zukunft liegt in unserer Hand«, KOM(2001) 31 endg.<br />
26 S.o. Fn. 10.<br />
27 Ausführlich SRU (o. Fn. 5), Tz. 496 ff.<br />
28 SRU, Umweltgutachten 2004 »Umweltpolitische Handlungsfähigkeit sichern«,<br />
BT-Drs. 15/3600, Tz. 1196.<br />
29 EU-Kommission, Mitteilung an den Europäischen Rat - Partnerschaft für Integration<br />
– eine Strategie zur Einbeziehung der Umweltbelange in die EU-Politik<br />
– Cardiff – Juni 1998, KOM(1998) 333 endg.<br />
30 EU-Kommission (Fn. 16), KOM(2002) 681 endg.<br />
ZUR 1/2005 | 17
AUFSÄTZE | Koch/Ziehm, Schiffssicherheit und Meeresumweltschutz<br />
– für eine effektivere, europaweit einheitliche Kontrolle der Klassifikationsgesellschaften,<br />
– für ein beschleunigtes Verbot von Einhüllen-Tankschiffen,<br />
– für ein gemeinschaftliches Verkehrsüberwachungssystem,<br />
– für einen Fonds für Ölverschmutzungsschäden sowie<br />
– für die Errichtung einer Europäischen Agentur für Seeverkehrssicherheit.<br />
Mittlerweile sind – mit einer Ausnahme – alle Vorschläge verbindliches<br />
Gemeinschaftsrecht geworden. Die Europäische Agentur für<br />
Seeverkehrssicherheit (EMSA) 31 ist nicht nur eingerichtet worden,<br />
sondern hat zwischenzeitlich auch ihre Arbeit in Lissabon aufgenommen.<br />
Lediglich die Idee eines eigenständigen europäischen<br />
Fonds ist nicht verwirklicht worden. Hier soll es ausschließlich bei<br />
der internationalen Ebene bleiben. Im Einzelnen:<br />
I. Hafenstaatkontrollen<br />
Die Hafenstaatkontrollen auch in den Häfen der EU sind vielfach<br />
defizitär. Die Richtlinie 95/21/EG über Hafenstaatkontrollen<br />
schreibt vor, mindestens 25 % der im Durchschnitt in die jeweiligen<br />
Häfen der Mitgliedstaaten einlaufenden Schiffe zu kontrollieren.<br />
Vorrangig sind potenziell unternormige Schiffe zu überprüfen.<br />
Tatsächlich wurden in einigen EU-Häfen in der Vergangenheit jedoch<br />
anscheinend ganz bewusst nur neuere Schiffe kontrolliert,<br />
um zwar die 25 %-Quote zu erfüllen, die Überprüfungstätigkeit<br />
aber zu erleichtern. 32 Zum Teil wurde die Kontrollquote von mindestens<br />
25 % überhaupt erheblich unterschritten. 33<br />
Als Folge des »Erika«-I-Pakets sind die Regelungen der Richtlinie<br />
über Hafenstaatkontrollen durch die Änderungsrichtlinie<br />
2001/106/EG 34 mit Wirkung ab dem 22.7.2003 verschärft worden.<br />
Zwar ist es bei der 25 %-Quote geblieben. Den Inspektoren wird<br />
nunmehr jedoch konkreter vorgeschrieben, welche Schiffe sie vorrangig<br />
und in welcher Reihenfolge überprüfen müssen. Neu ist<br />
auch eine verdachtsunabhängige Überprüfung bei potenziellen Risikoschiffen,<br />
wenn seit der letzten gründlichen Überprüfung zwölf<br />
Monate vergangen sind. Auf der Grundlage eines neuen Art. 7b sollen<br />
ferner alle sechs Monate Informationen über Substandard-<br />
Schiffe, die in den vorangegangenen zwei bzw. drei Jahren wiederholt<br />
in EU-Häfen festgehalten worden sind, erstellt und in einer<br />
Gemeinschaftsliste veröffentlicht werden. 35 Schiffen, die in<br />
dieser Liste geführt werden, ist zwingend der Zugang zu sämtlichen<br />
Gemeinschaftshäfen zu verweigern.<br />
Die verschärften Regelungen der Richtlinie über Hafenstaatkontrollen<br />
sind uneingeschränkt zu begrüßen. Voraussetzung für deren<br />
Wirksamkeit ist es allerdings, dass tatsächlich eine ausreichende<br />
Zahl von Inspektoren bereitgestellt wird, um mindestens 25 %<br />
der Schiffe in den Gemeinschaftshäfen zu kontrollieren. Alle Mitgliedstaaten<br />
müssen für sämtliche ihrer Häfen und Ankerplätze unbedingt<br />
eine ausreichende Zahl von Besichtigungen garantieren,<br />
damit einzelne Häfen oder Mitgliedstaaten nicht zu »Gefälligkeitshäfen«<br />
oder gar »Gefälligkeitsstaaten« werden. Hier kommt einem<br />
auf konsequente Durchsetzung ausgerichteten Verhalten der<br />
Kommission maßgebliche Bedeutung zu. Gegen Frankreich und Irland<br />
sind insoweit wegen Nichterfüllung der 25 %-Quote seit 2002<br />
bereits entsprechende Vertragsverletzungsverfahren vor dem<br />
EuGH angestrengt worden. 36 Und unmittelbar nach Ablauf der<br />
Frist für die Umsetzung der Änderungsrichtlinie 2001/106/EG hat<br />
die Kommission gegen sämtliche Mitgliedstaaten mit Ausnahme<br />
von Dänemark, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und<br />
Spanien Vertragsverletzungsverfahren wegen Nichterfüllung der<br />
normativen Umsetzungsverpflichtungen eingeleitet. 37<br />
II. Klassifizierung<br />
Im Rahmen der Hafenstaatkontrolle ist die Möglichkeit, Lade- und<br />
Ballasträume zu besichtigen, beschränkt. Der unter Wasser befindliche<br />
Schiffsteil kann praktisch nicht staatlich überprüft werden,<br />
so dass es hier wesentlich auf die Arbeit der – privaten – Klassifikationsgesellschaften<br />
ankommt, die die Schiffe im Auftrag der Reeder<br />
für die Zeugniserteilung der Flaggenstaaten überprüfen. Ebenfalls<br />
<strong>als</strong> Konsequenz aus der Havarie der »Erika« sind die Anforderungen<br />
an die Klassifikationsgesellschaften in der Richtlinie<br />
94/57/EG durch die Änderungsrichtlinie 2001/105/EG 38 strenger<br />
gefasst worden. Eingeführt wurde insbesondere eine einheitliche<br />
gemeinschaftsweite Anerkennung der Klassifikationsgesellschaften.<br />
Erfüllt eine Klassifikationsgesellschaft bestimmte Kriterien<br />
nicht (mehr), kann ihr die Zulassung entzogen werden.<br />
Mit der Zulassung nach einheitlichen Standards soll dem zunehmend<br />
kommerziellen Charakter der Klassifikationsgesellschaften und<br />
daraus resultierenden unterschiedlichen Qualitätsstandards entgegengewirkt<br />
werden. Es gilt, dem bei den Schiffseignern zu beobachtenden<br />
Trend zum Ausweichen auf »bequeme« Überprüfungsorganisationen 39<br />
entgegenzusteuern. Die jetzt eingeführte Möglichkeit der Aberkennung<br />
der Zulassung <strong>als</strong> Klassifikationsgesellschaft dürfte insoweit einen entsprechenden<br />
Druck auf diese privaten Akteure ausüben.<br />
III. Ausmusterung von Einhüllen-Tankschiffen<br />
Auf der Grundlage des »Erika«-I-Pakets wurde im Februar 2002 die<br />
Verordnung (EG) Nr. 417/2002 zur beschleunigten Einführung von<br />
Doppelhüllen oder gleichwertigen Konstruktionsanforderungen für<br />
Einhüllen-Öltankschiffe 40 verabschiedet. Die Verordnung gilt für alle<br />
Öltankschiffe ab einer Tragfähigkeit von 5000 t, die (1) einen Hafen<br />
oder Vorhafen unter der Gerichtsbarkeit eines Mitgliedstaates<br />
anlaufen, unabhängig davon, welche Flagge sie führen, oder die (2)<br />
die Flagge eines Mitgliedstaates führen. Betroffen sind <strong>als</strong>o auch<br />
Schiffe unter der Flagge von Drittstaaten. Die nach dem Internationalen<br />
Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung<br />
durch Schiffe 41 – kurz MARPOL 73/78 – nach Alter, Tragfähigkeit<br />
und dem Vorhandensein schutzbietend angeordneter Tanks für<br />
getrennten Ballast in drei Kategorien eingeteilten Einhüllen-Tankschiffe<br />
sollten nach der Verordnung (EG) Nr. 417/2002 ursprünglich<br />
spätestens ab 2007 (Kategorie 1) bzw. ab 2015 (Kategorien 2 und<br />
3) ausgemustert sein. Diese Fristen sind in Folge des Untergangs der<br />
»Prestige« weiter verschärft worden. Die Außerdienststellung<br />
– für Schiffe der Kategorie 1 ist nunmehr spätestens bis 2005 und<br />
– für Schiffe der Kategorie 2 und Kategorie 3 spätestens bis 2010<br />
vorgesehen. 42<br />
31 S. die Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.6.2002<br />
zur Errichtung einer Europäischen Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs,<br />
ABl. EG 2002, Nr. L 208/1.<br />
32 König, Schiffssicherheit und Umweltschutz vor Deutschlands Küsten, NordÖR<br />
2003, 89 (95).<br />
33 Vgl. SRU (o. Fn. 5), Tz. 364.<br />
34 Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.12.2001, ABl.<br />
EG 2002, Nr. L 19/17.<br />
35 Vgl. SRU (o. Fn. 5), Tz. 365 sowie die im Anhang dieses Sondergutachtens abgedruckte<br />
Schiffsliste.<br />
36 Im Jahre 1999 war bereits Italien vom EuGH wegen unvollständiger Umsetzung<br />
der Richtlinie über Hafenstaatkontrollen verurteilt worden, Urt. v.<br />
11.11.1999 - Rs. C-315/98, Slg. I-8001.<br />
37 EU-Kommission, Pressemitteilung IP/03/1116.<br />
38 Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.12.2001, ABl.<br />
EG 2002, Nr. L 19/9.<br />
39 Erbguth/Jenisch/Herma/Keller (o. Fn. 8), S. 241; SRU (o. Fn. 5), Tz. 367.<br />
40 Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18.2.2002,<br />
ABl. EG 2002, Nr. L 64/1.<br />
41 Übereinkommen vom 2.11.1973, BGBl. II 1982, S. 4.<br />
42 Vgl. Verordnung (EG) Nr. 1726/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates<br />
vom 22.7.2003 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 417/2002 zur beschleunigten<br />
Einführung von Doppelhüllen oder gleichwertigen Konstruktionsanforderungen<br />
für Einhüllentankschiffe, ABl. EG 2003, Nr. L 249/1.<br />
18 | ZUR 1/2005
Koch/Ziehm, Schiffssicherheit und Meeresumweltschutz | AUFSÄTZE<br />
Damit die Gemeinschaftsregelungen zur Außerdienststellung von<br />
Einhüllen-Tankschiffen auch gegenüber Schiffen, die nicht unter<br />
EU-Flaggen fahren, tatsächlich in der Praxis durchgesetzt werden,<br />
normiert die Verordnung ein europäisches Hafenanlaufverbot für<br />
Tankschiffe mit nur einer Hülle ab 2005 bzw. 2010.<br />
Ferner enthält die Verordnung (EG) Nr. 417/2002 jetzt eine Bestimmung,<br />
dass Schweröl überhaupt nur noch in Doppelhüllentankschiffen<br />
transportiert werden darf. Dieses Transportverbot gilt<br />
für Öltankschiffe bereits ab einer Tragfähigkeit von 600 t. Schließlich<br />
soll eine umfassendere Anwendung der besonderen Inspektionsvorschriften<br />
für Tankschiffe, des sog. Condition Assessment<br />
Scheme (CAS) durchgesetzt werden. Dabei ist die strukturelle Solidität<br />
von Tankschiffen, die älter <strong>als</strong> 15 Jahre sind, zu überprüfen.<br />
Die konsequente Durchsetzung des beschleunigten phasing-out<br />
von Einhüllen-Tankschiffen und des Transports von Schweröl in<br />
solchen Schiffen bedeutet einen wesentlichen Schritt für den<br />
Schutz der Meeresumwelt. Schweröl wird in Anbetracht seines relativ<br />
geringen Handelswerts und des vergleichsweise geringen<br />
Brand- und Explosionsrisikos regelmäßig mit älteren Tankschiffen<br />
transportiert, verursacht aber die größten umweltschädigenden<br />
Wirkungen. Diesem aus Sicht des Meeresumweltschutzes in keiner<br />
Weise akzeptablen Missverhältnis muss entgegengesteuert werden.<br />
Nicht übersehen werden darf allerdings, dass auch eine doppelte<br />
Hülle bei Tankern keine absolute Sicherheit bietet. Zwar gewährleistet<br />
die Doppelhülle bei Strandungen sehr viel mehr Schutz <strong>als</strong><br />
eine einfache Hülle. Bei Schiffskollisionen vermag eine Doppelhülle<br />
jedoch nur relativ wenig auszurichten, wobei allerdings in<br />
der Regel bei Kollisionen von Doppelhüllen-Tankschiffen auf<br />
Grund kleinerer Tanks weniger Öl auslaufen wird. Gleichwohl sollte<br />
angestrebt werden, das Risiko der durch Maschinenschäden verursachten<br />
Schiffsunfälle durch den Einbau eines Ersatzmotors, der<br />
das Schiff manövrierfähig halten kann, zu minimieren. Auch gilt<br />
es zu beachten, dass bei Doppelhüllen-Tankschiffen im Laufe der<br />
Zeit Haarrisse auftreten können, verbunden mit einer Gasbildung<br />
zwischen den Böden. Dies kann sowohl auf dem Meer <strong>als</strong> auch in<br />
Häfen zu Unfällen führen. Deswegen sind unbedingt entsprechende<br />
regelmäßige Qualitätskontrollen sicherzustellen. 43<br />
IV. Meldepflichten und Überwachungssysteme<br />
Die auf der Grundlage des »Erika«-II-Pakets beschlossene sog.<br />
Schiffsmelderichtlinie 2002/59/EG 44 ersetzt die Richtlinie<br />
93/75/EG. Sie koordiniert die bislang auf internationaler, gemeinschaftlicher<br />
und nationaler Ebene bestehenden einzelnen Meldeund<br />
Auskunftspflichten, erweitert sie in ihrem sachlichen Anwendungsbereich<br />
und fasst sie zu einem einheitlichen System der<br />
Überwachung, Kontrolle und Information für den Seeverkehr in<br />
der Gemeinschaft zusammen. 45 Hatten in der Vergangenheit lediglich<br />
Schiffe mit gefährlicher oder umweltschädlicher Ladung,<br />
die beispielsweise deutsche innere Gewässer und damit einen deutschen<br />
Hafen anliefen, eine Anlaufmeldung abzugeben, so sind<br />
nunmehr grundsätzlich alle Schiffe über 300 t meldepflichtig. Dabei<br />
sind gefährliche oder umweltschädliche Güter auf Schiffen anzugeben.<br />
Außerdem bestehen Pflichten zur Meldung von Ereignissen auf<br />
See und von Seeunfällen. Hiermit sollen erhebliche Gefahren für<br />
die Schiffssicherheit, die Sicherheit von Personen oder die Umwelt<br />
vermieden, zumindest aber gemindert werden. Zu melden sind<br />
vom Kapitän nicht nur tatsächlich bereits eingetretene oder zu erwartende<br />
erhebliche Verschmutzungen, sondern auch alle Ereignisse,<br />
welche die Sicherheit des Schiffs beeinträchtigen oder wahrscheinlich<br />
beeinträchtigen können. Ferner muss der Kapitän auf<br />
See treibende Ölfelder oder sonstige Schadstoffe sowie Container<br />
und Pakete melden.<br />
Neben den beschriebenen Meldepflichten wird mit der Schiffsmelderichtlinie<br />
die Einführung von Schiffsdatenschreibern – sog.<br />
black boxes – und automatischen Schiffsidentifizierungssystemen<br />
(AIS) je nach Größe zeitlich gestaffelt bis spätestens Anfang 2008<br />
bzw. Juli 2007 auf europäischer Ebene vorgeschrieben. Schiffen, die<br />
innerhalb des für sie geltenden Zeitraums beispielsweise nicht über<br />
einen Schiffsdatenschreiber verfügen, ist wiederum der Zugang zu<br />
allen Gemeinschaftshäfen zu verweigern. Schließlich treffen die<br />
Mitgliedstaaten nach der Richtlinie die erforderlichen Vorkehrungen,<br />
um sicherzustellen, dass auf ihrem Hoheitsgebiet Häfen vorhanden<br />
sind, die Schiffe in Seenot aufnehmen können. 46<br />
D. EU – Implementierungshelfer und Initiator einer Schiffsicherheitspolitik<br />
Naturgemäß sind der Seeverkehr und seine Regulierung durch ihren<br />
internationalen Charakter geprägt. Die Erhöhung der Schiffssicherheit<br />
erfordert – ebenso wie die Bekämpfung chronischer Meeresverschmutzungen<br />
– eine internationale Zusammenarbeit. Maßgebliche<br />
Bedeutung kommt insoweit der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation<br />
(International Maritime Organization – IMO)<br />
zu. Die IMO ist ausweislich Art. 211 Abs. 1 des Seerechtsübereinkommens<br />
der Vereinten Nationen 47 – SRÜ – zur Rechtsetzung, d.h.<br />
insbesondere zur Ausgestaltung des durch das SRÜ vorgegebenen<br />
generellen Rahmens, zuständig. Unter ihrer Federführung sind<br />
wichtige internationale Konventionen wie beispielsweise das Übereinkommen<br />
zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe<br />
von 1973 (International Convention for the Prevention of Marine<br />
Pollution from Ships, ergänzt durch ein Protokoll von 1978 –<br />
MARPOL 73/78) 48 und das Übereinkommen von 1974 zum Schutz<br />
menschlichen Lebens auf See (Safety of Life at Sea – SOLAS) 49 zustande<br />
gekommen. Mit ihren derzeit 162 Mitgliedern, die mehr <strong>als</strong><br />
95 % der Welthandelsschiffstonnage repräsentieren, darf die IMO<br />
Universalität für sich in Anspruch nehmen. 50<br />
Lösungsansätze im Rahmen der IMO werden indessen – quasi<br />
<strong>als</strong> Kehrseite der Universalität – zumeist nur in langwierigen Entscheidungsprozessen<br />
und oftm<strong>als</strong> nur auf dem kleinsten gemeinsamen<br />
Nenner erarbeitet. 51 Zu der zeitlichen Verzögerung des<br />
globalen Rechtsetzungsprozesses, der inhaltlichen Dürftigkeit<br />
mancher Ergebnisse sowie der zum Teil mangelhaften Ratifikationsdisziplin<br />
kommen erhebliche Anwendungsdefizite in der Praxis<br />
hinzu. Insgesamt konnten fast 30 IMO-Konventionen und zahlreiche<br />
Codes, Leitlinien und Empfehlungen Substandardschiffe<br />
und »Billigflaggen« nicht verhindern. 52<br />
I. EU <strong>als</strong> Implementierungshelfer<br />
Internationale Schiffssicherheitsnormen sind nur dann wirksam,<br />
wenn sie einer einheitlichen, an Effektivitätsmaßstäben ausge-<br />
43 SRU (o. Fn. 5), Tz. 395.<br />
44 Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.6.2002 über<br />
die Einrichtung eines gemeinschaftlichen Überwachungs- und Informationssystems<br />
für den Schiffsverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie<br />
93/75/EWG des Rates, ABl. EG 2002, Nr. L 208/10.<br />
45 Lagoni, Vorsorge gegen Schiffsunfälle im Küstenvorfeld, Transportrecht 2001,<br />
S. 284, 285.<br />
46 Vertiefend Ehlers, Schiffssicherheit nach der »Prestige«, ZUR 2003, 342 (347);<br />
ders., Schiffsunsicherheit auf der Ostsee – Strategien der Helsinki-Kommission,<br />
NordÖR 2002, 89 (93); Lagoni (Fn. 45), S. 289 ff.<br />
47 Übereinkommen vom 10.12.1982, BGBl. II 1994, S. 2565.<br />
48 S. o. Fn. 41.<br />
49 Neufassung BGBl. II 1998, S. 2579.<br />
50 Vitzthum (o. Fn. 8), S. 65; s. auch König, The Enforcement of the International<br />
Law of the Sea by Coastal and Port States, ZaöRV 62 (2002), 1 (2).<br />
51 Ehlers (o. Fn. 46, Schiffssicherheit…), S. 343.<br />
52 Vitzthum (o. Fn. 8), S. 70; ders., Schiffssicherheit: Die EG <strong>als</strong> potentieller Durchsetzungsdegen<br />
der IMO, ZaöRV 2002, 167 f.<br />
ZUR 1/2005 | 19
AUFSÄTZE | Koch/Ziehm, Schiffssicherheit und Meeresumweltschutz<br />
richteten Implementierung unterliegen. Wie im Bereich des übrigen<br />
Umweltvölkerrechts wurden auch der IMO <strong>als</strong> internationaler<br />
Organisation keine umfassenden Durchsetzungsbefugnisse übertragen.<br />
53 Im Unterschied zur IMO verfügt jedoch die EU über Kontroll-,<br />
Vollzugs- und Durchsetzungsmechanismen. 54 Die Kommission<br />
ist gemäß Art. 211 EG <strong>als</strong> zentrales Organ für die Überwachung<br />
sowohl der normativen Umsetzung <strong>als</strong> auch der<br />
tatsächlichen Anwendung verbindlichen Gemeinschaftsrechts in<br />
den Mitgliedstaaten zuständig. Sie kann Vertragsverletzungsverfahren<br />
vor dem EuGH nach Art. 226 EG und gegebenenfalls sogar<br />
Sanktionsmaßnahmen gemäß Art. 228 Abs. 2 EG einleiten.<br />
Mittels Umsetzung der internationalen Standards in Richtlinien<br />
und Verordnungen und deren anschließender Durchsetzung kann<br />
<strong>als</strong>o die EU maßgeblich zur Erhöhung der Schiffssicherheit beitragen.<br />
Die Kommission kann dabei zum einen auf eine einheitliche<br />
Implementierung internationaler maritimer Standards auf Schiffen,<br />
die unter der Flagge eines Mitgliedstaates fahren, hinwirken.<br />
In Anbetracht des Beitritts von Malta und Zypern zur EU kommt<br />
dem künftig eine noch größere Bedeutung zu. Denn auf die 15 alten<br />
Mitgliedstaaten der EU entfallen knapp über 10 % der Welthandelsschiffstonnage,<br />
auf Malta 5 %, auf Zypern 4 %. 55 Der »unmittelbare<br />
Einflussbereich« der Kommission ist mithin nahezu<br />
verdoppelt worden.<br />
Mit der Durchsetzung strenger Hafenstaatkontrollen in den Gemeinschaftshäfen<br />
kann die Kommission darüber hinaus entsprechenden<br />
Druck auf sog. Drittlandschiffe ausüben. Sie bzw. die kontrollierenden<br />
Mitgliedstaaten handeln insoweit auch völkerrechtskonform.<br />
Die Hafenstaatkontrollen sind die Konsequenz aus<br />
der den Staaten in ihren jeweiligen Häfen zukommenden Gebietshoheit.<br />
Sie sind auch explizit in Art. 218 SRÜ vorgesehen. 56<br />
II. EU <strong>als</strong> Initiator<br />
Die Rolle der EU im Bereich der Schiffssicherheitspolitik ist indes<br />
nicht auf diejenige eines »Implementierungshelfers« beschränkt.<br />
Zwar sollte es grundsätzlich beim Vorrang internationalen Rechts<br />
im Bereich der Schiffssicherheit bleiben. Erweisen sich allerdings<br />
die völkerrechtlich vereinbarten Schiffssicherheitsstandards <strong>als</strong> für<br />
den Schutz der Meere und Küsten nicht ausreichend, kann die EU<br />
unter bestimmten Voraussetzungen selbst initiativ werden und<br />
durch Normierung von gegenüber dem Völkerrecht anspruchsvolleren<br />
Gemeinschaftsregelungen <strong>als</strong> »Motor« für die Entwicklung<br />
strengerer weltweiter Schiffssicherheitsbestimmungen agieren.<br />
<strong>Das</strong> hier vorhandene Potenzial der EU hat sich eindrücklich<br />
am Beispiel der Ausmusterung von Einhüllen-Tankschiffen gezeigt:<br />
International sind im Rahmen der IMO überhaupt erst 1992 <strong>als</strong><br />
Reaktion auf den Oil Pollution Act der USA von 1990 Regelungen<br />
über die schrittweise Abschaffung von Einhüllen-Tankschiffen getroffen<br />
worden. Gemäß Regel 13G der Anlage 1 des MARPOL-Übereinkommens<br />
sollten diese Schiffe zunächst bis 2026 ausgemustert<br />
werden. Angestoßen durch einen Vorschlag der EU-Kommission in<br />
dem sog. »Erika«-I-Paket verschärfte das Marine Environment Protection<br />
Committee (MEPC) der IMO auf seiner 46. Sitzung im April<br />
2001 die 1992 vereinbarten Regelungen: Die revidierte Regel 13G<br />
forderte eine Ausmusterung gestaffelt nach dem Alter bis spätestens<br />
2007 bzw. 2015. 57 Diese Fristen stimmten mit denen in der<br />
ursprünglichen Fassung der Verordnung (EG) Nr. 417/2002 überein<br />
(s.o.). Letztere wurden jedoch <strong>als</strong> Konsequenz aus der Havarie der<br />
»Prestige« durch die im Oktober 2003 in Kraft getretene Änderung<br />
der Verordnung (EG) Nr. 417/2002 auf 2005 bzw. 2010 weiter verkürzt<br />
(s.o.). Während der Verhandlungen über die Verschärfung<br />
der Verordnung hatten die EU-Mitgliedstaaten im April 2003 einen<br />
gemeinsamen, mit dem Vorschlag der Änderungsverordnung 58<br />
identischen Antrag bei der IMO über ein auch auf internationaler<br />
Ebene nochm<strong>als</strong> beschleunigtes phasing-out von Einhüllen-Tankern<br />
eingebracht. Daraufhin verständigte man sich im Juli 2003 innerhalb<br />
der IMO zunächst auf eine vorgezogene Ausmusterung<br />
von Tankern der Kategorie 1 bis April 2005. Auf der 50. Sitzung des<br />
MEPC im Dezember 2003 konnte dann auch hinsichtlich der<br />
Außerdienststellung von Tankschiffen der Kategorien 2 und 3 bis<br />
spätestens 2010 Einigkeit erzielt werden. 59 Die Regelungen, die die<br />
EU bereits im Oktober 2003 eingeführt hat, gelten im Wesentlichen<br />
nunmehr ab April 2005 weltweit.<br />
Die vorübergehend gegenüber der MARPOL-Regel 13G in der<br />
Fassung von 2001 strengeren EU-Fristen und die Pflicht zur Hafenzugangsverweigerung<br />
bei Nichteinhaltung der Fristen standen<br />
mit dem einschlägigen Völkerrecht in Einklang:<br />
Art. 21 Abs. 1 SRÜ räumt zunächst Küstenstaaten das Recht ein, Bestimmungen<br />
über die friedliche Durchfahrt unter anderem in Bezug<br />
auf die Sicherheit der Schifffahrt, die Erhaltung der lebenden Ressourcen<br />
des Meeres und den Schutz der Umwelt des Küstenstaates<br />
und die Verhütung, Verringerung und Überwachung ihrer Verschmutzung<br />
zu erlassen. Fremde Schiffe, die das Recht der friedlichen<br />
Durchfahrt durch das Küstenmeer ausüben, müssen diese Gesetze<br />
und sonstigen Vorschriften gemäß Art. 21 Abs. 4 SRÜ einhalten.<br />
Maßgeblich sind hier aber vor allem die noch weitergehenden Befugnisse<br />
der Hafenstaaten. <strong>Das</strong> Recht auf friedliche Durchfahrt ist<br />
nämlich in den Häfen nicht anwendbar. 60 Die Hafenstaaten haben<br />
nach Art. 211 Abs. 3, Art. 25 Abs. 2 SRÜ vielmehr ihrerseits das<br />
Recht, nationale Regeln und Standards <strong>als</strong> Bedingung zum Anlaufen<br />
ihrer Häfen vorzuschreiben. <strong>Das</strong> SRÜ tastet die Souveränität der Vertragsstaaten<br />
des SRÜ in ihren Häfen nicht an. 61 <strong>Das</strong> Übereinkommen<br />
und das Statut über die internationale Rechtsordnung der Seehäfen 62<br />
steht derartigen Anlaufbedingungen ebenso wenig entgegen. Darin<br />
wird lediglich ein Anspruch auf Gleichbehandlung begründet. 63<br />
Durch ihren Beitritt zum MARPOL-Übereinkommen haben sich<br />
die Hafenstaaten auch nicht etwa ihres Rechts aus Art. 211 Abs. 3,<br />
Art. 25 Abs. 2 SRÜ begeben, nationale Regeln und Standards <strong>als</strong> Bedingung<br />
zum Anlaufen ihrer Häfen zu normieren. Adressaten der<br />
Verpflichtungen aus dem MARPOL-Übereinkommen sind die Flaggenstaaten.<br />
Die MARPOL-Verpflichtungen stellen zwar für die Flaggenstaaten<br />
ein Minimum dar, welches diese erfüllen müssen. Sie<br />
begründen aber nicht gleichzeitig für die Hafenstaaten ein Maximum,<br />
über das diese für ihre Häfen nicht hinausgehen dürften. 64<br />
Ein derartiger, die Souveränität eines Hafenstaates berührender Automatismus<br />
lässt sich dem MARPOL-Übereinkommen auch bei einer<br />
Auslegung gemäß Art. 31 Abs. 1 der Wiener Vertragsrechtskonvention<br />
nicht entnehmen. Danach sind internationale Verträge<br />
nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der<br />
53 S. auch König, Durchsetzung internationaler Bestands- und Umweltschutzvorschriften<br />
auf Hoher See im Interesse der Staatengemeinschaft, 1989, S. 84;<br />
Wolfrum, Means of Ensuring Compliance with and Enforcement of International<br />
Environmental Law, Recueil des Cours 272 (1998), S. 1, 27.<br />
54 SRU (o. Fn. 5), Tz. 392.<br />
55 EU-Kommission, Mitteilung vom 3.12.2002 an das Europäische Parlament<br />
und den Rat zur Erhöhung der Sicherheit im Seeverkehr nach dem Untergang<br />
des Öltankschiffs Prestige, KOM(2002) 681 endg.<br />
56 Ehlers (o. Fn. 46, Schiffssicherheit...), S. 343; Vitzthum (o. Fn. 8), S. 74; König<br />
(o. Fn. 50), S. 5; dies. (o. Fn. 53); McDormann, Port State Enforcement: A Comment<br />
on Article 218 of the 1982 Law of the Sea Convention, Journal of Maritime<br />
Law and Commerce 28 (1997), S. 305; Wolfrum (o. Fn. 53), S. 154.<br />
57 Unter besonderen Voraussetzungen sollte allerdings ausnahmsweise ein Einsatz<br />
von Einhüllen-Tankern bis 2017 zulässig sein.<br />
58 ABl. EG 2002, Nr. L 64/1.<br />
59 In Einzelfällen kommt allerdings eine Zulassung bis längstens 2015 in Betracht.<br />
60 König (o. Fn. 50), S. 5.<br />
61 Rat der EU, Gutachten des Juristischen Dienstes vom 21.3.2003 zur Vereinbarkeit<br />
des Vorschlags für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung<br />
(EG) Nr. 417/2002 mit dem internationalen Seerecht, 7610/03, S. 3; Ehlers<br />
(o. Fn. 46, Schiffssicherheit…), S. 344.<br />
62 RGBl. II 1928, S. 22.<br />
63 Ehlers (o. Fn. 46, Schiffssicherheit…), S. 344.<br />
64 So aber Nöll, in: Deutsche Seeschifffahrt, <strong>Zeitschrift</strong> des Verbandes Deutscher Reeder,<br />
2003, S. 1, ähnlich Lagoni (o. Fn. 45).<br />
20 | ZUR 1/2005
Koch/Ziehm, Schiffssicherheit und Meeresumweltschutz | AUFSÄTZE<br />
gewöhnlichen, ihren Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden<br />
Bedeutung und im Lichte ihres Zieles und Zweckes zu<br />
interpretieren. Juristische Unsicherheiten im Zusammenhang mit<br />
dem MARPOL-Übereinkommen sollen ausweislich dessen Art. 9<br />
Abs. 2 jedoch durch die Regeln des allgemeinen Völkerrechts und<br />
insbesondere unter dem Regime des SRÜ gelöst werden. Art. 9 Abs.<br />
2 MARPOL-Übereinkommen räumt bei Konflikten zwischen dem<br />
SRÜ und dem MARPOL-Übereinkommen dem ersteren Vorrang<br />
ein. 65 <strong>Das</strong> SRÜ sieht in Art. 211 Abs. 3, Art. 25 Abs. 2 aber – wie dargestellt<br />
– gerade das Recht der Hafenstaaten zur Bestimmung von<br />
Zugangsbedingungen für ihre Häfen vor. Statt einer Einschränkung<br />
der durch das SRÜ unangetasteten Souveränität der Hafenstaaten<br />
verweist das MARPOL-Übereinkommen in Art. 9 Abs. 2 auf<br />
das SRÜ.<br />
Überdies bezweck(t)en die – zeitweise schärferen – EU-Regelungen<br />
einen effektiveren Schutz der Meeresumwelt, sie soll(t)en mithin<br />
zum übergeordneten Ziel des MARPOL-Übereinkommens beitragen.<br />
Für die Zielkonformität spricht im Übrigen die Anpassung<br />
des internationalen Rechts an die Gemeinschaftsbestimmungen<br />
im Dezember 2003. Außerdem war im Rahmen der 2001 erfolgten<br />
Revision der Regel 13G der Anlage 1 das vollständige Verbot von<br />
Einhüllen-Tankschiffen <strong>als</strong> Ziel ausdrücklich benannt worden. 66<br />
Auch aus einer Gesamtschau des MARPOL-Übereinkommens<br />
und seinen Änderungen lässt sich <strong>als</strong>o nicht ableiten, dass es den<br />
Hafenstaaten verwehrt ist, strengere Vorschriften zu erlassen. Nationale<br />
bzw. gemeinschaftliche CDEM (construction, design,<br />
equipment and manning of vessels)-Standards müssen nicht mit<br />
allgemein akzeptierten internationalen Standards, die im Rahmen<br />
der IMO zustande gekommen sind, übereinstimmen, sie können<br />
strenger sein. 67 Hat aber ein Hafenstaat die Möglichkeit, solche<br />
strikteren Regelungen zu erlassen, so finden sie selbstverständlich<br />
Anwendung nicht nur auf die unter Flagge des jeweiligen Hafenstaates<br />
fahrenden Schiffe, sondern in gleicher Weise auf Schiffe unter<br />
der Flagge eines Drittstaates. 68<br />
Hinzu kommt schließlich das Folgende: Weder der Erlass des Oil<br />
Pollution Act 1990 in den USA noch das Opting-Out der USA in<br />
Bezug auf die 1992 geänderte MARPOL-Regel unter Hinweis auf die<br />
nationalen Regelungen des Oil Pollution Act führten zu grundlegenden<br />
Protesten der Staatengemeinschaft. 69 Vielmehr akzeptiert<br />
die Staatengemeinschaft seit längerer Zeit die einschlägigen regionalen<br />
US-amerikanischen Regelungen. Ebenso wenig hatten die<br />
immerhin 21 Vertragsstaaten auf der gemeinsamen OSPAR-Helcom-Konferenz<br />
2003 in ihrer Abschlusserklärung auch nur Zweifel<br />
an der Vereinbarkeit der EU-Regelungen mit internationalem<br />
Recht zum Ausdruck gebracht. Neben den dargestellten theoretischen<br />
Begründungen spricht mithin auch die Praxis der Staatengemeinschaft<br />
für die völkerrechtliche Zulässigkeit regional strengerer<br />
Sicherheitsstandards. <strong>Das</strong> Völkerrecht ist nicht statisch, sondern<br />
unterliegt notwendig einer dynamischen Entwicklung. Ist<br />
festzustellen, dass international lediglich suboptimale Regelungen<br />
existieren, ist diejenige Auslegung des Völkerrechts zu wählen, die<br />
zu seiner Optimierung führt. Ohne die regionalen Vorreiterrollen<br />
wäre das internationale Schiffssicherheitsrecht mit großer Wahrscheinlichkeit<br />
längst nicht auf dem Standard, auf dem es sich jetzt<br />
befindet.<br />
E. Ausblick<br />
Die EU sollte fortsetzen, was sie insbesondere mit den sog. »Erika«-<br />
Maßnahmepaketen begonnen hat. Sie sollte mit den ihr zur Verfügung<br />
stehenden Instrumenten auf eine konsequente Durchsetzung<br />
international vereinbarter Schiffssicherheitsstandards in den neuen<br />
wie in den alten Mitgliedstaaten drängen. Die beispielsweise unmittelbar<br />
nach Ablauf der Umsetzungsfrist der revidierten Richtlinie<br />
über Hafenstaatkontrollen gegen mehrere Mitgliedstaaten eingeleiteten<br />
Vertragsverletzungsverfahren sind uneingeschränkt zu<br />
unterstützen. Die EU sollte aber auch nicht zögern, gegebenenfalls<br />
durch regionale Normsetzung eine Anstoßfunktion gegenüber dem<br />
internationalen Recht wahrzunehmen und zu dessen Weiterentwicklung<br />
beizutragen. Regional strengere Hafenanlaufbedingungen<br />
stehen mit dem maßgeblichen Völkerrecht in Einklang.<br />
Auch wenn derzeit der Beitritt eines Staatenverbundes zur IMO<br />
nicht vorgesehen ist, sollte dies die EU zudem nicht davon abhalten,<br />
langfristig gleichwohl weiter auf die von ihr angestrebte Vollmitgliedschaft<br />
in der IMO hinzuwirken. 70 Die Initiativrolle der EU<br />
und das konzertierte Zusammenwirken der Mitgliedstaaten innerhalb<br />
der IMO beim phasing-out von Einhüllen-Tankschiffen haben<br />
eindrücklich das hier vorhandene Potenzial aufgezeigt. In diesem<br />
Zusammenhang dürfte es allerdings auch von ganz wesentlicher<br />
Bedeutung sein, dass die Mitgliedstaaten ihrerseits ihre Vorbehalte<br />
gegen eine Vergemeinschaftung der Meere 71 zugunsten der EU<br />
und zugunsten meeresumweltschutzpolitischer Notwendigkeiten<br />
auf den Prüfstand stellen. Ergebnisse und Entwicklungen im Bereich<br />
der Schiffssicherheitspolitik in der jüngeren Vergangenheit<br />
sprechen – trotz unterschiedlicher Verwaltungstraditionen und<br />
–strukturen in den Mitgliedstaaten etwa in Bezug auf die Hafenstaatkontrolle<br />
– für eine stärkere Stellung der EU bei der Durchsetzung<br />
maritimer Schiffssicherheitsstandards und bei der Normsetzung<br />
im Falle der Lückenhaftigkeit des Seevölkerrechts. Sowohl in<br />
ihrer Funktion <strong>als</strong> Implementierungshelfer <strong>als</strong> auch in ihrer Rolle<br />
<strong>als</strong> Initiator sollte sich die EU jedoch unbedingt um ein koordiniertes<br />
und konstruktives Miteinander von gemeinschaftlicher<br />
Meeresumweltschutzpolitik und gemeinschaftlicher Schiffssicherheitspolitik<br />
bemühen. Die gegenwärtigen Arbeiten an einer europäischen<br />
Meeresschutzstrategie bieten dazu die Chance.<br />
Prof. Dr. Hans-Joachim Koch<br />
Universität Hamburg, Geschäftsführender Direktor der Forschungsstelle<br />
<strong>Umweltrecht</strong> (FORUM), Vorsitzender des Rates von Sachverständigen<br />
für Umweltfragen.<br />
Aktuelle Veröffentlichungen: <strong>Umweltrecht</strong> (Hrsg.), 2002; Allgemeines<br />
Verwaltungsrecht (zusammen mit R. Rubel und F. S. Heselhaus), 2003;<br />
Baurecht, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht (zusammen mit R.<br />
Hendler), 2004<br />
Dr. Cornelia Ziehm<br />
Rechtsanwältin und wissenschaftliche Mitarbeiterin des Vorsitzenden<br />
des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen Prof. Dr. Hans-Joachim<br />
Koch, Universität Hamburg, Edmund-Siemers-Allee 1, 20146<br />
Hamburg.<br />
Aktuelle Veröffentlichung: Zugang zu Wasser in ausreichender Quantität<br />
und Qualität, in: Lozán, J. et al. (Hrsg.): Warnsignal Klima: Genug<br />
Wasser für alle, 2004.<br />
65 Molenaar, Coastal State Jurisdiction over Vessel-Source Pollution, 1998, S. 111.<br />
66 Vitzthum (o. Fn. 8), S. 69.<br />
67 Rat der EU, Gutachten des Juristischen Dienstes vom 21.3.2003 zur Vereinbarkeit<br />
des Vorschlags für eine Verordnung zur Änderung der Verordung (EG)<br />
Nr. 417/2002 mit dem internationalen Seerecht, 7610/03, S. 4; Molenaar (o.<br />
Fn. 65), S. 112; König (o. Fn. 50), S. 5.<br />
68 Molenaar (o. Fn. 65), S. 112; Hakapää, Marine Pollution in International Law –<br />
Material Obligations and Jurisdiction, 1981, S. 113; s. auch bereits o. Ziff. D.I.<br />
69 Ehlers (o. Fn. 46, Schiffssicherheit…), S. 344; Molenaar (o. Fn. 65), S. 113; Valenzuela,<br />
The Role of the United Nations and other Competent International<br />
Organizations in the Future Development of Law for the Protection of the Marine<br />
Environment: Selected Topics, in LSI Conference 1995, S. 673, 684.<br />
70 SRU (o. Fn. 5), Tz. 486.<br />
71 S. Ziffer B.I.<br />
ZUR 1/2005 | 21
RECHTSPRECHUNG | VG Karlsruhe, Emissionshandel<br />
RECHTSPRECHUNG<br />
Keine einstweilige Anordnung gegen gesetzliche<br />
Pflicht zur Teilnahme am Emissionshandel<br />
VG Karlsruhe, Beschluss vom 18. Oktober 2004 – 10 K 2205/04<br />
– nicht rechtskräftig –<br />
1. Klagen, die gegen die Änderung/Ergänzung von immissionsschutzrechtlichen<br />
Genehmigungen gerichtet sind, sind<br />
Streitigkeiten, die sich auf unbewegliches Vermögen oder<br />
ein ortsgebundenes Recht oder Rechtsverhältnis beziehen<br />
und für die gemäß § 52 Nr. 1 VwGO das Verwaltungsgericht<br />
örtlich zuständig ist. Dies gilt auch für Klagen, die gegen eine<br />
sich unmittelbar aus § 4 Abs. 7 Satz 1 TEHG ergebende<br />
Änderung/Ergänzung der Genehmigung richten.<br />
2. Die durch § 4 Abs. 7 Satz 1 TEHG begründete Pflicht, im<br />
Rahmen der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung<br />
zukünftig auch die Voraussetzungen zur Teilnahme am<br />
Emissionshandel nachzuweisen, stellt keine im Wege der<br />
Anfechtungsklage angreifbare Teilaufhebung der immissionsschutzrechtlichen<br />
Genehmigung durch einen fiktiven<br />
Verwaltungsakt dar.<br />
3. Die durch § 6 Abs. 1 TEHG begründete Pflicht, dass jeder zur<br />
Teilnahme am Emissionshandel Verpflichtete (»Verantwortliche«,<br />
s. § 3 Abs. 5 TEHG) bis zum 30. April eines Jahres eine<br />
Anzahl von Berechtigungen an die zuständige Behörde<br />
abzugeben hat, die den durch seine Tätigkeit im vorangegangenen<br />
Kalenderjahr verursachten Emissionen entspricht,<br />
begründet kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis<br />
zwischen dem Verantwortlichen und dem jeweiligen<br />
Bundesland, sondern allein zwischen dem Verantwortlichen<br />
und dem Bund.<br />
4. Die von den Verantwortlichen gemäß §§ 4 und 5 TEHG zu<br />
erfüllenden Pflichten sind nicht von derartigem Gewicht,<br />
dass im Hinblick auf rechtliche Zweifel an diesen Regelungen<br />
eine einstweilige Anordnung erforderlich erscheint.<br />
5. Insbesondere ist eine Verfassungswidrigkeit der durch das<br />
TEHG begründeten Pflichten jedenfalls nicht offensichtlich.<br />
(Leitsätze der Redaktion)<br />
Gründe: I. Die Antragstellerin betreibt Anlagen zur Herstellung<br />
von Zement und zum Brennen von Kalksteinen an mehreren Standorten<br />
in Deutschland, u.a. ein Zementwerk in Leimen. Die Anlage<br />
in Leimen wurde 1960 auf der Grundlage der Gewerbeordnung<br />
genehmigt und mit Inkrafttreten des Bundesimmissionsschutzgesetzes<br />
übergeleitet; in der Folgezeit ergingen zahlreiche immissionsschutzrechtliche<br />
Änderungsgenehmigungen.<br />
Nach dem Inkrafttreten des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes<br />
(TEHG) vom 8.7.2004 (BGBl. I S. 1578) hat die Antragstellerin<br />
am 23.7.2004 Klage gegen das Land Baden-Württemberg erhoben<br />
(10 K 1993/04). Sie beantragt, die in § 4 Abs. 7 Satz 1 TEHG<br />
angeordnete Änderung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen<br />
der Anlage zur Herstellung von Zementklinker in Leimen<br />
(Gemarkung Leimen, Flst.-Nr. 1170) aufzuheben. Hilfsweise<br />
beantragt sie festzustellen, dass die in §§ 4, 5 und 6 Abs. 1 TEHG<br />
geregelten Pflichten nicht Bestandteil der immissionsschutzrechtlichen<br />
Genehmigungen der Anlagen zur Herstellung von Zementklinker<br />
in Leimen sind. (…)<br />
Am 16.8.2004 hat die Antragstellerin beim VG Karlsruhe einen<br />
Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt; Antragsgegner<br />
ist das Land Baden-Württemberg. Sie beantragt, festzustellen,<br />
dass ihre Klage 10 K 1993/04 aufschiebende Wirkung<br />
hat, hilfsweise im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123<br />
Abs. 1 Satz 1 VwGO festzustellen, dass sie vorläufig die in §§ 4, 5<br />
und 6 Abs. 1 TEHG geregelten Pflichten bis zum rechtskräftigen Abschluss<br />
des Hauptsacheverfahrens 10 K 1993/04 nicht erfüllen<br />
muss.<br />
Zur Begründung trägt die Antragstellerin im Wesentlichen vor,<br />
durch § 4 Abs. 7 Satz 1 TEHG werde eine Änderung der ihr von der<br />
zuständigen Landesbehörde, dem Regierungspräsidium Karlsruhe,<br />
erteilten immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen angeordnet,<br />
die sich im Ergebnis <strong>als</strong> Teilaufhebung der Genehmigung darstelle.<br />
Hierbei handele es sich um einen verkappten Verwaltungsakt,<br />
der mit aufschiebender Wirkung anfechtbar sei. Nach § 80 Abs.<br />
5 VwGO in entsprechender Anwendung sei ein Antrag auf Feststellung<br />
der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs statthaft,<br />
wenn die Behörde – wie hier – diese bestreite. <strong>Das</strong> Land Baden-<br />
Württemberg sei passivlegitimiert, weil die bestrittenen Pflichten<br />
zum Bestandteil einer von der zuständigen Landesbehörde erteilten<br />
Genehmigung würden; passivlegitimiert sei die Gebietskörperschaft,<br />
deren Behörde die Genehmigung erteilt habe und der somit<br />
die Wahrnehmungskompetenz für die darin enthaltenen<br />
Pflichten zugewiesen sei. (…)<br />
Im Hinblick auf die beantragte Sicherungsanordnung bestehe<br />
ein Anordnungsanspruch, weil schwerwiegende Zweifel an der<br />
Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes bestanden. Die Zuständigkeitsregelungen<br />
des TEHG verstießen gegen Art. 30, 83, 87 Abs. 3 und<br />
Art. 20 Abs. 3 GG. Die Eingriffsregelung in § 4 Abs. 7 Satz 1 TEHG<br />
und die hierdurch ausgelösten Pflichten verletzten Art. 14 Abs. 1<br />
und Art. 12 Abs. 1 GG. (…)<br />
II. Der Antrag der Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen<br />
Rechtsschutzes, für den das Verwaltungsgericht Karlsruhe örtlich<br />
zuständig ist (dazu 1.), hat keinen Erfolg. Soweit sie im Hauptantrag<br />
begehrt festzustellen, dass ihre Klage aufschiebende Wirkung<br />
hat, ist der Antrag unbegründet, weil die Anfechtungsklage nicht<br />
statthaft ist (dazu 2.). Auch die hilfsweise beantragte Sicherungsanordnung<br />
kann nicht ergehen (dazu 3.).<br />
1. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtschutzes scheitert<br />
allerdings nicht an der Frage der örtlichen Zuständigkeit des<br />
Verwaltungsgerichts. Nach § 52 Nr. 1 VwGO ist in Streitigkeiten,<br />
die sich auf unbewegliches Vermögen oder ein ortsgebundenes<br />
Recht oder Rechtsverhältnis beziehen, nur das Verwaltungsgericht<br />
örtlich zuständig, in dessen Bezirk das Vermögen oder der Ort liegt.<br />
Erfasst werden damit solche Rechte, die zu einem bestimmten Territorium<br />
in besonderer Beziehung stehen oder eine weitgehende<br />
Verbindung zwischen dem strittigen Recht und dem Territorium<br />
aufweisen, auf dem es ausgeübt wird (BVerwG, Beschl. v.<br />
10.12.1996 - 7 AV 11 -18/96, NJW 1997, 1022 m. w. N.). Die Antragstellerin<br />
wendet sich in der Hauptsache gegen eine Änderung/Ergänzung<br />
der ihr erteilten immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen<br />
durch § 4 Abs. 7 Satz 1 TEHG. Danach sind bei Anlagen<br />
im Sinne von Anhang 1, die vor dem 15.7.2004 nach den<br />
Vorschriften des Bundes-Immissionsschutzgesetzes genehmigt<br />
worden sind, die Anforderungen der §§ 5 und 6 Abs. 1 TEHG <strong>als</strong><br />
Bestandteil dieser Genehmigung anzusehen. Die von der Antragstellerin<br />
bestrittenen Pflichten knüpfen somit an die immissionsschutzrechtlichen<br />
Genehmigungen an, für die der dingliche Gerichtsstand<br />
gegeben ist (Bier, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner,<br />
VwG0, § 52 Rn. 5). Dies folgt auch daraus, dass das TEHG der<br />
Umsetzung der Richtlinie 2003/87/EG über ein System für den<br />
Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft<br />
dient. Diese Richtlinie hat einen sektoralen anlagenbezogenen Ansatz<br />
(Knopp/Hoffmann, EU – Emissionsrechtehandel und deutsches<br />
22 | ZUR 1/2005
VG Karlsruhe, Emissionshandel | RECHTSPRECHUNG<br />
TEHG, EWS 2004, 201 (203); vgl. etwa Art. 6 Abs. 1, Art. 7 Satz 1,<br />
Art. 11 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie), dem das TEHG Rechnung<br />
trägt. Die durch das TEHG begründeten Rechte und Pflichten<br />
knüpfen jeweils an eine »Tätigkeit« an. Unter diesem Begriff ist in<br />
erster Linie der Betrieb bestimmter (ortsfester) Anlagen zu verstehen,<br />
wie sich insbesondere aus der Formulierung des Katalogs der<br />
»Tätigkeiten« im Anhang 1 des Gesetzes ergibt (VG Augsburg, Beschl.<br />
v. 1.9.2004 – Au 4 E 04.1237 –). Zwar wollte der Gesetzgeber<br />
mit der Wahl des Begriffes »Tätigkeit« das TEHG für das Hinzukommen<br />
weiterer Emittenten offen halten; er geht aber ebenfalls<br />
davon aus, dass der Tätigkeitsbegriff nach dem derzeitigen Anwendungsbereich<br />
ausschließlich den Betrieb einer immissionsschutzrechtlich<br />
genehmigungsbedürftigen Anlage erfasst, soweit<br />
sie im Anhang 1 aufgeführt ist (vgl. BT-Drs. 15/2328, Begründung<br />
des Gesetzentwurfes zu § 3). Insbesondere die hier umstrittenen Ermittlungs-,<br />
Berichts- und Prüfpflichten des § 5 TEHG weisen einen<br />
Ortsbezug auf, weil sie sich auf die Emissionen der jeweiligen ortsfesten<br />
Anlage beziehen und beispielsweise das Betreten des Anlagengrundstücks<br />
voraussetzen (s. auch BR-Drs. 198/04). Auch die<br />
Abgabe von Berechtigungen (§ 6 Abs. 1 TEHG) und ihre Zuteilung<br />
(§ 9 Abs. 1 u. 2 TEHG) richten sich nach dem Umfang der durch<br />
»seine« (d.h. des Verantwortlichen) bzw. »eine« Tätigkeit verursachten<br />
Emissionen und ist somit anlagen- und ortsbezogen (ebenso<br />
VG Augsburg, a.a.O.).<br />
Mithin ist der ausschließliche Gerichtsstand des § 52 Nr. 1 Vw-<br />
GO gegeben. Die dem Gericht aus der Presse bekannt gewordene<br />
Auffassung des Umweltbundesamtes (FAZ v. 15.9.2004), die Zuständigkeit<br />
richte sich nach dem Sitz der zuständigen Bundesbehörde<br />
(s. § 52 Nr. 2 VwGO), hält die Kammer jedenfalls im vorliegenden<br />
Verfahren schon deshalb für unzutreffend, weil nicht<br />
der Verwaltungsakt einer Bundesbehörde, sondern die Anforderungen<br />
im Streit stehen, für deren Vollzug gemäß § 20 Abs. 1 Satz<br />
1 TEHG i.V.m. § 4 Abs. 7 TEHG die Landesbehörden zuständig sind<br />
oder nach Rechtsansicht der Antragstellerin sein sollen und der Antrag<br />
ausdrücklich gegen das Land Baden-Württemberg gerichtet ist.<br />
2. Der Antrag festzustellen, dass die Klage der Antragstellerin aufschiebende<br />
Wirkung hat, ist nicht statthaft.<br />
Allerdings ist anerkannt, dass das Gericht nach § 80 Abs. 5 Satz<br />
1 VwGO in entsprechender Anwendung feststellen kann, dass der<br />
eingelegte Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat, wenn hierüber<br />
Streit besteht und Vollzugsmaßnahmen drohen. Dies gilt auch,<br />
wenn unklar ist, ob die angefochtene Maßnahme ein Verwaltungsakt<br />
ist (vgl. etwa VGH Mannheim, Beschl. v. 20.8.1987 - 8 S<br />
1001/87, VBIBW 1988, 146 m.w.N.; Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl.,<br />
§ 80 Rn. 181; Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Vw-<br />
GO, § 80 Rn. 239).<br />
Weitere Voraussetzung der Statthaftigkeit des Antrages ist jedoch,<br />
dass objektiv ein Verwaltungsakt vorliegt, der Gegenstand einer<br />
Anfechtungsklage sein kann. Zwar tritt die aufschiebende Wirkung<br />
nach § 80 Abs. 1 VwGO grundsätzlich ohne Rücksicht auf die<br />
Zulässigkeit und die Begründetheit eines Rechtsbehelfs ein; in Anbetracht<br />
des funktionellen Zusammenhangs zwischen dem vorläufigen<br />
Rechtsschutz und dem Rechtsbehelf in der Hauptsache ist<br />
der Eintritt der aufschiebenden Wirkung jedoch ausgeschlossen,<br />
wenn eine Maßnahme nicht <strong>als</strong> Verwaltungsakt zu qualifizieren<br />
und daher Widerspruch und Anfechtungsklage von vorneherein<br />
nicht statthaft sind. Denn die Regelung des § 80 Abs. 5 VwGO bezieht<br />
sich ausschließlich auf die Vollziehung von Verwaltungsakten;<br />
liegt ein Rechtsbehelf im Sinne des § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO<br />
mangels eines anfechtbaren Verwaltungsaktes nicht vor, kann er<br />
auch keine aufschiebende Wirkung entfalten (vgl. VGH Mannheim,<br />
a.a.O., S. 146; OVG Berlin, Beschl. v. 5.8.1996, DVBl. 1996,<br />
945 (950); VGH München, Beschl. v. 5.8.1996 - 12 CS 95.3195,<br />
BayVBl. 1997, 22 (23); Schoch, a.a.O. § 80 Rn. 67; Kopp/Schenke,<br />
a.a.O. § 80 Rn. 50; Puttler, in: Sodan/Ziekow, <strong>Nomos</strong>-Kommentar<br />
zur VwGO, § 80 Rn. 32).<br />
Ein mit der Anfechtungsklage, angreifbarer Verwaltungsakt liegt<br />
nicht vor. Die Antragstellerin wendet sich gegen die durch § 4 Abs.<br />
7 Satz 1 TEHG begründeten Pflichten. Die Klage der Antragstellerin<br />
richtet sich im Hauptantrag gegen § 4 Abs. 7 Satz 1 TEHG; sie<br />
begehrt »die Aufhebung der durch § 4 Abs. 7 Satz 1 TEHG angeordneten<br />
Änderung ihrer immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen«.<br />
Damit wendet sie sich gegen ein formelles Gesetz. Denn<br />
wann ein Gesetz und wann ein Verwaltungsakt vorliegt, bestimmt<br />
sich nicht nach dem jeweiligen Inhalt, sondern allein nach der<br />
Form, <strong>als</strong>o dem Verfahren des Zustandekommens und der Art der<br />
Verkündung. Wenn die für die Rechtsetzung maßgebliche Form<br />
eingehalten wird, liegt ein Gesetz und kein Verwaltungsakt vor (P.<br />
Stelkens/U. Stelkens, VwVfG, 6. Aufl., § 35 Rn. 16). Auch für den zu<br />
gewährenden Rechtsschutz ist daher nicht der materielle Inhalt,<br />
sondern allein die äußere Erscheinungsform maßgeblich (BVerwG,<br />
Urt. v. 1.3.1967, BVerwGE 26, 251 (252); VGH München, Beschl.<br />
v. 30.11.1993, NVWZ-RR 1995, 114 (115)). Umstritten ist diese<br />
Rechtsauffassung – soweit ersichtlich – nur, wenn es um die Abgrenzung<br />
von Verwaltungsvorschrift und Rechtsverordnung, <strong>als</strong>o<br />
um abstrakt-generelle Regelungen der Verwaltung geht (vgl. VGH<br />
Mannheim, NK-Urt. v. 28.4.1997 – 1 S 2007/96, NuR 1999, 329<br />
(330)), nicht aber, wenn ein Parlamentsgesetz vorliegt. Es ist deshalb<br />
für die richtige Rechtsschutzform unerheblich, ob die in § 4<br />
Abs. 7 Satz 1 TEHG getroffene Regelung inhaltlich eine Einzelfallregelung<br />
in Form einer Allgemeinverfügung darstellt und ob sie<br />
darüber hinaus nur <strong>als</strong> Verwaltungsakt hätte ergehen dürfen. Denn<br />
selbst bei Formenmissbrauch ist ein förmliches Gesetz nicht <strong>als</strong><br />
Verwaltungsakt zu qualifizieren, sondern allenfalls nichtig (Stelkens,<br />
a.a.O. § 35 Rn. 16; VGH Kassel Urt. v. 16.6.1989 - 3 N 108/87,<br />
NuR 1990, 380). Widerspruch und Anfechtungsklage sind daher<br />
vorliegend ausgeschlossen.<br />
Der Auffassung der Antragstellerin, es handele sich bei § 4 Abs. 7<br />
Satz 1 TEHG um einen fingierten oder »verkappten« Verwaltungsakt,<br />
weil die dort genannten Pflichten zum »Bestandteil« ihrer immissionsschutzrechtlichen<br />
Genehmigungen erklärt und diese somit<br />
teilweise abgeändert würden, vermag das Gericht nicht zu folgen.<br />
Es bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Fiktion eines<br />
Verwaltungsaktes. Selbst wenn man mit der Antragstellerin davon<br />
ausgeht, dass die immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen<br />
der Antragstellerin abgeändert werden (a.A. aber Kobes, <strong>Das</strong> Zuteilungsgesetz<br />
2007, NVWZ 2004, 1153 (1154)) und nur die<br />
zuständige Landesbehörde, hierzu befugt gewesen wäre, so folgt<br />
hieraus noch nicht, dass die gleichwohl durch Bundesgesetz erfolgte<br />
Regelung <strong>als</strong> Verwaltungsakt der Landesbehörde anzusehen<br />
ist. Hierfür gibt schon der Wortlaut des § 4 Abs. 7 Satz 1 TEHG nichts<br />
her. Dagegen spricht aber auch die Systematik des Gesetzes:<br />
Während nach § 4 Abs. 7 Satz 1 TEHG die dort genannten Pflichten<br />
(kraft Gesetzes) Bestandteil der immissionsschutzrechtlichen<br />
Genehmigung werden, werden die zuständigen (Landes-) Behörden<br />
in Satz 2 ausdrücklich ermächtigt, die für die Durchführung des Gesetzes<br />
erforderlichen nachträglichen Anordnungen zu treffen, <strong>als</strong>o<br />
Verwaltungsakte zu erlassen. Zudem fehlen der Bestimmung wesentliche<br />
Merkmale eines fiktiven oder fingierten Verwaltungsaktes.<br />
Fiktive Verwaltungsakte sind Verwaltungsakte, die kraft besonderer<br />
Rechtsvorschriften bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen, z. B.<br />
bei Untätigkeiten der Behörde nach Antragstellung während einer<br />
bestimmten Frist, <strong>als</strong> ergangen gelten (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8.<br />
Aufl., § 35 Rn. 24 m. w. N.; P. Stelkens/U. Stelkens, a.a.O. § 35 Rn. 52<br />
f.). Auch der fiktive Verwaltungsakt ist <strong>als</strong>o eine Einzelfallregelung,<br />
die vom Eintritt bestimmter Voraussetzungen abhängt. Zwar liegt<br />
keine »Maßnahme« einer Behörde vor (P. Stelkens/U. Stelkens, a.a.O.<br />
§ 35 Rn.52); der Verwaltungsakt kann der Behörde aber zugerech-<br />
ZUR 1/2005 | 23
RECHTSPRECHUNG | VG Karlsruhe, Emissionshandel<br />
net werden, weil sie es grundsätzlich in der Hand hat, eine abweichende<br />
Regelung zu treffen oder eine andere <strong>als</strong> die fingierte Rechtsfolge<br />
zu setzen, etwa indem sie fristgerecht tätig wird. All diese Voraussetzungen<br />
sind vorliegend nicht gegeben.<br />
Etwas anderes folgt auch nicht aus § 4 Abs. 6 TEHG, wonach die<br />
immissionsschutzrechtliche Genehmigung die Emissionsgenehmigung<br />
nach § 4 Abs. 1 TEHG ist. Denn eine immissionsschutzrechtliche<br />
Genehmigung, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes<br />
erteilt worden ist, wird hierdurch nicht zu einer (neuen) Emissionsgenehmigung<br />
(ebenso VG Augsburg, a.a.O.). Weder dem Wortlaut<br />
noch der Begründung des Gesetzes lässt sich entnehmen, dass<br />
die immissionsschutzrechtliche Genehmigung <strong>als</strong> Emissionsgenehmigung<br />
fingiert wird mit der Folge, dass inhaltliche Einschränkungen<br />
oder nachteilige Nebenbestimmungen (erneut)<br />
anfechtbar wären. Vielmehr ersetzt die bisherige immissionsschutzrechtliche<br />
Genehmigung die Erteilung einer Emissionsgenehmigung<br />
und gilt – allerdings ergänzt um die im TEHG begründeten<br />
Pflichten – <strong>als</strong> solche fort.<br />
3. Auch der Antrag, im Wege einer einstweiligen Anordnung<br />
festzustellen, dass die Antragstellerin die in § 4, 5 und 6 Abs. 1<br />
TEHG geregelten Pflichten vorläufig nicht erfüllen muss, hat keinen<br />
Erfolg.<br />
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine<br />
einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen,<br />
wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Änderung des bestehenden<br />
Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers<br />
vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte.<br />
Statthaft ist auch der Antrag auf vorläufige Feststellung eines<br />
Rechtsverhältnisses, soweit es der Bewahrung des status quo dient<br />
(BVerfG, Beschl. v. 5.5.1987 - 2 BvR 104/87, NJW 1988, 249; Happ,<br />
in: Eyermann, VwGO, 10. Aufl., § 123 Rn. 21). Der Antrag ist begründet,<br />
wenn sowohl ein Anordnungsanspruch <strong>als</strong> auch ein Anordnungsgrund<br />
glaubhaft gemacht sind.<br />
a) Soweit sich der Feststellungsantrag auf die Pflichten aus 6 Abs.<br />
1 TEHG bezieht, besteht kein Anordnungsanspruch, weil der Antragsgegner<br />
insoweit nicht passiv legitimiert ist. Denn ein Anordnungsanspruch<br />
besteht nur dann, wenn der in der Hauptsache geltend<br />
gemachte Anspruch dem Antragsteller (im Sinne einer Aktivlegitimation)<br />
gegen den Antragsgegner (im Sinne einer<br />
Passivlegitimation) zusteht (Puttler, a.a.O. § 123 Rn. 78). Geht es<br />
um eine (vorläufige) Feststellung, so ist der Antrag nach § 123 Abs.<br />
1 VwGO deshalb gegen den Rechtsträger zu richten, mit dem der<br />
Streit über ein konkretes Rechtsverhältnis besteht (Happ, a.a.O. §<br />
123 Rn. 47). Zwischen der Antragstellerin und dem Land Baden-<br />
Württemberg besteht im Hinblick auf die Pflichten nach § 6 Abs.<br />
1 TEHG jedoch kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis. Ob insoweit<br />
ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht ist, kann deshalb<br />
dahinstehen.<br />
Nach § 6 Abs. 1 TEHG hat der Verantwortliche (zum Begriff § 3<br />
Abs. 5 TEHG) bis zum 30. April eines Jahres, erstm<strong>als</strong> im Jahre 2006,<br />
eine Anzahl von Berechtigungen an die zuständige Behörde abzugeben,<br />
die den durch seine Tätigkeit im vorangegangenen Kalenderjahr<br />
verursachten Emissionen entspricht. Nach § 20 Abs. 1 Satz<br />
1 TEHG sind »zuständige Behörde« für den Vollzug der §§ 4 und 5<br />
TEHG bei genehmigungsbedürftigen Anlagen im Sinne des § 4 Abs.<br />
1 Satz 3 BImSchG die dafür nach Landesrecht zuständigen Behörden.<br />
Im Übrigen ist das Umweltbundesamt zuständig (§ 20 Abs. 1<br />
Satz 2 TEHG). Die Berechtigungen sind somit nach § 20 Abs. 1 Satz<br />
2 i. V. m. § 6 Abs. 1 TEHG an das Umweltbundesamt abzugeben,<br />
das auch für die Zuteilung der Berechtigungen (§§ 9, 10 TEHG i. V.<br />
m. dem Zuteilungsgesetz) sowie für die Sanktionen zur Durchsetzung<br />
der Abgabepflicht (vgl. § 18 TEHG) zuständig ist. Ist danach<br />
für den Vollzug des § 6 Abs. 1 TEHG eine Bundesbehörde zuständig,<br />
wird durch die darin geregelten Pflichten keine Rechtsbeziehung<br />
zwischen dem Land Baden-Württemberg und der Antragstellerin<br />
begründet, über das Streit entstehen könnte und das der<br />
vorläufigen Klärung im Wege einer einstweiligen Anordnung bedarf.<br />
Etwas Anderes könnte allerdings gelten, wenn die Landesbehörden<br />
für die Feststellung zuständig wären, ob das TEHG auf eine immissionsschutzrechtlich<br />
genehmigte Anlage anwendbar ist, <strong>als</strong>o<br />
<strong>als</strong> Anlage im Sinne des Anhang 1 zum TEHG anzusehen ist. Denn<br />
hierdurch würde auch inzident festgestellt, dass die Anlage u. a. die<br />
Anforderungen des § 6 Abs. 1 TEHG zu erfüllen hat (vgl. § 4 Abs. 7<br />
Satz 1 TEHG). Eine solche Befugnis oder Verpflichtung der zuständigen<br />
Immissionsschutzbehörde zur verfahrensunabhängigen<br />
Feststellung der Anwendbarkeit des TEHG auf Altanlagen findet im<br />
Gesetz aber keine Stütze (VG Augsburg, a.a.O.; Kobes, a.a.O., S.<br />
1154; a. A. offenbar das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz<br />
und Reaktorsicherheit, s. Schreiben v. 6.8.2004, Anlage 4 der<br />
Antragsschrift). Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass sich die<br />
Mitteilungspflicht nach § 4 Abs. 11 TEHG auch auf Altanlagen bezieht<br />
(VG Augsburg, a.a.O.). Die Frage der Emissionshandelspflichtigkeit<br />
einer Altanlage stellt sich vielmehr erstm<strong>als</strong> im Zuteilungsverfahren<br />
beim Umweltbundesamt. Vorliegend kann diese<br />
Frage aber offen bleiben. Denn die Antragstellerin bestreitet<br />
nicht, dass das TEHG auf die streitgegenständliche Anlage anwendbar<br />
ist. Selbst wenn <strong>als</strong>o die Landesbehörden für eine, vom<br />
Zuteilungsverfahren unabhängige Vorabprüfung der Anwendbarkeit<br />
des TEHG zuständig wären, käme der Erlass einer einstweiligen<br />
Anordnung nicht in Betracht, weil hierüber kein Streit besteht<br />
(vgl. Happ, a.a.O., § 123 Rn. 42). Zudem hätte sich die Antragstellerin<br />
– wenn sie anderer Auffassung wäre – mit ihrem Begehren<br />
zunächst an die zuständige Immissionsschutzbehörde wenden<br />
müssen.<br />
Schließlich wird ein konkretes Rechtsverhältnis zum Land auch<br />
nicht dadurch begründet, dass § 6 Abs. 1 TEHG in § 4 Abs. 7 Satz<br />
1 TEHG erwähnt wird, für den Vollzug des § 4 TEHG aber nach §<br />
20 Abs. 1 Satz 1 TEHG die Immissionsschutzbehörden der Länder<br />
zuständig sind. Wie oben ausgeführt, handelt es sich bei dieser Regelung<br />
nicht um einen fiktiven/fingierten Verwaltungsakt, der<br />
dem Land zugerechnet werden könnte. § 4 Abs. 7 Satz 1 TEHG wird<br />
nicht durch die Landesbehörden vollzogen, sondern begründet für<br />
Altanlagen eine gesetzliche Pflicht zur Abgabe von Berechtigungen,<br />
für deren verfahrensmäßige Durchführung und Überwachung<br />
– wie ausgeführt – eine Bundesbehörde zuständig ist. <strong>Das</strong>s die<br />
Abänderung landesrechtlicher Genehmigungen durch Bundesgesetz<br />
nach Auffassung der Antragstellerin mit der Kompetenzordnung<br />
des Grundgesetzes unvereinbar ist, kann nicht dazu führen,<br />
dass das Land prozessual so zu behandeln ist, <strong>als</strong> ob es tatsächlich<br />
beteiligt wäre.<br />
Im Hinblick auf § 6 Abs. 1 TEHG steht mithin kein konkretes<br />
Rechtsverhältnis zwischen der Antragstellerin und dem Antragsgegner<br />
im Streit.<br />
b) Im Hinblick auf die in § 4 TEHG geregelten Pflichten besteht<br />
kein Anordnungsgrund. Nach Überzeugung der Kammer ist es für<br />
die Antragstellerin zumutbar, die dort genannten Anforderungen<br />
bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zu erfüllen,<br />
weil bis dahin nach derzeitigem Sach- und Streitstand keine Vereitelung<br />
oder wesentliche Erschwerung eines Rechts oder sonstige<br />
wesentliche, nicht wieder rückgängig zu machenden Nachteile<br />
drohen:<br />
§ 4 Abs. 1 bis Abs. 5 TEHG regelt die Erteilung der Emissionsgenehmigung.<br />
Gem. § 4 Abs. 6 Satz 1 TEHG benötigt die Antragstellerin<br />
keine (zusätzliche) Emissionsgenehmigung, weil die immissionsschutzrechtliche<br />
Genehmigung die Emissionsgenehmigung<br />
nach § 4 Abs. 1 TEHG ist. Die Antragstellerin wird <strong>als</strong>o durch die<br />
Regelungen des § 4 Abs. 1 bis 5 TEHG im Grundsatz nicht belastet.<br />
24 | ZUR 1/2005
VG Karlsruhe, Emissionshandel | RECHTSPRECHUNG<br />
Die Absätze 2 bis 5 finden allerdings insoweit Anwendung, <strong>als</strong> sie<br />
zusätzliche Anforderungen enthalten (§ 4 Abs. 6 Satz 2 TEHG). Zusätzliche<br />
Anforderungen enthält – soweit ersichtlich – nur § 4 Abs.<br />
2 TEHG, weil die Emissionsgenehmigung voraussetzt, dass der Verantwortliche<br />
in der Lage ist, die durch seine Tätigkeit verursachten<br />
Emissionen zu ermitteln und darüber zu berichten. Diese zusätzlichen<br />
Anforderungen entsprechen aber den Anforderungen des § 5<br />
TEHG, der nach § 4 Abs. 7 Satz 1 TEHG ohnehin <strong>als</strong> Bestandteil der<br />
Genehmigung anzusehen ist (dazu sogleich).<br />
Im Hinblick auf 4 Abs. 7 Satz 1 TEHG kommt – wie ausgeführt –<br />
der Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen das Land mangels<br />
Passivlegitimation nicht in Betracht.<br />
§ 4 Abs. 7 Satz 2 TEHG ermächtigt die Landesbehörden, die immissionsschutzrechtlichen<br />
Genehmigungen durch nachträgliche<br />
Anordnungen nach § 17 BImSchG an die Anforderungen des TEHG<br />
anzupassen. Derartige Anordnungen sind jedoch derzeit nicht beabsichtigt<br />
(Schreiben des Antragsgegners vom 6.10.2004), so dass<br />
derzeit ein Bedürfnis für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes<br />
nicht besteht. Im Übrigen wäre eine solche Anordnung <strong>als</strong> Verwaltungsakt<br />
zu qualifizieren; vorläufiger Rechtschutz könnte daher nur<br />
nach § 80 Abs. 5 VwGO gewährt werden (vgl. § 123 Abs. 5 VwGO).<br />
Auch im Hinblick auf die in § 4 TEHG begründeten Anzeigepflichten<br />
ist kein einstweiliger Rechtsschutz geboten und zwar unabhängig<br />
von der Frage, ob eine einfache Anzeige genügt, oder ob<br />
ein sog. Monitoring-Konzept beigefügt werden muss, aus dem sich<br />
die Einzelheiten der Treibhausgas-Ermittlung ergeben (s. dazu Kobes,<br />
a.a.O., S. 1154). Nach § 4 Abs. 7 Satz 3 TEHG haben die Betreiber<br />
Anlagen nach Satz 1 der zuständigen Behörde innerhalb<br />
von 3 Monaten nach Inkrafttreten dieses Gesetzes, <strong>als</strong>o bis zum<br />
15.10.2004 anzuzeigen. Nach § 4 Abs. 9 und Abs. 10 TEHG ist der<br />
Verantwortliche verpflichtet, der Behörde geplante Änderungen<br />
der Tätigkeit, soweit diese Auswirkungen auf Emissionen haben<br />
können, sowie Änderungen seiner Identität oder Rechtsform innerhalb<br />
einer bestimmten Frist anzuzeigen. Es ist nicht ersichtlich<br />
und von der Antragstellerin auch nicht geltend gemacht, dass es<br />
für sie unzumutbar ist, den Anzeigepflichten vor Abschluss des<br />
Hauptsacheverfahrens nachzukommen. Die Erfüllung der Anzeigepflichten<br />
belastet die Antragstellerin nur mittelbar insoweit, <strong>als</strong><br />
sie die Überwachung und Durchsetzung der im TEHG begründeten<br />
sonstigen Pflichten ermöglicht. Die Antragstellerin wendet sich<br />
mithin nicht gegen die Anzeigepflichten <strong>als</strong> solche, sondern gegen<br />
die eigentliche Emissionshandelspflichtigkeit selbst.<br />
Entsprechendes gilt für die Mitteilungspflicht nach § 4 Abs. 11<br />
TEHG. Danach ist die zuständige Landesbehörde verpflichtet, dem<br />
Umweltbundesamt die Erteilung von Emissionsgenehmigungen<br />
und emissionsrelevante Änderungen mitzuteilen. Ungeachtet dessen,<br />
dass die Mitteilungspflicht nicht für Altanlagen gelten dürfte<br />
(vgl. VG Augsburg, a.a.O), handelt es sich hierbei um eine verwaltungsinterne<br />
Regelung ohne unmittelbare Außenwirkung gegenüber<br />
der Antragstellerin.<br />
Schließlich haben nach § 4 Abs. 8 TEHG Maßnahmen nach § 17<br />
und 18 TEHG Vorrang vor Maßnahmen nach § 17 BImSchG. Bei<br />
Verstößen gegen die Pflichten nach § 5 TEHG finden die §§ 20 und<br />
21 BImSchG keine Anwendung. Erfüllt der Verantwortliche die in<br />
§ 6 Abs. 1 TEHG genannten Pflichten nicht, finden ausschließlich<br />
die Regelungen des TEHG Anwendung. Auch insoweit droht kein<br />
Gesetzesvollzug durch den Antragsgegner, der für die Antragstellerin<br />
unzumutbar wäre. Im Gegenteil begrenzt und reduziert die<br />
Regelung die Handlungsmöglichkeiten der Immissionsschutzbehörden<br />
des Landes zu Gunsten der in §§ 17 ff. TEHG geregelten<br />
Sanktionen. Diese werden aber – wie ausgeführt – nach § 20 Abs.<br />
1 Satz 2 TEHG durch das Umweltbundesamt verhängt. Im Hinblick<br />
auf drohende Sanktionen, die allerdings derzeit nicht in Rede stehen,<br />
wäre der Antragsgegner mithin nicht passivlegitimiert.<br />
Auch die Erfüllung der in § 5 TEHG geregelten Pflichten kann der<br />
Antragstellerin vor der rechtskräftigen Entscheidung der Hauptsache<br />
zugemutet werden. Nach § 5 Abs. 1 TEHG hat der Verantwortliche<br />
ab dem 1.1.2005 die durch seine Tätigkeit verursachten<br />
Emissionen zu ermitteln und der zuständigen Behörde bis zum 1.<br />
März des Folgejahres zu berichten. Nach § 5 Abs. 3 TEHG ist der<br />
Emissionsbericht durch eine sachverständige Stelle zu prüfen.<br />
Emissionsbericht und Prüfbericht werden von der zuständigen<br />
Landesbehörde stichprobenartig überprüft und dem Umweltbundesamt<br />
übermittelt (§ 5 Abs. 4 i. V. m. § 20 Abs. 1 Satz 1 u. Satz 2<br />
TEHG). Ungeachtet dessen, dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung<br />
schon deshalb nicht erforderlich erscheint, weil die Berichtspflicht<br />
erst zum 1.3.2006 erfüllt werden muss, entstehen hierdurch<br />
keine irreversiblen Fakten zum Nachteil der Antragstellerin.<br />
Die Antragstellerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass Ermittlung<br />
und Überprüfung der Emissionen der streitgegenständlichen Anlage<br />
in Leimen Kosten verursachen, die in wirtschaftlicher Hinsicht<br />
unzumutbar sind, geschweige denn zu nicht wieder rückgängig zu<br />
machenden Dispositionen zwingen. Ihre besondere Betroffenheit<br />
sieht die Antragstellerin vielmehr darin, dass die konjunkturbedingt<br />
geringen CO 2<br />
-Emissionen der Jahre 2000 bis 2002 zum Maßstab<br />
für die Zuteilung von Emissionsberechtigungen gemacht werden<br />
(s. § 7 Abs. 2 Zuteilungsgesetz 2007 – ZuG 2007 – (BGBl. I S.<br />
2211) und sie damit 40 bis 50 % der Produktionskapazität verliere.<br />
Eine weitere Sonderbelastung ergebe sich daraus, dass ein Teil der<br />
CO 2<br />
-Emissionen nicht aus dem Brennstoff, sondern aus dem Rohstoff<br />
Kalkstein komme. Damit wendet sie sich in der Sache nicht<br />
gegen die Ermittlungs- und Berichtspflicht <strong>als</strong> solche, sondern dagegen,<br />
dass und in welcher Weise die ermittelten Emissionen zur<br />
Grundlage der Zuteilung gemacht werden. Die geltend gemachten<br />
Beeinträchtigungen ihres Geschäftsbetriebes treten somit nach<br />
ihrem eigenen Vortrag nicht durch den Umstand ein, dass sie Emissions-<br />
und Prüfberichte vorzulegen hat, sondern erst dadurch, dass<br />
die Emissionen bewirtschaftet werden.<br />
Die Kammer sieht daher keinen Anlass, im Hinblick auf die in §<br />
5 TEHG i. V. m. § 20 Abs. 1 Satz 1 TEHG genannten Pflichten gegenüber<br />
der zuständigen Landesbehörde eine einstweilige Anordnung<br />
zu treffen.<br />
d) Ungeachtet der fehlenden Passivlegitimation des Antragsgegners<br />
im Hinblick auf § 6 Abs. 1 TEHG, käme die Kammer auch bei<br />
der von der Antragstellerin angeregten Folgenabwägung voraussichtlich<br />
nicht zu einem anderen Ergebnis. Die Antragstellerin hält<br />
den Erlass einer einstweiligen Anordnung schon deshalb für geboten,<br />
weil das TEHG aller Voraussicht nach verfassungswidrig sei,<br />
das Hauptsachebegehren <strong>als</strong>o offensichtlich begründet sei. Dem<br />
gegenüber sei ein öffentliches Interesse daran, dass auch die Antragstellerin<br />
beziehungsweise die streitgegenständliche Anlage ab<br />
sofort in den Emissionshandel einbezogen werde, nicht erkennbar.<br />
<strong>Das</strong>s eine Verfassungswidrigkeit offensichtlich wäre, vermag die<br />
Kammer schon deshalb nicht festzustellen, weil insoweit sowohl<br />
die Bindung des Gesetzgebers an europarechtliche Vorgaben <strong>als</strong><br />
auch die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung zu<br />
berücksichtigen sind (die Verfassungsmäßigkeit bejahend: Burgi,<br />
Grundprobleme des deutschen Emissionshandelssystems, NVWZ<br />
2004, 1162 (1163 f.)). Davon unabhängig fällt aber auch eine offene<br />
Interessenabwägung nicht eindeutig zu Gunsten des Erlasses<br />
einer einstweiligen Anordnung aus. Stellt das Gericht die betroffene<br />
Anlage im Wege einer einstweiligen Anordnung von der Emissionshandelspflichtigkeit<br />
frei, dürften gravierende Folgen für die<br />
Antragstellerin eintreten, wenn sich das TEHG gleichwohl <strong>als</strong> verfassungsmäßig<br />
erweist. Denn die Antragstellerin hätte zumindest<br />
für die erste Zuteilungsperiode vom 1.1.2005 bis 31.12.2007 (§ 6<br />
Abs. 4 Satz 2 TEHG) keine Berechtigungen abgegeben. Sie müsste<br />
voraussichtlich erhebliche wirtschaftliche Anstrengungen unter-<br />
ZUR 1/2005 | 25
RECHTSPRECHUNG | Anmerkung Neuser zum Beschluss des VG Karlsruhe<br />
nehmen, um die erforderlichen Berechtigungen nachträglich zu erwerben,<br />
weil der Emissionshandel in diesem Zeitraum in Gang gekommen<br />
sein dürfte, und wäre außerdem der Gefahr der in §§ 17<br />
ff. TEHG genannten Sanktionen ausgesetzt (Kontosperrung, Zahlungspflichten<br />
etc). <strong>Das</strong>s die Nachteile einer vorläufigen Teilnahme<br />
am Emissionshandel schwerer wiegen, wenn sich das TEHG <strong>als</strong><br />
verfassungswidrig erweisen sollte, vermag die Kammer nicht mit<br />
der erforderlichen Eindeutigkeit festzustellen, zumal die Antragstellerin<br />
nicht im Einzelnen glaubhaft gemacht hat, welche nicht<br />
wieder rückgängig zu machenden Dispositionen zu treffen sind.<br />
Auch der Umstand, dass die Antragstellerin es nicht ausschließt,<br />
trotz des vorliegenden Rechtsstreits am Zuteilungsverfahren teilnehmen<br />
zu wollen, spricht dafür, dass auch ihr eine vorläufige<br />
Teilnahme am Emissionszertifikate-Handel in der Sache geboten<br />
und zumutbar erscheint. Hinzu kommt, dass Einschränkungen des<br />
Betriebs der Anlage nach der Systematik des TEHG nicht zu befürchten<br />
sind, selbst wenn die Antragstellerin ihren Pflichten nach<br />
§§ 4, 5 und 6 TEHG nicht nachkommt, etwa die erforderliche Zahl<br />
der Berechtigungen nicht abgibt (vgl. § 4 Abs. 8 TEHG, § 5 Abs. 1<br />
BImschG i. d. F. des Art. 2 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie<br />
2003/87/EG über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten<br />
in der Gemeinschaft (BGBl. I S. 1578). Auch<br />
deshalb erscheint eine vorläufige Sicherung des bestehenden<br />
Rechtszustands in der Sache nicht geboten.<br />
Anmerkung zum Beschluss des VG Karlsruhe<br />
A. Hintergrund<br />
Nachdem sich mittlerweile beinahe weltweit die Erkenntnis durchgesetzt<br />
hat, dass der globale Klimawandel eine zentrale Herausforderung<br />
für die Umweltpolitik der kommenden Jahrzehnte ist, führt<br />
am Emissionshandel eigentlich kein Weg vorbei, da er das kosteneffizienteste<br />
Instrument zur Erreichung nationaler Klimaschutzverpflichtungen<br />
ist: Bei Treibhausgas-Emissionen ist es vollkommen<br />
irrelevant, wo sie vermieden werden, wichtig ist allein,<br />
dass sie vermieden werden. So überlässt es der Emissionshandel der<br />
ökonomischen Entscheidungsrationalität der Verantwortlichen,<br />
ob sie ihre Minderungsverpflichtungen durch eigene Maßnahmen<br />
zur Emissionsreduzierung erfüllen oder von Minderungsmaßnahmen<br />
Dritter profitieren, indem sie die dort nicht (mehr) benötigten<br />
Emissionskontingente zukaufen.<br />
Von dieser theoretischen Erkenntnis zur praktischen Einführung<br />
des Emissionshandels in Deutschland führte der Weg über die<br />
Emissionshandels-Richtlinie (2003/87/EG) und die nationalen<br />
Umsetzungsgesetze (Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz – TEHG<br />
– und Zuteilungsgesetz 2007 – ZuG 2007) bis zum Zuteilungsverfahren,<br />
in dem die eigens geschaffene »Deutsche Emissionshandelsstelle«<br />
über die Anträge von etwa 2.100 Kraftwerken und Industrieanlagen<br />
auf Zuteilung kostenloser Emissionsberechtigungen<br />
entschieden hat.<br />
Der vorliegende Beschluss des VG Karlsruhe betrifft allerdings<br />
keine dieser konkreten Zuteilungsentscheidungen, sondern vielmehr<br />
eines von drei Parallelverfahren, das ein Unternehmen der<br />
Zementindustrie unmittelbar nach Inkrafttreten des TEHG vom<br />
08.07.2004 (BGBl. I, S. 1578) mit dem Ziel eingeleitet hatte, den<br />
Emissionshandel noch vor der Durchführung des Zuteilungsverfahrens<br />
wegen offensichtlicher Verfassungswidrigkeit zu stoppen.<br />
<strong>Das</strong> betroffene Unternehmen hatte zunächst Klage gegen das Land<br />
Baden-Württemberg erhoben und beantragt, die (nach Auffassung<br />
der Klägerin) mit § 4 Abs. 7 Satz 1 TEHG angeordnete Änderung<br />
der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung aufzuheben.<br />
Hilfsweise beantragte die Klägerin die Feststellung, dass die in §§ 4,<br />
5 und 6 Abs. 1 TEHG geregelten Pflichten nicht Bestandteil der immissionsschutzrechtlichen<br />
Genehmigung sind.<br />
Nachdem das Land es abgelehnt hat, die aufschiebende Wirkung<br />
der Klage festzustellen, hat die Antragstellerin im Rahmen<br />
des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens beantragt, die aufschiebende<br />
Wirkung der Klage festzustellen. Im Hilfsantrag begehrte die<br />
Antragstellerin die Feststellung, dass sie vorläufig die Pflichten<br />
nach §§ 4, 5 und 6 Abs. 1 TEHG nicht erfüllen muss.<br />
<strong>Das</strong> von der Antragstellerin ausdrücklich benannte Ziel dieser<br />
prozessualen Konstruktion war es, das Verwaltungsgericht von der<br />
Verfassungswidrigkeit des TEHG zu überzeugen, damit es das Verfahren<br />
im Wege der konkreten Normenkontrolle dem BVerfG vorlegt.<br />
Dieses Ziel hat die Antragstellerin nicht erreicht. Vielmehr hat<br />
das VG Karlsruhe den Antrag mit dem vorliegenden Beschluss abgelehnt.<br />
B. Ablehnung des Hauptantrags<br />
Den Hauptantrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung<br />
der Klage hat das VG bereits wegen Unstatthaftigkeit abgelehnt, da<br />
nur die Klage gegen einen Verwaltungsakt aufschiebende Wirkung<br />
entfalten kann. Ein Verwaltungsakt liegt aber nach Auffassung des<br />
Gerichts nicht vor. <strong>Das</strong> Gericht verwirft mit dieser Feststellung die<br />
von der Antragstellerin mit viel Aufwand entwickelte Rechtsfigur<br />
des »verkappten« Verwaltungsakts. <strong>Das</strong> Gericht verweist hier<br />
zunächst auf den Grundsatz, dass zwischen Verwaltungsakt und<br />
Gesetz eine rein formale Abgrenzung besteht, die auch über den jeweils<br />
möglichen Rechtsschutz entscheidet. Zusätzlich lehnt das<br />
Gericht auch einen Vergleich mit der Figur des »fingierten« Verwaltungsakts<br />
ab, da die Voraussetzungen für die Annahme einer<br />
solchen Fiktion nicht erfüllt sind. Auch wird die immissionsschutzrechtliche<br />
Genehmigung durch die Regelung des § 4 Abs. 6<br />
TEHG nicht zu einer neuen Emissionsgenehmigung, sondern gilt<br />
<strong>als</strong> immissionsschutzrechtliche Genehmigung mit den neuen<br />
TEHG-Pflichten fort. Mit dieser Feststellung bestätigt das Gericht<br />
die Absicht des Gesetzgebers, Betreiber von Bestandsanlagen nicht<br />
mit einem neuen Genehmigungsverfahren zu überziehen, sondern<br />
die bestehenden Genehmigungen lediglich um die Pflichten<br />
des TEHG zu erweitern. Sofern die TEHG-Pflichten im Einzelfall<br />
weiter konkretisiert werden müssen, erfolgt dies über nachträgliche<br />
Anordnungen nach § 17 BImSchG.<br />
C. Ablehnung des Hilfsantrags<br />
Den Hilfsantrag lehnt das Gericht <strong>als</strong> unbegründet ab. Dabei differenziert<br />
das Gericht nach den einzelnen TEHG-Pflichten. Hinsichtlich<br />
der Pflicht zur Abgabe von Berechtigungen (§ 6 Abs. 1<br />
TEHG) besteht nach Auffassung des Gerichts kein Anordnungsanspruch,<br />
da für den Vollzug des § 6 Abs. 1 TEHG ausschließlich das<br />
Umweltbundesamt zuständig ist (§ 20 Abs. 1 Satz 2 TEHG) und daher<br />
kein streitiges Rechtsverhältnis zum beklagten Land bestehen<br />
kann, innerhalb dessen eine vorläufige Regelung getroffen werden<br />
könnte. Diese Feststellung des Gerichts mag auf den ersten Blick<br />
verwundern, ist aber konsequent und richtig. Zwar verfolgte die<br />
Antragstellerin mit dem Hilfsantrag offensichtlich das Ziel, auch<br />
bei Ablehnung der Figur des »verkappten« Verwaltungsakts die<br />
über § 4 Abs. 7 Satz 1 TEHG erfolgte Pflichtenerweiterung insgesamt<br />
anzugreifen. Für die geltend gemachten Feststellungsansprüche<br />
gegen das Land muss aber ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis<br />
bestehen, an dem es aber im Hinblick auf die Abgabepflicht<br />
aus § 6 Abs. 1 TEHG nach der zutreffenden Auffassung des<br />
Gerichts gerade fehlt.<br />
26 | ZUR 1/2005
BVerwGl, Festlegung von Flugrouten | RECHTSPRECHUNG<br />
In diesem Zusammenhang prüft das Gericht noch die Frage, ob<br />
sich ein streitiges Rechtsverhältnis möglicherweise aus der Befugnis<br />
des Landes ergeben könne, eine Entscheidung über den Anwendungsbereich<br />
des TEHG und damit mittelbar auch über die Pflicht<br />
aus § 6 Abs. 1 TEHG zu treffen. Diese Frage verneint das Gericht mit<br />
einer unzutreffenden Begründung, aber im Ergebnis zu Recht. Für<br />
die Entscheidung der Frage, ob eine Anlage dem Anwendungsbereich<br />
des TEHG unterfällt, sind die Landesbehörden im Anzeigeverfahren<br />
nach § 4 Abs. 7 Satz 3 TEHG zuständig. 1 Dies ergibt sich<br />
aus der Entstehungsgeschichte der Regelung, die ursprünglich in §<br />
3 des Entwurfs zur 34. BImSchV enthalten war. Ausweislich der Begründung<br />
zu dieser Regelung dient das Anzeigeverfahren auch dazu,<br />
dass »die Betreiber von Anlagen, die sich über ihre Betroffenheit<br />
im Unklaren sind, die Gelegenheit (bekommen), von den zuständigen<br />
Behörden Gewissheit über ihre Teilnahme am Emissionshandel<br />
zu erhalten.« 2 Ein solcher Zweifelsfall über die Emissionshandelspflichtigkeit<br />
der Anlage lag hier aber nicht vor. Zwischen<br />
den Beteiligten ist völlig unstreitig, dass es sich bei der betroffenen<br />
Anlage um eine Tätigkeit nach Nr. X der Anlage 1 zum TEHG handelt.<br />
Daher kann es <strong>als</strong>o tatsächlich kein streitiges Rechtsverhältnis<br />
zum Land geben, das einer vorläufigen Regelung bedürfte.<br />
Hinsichtlich der begehrten vorläufigen Freistellung von den<br />
Pflichten der §§ 4 und 5 TEHG trifft das Gericht keine Feststellung<br />
zum Anordnungsanspruch, sondern lehnt die Anträge mangels<br />
Anordnungsgrund ab. Der Antragstellerin sei es zumutbar, bis zur<br />
Entscheidung in der Hauptsache die Anforderungen aus §§ 4 und<br />
5 TEHG zu erfüllen. Dabei geht das Gericht auf die einzelnen Anforderungen<br />
dieser Regelungen und die möglichen Konsequenzen<br />
für die Antragstellerin ein. Bei dieser Prüfung der Einzelpflichten<br />
ist das Ergebnis konsequent, da es der Antragstellerin im Kern nicht<br />
darum geht, die Unzumutbarkeit einzelner Pflichten (z.B. die Emissionsberichterstattung<br />
nach § 5 TEHG) nachzuweisen. Vielmehr<br />
stützt sie die beantragte Freistellung von den TEHG-Pflichten in erster<br />
Linie darauf, dass das TEHG offensichtlich verfassungswidrig<br />
sei und es kein öffentliches Interesse an der Erfüllung verfassungswidriger,<br />
gesetzlicher Pflichten geben kann.<br />
Die »offensichtliche« Verfassungswidrigkeit des TEHG verneint das<br />
Gericht ausdrücklich unter Hinweis auf die Bindung des Gesetzgebers<br />
an europarechtliche Vorgaben und wegen der Möglichkeiten<br />
einer verfassungskonformen Auslegung. Damit ist ein Teil des<br />
Wegs für die Prüfung der geltend gemachten Verfassungsverstöße<br />
im Hauptsacheverfahren vorgezeichnet. Denn wenn das Gericht<br />
eine hinreichende Gewissheit an der Verfassungswidrigkeit des<br />
TEHG hätte, wäre es möglicherweise verpflichtet gewesen, unter<br />
Umgehung des Verwerfungsmonopols des BVerfG zur Gewährleistung<br />
eines effektiven Rechtsschutzes eine vorläufige Regelung gegen<br />
die <strong>als</strong> verfassungswidrig erachtete Norm zu treffen. 3<br />
Über die Feststellung hinaus, dass das TEHG nicht offensichtlich<br />
verfassungswidrig sei, geht das Gericht nicht näher auf die geltend<br />
gemachten Verfassungsverstöße ein. Die Antragstellerin hat Verfassungsverstöße<br />
insbesondere gegen die grundgesetzliche Kompetenzordnung,<br />
gegen Art. 14 GG sowie gegen Art. 12 GG geltend<br />
gemacht. Eine Auseinandersetzung mit den geltend gemachten<br />
Verfassungsverstößen war im Rahmen der Eilentscheidung des VG<br />
Karlsruhe allerdings nicht notwendig, da das Gericht im Rahmen<br />
einer Folgenabwägung die möglichen Konsequenzen betrachtet,<br />
die sich ergeben, wenn es die begehrte Anordnung trifft und sich<br />
das TEHG nachträglich <strong>als</strong> verfassungsgemäß erweist. Hierbei betont<br />
das Gericht zu Recht, dass die Antragstellerin in diesem Fall<br />
erhebliche wirtschaftliche Anstrengungen unternehmen müsste,<br />
um die erforderlichen Berechtigungen nachträglich zu erwerben.<br />
Diese Argumentation offenbart die große Umsicht der Entscheidung.<br />
Denn bei einer vorläufigen Befreiung der Antragstellerin von<br />
der Pflicht zur Abgabe von Berechtigungen nach § 6 Abs. 1 TEHG<br />
entfällt auch der korrespondierende Anspruch auf Zuteilung von<br />
Berechtigungen (§ 9 TEHG). Dieser Anspruch kann nach Abschluss<br />
des Zuteilungsverfahrens nicht wieder aufleben, da dann keine Berechtigungen<br />
mehr vorhanden sind, die zugeteilt werden könnten.<br />
Für diesen Fall diente die Ablehnung des Eilantrags der Antragstellerin<br />
mehr <strong>als</strong> die begehrte Anordnung.<br />
Die Antragstellerin hat Beschwerde gegen den Beschluss des VG<br />
Karlsruhe eingelegt. In einem der anderen Parallelverfahren hat das<br />
VG Würzburg Eilantrag und Klage nach mündlicher Verhandlung<br />
am 9.11.2004 abgewiesen. Die Sprungrevision wurde zugelassen.<br />
Uwe Neuser<br />
Dr. Uwe Neuser<br />
Rechtsanwalt und senior fellow bei Ecologic – Institut für angewandte<br />
europäische und internationale Umweltpolitik, Pfalzburger Str. 43-44,<br />
10717 Berlin, neuser@ecologic.de; berät derzeit das Bundesministerium<br />
für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit bei der Einführung des<br />
Emissionshandels in Deutschland.<br />
Aktuelle Veröffentlichungen: Hermann/Neuser: Sicherung von Industrieanlagen<br />
gegen Eingriffe Unbefugter, UBA-Texte 25-27/04, Berlin<br />
2004; Sicherheitsüberprüfungen <strong>als</strong> staatliche »Serviceleistung« WIK,<br />
<strong>Heft</strong> 1/04, S. 7.<br />
1 So auch Weinreich/Marr, Handel gegen Klimawandel, NJW 2005 (i.E); a.A. Kobes,<br />
<strong>Das</strong> Zuteilungsgesetz 2007, NVwZ 2004, 1153 (1154); Begemann/Lustermann,<br />
Emissionshandel: Probleme des Anwendungsbereichs und Auslegungsfragen zu<br />
Härtefallregelungen des ZuG 2007, NVwZ 2004, 1292 (1293); VG Augsburg Beschl.<br />
v. 1.9.2004 – Au 4 E 1237/04 (Umdruck, S. 12).<br />
2 Begründung des Regierungsentwurfs zu § 3 der 34. BImSchV. Diese Regelung<br />
enthielt das jetzt in § 4 Abs. 7 TEHG geregelte Anzeigeverfahren.<br />
3 Vgl. z. BVerfG, Beschl. v. 25.10.1988, NJW 1989, 827; Urban, Eingeschränkte<br />
Verwerfungskonpetenz der Verwaltungsgerichte im Eilverfahren gem. §<br />
123 VwGO, NVwZ 1989, 433.<br />
Festlegung von Flugrouten<br />
BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2004 – 4 C 11.03<br />
1. Bei der Festlegung von Flugrouten auf der Grundlage des<br />
§ 27 a Abs. 2 LuftVO hat das Luftfahrt-Bundesamt eine Abwägungsentscheidung<br />
zu treffen, die gerichtlich überprüfbar,<br />
aber nicht an den zum Abwägungsgebot im Fachplanungsrecht<br />
entwickelten Grundsätzen zu messen ist (im<br />
Anschluss an BVerwG, Urt. v. 28.6.2000 – 11 C 13.99,<br />
BVerwGE 111, 276 und vom 26.11.2003 – 9 C 6.02, DVBl.<br />
2004, 382).<br />
2. Der Prüfungsmaßstab ist unterschiedlich, je nachdem, ob<br />
durch die Flugroutenbestimmung Fluglärm hervorgerufen<br />
wird, der oberhalb oder unterhalb der Zumutbarkeitsschwelle<br />
liegt.<br />
3. Der Begriff des unzumutbaren Lärms im § 29 b Abs. 2<br />
LuftVG deckt sich mit dem immissionsschutzrechtlichen<br />
Begriff der erheblichen Lärmbelästigung.<br />
4. Für eine Flugroute, die mit unzumutbarem Fluglärm verbunden<br />
ist, darf sich das Luftfahrt-Bundesamt nur entscheiden,<br />
wenn überwiegende Gründe zur sicheren, geordneten<br />
und flüssigen Abwicklung des Luftverkehrs dies gebieten.<br />
5. Eine Flugroute, durch die Lärmbelästigungen unterhalb der<br />
Zumutbarkeitsschwelle hervorgerufen werden, ist zulässig,<br />
wenn sich für sie sachlich einleuchtende Gründe anführen<br />
lassen.<br />
6. Die Lärmschutzvorschriften, denen das Luftfahrt-Bundesamt<br />
bei seiner Abwägungsentscheidung Rechnung zu<br />
tragen hat, sind – jedenfalls auch – dazu bestimmt, Drittschutzinteressen<br />
zu dienen.<br />
Vorinstanz: VGH Kassel vom 11.2.2003 – 2 A 1062/01 –<br />
ZUR 1/2005 | 27
RECHTSPRECHUNG | BVerwG, Festlegung von Flugrouten<br />
Aus den Gründen: I. Die Klägerinnen, Städte und Gemeinden im<br />
Hochtaunus, wenden sich gegen die Festsetzung neuer Abflugverfahren<br />
in dem Bereich nordwestlich von Frankfurt/Main. Sie<br />
machen insbesondere geltend, dass ihnen gehörende Wohngrundstücke<br />
in unzulässiger Weise durch Fluglärm betroffen<br />
werden. (…)<br />
II. Die Revision der Beklagten ist begründet. <strong>Das</strong> angefochtene<br />
Urteil ist zu ändern (§ 144 Abs. 3 Nr. 1 VwGO). Es verletzt Bundesrecht.<br />
<strong>Das</strong> Erstgericht hätte der Klage nicht teilweise stattgeben<br />
dürfen.<br />
1. Die gegen die Zulässigkeit der Feststellungsklage erhobenen<br />
Einwände der Beklagten und der Beigeladenen greifen allerdings<br />
nicht durch.<br />
1.1 Die Feststellungsklage ist statthaft (vgl. BVerwG, Urt. v.<br />
28.6.2000 – 11 C 13.99, BVerwGE 111, 276 und vom 26.11.2003 –<br />
9 C 6.02, DVBl. 2004, 382). Die Kläger durften sie auf die 5. Änd-<br />
VO zur 212. DVO-LuftVO erstrecken, obwohl diese Rechtsverordnung<br />
erst während des Revisionsverfahrens erlassen worden ist<br />
(vgl. BVerwG, Urt. v. 26.11.2003 – 9 C 6.02, a.a.O.).<br />
1.2 Die Statthaftigkeit der Feststellungsklage wird nicht durch den<br />
Subsidiaritätsgrundsatz in Frage gestellt. § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO<br />
greift nur in den Fällen ein, in denen sich das mit der Klage erstrebte<br />
Ziel mit einer Gestaltungs- oder Leistungsklage ebenso gut oder besser<br />
erreichen lässt. Der Gesetzgeber will den Rückgriff auf die Feststellungsklage<br />
verhindern, wenn für die Rechtsverfolgung ein unmittelbareres,<br />
sachnäheres und wirksameres Verfahren zur Verfügung<br />
steht. Davon kann dort keine Rede sein, wo die Feststellungsklage einen<br />
Rechtsschutz gewährleistet, der weiter reicht <strong>als</strong> ein einzelnes Leistungsbegehren.<br />
Als effektiver erweist sich die Feststellungsklage insbesondere<br />
dann, wenn sich durch sie eine Vielzahl potentieller Anfechtungsprozesse<br />
vermeiden lässt. Dies trifft für das Verhältnis der<br />
Flugroutenfestlegung zu den auf ihrer Grundlage erteilten Einzelflugfreigaben<br />
zu. Der von der Beigeladenen aufgezeigte Weg, eine einzelne<br />
Freigabeentscheidung anzufechten und im Rahmen dieses<br />
Rechtsstreits die Frage nach der Gültigkeit des angewandten Flugverfahrens<br />
klären zu lassen, nötigt nicht zu einer abweichenden Beurteilung.<br />
Die Klägerinnen ziehen die normativen Vorgaben in Zweifel,<br />
die der Entscheidungsebene der Kontrollfreigabe vorgelagert sind.<br />
Die insoweit maßgebenden Rechtsverordnungen des Luftfahrt-Bundesamts<br />
würden im Rahmen von Anfechtungsverfahren – ihre Entscheidungserheblichkeit<br />
vorausgesetzt – allenfalls <strong>als</strong> Vorfrage eine<br />
Rolle spielen. Die Rechtskraftwirkungen eines etwaigen Aufhebungsausspruchs<br />
würden nicht so weit reichen wie die Feststellungswirkung<br />
eines stattgebenden Feststellungsurteils. Lässt sich dem eigentlichen<br />
Rechtsschutzanliegen der Klägerinnen mit einer Feststellungsklage<br />
nicht bloß ebenso gut, sondern sogar besser <strong>als</strong> mit einer<br />
Anfechtungsklage Rechnung tragen, so steht § 43 Abs. 2 Satz 1 Vw-<br />
GO der Wahl dieser Klageart nicht entgegen (vgl. BVerwG, Urt. v.<br />
7.9.1989 – 7 C 4.89, NVwZ 1990, 162 und v. 29.4.1997 – 1 C 2.95,<br />
NJW 1997, 2534).<br />
1.3 Die Feststellungsklage ist auch sonst zulässig. Den Klägerinnen<br />
fehlt nicht die Klagebefugnis. Diese Zulässigkeitsvoraussetzung,<br />
die in § 43 VwGO nicht genannt wird, in der Rechtsprechung<br />
des BVerwG aber seit langem anerkannt ist, ist nur dann nicht erfüllt,<br />
wenn subjektive Rechte des Klägers offensichtlich und eindeutig<br />
nach keiner Betrachtungsweise verletzt sein können (vgl.<br />
BVerwG, Urt. v. 28.2.1997 – 1 C 29.95, BVerwGE 104, 115 und v.<br />
10.10.2002 – 6 C 8.01, BVerwGE 117, 93). Sie dient ebenso wie im<br />
Anwendungsbereich des § 42 Abs. 2 VwGO dazu, Popularklagen zu<br />
verhindern (vgl. BVerwG, Urt. v. 6.2.1986 -5 C 40.84, BVerwGE 74,<br />
1 und v. 29.6.1995 – 2 C 32.94, BVerwGE 99, 64). Dagegen ist es<br />
nicht ihr Sinn, ernsthaft streitige Fragen über das Bestehen eines<br />
subjektiven Rechts, von deren Beantwortung der Klageerfolg abhängen<br />
kann, bereits vorab im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung<br />
zu klären (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.11.2003 – 9 C 6.02, a.a.O.). Vor<br />
dem Hintergrund der bisherigen Rechtsprechung des BVerwG lässt<br />
sich dem Interesse, vor Fluglärm ohne Rücksicht auf den Grad<br />
der Beeinträchtigung bewahrt zu bleiben, nicht von vornherein<br />
jegliche rechtliche Relevanz absprechen. Ob diesem Gesichtspunkt<br />
im konkreten Fall die Bedeutung zukommt, die ihm die Klägerinnen<br />
beimessen, ist der Prüfung im Rahmen der Begründetheit vorzubehalten.<br />
1.4 Ebenfalls nicht durchzudringen vermögen die Beklagte und<br />
die Beigeladene mit ihrem Einwand, der vom Erstgericht <strong>als</strong> »Maßgabe«<br />
bezeichnete Ausspruch, wonach die Klägerinnen die Nutzung<br />
der beanstandeten Flugverfahren »nach Ablauf von drei Monaten<br />
nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils nicht zu dulden haben«,<br />
stelle sich <strong>als</strong> eine Tenorierungsvariante dar, die das<br />
Prozessrecht in § 43 VwGO nicht vorsehe. Nach den Intentionen<br />
der Vorinstanz (vgl. UA S. 27) sollen die für die Beklagte und die<br />
Beigeladene nachteiligen Feststellungswirkungen nicht automatisch<br />
mit der Rechtskraft des Urteils, sondern erst drei Monate später<br />
eintreten. Dahin stehen kann, ob eine solche zeitliche Einschränkung<br />
rechtlich zulässig ist. Selbst wenn insoweit Zweifel angebracht<br />
sein sollten, ist offenkundig, dass die Beklagte und die<br />
Beigeladene durch die von ihnen beanstandete Maßgabe nicht beschwert,<br />
sondern im Gegenteil begünstigt werden.<br />
2. Die Klage ist indes in vollem Umfang unbegründet.<br />
2.1 Im Ausgangspunkt geht das Erstgericht in Übereinstimmung<br />
mit der Rechtsprechung des BVerwG zutreffend davon aus, dass das<br />
Luftfahrt-Bundesamt bei der Festlegung von Abflugstrecken durch<br />
eine Flugverfahrensverordnung eine Abwägungsentscheidung zu<br />
treffen hat, bei der auch das Interesse Einzelner, vor Lärmeinwirkungen<br />
bewahrt zu bleiben, <strong>als</strong> Abwägungsposten eine Rolle spielen<br />
kann. Der Verwaltungsgerichtshof weist in Anknüpfung an die<br />
Entscheidung des 11. Senats des BVerwG vom 28.6.2000 – 11 C<br />
13.99 (a.a.O.) zu Recht darauf hin, dass das Abwägungsgebot für<br />
die Ausweisung von Flugrouten »zwar grundsätzlich, aber nicht<br />
mit allen inhaltlichen Anforderungen (gilt), die in der Dogmatik<br />
des Fachplanungsrechts entwickelt worden sind« (UA S. 18). In diesem<br />
Zusammenhang streicht er ebenso wie das BVerwG die beiden<br />
Besonderheiten heraus, durch die Flugroutenfestlegungen gekennzeichnet<br />
sind. Er bemerkt, dass das Luftfahrt-Bundesamt »aus<br />
kompetenzrechtlichen Gründen darauf beschränkt ist, den vorhandenen<br />
Fluglärm zu verteilen, ohne die eigentliche Störquelle<br />
beseitigen oder einschränken zu können« (UA S. 18). Eine weitere<br />
Abweichung vom fachplanerischen Abwägungsgebot sieht er darin,<br />
»dass keine ‘parzellenscharfe’ Ermittlung und Bewertung der<br />
Belange der Betroffenen geboten, sondern eine generalisierende<br />
Betrachtung ausreichend ist« (UA S. 19). Mit seiner Annahme, dass<br />
die von den Klägerinnen angegriffene Regelung deshalb an einem<br />
Fehler im Abwägungsvorgang leide, weil das Luftfahrt-Bundesamt<br />
»mehr <strong>als</strong> geschehen die besonderen topografischen Bedingungen<br />
(hätte) berücksichtigen müssen« (UA S. 24), stellt er indes auf ein<br />
Anforderungsniveau ab, das dem von ihm selbst im Anschluss an<br />
die Rechtsprechung des BVerwG formulierten rechtlichen Ansatz<br />
zuwiderläuft und geeignet ist, die Unterschiede zu den im Bereich<br />
der Fachplanung zum Abwägungsgebot entwickelten Grundsätzen<br />
einzuebnen. Einer solchen Gleichsetzung aber ist das BVerwG<br />
in den Urteilen vom 28.6.2000 – 11 C 13.99 (a.a.O.) und vom<br />
26.11.2003 – 9 C 6.02 (a.a.O.) ausdrücklich entgegengetreten.<br />
2.2 In welchem Umfang das Luftfahrt-Bundesamt bei der Festlegung<br />
von Flugverfahren einer Abwägungspflicht unterliegt, richtet<br />
sich nach den gesetzlichen Vorgaben und im Übrigen nach<br />
dem rechtsstaatlich für jede Abwägung unabdingbar Gebotenen.<br />
Dazu im Einzelnen:<br />
2.2.1 Die 5. ÄndVO zu der 212. DVO–LuftVO, gegen die sich die<br />
Klägerinnen zur Wehr setzen, findet ihre Rechtsgrundlage in § 27 a<br />
28 | ZUR 1/2005
BVerwG, Festlegung von Flugrouten | RECHTSPRECHUNG<br />
Abs. 2 Satz 1 LuftVO. Danach ist das Luftfahrt-Bundesamt ermächtigt,<br />
bei An- und Abflügen zu und von Flugplätzen mit Flugverkehrskontrollstelle<br />
die Flugverfahren einschließlich der Flugwege,<br />
Flughöhen und Meldepunkte durch Rechtsverordnung festzulegen.<br />
Die Vorschrift beruht auf § 32 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LuftVG.<br />
Danach ist das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen<br />
u.a. ermächtigt, durch Rechtsverordnung Bestimmungen<br />
über das Verhalten im Luftraum und am Boden unter Einschluss<br />
von Start und Landung zu treffen. § 32 Abs. 3 Satz 3 LuftVG<br />
lässt es zu, die Regelung der Einzelheiten über die Durchführung<br />
dieser Verhaltenspflichten durch Rechtsverordnung auf das Luftfahrt-Bundesamt<br />
zu übertragen.<br />
2.2.2 Der systematische Zusammenhang, in den § 27 a LuftVO<br />
vor dem Hintergrund des § 32 LuftVG hineingestellt ist, lässt erkennen,<br />
dass es sich bei der Festlegung von Flugverfahren, zu deren<br />
wesentlichen Elementen auch die Bestimmung von Flugrouten<br />
gehört, nach der gesetzgeberischen Konzeption in erster Linie<br />
um ein sicherheitsrechtliches Instrument handelt, das der Verhaltenssteuerung<br />
insbesondere bei An- und Abflügen zu und von<br />
näher bezeichneten Flugplätzen dient. Adressat ist der Luftfahrzeugführer.<br />
Dieser verhaltensbezogene Ansatz wird durch § 58<br />
Abs. 1 Nr. 10 LuftVG unterstrichen, wonach ordnungswidrig handelt,<br />
wer vorsätzlich oder fahrlässig einer aufgrund des § 32 LuftVG<br />
erlassenen Rechtsverordnung zuwiderhandelt. Im Vordergrund der<br />
mit dieser Reglementierung verfolgten Zwecke stehen Sicherheitserwägungen.<br />
Nach § 29 Abs. 1 Satz 1 LuftVG haben die Luftfahrtbehörden,<br />
zu denen auch das Luftfahrt-Bundesamt in seiner<br />
Eigenschaft <strong>als</strong> oberste Bundesbehörde gehört (vgl. das Gesetz über<br />
das Luftfahrt-Bundesamt vom 30.11.1954, BGBl. I S. 354), Gefahren<br />
für die Sicherheit des Luftverkehrs abzuwehren. Die überragende<br />
Bedeutung dieses Aspekts hebt der Gesetzgeber auch an anderer<br />
Stelle ausdrücklich hervor. Nach § 27 c Abs. 1 LuftVG dient<br />
die Flugsicherung der sicheren, geordneten und flüssigen Abwicklung<br />
des Luftverkehrs. Dieser im eigentlichen Kern sicherheitsrechtliche<br />
Charakter verbietet es, die im Fachplanungsrecht zum<br />
Abwägungsgebot entwickelten Grundsätze unbesehen auf die Festlegung<br />
von Flugverfahren zu übertragen. Hinzu kommt, dass das<br />
Luftfahrt-Bundesamt im Rahmen des § 27 a Abs. 2 Satz 1 LuftVO<br />
nicht über das Maß an Gestaltungsfreiheit verfügt, das für eine Planungsentscheidung<br />
im materiellen Sinne typisch ist. Im Vordergrund<br />
steht nicht das Ziel, die Infrastruktur zu verbessern. Überdies<br />
weist der 11. Senat im Urt. v. 28.6.2000 – 11 C 13.99 (a.a.O.) darauf<br />
hin, dass der Festlegung von Flugverfahren insofern ein der<br />
Planung immanentes Element fehlt, <strong>als</strong> das Luftfahrt-Bundesamt<br />
keinen Einfluss auf den Umfang des Flugbetriebs hat. <strong>Das</strong> Lärmpotential<br />
des Flugplatzes stellt sich aus seiner Entscheidungsperspektive<br />
<strong>als</strong> unvermeidbare Folge vorausgegangener Verfahren dar,<br />
die – bei idealtypischer Betrachtung – nicht zuletzt dazu bestimmt<br />
sind, die mit dem Flughafenbetrieb verbundenen Lärmprobleme<br />
zu bewältigen (vgl. § 6 Abs. 2 Satz 1, § 9 Abs. 2 LuftVG). Darüber,<br />
ob im Genehmigungs- und im Planfeststellungsverfahren dem Gesichtspunkt<br />
des Lärmschutzes in optimaler Weise Rechnung getragen<br />
worden ist, hat das Luftfahrt-Bundesamt nicht zu befinden.<br />
Über den der Bevölkerung und den betroffenen Gemeinden zumutbaren<br />
Nutzungsumfang kann es nicht mitbestimmen. Die<br />
Quelle des Fluglärms ist seiner Einwirkung entzogen. Insoweit bestimmt<br />
die luftseitige Verkehrskapazität des jeweiligen Flughafens<br />
(Start- und Landebahnen, Rollwege, Vorfeldflächen) nach Maßgabe<br />
der luftrechtlichen Zulassungsentscheidung das Lärmpotential.<br />
<strong>Das</strong> Luftfahrt-Bundesamt ist darauf beschränkt, den vorhandenen<br />
Lärm gleichsam zu »bewirtschaften«. Einen umfassenden Interessenausgleich,<br />
wie ihn das Planungsrecht fordert, kann das Luftfahrt-Bundesamt<br />
nicht gewährleisten.<br />
2.2.3 <strong>Das</strong> bedeutet allerdings nicht, dass sich das Luftfahrt-Bundesamt<br />
bei seiner Entscheidung ausschließlich von Sicherheitsüberlegungen<br />
leiten lassen darf. Der Gesetzgeber bringt zum Ausdruck,<br />
dass es bei der Festlegung von Flugverfahren eine Abwägungsentscheidung<br />
zu treffen hat, bei der auch anderen Belangen<br />
Rechnung zu tragen ist. Wie aus § 29 Abs. 1 Satz 1 LuftVG erhellt,<br />
dürfen die Luftfahrtbehörden bei der Abwehr von »Gefahren für<br />
die Sicherheit des Luftverkehrs« nicht aus den Augen verlieren,<br />
dass Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung auch<br />
»durch die Luftfahrt« drohen können. In § 29 Abs. 1 Satz 3 LuftVG<br />
geht der Gesetzgeber noch einen Schritt weiter. Danach gehört<br />
nicht bloß die Abwehr von Gefahren »durch die Luftfahrt«, sondern<br />
darüber hinaus in Anlehnung an das Immissionsschutzrecht<br />
auch die Abwehr von erheblichen Nachteilen oder Belästigungen<br />
zu den Aufgaben der Luftaufsicht. In diesem Zusammenhang<br />
spricht der Gesetzgeber <strong>als</strong> Quelle etwaiger Beeinträchtigungen<br />
ausdrücklich den »durch Luftfahrzeuge in der Umgebung von Flugplätzen«<br />
hervorgerufenen »Fluglärm« an. Freilich ermächtigt § 29<br />
Abs. 1 LuftVG nur zu luftfahrtbehördlichen Einzelfallregelungen.<br />
Als allgemeine Vorschrift der Luftaufsicht hat er den Charakter einer<br />
Generalklausel, die eingreift, sofern nicht Spezialvorschriften<br />
eine abweichende Regelung enthalten. Als eine solche Sonderbestimmung<br />
kommt § 29 b Abs. 2 LuftVG in Betracht, der sich auch<br />
im Rahmen der rechtssatzmäßigen Festlegung von Flugverfahren<br />
nach § 27 a Abs. 2 Satz 1 LuftVO Geltung beimisst. Danach haben<br />
die Luftfahrtbehörden auf den Schutz der Bevölkerung vor unzumutbarem<br />
Fluglärm hinzuwirken.<br />
2.2.3.1 Soweit § 29 b Abs. 2 LuftVG auf »unzumutbare« Belastungen<br />
abstellt, ist er entgegen der Auffassung der Beklagten und<br />
der Beigeladenen nicht lediglich auf die Abwehr etwaiger Gesundheitsgefährdungen<br />
oder die Beeinträchtigung sonstiger verfassungsrechtlich<br />
geschützter Rechtsgüter zugeschnitten. Zwar besteht<br />
eine Pflicht aller staatlichen Organe, sich schützend und fördernd<br />
vor Rechtsgüter zu stellen, die Verfassungsrang genießen,<br />
und insbesondere Gesundheits- oder Eigentumsbeeinträchtigungen<br />
abzuwehren, durch die der Gewährleistungsgehalt des Art. 2<br />
Abs. 2 Satz 1 GG oder des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG angetastet wird<br />
(BVerwG, Urt. v. 23.5.1991 – 7 C 19.90, BVerwGE 88, 210 und vom<br />
28.10.1998 – 11 A 3.98, BVerwGE 107, 350; vgl. auch Urt. v.<br />
21.3.1996 – 4 C 9.95, BVerwGE 101, 1). <strong>Das</strong> Luftfahrt-Bundesamt<br />
würde diese Pflicht verletzen, wenn es an der Herstellung oder<br />
Fortsetzung solcher rechtswidrigen Eingriffe mitwirken würde. Es<br />
hat verfassungsmäßige Zustände zu gewährleisten und darf sich<br />
nicht damit begnügen, auf dieses Ziel bloß hinzuwirken. § 29 b<br />
Abs. 2 LuftVG setzt jedoch im Interesse des Lärmschutzes unterhalb<br />
der durch das Verfassungsrecht markierten äußersten Zumutbarkeitsgrenze<br />
an.<br />
2.2.3.2 Diese Feststellung rechtfertigt – entgegen der Ansicht der<br />
Klägerinnen – indes nicht die Schlussfolgerung, dass die Lärmschutzbelange<br />
bis hin zur Geringfügigkeitsgrenze bei der Festlegung<br />
von Flugverfahren keine andere Rolle spielen <strong>als</strong> in der Fachplanung.<br />
Wenn der Gesetzgeber in § 29 b Abs. 2 LuftVG von »unzumutbarem«<br />
Fluglärm spricht, dann liegt die Annahme fern, dass er<br />
mit diesem Attribut sämtliche Lärmeinwirkungen bezeichnet, die<br />
bei der Planfeststellung <strong>als</strong> Abwägungsposten zu Buche schlagen.<br />
Als unzumutbar qualifiziert er ersichtlich den Fluglärm, den er auch<br />
im luftrechtlichen Zulassungsrecht und im sonstigen Luftrecht <strong>als</strong><br />
unzumutbar bewertet. Entgegen der Auffassung der Klägerinnen<br />
liegt § 29 b Abs. 2 LuftVG auch nicht das Verständnis zugrunde, dass<br />
die Luftfahrtbehörden verpflichtet sind, darauf hinzuwirken, dass<br />
vermeidbarer Lärm unterbleibt. Nicht jeder Lärm, der vermeidbar<br />
ist, lässt darauf schließen, dass er unzumutbar ist. Als unzumutbar<br />
stuft der Gesetzgeber nur Lärmeinwirkungen ein, die durch das<br />
Qualifikationsmerkmal der Erheblichkeit die Schädlichkeitsgrenze<br />
ZUR 1/2005 | 29
RECHTSPRECHUNG | BVerwG, Festlegung von Flugrouten<br />
überschreiten (vgl. BVerwG, Urt. v. 7.10.1983 – 7 C 44.81, BVerw-<br />
GE 68, 62; vom 29.4.1988 – 7 C 33.87, BVerwGE 79, 254 und vom<br />
19.1.1989 – 7 C 77.87, BVerwGE 81, 197). Die einfachgesetzliche<br />
Grenzlinie der »Unzumutbarkeit« ist in § 29 b Abs. 2 LuftVG nicht<br />
anders zu ziehen <strong>als</strong> im Anwendungsbereich des § 29 Abs. 1 Satz 3<br />
LuftVG und im luftverkehrsrechtlichen Planungsrecht. Unterschiedlich<br />
geregelt sind lediglich die Rechtsfolgen.<br />
Die Lärmschutzklausel des § 29 b Abs. 2 LuftVG hebt sich in diesem<br />
Punkt insbesondere von dem Lärmschutzregime ab, das im<br />
luftverkehrsrechtlichen Zulassungsverfahren gilt. Nach § 6 Abs. 2<br />
Satz 1 LuftVG ist vor Erteilung der Genehmigung, die sowohl Unternehmergenehmigung<br />
<strong>als</strong> auch Planungsentscheidung sein<br />
kann, zu prüfen, ob der Schutz vor Fluglärm angemessen »berücksichtigt«<br />
ist. Mit diesem Berücksichtigungsgebot kennzeichnet der<br />
Gesetzgeber die Lärmschutzproblematik <strong>als</strong> unabdingbaren Bestandteil<br />
des Abwägungsmateri<strong>als</strong>. Auch im Rahmen der Planfeststellung<br />
spielt der Lärmschutz <strong>als</strong> Abwägungsposten eine maßgebliche<br />
Rolle. In § 9 Abs. 2 LuftVG kommt dies dadurch zum Ausdruck,<br />
dass dem Unternehmer im Planfeststellungsbeschluss die<br />
Errichtung und Unterhaltung der Anlagen aufzuerlegen ist, die zur<br />
Sicherung der Benutzung der benachbarten Grundstücke gegen<br />
Gefahren oder Nachteile notwendig sind. <strong>Das</strong> Nebeneinander von<br />
Gefahren und Nachteilen <strong>als</strong> je eigenständige Tatbestandsmerkmale<br />
macht deutlich, dass Schutzvorkehrungen nicht bloß zur Abwehr<br />
etwaiger Gesundheitsgefährdungen oder der Beeinträchtigung<br />
sonstiger verfassungsrechtlich geschützter Rechtsgüter geboten<br />
sind. Handlungsbedarf sieht der Gesetzgeber bereits auf einer<br />
der Gefahrenabwehr vorgelagerten Stufe. Mit dem Begriff der<br />
Nachteile markiert er eine zusätzliche Zumutbarkeitsschwelle. Im<br />
Bereich der Luftaufsicht folgt er diesem Regelungsmuster. Allerdings<br />
knüpft er an die Überschreitung der Zumutbarkeitsschwelle<br />
anders <strong>als</strong> in der Planfeststellung nicht die Verpflichtung, einen –<br />
vorrangig physisch-realen – Ausgleich zu schaffen. Vielmehr hält<br />
er die Luftfahrtbehörden lediglich dazu an, auf den Schutz der Bevölkerung<br />
vor unzumutbarem Fluglärm »hinzuwirken«. Mit dieser<br />
Regelung billigt er, dass unter bestimmten Umständen selbst unzumutbare<br />
Fluglärmbeeinträchtigungen ohne Ausgleich hinzunehmen<br />
sind. Gleichzeitig bringt er zum Ausdruck, dass sich die<br />
Luftfahrtbehörden über das Interesse, vor unzumutbarem Fluglärm<br />
bewahrt zu bleiben, nur unter engen Voraussetzungen hinwegsetzen<br />
dürfen. § 29 b Abs. 2 LuftVG normiert eine Regelverpflichtung,<br />
die Ausnahmen nur zulässt, wenn sich hierfür zwingende Gründe<br />
ins Feld führen lassen. Dies gilt auch für die Festlegung von Flugverfahren.<br />
Der Gesetzgeber trägt der Tatsache Rechnung, dass das<br />
Luftfahrt-Bundesamt nicht stets in der Lage ist, dem Lärmschutzziel<br />
des § 29 b Abs. 2 LuftVG gerecht zu werden. Durch die Festlegung<br />
von Flugrouten lässt sich das Ausmaß des Luftverkehrsaufkommens<br />
nicht beeinflussen. <strong>Das</strong> Luftfahrt-Bundesamt hat sich an<br />
der anderweitig getroffenen Grundentscheidung über den zulässigen<br />
Umfang der Verkehrsmenge auszurichten. Zum Lärmschutz<br />
kann es nur insoweit beitragen, <strong>als</strong> Sicherheitsanforderungen dies<br />
zulassen. Wo Verteilungsmaßnahmen unter Ausschöpfung aller sicherheitsrechtlich<br />
vertretbaren Möglichkeiten keine Abhilfe versprechen,<br />
kann es nicht dafür einstehen müssen, vor unzumutbarem<br />
Fluglärm zu schützen. Insoweit steht das durch § 29 b Abs. 2<br />
LuftVG vorgegebene Ziel unter dem Vorbehalt des Machbaren.<br />
Ist das Luftfahrt-Bundesamt mithin nicht daran gehindert, sich<br />
in dem Zielkonflikt zwischen Luftsicherheit und Lärmschutz für eine<br />
mit unzumutbaren Folgen verbundene Lösung zu entscheiden,<br />
so unterliegt es nach der Konzeption des Gesetzgebers doch einem<br />
besonderen Rechtfertigungszwang. Den Nachweis, dass schonendere<br />
Mittel nicht in Betracht kommen, kann es nur dann führen,<br />
wenn ihm überwiegende Gründe der sicheren, geordneten und<br />
flüssigen Abwicklung des Luftverkehrs zur Seite stehen. Auch in der<br />
Kollision mit gewichtigen Lärmschutzinteressen haben sicherheitsrelevante<br />
Erwägungen Vorrang. Der Schutz vor unzumutbarem<br />
Fluglärm ist von hoher Bedeutung, er darf aber nach der Wertung<br />
des Gesetzgebers nicht auf Kosten der Luftsicherheit gehen.<br />
2.2.3.3 Mit der in § 29 b Abs. 2 LuftVG getroffenen Bestimmung<br />
bringt der Gesetzgeber nicht im Sinne einer abschließenden Regelung<br />
zum Ausdruck, dass Fluglärm unterhalb der Zumutbarkeitsschwelle<br />
im Lärmschutzsystem des Luftverkehrsgesetzes außerhalb<br />
des Anwendungsbereichs der §§ 6 ff. LuftVG keine Rolle spielt. Jedenfalls<br />
bei der Festlegung von Flugverfahren lässt sich nicht in Abrede<br />
stellen, dass das Luftfahrt-Bundesamt eine Regelung trifft, die<br />
mindestens eine gewisse Nähe zu Planungsentscheidungen aufweist.<br />
Soweit Flugwege, Flughöhen und Meldepunkte festgelegt<br />
werden, wird ein räumlicher Bezug hergestellt. Durch die Festsetzung<br />
wird, einem Verkehrsweg vergleichbar, eine vertikal und horizontal<br />
definierte Linie im Raum verortet, auch wenn sich die<br />
Flugbewegungen mit Hilfe der Festlegungen nicht mit der gleichen<br />
Präzision wie beim Bau einer Straße oder eines Schienenweges<br />
an eine bestimmte Linienführung binden, sondern nur auf<br />
einen mehr oder weniger breiten Korridor kanalisieren lassen. Einen<br />
planerischen Einschlag hat die Flugroutenbestimmung auch<br />
insofern, <strong>als</strong> in der Umgebung eines Flughafens Lärmkonflikte bewältigt<br />
werden müssen.<br />
Anders <strong>als</strong> für den Fall unzumutbaren Fluglärms stellt der Gesetzgeber<br />
für geringere Lärmbelästigungen freilich kein Lösungsmodell<br />
zur Verfügung. Eine dem § 8 Abs. 1 Satz 2 LuftVG entsprechende<br />
Vorschrift, wonach die öffentlichen und die privaten Belange<br />
untereinander und gegeneinander abzuwägen sind, fehlt.<br />
Dieses gesetzgeberische Schweigen verbietet es, auf die in der<br />
Rechtsprechung zum fachplanerischen Abwägungsgebot entwickelten<br />
Grundsätze zurückzugreifen. <strong>Das</strong> BVerwG hat klargestellt,<br />
dass für die Abwägungsentscheidung, die das Luftfahrt-Bundesamt<br />
unter Berücksichtigung der Sicherheitsanforderungen auf<br />
der einen und der Lärmschutzinteressen auf der anderen Seite zu<br />
treffen hat, andere Maßstäbe gelten (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.6.2000<br />
– 11 C 13.99, a.a.O. und vom 26.11.2003 – 9 C 6.02, a.a.O.). Auszugehen<br />
ist von Folgendem: Soweit das Luftfahrt-Bundesamt zwischen<br />
verschiedenen Alternativen wählen kann, wäre es mit<br />
rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar, Lärmeinwirkungen,<br />
die sich ohne weiteres vermeiden oder vermindern lassen, in<br />
Kauf zu nehmen, nur weil sie von ihrem Ausmaß her noch nicht<br />
<strong>als</strong> schädlich, sondern bloß <strong>als</strong> lästig einzustufen sind. Auch unterhalb<br />
der Zumutbarkeitsschwelle brauchen Lärmbetroffene Belastungen<br />
nicht hinzunehmen, die sich zur Erreichung des mit einer<br />
bestimmten Maßnahme verfolgten Ziels objektiv <strong>als</strong> unnötig<br />
erweisen. Allerdings unterliegen die Luftfahrtbehörden in dem der<br />
Abwehr unzumutbaren Fluglärms vorgelagerten Bereich der Lärmvorsorge<br />
nicht dem Nachweis- und Rechtfertigungszwang, der für<br />
§ 29 b Abs. 2 LuftVG charakteristisch ist. Insoweit sieht der Gesetzgeber<br />
davon ab, die Abwägungsentscheidung mit den Mitteln<br />
des einfachen Rechts zu steuern. Er verpflichtet die Luftfahrtbehörden<br />
nicht, gezielt darauf hinzuwirken, dass der Bevölkerung<br />
Fluglärm jeder Art erspart bleibt, unabhängig davon, ob er den<br />
Rahmen des Zumutbaren überschreitet oder nicht. Die Wertung,<br />
die § 29 b Abs. 2 LuftVG zugrunde liegt, lässt den Schluss zu, dass<br />
das Interesse am Schutz vor Fluglärm, der nicht unzumutbar ist,<br />
hintangestellt werden darf, wenn sich hierfür sachlich einleuchtende<br />
Gründe ins Feld führen lassen. Dies trifft auch für die Festlegung<br />
von Flugverfahren zu. Muss die Entscheidung für eine bestimmte<br />
Flugroute nicht mit unzumutbaren Lärmbelastungen erkauft<br />
werden, so genügt es, wenn sie sich mit vertretbaren<br />
Argumenten untermauern lässt. <strong>Das</strong> Luftfahrt-Bundesamt braucht<br />
nicht obendrein den Nachweis zu erbringen, auch unter dem<br />
Blickwinkel des Lärmschutzes die angemessenste oder gar best-<br />
30 | ZUR 1/2005
BVerwG, Festlegung von Flugrouten | RECHTSPRECHUNG<br />
mögliche Lösung gefunden zu haben. Einen Rechtsverstoß begeht<br />
es nur dann, wenn es die Augen vor Alternativen verschließt, die<br />
sich unter Lärmschutzgesichtspunkten <strong>als</strong> eindeutig vorzugswürdig<br />
aufdrängen, ohne zur Wahrung der für den Flugverkehr unabdingbaren<br />
Sicherheitserfordernisse weniger geeignet zu sein.<br />
2.2.3.4 Die Lärmschutzvorschriften, denen das Luftfahrt-Bundesamt<br />
bei seiner Abwägungsentscheidung Rechnung zu tragen<br />
hat, sind – jedenfalls auch – dazu bestimmt, Drittschutzinteressen<br />
zu dienen. Der Gesetzgeber stellt in § 29 Abs. 1 LuftVG klar, dass<br />
die Luftfahrtbehörden die Aufgabe haben, Gefahren abzuwehren,<br />
die der öffentlichen Sicherheit durch die Luftfahrt drohen. Zu den<br />
Schutzgütern dieser, anderen »polizeilichen« Generalklauseln<br />
nachgebildeten Vorschrift gehört nicht nur die Aufrechterhaltung<br />
der Sicherheit der Allgemeinheit oder einer unbestimmten Personenmehrheit,<br />
sondern auch die Wahrung von Rechtspositionen,<br />
die für den Einzelnen von elementarer Bedeutung sind. Soweit Leben<br />
oder Gesundheit bedroht sind, ist eine Abwehr geboten. Erweiterte<br />
Schutzpflichten lassen sich daraus ableiten, dass der Gesetzgeber<br />
den Luftfahrtbehörden ein Mittel an die Hand gibt, unter<br />
den in § 29 Abs. 1 Satz 3 LuftVG bezeichneten Voraussetzungen<br />
auch Maßnahmen zur Abwehr von erheblichen Belästigungen<br />
durch Fluglärm zu ergreifen. Dem Schutzkonzept des § 29 b Abs. 2<br />
LuftVG liegen ähnliche Zielvorstellungen zugrunde. Der Schutz<br />
vor »unzumutbarem« Fluglärm steht <strong>als</strong> Synonym für den Schutz<br />
vor Fluglärm, durch den »erhebliche Belästigungen« hervorgerufen<br />
werden. Unbeschadet des § 2 Abs. 2 Satz 1 BImSchG bestimmt der<br />
Gesetzgeber das Anforderungsprofil im Bereich der Luftaufsicht in<br />
diesem Punkt in Anlehnung an das Bundes-Immissionsschutzgesetz.<br />
Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass die Vorschriften,<br />
die der Abwehr erheblicher Belästigungen im Sinne der Definition<br />
des § 3 Abs. 1 BImSchG dienen, Drittschutz vermitteln (vgl.<br />
BVerwG, Urt. v. 30.9.1983 – 4 C 74.78, BVerwGE 68, 58 und vom<br />
24.9.1992 – 7 C 7.92, Buchholz 406.12 § 15 BauNVO Nr. 22; Beschl.<br />
v 9.2.1996 – 11 VR 46.95, Buchholz 406.25 § 22 BImSchG Nr. 13).<br />
Nichts anderes gilt für den durch § 29 b Abs. 2 LuftVG begründeten<br />
Schutz der »Bevölkerung«. Zu dem damit geschützten Personenkreis<br />
gehören die im Einwirkungsbereich eines Flugplatzes lebenden<br />
Menschen einschließlich der Eigentümer von Grundstücken,<br />
die unzumutbarem Fluglärm ausgesetzt sind. Wegen der<br />
planungsähnlichen Wirkungen der Festlegung von Flugrouten ist<br />
eine drittschützende Wirkung auch für solche Personen zu bejahen,<br />
die keinem unzumutbaren Fluglärm im Sinne des § 29 b Abs. 2<br />
BImSchG ausgesetzt werden, deren Lärmschutzinteressen das Luftfahrt-Bundesamt<br />
bei seiner Abwägungsentscheidung aber gleichwohl<br />
im Rahmen des rechtsstaatlich unerlässlichen Minimums<br />
Rechnung zu tragen hat.<br />
2.2.4 Gemessen an diesen Grundsätzen bietet die 5. ÄndVO zu<br />
der 212. DVO-LuftVO keinen Anlass zu rechtlichen Bedenken.<br />
2.2.4.1 Die Klägerinnen machen selbst nicht geltend, <strong>als</strong> Eigentümerinnen<br />
von Wohngrundstücken im Einwirkungsbereich<br />
der von ihnen bekämpften Flugrouten Fluglärm ausgesetzt zu werden,<br />
der im luftaufsichtlichen Sinne unzumutbar ist. Der Gesetzgeber<br />
hat es trotz der hieran in der Literatur geübten Kritik (vgl. Berkemann,<br />
Fluglärm – Offene, aber zu lösende Rechtsfragen,<br />
ZUR 2002, 202 (205); Storost, Umweltprobleme bei der Zulassung<br />
von Flughäfen – Materielle Schutzstandards, NVwZ 2004, 257 (263<br />
ff.)) bisher unterlassen, das Maß des Zumutbaren normativ festzuschreiben.<br />
Nach der Rechtsprechung ist die Grenze einzelfallbezogen<br />
nach den konkreten Verhältnissen zu ziehen. Dahinstehen<br />
kann, welche Lärmwerte sich <strong>als</strong> Indikator dafür eignen, dass ein<br />
kritischer Bereich erreicht ist. Keine der bisherigen Entscheidungen<br />
des BVerwG (vgl. beispielhaft BVerwG, Urt. v. 7.7.1978 – 4 C<br />
79.76 u.a., BVerwGE 56, 110; v. 29.1.1991 – 4 C 51.89, BVerwGE<br />
87, 332 und v. 27.10.1998 – 11 A 1.97, BVerwGE 107, 313) bietet<br />
auch nur ansatzweise Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerinnen<br />
durch den von ihnen bekämpften Fluglärm in unzumutbarer Weise<br />
beeinträchtigt sein könnten. Die Ergebnisse der im Jahre 2000<br />
vorgenommenen Lärmmessungen lassen insoweit keine Zweifel<br />
aufkommen. Als höchster Mittelungspegel wurden knapp 50 dB(A)<br />
am Tag und annähernd 43 dB(A) bei Nacht festgestellt. Werte in einer<br />
solchen Größenordnung halten sich allemal im Rahmen des<br />
Hinnehmbaren (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.11.2003 – 9 C 6.02, a.a.O.).<br />
2.2.4.2 Bringt die 5. ÄndVO zu der 212. DVO-LuftVO ebenso wenig<br />
wie ihre Vorgängerregelungen keine unzumutbaren Lärmbeeinträchtigungen<br />
mit sich, so kann sich das Luftfahrt-Bundesamt zu ihrer<br />
Rechtfertigung mit dem Nachweis begnügen, dass sie auf sachlichen<br />
Erwägungen beruht, die nach Lage der Dinge geeignet sind, sich<br />
gegen die Lärmschutzinteressen der Klägerinnen durchzusetzen.<br />
<strong>Das</strong> Erstgericht gibt im angefochtenen Urteil (UA S. 6/7) die wesentlichen<br />
Gründe wieder, die das Luftfahrt-Bundesamt zu der veränderten<br />
Flugroutenführung veranlasst haben: Auslöser war die<br />
Anpassung des deutschen Flugverkehrsstreckennetzes an das im<br />
Laufe der 90er Jahre überarbeitete europäische Streckenkonzept,<br />
aus dem sich Konsequenzen auch für die Zubringerstrecken ergaben,<br />
da der Raum Frankfurt nicht mehr bloß von einer, sondern<br />
von zwei Überflugstrecken in Nord-Süd-Richtung mit festen und<br />
variablen Abdrehpunkten berührt wird. Die Anflüge zum Flughafen<br />
Frankfurt aus nordwestlicher Richtung wurden aus dem Hauptverkehrsstrom<br />
ausgegliedert und zum Einflugpunkt ETARU geführt.<br />
Um An- und Abflugverkehr auf praktisch ein und derselben<br />
Strecke zu vermeiden, wurden die Abflüge nicht mehr über TAU geleitet,<br />
sondern auf die Ausflugpunkte GOGAS-BIBOS (Nordwesten)<br />
und TABUM (Nordosten) verteilt. Dadurch, dass die Mehrzahl der<br />
Flugzeuge, die anstatt über TAU nunmehr über TABUM abfliegen,<br />
bereits am Punkt R 260 nach Norden abdreht, wird im Übrigen die<br />
Bevölkerung in der Umgebung von Mainz, Wiesbaden, Wicker,<br />
Delkenheim und Massenheim, die bisher unter erheblichen<br />
Fluglärmeinwirkungen litt, spürbar entlastet. <strong>Das</strong> Erstgericht<br />
räumt ein, dass sich das Luftfahrt-Bundesamt nicht ohne Berücksichtigung<br />
der zu beachtenden Belange auf die Abflugrouten festgelegt<br />
hat, die den Regelungsgegenstand der 5. ÄndVO zu der<br />
212. DVO-LuftVO bilden, sondern der Frage nachgegangen ist, ob<br />
andere Streckenführungen in Betracht kommen. Es weist darauf<br />
hin, dass die 13. ÄndVO zur 177. DVO-LuftVO, <strong>als</strong> deren Fortschreibung<br />
sich die 5. ÄndVO zu der 212. DVO-LuftVO darstellt,<br />
das Ergebnis einer Ende 2000 durchgeführten Computersimulation<br />
war, bei der das von der Technischen Universität Darmstadt entwickelte<br />
sog. NIROS-Programm (= Noise Impact Reduction and<br />
Optimization System) verwendet wurde. Kernstück dieses Programms<br />
ist die Bewertung von Fluglärmeinflüssen anhand einer<br />
Gewichtung errechneter Immissionspegel mit der örtlichen Bevölkerungsverteilung.<br />
<strong>Das</strong> Verfahren wird von der Beklagten wie<br />
folgt beschrieben: In Anknüpfung an simulierte Flugspuren wird<br />
die Lärmbelastung am Boden in der Weise bestimmt, dass auf der<br />
Grundlage der Immissionen der Flugzeuge verschiedener Luftfahrzeugkategorien<br />
nach den Gesetzen der Schallausbreitung in<br />
der Atmosphäre insbesondere unter Berücksichtigung der Parameter<br />
Temperatur und Luftfeuchtigkeit die Schallimmissionen am Boden<br />
berechnet werden. Die für die verschiedenen Streckenführungen<br />
ermittelten Immissionswerte werden in Beziehung zu der jeweiligen<br />
Bevölkerungsdichte gesetzt. Der Wert dieses Integr<strong>als</strong> wird<br />
<strong>als</strong> Maß für die Fluglärmbelastung der betroffenen Bevölkerung genommen.<br />
Er dient <strong>als</strong> Gütekriterium, an dem die einzelnen<br />
Streckenführungen gemessen werden. Zu dem Zeitpunkt, <strong>als</strong> die<br />
Berechnungen für die TABUM-Route angestellt wurden, waren<br />
Höhenprofildaten unstreitig noch nicht Teil des NIROS-Programms,<br />
auch wenn das Luftfahrt-Bundesamt geltend macht, bei<br />
seiner Entscheidung der Topografie in generalisierter Form inso-<br />
ZUR 1/2005 | 31
RECHTSPRECHUNG | BVerwG, Festlegung von Flugrouten<br />
fern Rechnung getragen zu haben, <strong>als</strong> in das Berechnungsprogramm<br />
die nach § 6 LuftVO erforderlichen Mindestflughöhen eingestellt<br />
worden seien.<br />
2.2.4.3 <strong>Das</strong> Erstgericht wertet die Nichtberücksichtigung der<br />
tatsächlichen Höhenverhältnisse zu Unrecht <strong>als</strong> Ermittlungsdefizit.<br />
Es misst dem Umstand, dass zwischen dem Flughafenniveau<br />
und den beim Abflug in Richtung TABUM überflogenen höchstgelegenen<br />
Geländeteilen eine Höhendifferenz von mehr <strong>als</strong> 500 m<br />
besteht, eine Bedeutung bei, die ihm bei Anlegung der insoweit<br />
maßgeblichen rechtlichen Maßstäbe nicht zukommt.<br />
Wie weit die Ermittlungspflicht reicht, richtet sich nach den materiellrechtlichen<br />
Anforderungen. Gibt das materielle Recht lediglich<br />
einen groben Maßstab vor, so bedarf es nicht der Ermittlung<br />
von Details, auf die es für die Entscheidung nicht ankommt. <strong>Das</strong><br />
Anforderungsprofil bei der Festlegung von Flugverfahren lässt sich<br />
aus Gründen der Sachgesetzlichkeit nicht in Anlehnung an die<br />
Grundsätze bestimmen, die im Fachplanungsrecht für das Abwägungsgebot<br />
entwickelt worden sind. <strong>Das</strong> BVerwG hat bereits in den<br />
Urteilen vom 28.6.2000 – 11 C 13.99 (a.a.O.) und vom 26.11.2003<br />
– 9 C 6.02 (a.a.O.) auf die Besonderheiten hingewiesen, durch die<br />
Flugverfahren gekennzeichnet sind. Flugstrecken lassen sich im<br />
Gegensatz zu Verkehrswegeplanungen am Boden nicht so festlegen,<br />
dass parzellenscharf festgestellt werden kann, mit welchen Beeinträchtigungen<br />
Dritte rechnen müssen. Die Immissionen, die<br />
von Luftfahrzeugen ausgehen, hängen von verschiedenen Faktoren<br />
ab. Neben dem Flugzeugtyp, der Triebwerksleistung und dem<br />
Gewicht des Luftfahrzeugs sind vor allem die meteorologischen<br />
Verhältnisse, wie etwa die Windrichtung und -geschwindigkeit sowie<br />
die Lufttemperatur, von Bedeutung. Wegen dieser Imponderabilien<br />
ist die Schallausbreitung nicht exakt vorhersehbar. Dies<br />
zwingt bei der Ermittlung und der Bewertung der Belastungssituation<br />
zu Pauschalierungen. Die Sachverhaltsfeststellungen können<br />
sich durchweg darauf beschränken, anhand von aktuellem Kartenmaterial,<br />
das zuverlässig Aufschluss über die Siedlungsstruktur<br />
bietet, näher aufzuklären, wie groß der Kreis potenzieller Lärmbetroffener<br />
ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.6.2000 – 11 C 13.99, a.a.O. und<br />
v. 26.11.2003 – 9 C 6.02, a.a.O.). Weitere Ermittlungen sind nur<br />
dann anzustellen, wenn die konkreten Umstände hierzu Anlass geben.<br />
Welche Untersuchungstiefe hierbei sachlich und räumlich geboten<br />
ist, richtet sich vornehmlich nach dem Ausmaß der Lärmbelastung.<br />
Ist <strong>als</strong> wahrscheinlich oder gar <strong>als</strong> gewiss davon auszugehen,<br />
dass durch den Flugverkehr auf der festgelegten Route<br />
unzumutbarer Lärm im Sinne des § 29 b Abs. 2 LuftVG hervorgerufen<br />
wird, so hat das Luftfahrt-Bundesamt umso intensiver zu<br />
prüfen, ob sich Streckenalternativen anbieten, die Abhilfe versprechen,<br />
je deutlicher die Zumutbarkeitsschwelle voraussichtlich<br />
überschritten wird. Liegt der Schluss auf unzumutbare Lärmbeeinträchtigungen<br />
dagegen von vornherein fern, so erübrigt es sich, alle<br />
Einzeltatsachen zu ermitteln, die geeignet sind, diese Annahme<br />
zu erhärten. Verfügt das Luftfahrt-Bundesamt über eine Tatsachengrundlage,<br />
die für eine an § 29 b Abs. 2 LuftVG orientierte<br />
Lärmbeurteilung ausreicht, so kann es sich weitere Nachforschungen,<br />
die keine entscheidungsrelevanten zusätzlichen Erkenntnisse<br />
versprechen, ersparen.<br />
<strong>Das</strong> Erstgericht macht selbst nicht geltend, dass das Luftfahrt-<br />
Bundesamt die topografischen Verhältnisse gänzlich übergangen<br />
habe. Es räumt ausdrücklich ein, dass »mit der Prüfung der zulässigen<br />
Mindestflughöhe« der Geländeanstieg durchaus »in den Entscheidungsprozess<br />
eingeflossen« ist (UA S. 25). Weshalb insoweit<br />
zusätzlicher Ermittlungsbedarf bestanden haben soll, legt es nicht<br />
dar. Insbesondere lässt es unberücksichtigt, dass das Luftfahrt-Bundesamt<br />
dem Problem der Flughöhe nicht bloß unter dem Blickwinkel<br />
der §§ 6 und 36 LuftVO Bedeutung beigemessen hat. Die<br />
<strong>als</strong> rechtswidrig qualifizierten Flugrouten dürfen nur dann benutzt<br />
werden, wenn genau definierte Bedingungen erfüllt sind. Vorausgesetzt<br />
wird, dass am Punkt R 260 FFM eine Höhe von 3 500 ft NN<br />
erreicht ist. Nur die Flugzeuge, die diesem Erfordernis gerecht werden,<br />
dürfen an diesem Punkt nach Norden abdrehen. Die übrigen<br />
haben den westlichen Kurs zunächst beizubehalten. Auch die Flugzeuge,<br />
die am Punkt R 260 FFM eine Höhe von 3 500 ft NN erreicht<br />
haben, dürfen den Punkt TABUM nicht nach Belieben anfliegen.<br />
Sie haben vielmehr zunächst den Punkt TAU im Norden anzusteuern.<br />
Erst wenn sie eine Höhe von 4 400 ft NN erreicht haben,<br />
dürfen sie nach Nordosten abdrehen und über das Gebiet der Klägerinnen<br />
hinweg in Richtung TABUM fliegen. Entgegen der Würdigung<br />
des Verwaltungsgerichtshofs hat das Luftfahrt-Bundesamt<br />
mithin sein Augenmerk nicht in Anlehnung an die in den §§ 6 und<br />
36 LuftVO getroffenen Regelungen allein »auf die Einhaltung von<br />
Mindeststandards« gerichtet (UA S. 26), sondern die Flughöhe so<br />
festgelegt, dass eine Überschreitung der gesetzlich vorgeschriebenen<br />
Mindestflughöhe um mehrere hundert Meter sichergestellt<br />
ist. Genauere Untersuchungen der topografischen Verhältnisse<br />
hätten sich ihm nur dann aufzudrängen brauchen, wenn trotz des<br />
4 400 ft-Kriteriums Anhaltspunkte dafür vorhanden gewesen<br />
wären, dass die festgelegte Flughöhe nicht ausreicht, um Lärmbeeinträchtigungen<br />
in dem nach § 29 b Abs. 2 LuftVG kritischen Bereich<br />
zu vermeiden. Umstände, die in diese Richtung hätten deuten<br />
können, werden weder vom Verwaltungsgerichtshof noch von<br />
den Klägerinnen aufgezeigt; sie sind auch sonst nicht ersichtlich.<br />
Die Ergebnisse der inzwischen vorgenommenen Lärmmessungen<br />
lassen sich im Gegenteil <strong>als</strong> Beleg dafür werten, dass sich das Luftfahrt-Bundesamt<br />
mit seinen Höhenfestlegungen auf der sicheren<br />
Seite wähnen durfte.<br />
2.2.4.4 Bot die festgelegte Flugroute unter Lärmschutzgesichtspunkten<br />
keinen Anlass zu Bedenken, so musste das Luftfahrt-Bundesamt<br />
die topografischen Verhältnisse nicht zum Gegenstand eingehenderer<br />
Untersuchungen machen. Die Vorzugswürdigkeit anderer<br />
Streckenführungen hing nicht vom Geländerelief der<br />
Hochtaunusregion ab. Der Verwaltungsgerichtshof stellt nicht in<br />
Abrede, dass das Luftfahrt-Bundesamt im NIROS-Verfahren Alternativrouten<br />
untersucht, wegen ungünstigerer Gütewerte aber verworfen<br />
hat. Er weist darauf hin, dass die von den Klägerinnen befürwortete<br />
Routenverschiebung »auf den ersten Blick keine Verbesserung<br />
der Lärmsituation insgesamt verspricht«. Als Grund<br />
nennt er, dass »dieser Bereich wohl dichter besiedelt ist <strong>als</strong> der jetzt<br />
betroffene«. Positive Wirkungen lassen sich nach seiner eigenen<br />
Einschätzung im Falle einer Routenverschiebung allenfalls dadurch<br />
erzielen, dass »die Intensität der Betroffenheit infolge größerer<br />
Flughöhen deutlich reduziert werden« kann (UA S. 26). Indes<br />
lassen sich die Klägerinnen nicht <strong>als</strong> Opfer intensiver Lärmeinwirkungen<br />
kennzeichnen. <strong>Das</strong>s sich mit einer modifizierten Streckenführung<br />
ihre Lärmbelastung verringern ließe, ist weder ein Indiz<br />
noch gar ein Beleg für eine auf sachfremde Erwägungen gestützte<br />
Auswahlentscheidung. Für ein Ungültigkeitsverdikt genügt nicht<br />
der Hinweis, dass eine bestimmte, die Klägerinnen weniger belastende<br />
Alternative möglich gewesen wäre. Hinzukommen muss,<br />
dass sich dem Luftfahrt-Bundesamt unter Berücksichtigung aller<br />
entscheidungserheblichen Kriterien gerade diese Alternative hätte<br />
aufdrängen müssen. Soweit der Abwägungsspielraum, den der Gesetzgeber<br />
eröffnet, nicht durch die in § 29 b Abs. 2 LuftVG enthaltene<br />
Direktive eingeschränkt wird, ist die Festsetzung von Flugverfahren<br />
nur daraufhin überprüfbar, ob sie mit guten Gründen<br />
sachlich vertretbar ist. Nach der gesetzlichen Wertung gehört das<br />
Lärmschutzinteresse zwar zu den Gesichtspunkten, denen im Rahmen<br />
der Festlegung nach § 27 a Abs. 2 LuftVO rechtliche Relevanz<br />
zukommt. <strong>Das</strong> bedeutet aber entgegen der Auffassung der Vorinstanz<br />
nicht, dass es unabhängig davon, wie schwer es im konkreten<br />
Fall wiegt, <strong>als</strong> ein Posten zu Buche schlägt, dem im Wege einer<br />
32 | ZUR 1/2005
OVG Brandenburg, Fluglärm | RECHTSPRECHUNG<br />
»Optimierung« (UA S. 26) Rechnung zu tragen ist. Der Gesetzgeber<br />
gibt kein bestimmtes Ergebnis vor. <strong>Das</strong> Luftfahrt-Bundesamt<br />
hat nach Maßgabe der Flugsicherheitserfordernisse zu beurteilen,<br />
ob die Flugbewegungen eher gebündelt oder gestreut werden und<br />
die Lärmbelastung nach Art eines großräumigen Lastenausgleichs<br />
aufgeteilt werden oder bestimmte Gebiete möglichst verschont<br />
bleiben sollen. Ebenso ist seiner Entscheidung vorbehalten, ob bei<br />
der Bewertung der Belange stärker auf das Ausmaß der Betroffenheit<br />
oder die Zahl der betroffenen Bewohner abgestellt werden soll<br />
(vgl. OVG Münster, Urt. v. 4.3.2002, NW VBl. 2003, 95). Nicht jede<br />
noch so geringfügige Änderung bei der Lärmverteilung lässt<br />
sich <strong>als</strong> Indiz für ein Abwägungsdefizit werten. Entscheidend ist die<br />
Gesamtbilanz.<br />
2.3 <strong>Das</strong> angefochtene Urteil stellt sich nicht im Sinne des § 144<br />
Abs. 4 VwGO aus anderen Gründen im Ergebnis <strong>als</strong> richtig dar.<br />
2.3.1 Die Klägerinnen rügen ohne Erfolg, im Vorfeld der von ihnen<br />
angegriffenen Flugroutenbestimmung nicht angehört worden<br />
zu sein. Mit einem vergleichbaren Einwand hat sich der 9. Senat<br />
des BVerwG im Urt. v. 26.11.2003 – 9 C 6.02 (a.a.O.) auseinander<br />
gesetzt. Der erkennende Senat schließt sich diesen Ausführungen<br />
an: Weder das Luftverkehrsgesetz noch die Luftverkehrs-Verordnung<br />
enthalten Vorschriften, die darauf hindeuten, dass lärmbetroffene<br />
Gemeinden vor der Festlegung von Flugverfahren zu beteiligen<br />
sind. Stattdessen sieht § 32 b LuftVG bei Maßnahmen der<br />
für die Flugsicherung zuständigen Stellen zum Schutz gegen<br />
Fluglärm die Einschaltung der Fluglärmkommission vor. Diese Einrichtung<br />
hat, wie aus Abs. 1 zu ersehen ist, eine beratende Funktion.<br />
Nach Abs. 4 Satz 1 spiegeln sich in ihrer Zusammensetzung die<br />
gegensätzlichen Interessen im Umfeld eines Flugplatzes wider.<br />
Denn neben Vertretern der vom Fluglärm betroffenen Nachbargemeinden<br />
sollen der Kommission u.a. auch Vertreter der Flugfahrzeughalter<br />
und des Flugplatzunternehmers angehören. Auf einfachgesetzlicher<br />
Ebene hat es damit sein Bewenden, dass die<br />
Gemeinden im Rahmen der Fluglärmkommission an Stellungnahmen<br />
und Empfehlungen zu Lärmschutzfragen mitwirken.<br />
Art. 28 Abs. 2 GG vermittelt kein weitergehendes Beteiligungsrecht.<br />
2.3.2 Auch aus § 7 Satz 1 BauGB können die Klägerinnen nichts<br />
für sich herleiten. Die Ausführungen des Erstgerichts zu diesem<br />
Punkt lassen keinen Rechtsfehler erkennen. Anders <strong>als</strong> in § 4 Abs. 1<br />
BauGB ist in § 7 Satz 1 BauGB nicht allgemein von Trägern öffentlicher<br />
Belange, sondern von öffentlichen Planungsträgern die Rede.<br />
Der Verwaltungsgerichtshof macht zu Recht darauf aufmerksam,<br />
dass bereits höchst zweifelhaft ist, ob das Luftfahrt-Bundesamt<br />
<strong>als</strong> »Planungsträger« im Sinne dieser Bestimmung angesehen<br />
werden kann. Jedenfalls kommt ein Verstoß gegen die durch § 7<br />
Satz 1 BauGB unter den dort genannten Voraussetzungen begründete<br />
Anpassungspflicht nicht in Betracht. Der Gesetzgeber weist<br />
den Gemeinden in § 1 Abs. 1 BauGB die Aufgabe zu, im Wege der<br />
Bauleitplanung die bauliche und die sonstige Nutzung der Grundstücke<br />
in der Gemeinde vorzubereiten und zu leiten. Was Inhalt eines<br />
Flächennutzungsplans sein kann, lässt sich der beispielhaften<br />
Aufzählung in § 5 Abs. 2 BauGB entnehmen. Zwischen der Festlegung<br />
von Flugverfahren und den Bodennutzungsregelungen, die<br />
den Gegenstand von Darstellungen in einem Flächennutzungsplan<br />
bilden können, besteht kein Konkurrenzverhältnis. Durch<br />
Maßnahmen auf der Grundlage des § 27 a Abs. 2 LuftVO wird kein<br />
Grund und Boden in Anspruch genommen. Die Festlegung von<br />
Flugverfahren führt, selbst wenn sie mit erheblichen Lärmeinwirkungen<br />
einhergeht, nicht zu einem unmittelbaren Widerspruch<br />
sich gegenseitig ausschließender Raumansprüche. Die Gefahr, dass<br />
ein und dasselbe Grundstück mit unterschiedlicher oder gar gegensätzlicher<br />
Zielrichtung überplant wird, besteht nicht.<br />
2.3.3 Ohne Erfolg halten die Klägerinnen dem Luftfahrt-Bundesamt<br />
vor, nicht beachtet zu haben, dass in dem durch Fluglärm<br />
betroffenen Gebiet des Hochtaunus-, des Main-Taunus- und des<br />
Rheingau-Taunus-Kreises mehrere FFH- und Vogelschutzgebiete<br />
gemeldet worden sind. Dahinstehen kann, ob eine Flugroutenfestlegung<br />
geeignet ist, diese Gebiete im Sinne des § 34 Abs. 2<br />
BNatSchG in ihren für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck<br />
maßgeblichen Bestandteilen erheblich zu beeinträchtigen. Selbst<br />
wenn dies zuträfe, ließe der insoweit geltend gemachte Verstoß<br />
nicht auf eine Verletzung von Rechten der Klägerinnen schließen.<br />
Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Senats, dass Gemeinden,<br />
die sich gegen sie belastende Maßnahmen zur Wehr setzen,<br />
nicht unter Hinweis auf ihre Planungshoheit oder ihre sonstigen<br />
Belange eine umfassende Rechtmäßigkeitsprüfung fordern können.<br />
Ihnen ist es verwehrt, sich zum gesamtverantwortlichen<br />
Wächter des Natur- und des sonstigen Umweltschutzes aufzuschwingen<br />
und <strong>als</strong> solcher Belange der Allgemeinheit zu wahren, die<br />
nicht speziell ihrem Selbstverwaltungsrecht zugeordnet sind (vgl.<br />
BVerwG, Urt. v. 21.3.1996 – 4 C 26.94, BVerwGE 100, 388, v.<br />
26.2.1999 – 4 A 47.96, Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 148 und v.<br />
11.1.2001 – 4 A 12.99, Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 161). <strong>Das</strong> Vorbringen<br />
der Klägerinnen bietet keinen Anlass, von dieser Rechtsprechung<br />
abzurücken.<br />
Fluglärm – Fehlerhafte Abwägung von<br />
Spitzenpegelbelastungen<br />
OVG Brandenburg, Urteil vom 9. Juni 2004 – 3 D 29/01.AK<br />
1. 1. Zum Anwendungsbereich der Genehmigungsfiktion nach<br />
§ 71 Abs. 1 S. 1 LuftVG.<br />
2. Für die planerische Rechtfertigung eines Konversionsprojekts<br />
genügt es, wenn mit einer von einem konkret feststellbaren<br />
Bedarf losgelösten Angebotsplanung beispielsweise<br />
eine Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur<br />
bezweckt wird.<br />
3. Bei der Beurteilung von Fluglärm kann nicht ausschließlich<br />
auf errechnete Mittelungspegel abgestellt werden; wegen<br />
der intermittierenden Art des Fluglärms ist daneben eine<br />
Berechnung und Bewertung auch der auftretenden Spitzenpegel<br />
erforderlich.<br />
(Leitsätze der Redaktion)<br />
Vorinstanz: VGH Kassel vom 11.2.2003 – 2 A 1062/01 –<br />
Aus dem Tatbestand: Die Kläger wenden sich gegen eine der<br />
Beigeladenen erteilte Änderungsgenehmigung zur zivilen<br />
Nachnutzung des ehem<strong>als</strong> militärisch genutzten Flugplatzes<br />
Fürstenwalde. (…)<br />
Aus den Gründen: Der Senat ist gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 6 der<br />
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) für die Entscheidung über<br />
die Klagen zuständig. Nach dieser Vorschrift entscheidet das<br />
Oberverwaltungsgericht im ersten Rechtszug über sämtliche<br />
Streitigkeiten, die das Anlegen, die Erweiterung oder Änderung<br />
und den Betrieb von Verkehrsflughäfen und von Verkehrslandeplätzen<br />
mit beschränktem Bauschutzbereich betreffen. Um eine<br />
solche Streitigkeit handelt es sich hier.<br />
A. Die – fristgerecht erhobenen – Klagen sind mit dem Hauptantrag<br />
zulässig.<br />
I. Die Kläger <strong>als</strong> Eigentümer von mit Wohnhäusern bebauten<br />
Grundstücken in unmittelbarer Nähe zu dem Flugplatz sind klage-<br />
ZUR 1/2005 | 33
RECHTSPRECHUNG | OVG Brandenburg, Fluglärm<br />
befugt (§ 42 Abs. 2 VwGO), denn sie können geltend machen, durch<br />
die Änderungsgenehmigung in eigenen Rechten verletzt zu sein. (…)<br />
1. Die Grundstücke der Kläger liegen im Einwirkungsbereich des<br />
von dem Flugplatz ausgehenden Fluglärms. (…)<br />
2. Zwar können sich die Kläger im Hinblick auf diese Werte nicht<br />
darauf berufen, dass der Fluglärm schwer und unerträglich in ihr<br />
Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 1 GG) oder<br />
in ihr Eigentumsgrundrecht (Art. 14 Abs. 1 GG) eingreife. Derartige<br />
Auswirkungen von Fluglärm können erst bei erheblich höheren<br />
Dauer- und Maxim<strong>als</strong>challpegeln angenommen werden. Ein am<br />
Tage auftretender äquivalenter Dauerschallpegel von 50 bis 55<br />
dB(A) stellt ausweislich des Sondergutachtens des Rates von Sachverständigen<br />
für Umweltfragen, Umwelt und Gesundheit – Risiken<br />
richtig einschätzen (BT-Drs. 14/2300 vom 15.12.1999 – SRU 1999,<br />
S. 163) lediglich den Schwellenwert für Belästigungsreaktionen<br />
dar. Die Schwelle zu Gesundheitsgefährdungen bei am Tage auftretenden<br />
Maximalpegeln wird bei 19 Lärmereignissen täglich mit<br />
einem Pegel von 99 dB(A) <strong>als</strong> überschritten betrachtet (S. 184 des<br />
Gutachtens).<br />
3. Die Kläger können jedoch geltend machen, die Änderungsgenehmigung<br />
verletze sie in ihrem Recht auf gerechte Abwägung ihrer<br />
privaten Belange. Die Erteilung einer Änderungsgenehmigung<br />
nach § 8 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 6 Abs. 4 Satz 2 des Luftverkehrsgesetzes<br />
(LuftVG) stellt eine planerische Ermessensentscheidung dar,<br />
denn ihr folgt ein weiterer luftverkehrsrechtlicher Zulassungsakt in<br />
Form einer Planfeststellung oder Plangenehmigung nicht nach. Ihr<br />
kommt somit eine Doppelnatur zu; sie ist sowohl (endgültige) luftverkehrsrechtliche<br />
Zulassungsentscheidung <strong>als</strong> auch Unternehmergenehmigung<br />
und folgt somit Planungsgrundsätzen (BVerwG,<br />
Beschl. v. 7.11.1996 – 4 B 170.96, Buchholz 442.40. § 8 LuftVG Nr.<br />
13 sowie Urt. v. 11.7.2001 – 11 C 14.00, zit. nach Juris; Hoffmann/Grabherr,<br />
Luftverkehrsgesetz, Kommentar, Stand März 2004,<br />
§ 6 Rn. 102). <strong>Das</strong> für das Planungsrecht allgemein geltende Abwägungsgebot<br />
räumt den von der Planung Betroffenen ein subjektives<br />
Recht auf gerechte Abwägung ihrer eigenen Belange ein. Die<br />
Lärmschutzbelange der Kläger sind nicht offensichtlich nicht abwägungserheblich,<br />
weil mit Blick auf die prognostizierten Werte<br />
nicht davon ausgegangen werden kann, dass die zu erwartende<br />
Lärmbeeinträchtigung lediglich geringfügig ist und deshalb vernachlässigt<br />
werden kann (vgl. auch Hoffmann/Grabherr, a.a.O., § 6<br />
Rn. 54 a). Wie bereits dargelegt, ist bei einem äquivalenten Dauerschallpegel<br />
von 50 bis 55 dB(A) bereits mit Belästigungsreaktionen<br />
der Betroffenen zu rechnen. Eine Fehlgewichtung der Lärmschutzbelange<br />
der Kläger ist somit nicht von vorneherein ausgeschlossen.<br />
(…)<br />
II. Den Klagen fehlt auch weder insgesamt noch hinsichtlich einzelner<br />
möglicherweise abtrennbarer Regelungen der angegriffenen<br />
Bescheide das Rechtsschutzbedürfnis. Grundsätzlich ist vom Bestehen<br />
eines Rechtsschutzbedürfnisses auszugehen; dieses ist nur<br />
bei Vorliegen besonderer Umstände zu verneinen (Schoch/Schmidt-<br />
Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, Stand<br />
September 2003, Vorb. § 40 Rn. 80 m.w.N.). (…)<br />
2. Ein Rechtsschutzbedürfnis für die Klagen kann auch nicht im<br />
Hinblick auf die Regelung des § 71 Abs. 1 Satz 1 LuftVG verneint<br />
werden. Dieser Vorschrift zufolge gilt ein bis zum 2.10.1990 im Beitrittsgebiet<br />
angelegter Flugplatz, der am 1.3.1999 noch betrieben<br />
wurde, <strong>als</strong> genehmigt und, wenn er der Planfeststellung bedarf, <strong>als</strong><br />
im Plan festgestellt. An dieser Stelle kann dahinstehen, ob diese<br />
Fiktionswirkung hier überhaupt eingreift. Von einer fingierten Genehmigung<br />
wird die südliche Start- und Landebahn schon deshalb<br />
nicht erfasst, weil sie in dem maßgeblichen Zeitraum nicht genutzt<br />
wurde, wie unten ausgeführt. Jedenfalls erstreckt sich eine denkbare<br />
Genehmigungsfiktion nach § 71 Abs. 1 Satz 1 LuftVG nicht<br />
darauf, dass der Beigeladenen die zivile Nachnutzung des ehemaligen<br />
Militärflugplatzes <strong>als</strong> Verkehrslandeplatz gestattet wäre. <strong>Das</strong><br />
Erfordernis einer Änderungsgenehmigung für die Konversion des<br />
Militärflugplatzes ist erst mit der Entlassung des Flugplatzes aus der<br />
militärischen Trägerschaft im Jahre 1995 entstanden, mithin zu einem<br />
Zeitpunkt, <strong>als</strong> das Luftverkehrsgesetz bereits Anwendung auf<br />
den Flugplatz fand. Die gesetzlich angeordnete Fiktion dient aber<br />
nur dazu, für vor dem 3.10.1990 angelegte und am 1.3.1999 noch<br />
betriebene Flugplätze eine sichere Rechtsgrundlage auch für die<br />
Zeit vor Inkrafttreten des heutigen Luftverkehrsgesetzes zu schaffen<br />
(vgl. Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf eines Elften<br />
Gesetzes zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes, BT-DR. 13/9513,<br />
S. 54 f.). Sie hat nicht den Charakter einer allgemeinen Heilungsklausel,<br />
die über rechtliche Versäumnisse unter Geltung des Luftverkehrsgesetzes<br />
hinweghilft bzw. Genehmigungserfordernisse<br />
ausräumen könnte, die auf Grund erst nach Inkrattreten des Luftverkehrsgesetzes<br />
in den neuen Ländern eingetretener Umstände<br />
entstanden sind (vgl. zu § 71 Abs. 2 LuftVG BVerwG, Beschl. v.<br />
26.2.2004 – 4 B 95.03, zit. nach Juris; Hoffmann/Grabherr, a.a.O., §<br />
71 Rn. 5, 7; a.A. zu § 71 Abs. 2 Giemulla/Schmid, Luftverkehrsgesetz,<br />
Kommentar, Stand Oktober 2003, Bd. 1.2, § 71 LuftVG Rn. 12). Da<br />
mithin im Falle einer erfolgreichen Anfechtung der Änderungsgenehmigung<br />
der Beigeladenen die zivile Nachnutzung des Flugplatzes<br />
<strong>als</strong> Landeplatz für den allgemeinen Verkehr sowie die Änderung<br />
der Flugplatzanlagen nicht aus anderen Gründen gestattet<br />
wäre, kann den Klagen gegen die Änderungsgenehmigung ein<br />
Rechtsschutzbedürfnis nicht abgesprochen werden.<br />
B. Die Klagen sind mit dem Hauptantrag auch begründet.<br />
I. Die Änderungsgenehmigung ist nicht bereits wegen eines Verfahrensfehlers<br />
aufzuheben. (…)<br />
II. Für die Planung besteht entgegen der Auffassung der Kläger<br />
eine ausreichende Planrechtfertigung. Eine Flugplatzplanung ist<br />
gerechtfertigt, wenn für das beabsichtigte Vorhaben nach Maßgabe<br />
der durch das Luftverkehrsgesetz allgemein verfolgten Ziele ein<br />
Bedürfnis besteht, die mit ihr geplante Maßnahme <strong>als</strong>o objektiv erforderlich<br />
ist. Objektiv erforderlich ist eine Maßnahme nicht erst<br />
im Falle ihrer Unausweichlichkeit, sondern bereits dann, wenn sie<br />
vernünftigerweise geboten ist (BVerwG, Urt. v. 8.7.1998 – 11 A<br />
53.97, BVerwGE 107, 142 (145) m.w.N.) Für die planerische Rechtfertigung<br />
eines Konversionsprojekts ist hierbei entgegen der Auffassung<br />
der Klägerin nicht erforderlich, dass eine mit dem geplanten<br />
Vorhaben zu befriedigende Nachfrage nach Luftverkehrsleistungen<br />
konkret ermittelt wird. Die Genehmigung einer zivilen<br />
Nachnutzung ehemaliger Militärflugplätze unterscheidet sich von<br />
der Planung eines neuen Flugplatzes, denn durch sie soll vermieden<br />
werden, dass eine bereits bestehende, mit öffentlichen Mitteln<br />
geschaffene Infrastruktur brach liegt und verfällt. Deshalb ist in<br />
derartigen Fällen von einer Planrechtfertigung schon dann auszugehen,<br />
wenn mit einer von einem konkret feststellbaren Bedarf losgelösten<br />
Angebotsplanung beispielsweise eine Verbesserung der<br />
regionalen Wirtschaftsstruktur bezweckt wird (vgl. BVerwG, Urt.<br />
v. 11.7.2001 – 11 C 14. 00, zit. nach Juris; OVG Lüneburg, Urt. v.<br />
11.12.2000 – 12 K 3200/99, zit. nach Juris; OVG Koblenz, Urt. v.<br />
1.7.1997 – 7 C 11834/93, zit. nach Juris). In dem Widerspruchsbescheid<br />
vom 12.4.2001 hat der Beklagte ausgeführt, dass der Verkehrslandeplatz<br />
für die luftverkehrliche Erschließung des Entwicklungszentrums<br />
Fürstenwalde und des Erholungsgebiets Bad<br />
Saarow notwendig sei. Diese Erwägungen rechtfertigen die Planung<br />
<strong>als</strong> »vernünftigerweise geboten«.<br />
III. Die Planung verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.<br />
Gemäß § 19 Abs. 11 Satz 5 des Gemeinsamen Landesentwicklungsprogramms<br />
der Länder Berlin und Brandenburg (LEPro) sollen<br />
ergänzend zu dem bestehenden Flughafensystem bzw. dem zu<br />
entwickelnden Großflughafen für die allgemeine Luftfahrt regionale<br />
Flugplätze geschaffen werden. (…)<br />
34 | ZUR 1/2005
OVG Brandenburg, Fluglärm | RECHTSPRECHUNG<br />
IV. Die Änderungsgenehmigung verletzt aber das subjektive<br />
Recht der Kläger auf gerechte Abwägung ihrer Belange. <strong>Das</strong> Abwägungsgebot<br />
wird verletzt, wenn in die Abwägung an Belangen<br />
nicht eingestellt worden ist, was nach Lage der Dinge in sie hätte<br />
eingestellt werden müssen. Es ist ferner verletzt, wenn die Bedeutung<br />
der betroffenen privaten Belange verkannt<br />
oder wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten<br />
öffentlichen Belangen in einer Weise vorgenommen wird, die<br />
zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis<br />
steht. Innerhalb des so gezogenen Rahmens wird das Abwägungsgebot<br />
nicht verletzt, wenn sich der Planungsträger in der Kollision<br />
zwischen verschiedenen Belangen für die Bevorzugung des einen<br />
und damit notwendigerweise für die Zurückstellung eines anderen<br />
entscheidet (BVerwG, Urt. v. 12.12.1969 – IV C 105.66, BVerwGE<br />
34, 301 (309)). Eine fehlerhafte Abwägung kann von den Antragstellern<br />
aber nur gerügt werden, wenn und soweit sie durch sie in<br />
eigenen Rechten verletzt sind. Jeder Beteiligte kann nur eine gerechte<br />
Abwägung seiner eigenen Belange mit entgegenstehenden<br />
anderen Belangen fordern, nicht aber auch eine gerechte Abwägung<br />
der Belange anderer Beteiligter oder eine insgesamt und in jeder<br />
Hinsicht fehlerfreie Abwägung (BVerwG, Urt. v. 14.2.1975 – IV<br />
C 21.74, BVerwGE 48, 56 (66)).<br />
1. Die Sicherheitsbelange der Kläger sind zwar nicht fehlerhaft<br />
abgewogen worden. (…)<br />
2. Es liegt aber ein Abwägungsfehler hinsichtlich der Fluglärmbelange<br />
der Kläger vor.<br />
a) Eine Prüfung der Zumutbarkeit des Fluglärms für die Anwohner<br />
des Flugplatzes ist im Rahmen des vorliegenden Verfahrens<br />
nicht etwa deshalb entbehrlich, weil der Flugplatz möglicherweise<br />
bereits früher genehmigt worden ist oder <strong>als</strong> genehmigt gilt. Die<br />
Frage der Zumutbarkeit von Fluglärmbelastungen stellt sich bei der<br />
Änderung einer bestehenden Flugplatzanlage nur dann nicht neu,<br />
wenn die Beeinträchtigungen der Anlieger von einer früheren luftverkehrsrechtlichen<br />
Genehmigung gedeckt sind und von einer<br />
späteren Änderung des Flugplatzes nicht berührt werden (vgl.<br />
BVerwG, Urt. v. 15.9.1999 – 11 A 22.98, LKV 2000, 211). Hier wird<br />
aber die bislang – allenfalls – genehmigte oder <strong>als</strong> genehmigt geltende<br />
technische Kapazität des Flugplatzes durch Instandsetzung<br />
und (Wieder)Inbetriebnahme der südlichen, asphaltierten Startund<br />
Landebahn erweitert. (...)<br />
Auch die Fiktionswirkung gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 LuftVG umfasst<br />
die asphaltierte Start- und Landebahn nicht. Die Fiktion gilt<br />
nur für diejenigen Anlagen des Flugplatzes, die zum Stichtag auch<br />
tatsächlich »angelegt« waren. Am 2.10.1990 war die südliche Startund<br />
Landebahn unstreitig nicht für den Flugbetrieb nutzbar. (...)<br />
b) <strong>Das</strong> der Entscheidung des Beklagten zu Grunde liegende Abwägungsmaterial<br />
dürfte hinsichtlich der zu erwartenden Belastung<br />
der Anwohner mit Fluglärm vollständig ermittelt worden sein.<br />
Zum Umfang der am Tage zu erwartenden Lärmbelastungen führt<br />
die Änderungsgenehmigung aus: Bei Zugrundelegung eines worstcase-Szenarios<br />
seien für den Immissionspunkt IO 1 (Neuendorf unter<br />
Anflug 26) ein Maximalpegel von 85,78 dB(A) und ein äquivalenter<br />
Dauerschallpegel von 56,16 dB(A) sowie für den Immissionspunkt<br />
IO 2 (Neuendorf zwischen Anflug 26 und 29) ein<br />
Maximalpegel von 84,6 dB(A) und ein äquivalenter Dauerschallpegel<br />
von 55,6 dB(A) ermittelt worden; die Spitzenpegel träten<br />
nur ein- bis zweimal wöchentlich auf. Diese Beurteilung stützt<br />
sich auf das Gutachten der AVIA Consult, dessen Ergebnisse sich<br />
die Bescheide zu eigen machen. Dieses Gutachten begegnet zwar<br />
hinsichtlich einiger ihm zu Grunde liegender Annahmen Bedenken,<br />
die ermittelten Ergebnisse dürften jedoch letztlich nicht zu beanstanden<br />
sein.<br />
Die zu erwartende Lärmbelästigung der Anwohner des Flugplatzes<br />
ist prognostisch zu bestimmen. <strong>Das</strong> Gericht hat im Streitfall nur<br />
die Wahl einer geeigneten fachspezifischen Methode, die zutreffende<br />
Ermittlung des der Prognose zu Grunde liegenden Sachverhalts<br />
und die einleuchtende Begründung des Ergebnisses zu überprüfen.<br />
Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, das Ergebnis einer nach<br />
diesen Maßstäben sachgerecht erarbeiteten Prognose darauf zu<br />
überprüfen, ob die prognostizierte Entwicklung mit Sicherheit bzw.<br />
größerer oder geringerer Wahrscheinlichkeit eintreten wird oder<br />
kann, ferner nicht darauf, ob die Prognose durch die spätere<br />
tatsächliche Entwicklung mehr oder weniger bestätigt oder widerlegt<br />
ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 8.7.1998 – 11 A 53.97, BVerwGE 107,<br />
142 (146); BVerwG, Urt. v. 11.7.2001 – 11 C 14.00, zit. nach Juris).<br />
aa) Die dem Gutachen der AVIA Consult zu Grunde liegende<br />
fachliche Methode ist nicht zu beanstanden.<br />
<strong>Das</strong> Gutachten, das die Fluglärmbelastung anhand äquivalenter<br />
Dauerschallpegel sowie der Höhe und Häufigkeit auftretender Maximalpegel<br />
ermittelt hat, entspricht dem in Wissenschaft und<br />
Technik anerkannten Stand. Der Dauerschallpegel ist in aller Regel<br />
der angemessene Maßstab für die Erfassung einer regelmäßig in Erscheinung<br />
tretenden Vielzahl von Fluglärmereignissen. Er ist allerdings<br />
zur Erfassung von besonders hohen Spitzenpegeln um die<br />
Ermittlung von Maximalpegeln und deren Häufigkeit zu ergänzen<br />
(vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 1.7.1997 – 7 C 11843/93, zit. nach Juris;<br />
Hoffmann/Grabherr, a.a.O. § 6 Rn. 52).<br />
Die Berechnung der äquivalenten Dauerschallpegel ist unter Verwendung<br />
der Berechnungsmethode der Anleitung zur Berechnung<br />
von Lärmschutzbereichen an zivilen und militärischen Flugplätzen<br />
nach dem Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm (AzB, GMBl.<br />
1975, 162 ff.) unter Berücksichtigung der Modifikationen nach der<br />
Leitlinie zur Ermittlung und Beurteilung der Fluglärmimmissionen<br />
in der Umgebung von Landeplätzen durch die Immissionsschutzbehörden<br />
der Länder (Landeplatz-Fluglärmleitlinie) erfolgt. Diese<br />
Vorschriften sind umfassend methodisch erarbeitete Regelwerke zu<br />
Ermittlung von Fluglärm. (...)<br />
bb) Fraglich ist, ob der Berechnungen der zu erwartenden<br />
Fluglärmbelastung ein zutreffend und vollständig ermittelter Sachverhalt<br />
zu Grunde liegt.<br />
(1) Es bestehen zwar Zweifel daran, ob das Gutachten von zutreffenden<br />
Flugbewegungszahlen ausgeht, das gefundene Ergebnis<br />
ist indes nicht zu beanstanden. (...)<br />
(2) Soweit die Kläger die Ergebnisse des Gutachtens unter Hinweis<br />
darauf in Zweifel ziehen, dass den Berechnungen der A-Schalldruckpegel<br />
zu steile An- und Abflugwinkel zu Grunde gelegt worden<br />
wären, weshalb fehlerhaft von einer zu großen Überflughöhe<br />
über den Immissionspunkten ausgegangen worden sei, dürfte auch<br />
dieser Einwand nicht durchgreifen. (...)<br />
cc) Da das Gutachten auch die gefundenen Ergebnisse im Wesentlichen<br />
nachvollziehbar darstellt und begründet, spricht zumindest<br />
einiges dafür, dass es der Entscheidung des Beklagten abwägungsfehlerfrei<br />
zu Grunde gelegt werden konnte.<br />
c) Der Beklagte hat aber bei der von ihm getroffenen Abwägungsentscheidung<br />
die Bedeutung der Belange der durch am Tage<br />
auftretenden Fluglärm betroffenen Anwohner verkannt.<br />
Die Planfeststellungs- bzw. Genehmigungsbehörde entscheidet<br />
im Rahmen ihrer planerischen Gestaltungsfreiheit grundsätzlich<br />
nach pflichtgemäßem Ermessen auch darüber, auf welche Weise sie<br />
den Belangen des Lärmschutzes Rechnung tragen will. § 9 Abs. 2<br />
LuftVG setzt dieser Entscheidung eine nicht durch Abwägung der<br />
widerstreitenden Belange zu überwindende Grenze. Dieser Vorschrift<br />
zufolge sind dem Unternehmer im Planfeststellungsbeschluss<br />
bzw. hier in der Genehmigung die Errichtung und Unterhaltung<br />
der Anlagen aufzuerlegen, die für das öffentliche Wohl<br />
oder zur Sicherung der Benutzung der benachbarten Grundstücke<br />
gegen Gefahren oder Nachteile notwendig sind. Ein hierauf gestutzter<br />
Anspruch auf Schutzanordnungen gegen Fluglärm setzt<br />
ZUR 1/2005 | 35
RECHTSPRECHUNG | OVG Brandenburg, Fluglärm<br />
voraus, dass die Lärmbeeinträchtigungen »unzumutbar« sind. <strong>Das</strong><br />
Gebot der Bewältigung aller erheblichen Probleme beschränkt sich<br />
aber nicht allein auf »unzumutbaren« Fluglärm. Als abwägungserheblicher<br />
Belang ist vielmehr jede Lärmbelastung anzusehen, die<br />
nicht lediglich <strong>als</strong> nur geringfügig einzustufen ist (vgl. BVerwG,<br />
Urt. v. 29.1.1991 – 4 C 51.89, BVerwGE 87, 332 (341 f.)).<br />
Da durch Gesetz festgesetzte Lärmgrenzwerte bisher nicht bestehen,<br />
ist es Aufgabe des Gerichts im einzelnen Fall, anhand der<br />
Würdigung der konkreten Gegebenheiten die Grenze der zumutbaren<br />
Lärmbelastungen zu bestimmen. Die Zumutbarkeit von<br />
Flugverkehrsgeräuschen richtet sich nach der durch die Gebietsart<br />
und die konkreten tatsächlichen Verhältnisse bestimmten Schutzbedürftigkeit<br />
der jeweiligen Umgebung. Für die Gebietsart ist dabei<br />
von der bebauungsrechtlich geprägten Situation der Grundstücke<br />
auszugehen, für die tatsächlichen Verhältnisse spielen insbesondere<br />
»Geräuschvorbelastungen« und »plangegebene«<br />
Vorbelastungen eine wesentliche Rolle. Nach diesen Kriterien ist<br />
ein Grundstück gegenüber einem Planvorhaben umso schutzwürdiger,<br />
je mehr es nach der Gebietsart berechtigterweise Schutz vor<br />
Immissionen erwarten kann und je weniger es durch Störfaktoren<br />
tatsächlich vorbelastet ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 7.7.1978 – 4 C 79.76<br />
u. a., BVerwGE 56, 110 (131); BVerwG, Urt. v. 29.1.1991 – 4 C<br />
51.89, BVerwGE 87, 332 (356 f.)).<br />
aa) Der Lärmbelastung auf den Grundstücken der Kläger zu 1.<br />
und 4. angenäherte Werte treten an dem in unmittelbarer Nähe zu<br />
ihren Wohnhäusern gelegenen Immissionspunkt 1 (Neuendorf unter<br />
Anflug 26) auf Hier wurden für die Berechnungsvariante 1 (100<br />
% der Flugbewegungen in Startrichtung Ost) folgende Geräuschpegel<br />
ermittelt: ein äquivalenter Dauerschallpegel von 56,18 dB(A)<br />
– die Angabe von 56,16 dB(A) in Tabelle 4.2.1. weicht von der auf<br />
der Kontrolldruckliste ab -, ein 0,49 mal täglich auftretender Maximalpegel<br />
von 85,78 dB(A) sowie darunter liegende Einzelschallereignisse<br />
zwischen 75 und 84 dB(A), die für insgesamt 56,88 Tagesereignisse<br />
prognostiziert werden – der ganz überwiegende Teil<br />
dieser Einzelschallereignisse liegt hierbei sogar über 78 dB(A). Für<br />
die Berechnungsvariante 2 (100 % der Flugbewegungen in Richtung<br />
West) wurden folgende Werte berechnet: ein äquivalenter<br />
Dauerschallpegel von 53,35 dB(A), ein 0,49 mal täglich auftretender<br />
Maximalpegel von 85,78 dB(A) und 11,89 mal täglich auftretende<br />
[darunter] liegende Einzelschallereignisse mit einer Lautstärke<br />
zwischen 75 und 84 dB(A).<br />
<strong>Das</strong> Grundstück des Klägers zu 3. liegt in unmittelbarer Nähe des<br />
Immissionspunktes 2 (Neuendorf zwischen Anflug 26 und 29).<br />
Hierfür errechnet das Gutachten bei Berechnungsvariante 1 einen<br />
äquivalenten Dauerschallpegel von 55,62 dB(A), einen 1,22 mal<br />
täglich auftretenden Maximalpegel von 84,6 dB(A) sowie täglich<br />
47,54 darunter liegende Einzelschallereignisse zwischen 75 und 84<br />
dB(A). Für Variante 2 werden folgende Werte ermittelt: ein äquivalenter<br />
Dauerschallpegel von 52,71 dB(A), ein 1,22 mal täglich<br />
auftretender Maximalpegel von 84,6 dB(A) sowie 2,77 mal täglich<br />
zu erwartende Einzelschallereignisse zwischen 75 und 84 dB(A).<br />
Der Kläger zu 2., dessen Grundstück weiter nördlich liegt, ist von<br />
deutlich geringeren Belästigungen betroffen. Wie den von der<br />
AVIA Consult erstellten Lärmkonturen zu entnehmen ist, liegt sein<br />
Grundstück in einem Bereich, für den ein äquivalenter Dauerschallpegel<br />
von 50 bis 55 dB(A) prognostiziert wird. Dieser liegt<br />
mithin etwa um bis zu 5 dB(A) unter den für die Grundstücke der<br />
anderen Kläger prognostizierten Werten. Da sein Grundstück sich<br />
nicht unmittelbar in der Einflugschneise der Startbahnen befindet,<br />
dürften auch die zu erwartenden Einzelschallereignisse erheblich<br />
unter den für die übrigen Kläger ermittelten Werten liegen.<br />
bb) Die Entscheidung des Beklagten stellt sich jedenfalls gegenüber<br />
den Klägern zu 1., 3. und 4. <strong>als</strong> abwägungsfehlerhaft dar.<br />
(1) Die bebauungsrechtliche Situation rechtfertigt entgegen der<br />
Auffassung der Kläger aller-dings die Einordnung der Gemeinde<br />
Neuendorf im Sande <strong>als</strong> Dorfgebiet. (...)<br />
(2) Darüber hinaus liegen die Grundstücke der Kläger in einem<br />
plangegeben vorbelasteten Gebiet. Eine sogenannte plangegebene<br />
Vorbelastung kann sich schutzmindernd auswirken. Sie liegt vor,<br />
wenn ein Anwohner aufgrund einer zwar noch nicht verwirklichten,<br />
aber bereits verfestigten Planung mit erhöhten Immissionen<br />
rechnen muss, da das Maß der zumutbaren Immissionen auch von<br />
der Lage des betroffenen Grundstücks abhängt. Ein Grundstück<br />
wird allerdings durch eine sich verfestigende Planung dann nicht<br />
mehr – mit der Folge einer Duldungspflicht gegenüber künftigem<br />
Lärm – vorbelastet, wenn die Planung ihrerseits auf eine vorhandene<br />
bebauungsrechtlich verfestigte Situation trifft. Eine solche Situation<br />
ist anzunehmen, wenn das Grundstück zum Zeitpunkt der<br />
Verfestigung der Fachplanung bereits baulich nutzbar war (BVerwG,<br />
Urt. v. 29.1.1991 – 4 C 51.89, BVerwGE 87, 332 (364, 365)).<br />
Die Grundstücke sämtlicher Kläger liegen im Einwirkungsbereich<br />
eines Flugplatzes, der, wie oben dargelegt, nie außer Betrieb genommen<br />
wurde. Es ist auch nichts dafür vorgetragen oder sonst ersichtlich,<br />
dass die Grundstücke zu einer Zeit bebaut worden wären<br />
bzw. bebaubar geworden wären, in der der Flugplatz noch nicht angelegt<br />
war. Somit ist jedenfalls eine plangegebene Vorbelastung anzunehmen.<br />
(3) Der Beklagte hat den Umfang jedenfalls der Betroffenheit der<br />
Kläger zu 1., 3. und 4. durch Lärm verkannt bzw. nicht mit dem<br />
diesem Belang zukommenden Gewicht in seine Abwägung eingestellt.<br />
(a) Allein mit Blick auf die prognostizierten äquivalenten Dauerschallpegel<br />
stellt sich die Entscheidung des Beklagten allerdings<br />
nicht <strong>als</strong> abwägungsfehlerhaft dar. Diese Werte hat der Beklagte in<br />
seiner Abwägungsentscheidung zutreffend und mit dem ihnen zukommenden<br />
Gewicht berücksichtigt. Der Umstand, dass die<br />
Grundstücke der Kläger in einem <strong>als</strong> Dorfgebiet zu charakterisierenden<br />
Gebiet liegen, führt dazu, dass gegenüber sonstigen, nur<br />
dem Wohnen dienenden Gebieten eine geringere Schutzwürdigkeit<br />
besteht. Bislang sind keine Lärmgrenzwerte für die Bewertung<br />
von Fluglärm festgesetzt. Wegen der unterschiedlichen Art der<br />
Lärmbeeinträchtigungen kommt eine Übertragung der in der Verkehrslärmschutzverordnung<br />
vom 12.6.1990 (BGBl. 1 S. 1063 – 16.<br />
BImSchV) festgelegten Grenzwerte für den Straßenverkehr für die<br />
Beurteilung der Zumutbarkeit von Fluglärm nicht ohne weiteres in<br />
Betracht (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.1.1991 – 4 C 51.89, BVerwGE 87,<br />
332 (373 f.)); dies gilt auch für die Grenzwerte der Technischen Anleitung<br />
zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) vom 26.8.1998 (GMBl.<br />
S. 503; vgl. hierzu OVG Hamburg, Beschl. v. 13.12.1994 – Bs III<br />
376/93, zit. nach Juris) sowie für die DIN 18005 – Schallschutz im<br />
Städtebau. Allerdings weist die TA Lärm (vgl. Nr. 6) ebenso wie DIN<br />
18005 (vgl. Beiblatt 1 Nr. 1.1 Buchst. e) <strong>als</strong> Grenzwert zum Schutz<br />
der Nachbarschaft gegen Lärmimmissionen in Dorfgebieten einen<br />
Beurteilungspegel von 60 dB(A) am Tage aus; der Grenzwert der 16.<br />
BImSchV (vgl. § 2 der Verordnung) liegt mit 64 dB(A) sogar noch<br />
darüber. Der höchste für die klägerischen Grundstücke prognostizierte<br />
äquivalente Dauerschallpegel beträgt demgegenüber nur<br />
56,18 dB(A). Der Umstand, dass die Grenzwerte der oben genannten<br />
Regelwerke auf den Grundstücken der Kläger nicht nur nicht<br />
erreicht, sondern sogar deutlich unterschritten werden, rechtfertigt<br />
unter Berücksichtigung auch ihrer plangegebenen Vorbelastung<br />
den Schluss, dass die vorliegend prognostizierten äquivalenten<br />
Dauerschallpegel allein jedenfalls nichts dafür hergeben,<br />
dass den Anwohnern nicht mehr zumutbare Lärmbelästigungen<br />
drohen.<br />
(b) Es liegt aber ein Abwägungsfehler vor, weil der Beklagte in seiner<br />
Entscheidung die tatsächliche Belastung der Kläger zu 1., 3.<br />
36 | ZUR 1/2005
OVG Brandenburg – Fluglärm | RECHTSPRECHUNG<br />
und 4. durch die auftretenden Einzelschallereignisse nicht mit dem<br />
ihr zukommenden Gewicht in die Abwägung eingestellt hat. Entgegen<br />
der Ansicht der Beigeladenen kann bei der Beurteilung von<br />
Fluglärm nicht ausschließlich auf errechnete Mittelungspegel abgestellt<br />
werden; wegen der intermittierenden Art des Fluglärms ist<br />
daneben eine Berechnung und Bewertung auch der auftretenden<br />
Spitzenpegel erforderlich (vgl. vorstehend S. 27 des Entscheidungsabdrucks).<br />
(aa) Der Abwägungsvorgang ist fehlerhaft. Der Beklagte hat sich<br />
zwar abwägend mit den höchsten Maximalpegeln von 84,6 bzw.<br />
85,78 dB(A) auseinander gesetzt und insoweit zutreffend ausgeführt,<br />
dass diese lediglich vereinzelt auftreten und deshalb vernachlässigt<br />
werden können. Allerdings hat er sich in keiner Weise<br />
dazu geäußert, dass den Klägern zu 1. und 4. täglich insgesamt<br />
57,37 Lärmereignisse mit Schallpegeln von 75 dB(A) und mehr –<br />
davon 56,51 Lärmereignisse mit einer Lautstärke von 78 dB(A) und<br />
mehr – sowie dem Kläger zu 3. insgesamt 48,76 Einzelschallereignisse<br />
täglich mit einer Lautstärke von mindestens 75 dB(A) zu gemutet<br />
werden. Eine Auseinandersetzung mit diesen Lärmbelastungen<br />
war nicht entbehrlich, da sie keinesfalls <strong>als</strong> geringfügig betrachtet<br />
werden können. Bei einem 16-stündigen Betrieb des<br />
Flugplatzes haben die Kläger zu 1., 3,. und 4. immerhin mehr <strong>als</strong><br />
dreimal pro Stunde mit einem Lärmereignis von über 75 dB(A) zu<br />
rechnen; bei den Klägern zu 1. und 4. liegen diese Einzelereignisse<br />
sogar nahezu vollständig im Bereich von 78 dB(A) und darüber.<br />
(bb) Dieser Mangel im Abwägungsvorgang ist im Sinne von § 10<br />
Abs. 8 Satz 1 LuftVG offensichtlich, weil den angegriffenen Bescheiden<br />
eindeutig zu entnehmen ist, dass der Beklagte ausschließlich<br />
auf die äquivalenten Dauerschallpegel sowie die höchsten<br />
Spitzenpegel abgestellt hat.<br />
(cc) Der Fehler im Abwägungsvorgang hat sich auch auf das Abwägungsergebnis<br />
ausgewirkt (vgl. § 10 Abs. 8 Satz 1 LuftVG).<br />
Es ist allerdings zweifelhaft, ob der Beklagte im Hinblick auf Höhe<br />
und Häufigkeit dieser prognostizierten Einzelschallpegel gemäß § 9<br />
Abs. 2 LuftVG gezwungen gewesen wäre, weitergehende Schutzauflagen<br />
in die angegriffene Änderungsgenehmigung aufzunehmen.<br />
Hinsichtlich unzumutbar von Lärmbeeinträchtigungen Betroffener<br />
markiert diese Vorschrift – wie bereits dargelegt – eine<br />
nicht durch Abwägung der widerstreitenden Belange überwindbare<br />
Grenze. Als ein Mittel zur Bewältigung der anstehenden (Lärm-<br />
)Probleme gibt § 9 Abs. 2 LuftVG der Behörde die rechtliche Grundlage,<br />
mit der Verpflichtung des Vorhabenträgers das Ziel einer umfassenden<br />
und gerechten planerischen Abwägung zu erreichen.<br />
»Notwendig« im Sinne dieser Vorschrift sind bestimmte Schutzvorkehrungen<br />
durch Dritte jedoch nur dann, wenn die Behörde<br />
sich abwägungsfehlerfrei nicht in der Lage sieht, die Problembewältigung<br />
durch eigene planerische Gestaltung zu leisten (vgl.<br />
BVerwG, Urt. v. 29.1.1991 – 4 C 51.89, BVerwGE 87, 332 (342)).<br />
Fraglich ist, ob die hier vorliegenden Beeinträchtigungen bereits<br />
<strong>als</strong> unzumutbar zu qualifizieren sind. Gesundheitliche Beeinträchtigungen<br />
der Anwohner durch die Einzelschallereignisse sind nicht<br />
zu befürchten; derartige Gefahren werden erst bei 19 mal täglich<br />
auftretenden Maximalpegeln von über 99 dB(A) angenommen (vgl.<br />
SRU 1999, S. 194; Hoffmann/Grabherr, a.a.O., § 6 Rn. 53). Die prognostizierten<br />
Einzelschallereignisse könnten allerdings die Zumutbarkeitsschwelle<br />
überschreitende erhebliche Belästigungen darstellen.<br />
Der übliche Tagespegel im Wohnbereich beträgt etwa 50 dB(A)<br />
(SRU 1999, S. 158). Beachtliche Störungen im Wohnungsinneren<br />
sind deshalb erst bei Maximalpegeln von über 55 dB(A) anzunehmen<br />
(vgl. OVG Hamburg, Urt. v. 3.9.2001 – 3 E 32/98.P, NordÖR<br />
2002, 241 (250) m. w. N.). Im Hinblick auf das Ziel, die Kommunikation<br />
vor Beeinträchtigungen zu schützen, sind zudem nicht<br />
schon einzelne höhere Pegel kritisch, solange ihre Häufigkeit nicht<br />
dazu führt, dass ein Gespräch immer wieder unterbrochen wird, Radio-<br />
und Fernsehsendungen mangels Satzverständlichkeit nur noch<br />
eingeschränkt mitvollzogen werden können oder sich die für eine<br />
Informationsaufnahme notwendige Konzentration nicht wieder<br />
einstellt (vgl. OVG Hamburg, Urt. v. 3.9.2001, a. a. O.). Die Dämmwirkung<br />
geschlossener Fenster ist mit etwa 25 dB(A) zu veranschlagen<br />
(vgl. SRU 1999, S. 184), so dass bei geschlossenen Fenstern erst<br />
Maximalpegel an der Außenseite von Wohnhäusern von 80 dB(A)<br />
und darüber in den Wohnräumen zu beachtlichen Beeinträchtigungen<br />
führen. Derartige Werte treten am Immissionsort 1 bei Variante<br />
1 (alle Starts in Richtung Osten) etwa 11 mal täglich, im Übrigen<br />
allenfalls ca. dreimal täglich auf. Somit ist selbst im ungünstigsten<br />
Fall nicht einmal ein Störereignis pro Stunde zu erwarten, was<br />
<strong>als</strong> zumutbar anzusehen sein dürfte. Die Dämmwirkung schon eines<br />
gekippten Fensters beträgt aber lediglich 10 bis 15 dB(A) (vgl.<br />
SRU 1999, S. 184, Hoffmann/Grabherr, a.a.O., § 6 Rn. 55), so dass in<br />
diesem Fall sämtliche Lärmereignisse über 75 dB(A) auch zu einer<br />
beachtlichen Störung innerhalb der Wohnhäuser führen. Darüber<br />
hinaus sind die Außenwohnbereiche der Grundstücke der Kläger zu<br />
1., 3. und 4. durchschnittlich dreimal pro Stunde Beeinträchtigungen<br />
durch Einzelschallereignisse mit einer Lautstärke von 75 dB(A)<br />
und mehr ausgesetzt. Es ist fraglich, ob derartige Beeinträchtigungen<br />
der bebauungsrechtlichen Situation der Grundstücke zugemutet<br />
werden können. Eine plangegebene Vorbelastung lässt sich<br />
hierfür jedenfalls nicht ohne weiteres ins Feld führen. Wie oben dargelegt,<br />
wurde die Hauptstart- und Hauptlandebahn mindestens seit<br />
1986 tatsächlich nicht mehr genutzt und ist auch nicht Bestandteil<br />
des <strong>als</strong> planfestgestellt fingierten Bestandes des Flugplatzes. Durch<br />
ihre Wiederinbetriebnahme dürfte sich die Belastung der Grundstücke<br />
der Kläger zu 1., 3. und 4. deutlich erhöhen, da diese derzeit<br />
lediglich durch ihre Lage am Rand des An- und Abflugkorridors der<br />
nördlichen Start- und Landebahn belastet werden. Ermittlungen<br />
dazu, ob die bislang bestehende tatsächliche Vorbelastung mit Einzelschallereignissen<br />
in vergleichbarer Höhe und Häufigkeit verbunden<br />
ist, hat der Beklagte nicht angestellt.<br />
Die Frage, ob die auftretenden Maximalpegel zwingend Schutzauflagen<br />
erfordert hätten, kann aber letztlich dahingestellt bleiben.<br />
Die Entscheidung des Beklagten ist schon deshalb im Ergebnis abwägungsfehlerhaft,<br />
weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass<br />
der Beklagte bei vollständiger Abwägung der klägerischen Lärmschutzbelange<br />
auch unterhalb der Schwelle der unzumutbaren Beeinträchtigungen<br />
weitere Regelungen zur Verringerung der<br />
Lärmbelastungen der Kläger getroffen hätte. Hierfür spricht, dass<br />
er, ohne ausdrücklich von einer unzumutbaren Lärmbelästigung<br />
der Anwohner auszugehen, bereits mit den Auflagen Nr. 19 und 20<br />
Regelungen zur Minimierung des Fluglärms getroffen hat.<br />
d) Es liegt überdies auch ein Abwägungsfehler hinsichtlich der<br />
Lärmschutzbelange sämtlicher Kläger zur Nachtzeit vor. Eine Abwägung<br />
hat insoweit offensichtlich nicht stattgefunden. Wie auf<br />
Seite 7 des Widerspruchsbescheides ausgeführt wird, hat der Beklagte<br />
eine »gesonderte Beauflagung hinsichtlich der Nachtruhe«<br />
für »entbehrlich« gehalten, weil der Verkehrslandeplatz nur für<br />
Flüge unter Sichtschutzbedingungen am Tage zugelassen ist. Auch<br />
das Gutachten der AVIA Consult hat keine Berechnungen für eventuelle<br />
Fluglärmimmissionen zur Nachtzeit angestellt (vgl. S. 14 des<br />
Gutachtens sowie die Tabellen in Anlage 2 zu dem Gutachten).<br />
Dem Flugplatz Fürstenwalde ist aber mit den hier angefochtenen<br />
Bescheiden eine Genehmigung zum Betrieb ohne jede Nachtflugeinschränkung<br />
erteilt worden. Ein vollständiger Ausschluss von<br />
Flügen zur Nachtzeit ergibt sich entgegen der Ansicht des Beklagten<br />
auch nicht aus der Zulassung des Flugplatzes <strong>als</strong> Verkehrslandeplatz<br />
»für die Durchführung von Sichtflugregeln bei Tage«. Nach<br />
allgemeiner Lärmschutzpraxis umfasst die Nachtzeit die Zeit von<br />
22.00 Uhr bis 6.00 Uhr (BVerwG, Urt. v. 29.1.1991 – 4 C 51.89,<br />
BVerwGE 87, 332 (371 f.)). Für den Fluglärmschutz findet sich ei-<br />
ZUR 1/2005 | 37
RECHTSPRECHUNG | OVG Hamburg, Airbus-Erweiterung<br />
ne entsprechende Regelung in Ziffer 1 Satz 3 der Anlage zu § 3 des<br />
Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm. Gemäß § 33 Satz 2 der Luftverkehrs-Ordnung<br />
in der Fassung der Bekanntmachung vom<br />
27.3.1999 (BGBl. 1 S. 580) gilt für Flüge nach Sichtflugregeln bei<br />
Nacht aber der Zeitraum zwischen einer halben Stunde nach Sonnenuntergang<br />
und einer halben Stunde vor Sonnenaufgang <strong>als</strong><br />
»Nacht«; Flüge nach Sichtflugbedingungen bei Tage können somit<br />
bereits eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang starten. Im Sommer<br />
sind deshalb innerhalb der unter Lärmschutzgesichtspunkten <strong>als</strong><br />
Nachtzeit definierten Zeit des frühen Morgens auf dem Flugplatz<br />
Fürstenwalde über einen längeren Zeitraum hinweg uneingeschränkt<br />
Flugbewegungen möglich. Am längsten Tag des Jahres,<br />
dem 21. Juni beispielsweise geht die Sonne in Fürstenwalde bereits<br />
um ca. 4.40 Uhr MEZ auf, Flüge nach Sichtflugregeln bei Tag können<br />
demnach bereits ab 4. 10 Uhr MEZ beginnen. Der offenkundige<br />
Fehler im Abwägungsvorgang schlägt auch auf das Abwägungsergebnis<br />
durch, denn ausweislich der oben zitierten Ausführungen<br />
im Widerspruchsbescheid ist davon auszugehen, dass<br />
der Beklagte mögliche Flugbewegungen zur Nachtzeit im lärmschutzrechtlichen<br />
Sinne entweder vollständig ausgeschlossen oder<br />
allenfalls unter weiteren Auflagen genehmigt hätte.<br />
Nach alledem ist der Anspruch aller Kläger auf gerechte Abwägung<br />
ihrer Lärmschutzbelange verletzt.<br />
V. Auf die Anfechtungsklagen hin ist die Änderungsgenehmigung<br />
jedoch nicht aufzuheben, sondern es ist lediglich ihre Rechtswidrigkeit<br />
und Nichtvollziehbarkeit festzustellen.<br />
Für Planfeststellungsverfahren ist anerkannt, dass nicht jeder<br />
Mangel eines Planfeststellungsbeschlusses, der zur Folge hat, dass<br />
dieser einen Betroffenen in seinen Rechten verletzt, auch die Aufhebung<br />
des Beschlusses rechtfertigt. Ein Anspruch auf Aufhebung<br />
des Planfeststellungsbeschlusses besteht vielmehr nur dann, wenn<br />
der Abwägungsmangel nicht durch Planergänzungen beseitigt werden<br />
kann. Letzteres ist dann nicht möglich, wenn der Abwägungsmangel<br />
für die Planungsentscheidung insgesamt von so großem Gewicht<br />
ist, dass dadurch die Ausgewogenheit der Planung in Frage gestellt<br />
wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 7.7.1978 – 4 C 79.76 u. a., BVerwGE<br />
56, 110 (133); BVerwG, Beschl. v. 3.4.1990 – 4 B 50.89, NVWZ-RR<br />
1990, 454 f.). Dieser von der Rechtsprechung entwickelte Grundsatz<br />
ist mit dem Planungsvereinfachungsgesetz vom 17.12.1993 für<br />
Planfeststellungsbeschlüsse und Plangenehmigungen ausdrücklich<br />
in § 10 Abs. 8 Satz 2 LuftVG eingefügt worden. Diese Vorschrift ist<br />
entsprechend auch auf Anfechtungsklagen gegen Änderungsgenehmigungen<br />
nach § 6 Abs. 4 Satz 2 LuftVG anzuwenden, denn derartige<br />
Genehmigungen haben, wie bereits dargelegt, Planungsfunktion<br />
(vgl. zur Anwendung des der Vorschrift zu Grunde liegenden<br />
Rechtsgedankens auf eine Genehmigung nach § 6 Abs. 4 Satz 2<br />
LuftVG OVG Frabkfurt/Oder, Beschl. v. 28.11.1996 – 4 B 142/96,<br />
LKV 1997, 457; OVG Koblenz, Urt. v. 1.7.1997 – 7 C 11843/93, zit.<br />
nach Juris; OVG Bremen, Urt. v. 11.6.1996 – 1 G 5/94, zit. nach Juris;<br />
Hoffmann/Grabherr, a.a.O., § 6 Rn. 182).<br />
Die festgestellten Abwägungsmängel stellen die Ausgewogenheit<br />
der Planung insgesamt nicht in Frage. Es ist nicht ersichtlich,<br />
dass eine Ergänzung der Genehmigung zu Gunsten der Kläger die<br />
Gesamtkonzeption des Vorhabens in einem wesentlichen Punkt<br />
berühren würde.<br />
Selbst in dem Fall, dass unzumutbare Lärmbeeinträchtigungen<br />
einzig durch Schutzauflagen zu vermeiden sind, steht die Festlegung<br />
der konkreten Schutzmaßnahme grundsätzlich im Ermessen<br />
der Planfeststellungs- bzw. hier der Genehmigungsbehörde (BVerwG,<br />
Urt. v. 29.1.1991 – 4 C 51.89, BVerwGE 87, 332 (345)). Nichts<br />
spricht dafür, dass der Beklagte von der Genehmigung des Vorhabens<br />
insgesamt abgesehen oder es wesentlich modifiziert hätte.<br />
Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass eine Verlegung der Hauptstart-<br />
und Hauptlandebahn erfolgt wäre, um den Lärmschutzbelangen<br />
der Kläger zu 1., 3. und 4. besser zu entsprechen. Im Widerspruchsbescheid<br />
hat der Beklagte ausgeführt, dass eine Umlegung<br />
der Start- und Landebahnen nicht ernstlich in Betracht gezogen<br />
werden könne, weil dies einer kompletten Neuanlage des<br />
Flugplatzes gleichkomme und die Investitionen der Platzbetreiber<br />
zerstört würden. Anhaltspunkte dafür, dass eine Änderung der<br />
Flugplatzkonfiguration oder eine sonstige wesentliche Änderung<br />
des Flugplatzes die einzige Möglichkeit wäre, die Lärmschutzbelange<br />
der Kläger angemessen zu berücksichtigen, liegen nicht vor;<br />
vielmehr erscheint es – unter anderem – auch möglich, die Belastungen<br />
durch eine Einschränkung der Betriebszeiten des Flugplatzes<br />
zu senken.<br />
Mit der Regelung des § 10 Abs. 8 LuftVG hat der Gesetzgeber eine<br />
spezifische Fehlerfolgenregelung für luftverkehrsrechtliche<br />
Planfeststellungsbeschlüsse und Plangenehmigungen getroffen. Er<br />
hat damit im Grundsatz eine im Bauplanungsrecht entwickelte<br />
Fehlerfolgenregelung auf durch Verwaltungsakt ergehende Planungsentscheidungen<br />
übertragen (zu § 17 Abs. 6 c FStrG BVerwG,<br />
Urt. v. 27.10.2000 – 4 A 18.88, Buchholz 406.401 § 8 BNatSchG Nr.<br />
29). Diese – hier entsprechend anwendbare – Regelung verbietet<br />
dem Gericht die Planaufhebung, sagt aber nichts darüber aus, welche<br />
Rechtsfolge eines festgestellten erheblichen Abwägungsmangels<br />
das Gericht auszusprechen hat. Die Annahme, statt der beantragten<br />
Kassation sei die Verpflichtung der Behörde zu einem ergänzenden<br />
Verfahren auszusprechen, das auf die behördliche<br />
Überprüfung und gegebenenfalls Bestätigung der angegriffenen<br />
Entscheidung gerichtet ist, wird der Interessenlage der Beteiligten,<br />
wie sie in der Vorschrift ihren Niederschlag gefunden hat, nicht gerecht.<br />
Der Gesetzgeber will das Interesse des die Aufhebung der angefochtenen<br />
Bescheide beantragenden Klägers an der Verhinderung<br />
des Vorhabens nicht umlenken oder umdeuten in ein Interesse<br />
an einem dem Abwägungsgebot genügenden Verfahren. Er<br />
will lediglich die radikale Folge einer Rechtswidrigkeit dieser Bescheide,<br />
die Kassation, vermeiden, wenn der Fehler durch ein ergänzendes<br />
Verfahren behoben werden kann. Folglich hat das Gericht<br />
nur die Rechtswidrigkeit – nicht die Aufhebung – der Änderungsgenehmigung<br />
auszusprechen mit der Folge, dass die<br />
Änderungsgenehmigung bis zur Behebung des Mangels nicht vollziehbar<br />
ist. Damit ist dem Interesse der Kläger, einen Eingriff in ihre<br />
Rechte durch ein abwägungsfehlerhaft genehmigtes Vorhaben<br />
abzuwehren, Genüge getan. Gleichzeitig trägt eine derartige Entscheidung<br />
dem Umstand Rechnung, dass die Entscheidung über<br />
konkrete Planergänzungen bzw. die Anordnung von Schutzauflagen<br />
im Ermessen des Beklagten steht. Dieser hat auch die Möglichkeit,<br />
von der Planung gänzlich Abstand zu nehmen (vgl. BVerwG,<br />
Urt. v. 21.3.1996 – 4 C 19.94, DVBI. 1996, 907 f). (…)<br />
Airbus-Erweiterung<br />
OVG Hamburg, Beschluss vom 9. August 2004 – 2 Bs 300/04<br />
1. Gegenstand der Abwägung der Planfeststellungsbehörde<br />
im Rahmen von § 8 Abs. 1 LuftVG ist der konkrete durch die<br />
Begründung des Planfeststellungsantrags beschriebene<br />
Zweck des Vorhaben. Dieses gilt auch für die wegen einer<br />
enteignungsrechtlichen Vorwirkung vorzunehmende Abwägung<br />
zwischen den Belangen der von einer Enteignung<br />
betroffenen Grundeigentümer und einem mit dem Vorhaben<br />
verbundenen (mittelbaren) Gemeinwohlbezug.<br />
2. Bei einer unmittelbar privatnützigen und nur mittelbar dem<br />
Gemeinwohl dienenden Enteignung kommt auch dem<br />
objektiven Gewicht der privatnützigen Interessen eine<br />
entscheidende Bedeutung zu.<br />
38 | ZUR 1/2005
OVG Hamburg, Airbus-Erweiterung | RECHTSPRECHUNG<br />
Aus den Gründen: I. Die Antragsgegnerin und die Beigeladene<br />
wenden sich mit ihrer Beschwerde gegen einen Beschluss des VG<br />
Hamburg vom 28.6.2004, mit dem dieses den Antragstellern<br />
vorläufigen Rechtsschutz gegen den Planfeststellungsbeschluss<br />
»Airbus Start- und Landebahnverlängerung« vom 29.4.2004<br />
gewährt hat. Dieser Planfeststellungsbeschluss ermöglicht die<br />
weitere Verlängerung der Start- und Landebahn des<br />
Sonderlandeplatzes der Beigeladenen in Hamburg-Finkenwerder<br />
um 589 Meter in Richtung Südwesten sowie weitere daraus<br />
resultierende Folgemaßnahmen. (…)<br />
Im Oktober 1998 beantragte die Freie und Hansestadt Hamburg<br />
bei der Planfeststellungsbehörde ihrer Wirtschaftsbehörde, Amt<br />
Strom- und Hafenbau – im Folgenden <strong>als</strong> Antragsgegnerin bezeichnet<br />
– die wasserrechtliche Planfeststellung eines Plans, mit<br />
dem u.a. die Zuschüttung einer etwa 170 ha großen Teilfläche des<br />
Mühlenberger Lochs zur Herrichtung einer Baufläche, die Schaffung<br />
einer etwa 150 Meter in die Elbe ragenden Halbinsel <strong>als</strong><br />
Grundfläche für eine Verlängerung der Start- und Landebahn des<br />
Sonderlandeplatzes der Beigeladenen, der Neubau und die Anpassung<br />
von Hochwasserschutzanlagen sowie ergänzende Anlagen<br />
und Folgemaßnahmen ermöglicht werden sollten. Gleichzeitig beantragte<br />
die Daimler-Benz Aerospace Airbus GmbH, die unmittelbare<br />
Rechtsvorgängerin der Beigeladenen, die Feststellung eines<br />
Planes nach dem Luftverkehrsgesetz (LuftVG), der u.a. die Verlängerung<br />
der Start- und Landebahn um 309 Meter in Richtung Nordosten<br />
sowie um 54 Meter Richtung Südwesten auf insgesamt<br />
2.684 Meter unter gleichzeitiger Verbreiterung um 30 Meter auf<br />
75 Meter und Verlegung der nordöstlichen Landeschwelle um<br />
277 Meter in Richtung Nordosten vorsah.<br />
Die Anträge wurden im Wesentlichen damit begründet, dass die<br />
vorhandenen Betriebsflächen und die vorhandene Start- und Landebahn<br />
für den Bau und die Auslieferung des geplanten Großraumflugzeugs<br />
A3XX nicht ausreichten. Die Start- und Landebahn müsse<br />
im genannten Umfang verlängert und verbreitert werden, um<br />
ein sicheres Starten und Landen der Flugzeuge des Typs A3XX in<br />
den seinerzeit projektierten Versionen A3XX-100 und A3XX-200<br />
mit einem definierten Abflug- bzw. Landegewicht zu ermöglichen.<br />
Die Antragsgegnerin fasste das wasserrechtliche Planfeststellungsverfahren<br />
und das luftverkehrsrechtliche Planfeststellungsverfahren<br />
gemäß § 78 Hamburgisches Verwaltungsverfahrensgesetz<br />
(HmbVwVfG) zusammen und stellte am 8.5.2000 den Plan<br />
«DA-Erweiterung A3XX« (Amtl. Anz. S. 1609 ff.) fest.<br />
Die Antragsteller haben gegen diesen Planfeststellungsbeschluss<br />
Klage (- 15 VG 3918/2000, – 15 VG 1382/2000 u.a.) erhoben. (…)<br />
Auf die Klage des Antragstellers zu 2) und eines weiteren Klägers<br />
hob das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 27.10.2002 (- 15 VG<br />
1382/2000, NordÖR 2002, 459) den Planfeststellungsbeschluss<br />
vom 8.5.2000 auf, weil es an ausreichenden gesetzlichen Grundlagen<br />
für das Vorhaben der Beigeladenen fehle. <strong>Das</strong> Verfahren über<br />
die von der Antragsgegnerin und der Beigeladenen eingelegte Berufung<br />
ist vor dem Beschwerdegericht noch anhängig (- 2 Bf<br />
345/02 -). Über die weiteren Klagen von Antragstellern gegen diesen<br />
Planfeststellungsbeschluss hat auch das Verwaltungsgericht<br />
noch nicht entschieden. (…)<br />
Im April 2002 meldete die Beigeladene bei der Freien und Hansestadt<br />
Hamburg Bedarf für eine weitere Verlängerung der Startund<br />
Landebahn an, weil die inzwischen ebenfalls zur Fertigung<br />
vorgesehene Frachtversion A 380 F eine solche benötige. (…)<br />
Während des Verwaltungsverfahrens verabschiedete die Bürgerschaft<br />
der Freien und Hansestadt Hamburg das Werkflugplatz-Enteignungsgesetz<br />
vom 18.2.2004 (GVBl. 2004, S. 95), welches vorsieht,<br />
dass der Werkflugverkehr der Beigeladenen dem Allgemeinwohl<br />
dient, und das unter weiteren Voraussetzungen die<br />
Enteignung sowie die vorzeitige Besitzeinweisung zum Zwecke des<br />
Erhalts und der Förderung der Flugzeugproduktion in Hamburg-<br />
Finkenwerder zulässt.<br />
Mit dem angegriffenen Planfeststellungsbeschluss vom<br />
29.4.2004 (Amtl. Anz. v. 3.5.2004, S. 866) genehmigte die Antragsgegnerin<br />
das Vorhaben entsprechend den Antragsunterlagen<br />
der Beigeladenen; die Einwendungen der Antragsteller wurden<br />
durchweg zurückgewiesen.<br />
Die Antragsteller haben – neben weiteren Klägern – am 5.5.2004<br />
gegen diesen Planfeststellungsbeschluss Klage erhoben. Ferner haben<br />
die Antragsteller (…) am 7.6.2004 (– 15 E 2865/04 –) beantragt,<br />
die aufschiebende Wirkung dieser Klage anzuordnen.<br />
Die Antragsteller machen im Eilverfahren in beiden Instanzen<br />
im Wesentlichen geltend, neben diversen entscheidungserheblichen<br />
Verfahrensfehlern des Planfeststellungsverfahrens fehle es an<br />
ausreichenden gesetzlichen Grundlagen für ihre nach dem Beschluss<br />
bevorstehende Enteignung, weil das Werkflugplatz-Enteignungsgesetz<br />
verfassungswidrig sei. (…)<br />
Durch Zwischenbeschluss vom 19.5.2004 hat das Verwaltungsgericht<br />
auf einen entsprechenden Antrag der Antragsteller zu 1) bis<br />
20) die aufschiebende Wirkung der Klage vorläufig bis zur abschließenden<br />
Entscheidung über den Antrag angeordnet, soweit der<br />
Neuenfelder Hauptdeich vor dem südwestlichen Kopf der Startund<br />
Landebahn der Beigeladenen abgetragen werden soll. Die dagegen<br />
gerichteten Beschwerden der Antragsgegnerin und der Beigeladenen<br />
hat das Beschwerdegericht mit Beschluss vom 19.5.2004<br />
(– 2 Bs 240/02 –) zurückgewiesen.<br />
Mit Beschluss vom 28.6.2004 hat das Verwaltungsgericht beide<br />
Verfahren verbunden und die aufschiebende Wirkung der Klage<br />
der Antragsteller gegen den Planfeststellungsbeschluss vom<br />
29.4.2004 angeordnet. (…)<br />
II. Die zulässigen Beschwerden der Antragsgegnerin und der Beigeladenen<br />
gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts haben nur<br />
hinsichtlich eines Teils der Antragsteller Erfolg. Im Ergebnis zu<br />
Recht hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der<br />
Klage der <strong>als</strong> Grundeigentümer oder Pächter von einer enteignungsrechtlichen<br />
Vorwirkung betroffenen Antragsteller angeordnet<br />
(1.). Allerdings können nicht alle Antragsteller geltend machen,<br />
von einer enteignungsrechtlichen Vorwirkung des Planfeststellungsbeschlusses<br />
betroffen zu sein (2.). (…)<br />
a) Anders <strong>als</strong> das Verwaltungsgericht vermag das Beschwerdegericht<br />
die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses<br />
allerdings nicht daraus herzuleiten, dass der vorangegangene<br />
Planfeststellungsbeschluss vom 8.5.2000 mangels einer<br />
hinreichenden Rechtsgrundlage für ein nicht unmittelbar gemeinnütziges<br />
Vorhaben keinen Bestand haben werde und der angefochtene<br />
Planfeststellungsbeschluss für sich allein keinen Sinn mache.<br />
<strong>Das</strong> Beschwerdegericht hat vielmehr in dem bei ihm anhängigen<br />
Berufungsverfahren zum Planfeststellungsbeschluss vom 8.5.2000<br />
(– 2 Bf 345/02 –) die dortigen Verfahrensbeteiligten – darunter der<br />
Antragsteller zu 2) und die Prozessbevollmächtigten aller Antragsteller<br />
– mittlerweile darauf hingewiesen, dass voraussichtlich die<br />
jenem Planfeststellungsbeschluss zugrundegelegten Rechtsgrundlagen<br />
auch eine nur mittelbar gemeinnützige Planfeststellung tragen<br />
können und dass dabei im Wege der Abwägung den davon Betroffenen<br />
auch nachteilige (Lärm-)Auswirkungen über die durch<br />
das zivile Nachbarrecht gesetzten Grenzen hinaus zugemutet werden<br />
können. In dem gerichtlichen Hinweis wird ausgeführt:<br />
»<strong>Das</strong> Berufungsgericht teilt nicht die die Entscheidung tragende<br />
Auffassung des Verwaltungsgerichts, nur unmittelbar gemeinnützige<br />
Zwecke eines nach § 8 LuftVG planfeststellungsbedürftigen<br />
Vorhabens könnten es rechtfertigen, dass Anwohnern mehr<br />
Lärm zugemutet werden dürfe, <strong>als</strong> sich sonst ohnehin aus § 906<br />
BGB ergeben würde. Ebensowenig folgt das Berufungsgericht dem<br />
ZUR 1/2005 | 39
RECHTSPRECHUNG | OVG Hamburg, Airbus-Erweiterung<br />
in diesem Zusammenhang vom Verwaltungsgericht entwickelten<br />
Verständnis der Planrechtfertigung.<br />
Was die Gemeinnützigkeit betrifft, so erscheint es seit dem den<br />
Beteiligten bekannten Boxberg-Urteil des BVerfG geklärt, dass auch<br />
mittelbare Folgen eines privatnützigen Vorhabens für die Entstehung<br />
von Arbeitsplätzen und die regionale Wirtschaft einen Gemeinwohlbezug<br />
und damit eine Bedeutung des Vorhabens für das<br />
allgemeine Wohl nach dem Maßstab des Art. 14 GG begründen<br />
können. Soweit sich aus älterer Judikatur hierzu etwas anderes ergibt,<br />
dürfte dies überholt sein. Die Forderung nach einem dies<br />
näher regelnden Gesetz hat das BVerfG nur wegen Art. 14 Abs. 3<br />
GG für den im vorliegenden Rechtstreit nicht gegebenen Fall der<br />
Enteignung aufgestellt. Unterhalb dieser Schwelle ist es im Rahmen<br />
der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums eine<br />
Frage des einfachen Rechts, dessen Regelungen darauf zu prüfen,<br />
was sich aus ihnen zur Bedeutung mittelbar gemeinnütziger<br />
Wirkungen ergibt.<br />
<strong>Das</strong> LuftVG enthält hierzu keine ausdrückliche Regelung, kennt<br />
aber in § 8 Abs. 1 das Gebot der Abwägung aller öffentlichen und<br />
privaten Belange. Was die regionale Wirtschaftskraft und die Schaffung<br />
von Arbeitsplätzen betrifft, so ist es im allgemeinen Planungsrecht<br />
des ROG und des BauGB nicht zweifelhaft, dass diese<br />
z.B. in § 2 Abs. 2 Nr. 9 ROG niedergelegten Grundsätze und in § 1<br />
Abs. 5 Nr. 8 BauGB angesprochenen Belange dort zugleich auch öffentliche<br />
Belange sind, sie dem allgemeinen Wohl dienen und es<br />
in der Abwägung rechtfertigen können, private Belange zurückzustellen.<br />
Vor diesem Hintergrund scheint auch für die Zeit vor der<br />
kürzlich erfolgten Ergänzung von § 28 LuftVG schwer begründbar,<br />
warum dieselben Belange im Fachplanungsrecht und speziell im<br />
Luftverkehrsrecht bereits ihrem Wesen nach nicht <strong>als</strong> öffentliche<br />
Belange sollten gewertet werden dürfen.<br />
Bei diesem Verständnis würde sich folgerichtig im Rahmen der<br />
Abwägung ergeben, welches Gewicht diese Belange im konkreten<br />
Fall haben dürfen und welche Nachteile für Betroffene dadurch gerechtfertigt<br />
werden können, so lange die durch das LuftVG allgemein<br />
vorgegebenen Grenzen nicht überschritten werden. Dabei<br />
würden etwa auch die Fragen nach Zahl oder längerfristigem Bestand<br />
der zu erwartenden Arbeitsplätze und ein Zusammenhang<br />
zwischen der Intensität der Beeinträchtigungen Dritter und dem<br />
Fortbestand der Arbeitsplätze (vgl. den Beschluss des BVerfG vom<br />
11.11.2002 – 1 BvR 218/99 –) von Bedeutung sein. Es liegt dabei<br />
nahe, dass die luftverkehrsrechtliche Planfeststellungsbehörde eine<br />
größere Zahl von Arbeitsplätzen oder eine Stärkung der Wirtschaftskraft<br />
an einem bestimmten Standort nicht allein aus eigener<br />
Kompetenz <strong>als</strong> einen gewichtigen Belang ansehen darf, sondern<br />
nur in Übereinstimmung mit den für die Raumordnung und<br />
evtl. den für die Bauleitplanung zuständigen Stellen. Dies erscheint<br />
hier allerdings angesichts der von der Beklagten mit den Ländern<br />
Niedersachsen und Schleswig-Holstein geschlossenen Staatsverträge<br />
aus dem November und Dezember 1998 nicht <strong>als</strong> problematisch.<br />
Was die Planrechtfertigung betrifft, sieht das Berufungsgericht<br />
gegenwärtig keinen Anlass, dieses aus den Zwecken des jeweiligen<br />
Fachplanungsrechts zu konkretisierende und in diesem Zusammenhang<br />
auf eine Vernünftigkeitskontrolle zielende Überprüfungskriterium<br />
bei einem luftverkehrsrechtlichen Vorhaben nicht<br />
anzuwenden, wenn der unmittelbare Vorhabenszweck ein privatnütziger<br />
ist. Wenn das Gesetz auch solche Vorhaben einer Planfeststellung<br />
unterwirft, liegt es nahe, dass auch bei solchen Vorhaben<br />
eine Überprüfung anhand der allgemeinen Zielsetzungen des<br />
Gesetzes bezogen auf privatnützige Vorhaben möglich und nötig<br />
ist. Die Erwägung, dass es bei einem privatnützigen Vorhaben hierauf<br />
nicht ankomme, weil es ohnehin nicht in fremde Rechte eingreifen<br />
dürfe, trifft – wenn sie nicht ohnehin durch das Boxberg-<br />
Urteil überholt sein sollte – jedenfalls auf das Luftverkehrsrecht<br />
nicht zu. Denn auch eine ausschließlich privatnützigen Zwecken<br />
dienende Planfeststellung für einen Landeplatz hätte ein Recht<br />
zum Überfliegen umliegender Grundstücke auch in solchen Höhen<br />
zur Folge, in denen sich nicht schon aus dem BGB ergibt, dass deren<br />
Eigentümer den Überflug nicht untersagen können. Es liegt nahe,<br />
dass eine solche Wirkung nicht durch eine Planfeststellung<br />
herbeigeführt werden dürfte, für die es eine Planrechtfertigung<br />
nicht gibt, die <strong>als</strong>o vernünftigerweise unterbleiben müsste.<br />
Bei der Heranziehung mittelbar gemeinnütziger Zwecke bei einer<br />
Planfeststellung könnte deren Berechtigung dem Grunde nach<br />
schon im Rahmen der Planrechtfertigung zu überprüfen sein. U.a.<br />
das Urteil das Bundesverwaltungsgerichts zum Flugplatz Bitburg<br />
kann in diese Richtung deuten. Die vorstehenden Erwägungen zur<br />
Übereinstimmung mit den Zielen von Raumordnung oder Bauleitplanung<br />
wären dann zunächst in diesem Zusammenhang anzustellen.<br />
Ist danach die Begründung des Verwaltungsgerichts, gegen die<br />
seitens der Beschwerdeführer in den Beschwerdebegründungen bereits<br />
vor Kenntnis von diesem rechtlichen Hinweis Bedenken hinreichend<br />
dargelegt worden waren (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO),<br />
nicht tragfähig, kann dies allerdings nicht bereits den Erfolg der Beschwerde<br />
rechtfertigen. Vielmehr hat das Beschwerdegericht nunmehr<br />
im Rahmen des § 80 a Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO das Rechtsschutzbegehren<br />
der Beschwerdeführer umfassend zu prüfen (vgl.<br />
z.B. OVG Hamburg, Beschl. v. 16.12.2002, NordÖR 2003, S. 67, 69;<br />
OVG Weimar, Beschl. v. 17.11.2003 – 2 EO 349/03 – in Juris<br />
m.w.N.; Bader in Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/v.Albedyll, VwGO,<br />
2. Auflage, § 146 Rn. 35).<br />
Diese Prüfung ergibt, dass der angefochtene Planfeststellungsbeschluss<br />
aller Voraussicht nach zu Lasten der <strong>als</strong> Grundeigentümer<br />
und Pächter von einer Enteignungsvorwirkung betroffenen<br />
Antragsteller rechtswidrig ist, weil der Beschluss hinsichtlich des<br />
das Vorhaben der Beigeladenen auslösenden Verlängerungsbedarfs<br />
von 312 Metern für die Frachtversion des A 380 eine solche Enteignung<br />
in seiner Abwägungsentscheidung nicht hinreichend<br />
rechtfertigt und mit hoher Wahrscheinlichkeit im Ergebnis nicht<br />
rechtfertigen kann (b), er die Enteignung in der Abwägungsentscheidung<br />
auch hinsichtlich der Verlängerung um 277 Meter aufgrund<br />
der Rückführung des Landegleitwinkels von 3,5° auf 3,0°<br />
nicht hinreichend rechtfertigt (c) und dass vor diesem Hintergrund<br />
auch im Übrigen eine an den Vollzugsfolgen ausgerichtete Interessenabwägung<br />
nicht zur Ablehnung des Antrags führen kann (d).<br />
Mögliche Verfahrensfehler und weitere materiellrechtliche Mängel<br />
des Planfeststellungsbeschlusses, wie sie von den Antragstellern<br />
geltend gemacht werden, können dahinstehen. (…)<br />
aa) Nach § 8 Abs. 1 LuftVG hatte die Antragsgegnerin im Rahmen<br />
der Planfeststellung eine Abwägung der von dem konkreten<br />
zur Genehmigung gestellten Vorhaben berührten öffentlichen und<br />
privaten Belange vorzunehmen. (…)<br />
Kommt im Rahmen einer Planfeststellung mit enteignungsrechtlicher<br />
Vorwirkung auch die Enteignung vom Vorhaben betroffener<br />
Grundeigentümer in Betracht, ist der rechtliche Maßstab<br />
für die fachplanerische Abwägung auch stets verfassungsrechtlicher<br />
Natur (vgl. z.B. BVerwG, Urt. v. 18.3.1983, BVerwGE 67, 74<br />
(76); Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 72 Rn. 39 m.w.N. d. Rspr. d. BVerwG).<br />
Denn ob ein Vorhaben dem Allgemeinwohl dient, ist, selbst<br />
wenn der einfache Gesetzgeber die Gemeinwohlklausel des Grundgesetzes<br />
in einfaches (Fachplanungs-)Recht übernimmt, eine Frage<br />
spezifischen Verfassungsrechts. Der einfache Gesetzgeber kann<br />
die materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine Enteignung<br />
allenfalls verschärfen, darf jedoch nicht dahinter zurückbleiben<br />
(vgl. z.B. Papier, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz,<br />
Kommentar, Stand 2003 (im Folgenden M/D/H/S), Art. 14 Rn. 573<br />
40 | ZUR 1/2005
OVG Hamburg, Airbus-Erweiterung | RECHTSPRECHUNG<br />
m.w.N.). Ob dem Gemeinwohlerfordernis Genüge getan ist, bedarf<br />
selbst in Fällen, in denen in einem Enteignungsgesetz bestimmte<br />
Maßnahmen generell <strong>als</strong> dem Allgemeinwohl dienend bezeichnet<br />
werden, stets der Einzelfallprüfung (vgl. z.B. BVerwG, Urt. v.<br />
10.4.1997, BVerwGE 104, 236 (249 f.); Papier, in: M/D/H/S, Art. 14<br />
Rn. 574 m.w.N.). Hierzu gehört <strong>als</strong> wesentlicher Gesichtspunkt,<br />
dass jede dem Allgemeinwohl dienende Enteignung nicht gegen<br />
das rechtsstaatliche Übermaßverbot verstoßen darf; dies bedeutet,<br />
dass ein Eigentumseingriff neben den Schranken von Eignung und<br />
Erforderlichkeit auch im engeren Sinne verhältnismäßig sein muss,<br />
<strong>als</strong>o keine Disproportionalität zwischen dem mit der Enteignung<br />
verfolgten Nutzen für das Allgemeinwohl und Schwere und Ausmaß<br />
des Schadens für den Enteignungsbetroffenen besteht (vgl.<br />
z.B. Papier, in: M/D/H/S, Art. 14 Rn. 589, 590 m.w.N.; Depenheuer,<br />
in: v.Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Kommentar, 4. Auflage,<br />
Art. 14 Rn. 433 m.w.N.).<br />
Insbesondere für Enteignungen zu Gunsten Privater, bei denen<br />
– wie vorliegend – der Nutzen für das allgemeine Wohl lediglich<br />
mittelbare Folge der Unternehmenstätigkeit ist, treten zusätzliche<br />
Anforderungen hinzu und machen es zusätzlich erforderlich, die<br />
grundlegenden Enteignungsvoraussetzungen, das Verfahren zu ihrer<br />
Ermittlung sowie Vorkehrungen zur Sicherung des verfolgten<br />
Gemeinwohlziels gesetzlich zu regeln (vgl. BVerfGE 74, 264 (287<br />
ff.); Papier, in: M/D/H/S, Art. 14 Rn. 584). Vieles spricht dafür, dass<br />
im Rahmen der erforderlichen Bestimmung der öffentlichen Interessen<br />
für eine Enteignung, die durch den mittelbaren Gemeinwohlbezug<br />
verwirklicht werden sollen, ein besonders gewichtiges,<br />
dringendes öffentliches Interesse erforderlich ist, um eine Enteignung<br />
zu Gunsten Privater zu rechtfertigen (so z.B. Papier, in<br />
M/D/H/S, Art. 14 Rn. 585). Enteignungen zur Umverteilung von<br />
Rechtspositionen zwischen Privaten, die nicht der Verwirklichung<br />
von jedenfalls mittelbaren Gemeinwohlbelangen dienen, sind unzulässig<br />
(vgl. z.B. Papier, in: M/D/H/S, Art. 14 Rn. 577; Depenheuer,<br />
in: v.Mangoldt/Klein/Starck, Art. 14 Rn. 435).<br />
Auch für die luftrechtliche Planfeststellung ist dieser verfassungsrechtliche<br />
Maßstab im Abwägungsgebot des § 8 Abs. 1<br />
LuftVG enthalten. Im vorliegenden Fall entbindet das hamburgische<br />
Werkflugplatz-Enteignungsgesetz die Planfeststellungsbehörde<br />
hiervon ebenfalls nicht.<br />
<strong>Das</strong> Werkflugplatz-Enteignungsgesetz folgt hinsichtlich des Verhältnisses<br />
zwischen Planfeststellungsbeschluss und dem ggf. nachfolgend<br />
erforderlichen Enteignungsverfahren keinen anderen<br />
Grundsätzen <strong>als</strong> dies bei den meisten anderen Fachplanungsgesetzen<br />
der Fall ist. Einwendungen gegen den die Enteignung auslösenden<br />
Planfeststellungsbeschluss und die inhaltliche Rechtfertigung<br />
der Enteignung sind danach im Enteignungsverfahren nicht<br />
mehr möglich (vgl. zu jenen z.B. Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 75 Rn.<br />
12 f.). Auch § 3 Abs. 1 Satz 2 dieses Gesetzes bestimmt, dass ein festgestellter<br />
oder genehmigter Plan im Enteignungsverfahren zugrunde<br />
zu legen und für die Enteignungsbehörde bindend ist; die<br />
Gesetzesbegründung verweist insoweit auf die enteignungsrechtliche<br />
Vorwirkung der jeweiligen planrechtlichen Zulassung (vgl.<br />
Bürgerschaftsdrucksache 17/3920, S. 7). Danach muss auch der<br />
vorliegende Planfeststellungsbeschluss jenen Anforderungen vollen<br />
Umfangs genügen, die für Planfeststellungsbeschlüsse mit enteignungsrechtlicher<br />
Vorwirkung auf der Basis der entsprechenden<br />
bundesrechtlichen Normen der Fachplanungsgesetze, etwa § 28<br />
LuftVG, bestehen.<br />
Zwar gab das streitige Vorhaben den Anlass zum Erlass des Werkflugplatz-Enteignungsgesetzes,<br />
weil es zuvor bereits dem Grunde<br />
nach an einer landesgesetzlichen Grundlage für Vorhaben der Beigeladenen<br />
fehlte, die ggf. eine Enteignung erfordern. <strong>Das</strong> Gesetz<br />
nimmt jedoch weder eine Legalenteignung vor noch lässt die Gesetzesstruktur<br />
erkennen, dass der Gesetzgeber in den Regelungen<br />
der §§ 1 bis 3 des Gesetzes für dieses Vorhaben bereits eine konkrete<br />
und abschließende Regelung dahin getroffen hat, dass dieses wie<br />
jedes andere denkbare Vorhaben der Beigeladenen mit möglichen<br />
Auswirkungen auf die erforderliche Länge der Start- und Landebahn<br />
per se von solcher Bedeutung für das Allgemeinwohl ist, dass<br />
die Enteignung hiervon betroffener privater Grundeigentümer<br />
ohne weitere Prüfung stets zulässig ist. Vielmehr beschreibt § 1 Abs.<br />
2 des Gesetzes die Merkmale, die nach dem Willen des Gesetzgebers<br />
abstrakt dazu führen, dass ein Produktionsvorhaben der Beigeladenen<br />
und der damit verbundene Werkflugverkehr am Standort<br />
Hamburg-Finkenwerder mittelbar auch dem Gemeinwohl im<br />
Sinne des Art. 14 Abs. 3 GG dient, wie dies in § 1 Abs. 1 ausgedrückt<br />
werden soll. § 2 enthält hierzu eine Konkretisierung, welche Produktionsvorhaben<br />
der Beigeladenen allgemein zur Verwirklichung<br />
dieser Ziele beitragen und welche in diesem Zusammenhang erforderlichen<br />
Baumaßnahmen einen Enteignungsbedarf auslösen<br />
können. § 3 regelt die Voraussetzungen von Enteignungen und<br />
stellt hierbei nicht auf einen konkreten Planfeststellungsbeschluss,<br />
sondern abstrakt auf die nach § 8 Abs. 1 und 2 LuftVG möglichen<br />
Entscheidungsformen des Planfeststellungsbeschlusses und der<br />
Plangenehmigung ab. <strong>Das</strong>s die Vorschriften, insbesondere § 2, bereits<br />
eine abschließende Bewertung – insbesondere – des konkreten<br />
Ausbauvorhabens im Hinblick auf die konkreten entgegenstehenden<br />
Rechte Enteignungsbetroffener vornehmen, ist deshalb<br />
weder dem Gesetzestext noch der Gesetzesbegründung (vgl. Bürgerschaftsdrucksache<br />
17/3920, S. 7) zu entnehmen. (…)<br />
Damit oblag der Planfeststellungsbehörde im Rahmen ihrer Entscheidung<br />
über den Antrag der Beigeladenen die Prüfung, ob das<br />
begehrte konkrete Vorhaben nach Maßgabe der im Werkflugplatz-<br />
Enteignungsgesetz niedergelegten Gemeinwohlbelange den verfassungsrechtlichen<br />
Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 GG für zur<br />
Verwirklichung des Vorhabens erforderliche Enteignungen genügt.<br />
bb) Die Antragsgegnerin hat im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens<br />
die fachplanerische Abwägung nicht rechtsfehlerfrei<br />
durchgeführt. Der Abwägungsvorgang – wie er in den vorgelegten<br />
Unterlagen und im Planfeststellungsbeschluss dokumentiert ist –<br />
war sowohl hinsichtlich der Vollständigkeit des Abwägungsmateri<strong>als</strong><br />
<strong>als</strong> auch bei der Erfassung der Bedeutung der betroffenen Belange<br />
fehlerbehaftet.<br />
Zum erforderlichen Abwägungsmaterial gehörte hinsichtlich der<br />
für das konkrete Vorhaben sprechenden öffentlichen und privaten<br />
Belange auch die Prüfung, welche Folgen von der Verwirklichung<br />
oder Nichtverwirklichung des Vorhabens für die privaten Unternehmensinteressen<br />
auf Seiten der Beigeladenen und für die <strong>als</strong><br />
mittelbar gemeinnützige Belange verfolgten Ziele der Schaffung<br />
und des Erhalts von Arbeitsplätzen und der Förderung der regionalen<br />
Wirtschaftsstruktur ausgehen. Diese Prüfung hat nur unvollständig<br />
stattgefunden.<br />
Gegenstand dieser Prüfung hatte nach § 8 Abs. 1 LuftVG hier das<br />
konkrete, vom Vorhabenträger im Planfeststellungsantrag beschriebene<br />
Vorhaben sowie der dadurch – mit Blick auf die Überwindung<br />
der (Eigentums-)Rechte Dritter – verbundene (mittelbare)<br />
Gemeinwohlbezug zu sein. Der Zweck des Vorhabens besteht<br />
primär darin, die Start- und Landebahn des Sonderlandeplatzes der<br />
Beigeladenen (einschließlich einer Entwicklungsreserve von 74<br />
Meter) um 312 Meter zu verlängern, um den Start und die Landung<br />
der Frachtversion des von der Beigeladenen produzierten Baumusters<br />
A 380 F, der Frachtversion des Großraumflugzeugs A 380, mit<br />
einem Gewicht von jedenfalls 66 v.H. (entsprechend 410 t) seines<br />
geplanten maximalen Startgewichts von 620 t auf dem Landeplatz<br />
zu ermöglichen, um auf diese Weise die Auslieferung dieses Flugzeugs<br />
über den Landeplatz durchführen zu können (Zif. 3.4.1 der<br />
Bedarfsbegründung). Alle weiteren beabsichtigten Maßnahmen,<br />
wie die weitere Verlängerung der Start- und Landebahn um<br />
ZUR 1/2005 | 41
RECHTSPRECHUNG | OVG Hamburg, Airbus-Erweiterung<br />
nochm<strong>als</strong> 277 Meter wegen einer Verringerung des Gleitwinkels<br />
bei Landungen aus Richtung Nordosten von 3,5° auf 3° (dazu unten<br />
c)), sowie alle weiteren erforderlichen Baumaßnahmen im Bereich<br />
der öffentlichen Straßen und der Gewässer sowie der Hochwasserschutzanlagen<br />
stellen demgegenüber Folgemaßnahmen dar,<br />
die das Vorhaben ihrerseits nicht rechtfertigen sollen.<br />
Nähere konkrete Angaben zur Quantifizierung und Qualifizierung<br />
dieses Verlängerungsbedarfs im Hinblick auf die Zahl der<br />
Frachtflugzeuge oder zu konkreten, den mittelbaren Gemeinwohlcharakter<br />
des zur Genehmigung gestellten Vorhabens aus der<br />
Sicht der Beigeladenen rechtfertigender Auswirkungen etwa auf die<br />
Arbeitsplätze enthält der Antrag (nur) insoweit, <strong>als</strong> die Beigeladene<br />
insgesamt einen Bedarf für dieses Flugzeugmuster von ca. 300 Flugzeugen<br />
sieht und zum Antragszeitraum 17 Bestellungen vorlagen<br />
(Zif. 3.3). Im Übrigen wird das Bedürfnis lediglich unter Berufung<br />
auf die allgemeine wirtschaftliche Bedeutung des Werks der Beigeladenen<br />
für Hamburg und mit der Zusage der politisch Verantwortlichen<br />
der Freien und Hansestadt Hamburg gerechtfertigt, »im<br />
Rahmen und nach Maßgabe der rechtlichen Regelungen alle<br />
Schritte zu unternehmen, damit Airbus ab 2006 eine Start- und<br />
Landebahn zur Verfügung steht, wie sie von Toulouse zur Verfügung<br />
gestellt wird« (Zif. 3.3 der Bedarfsbegründung a.E.). Die Möglichkeit<br />
einer Alternative, für die betroffenen Flüge auf einen anderen<br />
Hamburger Flughafen auszuweichen, wurde im Hinblick auf<br />
die hierfür erforderliche Infrastruktur, die damit verbundenen Kosten<br />
und die fehlende Akzeptanz bei den Kunden der Beigeladenen<br />
verneint (Zif. 3.5 d. Bedarfsbegründung). Im Rahmen des weiteren<br />
Planfeststellungsverfahrens hat die Beigeladene diesen Bedarf im<br />
Hinblick auf Einwendungen der Antragsteller und anderer Einwender<br />
insoweit zusätzlich beschrieben, <strong>als</strong> sie ausgeführt hat, dass<br />
alle Frachtflugzeuge in Hamburg industriell abgenommen werden<br />
sollen und lediglich die Kundenauslieferung für Kunden, die nicht<br />
aus Europa und dem mittleren Osten stammten, in Toulouse vorgenommen<br />
werden solle. Eine generelle Kundenauslieferung der<br />
Frachtversion in Toulouse oder in Rostock sei aufgrund des erforderlichen<br />
Transfers von Belegschaftsmitgliedern und Produktionsmitteln<br />
und vermeidbarer Belastungen der Umwelt durch zusätzliche<br />
Überführungsflüge nicht akzeptabel, und ein Verzicht auf die<br />
Endabnahme und Auslieferung an die Kunden sei für Airbus<br />
Deutschland nicht zumutbar; eine Veränderung der Arbeitsteilung<br />
zwischen Hamburg und Toulouse stehe nicht zur Diskussion (zu<br />
Einwendungen SD 211 bis 214, 221).<br />
Die Antragsgegnerin hat diese Begründung übernommen und<br />
keinen Anlass gesehen, diese Ausführungen zur Bedarfsbegründung<br />
zu hinterfragen oder die Beigeladene zu einer Ergänzung aufzufordern.<br />
Hierzu hätte allerdings im Hinblick auf eine widerspruchsfreie<br />
Zusammenstellung des erforderlichen Tatsachenmateri<strong>als</strong><br />
für die Abwägung der einander gegenüberstehenden<br />
Belange der Beigeladenen sowie öffentlicher Belange und jener der<br />
Enteignungsbetroffenen Anlass bestanden, um einen hinreichend<br />
eindeutigen (und widerspruchsfreien) Antragssachverhalt und insbesondere<br />
das tatsächliche Gewicht des Vorhabens im Hinblick auf<br />
die gemeinnützigen Belange <strong>als</strong> Voraussetzung einer fehlerfreien<br />
Abwägung festzustellen. Denn zum einen ließen die Darstellungen<br />
der Beigeladenen nicht erkennen, in welcher Weise die industrielle<br />
Abnahme von einer Bahnverlängerung abhängig war und welche<br />
Bedeutung der industriellen Abnahme der Flugzeuge im Verhältnis<br />
zur Abnahme und Auslieferung an die Kunden zukommt,<br />
und zum anderen ließen sie im Unklaren, welche konkreten Auswirkungen<br />
ein Verzicht auf die Durchführung der industriellen<br />
Abnahme sowie der Kundenauslieferung der Frachtversion des A<br />
380 am Standort Hamburg-Finkenwerder für die Beigeladene und<br />
die Verwirklichung der gemeinnützigen Belange hätte. (…)<br />
Vor allem hat die Antragsgegnerin jedoch bereits keine ausreichenden<br />
Feststellungen dahin getroffen, ob und welche Folgen für<br />
die gemeinnützigen Zielsetzungen eintreten würden, wenn die einen<br />
Verlängerungsbedarf auslösenden Produktionsschritte nicht<br />
am Standort Hamburg-Finkenwerder, sondern an anderer Stelle<br />
vorgenommen werden müssten und ob mit Blick auf die Gemeinwohlbelange<br />
solche Alternativen zur Verfügung ständen. Sie hat<br />
sich vielmehr die Auffassung der Beigeladenen vollen Umfangs zu<br />
eigen gemacht und unter Hinweis darauf, dass nach dem Antrag<br />
und dem Willen der Beigeladenen eine Verlagerung von »Arbeitspaketen«<br />
nicht erfolgen solle, von weiteren Feststellungen und<br />
Prüfungen abgesehen. Dies ließ eine hinreichende fachplanerische<br />
Abwägung der Belange unter Berücksichtigung ihres Gewichts<br />
nicht zu, da eine konkrete vorhabensbezogene Bewertung der die<br />
mittelbare Gemeinnützigkeit auslösenden Belange unter Berücksichtigung<br />
der fachplanerischen Alternativenprüfung und des verfassungsrechtlichen<br />
Übermaßverbots für die Abwägung mit den<br />
Belangen der durch das Vorhaben Enteignungsbetroffenen nicht<br />
hinreichend möglich war.<br />
Dementsprechend hat in der Folge keine den fachplanerischen<br />
und den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechende<br />
Abwägung zwischen den öffentlichen Belangen und Unternehmensbelangen<br />
der Beigeladenen einerseits und den Belangen der<br />
enteignungsbetroffenen Antragsteller [andererseits] im Planfeststellungsbeschluss<br />
stattgefunden. (…)<br />
Der Planfeststellungsbeschluss nimmt auf diese Weise die spezifische<br />
Bedeutung des konkreten Vorhabens für die zu verwirklichenden<br />
mittelbaren Gemeinwohlziele nicht bzw. unzureichend<br />
in den Blick und schließt auf diese Weise eine einzelfallorientierte,<br />
den Anforderungen des Übermaßverbots genügende Abwägung<br />
sowohl auf der einfachgesetzlichen fachplanungsrechtlichen Ebene<br />
<strong>als</strong> auch unter Berücksichtigung von Art. 14 Abs. 3 GG aus. (…)<br />
cc) Die dargelegten Mängel sind auch mit Blick auf § 10 Abs. 8<br />
LuftVG nicht unerheblich. Sie sind vielmehr für den Abwägungsvorgang<br />
und das Abwägungsergebnis erheblich gewesen, denn sie<br />
betreffen den Kern der der Antragsgegnerin obliegenden fachplanerischen<br />
Abwägung und die verfassungsrechtliche Rechtfertigung<br />
der Folgen des Vorhabens gegenüber den durch das Vorhaben am<br />
stärksten betroffenen Trägern privater Belange. Bereits dies müsste<br />
im Klageverfahren dazu führen, die Nichtvollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses<br />
festzustellen, solange die Mängel nicht behoben<br />
sind.<br />
Vieles spricht jedoch dafür, dass der Planfeststellungsbeschluss<br />
in einem Hauptsacheverfahren auch aufzuheben sein wird, weil<br />
das Abwägungsergebnis selbst fehlerhaft sein dürfte und die Mängel<br />
der Abwägung deshalb nicht zu beheben sein werden. Nach<br />
den gegenwärtig erkennbaren Umständen wird das Gewicht der für<br />
das konkrete Vorhaben sprechenden Belange auch unter Berücksichtigung<br />
der von der Antragsgegnerin und der Beigeladenen im<br />
vorliegenden Verfahren (zusätzlich) geltend gemachten Umstände<br />
des Vorhabens voraussichtlich nicht ausreichen, um eine Enteignung<br />
nach dem Maßstab des Art. 14 Abs. 3 GG zu rechfertigen.<br />
Hierbei sind folgende Erwägungen von erheblicher Bedeutung:<br />
Bei einer unmittelbar privatnützigen und – ungeachtet der Festlegungen<br />
des Hamburgischen Landesgesetzgebers in § 1 des Gesetzes<br />
zum Erhalt und zur Stärkung des Luftfahrtstandortes Hamburg<br />
und § 1 Abs. 1 Werkflugplatz-Enteignungsgesetz – verfassungsrechtlich<br />
im Rahmen von Art. 14 Abs. 3 GG nur mittelbar dem Gemeinwohl<br />
dienenden Enteignung kommt auch dem objektiven<br />
Gewicht der privatnützigen Interessen eine entscheidende Bedeutung<br />
zu.<br />
Dies wird in besonderem Maße deutlich, wenn der mittelbar gemeinnützige<br />
Zweck des Vorhabens im Wesentlichen darauf gerichtet<br />
ist, die Arbeitsplätze am Standort zu erhalten und die At-<br />
42 | ZUR 1/2005
RECHTSPRECHUNG IN LEITSÄTZEN<br />
traktivität eines Wirtschaftsstandortes auch für die Zukunft zu sichern<br />
oder zu fördern. Wäre in diesem Falle keine inhaltliche Prüfung<br />
des konkreten Bedarfs auf seine objektive Bedeutung möglich<br />
und erforderlich, wäre es einem Großunternehmen mit einem unmittelbar<br />
privatnützigen Vorhaben möglich, sein Interesse an einer<br />
Betriebserweiterung gegenüber umliegenden Grundstückseigentümern<br />
– mit staatlicher Unterstützung – im Wege der Enteignung<br />
allein dadurch durchzusetzen, dass es erklärt, dass es<br />
andernfalls Arbeitsplätze am Standort abbauen müsse oder den<br />
Standort durch Wegzug aufgebe.<br />
Solches wäre mit Art. 14 Abs. 3 GG, wie bereits ausgeführt,<br />
schlechterdings unvereinbar. Art. 14 Abs. 3 GG lässt in erster Linie<br />
nur eine Enteignung aus unmittelbar gemeinnützigen und damit<br />
(uneingeschränkt) dem Allgemeinwohl dienenden Gründen zu.<br />
Selbst in jenen Fällen, etwa wenn bei Verkehrsvorhaben ein Bedarf<br />
für ein Vorhaben ggf. sogar gesetzlich festgeschrieben ist, ist insbesondere<br />
bei einer enteignungsrechtlichen Vorwirkung im Rahmen<br />
der Abwägung im Planfeststellungsverfahren auch zu prüfen,<br />
ob aufgrund entgegenstehender Belange und ihres Gewichts auf<br />
die Realisierung eines Vorhabens gänzlich verzichtet werden muss<br />
(vgl. z.B. BVerwG, Urt. v. 10.4.1997, BVerwGE 104, 236 (249 f.); Urt.<br />
v. 15.1.2004 – 4 A 11/02, in juris). Es würde dieses Verhältnis grundlegend<br />
verändern, wenn im Falle einer bevorstehenden Enteignung,<br />
die aufgrund ihres nur mittelbaren Gemeinwohlbezugs nur<br />
unter zusätzlichen Voraussetzungen zulässig ist, ein Unternehmen<br />
in der Lage wäre, diese zu seinen Gunsten ohne eine solche eingehende<br />
Bedarfsprüfung seines konkreten unternehmerischen Vorhabens<br />
durchzusetzen. Dabei kann auf das objektive Gewicht eines<br />
Bedarfs wegen der bei großen Unternehmen mit mehreren<br />
Standorten bestehenden Gestaltungsmöglichkeiten nicht ohne<br />
weiteres daraus geschlossen werden, welche nachteiligen Folgen<br />
nach den Angaben des Unternehmens ohne eine antragsgemäße<br />
Verwirklichung des Vorhabens eintreten würden. Es bedarf vielmehr<br />
der Prüfung, ob sie auch bei einer den Standort grundsätzlich<br />
fördernden Unternehmensführung aus sachlich plausiblen<br />
Gründen zu befürchten wären. Diese Prüfung oblag und obliegt<br />
hier der Antragsgegnerin <strong>als</strong> Planfeststellungsbehörde.<br />
Diese Prüfung führt hinsichtlich des konkreten Vorhabens dazu,<br />
dass auf der Basis der dem Beschwerdegericht bekannten Umstände<br />
derzeit kein Bedarf für das Vorhaben erkennbar ist, der ein Enteignungen<br />
rechtfertigendes Gewicht aufweist. (…)<br />
Eine andere Beurteilung ist auch nicht gerechtfertigt, wenn man<br />
die Erwägungen von Antragsgegnerin und Beigeladener im Beschwerdeverfahren<br />
heranzieht, (nur) die Verlängerung der Startund<br />
Landebahn eröffne dem Standort Hamburg-Finkenwerder eine<br />
hinreichende Entwicklungsmöglichkeit. Diesen Gesichtspunkt,<br />
der in der Bedarfsbegründung der Beigeladenen mit dem Verweis<br />
auf eine Erklärung seitens des Senats der Freien und Hansestadt<br />
Hamburg angesprochen worden ist, »im Rahmen und nach Maßgabe<br />
der rechtlichen Regelungen alle Schritte zu unternehmen,<br />
damit der Beigeladenen ab 2006 eine Start- und Landebahn zur<br />
Verfügung steht, wie sie von Toulouse zur Verfügung gestellt wird«,<br />
hat der angefochtene Planfeststellungsbeschluss nicht <strong>als</strong> bedarfsbegründend<br />
aufgenommen. Er wäre <strong>als</strong> solcher allerdings genauso<br />
wenig geeignet, um eine Enteignung zu rechtfertigen, wie die vom<br />
Senat der Freien und Hansestadt Hamburg und der Beigeladenen<br />
geäußerte Befürchtung, der Standort Hamburg-Finkenwerder werde<br />
im Rahmen des Konzerns der Beigeladenen wegen seiner kürzeren<br />
Start- und Landebahn einen Konkurrenznachteil gegenüber<br />
dem Standort in Toulouse erleiden und könne zukünftig zu einem<br />
Standort »zweiter Klasse« werden, der an künftigen Innovationen<br />
nicht mehr teilhabe. Derartige Überlegungen trennen nicht hinreichend<br />
zwischen nachteiligen Wirkungen, die aus sachlichen<br />
Gründen plausibel sind, und Entwicklungen, die durch konzerninterne<br />
Vorgaben unabhängig von sachlichen Notwendigkeiten<br />
gesteuert werden können. Die Freie und Hansestadt Hamburg hat<br />
der Beigeladenen im Hinblick auf die strukturpolitische Bedeutung<br />
des Unternehmens für Arbeitsplätze und Wirtschaftsstruktur durch<br />
die Entscheidungen des hamburgischen Gesetzgebers eine Stellung<br />
eingeräumt, die über jene anderer Wirtschaftsunternehmen<br />
hinausgeht, die jedoch die Maßstäbe und Grenzen des Art. 14 Abs.<br />
3 GG nicht verändert und nicht verändern kann.<br />
c) Soweit der Planfeststellungsbeschluss <strong>als</strong> Folge der Notwendigkeit<br />
einer Bahnverlängerung um 312 Meter eine zusätzliche Verlängerung<br />
der Startbahn um weitere 277 Meter zur Wiederherstellung<br />
eines Gleitwinkels von 3° für Landungen in Richtung Südwesten<br />
(Landerichtung 23) für hinreichend erforderlich hält, um auch<br />
dafür Grundflächen der Antragsteller zu enteignen, lassen die vorangehenden<br />
Ausführungen auch die Rechtfertigung für die durch<br />
die Veränderung des Gleitwinkels bedingte Verlängerung entfallen.<br />
Denn diese Veränderung wird im Planfeststellungsbeschluss ausschließlich<br />
damit gerechtfertigt, dass der durch die Ausgangsverlängerung<br />
bedingte Wegfall des Neuenfelder Hauptdeiches <strong>als</strong> Luftfahrthindernis<br />
zugleich diese Folgewirkungen auslöse.<br />
Zusätzlich bestehen allerdings einerseits ernstliche rechtliche Bedenken<br />
dagegen, dass die Antragsgegnerin eine solche Folgewirkung<br />
<strong>als</strong> gesichert angenommen hat (aa), und würde andererseits<br />
die Widerlegung dieser Bedenken zugleich bedeuten, dass die Risiken<br />
einer Vollziehung des Planfeststellungsbeschlusses vor seiner<br />
abschließenden Überprüfung im Klageverfahren der Hauptsache<br />
zu Lasten der enteignungsbetroffenen Antragsteller erheblich gesteigert<br />
würden (bb). Beide Gesichtspunkte würden für sich genommen<br />
ebenfalls bereits die Anordnung der aufschiebenden Wirkung<br />
gegen den gesamten Planfeststellungsbeschluss rechtfertigen.<br />
aa) Auch bezüglich der Verlängerung um weitere 277 Meter gelten<br />
die zuvor dargestellten rechtlichen Rahmenbedingungen und<br />
fehlt es bereits an einer vollständigen Ermittlung des für eine<br />
rechtsfehlerfreie Abwägung erforderlichen Abwägungsmateri<strong>als</strong>.<br />
Denn die Antragsgegnerin hat es versäumt, hinreichend der Frage<br />
nachzugehen, ob der Wegfall des Luftfahrthindernisses »Neuenfelder<br />
Hauptdeich« am Ende der bisherigen Start- und Landebahn<br />
tatsächlich notwendig dazu führt, dass eine Rückführung des mit<br />
dem Planfeststellungsbeschluss vom 8.5.2000 auf 3,5° erhöhten<br />
Gleitwinkels erforderlich ist. (…)<br />
bb) Sollte allerdings ernstlich in Betracht kommen, dass entgegen<br />
den vorstehenden Ausführungen allein die tatsächliche Entfernung<br />
des Luftfahrthindernisses »Neuenfelder Hauptdeich« aus<br />
Anlass der Vollziehung des angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses<br />
zur Verlängerung der Start- und Landebahn dem zur Zeit<br />
im Ausnahmewege zugelassenen Gleitwinkel von 3,5° die Grundlage<br />
endgültig entzieht, würde auch dies bereits für sich die Anordnung<br />
der aufschiebenden Wirkung der Klage rechtfertigen.<br />
Dann würde nämlich die von der Beigeladenen bei Erfolg ihrer Beschwerde<br />
<strong>als</strong>bald beabsichtigte Entfernung dieses Deichabschnitts<br />
die Grundlage dafür entfallen lassen, die im Planfeststellungsbeschluss<br />
vom 8.5.2000 in Richtung Nordosten zugelassenen Verlängerungsstrecke<br />
für Landungen in Richtung Südwesten (Landerichtung<br />
23) zu nutzen, die nur bei einem Landegleitwinkel von<br />
3,5° genutzt werden kann. Dies hätte zur Folge, dass ohne die hier<br />
streitige Verlängerung die verbleibende Bahnlänge auch für die<br />
Passagierversion des A 380 nicht mehr ausreichen würde und sich<br />
deswegen ein Bedarf für eine Verlängerung um 277 Meter in Richtung<br />
Südwesten ergeben würde, um auch nur die Ziele der Planfeststellung<br />
vom 8.5.2000 nicht zu gefährden. Die Deckung dieses<br />
Bedarfs, der gegenüber dem hier zu beurteilenden Bedarf für die<br />
Frachtversion deutlich gewichtiger wäre, würde in gleicher Weise<br />
Enteignungen auf Antragstellerseite im Bereich des ersten Teils der<br />
Verlängerungsstrecke erforderlich machen.<br />
ZUR 1/2005 | 43
RECHTSPRECHUNG | OVG Hamburg, Airbus-Erweiterung<br />
Auf diese Weise hätte dann gerade der Vollzug des angefochtenen<br />
Planfeststellungsbeschlusses einen selbstständigen Bedarf für<br />
den Fall geschaffen, dass er selbst im Klageverfahren keinen Bestand<br />
haben sollte. Unter solchen Umständen hätte der Antrag auf<br />
Anordnung der aufschiebenden Wirkung nur abgelehnt werden<br />
können, wenn die Klage im Verfahren der Hauptsache mit sehr hoher<br />
Wahrscheinlichkeit erfolglos bleiben müsste. Davon kann<br />
nach den vorstehenden Ausführungen jedoch gerade nicht die Rede<br />
sein.<br />
d) Selbst wenn man diese mögliche Gefahr der Entstehung eines<br />
selbstständigen Enteignungsbedarfs <strong>als</strong> Folge des Sofortvollzugs<br />
außer Acht lässt, würde eine Abwägung zwischen den Interessen<br />
der Beigeladenen und der Antragsgegnerin an der sofortigen Vollziehung<br />
des Planfeststellungsbeschlusses einerseits und den Interessen<br />
der enteignungsbetroffenen Antragsteller andererseits es<br />
nicht rechtfertigen können, trotz der dargestellten Erfolgsaussichten<br />
der Klagen den Interessen der Beigeladenen und der Antragsgegnerin<br />
den Vorrang einzuräumen. Die Vollziehung würde weitgehend<br />
vollendete Tatsachen schaffen, die nur schwer wieder rückgängig<br />
zu machen wären. Sie würde darüber hinaus für den<br />
Antragsteller zu 2) im Ergebnis die Vollzugsfolgen des von ihm<br />
noch angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses vom 8.5.2000<br />
von einer Lärmbetroffenheit bis zum – jedenfalls zeitweiligen –<br />
Verlust und zur völligen Veränderung seines Wohngrundstücks<br />
steigern.<br />
2. Die Beschwerden der Antragsgegnerin und der Beigeladenen<br />
haben Erfolg, soweit das Verwaltungsgericht die aufschiebende<br />
Wirkung der Klagen der Antragsteller zu 5), 6), 9), 11) bis 20) und<br />
24) bis 35) angeordnet hat.<br />
Die Antragsgegnerin und die Beigeladene machen mit ihren Beschwerden<br />
zu Recht geltend, dass diese Klagen voraussichtlich erfolglos<br />
bleiben werden, weil diese Antragsteller nicht berechtigt<br />
seien, eine enteignungsrechtliche Vorwirkung geltend zu machen<br />
und andere subjektive Rechte nicht verletzt seien.<br />
a) Die Antragsteller zu 5), 6), 9), 11) bis 20) und 24) bis 35) leiten<br />
ihre Betroffenheit durch den Planfeststellungsbeschluss vornehmlich<br />
aus ihrer Stellung <strong>als</strong> (Mit-)Eigentümer des 100 m_<br />
großen Flurstücks 2999 her, das für das genehmigte Vorhaben in<br />
Anspruch genommen werden und ggf. enteignet werden muss,<br />
wenn das Vorhaben verwirklicht wird. Gegen Klage und Antrag<br />
greift insoweit der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung<br />
durch. (…)<br />
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der<br />
das Beschwerdegericht folgt, ist es zwar für die Klagebefugnis<br />
grundsätzlich unerheblich, aus welchen Gründen ein Eigentümer<br />
das Eigentum erworben hat und gehört es zu den von der Rechtsordnung<br />
gebilligten Zielen, ein Grundstück für Zwecke des Naturschutzes<br />
und der Landschaftspflege zu erhalten und gegen konkurrierende<br />
Nutzungsansprüche zu verteidigen. Eine andere rechtliche<br />
Beurteilung ist danach aber dann geboten, wenn die geltend<br />
gemachte Rechtsposition nicht schutzwürdig und rechtsmissbräuchlich<br />
begründet worden ist, etwa wenn das Eigentum nicht<br />
erworben worden ist, um die mit ihm verbundenen Gebrauchsmöglichkeiten<br />
zu nutzen, sondern nur <strong>als</strong> Mittel dafür dient, die<br />
formalen Voraussetzungen für eine Prozessführung zu schaffen, die<br />
nach der Rechtsprechung dem Eigentümer vorbehalten ist. So liegt<br />
es hier.<br />
Der Eigentumserwerb dieser Antragsteller ist bereits in seinem<br />
Ansatz zeitparallel mit den gegen den Planfeststellungsbeschluss<br />
vom 8.5.2000 eingelegten Rechtsmitteln erfolgt, um im dortigen<br />
wie nunmehr im vorliegenden Rechtsstreit eine Verletzung eigener<br />
Rechte geltend machen zu können. (…)<br />
b) Soweit ein Teil dieser Antragsteller, die Antragsteller zu 6) und<br />
11) bis 14), auch in einem näheren Umkreis um den Verlängerungsbereich<br />
der Start- und Landebahn wohnt und ergänzend geltend<br />
macht, in unzumutbarer Weise zusätzlichen Immissionen<br />
durch Lärm und Abgase ausgesetzt zu sein, ist eine Verletzung subjektiv-öffentlicher<br />
Rechte nicht ersichtlich und wird die erhobene<br />
Anfechtungsklage dieser Antragsteller auch insoweit keinen Erfolg<br />
haben. Gegenstand der Beurteilung ist insoweit, ob diesen Antragstellern<br />
durch den Planfeststellungsbeschluss vom 29.4.2004<br />
zusätzliche Belastungen mit der Folge einer Verletzung ihrer subjektiv-öffentlichen<br />
Rechte zugemutet werden. Solches haben die<br />
Antragsteller im vorliegenden Verfahren nicht dargelegt und ist<br />
auch im Übrigen gegenwärtig nicht erkennbar. Denn durch die<br />
weitere Verlängerung der Start- und Landebahn in Richtung Südwesten<br />
wäre eine zusätzliche Lärmbelastung von Gewicht schon<br />
nach der Struktur der genehmigten Maßnahme nicht zu erwarten.<br />
(…)<br />
44 | ZUR 1/2005
RECHTSPRECHUNG IN LEITSÄTZEN<br />
RECHTSPRECHUNG IN LEITSÄTZEN<br />
Anwendung der FFH-RL auf Projekte in<br />
Vogelschutzgebieten<br />
BVerwG, Urteil vom 1. April 2004 – 4 C 2.03<br />
1. Ein Verstoß gegen die Vogelschutz-Richtlinie (79/409/<br />
EWG) kann in einem ergänzenden Verfahren nach § 17 Abs.<br />
6 c FStrG behoben werden, indem die Voraussetzungen für<br />
den Wechsel in das Schutzregime der Fauna-Flora-Habitat-<br />
Richtlinie (92/43/EWG) geschaffen und die Schutz- und<br />
Ausnahmebestimmungen des Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL<br />
bzw. des § 34 BNatSchG 2002 nachträglich angewandt<br />
werden.<br />
2. Der Übergang in das Schutzregime der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie<br />
setzt nach Art. 7 FFH-RL eine endgültige<br />
rechtsverbindliche und außenwirksame Erklärung eines<br />
Gebiets zum besonderen Schutzgebiet (Vogelschutzgebiet)<br />
voraus. Die Meldung eines Gebiets an die Europäische<br />
Kommission und die einstweilige naturschutzrechtliche<br />
Sicherstellung eines Gebiets lösen den Regimewechsel<br />
(noch) nicht aus.<br />
3. Ein Straßenbauvorhaben in einem »faktischen« (nichterklärten)<br />
Vogelschutzgebiet ist nach Art. 4 Abs. 4 Satz 1 der<br />
Vogelschutz-Richtlinie grundsätzlich unzulässig, wenn es<br />
durch die Verkleinerung des Gebiets zum Verlust mehrerer<br />
Brut- und Nahrungsreviere führen würde, die einem Hauptvorkommen<br />
einer der Vogelarten in Anhang I der Richtlinie<br />
dienen.<br />
Vorinstanz: I. OVG Koblenz vom 9.1.2003 – 1 C 10187/01 –<br />
Drittschutz gegen private Schwimmhalle<br />
im Wohngebiet<br />
BVerwG, Urteil vom 28. April 2004 – 4 C 10.03<br />
1. Die Festsetzung eines Kleinsiedlungsgebiets ist funktionslos<br />
geworden, wenn im betroffenen Gebiet auf absehbare Zeit<br />
nicht mehr mit einer Rückkehr zur Selbstversorgung mit<br />
Nahrungsmitteln, die auf dem Grundstück gewonnen<br />
werden, zu rechnen ist und sich die Bewohner erkennbar<br />
auf diesen Zustand eingestellt haben.<br />
2. Eine bauliche Anlage, die zwar der sportlichen Betätigung<br />
dienen soll, aber nur zur Benutzung durch die Bewohner<br />
des auf demselben Grundstück befindlichen Wohnhauses<br />
und deren persönliche Gäste bestimmt und beschränkt ist,<br />
fällt nicht in den Anwendungsbereich von § 3 Abs. 3 Nr. 2<br />
BauNVO.<br />
3. Eine private Schwimmhalle in einem Wohngebiet ist <strong>als</strong><br />
Nebenanlage anzusehen. Sie ist nicht zulässig, wenn sie das<br />
Merkmal der funktionellen und räumlich-gegenständlichen<br />
Unterordnung nicht erfüllt. Dem Nachbarn steht insoweit<br />
ein subjektives Abwehrrecht zu.<br />
Vorinstanzen: I. VG Hamburg vom 29.8.2000 – 12 VG 5528/96 –<br />
II. OVG Hamburg vom 30.7.2003 – 2 Bf 426/00 –<br />
Elektrosmog<br />
VGH Mannheim, Beschluss vom 2. März 2004 – 8 S 243/04<br />
1. Es ist mit der aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgenden Pflicht<br />
des Staates zum Schutz der menschlichen Gesundheit vereinbar,<br />
dass die Grenzwerte nach § 2 der 26. BImSchVO<br />
keinen Schutz gegen zwar nicht auszuschließende, derzeit<br />
wissenschaftlich aber nicht belegbare Gefährdungen durch<br />
sog. athermische (biologische) Wirkungen hochfrequenter<br />
elektromagnetischer Felder bieten (wie BVerfG, Kammerbeschl.<br />
vom 28.2.2002 – 2 BvR 1676/01, NJW 2002, 1638<br />
m.w.N.).<br />
2. Die Staatszielbestimmung des Art. 20a GG vermag die<br />
Schutzpflicht nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG schon deshalb<br />
nicht zu einer Vorsorgepflicht gegen solche hypothetischen<br />
Gefahren elektromagnetischer Felder zu »verdichten«, weil<br />
diese nicht über eine Schädigung der natürlichen Lebensgrundlagen<br />
– etwa eine Verseuchung von Luft oder Boden<br />
–, sondern unmittelbar auf den Menschen einwirken.<br />
3. Zu den Anforderungen an die Darlegung neuer wissenschaftlicher<br />
Erkenntnisse zur Gefährlichkeit elektromagnetischer<br />
Felder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes<br />
(im Anschluss an BVerfG, a.a.O.).<br />
Vorinstanz: VG Stuttgart 11 K 3634/03 –<br />
Verantwortlichkeit für Grenzbaum<br />
BGH, Urteil vom 2. Juli 2004 – V ZR 33/04<br />
a. Ein Baum ist ein Grenzbaum im Sinne von § 923 BGB, wenn<br />
sein Stamm dort, wo er aus dem Boden heraustritt, von der<br />
Grundstücksgrenze durchschnitten wird.<br />
b. Jedem Grundstückseigentümer gehört der Teil des Grenzbaumes,<br />
der sich auf seinem Grundstück befindet (vertikal<br />
geteiltes Eigentum).<br />
c. Jeder Grundstückseigentum ist für den ihm gehörenden Teil<br />
eines Grenzbaumes in demselben Umfang verkehrssicherungspflichtig<br />
wie für einen vollständig auf seinem<br />
Grundstück stehenden Baum.<br />
d. Verletzt jeder Eigentümer die ihm hinsichtlich des ihm<br />
gehörenden Teils eines Grenzbaumes obliegende Verkehrssicherungspflicht,<br />
ist für den ihnen daraus entstandenen<br />
Schaden eine Haftungsverteilung nach § 254 BGB vorzunehmen.<br />
Vorinstanzen: OLG Düsseldorf, LG Krefeld<br />
ZUR 1/2005 | 45
GESETZGEBUNG | Falke, Neueste Entwicklungen im Europäischen <strong>Umweltrecht</strong><br />
Josef Falke<br />
GESETZGEBUNG<br />
Neueste Entwicklungen im Europäischen <strong>Umweltrecht</strong><br />
A. Informationen über industrielle<br />
Verschmutzungen<br />
<strong>Das</strong> Aarhus-Übereinkommen über den Zugang<br />
zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung<br />
an Entscheidungsverfahren<br />
und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten<br />
enthält in Art. 5 Abs. 9 eine<br />
Verpflichtung zur Einrichtung einheitlicher<br />
Schadstoffverzeichnisse oder -register<br />
in Form strukturierter, computergestützter<br />
und öffentlich zugänglicher Datenbanken,<br />
die anhand standardisierter Berichte erstellt<br />
werden. Die Kommission hat am 17.7.2000<br />
gemäß Art. 15 der Richtlinie 96/61/EG des<br />
Rates über die integrierte Vermeidung und<br />
Verminderung der Umweltverschmutzung<br />
(IPPC) 1 die Entscheidung 2000/479/EG<br />
über den Aufbau eines Europäischen Schadstoffemissionsregisters<br />
(EPER – European<br />
Pollutant Emission Register) 2 getroffen. <strong>Das</strong><br />
Verzeichnis funktioniert seit dem<br />
23.2.2004 3 ; in den ersten drei Monaten<br />
wurden etwa 100.000 Abfragen registriert. 4<br />
Am 21.5.2003 hat die EG das UN-ECE-Protokoll<br />
über Register zur Erfassung der Freisetzung<br />
und Übertragung von Schadstoffen<br />
unterzeichnet. Die vorangegangenen Verhandlungen<br />
hatten sich an den Grundzügen<br />
des EPER <strong>als</strong> Modell orientiert. Damit<br />
die EG das Protokoll ratifizieren und umsetzen<br />
kann 5 , hat die Kommission eine auf<br />
Art. 175 EG gestützte Verordnung des Europäischen<br />
Parlaments und des Rates vorgeschlagen,<br />
um das EPER zu erweitern und<br />
ein europäisches Schadstofffreisetzungsund<br />
Verbringungsregister (PRTR – Pollutant<br />
Release and Transfer Register) einzurichten.<br />
6 <strong>Das</strong> PRTR soll mehr Daten umfassen<br />
und bessere Informationen liefern. <strong>Das</strong> erweiterte<br />
Register soll im Jahr 2009 im Internet<br />
eingerichtet werden und das EPER<br />
ersetzen. Dessen Grundmuster bleibt erhalten;<br />
das PRTR wird <strong>als</strong>o ebenfalls nach Ländern<br />
geordnete Angaben über die Höhe der<br />
Verschmutzung durch bestimmte Schadstoffe,<br />
die Qualität der örtlichen Umwelt<br />
sowie die auf bestimmte Industrieanlagen<br />
und -tätigkeiten zurückzuführenden Emissionen<br />
enthalten und für jede interessierte<br />
Person ohne Nachweis eines besonderen<br />
Interesses auf elektronischem Wege über<br />
das Internet zugänglich sein. Die Anzahl<br />
der erfassten Stoffe soll von 50 auf 90 ausgeweitet<br />
werden, die Anzahl der Industrietätigkeiten<br />
von 56 auf 65. <strong>Das</strong> erweiterte<br />
Register soll auch Angaben über die Freisetzung<br />
in Böden, die Freisetzung aus diffusen<br />
Quellen wie Straßenverkehr, Luftfahrt,<br />
Schifffahrt und Landwirtschaft und darüber<br />
enthalten, was die erfassten Industriebetriebe<br />
mit ihrem Abfall und Abwasser<br />
machen. Statt im Abstand von drei Jahren<br />
soll die Berichterstattung jährlich erfolgen.<br />
Die Bürger sollen Gelegenheit erhalten, ihre<br />
Wünsche bezüglich der Weiterentwicklung<br />
des PRTR zu äußern. Obwohl nicht die<br />
Verschmutzung selbst, sondern nur der<br />
Umgang mit den einschlägigen Informationen<br />
geregelt wird, geht die Kommission<br />
davon aus, dass das erweiterte Register zu<br />
einer signifikanten Verringerung der Verschmutzungswerte<br />
führen wird. Die integrierte,<br />
einheitliche Datenbank des Europäischen<br />
PRTR werde Entscheidungsträgern,<br />
Wissenschaftlern, Industrie und<br />
anderen Organisationen eine solide Grundlage<br />
für künftige Entscheidungen bieten<br />
und den öffentlichen Druck zur Verringerung<br />
von Verschmutzungen verstärken.<br />
B. Handbuch zur umweltverträglichen<br />
öffentlichen Beschaffung<br />
Die Europäische Kommission hat im August<br />
2004 ein Handbuch für ein umweltorientiertes<br />
öffentliches Beschaffungswesen 7<br />
vorgelegt, in dem sie darlegt, wie öffentliche<br />
Einrichtungen sowie nationale und lokale<br />
Verwaltungen bei der Beschaffung von<br />
Gütern, Dienst- und Bauleistungen Umweltbelangen<br />
Rechnung tragen können. 8<br />
Die öffentliche Hand wendet jährlich etwa<br />
16 % des gemeinschaftlichen Bruttoinlandsprodukts,<br />
d. h. rund 1,5 Billionen Euro, für<br />
öffentliche Beschaffungen auf. Eine umweltorientierte<br />
Ausrichtung der öffentlichen<br />
Beschaffungen kann die Nachfrage<br />
nach umweltfreundlichen Waren steigern,<br />
die umweltbewusste Produktion fördern<br />
und umweltfreundlichen Technologien<br />
helfen, den Markt zu erobern. Ferner würden<br />
die effiziente Verwendung von Energie<br />
und Ressourcen und die Abfallvermeidung<br />
gefördert. <strong>Das</strong> Handbuch enthält Beispiele<br />
für bewährte Methoden und Ratschläge für<br />
alle Etappen des Beschaffungsverfahrens.<br />
Die am 31.3.2004 verabschiedeten neuen<br />
Richtlinien für die öffentliche Beschaffung 9<br />
eröffnen verschiedene Möglichkeiten, Umweltbelange<br />
bei der öffentlichen Beschaffung<br />
zu berücksichtigen. Eine aktuelle Studie<br />
über die Beschaffungspraktiken in den<br />
Mitgliedstaaten der EU-15 10 zeigt allerdings,<br />
dass nur 19 % aller öffentlichen Stellen<br />
in nennenswertem Umfang eine umweltorientierte<br />
Beschaffung betreiben, indem<br />
sie bei mehr <strong>als</strong> der Hälfte ihrer<br />
Beschaffungen Umweltkriterien anwenden.<br />
Haupthindernisse sind das mangelnde<br />
Wissen darüber, wie die richtigen Umweltkriterien<br />
in den Ausschreibungsunterlagen<br />
festzulegen sind, Haushaltsengpässe wegen<br />
der vielfach auf den ersten Blick höheren<br />
Preise umweltfreundlicher Produkte und<br />
Dienstleistungen sowie Rechtsunsicherheit.<br />
<strong>Das</strong> Handbuch soll dazu beitragen,<br />
diese Hindernisse zu überwinden. Es enthält<br />
u. a. den Hinweis, dass die Lebenszykluskosten<br />
der beschafften Produkte,<br />
1 ABl. L 257 v. 10.10.1996, 26-40.<br />
2 ABl. L 192 v. 28.7.2000, 36-43.<br />
3 ABl. C 55 v. 3.3.2004, 6.<br />
4 Die EPER-Website sowie Hintergrundinformationen<br />
finden sich unter http://www.eper.cec.<br />
eu.int.<br />
5 Vgl. Vorschlag für einen Beschluss des Rates zum<br />
Abschluss des UN-ECE-Protokolls über Register<br />
zur Erfassung der Freisetzung und Übertragung<br />
von Schadstoffen im Namen der Europäischen<br />
Gemeinschaft, KOM (2004) 635 endg. v.<br />
6.10.2004.<br />
6 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen<br />
Parlaments und des Rates über die Schaffung<br />
eines Europäischen Registers zur Erfassung<br />
der Freisetzung und Übertragung von Schadstoffen<br />
und zur Änderung der Richtlinien<br />
91/689/EWG und 96/61/EG des Rates, KOM<br />
(2004) 634 endg. v. 7.10.2004.<br />
7 Commission Staff Working Document, Buying<br />
green! A handbook on environmental public<br />
procurement, SEC(2004) 1050, 18.8.2004. <strong>Das</strong><br />
Handbuch und weitere Informationen zur umweltfreundlichen<br />
öffentlichen Beschaffung können<br />
unter der folgenden Internet-Adresse abgerufen<br />
werden: .<br />
8 Zur Berücksichtigung von Umweltbelangen bei<br />
der öffentlichen Auftragsvergabe unter Geltung<br />
der alten Vergaberichtlinien vgl. Interpretierende<br />
Mitteilung der Kommission über das auf das<br />
Öffentliche Auftragswesen anwendbare Gemeinschaftsrecht<br />
und die Möglichkeiten zur<br />
Berücksichtigung von Umweltbelangen bei der<br />
Vergabe öffentlicher Aufträge, KOM (2001) 274<br />
endg. v. 4.7.2001.<br />
9 Richtlinie 2004/17/EG des Europäischen Parlaments<br />
und des Rates v. 31.3.2004 zur Koordinierung<br />
der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber<br />
im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung<br />
sowie der Postdienste, ABl. L<br />
134 v. 30.4.2004, 1-113; Richtlinie 2004/18/EG<br />
des Europäischen Parlaments und des Rates v.<br />
31.3.2004 über die Koordinierung der Verfahren<br />
zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge<br />
und Dienstleistungsaufträge, ABl. L 134 v.<br />
30.4.2004, 114-240.<br />
10 ICLEI European Secretariat, Eco-Procurement<br />
Programme, Study contract to survey the state of<br />
play of green public procurement in the European<br />
Union. Final Report, Freiburg, July 2003.<br />
46 | ZUR 1/2005
Falke, Neueste Entwicklungen im Europäischen <strong>Umweltrecht</strong> | GESETZGEBUNG<br />
Dienst- und Bauleistungen berücksichtigt<br />
werden müssen, und verweist auf eine Online-Datenbank,<br />
in der Umweltinformationen<br />
zu etwa 100 Produkten und Dienstleistungen<br />
zu finden sind. 11<br />
Die Richtlinien bieten folgende Möglichkeiten<br />
zur Berücksichtigung von Umweltaspekten:<br />
– In den technischen Spezifikationen zur<br />
Umschreibung der Anforderungen an<br />
Bauleistungen, Waren oder Dienstleistungen<br />
können die Leistungs- und<br />
Funktionsanforderungen Umwelteigenschaften<br />
umfassen. Dabei können die öffentlichen<br />
Auftraggeber die detaillierten<br />
Spezifikationen oder gegebenenfalls Teile<br />
davon verwenden, die in europäischen,<br />
(pluri-)nationalen oder anderen<br />
Umweltgütezeichen definiert sind,<br />
wenn folgende Voraussetzungen 12 erfüllt<br />
sind: Sie müssen sich zur Definition der<br />
Merkmale der Waren oder Dienstleistungen<br />
eignen. Die Anforderungen an<br />
das Gütezeichen werden auf der Grundlage<br />
von wissenschaftlich abgesicherten<br />
Informationen ausgearbeitet. Die Umweltgütezeichen<br />
werden im Rahmen eines<br />
Verfahrens ausgearbeitet, an dem interessierte<br />
Kreise – wie z. B. staatliche<br />
Stellen, Verbraucher, Hersteller, Händler<br />
und Umweltorganisationen – teilnehmen<br />
können. Die Gütezeichen sind für<br />
alle Beteiligten zugänglich und verfügbar.<br />
Dabei kann angegeben werden, dass<br />
bei Waren oder Dienstleistungen, die<br />
mit einem Umweltgütezeichen ausgestattet<br />
sind, vermutet wird, dass sie den<br />
in den Verdingungsordnungen festgelegten<br />
technischen Spezifikationen<br />
genügen. 13 Die Anforderungen sind so<br />
genau zu fassen, dass sie den Bietern ein<br />
klares Bild vom Auftragsgegenstand vermitteln<br />
und dem öffentlichen Auftraggeber<br />
die Erteilung des Zuschlags ermöglichen.<br />
– Technische Spezifikationen können sich<br />
auch auf Umweltleistungsstufen sowie<br />
Produktionsprozesse und -methoden beziehen.<br />
14<br />
– Lassen die öffentlichen Auftraggeber Varianten<br />
zu, so haben sie in den<br />
Verdingungsunterlagen die Mindestanforderungen<br />
zu nennen, die die Varianten<br />
erfüllen müssen. Sie dürfen nur solche<br />
Varianten berücksichtigen, die diese<br />
Mindestanforderungen erfüllen. 15 Solche<br />
Mindestanforderungen können präzise<br />
Umweltaspekte enthalten.<br />
– Die öffentlichen Auftraggeber können zusätzliche<br />
Bedingungen für die Ausführung<br />
des Auftrags vorschreiben, sofern<br />
diese mit dem Gemeinschaftsrecht<br />
vereinbar sind und in der Bekanntmachung<br />
oder in den Verdingungsunterlagen<br />
angegeben werden. Solche Bedingungen<br />
können insbesondere soziale und<br />
umweltbezogene Aspekte betreffen. 16<br />
– Die Mitgliedstaaten können öffentliche<br />
Auftraggeber verpflichten, in den<br />
Verdingungsunterlagen die Stellen anzugeben,<br />
bei denen die Bewerber oder<br />
Bieter die erforderlichen Auskünfte über<br />
ihre Verpflichtungen im Zusammenhang<br />
u. a. mit dem Umweltschutz erlangen<br />
können. 17<br />
– Bei öffentlichen Bau- und Dienstleistungsaufträgen<br />
kann der Auftraggeber<br />
verlangen, die technische Leistungsfähigkeit<br />
u. a. durch Angabe der Umweltmanagementmaßnahmen<br />
nachzuweisen,<br />
die ein Bieter bei der Ausführung<br />
des Auftrages gegebenenfalls anwenden<br />
will. 18 Dabei haben sie auf das Gemeinschaftssystem<br />
für das Umweltmanagement<br />
und das Umweltbetriebssystem<br />
(EMAS) 19 oder auf Normen für das Umweltmanagement<br />
Bezug zu nehmen, die<br />
auf den einschlägigen europäischen<br />
oder internationalen Normen beruhen<br />
und von entsprechenden Stellen zertifiziert<br />
worden sind, die dem Gemeinschaftsrecht<br />
oder einschlägigen europäischen<br />
oder internationalen Zertifizierungsnormen<br />
entsprechen. Auch andere<br />
Nachweise für gleichwertige Umweltmanagement-Maßnahmen<br />
sind anzuerkennen.<br />
20<br />
– Von der Teilnahme am Vergabeverfahren<br />
können Wirtschaftsteilnehmer ausgeschlossen<br />
werden, die aufgrund eines<br />
nach den Rechtsvorschriften des betreffenden<br />
Landes rechtskräftigen Urteils<br />
wegen eines Delikts bestraft worden<br />
sind, das ihre berufliche Zuverlässigkeit<br />
in Frage stellt, oder die im Rahmen ihrer<br />
beruflichen Tätigkeit eine schwere<br />
Verfehlung begangen haben, die vom öffentlichen<br />
Auftraggeber nachweislich<br />
festgestellt wurde. 21 Ein Ausschluss ist <strong>als</strong>o<br />
möglich bei einer rechtskräftigen Verurteilung<br />
wegen Verstoßes gegen Umweltvorschriften<br />
oder bei der Feststellung<br />
schwerer beruflicher Verfehlungen<br />
in Bezug auf Umweltaspekte.<br />
– Die Bieter können aufgefordert werden,<br />
in geeigneter Form ihre technische<br />
und/oder berufliche Leistungsfähigkeit<br />
nachzuweisen. 22 Dazu gehört bei Waren<br />
oder Dienstleistungen mit voraussetzungsvollen<br />
umwelttechnischen Anforderungen<br />
die Angabe der technischen<br />
Fachkräfte bzw. der eingeschalteten<br />
technischen Prüfstellen.<br />
– Wenn der Zuschlag nicht nach dem Kriterium<br />
des niedrigsten Preises, sondern<br />
nach dem Kriterium des wirtschaftlich<br />
günstigsten Angebotes erfolgt, gehören zu<br />
den mit dem Auftragsgegenstand zusammenhängenden<br />
berücksichtigungsfähigen<br />
Kriterien auch Umwelteigenschaften,<br />
Betriebskosten und Rentabilität. 23 Mit der<br />
nur beispielhaften und nicht abschließenden<br />
Nennung solcher Kriterien<br />
wird die Möglichkeit eröffnet, das Kriterium<br />
der Wiederverwendbarkeit und die gesamten<br />
Lebenszykluskosten der beschafften<br />
Produkte, Dienst- und Bauleistungen<br />
zu berücksichtigen, <strong>als</strong>o auch Ersparnisse<br />
beim Verbrauch von Wasser, Energie und<br />
sonstigen Ressourcen sowie die Abfallströme.<br />
Der Auftraggeber hat in den Verdingungsunterlagen<br />
anzugeben, wie er<br />
die einzelnen Kriterien gewichtet, um das<br />
wirtschaftlich günstigste Angebot zu ermitteln.<br />
Inwieweit nicht nur konkrete<br />
umweltrelevante Produkteigenschaften<br />
berücksichtigt werden können, sondern<br />
11 . –<br />
Im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt<br />
und des Umweltbundesamtes hat der Bundesverband<br />
für Umweltberatung eine Internet-Seite<br />
geschaffen, die<br />
Informationen zur umweltfreundlichen, nachhaltigen<br />
Beschaffung bündelt.<br />
12 Die in den Richtlinien formulierten Voraussetzungen<br />
greifen sehr präzise die Kriterien auf, die<br />
der EuGH in zwei Urteilen zur Berücksichtigung<br />
von Umweltbelangen bei der öffentlichen Auftragsvergabe<br />
aufgestellt hatte. Es handelt sich<br />
um das Urteil v. 17.9.2002 in der Rs. C-513/99<br />
(Concordia Bus Finland Oy Ab) und um das Urteil<br />
v. 4.12.2003 in der Rs. C-448/01 (EVN AG,<br />
Wienstrom GmbH).<br />
13 Art. 23 Abs. 3 lit. b), Abs. 6 der Richtlinie<br />
2004/18/EG; Art. 34 Abs. 3 lit. b), Abs. 6 der<br />
Richtlinie 2004/17/EG.<br />
14 Anhang VI der Richtlinie 2004/18/EG, Anhang<br />
XXI der Richtlinie 2004/17/EG.<br />
15 Art. 24 der Richtlinie 2004/18/EG; Art. 36 der<br />
Richtlinie 2004/17/EG.<br />
16 Art. 26 der Richtlinie 2004/18/EG; Art. 38 der<br />
Richtlinie 2004/17/EG.<br />
17 Art. 27 der Richtlinie 2004/18/EG; Art. 39 der<br />
Richtlinie 2004/17/EG.<br />
18 Art. 48 Abs. 2 lit. f) der Richtlinie 2004/18/EG.<br />
19 Verordnung (EG) Nr. 761/2001 des Europäischen<br />
Parlaments und des Rates v. 19.3.2001<br />
über die freiwillige Beteiligung von Organisationen<br />
an einem Gemeinschaftssystem für das Umweltmanagement<br />
und die Umweltbetriebsprüfung<br />
(EMAS), ABl. L 114 v. 24.4.2001, 1-29. –<br />
Nach Art. 11 Abs. 2 der EMAS-Verordnung ist zu<br />
prüfen, wie die Beteiligung von Organisationen<br />
an EMAS dadurch gefördert werden kann, dass<br />
der EMAS-Eintragung bei der Festlegung von Kriterien<br />
für die Beschaffungspolitik Rechnung getragen<br />
wird. – <strong>Das</strong> Bundesministerium für Arbeit<br />
und Wirtschaft und das Bundesumweltministerium<br />
haben mit Schreiben vom 30.8.2004<br />
alle Bundesbehörden aufgefordert, die Beteiligung<br />
an einem Umweltmanagementsystem bei<br />
öffentlichen Aufträgen zu berücksichtigen. Vgl.<br />
die Hinweise des Bundesministeriums für Umwelt,<br />
Naturschutz und Reaktorsicherheit v.<br />
17.8.2004 zu den rechtlichen Möglichkeiten der<br />
Berücksichtigung der Teilnahme von Organisationen<br />
am Europäischen Gemeinschaftssystem<br />
für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung<br />
(EMAS) bei der öffentlichen<br />
Vergabe.<br />
20 Art. 50 der Richtlinie 2004/18/EG; Art. 52 Abs. 3<br />
der Richtlinie 2004/17/EG.<br />
21 Art. 45 Abs. 2 Lit. c) und d) der Richtlinie<br />
2004/18/EG; Art. 53 und 54 der Richtlinie<br />
2004/17/EG.<br />
22 Vgl. Art. 48 der Richtlinie 2004/18/EG; Art. 53<br />
und 54 der Richtlinie 2004/17/EG.<br />
23 Art. 53 Abs. 1 lit. a) der Richtlinie 2004/18/EG;<br />
Art. 55 Abs. 1 lit. a) der Richtlinie 2004/17/EG.<br />
ZUR 1/2005 | 47
GESETZGEBUNG | Falke, Neueste Entwicklungen im Europäischen <strong>Umweltrecht</strong><br />
auch Umweltmanagementmaßnahmen,<br />
ist bislang durch die Rechtsprechung<br />
nicht geklärt.<br />
C. Emissionshandel<br />
Die Europäische Kommission hat im Juli<br />
und im Oktober 2004 jeweils acht nationalen<br />
Zuteilungsplänen für CO 2<br />
-Emissionszertifikate<br />
ihre Zustimmung erteilt. 24 In den nationalen<br />
Zuteilungsplänen 25 wird die Zahl<br />
der Emissionszertifikate 26 festgelegt, die die<br />
Mitgliedstaaten energieintensiven Industrieanlagen<br />
27 zuteilen wollen, damit sie ab<br />
Januar 2005 am Emissionshandel teilnehmen<br />
können. Die genehmigten Pläne betreffen<br />
insgesamt 3.865 Mio. Tonnen CO 2<br />
-<br />
Zertifikate für 7.282 Anlagen; das sind etwa<br />
55 % der erwarteten Menge von Zertifikaten.<br />
Die Bewertung der Pläne Italiens, Litauens,<br />
Maltas, Polens, Spaniens, der Tschechischen<br />
Republik, Ungarns und Zyperns<br />
war Ende Oktober 2004 noch nicht abgeschlossen,<br />
Griechenland hatte noch keinen<br />
Plan vorgelegt. Der Handel mit Emissionsrechten<br />
soll dazu beitragen, dass die Treibhausgasemissionen<br />
im Energiesektor und in<br />
der Industrie zu den geringsten Kosten für<br />
die Wirtschaft reduziert werden, und der EU<br />
und ihren Mitgliedstaaten die Einhaltung<br />
ihrer Emissionsziele im Rahmen des Kyoto-<br />
Protokolls von 1997 erleichtern. Aus den<br />
nationalen Zuteilungsplänen geht hervor,<br />
wie viele CO 2<br />
-Emissionszertifikate die<br />
Mitgliedstaaten im Handelszeitraum 2005-<br />
2007 vergeben wollen und wie viele davon<br />
die einzelnen Anlagen erhalten.<br />
Die Kommission muss die Pläne anhand<br />
von elf Zuteilungskriterien prüfen, die in<br />
der Richtlinie über den Emissionshandel 28<br />
festgelegt sind. Durch die Kriterien soll vor<br />
allem sichergestellt werden, dass die Pläne<br />
mit der Gesamtstrategie des jeweiligen Landes<br />
zur Erreichung seiner Kyoto-Ziele vereinbar<br />
sind. Andere Kriterien betreffen die<br />
Diskriminierungsfreiheit, die gemeinschaftlichen<br />
Bestimmungen für Wettbewerb<br />
und staatliche Beihilfen sowie technische<br />
Aspekte. Die Kommission verlangte<br />
Änderungen in drei Fällen von allgemeiner<br />
Bedeutung:<br />
– wenn die Menge der Zertifikate für den<br />
Handelszeitraum 2005-2007 es dem betreffenden<br />
Land unmöglich macht, seine<br />
Kyoto-Ziele im ersten Verpflichtungszeitraum<br />
einzuhalten;<br />
– wenn die Menge der Zertifikate für den<br />
Handelszeitraum 2005-2007 nicht mit<br />
den Bewertungen des Fortschritts im<br />
Hinblick auf das Kyoto-Ziel in Einklang<br />
steht, d. h. wenn die Zuteilungen über<br />
den Emissionsprojektionen liegen;<br />
– wenn ein Mitgliedstaat so genannte »Expost-Anpassungen«<br />
plant, d. h. wenn er<br />
eine Umverteilung von Zertifikaten unter<br />
den beteiligten Unternehmen im<br />
Zeitraum 2005-2007 beabsichtigt. Solche<br />
Anpassungen würden den Markt<br />
stören und Unsicherheiten für die Unternehmen<br />
schaffen.<br />
PD Dr. Josef Falke,<br />
Zentrum für Europäische Rechtspolitik an der<br />
Universität Bremen; Universitätsallee, GW 1,<br />
28359 Bremen; jfalke@zerp.uni-bremen.de.<br />
Tätigkeitsschwerpunkte: Europarecht, Welthandelsrecht,<br />
Umwelt-, Arbeits- und Verbraucherrecht,<br />
Technikrecht, Rechtssoziologie.<br />
Aktuelle Veröffentlichungen: Josef Falke,<br />
Rechtliche Aspekte der technischen Normung in<br />
der Bundesrepublik Deutschland, Luxemburg<br />
2000; Josef Falke, Harm Schepel (eds.), Legal<br />
Aspects of Standardisation in the Member States<br />
of the EC and the EFTA. Country Reports,<br />
Luxemburg 2000; Harm Schepel, Josef Falke,<br />
Legal Aspects of Standardisation in the Member<br />
States of the EC and the EFTA. Comparative<br />
Report, Luxemburg 2000; Josef Falke, Die Aarhus-Konvention<br />
und der Zugang zu Gerichten in<br />
Umweltangelegenheiten, in: Falke/Schlacke,<br />
Neue Entwicklungen im Umwelt- und Verbraucherrecht,<br />
2004, S. 99 ff.<br />
Die nachfolgende Übersicht zeigt die Menge von Zertifikaten und Anlagen<br />
pro Mitgliedstaat<br />
Mitgliedstaat CO 2<br />
-Zertifikate Anzahl der<br />
in Mio. Tonnen Anlagen<br />
Belgien 189 363<br />
Dänemark 101 362<br />
Deutschland 1.497 2.419<br />
Estland 57 43<br />
Finnland 137 535<br />
Frankreich* 371 642<br />
Irland 67 143<br />
Lettland 14 95<br />
Luxemburg 10 19<br />
Niederlande 286 333<br />
Österreich 98 205<br />
Portugal 115 239<br />
Slowakische Republik 92 209<br />
Slowenien 26 98<br />
Schweden 69 499<br />
Vereinigtes Königreich 736 1.078<br />
Insgesamt 3.865 7.282<br />
* Ohne Berücksichtigung von etwa 750 Anlagen, für die Zuteilungen vorbereitet werden.<br />
24 Mitteilung der Kommission an den Rat und an das<br />
Europäische Parlament zu den Entscheidungen der<br />
Kommission vom 7.7.2004 über die nationalen<br />
Pläne für die Zuteilung von Zertifikaten für Treibhausgasemissionen,<br />
die von Dänemark, Deutschland,<br />
Irland, den Niederlanden, Österreich, Slowenien,<br />
Schweden und dem Vereinigten Königreich<br />
gemäß der Richtlinie 2003/87/EG mitgeteilt wurden,<br />
KOM (2004) 500 endg. v. 7.7.2004; Mitteilung<br />
der Kommission an den Rat und an das Europäische<br />
Parlament betreffend Entscheidungen der<br />
Kommission vom 20.10.2004 über die nationalen<br />
Pläne zur Zuteilung von Zertifikaten für Treibhausgasemissionen<br />
von Belgien, Estland, Finnland,<br />
Frankreich, Lettland, Luxemburg, Portugal und der<br />
Slowakischen Republik gemäß der Richtlinie<br />
2003/87/EG, KOM (2004) 681 endg. v. 20.10.681<br />
endg. v. 20.10.2004.<br />
25 Zugänglich unter http://europa.eu.int/comm/<br />
environment/climat/emission_plans.htm.<br />
26 1 Zertifikat entspricht 1 Tonne CO 2<br />
.<br />
27 Verbrennungsanlagen, Erdölraffinerien, Koksöfen,<br />
Eisen- und Stahlwerke sowie Anlagen der<br />
Zement- Glas-, Kalk-, Ziegel-, Keramik-, Zellstoffund<br />
Papierindustrie.<br />
28 Anhang III der Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen<br />
Parlaments und des Rates v.<br />
13.10.2003 über ein System für den Handel mit<br />
Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft<br />
und zur Änderung der Richtlinie<br />
96/61/EG des Rates, ABl. L 275 v. 25.10.2003, 32-<br />
46. – Zur Erläuterung der Kriterien vgl. Mitteilung<br />
der Kommission über Hinweise zur Unterstützung<br />
der Mitgliedstaaten bei der Anwendung<br />
der in Anhang III der Richtlinie<br />
2003/87/EG über ein System für den Handel mit<br />
Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft<br />
und zur Änderung der Richtlinie<br />
96/61/EG des Rates aufgelisteten Kriterien sowie<br />
über die Bedingung für den Nachweis höherer<br />
Gewalt, KOM (2003) 830 endg. v. 7.1.2004.<br />
48 | ZUR 1/2005
TAGUNGSBERICHT<br />
TAGUNGSBERICHT<br />
Reduzierung der Flächeninanspruchnahme durch lokale<br />
und regionale Flächenressourcenbewirtschaftung –<br />
Rechtliche und institutionelle Handlungsbedingungen<br />
Fachtagung, 25. und 26. Oktober 2004 im UFZ-Umweltforschungszentrum Leipzig-Halle<br />
Die Neuinanspruchnahme von Flächen für Siedlungs-, Wirtschafts-<br />
und Verkehrszwecke erfolgt weiterhin auf hohem Niveau.<br />
Die von der Bundesregierung in ihrer Nachhaltigkeitsstrategie festgelegte<br />
Zielvorgabe, den Flächenverbrauch bis zum Jahre 2020 auf<br />
30 ha pro Tag zu begrenzen, erfordert eine Stärkung der Innenentwicklung<br />
sowie eine Effektivierung der Bestandsnutzung und der<br />
regionalen Koordination. Die vom Department Umwelt- und Planungsrecht<br />
des Umweltforschungszentrums Leipzig-Halle veranstaltete<br />
Fachtagung widmete sich daher den rechtlichen Rahmenbedingungen<br />
und sonstigen institutionellen Bedingungen für die<br />
Etablierung eines lokalen und regionalen Flächenressourcenmanagements.<br />
Nach einer Begrüßung der angereisten Teilnehmer durch den<br />
Leiter des Departments Umwelt- und Planungsrecht Prof. Dr. Wolfgang<br />
Köck und einem einleitenden Überblick auf die Veranstaltung<br />
sprach Freifrau von Fritsch (Leiterin des Amtes für Umweltschutz der<br />
Stadt Leipzig) ein Grußwort der Stadt Leipzig.<br />
In seinem sehr anschaulichen Beitrag konnte Klaus Einig (Bundesamt<br />
für Bauwesen und Raumordnung, Bonn) durch umfangreiches<br />
Material zu aktuellen Flächenbedarfsentwicklung und -prognosen<br />
eine hervorragende Einführung in die Materie bieten. Er<br />
wies darauf hin, dass Deutschland eines der höchsten Verstädterungsniveaus<br />
in Mitteleuropa hat, wobei es im Westen immer noch<br />
höher <strong>als</strong> im Osten ist. Mag auch die tägliche Zunahme der Siedlungs-<br />
und Verkehrsfläche seit 1997 von 129 ha konjunkturell bedingt<br />
auf etwa 105 ha abgenommen haben, so sei nicht nur der Umfang<br />
entscheidend, sondern auch die Verteilung der Flächeninanspruchnahme<br />
im Raum. Mit Bezug auf eine Studie von<br />
Siedentop/Kausch (Institut für ökologische Raumentwicklung, Dresden)<br />
konnte er zeigen, dass das Wachstum der Siedlungs- und Verkehrsfläche<br />
– wenn es nach 10 km-Entfernungszonen differenziert<br />
wird – im Zeitraum von 1996 bis 2000 von den Kernstädten ausgehend<br />
ansteigt; ein Beleg für die fortdauernde Verstädterung. Zudem<br />
müsse berücksichtigt werden, dass trotz eines dispersen Wachstums<br />
lediglich 10% der ca. 13.000 Gemeinden für 60% des Zuwachses an<br />
Siedlungs- und Verkehrsfläche verantwortlich sind. Hier sieht Einig<br />
ein großes Defizit insofern, <strong>als</strong> aktuelle Strategien auf diese Konzentration<br />
keine Rücksicht nähmen. Bisher auch ohne größere<br />
Berücksichtigung sei die qualitative Dimension der Flächeninanspruchnahme,<br />
die hauptsächlich auf Kosten der Landwirtschaft erfolge,<br />
wobei insbesondere hochwertige Böden betroffen seien. In<br />
der von der Bundesregierung verfolgten Doppelstrategie von quantitativer<br />
und qualitativer Steuerung durch eine Beschränkung des<br />
Flächenwachstums auf 30 ha täglich bis zum Jahr 2020, der verstärkten<br />
dezentralen Konzentration und einer Stärkung der Innenvor<br />
der Außentwicklung im Verhältnis 3:1 sieht Einig erste Lösungsansätze.<br />
Er verwies jedoch auf Defizite der Debatte. Diese identifizierte<br />
er im Fehlen handhabbarer Zwischenziele und im Fehlen<br />
jeglicher Kosten-Nutzen-Analysen sowohl für die Rechtfertigung<br />
des Ziels-30 ha, <strong>als</strong> auch für die Legitimierung weiteren Siedlungswachstums.<br />
Darüber hinaus bemängelte er das Fehlen eines intensiven<br />
Länderdiskurses über dieses Ziel.<br />
Martin Held (Evangelische Akademie Tutzing) ging in seinem Referat<br />
zum Flächenressourcenmanagement und Bodenbewusstsein<br />
auf Beispiele in England und der Schweiz ein. Ausgangspunkt seiner<br />
Analyse war die These, dass es in der Bevölkerung an einem Bewusstsein<br />
für Flächen und einem Gespür für deren Bedeutung fehle.<br />
Die unterschiedlichen Funktionen, die der Boden leisten könne<br />
– Lebensraum-, Regelungs-, Nutzungs- und Kulturfunktionen –<br />
werden in dieser Ausdifferenzierung nicht wahrgenommen, sondern<br />
auf die Baulandnutzung reduziert. Nur wenn es gelinge, ein<br />
Verständnis dafür bei den Akteuren zu erzielen, werde ein instrumenteller<br />
Zugang zum Flächenmanagement Erfolg haben können.<br />
<strong>Das</strong> Beispiel England/Wales zeige, dass es aufgrund eines – durch<br />
eine Zielsetzung forcierten – nationalen Konsenses durchaus zu einer<br />
rückläufigen Flächeninanspruchnahme kommen könne. Zwar<br />
ließen sich diese Erfahrungen nicht unmittelbar aus dem streng<br />
zentralistischen Planungssystem Englands 1 auf Deutschland übertragen,<br />
jedoch stelle dieser pragmatische Ansatz mit klaren Zielgrößen,<br />
einem Monitoring 2 und Kostenanreizen ein lehrreiches<br />
Beispiel dar. Als kontrastierendes weiteres Beispiel wählte Held die<br />
Schweiz, deren naturräumliche, wirtschaftliche und politische<br />
Strukturen sich deutlich von denjenigen Englands unterscheiden.<br />
Dort wurde eine marktwirtschaftliche Analyse <strong>als</strong> Einstieg in die<br />
Flächenneuinanspruchnahme gewählt, durch die ein Problembewusstsein<br />
erzeugt werden konnte. Ergebnis ist eine aktuelle Studie<br />
(2003) mit dem Titel »Siedlungsbegrenzung für eine nachhaltige<br />
Siedlungsentwicklung« 3 . Zum Abschluss seines Vortrages appellierte<br />
Held dafür, trotz aller Forderungen nach einer verstärkten Innenentwicklung,<br />
eine Vorstellung für Urbanität zu entwickeln, die<br />
auch den Erhalt von Grünflächen beinhalte. Als »Hebel« für einen<br />
Einstieg in die Reduzierung der Flächeninanspruchnahme empfahl<br />
er den Weg über die ökonomischen Instrumente wie Abschaffung<br />
der Grunderwerbssteuer und Einführung handelbarer Flächenausweisungsrechte.<br />
Am Beispiel der Stadt Leipzig zeigte Dr. Engelbert Lütke Daldrup<br />
(Beigeordneter für Stadtentwicklung und Bau der Stadt Leipzig)<br />
ausgewählte Handlungsstrategien zur Stärkung der Innenentwicklung.<br />
Für ihn ist eine sparsame Flächenpolitik gekennzeichnet<br />
durch eine Minimierung der Flächenausweisung im Außenbereich<br />
sowie einer Aufwertung von innerstädtischen Flächen und Quartieren.<br />
Mit zahlreichen Beispielen stellte er die Tätigkeiten der Stadt<br />
Leipzig vor. So wurden vier Bebauungspläne mit einer Kapazität<br />
von etwa 600 Wohneinheiten aufgehoben. Diese baurechtliche<br />
Steuerung am Stadtrand wird ergänzt durch innerstädtische Aktivitäten,<br />
wobei Leipzig über ein besonderes Potenzial an Altbauquartieren<br />
<strong>als</strong> Anziehungspunkt verfüge. Über das sog. Stadthauskonzept<br />
gelinge es, Bürger bei der Realisierung ihres Eigenheimwunsches<br />
auf bislang ungenutzte innerstädtische Flächen zu<br />
lenken, indem eine organisatorische Unterstützung durch die<br />
Kommune erfolge. 4 Mit Hilfe von Zwischennutzungsvereinbarungen<br />
wiederum könne die Stadt innerstädtische Grünflächen schaffen:<br />
Über kleinere Brachflächen und Baulücken werden Gestat-<br />
1 Vgl. www.planning.odpm.gov.uk<br />
2 Vgl. www.nlud.org.uk<br />
3 http://www.are.admin.ch/imperia/md/content/are/are2/publikationen/<br />
deutsch/168.pdf<br />
4 Vgl. www.selbstnutzer.de<br />
ZUR 1/2005 | 49
TAGUNGSBERICHT |<br />
tungsvereinbarungen geschlossen, die eine auf 8 – 10 Jahre befristete<br />
Begrünung durch die Stadt erlauben, das dem Eigentümer zustehende<br />
Baurecht aber unangetastet lassen. Für den Bereich Gewerbe<br />
wurde die Umgestaltung der ehem<strong>als</strong> größten europäischen<br />
Baumwollspinnerei vorgestellt. Die Sanierung war von einer stadteigenen<br />
GmbH übernommen worden. Heute sind die Hallen zu<br />
40% von Künstlern, Freiberuflern und Handwerkern belegt. Gerade<br />
bei den Gewerbeflächen zeige sich jedoch, dass es manchmal –<br />
auch aus immissionsschutzrechtlichen Gründen – unabdingbar<br />
ist, größere industrielle Nutzung wie BMW oder Porsche in den<br />
Außenbereich anzusiedeln.<br />
Die Bedeutung des städtebaulichen Handlungsrahmens für eine<br />
Flächenhaushaltspolitik hinterfragte Prof. Dr. Gerd Schmidt-Eichstaedt<br />
(Institut für Stadt- und Regionalplanung, TU Berlin). Ausgangsthese<br />
seiner Darstellungen war, dass Planung funktioniere,<br />
das Städtebaurecht aber nur ungern überörtlicher Planung folge<br />
und sich auf Dauer nicht gegen ökonomische Gesetzmäßigkeiten<br />
durchsetzen könne. Die Herrschaft über den Flächenverbrauch liege<br />
in der Hand der Kommunen. Schmidt-Eichstaedt untermauerte<br />
seine These damit, dass auf Bundesebene lediglich eine Festlegung<br />
von Grobstrukturen erfolgen könne und eine nationale Planung<br />
nicht rechtmäßig sei. Insofern sei auch das Ziel-30-ha der Bundesregierung<br />
ein rein politisches Ziel und eine in diese Richtung gehende<br />
bundesgesetzliche Regelung unzulässig. Auf der Ebene der<br />
Regionalplanung könne es wohl Ordnungskonzepte geben, diese<br />
hätten aber nie die für eine Flächenverbrauchsreduzierung erforderliche<br />
Wirkung. Die indes <strong>als</strong> entscheidende Ebene eingestufte<br />
städtebaurechtliche Planung verfüge über lediglich dienende und<br />
weniger lenkende Instrumente. Der Referent erwähnte in diesem<br />
Zusammenhang, dass etwa 60% der Flächeninanspruchnahme aufgrund<br />
von Bebauungsplänen erfolge, 30% etwa aufgrund von § 34<br />
BauGB bzw. Innenbereichssatzungen und lediglich 10% auf der Basis<br />
von §§ 35, 33 BauGB. Für die erstgenannte Fallgruppe gäbe es<br />
die Möglichkeit, Baurecht zurückzunehmen, wobei das Planungsschadensrecht<br />
von Schmidt-Eichstaedt <strong>als</strong> ausgewogen bewertet<br />
wurde. Ein sehr nützliches Instrument sei das gem. § 200 Abs. 3<br />
BauGB eingeführte Baulandkataster, welches seiner Ansicht nach<br />
noch viel zu wenig genutzt werde. Hier sieht er Potenziale für die<br />
Kommunen, ein Flächenkataster aufzubauen, in dem Nutzer Einzeldaten<br />
zu Baulücken abrufen können. Als ein positives Beispiel<br />
erwähnt er das Baulückenmanagement in Berlin. 5 Er schloss seinen<br />
Vortrag mit einem Plädoyer, sowohl das Wissen über den Flächenbedarf<br />
<strong>als</strong> auch über die Flächeninanspruchnahme zu vertiefen,<br />
um die städtebaulichen Instrumente daran ausrichten zu können.<br />
Dr. Ernst-Hasso Ritter (Staatssekretär a. D., Vizepräsident der Akademie<br />
für Raumforschung und Landesplanung, Hannover) referierte<br />
zu den Reduktionszielen einer Flächeninanspruchnahme in<br />
der Landes- und Regionalplanung. Er betrachtete die Problematik<br />
»von außen kommend« und stellte den Freiraumschutz in den<br />
Mittelpunkt seines Vortrages. In formellen Plänen könne dieser erreicht<br />
werden durch Freiraum schützende textliche Ziele der<br />
Raumordnung. Diese Ziele könnten ein hohes instrumentelles Gewicht<br />
haben, wenn sie Kennwerte <strong>als</strong> Orientierungswerte enthalten.<br />
Die Bedeutung von zeichnerischen Darstellungen wiederum<br />
liege darin, dass sie Konfliktlinien deutlich machten. Resümierend<br />
bewertete er die Instrumente der Landes- und Regionalplanung <strong>als</strong><br />
durchaus hilfreich, sofern sie konsequent angewendet und in notwendiger<br />
Härte durchgesetzt werden. In neuen Instrumenten wie<br />
den handelbaren Flächenausweisungsrechten sieht er eine Erfolg<br />
versprechende Ergänzung, die es auszuprobieren gelte. Der<br />
Schwachpunkt der überörtlichen Planung – ihren Charakter einer<br />
Angebotsplanung – müsse durch die Einführung informeller Instrumente<br />
überwunden werden.<br />
Hier setzte dann auch das Referat von Thomas Gawron (UFZ-Umweltforschungszentrum<br />
Leipzig-Halle GmbH, Department Umwelt-<br />
und Planungsrecht) an, in dem er sich mit Erscheinungsformen<br />
und Wirkungen regionaler Kooperationen beschäftigte; allerdings<br />
mit einem ernüchternden Fazit. Regionalplanung leide<br />
allgemein an einer Durchsetzungsschwäche, die sich auf drei Ursachen<br />
zurückführen ließe. Neben der grundsätzlich schwach institutionalisierten<br />
regionalen Ebene in der föderalen Struktur, verfüge<br />
die Regionalplanung nur über zwei Aufgaben (Erstellung der<br />
Regionalpläne und Anhörungsrechte <strong>als</strong> Träger öffentlicher Belange)<br />
und dabei müsse sie noch mit den Unsicherheiten kämpfen, die<br />
die Zielformulierung kennzeichneten. In dieser Rolle treffe die Regionalplanung<br />
auf die Kommunen, die wiederum »ihren wohlverstandenen<br />
Eigensinn« verfolgten. In einer solchen Situation informelle<br />
regionale Kooperationen mit der Zielsetzung einer Reduzierung<br />
des Flächenverbrauchs zu initiieren, sei regelrecht<br />
unmöglich, da die für eine Kooperation grundlegend erforderliche<br />
Freiwilligkeit eine win-win-Situation voraussetze. Diese sei jedoch<br />
bei einer Flächeneinsparung nicht gegeben. Die Wirkung informeller<br />
regionaler Kooperationen wie Städtenetze, Teilraumgutachten,<br />
Public-Private-Partnership-Modelle und dem Regionalmanagement<br />
sei dementsprechend gering. Flächenverbrauchsziele<br />
in der Raumordnung könnten Erfolg versprechender über<br />
Vorranggebiete, einem Ausschluss der Außenentwicklung oder Orientierungswerten<br />
für Gemeindeeinerwohnerzuwachs erreicht werden.<br />
Es sollte jedoch darüber nachgedacht werden, überkommunale<br />
Instrumente zu Zwangsinstrumenten weiter zu entwickeln;<br />
dies sei mit Art. 28 Abs. 2 GG vereinbar, solange es flächendeckend<br />
für alle verbindlich erfolge.<br />
In einer sehr präzisen Systematisierung stellte Rechtsanwalt<br />
Frank Reitzig (Berlin) die unterschiedlichen Möglichkeiten und Ziele<br />
interkommunaler Bauleitplanung vor. Dabei griff er auf Materialien<br />
einer von ihm durchgeführten Rechtstatsachenuntersuchung<br />
zurück. Den Schwerpunkt setzte er bei der interkommunalen<br />
Flächennutzungsplanung, da es auf der Ebene der<br />
Bebauungsplanung keine besonderen Konfliktfälle gab, weil dort<br />
die Kooperationen zur Umsetzung konkreter gemeinsamer Projekte<br />
gebildet worden waren und der Interessensausgleich im Vordergrund<br />
stand. Auf der Ebene der interkommunalen Flächennutzungsplanung<br />
ließen sich zwei Fallgruppen im BauGB ausfindig<br />
machen: Drei Formen zwangsweiser Zusammenschlüsse und fünf<br />
Formen freiwilliger Zusammenarbeit. Trotz der Wahl eines institutionalisierten<br />
Rahmens fand in den untersuchten Fällen keine gemeinsame<br />
Planung statt. Dabei war es interessanterweise unerheblich,<br />
ob es sich um einen Fall der erzwungenen oder der freiwilligen<br />
Zusammenarbeit handelte. Als Gründe dafür machte<br />
Reitzig das »Denken im eigenen Verwaltungsraum« aus, das sich zusammensetze<br />
aus einer fehlenden Einigung über die Planung, dem<br />
Negieren eines Bedürfnisses einer gemeinsamen Planung und dem<br />
Wunsch nach einer eigenständigen Entwicklung. Auffallend sei<br />
weiter, dass immerhin in einem Drittel der Fälle einer gemeinsamen<br />
Planung eine Verringerung des Umfangs der in den interkommunalen<br />
Flächennutzungsplänen dargestellten Bauflächen erfolgt<br />
sei. Für Reitzig ergibt sich daraus die Forderung, dass die interkommunale<br />
Bauleitplanung mit materiellen Instrumenten<br />
kombiniert werden sollte. Dazu sollten sowohl harte Instrumente<br />
wie regionalplanerische Vorgaben für einen interkommunalen<br />
Handlungsrahmen und verbindliche Mechanismen zum Ausgleich<br />
von Disparitäten gehören, <strong>als</strong> auch weiche Instrumente, die mit<br />
Maßnahmen zur Schaffung von Vertrauen und einer regionalen<br />
Identität für eine gemeinsame abgestimmte Planung begleitend erforderlich<br />
seien.<br />
5 www.stadtentwicklung.berlin.de/bauen/baulueckenmanagement/de/baulandrecherche.shtml<br />
50 | ZUR 1/2005
| TAGUNGSBERICHT<br />
In seinem anschließenden Referat stellte Prof. Dr. Reinhard Hendler<br />
(Institut für Umwelt- und Technikrecht, Universität Trier) ein<br />
gleichermaßen ausgestaltetes Instrument vor: den regionalen<br />
Flächennutzungsplan. Dieses Planungsinstrument wurde 1998 in<br />
§ 9 Abs. 6 ROG verankert. Eine landesgesetzliche Ausgestaltung erfolgte<br />
in den Ländern Hessen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen,<br />
Sachsen-Anhalt und Thüringen. In Sachsen und Thüringen seien<br />
die Regelungen jedoch noch nicht vollzugsfähig. In seinen weiteren<br />
Ausführungen beschränkte sich Hendler auf die hessische Implementierung,<br />
die in drei Gesetzen erfolgte (Planungsverbandsgesetz,<br />
Landesplanungsgesetz und Ballungsraumgesetz) und somit<br />
eine besondere Komplexität aufweise. Planerische Festlegungen<br />
innerhalb des Regionalen Flächennutzungsplanes (die zugleich<br />
Darstellungen nach § 5 BauGB sind) werden von einem Gremium<br />
getroffen, das aus Regionalversammlung und Verbandskammer<br />
besteht (§ 13 HLPlG). Während sich die Regionalversammlung aus<br />
gewählten Vertretern zusammensetze, sei die Verbandskammer eine<br />
Körperschaft des öffentlichen Rechts. Diese Struktur verstößt<br />
nach Ansicht von Hendler nicht gegen das Bundesrahmenrecht,<br />
welches von einer Verbandsstruktur des Planungsträgers ausgeht.<br />
Die Regelung im Raumordnungsrecht diene dem Schutz der gemeindlichen<br />
Hoheit und sei unabhängig von dem Vorliegen einer<br />
Verbandsstruktur. Ausschlaggebend sei, dass kommunale Gebietskörperschaften<br />
mit ausreichender planerischer Entscheidungsbefugnis<br />
im Planungsträger vertreten seien. Diese Situation sei in<br />
dem hessischen Gesetz gegeben. 6<br />
Am zweiten Tag der Veranstaltung standen die rechtlichen und<br />
institutionellen Rahmenbedingungen für die Revitalisierung von<br />
Brachen im Mittelpunkt. Sein sehr instruktives Referat eröffnete Dr.<br />
ing. Egbert Dransfeld (Institut für Bodenmanagement, Dortmund)<br />
mit der provokanten Frage nach dem Königsweg einer erfolgreichen<br />
Brachflächenrevitalisierung. Die Ausgangssituation beschrieb<br />
er folgendermaßen: <strong>Das</strong> Gros der vorgefundenen Brachen seien Industrie-<br />
und Gewerbebrachen sowie Infrastruktur- und Verkehrsbrachen.<br />
Zu letzteren gehörten insbesondere Flächen, die von der<br />
Bahn, Telekom und Post aufgegeben wurden. Daneben fänden sich<br />
– zunehmend auch im Westen – die Wohnbrachen, die entstehen,<br />
wenn bestimmte Wohnformen <strong>als</strong> unattraktiv empfunden und am<br />
Markt nicht mehr nachgefragt werden. Die Verwendbarkeit von<br />
Brachflächen sei dabei zum Großteil <strong>als</strong> äußerst schlecht zu beurteilen,<br />
da es sich um Problemflächen ohne Planungsrecht handele,<br />
für die kein Nutzungsdruck bestehe. Diese Situation trage dazu<br />
bei, dass trotz der Vorteile, die die Revitalisierung von Brachen leiste<br />
(etwa Verringerung der Flächeninanspruchnahme im Freiraum,<br />
bessere Auslastung der Infrastruktur, geringere Erschließungskosten,<br />
städtebauliche Aufwertung), diese nicht stattfinde. Da die Finanzierung<br />
der Brachflächenreaktivierung ein Hauptproblem darstelle,<br />
setzt Dransfeld auf die öffentliche Hand, die sich z. B. in Form<br />
von Treuhänder-, Public-Private-Partnership- oder in Developer-<br />
Modellen diesem Problem annehmen müsse. Der Bebauungsplan<br />
<strong>als</strong> rechtliches Instrument zur baulichen Wiedernutzung erweise<br />
sich dabei aufgrund seines Angebotscharakters <strong>als</strong> nicht zielführend,<br />
die Umlegung nach § 45 ff. BauGB spiele praktisch keine<br />
Rolle, da Brachen – mit Ausnahme der Wohnbrachen – in der Regel<br />
groß genug seien und keiner Umlegung bedürfen. <strong>Das</strong> Baugebot<br />
sei bekanntermaßen ein stumpfes Schwert und die Sanierungsmaßnahmen<br />
nach § 136 ff. BauGB setzten den Zwischenerwerb<br />
durch die öffentliche Hand nicht voraus und seien daher<br />
ungeeignet. So bliebe <strong>als</strong> Instrument für die Reaktivierung die Entwicklungsmaßnahmen,<br />
welche seines Erachtens nach auch allein<br />
mit dem Ziel einer Wiedernutzung brachliegender Flächen begründet<br />
werden könnten. Angesichts dieser nicht besonders<br />
schlagkräftigen Instrumente ergibt sich für Dransfeld somit die<br />
Schlussfolgerung, dass es allein durch das Schaffen einer Chancengleichheit<br />
von Brache und »grüner Wiese« zu einer nennenswerten<br />
Reaktivierung kommen werde. Diese Chancengleichheit<br />
könne nur durch eine Verknappung der »grünen Wiese« erreicht<br />
werden, die auf einem stringenten und umfassenden Freiraumschutz<br />
beruhen müsse.<br />
Anhand von praktischen Fällen aus verschiedenen Städten (Leipzig,<br />
Köln und Dortmund) schilderte Rechtsanwalt Thomas Tyczewski<br />
(Sozietät Wolter und Hoppenberg, Hamm) eine spezielle Form<br />
der Brachflächenrevitalisierung – die Nachnutzung von Bahnflächen.<br />
Die Grundkonstellation sei immer dieselbe: Flächen der<br />
Bahn werden nicht genutzt, was sich negativ auf die städtebauliche<br />
Gestaltung auswirke. Weder die Bahn noch die Stadt haben<br />
ausreichend Geld, um diesen Zustand zu ändern. Kann für eine solche<br />
Fläche ein Investor gefunden werden, so entsteht eine komplexe<br />
Struktur, in der es Aufgabe der Gemeinde ist, Planungsrechte<br />
für das Grundstück zu schaffen und evtl. die Entwidmung der<br />
betroffenen Fläche beim Eisenbahnbundesamt zu beantragen. Der<br />
Investor, der den Bahnhof modernisiert, kombiniert diesen mit einem<br />
Einkaufs- und / oder Dienstleistungs- und Freizeitzentrum.<br />
Die Crux innerhalb dieses Beziehungsgeflechts sei es, die Masse an<br />
Verfahrensschritten zu bündeln und dabei einen Weg zu finden,<br />
den alle bereit sind zu gehen; insbesondere wenn es für komplexe<br />
Aufgaben – <strong>als</strong> Beispiel führte Tyczewski den Brandschutz an – keine<br />
klaren gesetzlichen Regelungen gäbe.<br />
Rechtsanwalt Stefan Kopp-Assenmacher (Rechtsanwälte Dombert,<br />
Potsdam) untersuchte in seinem Vortrag die Leistungsfähigkeit des<br />
Altlastensanierungsrechts <strong>als</strong> Instrument der Flächenhaushaltspolitik.<br />
In den Mittelpunkt seines Vortrages stellte er das vor sechs<br />
Jahren in Kraft getretene Bundes-Bodenschutzgesetz (BBodSchG),<br />
welches <strong>als</strong> Leitgesetz für die Beurteilung des Altlastensanierungsrechts<br />
von zentraler Bedeutung sei. Zwar ist die Verringerung der<br />
Flächeninanspruchnahme auch ein Zweck dieses Gesetzes, dieses<br />
Ziel sei aber nicht gleichbedeutend mit dem Ziel der Rekultivierung<br />
von Brachflächen. Als ein Manko des Gesetzes machte der Referent<br />
den fehlenden Automatismus zur Altlastensanierungspflicht aus.<br />
Erst nach einer behördlichen Anordnung oder einem Sanierungsvertrag<br />
würde die appellative Wirkung des Gesetzes zu einer Sanierungspflicht.<br />
Eine solche Pflicht wäre nach Ansicht von Kopp-<br />
Assenmacher aber für eine effektive Flächenhaushaltspolitik dienlich.<br />
Ein weiteres Manko sah er darin, dass das BBodSchG zwar<br />
qualitativen und quantitativen Flächenschutz verfolge, ersterer<br />
aber im Vordergrund stünde. Der quantitative Schutz, der lediglich<br />
in der Regelung zur Entsiegelung zu finden ist (§ 5 BBodSchG), sei<br />
ein schwaches Instrument, weil die für eine Umsetzung erforderliche<br />
Rechtsverordnung fehle und die Regelung das Vorhandensein<br />
von Baurechten voraussetze. Zudem sei die Entsiegelung nicht<br />
identisch mit dem Recycling. Eine Chance für die Flächenhaushaltspolitik<br />
sah Kopp-Assenmacher in dem Instrument des öffentlich-rechtlichen<br />
Sanierungsvertrages. Mit einem solchen Vertrag<br />
könnten flexible und kostengünstige Varianten für eine Revitalisierung<br />
von Brachflächen gewählt werden. In der Praxis stellten<br />
sich insbesondere die mit der Altlastensanierung verbundenen Kosten<br />
<strong>als</strong> gewichtigster Nachteil für die Revitalisierung von Brachflächen<br />
dar. Dies beträfe sowohl das Konzept der Kostentragung im<br />
BBodSchG, <strong>als</strong> auch Defizite bei der Ausgleichsregelung sowie der<br />
Praxis der Haftungsfreistellung und hinsichtlich steuerrechtlicher<br />
Aspekte. Als äußerst interessant und für die deutsche Rechtsordnung<br />
von großer Bedeutung sei ein aktuelles Urteil des EuGH 7 , in<br />
dem der Abfallbegriff konträr zur deutschen Begriffsbestimmung<br />
6 Vgl. auch HessStGH, Urteile v. 4.5.2004 – P.St. 1713. (http://www.staatsgerichtshof.hessen.de/C1256E20003AD625/vwContentByKey/W25YJD98730JUSZDE)<br />
und P.St. 1714 (http://www.staatsgerichtshof.hessen.de/C1256E20003AD625/<br />
vwContentByKey/W25YJD67278JUSZDE)<br />
7 Rs C-1/03 gegen Paul Van de Walle u. a.. Urt. v. 7.9.2004. Zu finden unter<br />
http://curia.eu.int/.<br />
ZUR 1/2005 | 51
TAGUNGSBERICHT<br />
ausgelegt wurde. <strong>Das</strong> Gericht wertete schon eine Kontamination<br />
im Boden <strong>als</strong> Abfall und nicht <strong>als</strong> Verunreinigung. Aus der Abfalleigenschaft<br />
ergeben sich gegenüber dem Bodenschutzrecht verschärfte<br />
Rechtsfolgen.<br />
Werner Höing (Leiter des Umweltamtes Dortmund) berichtete<br />
darüber, wie in der Stadt Dortmund die Eingriffsregelung <strong>als</strong> Beitrag<br />
zur Flächenkreislaufwirtschaft genutzt wird. <strong>Das</strong> vorgestellte<br />
Modellprojekt zeige, dass es durchaus möglich ist, die Eingriffsregelung<br />
<strong>als</strong> Teil eines Flächenmanagements einzusetzen, an dessen<br />
Ende nicht die Inanspruchnahme von Freifläche, sondern eine<br />
Qualifizierung ihrer Funktion im Naturhaushalt bei gleichzeitiger<br />
Aufrechterhaltung ihrer derzeitigen Nutzung stehe. Produktionsintegrierte<br />
Ausgleichsmaßnahmen seien seit Ende 2002 der zentrale<br />
Begriff in dem Projekt »Landwirtschaft und Ökokonto -<br />
Dortmunds Gehversuch im ökologischen Ausgleich«. Nach inzwischen<br />
zwei Jahren Laufzeit erweise sich dieser neue Denkansatz <strong>als</strong><br />
belastbar in der Praxis. Er gehe davon aus, landwirtschaftlichen<br />
Produktionsformen, die sich von der agrarindustriellen Produktion<br />
unterscheiden, ökologisch einzuordnen, <strong>als</strong> Ausgleichsmaßnahmen<br />
anzuerkennen und auf einem Ökokonto gutzuschreiben.<br />
Für die Stadt Dortmund bringe dieser Weg den entscheidenden<br />
Vorteil, <strong>als</strong> Eigentümerin von mehr <strong>als</strong> 30% der städtischen landwirtschaftlichen<br />
Flächen Motor einer schrittweisen Ökologisierung<br />
sein zu können, ohne die finanzwirtschaftlichen Ziele außer Acht<br />
lassen zu müssen. So sei die Stadt selbst <strong>als</strong> Entwicklerin von Bauflächen<br />
häufig genug ausgleichspflichtig und müsse entsprechende<br />
Maßnahmen nachweisen. Durch eine vertraglich geregelte langfristige<br />
Umstellung ihrer eigenen landwirtschaftlichen Flächen erspare<br />
sie sich erhebliche Kosten-Aufwendungen. Im Gegenzug<br />
könnten die Pachtlandwirte – fast einem Paradigmenwechsel<br />
gleichkommend – endlich langfristige Pachtverträge auf den fürs<br />
Ökokonto bestimmten Flächen erwarten und mit dieser betriebswirtschaftlichen<br />
Sicherheit wiederum die notwendigen Weichenstellungen<br />
für eine landwirtschaftliche Betriebsumstellung wagen.<br />
In seinem die Tagung beschließenden Referat »Schritte zu einem<br />
Recht der Flächenkreislaufwirtschaft« hob Prof. Dr. Wolfgang Köck<br />
(UFZ-Umweltforschungszentrum Leipzig-Halle GmbH, Department<br />
Umwelt- und Planungsrecht) die Bedeutung einer Flächenkreislaufwirtschaft<br />
auf stadtregionaler Ebene und ihre Flankierung<br />
durch rechtliche Regelungen und andere Instrumente <strong>als</strong> zentrale<br />
Strategie für die Reduzierung der Flächeninanspruchnahme hervor.<br />
Anders <strong>als</strong> Schmidt-Eichstaedt sah Köck durchaus Möglichkeiten<br />
für den Bund, das Ziel-30-ha zu legitimieren. Seiner Auffassung<br />
nach sei eine gesetzliche Festlegung im ROG zu quantitativen Minderungsraten<br />
bezüglich der Flächeninanspruchnahme vor dem<br />
Hintergrund des demografischen Wandels und des Nachhaltigkeitsgebotes<br />
zu rechtfertigen und auch durch die Gesetzgebungskompetenz<br />
des Bundes gedeckt. Als Flächenkreislaufwirtschaft bezeichnete<br />
der Referent in Anlehnung an Arbeiten des BBR im Rahmen<br />
des Forschungsfeldes »Fläche im Kreis« eine Strategie, die folgende<br />
Elemente miteinander kombiniere: systematische Erfassung<br />
bestehender sowie zu erwartender Flächenpotenziale, systematischer<br />
Abgleich von Potenzialen mit der aktuellen oder zu erwartenden<br />
Nachfrage nach Flächen und Nutzungen, parametrische<br />
Steuerung von Quantitäten der räumlichen Planung von übergeordneten<br />
in die untergeordneten Planungsebenen, vertikale und<br />
horizontale Kooperation in den Kommunen, zwischen den Kommunen<br />
und innerhalb der zu definierenden Stadtregionen sowie<br />
zwischen den öffentlichen und den privaten Akteuren zur Feinsteuerung<br />
von Quantitäten und Qualitäten der Flächennutzung<br />
bzw. der Standortfindung, finanzieller Lasten- und Nutzenausgleich<br />
innerhalb der Stadtregion. Die Aufgaben eines Rechts der<br />
Flächenkreislaufwirtschaft identifizierte der Referent in einem<br />
wirksamen Freiraumschutz durch Bauleitplanungs- und Raumordnungsrecht,<br />
durch Etablierung neuer prozeduraler kommunaler<br />
Pflichten für Zielfestlegungen, Konzeptentwicklungen, Begründungen<br />
und Berichten zur Reduzierung der Flächeninanspruchnahme,<br />
durch Etablierung kommunaler Beobachtungs- und<br />
Informationsinstrumente über die Flächennutzungsentwicklung,<br />
durch Effektivierung der rechtlichen Instrumente zur Flächenmobilisierung<br />
und durch flankierende Regelungen zur Umweltplanung,<br />
insbesondere zur Sanierungsplanung, um die Voraussetzungen<br />
für flächensparende Nutzungsmischungen zu schaffen. Die<br />
Etablierung eines Verkehrssanierungsrechts bezeichnete der Referent<br />
in diesem Zusammenhang <strong>als</strong> einen integralen Bestandteil einer<br />
Flächenkreislaufwirtschaft, der es um eine Stärkung der Innenentwicklung<br />
gehe und deshalb den flächenverbrauchenden Konsequenzen<br />
des Trennungsgebotes entgegenwirken müsse.<br />
Mit den vielfältigen Referaten aus Wissenschaft und Praxis und<br />
den interessanten rechtspolitischen Diskussionen um aktuelle Strategien<br />
zur Reduzierung des Flächenverbrauchs ist es der Tagung gelungen,<br />
die rechtliche und institutionelle Handlungsbedingungen<br />
umfassend zu beleuchten. Die einzelnen Referate sollen in einem<br />
Tagungsband zusammengefasst und veröffentlicht werden.<br />
Jana Bovet<br />
Dr. Jana Bovet<br />
Wissenschaftliche Mitarbeiterin am UFZ-Umweltforschungszentrum Leipzig-Halle,<br />
Department Umwelt- und Planungsrecht, Permoserstraße 15,<br />
04318 Leipzig.<br />
Tätigkeitsschwerpunkt: Planungsrecht.<br />
Aktuelle Veröffentlichung: Sanierung und Entwicklung <strong>als</strong> raumordnerische<br />
Aufgabe – § 7 Abs. 2 Nr.2c ROG. Dissertation. Dresden 2003.<br />
Gute fachliche Praxis – Zur Standardisierung von Verhalten<br />
Ein Bericht zur Tagung an der Universität Lüneburg am 24. Juni 2004<br />
I. Wirtschaftlichen wie auch gesellschaftlichen Interessen wird im<br />
Kontext regulierter Selbstregulierung ein großer Gestaltungsspielraum<br />
eröffnet. Räumt im Umkehrschluss der Staat das Feld der traditionell<br />
hoheitlich-imperativen Normgebung Gute fachliche<br />
Praxis (im Folgenden gfP) ist dem Diskurs um gesellschaftliche<br />
Selbstregulierung inhärent. Sie will ein Rechtsinstrument sein, dass<br />
Verhalten sanft steuert und weniger starr reglementiert. Als Leitlinie<br />
zur Realisierung bestimmter fachlicher Standards soll gfP in<br />
mehr oder minder konkretisierter Form spezifisches Verhalten (gesellschaftlicher<br />
und insbesondere wirtschaftlicher Akteure) steuern,<br />
so Dr. Ulrich Smeddinck, Professur für Öffentliches Recht, insbesondere<br />
Energie- und <strong>Umweltrecht</strong>, Universität Lüneburg. Seit<br />
den mittleren 1990er Jahren wird die gfP in der rechtswissenschaftlichen<br />
Diskussion verstärkt thematisiert.<br />
Prof. Dr. Thomas Schomerus, ebenfalls Professur für Öffentliches<br />
Recht, eröffnete die Veranstaltung, indem er betonte, dass gfP <strong>als</strong><br />
Rechtsphänomen in immer mehr Fachgesetze eindringe. Um diese<br />
Entwicklungen zu analysieren und sie zur Diskussion zu stellen,<br />
52 | ZUR 1/2005
TAGUNGSBERICHT<br />
kamen an der Universität Lüneburg im Juni 2004 Experten und interessierte<br />
Öffentlichkeit zusammen.<br />
Auf der Agenda des Werkstattgesprächs standen vier Referate: zuvorderst<br />
sollte ein allgemeiner theoretischer Abriss der gfP das Instrument<br />
einordnen (II.), darauf aufbauend wurden anhand zweier<br />
Beispiele – gfP im Bodenschutzrecht und im Energierecht (III.<br />
und IV.) – Anwendungsbezüge beleuchtet; das abschließende Referat<br />
zeigte Entwicklungschancen und -hemmnisse der gfP <strong>als</strong><br />
rechtliches Steuerungsinstrument aus Sicht der Rechtsethologie<br />
auf (V.). Der Bericht schließt mit einigen diskutierten Thesen (VI.).<br />
II. In seinem grundlegenden Vortrag »Gute fachliche Praxis – Zur<br />
Standardisierung von Verhalten« ging es Smeddinck erst einmal um<br />
eine rechtswissenschaftliche und steuerungstheoretische Einordnung.<br />
Die gfP wurde dazu <strong>als</strong> Rechtsfigur von typischerweise starken<br />
Praxisbezügen abstrahiert, aber auch immer wieder anhand<br />
von Beispielen illustriert. <strong>Das</strong> Augenmerk lag dabei auf der Handlungs-<br />
und Steuerungsperspektive, die staatliche Entscheidungsträger<br />
einnehmen, um Verhalten zu lenken. Die gfP <strong>als</strong> eine administrative<br />
Handlungsoption gehöre einerseits in den größeren Kontext<br />
der Deregulierung. In Normtexten werde sie andererseits unter<br />
dem konkreten Leitbild der regulierten Selbstregulierung verwendet.<br />
Mit diesem Regelungsansatz bietet der Staat dem Bürger eine<br />
Art Handlungskorridor an, der ihm Raum gibt, im Sinne seiner privaten<br />
Interessen und innerhalb von staatlich vorgegebenen Rahmenbedingungen<br />
zu agieren. Durch diese »Wegbeschreibung« soll<br />
Verhalten sanft gesteuert werden. Die Vorgehensweise ist hier deutlich<br />
vom Dogma der Technik-Steuerung einer »End-of-the-pipe-Lösung«<br />
abzugrenzen: die Beeinflussung von menschlichen Verhaltensweisen<br />
liegt diametral zu Lenkungsambitionen im Feld der<br />
Umwelttechnik. Dort findet man meist gradlinige Wirkungsketten<br />
vor – <strong>als</strong> Emissionsverursacher erhält man gesetzlich definierte Auflagen<br />
für bestimmte Filtertechnik. Der Referent wies darauf hin,<br />
dass Verhaltenssteuerung mittels gfP einer Standardisierung der Lebenswelt<br />
entspreche. Der Regelungsansatz gehe über das herkömmliche<br />
Anliegen der Normierung mechanischer Arbeitsgeräte<br />
und Filtertechnik hinaus. Es wurde die Frage aufgeworfen, wie im<br />
Zuge einer solchen Kontextsteuerung – die eben das private und<br />
wirtschaftliche Interesse von Individuen zu standardisieren versucht<br />
– »Befolgungsdefizite« zu sanktionieren sind. <strong>Das</strong> Potenzial,<br />
um Fehlverhalten zu korrigieren, offenbart sich <strong>als</strong> nicht sehr<br />
hoch. Wie könne gewährleistet werden, dass sich ein Landwirt in<br />
seiner Tätigkeit auf gute fachliche Kenntnisse beruft, die Beratung<br />
wahrnimmt und die Regeln guter fachlicher Praxis, z.B. gem. § 17<br />
Bundes-Bodenschutzgesetz (BBodSchG), tatsächlich einhält Diese<br />
Fragen warf Smeddinck abschließend auf. Damit die Vorgaben zur<br />
gfP nachhaltige Wirkungen entfalten, müsste dem unbestimmten<br />
Rechtsbegriff (gfP) der Weg in die Verwaltungsgerichte geebnet<br />
sein. Vorraussetzung dafür ist eine Normgestaltung, die Rechtsfolgen,<br />
insbesondere Sanktionsmöglichkeiten, vorsieht. Nur dann<br />
könne diese Leitlinie, die <strong>als</strong> eher moralische Anregung in den Gesetzgebungsprozess<br />
Eingang fand, sich <strong>als</strong> wirkungsvoller Regelungsansatz<br />
behaupten.<br />
III. Prof. Dr. Walter Frenz von der RWTH Aachen (Arbeitsschwerpunkt<br />
im Berg- und <strong>Umweltrecht</strong>) widmete sich in seinem Vortrag<br />
»Gute fachliche Praxis im Bundes-Bodenschutzgesetz (mit Bezügen<br />
zum landwirtschaftlichen Fachrecht)« intensiver der gfP im Sektor<br />
der Landwirtschaft. Die allgemeine Relevanz dieses Wirtschaftszweigs<br />
ergebe sich allein daraus, dass 55% des Gebiets der Bundesrepublik<br />
landwirtschaftlich genutzt werde; damit sei sie quantitativ<br />
der bedeutendste Akteur, so Frenz. Neben Regelungen im Düngemittel-<br />
und Pflanzenschutzgesetz wird die gfP in der<br />
Landwirtschaft insbesondere durch das bereits erwähnte BBod-<br />
SchG vermittelt: § 17 Abs. 1 und 2 verweisen explizit darauf. Wobei<br />
§ 17 Abs. 1 in Verbindung mit § 7 BBodSchG scheinbar den<br />
Landwirt hinsichtlich der Vorsorge in Sachen Bodennutzung in die<br />
Pflicht nimmt. Allerdings wird die Vorsorge eben durch die Einhaltung<br />
der gfP bestimmt. Beratungsstellen sollen über die<br />
Grundsätze der gfP informieren. GfP in der Landwirtschaft bestehe<br />
in der nachhaltigen Sicherung der Fruchtbarkeit und Leistungsfähigkeit<br />
des Bodens <strong>als</strong> natürliche Ressource. Es sei aber versäumt<br />
worden, deutlich zu machen, wie genau die nachhaltige Sicherung<br />
des Bodens in der Landwirtschaft auszugestalten sei. § 17<br />
Abs. 2 BBodSchG führt auf, welche Aspekte der Bodenbearbeitung<br />
nachhaltige Sicherung durch gfP erfahren sollen. Die gfP im Bodenschutzrecht,<br />
hob Frenz hervor, stelle aber kein rechtliches Kernmaterial<br />
dar. Mangels (zwingender) gesetzlicher Normen liegen lediglich<br />
Leitlinien vor, die <strong>als</strong> Beratungsangebot den Landwirten zur<br />
Verfügung stehen. Wie kann der Idee gfP in der Landwirtschaft<br />
mehr Wirkungskraft verliehen werden, wie effizientere Beratung<br />
den Landwirt auch erreichen Frenz gab eine andere Antwort. Er<br />
wies auf die soziale Dimension einer dörflichen Struktur hin, die<br />
den Beratungsansatz wirksamer unterstützen kann. Eine informierte<br />
Dorfgemeinschaft würde dabei helfen, (umweltgerechte)<br />
»landwirtschaftliche Regeln« einzuhalten – beispielsweise eine<br />
nachhaltige Ausfuhr von Gülle. Nur legitime Handlungen würden<br />
von den Mitmenschen honoriert. Die Beratung müsse das Prinzip<br />
der sozialen »Ächtung und Achtung« ausnutzen, da nicht auf »jedem<br />
Traktor ein Kontrolleur sitzen könne«. Ein weiteres Instrument,<br />
welches zu einer nachhaltigen Entwicklung im Sinne der gfP<br />
beiträgt, ist die Implementation qualitätsbezogener Subventionen.<br />
In Zeiten einer diesbezüglich markanten wirtschaftlichen Abhängigkeit<br />
der Betriebe könnten sie zu einer umweltverträglicheren<br />
Produktion führen.<br />
IV. Mit »Gute fachliche Praxis im Recht der Energiewirtschaft« bereicherte<br />
Prof. Dr. Dr. Peter Salje von der Universität Hannover (Arbeitsschwerpunkt<br />
im Zivilrecht und Recht der Wirtschaft) den Diskurs<br />
um gfP um ein weiteres Referenzbeispiel. In § 6 Abs. 1 S. 5<br />
EnGW n. F. vermute der Gesetzgeber in der Verbändevereinbarung<br />
(VV) der deutschen Stromnetz-Betreiber die Einhaltung der gfP. Mit<br />
der Verrechtlichung der privaten VV wurde auf eine strengere staatliche<br />
Regulierung mittels Rechtverordnung verzichtet. Der Ansatz<br />
schien der Deregulierungsphilosophie und Liberalisierung im<br />
Strommarkt zu entsprechen. Anregung für die VV sei der Willen gewesen,<br />
erläuterte Salje, den Netzzugang für alle Stromanbieter zu<br />
öffnen. Jedes Unternehmen solle jeden Kunden in Deutschland beliefern<br />
können. Jedoch hätten die Netzbetreiber weiterhin 96 % des<br />
Marktanteils der Stromversorger behauptet. Deshalb drängte der<br />
Gesetzgeber auf eine einheitliche Preisgestaltung für die Netzbereitstellung<br />
durch die Betreiber gegenüber Dritten. Die VV (II plus)<br />
sollte nun zukünftig Stromanbietern ermöglichen, in kalkulierbaren<br />
Rahmenbedingungen in Deutschland, Kunden mit Strom zu beliefern.<br />
Die gesetzliche Vermutung, dass die gfP durch die Einhaltung<br />
der VV erfüllt wird, ist bis zu 31.12.2003 befristet gewesen. Faktisch<br />
werden die Regeln im Alltagsgeschäft weiterhin eingehalten.<br />
V. Einen interdisziplinären Perspektivenwechsel vollzog Prof. Dr.<br />
Hagen Hof, Volkswagenstiftung Hannover (Arbeitsschwerpunkt:<br />
ehem<strong>als</strong> Recht und Verhalten), mit seinem Thema »Gute fachliche<br />
Praxis – Entwicklungsperspektiven aus rechtsethologischer Sicht«.<br />
Der Ansatz erklärt, wie Recht aus Verhalten entsteht und wie Verhalten<br />
Recht steuert. Recht stehe hier quasi auf Augenhöhe mit<br />
ethischen und erzieherischen Aspekten. Deutlich werde dies u. a.<br />
dadurch, dass sich thematische Schnittmengen der einzelnen Disziplinen<br />
(Recht, Erziehung, Ethik) ergeben: Hof wies dazu auf die<br />
Achtung gegenüber Anderen, Vertrauen und Umweltschutz <strong>als</strong><br />
Verhaltenskodex hin. Er ging, nach einer Auslegung der juristischen<br />
Merkmale des Terminus gfP, auf ähnliche Regelwerke und<br />
Konzepte sowie deren Unterschiede und Gemeinsamkeiten ein.<br />
Hof bilanzierte § 17 BBodSchG dahingehend: Landwirte seien nicht<br />
ZUR 1/2005 | 53
TAGUNGSBERICHT<br />
verpflichtet, in der Bodennutzung (Nachhaltigkeit) vorsorglich zu<br />
agieren oder beispielsweise ihre Äcker (bezüglich der Fruchtfolge)<br />
auf gute, fachkundige Art zu bestellen. § 17 BBodSchG gebe dem<br />
Normadressaten kein bestimmtes Verhalten vor. Kriterien für die<br />
Umsetzung der Vorgaben seien nicht ersichtlich, Verpflichtungen<br />
nicht auferlegt. Zugespitzt: Der Landwirt sei von der Vorsorge gem.<br />
§ 7 BBodSchG gleichsam freigestellt. Die angesprochenen vergleichbaren<br />
Regeln, so Hof, die der Gesetzgeber parat halte, seien<br />
tendenziell technik- und entwicklungsorientiert (Regelklauseln,<br />
Technikklauseln) und zielten weniger auf die Standardisierung von<br />
unsicherem Verhalten ab. Die Möglichkeit der dynamischen<br />
Rechtsanpassung sprach er der gfP ab. Sie schreibe lediglich einen<br />
Status quo fest. Wie kann nun gfP eine höhere Wirkungskraft entfalten,<br />
so dass Normadressaten sich innerhalb guter fachlicher<br />
Handlungskorridore bewegen Zum einen sei es versäumt worden,<br />
analysierte Hof, effektive Handlungsanreize (zu umweltfreundlichem<br />
Verhalten) zu schaffen: Hier könne eine qualitätsbezogene<br />
Subventionsstützung greifen. Verhaltensspielräume – geschaffen<br />
durch gfP (und landwirtschaftliche Beratung) – seien in den Schatten<br />
des Rechts zu stellen bzw. mit rechtlich fixierten Sanktionsmöglichkeiten<br />
zu kombinieren.<br />
VI. Annähernd herrschte in der Analyse der Rechtsfigur gfP dahingehend<br />
Konsens, dass der Staat sich hier nicht vollständig von<br />
der Idee der hoheitlich-imperativen Normgebung verabschieden<br />
sollte. Bürgern und Unternehmen wird größere Handlungsautonomie<br />
zugestanden. Nur: Um gfP zwingend zu implementieren,<br />
müssen rechtliche Vollzugsmöglichkeiten dem Staat offen stehen.<br />
GfP fände im landwirtschaftlichen Sektor hinreichend Anwendung,<br />
wenn z.B. entsprechende Subventionen sie erzwängen, so<br />
insbesondere Hof und Frenz. Ohne ein Ausschärfen der angesprochenen<br />
rechtlichen Vollzugmöglichkeiten stellt gfP jedoch ein beinahe<br />
»zahnloses« Standardisierungswerkzeug dar. Ein vollständiges<br />
Abwenden von bindenden Steuerungsambitionen wäre demnach<br />
nicht zweckmäßig. Zukünftig besteht die Herausforderung<br />
einerseits darin, den ursprünglichen Charakter von gfP nicht zu<br />
entfremden (Verhaltensspielraum), andererseits aber einen Rechtrahmen<br />
zu schaffen, der das Durchsetzungsvermögen des Instruments<br />
akzentuiert.<br />
Jannes Fröhlich<br />
Jannes Fröhlich<br />
Stud. des Dipl.-Studiengangs Umweltwissenschaften, Frommestr. 6,<br />
21335 Lüneburg.<br />
Tätigkeitsschwerpunkte: Strategische Umweltprüfung und strategisches Umweltmonitoring<br />
für Offshore-Windenergieparks.<br />
BUCHREZENSION<br />
Schumacher, Jochen/ Fischer-Hüftle, Peter:<br />
Bundesnaturschutzgesetz<br />
Kommentar<br />
2003, 744 S. mit CD-ROM, 109,– Euro,<br />
Kohlhammer, ISBN 3-17-017601-3<br />
Die Novellierung des Bundesnaturschutzrechts<br />
durch das BNatSchGNeuregG 2002<br />
haben die Juristen Peter Fischer-Hüftle, Dietrich<br />
Kratsch und Jochen Schumacher sowie<br />
die Biologen Wolfgang Herter und Anke<br />
Schumacher zum Anlass genommen, einen<br />
neuen Kommentar zum BNatSchG<br />
vorzulegen. Der interdisziplinäre Ansatz<br />
überzeugt, weil Juristen bei der Auslegung<br />
und Anwendung des Naturschutzrechts<br />
dringend auf fachlichen Rat angewiesen<br />
sind und – umgekehrt – Naturschutzexperten<br />
die rechtlichen Vorgaben für den<br />
Schutz von Natur und Landschaft zu beachten<br />
und ggf. den aus fachlicher Sicht<br />
notwendigen Änderungs- und Entwicklungsbedarf<br />
aufzuzeigen haben. Diesen Gedanken<br />
fühlt sich das Autorenteam offenbar<br />
verpflichtet, wenn es etwa die im<br />
Grundsätzekatalog und im Artenschutzrecht<br />
verwendeten biologischen und ökologischen<br />
Begriffe fundiert erläutert (A.<br />
Schumacher/ J. Schumacher zu § 2, Rn. 15<br />
ff.; Herter/ Kratsch/ J. Schumacher zu § 10,<br />
Rn. 32 ff.) oder Defizite der neuen Eingriffsregelung<br />
deutlich benennt (Fischer-<br />
Hüftle/ A. Schumacher zu § 19, Rn. 35 f.).<br />
Der Kommentierung des BNatSchG sind<br />
(auch) die Texte der Fauna-Flora-Habitat-<br />
Richtlinie (92/43/EWG) und der Vogelschutzrichtlinie<br />
(79/409/EWG) vorangestellt.<br />
Hierdurch hat der Leser die Möglichkeit, den<br />
in den nationalen Umsetzungsvorschriften<br />
der §§ 32 ff. BNatSchG noch immer enthaltenen<br />
europarechtswidrigen Tendenzen im<br />
Wege der richtlinienkonformen Auslegung<br />
zu begegnen (vgl. auch J. Schumacher/ A.<br />
Schumacher zu § 34, Rn. 31 ff.). Für die folgenden<br />
Auflagen des Kommentars wäre zudem<br />
der Abdruck des Übereinkommens von<br />
1992 über die biologische Vielfalt (CBD)<br />
wünschenswert, um den Blick der Rechtsanwender<br />
für den völkerrechtlichen Rahmen<br />
des modernen biodiversitätserhaltenden<br />
Rechts, auf das etwa in § 2 Abs. 2 Satz 1 und<br />
Abs. 1 Nr. 8 BNatSchG Bezug genommen<br />
wird, weiter zu schärfen. Die diesbezügliche<br />
Kommentierung von J. Schumacher/ A.<br />
Schumacher (§ 2, Rn. 60 ff. und 101) und insbesondere<br />
die Erläuterungen von J. Schumacher<br />
zu dem neuen § 38 BNatSchG (Geschützte<br />
Meeresflächen in der ausschließlichen<br />
Wirtschaftszone und auf dem<br />
Festlandsockel) zeigen exemplarisch, dass die<br />
Autoren die nationalen Regelungen zutreffend<br />
und kenntnisreich in den internationalen<br />
und supranationalen Kontext einzuordnen<br />
wissen.<br />
<strong>Das</strong> Instrumentarium der Schutzgebietsausweisung<br />
ist durch das BNatSchGNeuregG<br />
2002 (vgl. hierzu auch D. Czybulka<br />
[Hrsg.], Wege zu einem wirksamen Naturschutz<br />
– <strong>Das</strong> neue BNatSchG: Analyse und<br />
Kritik, 2004) kaum verändert worden. Die<br />
Kommentierung der §§ 22 ff. BNatSchG ermöglicht<br />
vor allem den Rechtsanwendern<br />
einen sicheren Umgang mit der (zu) komplizierten<br />
Schutzgebietssystematik durch<br />
einführende rechtstatsächliche und -historische<br />
Erläuterungen, eine präzise Beschreibung<br />
der Tatbestandsmerkmale sowie zahlreiche<br />
Rechtsprechungshinweise. Eine<br />
Erweiterung der vergleichenden Darstellungen,<br />
wie der zu den Unterschieden zwischen<br />
Naturschutzgebiet und Naturdenkmal<br />
(A. Schumacher/ J. Schumacher/ Fischer-Hüftle<br />
zu § 28, Rn. 2), würde den<br />
Abschnitt noch wertvoller für Neulinge des<br />
Naturschutzrechts machen. Schließlich sei<br />
die ausgezeichnete Bearbeitung der artenschutzrechtlichen<br />
Vorschriften durch<br />
Kratsch/ Herter <strong>als</strong> beispielgebend für die<br />
eindeutige und handhabbare Darstellung<br />
einer schwer verständlichen Fachrechtsmaterie<br />
hervorgehoben. Die sorgfältige Kommentierung<br />
von Fischer-Hüftle zur Mitwirkung<br />
von Vereinen (§§ 58 ff. BNatSchG)<br />
wird künftig durch empirisches Material<br />
angereichert werden können, da entsprechende<br />
Untersuchungen laufen.<br />
54 | ZUR 1/2005
ZEITSCHRIFTENSCHAU<br />
Neben seiner inhaltlichen Stärke besticht<br />
der bei Kohlhammer erschienene Kommentar<br />
von J. Schumacher/ Fischer-Hüftle<br />
durch klare Sprache und Struktur. Die<br />
großzügige Anordnung der Absätze und<br />
Überschriften macht den Text außerordentlich<br />
lesefreundlich. Dem Kommentar<br />
ist eine CD-ROM beigelegt, die neben allen<br />
Naturschutzgesetzen der Länder auch den<br />
Text des BNatSchG 1998 mit entsprechenden<br />
synoptischen Gegenüberstellungen<br />
enthält. Zusammen mit der von einem Teil<br />
des Autorenteams zu verantwortenden Internetseite<br />
www.naturschutzrecht.net kann<br />
sich der Leser ein (ausbaufähiges) naturschutzrechtliches<br />
Multimedia-Paket zusammenstellen.<br />
Peter Kersandt<br />
Peter Kersandt<br />
Rechtsreferendar in Berlin, Doktorand am Lehrstuhl<br />
für Staats- und Verwaltungsrecht, <strong>Umweltrecht</strong><br />
und Öffentliches Wirtschaftsrecht<br />
(Prof. Dr. Detlef Czybulka), Universität<br />
Rostock, Juristische Fakultät, Richard-Wagner-<br />
Straße 31, 18119 Rostock-Warnemünde;<br />
Dissertationsvorhaben im Bereich des supranationalen<br />
und nationalen Umwelt- und Naturschutzrechts<br />
mit seerechtlichen Bezügen.<br />
Aktuelle Veröffentlichung: Luttmann/Baumgarten/Kersandt,<br />
Fälle und Lösungen zum Verwaltungsrecht<br />
(M-V) für Fortgeschrittene und Examenskandidaten,<br />
Rostock-Warnemünde 2004.<br />
ZEITSCHRIFTENSCHAU<br />
Die nachfolgende Übersicht erfasst die umweltrechtliche<br />
Aufsatzliteratur des Erscheinungszeitraumes<br />
bis zum 15. Oktober 2004. Sie schließt unmittelbar<br />
an die <strong>Zeitschrift</strong>enschau in ZUR 6/04 an.<br />
Einzelne Abweichungen sind durch die Erscheinungsweise<br />
und Erreichbarkeit der <strong>Zeitschrift</strong>en bedingt.<br />
(Siehe hierzu die Liste auf der letzten Seite des<br />
<strong>Heft</strong>es)<br />
In folgenden Rubriken wurden keine Veröffentlichungen<br />
im Berichtszeitraum nachgewiesen:<br />
Recht der UVP, Gentechnikrecht, Verkehrsrecht<br />
Verfahrens- und Verfassungsrecht.<br />
EG- und Internationales <strong>Umweltrecht</strong><br />
Beyer, Peter: Eine neue Dimension der Umwelthaftung<br />
in Europa Eine Analyse der Europäischen<br />
Richtlinie zur Umwelthaftung. ZUR 2004,<br />
S. 257-65.<br />
Bruggeman, Véronique: Energy Efficiency as a Criterion<br />
for Regulation in the European Community.<br />
EELR 2004, S. 140-153.<br />
Klasing, Anneke/Beyer, Peter/Coffey, Clare/Homeyer,<br />
Ingmar: The Draft Constitution for Europe<br />
and the Environment - The Impact of Institutional<br />
Changes, the Reform of the Instruments and the<br />
Principle of Subsidiarity. EELR 2004, S. 218-224.<br />
Knopp, Lothar: Europarechtliche Dominanz und<br />
deutscher Kompetenzwechsel an den Beispielen<br />
Emissionshandelsrecht und Umwelthaftung. UPR<br />
2004, S. 379-382.<br />
Laskowski, Silke Ruth: <strong>Das</strong> EG-<strong>Umweltrecht</strong> und<br />
seine Umsetzung in Deutschland und Polen. DVBl.<br />
2004, S. 1216-1219.<br />
Leifer, Christoph/Mißling, Sven: Die Berücksichtigung<br />
von Umweltschutzkriterien im bestehenden<br />
und zukünftigen Vergaberecht am Beispiel des europäischen<br />
Umweltmanagementsystems EMAS.<br />
ZUR 2004, S. 266-272.<br />
Trüe, Christian: EU-Kompetenzen für Energierecht,<br />
Gesundheitsschutz und Umweltschutz nach dem<br />
Verfassungsentwurf. JZ 2004, S. 779-788.<br />
Yu, Zhang Shu: The Proposed EU Energy Security<br />
Package via-à-vis EU Law. EELR 2004, S. 170-176.<br />
Umweltprivatrecht<br />
Hötzel, Hans-Joachim: Verkehrssicherungspflicht<br />
für Bäume – Zehn Jahre Rechtsprechung zum Visual<br />
Tree Assessment. VersR 2004, S. 1234-1239.<br />
Umweltstrafrecht<br />
Meeder, Jochen/Eßling, Robert: Die Strafbarkeit<br />
des Abstellens von Autowracks im Sinne des § 326<br />
Abs. 1 Nr. 4a StGB unter Berücksichtigung der gerichtlichen<br />
Spruchpraxis. NZV 2004, S. 446-450.<br />
Allgemeines <strong>Umweltrecht</strong><br />
Bückmann, Walter: <strong>Umweltrecht</strong> <strong>als</strong> Innovation<br />
UPR 2004, S. 281-290.<br />
Dietze, Doris/Bohne, Eberhard: Pollution Prevention<br />
and Control in Europe Revisited. EELR 2004,<br />
S. 198-217.<br />
Keller, Maxi: Effektiver Rechtsschutz im <strong>Umweltrecht</strong><br />
– Stand, aktuelle Entwicklungen, Perspektiven<br />
– Rostocker <strong>Umweltrecht</strong>stag 2004. DVBl.<br />
2004, S. 1153-1156.<br />
Maslaton, Martin: Entschädigung für die Nichtgewährung,<br />
Beeinträchtigung oder Entziehung des<br />
Windabschöpfungsrechts – Entschädigungspflicht<br />
für rechtmäßige raumordnerische Untersagungsverfügungen<br />
LKV 2004, S. 289-294.<br />
Nisipeanu, Peter: Pläne des Bundesumweltministeriums<br />
zur Verschärfung der Klärschlammverordnung<br />
– Oder: Haben wir wirklich keine anderen<br />
Sorgen AgrarR 2004, S. 277-284.<br />
Quambusch, Erwin: <strong>Das</strong> Windkraftdilemma. VR<br />
2004, S. 266-270.<br />
Wernsmann, Rainer: Viel Lärm um nichts – Die<br />
Ökosteuer ist verfassungsgemäß. NVwZ 2004,<br />
S. 819-821.<br />
Immissionsschutzrecht<br />
Fickert, Hans Carl: Worauf müssen sich die Gemeinden<br />
bei der Umsetzung der Umgebungsrichtlinie<br />
der EU in deutsches Recht einstellen<br />
BauR 2004, S. 1559-1567.<br />
Giemulla, Elmar/Schorcht, Hendrik: Juristische Bewertung<br />
von Fluglärm (Teil I). Fluglärmsynopse.<br />
ZLW 2004, S. 386-394.<br />
Hölscher, Christoph: Die künftige Regulierung des<br />
Emissionshandels auf Bundes- und Landesebene.<br />
DÖV 2004, S. 834-838.<br />
Michler, Hans-Peter: Lärmsummationen. VBlBW<br />
2004, S. 361-370.<br />
Höltl, René: Gaststättenlärm und Rücksichtnahmegebot.<br />
VBlBW 2004, S. 330-335.<br />
Wehdeking, Silke: Internationale Zuständigkeit der<br />
Zivilgerichte bei grenzüberschreitenden Immissionen<br />
– Zur »Temelin«-Entscheidung des österreichischen<br />
OGH. DZWiR 2004, S. 323-325.<br />
Atom- und Energierecht<br />
Büdenbender, Ulrich: Die Abwälzung der Subventionslasten<br />
für erneuerbare Energien und Kraft-<br />
Wärme-Kopplung auf die Stromverbraucher.<br />
NVwZ 2004, S. 823-826.<br />
Franßen, Gregor: Zum Anspruch des industriellen<br />
KWK-Anlagebetreibers auf Mindestvergütung<br />
nach dem KWKG 2000. RdE 2004, S. 212-218.<br />
Leidinger, Tobias/Zimmer, Tilman: Die Überführung<br />
der Bundesauftragsverwaltung im Atomrecht<br />
in Bundeseigenverwaltung. DVBl. 2004,<br />
S. 1005-1013.<br />
Oschmann, Volker: Die Novelle des Erneuerbare-<br />
Energien-Gesetzes. NVwZ 2004, S. 910-915.<br />
Ossenbühl. Fritz: Zur Verbandslast <strong>als</strong> Finanzierungsinstrument<br />
der atomaren Endlagerung.<br />
DVBl. 2004, S. 1132-1144.<br />
Roßnagel, Alexander/Hentschel, Anja: Alternativprüfung<br />
für atomare Endlager UPR 2004, S. 291-<br />
296.<br />
Gefahrstoff- und Produktrecht<br />
Lenz, Tobias: <strong>Das</strong> neue Geräte- und Produktsicherheitsgesetz.<br />
MDR 2004, S. 918-922.<br />
ZUR 1/2005 | 55
ZEITSCHRIFTENSCHAU<br />
Abfallrecht<br />
Gärditz, Klaus Ferdinand: Funktionale Selbstverwaltung<br />
und Demokratieprinzip im Recht der<br />
Wasser- und Entsorgungsverbände, AbfallR<br />
2004, S. 235-239<br />
Gruneberg, Ralf: Die Umsetzung der Elektronikschrottrichtlinie<br />
durch das ElektroG – Auswirkungen<br />
auf kommunale Entsorgungsunternehmen,<br />
AbfallR 2004, S. 225-230<br />
Oexle, Anno: Verfahrensrechtliche Fragen der<br />
grenzüberschreitenden Verbringung von Abfällen,<br />
Anmerkung zu OVG NRW, Entscheidungen<br />
vom 24.3.2004 und 29.4.2004, AbfallR 2004,<br />
S. 239-242<br />
Prelle, Rebecca/Thärichen, Holger: Gewerbliche<br />
Abfallsammlungen zwischen öffentlichen Interessen<br />
und unternehmerischer Freiheit, AbfallR<br />
2004, S. 206<br />
Rindtorff, Ermbrecht/Gabriel, Marc: Die gewerbliche<br />
Sammlung und Verwertung ovn Hausmüll,<br />
AbfallR, 2004, S. 194-205<br />
Spieth, Wolf Friedrich/Hamer, Martin: Abfallverbrennungsanlagen<br />
und Emissionshandel, AbfallR<br />
2004, S. 218-225<br />
Versmann, Andreas: Die strategischen Umweltprüfung<br />
in der Abfallwirtschaftsplanung, AbfallR<br />
2004, S. 212-218<br />
Stengler, Ella: <strong>Das</strong> Abfallstrategiepapier der EU,<br />
AbfallR 2004, S. 230-235<br />
Bodenschutz- und Altlastenrecht<br />
Steinmetz, Christiane: Für sparsamen Umgang mit<br />
Grund und Boden. StuG 2004, S. 299-300.<br />
Wasserrecht<br />
Anders, Dieter R./Krüger, Jan-Christof: Festsetzung<br />
von Wasserschutzgebieten. Keine babylonische<br />
Sprachverwirrung im Wasserrecht. NuR<br />
2004, S. 491-503.<br />
Fries, Susanne: Optionen für den deutschen Wassermarkt<br />
– überholt die europäische Entwicklung<br />
die deutsche Modernisierungsstrategie NWVBl.<br />
2004, S. 341-345.<br />
Heiland, Joachim: Die Wassergesetz-Novelle 2004<br />
– Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie und<br />
Modernisierung des Hochwasserschutzes. VBlBW<br />
2004, S. 281-291.<br />
Koch, Hans-Joachim: Meeresumweltschutz für<br />
Nord- und Ostsee. NordÖR 2004, S. 221-228.<br />
Nisipeanu, Peter: Wasser- und ortsrechtliche Anforderungen<br />
an Indirekteinleitungen mit biologisch<br />
schwer abbaubaren Inhaltsstoffen. UPR<br />
2004, S. 372-379.<br />
Spreen, Holger: Auswirkungen der Wasserrahmenrichtlinie<br />
und ihrer nationalen Umsetzung auf<br />
die Landwirtschaft – Einwirkungsmöglichkeiten<br />
und Risiken für landwirtschaftliche Betriebe und<br />
Verbände. AgrarR 2004, S. 237-240.<br />
Naturschutz- und<br />
Landschaftspflegerecht<br />
Baranek, Elke/Günther, Beate/Kehl, Christine:<br />
Lässt sich Naturschutzplanung durch Moderation<br />
effektiver gestalten – Erfahrungen aus dem<br />
Gewässerrandstreifenprojekt Spreewald. NuL<br />
2004, S. 402-408.<br />
Bruker, Jörg: Naturschutzgroßprojekte des Bundes<br />
– Förderprogramm zur Errichtung und Sicherung<br />
schutzwürdiger Teile von Natur und<br />
Landschaft mit gesamtstaatlich repräsentativer<br />
Bedeutung – Naturschutzgroßprojekte und Gewässerrand-Streifenprogramm.<br />
NuL 2004,<br />
S. 393-401.<br />
Ditscherlein, Elke/Brücher, Helmut: Rechtliche Einordnung<br />
von Greifvogelhybriden. NuR 2004,<br />
S. 576-579.<br />
Ellinghofen, Gabriele/Brandenfels, Annette: Rechtliche<br />
Anforderungen an die Eingriffsbilanzierung<br />
und deren naturschutzfachliche Umsetzung am<br />
Beispiel von Abgrabungsvorhaben. NuR 2004,<br />
S. 564-572.<br />
Gassner, Erich: Die Zulassung von Eingriffen<br />
trotz artenschutzrechtlicher Verbote. NuR 2004,<br />
S. 560-564.<br />
Hösch, Ulrich: Vom generellen Vorrang des<br />
Straßenbaus vor dem Naturschutz in der Rechtsprechung.<br />
Anmerkungen zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts<br />
vom 15.1.2004 – 4 A 11.02<br />
zur A 73 (NuR 2004, 366). NuR 2004, S. 572-576.<br />
Schrader, Christian: Rechtliche Umsetzung von § 5<br />
Abs. 3 BNatSchG in Landesrecht: Die regionale<br />
Mindestdichte und ihr Verhältnis zum Biotopverbund.<br />
AgrarR 2004, S. 273-277.<br />
Thum, Randi: Rechtliche Instrumente zur Lösung<br />
von Konflikten zwischen Artenschutz und wirtschaftlicher<br />
Nutzung natürlicher Ressourcen durch<br />
den Menschen am Beispiel Kormoranschutz und<br />
Teichwirtschaft. NuR 2004, S. 580-587.<br />
Weitzel, Wolfgang/Baum, Marius: Rückweichklauseln<br />
in LSG-Verordnungen bundesrechtskonform<br />
Anmerkungen zum Beschluss vom 20.5.2003<br />
(NuR 2003, 624). NuR 2004, S. 511-513.<br />
Fachplanungsrecht<br />
Jarass, Hans D.: Schutzmaßnahmen und Ausgleichsentschädigung<br />
bei Planfeststellungen.<br />
DÖV 2004, S. 633-642.<br />
Louis, Hans Walter: Artenschutz in der Fachplanung.<br />
NuR 2004, S. 557-559.<br />
Smeddinck, Ulrich/Au, Christian: »Lex Airbus« –<br />
Gesetzgebung <strong>als</strong> Prozesstaktik. ZUR 2004, S. 273-<br />
278.<br />
Ramsauer, Ulrich: Umweltprobleme in der Fachplanung<br />
– Verfassungsrechtliche Fragen. NVwZ<br />
2004, S. 1041-1052.<br />
Stüer, Bernhard: Befangenheit in der Planfeststellung.<br />
DÖV 2004, S. 642-649.<br />
Sonstiges<br />
Farnsworth, Nick: Subsidiarity – A Conventional<br />
Industry Defence. Is the Directive on Environmental<br />
Liability with Regard to Prevention and<br />
Remedying of Environmental Damage Justified<br />
under the Subsidiarity Principle EELR, 2004,<br />
S. 176-185.<br />
Fluck, Jürgen/Strack, Lutz: Die Verarbeitung und<br />
Beseitigung von tierischen Nebenprodukten nach<br />
der EG-VO Nr. 1774/2002 und dem TierNebG.<br />
Neues europäisches und ergänzendes deutsches<br />
Recht im Veterinärbereich. NuR 2004, S. 503-510.<br />
Lange, Robert: Wissenschaft zwischen Verfassungsgarantie<br />
und Staatszielbestimmung – Ein<br />
Beitrag zur grundgesetzlichen Verankerung des<br />
Tierschutzes. KritV 2004, S. 170-181.<br />
Siegel, Torsten: Die Gesetzgebungskompetenz im<br />
Tierschutz. NuR 2004, S. 513-515.<br />
56 | ZUR 1/2005
AUSGEWERTETE ZEITSCHRIFTEN<br />
AcP = Archiv für die civilistische Praxis 3/04 – AbfallR = Abfallrecht<br />
6/03 – AfK = Archiv für Kommunalwissenschaften 5/04 – AgrarR =<br />
Agrarrecht 9/04 – AKP = Alternative Kommunalpolitik 5/04<br />
altlasten-spektrum 4/04 – AnwBl = Anwaltsblatt 7/04 – AöR =<br />
Archiv des öffentlichen Rechts 3/04 – ARSP = Archiv für Rechtsund<br />
Sozialphilosophie 2/04 – AVR = Archiv des Völkerrechts 2/04<br />
– BauR = Baurecht 10/04 – BayVBl. = Bayerische Verwaltungsblätter<br />
19/04 – BB = Betriebs-Berater 40/04 – BodSch = Bodenschutz<br />
3/04 – CMLR = Common Market Law Review 4/04 – DB = Der Betrieb<br />
38/04 – DÖV = Die öffentliche Verwaltung 19/04 – DVBl. =<br />
Deutsches Verwaltungsblatt 19/04 – DVP = Deutsche Verwaltungspraxis<br />
10/04 – DZWiR = Deutsche <strong>Zeitschrift</strong> für Wirtschaftsrecht<br />
9/04 – EELR = European Environmental Law Review 9/04 – EJIL =<br />
European Journal of International Law 3/04 – ELNI = ELNI-<br />
Newsletter 1/04 – ELR = European Law Review 4/04 – et = Energiewirtschaftliche<br />
Tagesfragen 10/04 – EuGRZ = Europäische<br />
Grundrechte-<strong>Zeitschrift</strong> 19/04 – EuR = Europarecht 4/04 – EuZW<br />
= Europäische <strong>Zeitschrift</strong> für Wirtschaftsrecht 18/04 – EWS = Europäisches<br />
Wirtschafts- & Steuerrecht 9/04 – GewArch = Gewerbearchiv<br />
10/04 – ImmSch = Immissionsschutz 3/04 – JA = Juristische<br />
Arbeitsblätter 10/04 – JEL = Journal of European Law – June 04<br />
– JEPP = Journal of European Public Policy 3/04 – JR = Juristische<br />
Rundschau 9/04 – Jura = Juristische Ausbildung 10/04 – JuS = Juristische<br />
Schulung 10/04 – JZ = Juristenzeitung 19/04 – KA = KA-<br />
Wasserwirtschaft, Abwasser, Abfall 10/04 – KGVR = KGV-Rundbrief<br />
3/04 – KJ = Kritische Justiz 3/04 – KritV = Kritische Vierteljahresschrift<br />
für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft 2/04 – LKV = Landes-<br />
und Kommunalverwaltung 10/04 – MDR = Monatsschrift für<br />
Deutsches Recht 19/04 – MM = Müllmagazin 2/04 – Müll&Abf =<br />
Müll und Abfall 9/04 – NdsVBl. = Niedersächsische Verwaltungsblätter<br />
10/04 – NJ = Neue Justiz 7/04 – NJW = Neue Juristische<br />
Wochenschrift 42/04 – NordÖR = <strong>Zeitschrift</strong> für norddeutsches öffentliches<br />
Recht 8/04 – NStZ = Neue <strong>Zeitschrift</strong> für Strafrecht 10/04<br />
– NuL = Natur und Landschaft 9/04 – NuR = Natur und Recht 9/04<br />
– NVwZ = Neue <strong>Zeitschrift</strong> für Verwaltungsrecht 9/04 – NWVBl. =<br />
Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter 9/04 – NZBau = Neue<br />
<strong>Zeitschrift</strong> für Baurecht und Vergaberecht 9/04 – NZS = Neue<br />
<strong>Zeitschrift</strong> für Sozialrecht 8/04 – NZV = Neue <strong>Zeitschrift</strong> für<br />
Verkehrsrecht 9/04 – osteuR = osteuropa-Recht 3/04 – RdE = Recht<br />
der Energiewirtschaft 9/04 – Rechtstheorie = <strong>Zeitschrift</strong> für Logik,<br />
Methodenlehre, Normentheorie und Soziologie des Rechts 3/04 –<br />
RIW = Recht der internationalen Wirtschaft 9/04 – RJE = Revue Juridique<br />
de l’ environnement 4/04 – Sächs.VBl. = Sächsische Verwaltungsblätter<br />
10/04 – Staat = Der Staat 3/04 – Städtetag = Der<br />
Städtetag 12/03 – StuG = Stadt und Gemeinde 9/04 – StV =<br />
Strafverteidiger 9/04 – ThürVBl. = Thüringische Verwaltungsblätter<br />
10/04 – TransportR = Transportrecht 9/04 – UPR = Umwelt- und<br />
Planungsrecht 10/04 – UVP-Report = UVP-report 1/04 – VBlBW =<br />
Verwaltungsblätter Baden-Württemberg 10/04 – VersR = Versicherungsrecht<br />
28/04 – Verw = Die Verwaltung 3/04 – VerwArch.<br />
= Verwaltungs-Archiv 3/04 – VR = Verwaltungsrundschau 9/04 –<br />
WiRO = Wirtschaft und Recht in Osteuropa 9/04 – wistra =<br />
<strong>Zeitschrift</strong> für Wirtschaft Steuer Strafrecht 5/04 – WiVerw =<br />
Wirtschaft und Verwaltung 3/04 – ZaöRV = <strong>Zeitschrift</strong> für ausländisches<br />
öffentliches Recht und Völkerrecht 2/04 – ZAU =<br />
<strong>Zeitschrift</strong> für Angewandte Umweltforschung 2/04 – ZEuP =<br />
<strong>Zeitschrift</strong> für Europäisches Privatrecht 3/04 – ZEuS = <strong>Zeitschrift</strong> für<br />
Europarechtliche Studien 3/04 – ZfB = <strong>Zeitschrift</strong> für Bergrecht 2/04<br />
– ZfBR = <strong>Zeitschrift</strong> für deutsches und internationales Baurecht<br />
7/04 – ZfRS = <strong>Zeitschrift</strong> für Rechtssoziologie Juli 04 – ZfU =<br />
<strong>Zeitschrift</strong> für Umweltpolitik und <strong>Umweltrecht</strong> 3/04 – ZfW =<br />
<strong>Zeitschrift</strong> für Wasserrecht 3/04 – ZG = <strong>Zeitschrift</strong> für Gesetzgebung<br />
3/04 – ZIP = <strong>Zeitschrift</strong> für Wirtschaftsrecht 41/04 – ZLR =<br />
<strong>Zeitschrift</strong> für das gesamte Lebensmittelrecht 5/04 – ZLW =<br />
<strong>Zeitschrift</strong> für Luft- und Weltraumrecht 3/04 – ZNER = <strong>Zeitschrift</strong><br />
für Neues Energierecht 3/04 – ZRP = <strong>Zeitschrift</strong> für Rechtspolitik<br />
7/04 – ZStW = <strong>Zeitschrift</strong> für die gesamte Strafrechtswissenschaft<br />
4/04 – ZUR = <strong>Zeitschrift</strong> für <strong>Umweltrecht</strong> 5/04<br />
Impressum<br />
Schriftleitung:<br />
Prof. Dr. Wolfgang Köck (Verantwortlich im Sinne des Presserechts) c<br />
Dr. Moritz Reese c Dr. Sabine Schlacke<br />
Redaktionsadresse:<br />
Verein für <strong>Umweltrecht</strong> e.V. c Große Fischerstr. 5 c 28195 Bremen c<br />
Telefon (0421) 3354143 c (0421) 3354141 c zur-bremen@t-online.de<br />
Verlag:<br />
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Erscheinungsweise der ZUR: 11 Ausgaben pro Jahr.<br />
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30. September eines Jahres gekündigt werden, ansonsten verlängert es sich um<br />
ein Kalenderjahr. Ein ZUR-Jahresabonnement kostet für Mitglieder des Vereins für<br />
<strong>Umweltrecht</strong> 139,– €, für Nichtmitglieder 198,– €. Studenten-Abo: Für Mitglieder<br />
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Studienbescheinigung einsenden). Alle Preise verstehen sich incl. MwSt. zzgl.<br />
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Manuskripte: Einsendungen für den Aufsatz- und Berichtsteil werden an<br />
die Schriftleitung (Prof. Dr. Wolfgang Köck, Umweltforschungszentrum Leipzig-<br />
Halle, Permoserstr. 15, 04318 Leipzig, Tel.: 0341/235-3140, Email: wolfgang.koeck@ufz.de)<br />
oder an die angegebene Redaktionsadresse erbeten. Für<br />
Manuskripte, die unaufgefordert eingesandt werden, wird keine Haftung übernommen.<br />
Die Annahme zur Veröffentlichung muß schriftlich erfolgen. Copyright:<br />
Die ZUR und die darin enthaltenen Beiträge sind urheberrechtlich<br />
geschützt. <strong>Das</strong> gilt auch für die veröffentlichten Gerichtsentscheidungen und Leitsätze,<br />
soweit sie vom Einsender oder von der Redaktion erarbeitet oder redigiert<br />
worden sind. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes<br />
ist ohne Zustimmung des Herausgebers unzulässig. <strong>Das</strong> gilt insbesondere für<br />
Vervielfältigungen, Übersetzungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in<br />
elektronischen Systemen. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht<br />
unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.<br />
ZUR 1/2005 | V
INFORMATIONEN / TERMINE<br />
INFORMATIONEN / TERMINE<br />
Umweltpreis 2004 der Gesellschaft<br />
für <strong>Umweltrecht</strong><br />
Die Gesellschaft für <strong>Umweltrecht</strong> hat im<br />
Rahmen ihrer Jahrestagung in Leipzig am<br />
5./6. November 2004 zum zweiten Mal nach<br />
2001 ihren Umweltpreis für Nachwuchswissenschaftler<br />
vergeben. Teilnahmeberechtigt<br />
waren Autoren im Alter bis zu 40 Jahren, die<br />
– bis März 2003 noch nicht veröffentlichte -<br />
Monographien auf dem Gebiet des deutschen,<br />
europäischen oder internationalen<br />
<strong>Umweltrecht</strong>s verfasst haben. Es wurden 23<br />
Arbeiten eingereicht, zum größten Teil Dissertationen.<br />
Die Themen der Arbeiten spiegelten<br />
die gesamte Breite des <strong>Umweltrecht</strong>s<br />
wider, vom Umweltvölkerrecht über das<br />
Umweltverfassungsrecht bis hin zu den klassischen<br />
umweltrechtlichen Feldern des Naturschutz-,<br />
Immissionsschutz- und Abfallrechts.<br />
Die Arbeiten wurden von einem<br />
Preisgericht unter dem Vorsitz von Dr. Stefan<br />
Paetow, Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht,<br />
bewertet.<br />
Mit dem ersten Preis in Höhe von 5000 €<br />
wurde die Dissertation von Yvonne Kerth<br />
»Emissionshandel im Gemeinschaftsrecht.<br />
Die EG-Emissionshandelsrichtlinie <strong>als</strong> neues<br />
Instrument europäischer Klimaschutzpolitik«<br />
(Universität Würzburg, Prof. Dr.<br />
Scheuing) ausgezeichnet. Den zweiten Preis<br />
erhielt Thomas Bosecke für seine Dissertation<br />
»Vorsorgender Küstenschutz und Inte-<br />
griertes Küstenzonenmanagement an der<br />
deutschen Ostseeküste – Strategien, Vorgaben<br />
und Defizite aus Sicht der Raumplanung,<br />
des Naturschutzes und der Wasserwirtschaft«<br />
(Universität Rostock, Prof. Dr.<br />
Czybulka). Dritter Preisträger ist Gerrit<br />
Günther mit der Dissertation »Umweltvorsorge<br />
und Umwelthaftung« (Universität Trier,<br />
Prof. Dr. Marburger).<br />
2./3. FEBRUAR 2005<br />
Bremen<br />
»Normative und tatsächliche Unsicherheiten<br />
im Umweltschutz«<br />
Die Forschungsstelle für Europäisches <strong>Umweltrecht</strong>,<br />
das Bremer Institut für Transnationales<br />
Verfassungsrecht und der Bundesarbeitskreis<br />
Ethik im BUND e.V. halten<br />
unter der Leitung von Prof. Dr. Felix Ekardt<br />
am 2./3. Februar 2005 in Bremen eine interdisziplinäre<br />
Tagung zum Thema »Normative<br />
und tatsächliche Unsicherheiten in<br />
der Umweltpolitik« ab. Die Tagung wird<br />
gefördert von der Deutschen Bundesstiftung<br />
Umwelt und ist daher gebührenfrei.<br />
Nähere Informationen und Anmeldung bei<br />
fekardt@uni-bremen.de. Die Tagung richtet<br />
sich vornehmlich an den ambitionierten<br />
Nachwuchs aus Politik, Recht, Wissenschaft<br />
und Praxis.<br />
Es geht (1) um tatsachenbezogene Aspekte<br />
wie: Wie sicher ist natur- und sozialwissenschaftliche<br />
Erkenntnis Wie zuverlässig<br />
sind z.B. die Gefährdungsprognosen bei<br />
Schadstoffgrenzwerten, beim Klimawandel,<br />
bei radioaktiver Strahlung, bei genveränderten<br />
Lebensmitteln, bei Hormonfleisch,<br />
beim Wohnen auf altlastenverseuchten<br />
Grundstücken usw. Kann Sicherheit überhaupt<br />
verlangt werden Ist natur- und sozialwissenschaftliche<br />
Erkenntnis objektivierbar<br />
oder »nur Konstruktion« oder gar<br />
»kultur- und milieuabhängig« Ist die nationale<br />
und internationale Politik auch bei<br />
bloß unsicherer Gefährdungsprognose zum<br />
Handeln verpflichtet (oder wenigstens berechtigt)<br />
Welche Verfahrensregeln und<br />
welche politischen Beobachtungs- und<br />
Nachbesserungspflichten entstehen dabei<br />
Es geht ferner (2) direkt normbezogen darum,<br />
wie die »normativ unsichere« Kollisionslage<br />
zwischen verschiedenen Normen<br />
wie Wirtschaftsfreiheit und Umweltgrundrechten,<br />
die bei jeder umweltpolitischen<br />
Entscheidung besteht (z.B. Atomausstieg,<br />
Import von Hormonfleisch, Umgang mit<br />
Gentechnik, Verwendung einer neuen und<br />
riskanten Technologie) möglichst optimal<br />
aufgelöst werden kann.<br />
Umweltstrafrecht <strong>als</strong> präventives<br />
Steuerungsinstrument<br />
Der Betreiber im Umweltstrafrecht<br />
Zugleich ein Beitrag zur Lehre von den Pflichtdelikten<br />
Von Dr. Lars Witteck<br />
2004, 273 S., brosch., 50,– €, ISBN 3-8329-0813-7<br />
(<strong>Nomos</strong> Universitätsschriften – Recht / Unterreihe: Gießener Schriften zum Strafrecht<br />
und zur Kriminologie, Bd. 12)<br />
Die Arbeit steht unter der Prämisse, dass dem Strafrecht in der modernen Gesellschaft<br />
vermehrt die Rolle eines präventiven Steuerungsinstruments zugesprochen<br />
wird. Der Autor untersucht die Grenzen dieses Modells anhand der Täterschaft bei<br />
den umweltstrafrechtlichen Betreiberdelikten.<br />
Hierzu erhält die Lehre von den Pflichtdelikten ein dogmatisches Fundament und<br />
wird für die Betreiberdelikte <strong>als</strong> Täterschaftsmodell fruchtbar gemacht.<br />
UNIVERSITÄTSSCHRIFTEN<br />
Gießener Schriften zum Strafrecht<br />
und zur Kriminologie<br />
NOMOS<br />
RECHT<br />
Lars Witteck<br />
Der Betreiber<br />
im Umweltstrafrecht<br />
Zugleich ein Beitrag zur Lehre<br />
von den Pflichtdelikten<br />
<strong>Nomos</strong><br />
www.nomos.de<br />
VI | ZUR 1/2005
Aktuelle Gutachten des Rates von<br />
Sachverständigen für Umweltfragen<br />
<strong>Das</strong> Umweltgutachten 2004 steht unter dem Motto<br />
»Umweltpolitische Handlungsfähigkeit sichern«. Nach<br />
Auffassung des Umweltrates ist diese sowohl auf der<br />
europäischen <strong>als</strong> auch auf nationaler Ebene gefährdet.<br />
Hinsichtlich der europäischen Umweltpolitik warnt der<br />
Umweltrat vor Tendenzen der »weichen Rahmensteuerung«<br />
und der Unterordnung unter wettbewerbspolitische<br />
Interessen. Hinsichtlich der in Deutschland<br />
stattfindenden Grundsatzdebatte über die Funktionsfähigkeit<br />
der bundesstaatlichen Ordnung rät der SRU<br />
dazu, sich nachdrücklich den Tendenzen zur Verlagerung<br />
umweltpolitischer Kompetenzen auf die Länder zu<br />
widersetzen.<br />
Der Sachverständigenrat für Umweltfragen gibt mit dem<br />
Umweltgutachten 2004 einen Überblick über die<br />
aktuellen Entwicklungen der deutschen und europäischen<br />
Umweltpolitik, bewertet diese und formuliert<br />
zahlreiche Handlungsempfehlungen für die Bundesregierung.<br />
Meeresumweltschutz für Nord- und Ostsee<br />
Sondergutachten Februar 2004<br />
Von SRU – Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen<br />
2004, 265 S., brosch., 38,– €, ISBN 3-8329-0630-4<br />
<strong>Das</strong> Sondergutachten gibt einen Überblick über die<br />
wichtigsten Problemfelder und die aktuelle<br />
Belastungslage der Nord- und Ostsee. Es zeigt den<br />
wesentlichen Handlungsbedarf auf, insbesondere für die<br />
Fischerei-, Chemikalien-, Agrar- und Schifffahrtspolitik<br />
und entwickelt Vorschläge für eine integrierte<br />
europäische und nationale Meeresschutzpolitik<br />
einschließlich einer Meeresraumordnung.<br />
Umweltgutachten<br />
2004<br />
Umweltpolitische<br />
Handlungsfähigkeit<br />
sichern<br />
Juli 2004<br />
<strong>Nomos</strong><br />
Umweltgutachten 2004<br />
Umweltpolitische<br />
Handlungsfähigkeit sichern<br />
Juli 2004<br />
Von SRU – Der Rat von<br />
Sachverständigen für<br />
Umweltfragen<br />
2004, 669 S., geb., 84,– €,<br />
ISBN 3-8329-0942-7<br />
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Reform des<br />
Erneuerbare-Energien-Gesetz<br />
<strong>Das</strong> reformierte Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG)<br />
verbessert die Förderung der Stromerzeugung aus<br />
erneuerbaren Energien erheblich. Die Regelungen<br />
müssen jetzt in die Praxis umgesetzt werden. Hierbei<br />
hilft die 2. Auflage des Kommentars zum EEG.<br />
<strong>Das</strong> Werk berücksichtigt sämtliche Gesetzesänderungen:<br />
„liefert präzise<br />
Informationen<br />
zu den einzelnen<br />
Bestimmungen.“<br />
■ So wurden die Vergütungsregelungen für die<br />
einzelnen Energieträger stärker<br />
differenziert<br />
■ Die Abnahmepflicht für Strom aus<br />
erneuerbaren Energien wurde<br />
ausgedehnt (z.B. Strom aus<br />
Biomasseanlagen)<br />
■ Die Ausgleichsregelungen zwischen<br />
RdW 9/02<br />
den Netzbetreibern, den Elektrizitätsversorgungsunternehmen<br />
und den<br />
Verbrauchern (insbesondere Großverbraucher)<br />
wurden verfeinert<br />
■ Der Verbraucherschutz wurde erheblich verbessert<br />
■ Die zeitlich befristete Härtefallregelung für<br />
stromintensive Betriebe wurde ausgedehnt und die<br />
Befristung aufgehoben<br />
EEG Erneuerbare-Energien-<br />
Gesetz<br />
Handkommentar<br />
Von RA Dr. Jan Reshöft, LL.M.,<br />
Dipl.-Ing. Sascha Steiner und<br />
Jörg Dreher, LL.M.<br />
2. Auflage 2005, ca. 350 S., geb.,<br />
ca. 78,– €, ISBN 3-8329-0986-9<br />
Erscheint Februar 2005<br />
Umfangreiche Erläuterungen der Begriffe fördern das<br />
Verständnis und zahlreiche Praxistipps erleichtern die<br />
Umsetzung der Neuregelungen.<br />
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Befassen Sie sich<br />
rechtzeitig mit<br />
dem neuen Gesetz<br />
Mit dem geplanten Gesetz zur Entsorgung von Elektro(nik)-<br />
Altgeräten setzt die Bundesregierung zwei EU-Richtlinien, diejenige<br />
über Elektro- und Elektronik-Altgeräte (WEEE) und diejenige<br />
zur Verwendung bestimmter Stoffe (RoHS), in deutsches Recht<br />
um. Damit werden die Hersteller elektrischer und elektronischer<br />
Produkte verpflichtet, ihre Altgeräte getrennt von anderem Abfall<br />
zurückzunehmen und zu entsorgen. Die Pflicht zur Registrierung<br />
tritt bereits ab dem 01.05.2005 in Kraft.<br />
Gerätehersteller, Handel und Kommunen stehen damit vor einer<br />
der größten Herausforderungen der letzten Jahre.<br />
Der Leitfaden »<strong>Das</strong> neue Elektronikgesetz« wendet sich an Manager<br />
und Praktiker in Wirtschaft, öffentlicher Verwaltung, Anwaltschaft<br />
wie Gerichte. Er gibt genaue Hinweise für die Praxis,<br />
wie die Betroffenen mit dem neuen Gesetz umgehen müssen.<br />
Insbesondere werden behandelt:<br />
c die Regelungen für die durch das neue Gesetz Verpflichteten<br />
(Hersteller, Vertreiber, Besitzer, öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger,<br />
privatwirtschaftliche Entsorgungsbetriebe),<br />
c die Stellung der Kontrolleure im System (das Umweltbundesamt,<br />
die Gemeinsame Stelle und das beliehene Register der<br />
Wirtschaft ) sowie<br />
c Fragen der Finanzierung (auf Seiten der Hersteller bzw. den öffentlich-rechtlichen<br />
Entsorgungsträger).<br />
Herausgeber – Professor Dr. Dr. h.c. Martin Bullinger und Rechtsanwalt<br />
Hans-Jochen Lückefett, Ministerialrat a.D., Tübingen – wie<br />
Autoren – Ministerialdirigent Reinhard Schmalz, Niedersächsisches<br />
Umweltministerium, Hannover; Rechtsanwalt Dr. Jörg Karenfort,<br />
LL.M, Berlin; Dr. Mario Tobias, Bereichsleiter Bundesverband<br />
Informationswirtschaft, Telekommunikation und Neue<br />
Medien e.V., Berlin – stehen für die Praxisorientierung des Werks.<br />
<strong>Das</strong> neue Elektrogesetz<br />
■ Zuständigkeiten und Verfahren ■ Verpflichtete<br />
■ Finanzierung<br />
Herausgegeben von Prof. Dr. Dr. h.c. Martin Bullinger<br />
und RA Hans-Jochen Lückefett<br />
2005, ca. 160 S., brosch., ca. 34,– €, ISBN 3-8329-1115-4<br />
Erscheint Februar 2005<br />
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»<strong>Das</strong> sehr handliche<br />
Werk ist eine wertvolle<br />
Hilfe für die<br />
immissionsschutzrechtliche<br />
Praxis.«<br />
Umweltbrief 4/03<br />
<strong>Das</strong> Standardwerk – jetzt wieder topaktuell<br />
Die 23. Auflage enthält alle einschlägigen Vorschriften<br />
zum Bundesimmissionsschutzrecht.<br />
Sie berücksichtigt die aktuellen Änderungen und<br />
die neuen Durchführungsverordnungen zum<br />
BImSchG. Neu aufgenommen wurden<br />
■ das Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz,<br />
■ das Zuteilungsgesetz 2007 und<br />
■ die Zuteilungsverordnung 2007.<br />
<strong>Das</strong> Werk enthält eine umfassende Einführung in<br />
die komplexen Regelungen. <strong>Das</strong> BImSchG selbst,<br />
die wichtigsten Durchführungsverordnungen, die<br />
TA Luft und TA Lärm sowie das neue Treibhausgas-<br />
Emmissionshandelsgesetz sind durch praxisorientierte<br />
Anmerkungen erläutert.<br />
Bundes-Immissionsschutzgesetz<br />
BImSchG / BImSch-Verordnungen /<br />
EMASPrivilegV / TA Luft / TA Lärm / TEHG /<br />
ZuG 2007<br />
Textsammlung mit Einführung und<br />
Erläuterungen<br />
Von Dr. Klaus Hansmann<br />
23. Auflage 2005, 900 S., brosch., 26,– €,<br />
ISBN 3-8329-0956-7<br />
Ein ausführliches Schlagwortverzeichnis hilft<br />
beim Auffinden der einschlägigen Normen.<br />
Der Autor war Vorsitzender des Länderausschusses<br />
für Immissionsschutz. Er ist Lehrbeauftragter der<br />
Universität Düsseldorf und Mitglied des Arbeitskreises<br />
für <strong>Umweltrecht</strong>.<br />
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