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Das ganze Heft als PDF-Datei - Zeitschrift für Umweltrecht - Nomos

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ZUR<br />

<strong>Zeitschrift</strong> für <strong>Umweltrecht</strong><br />

<strong>Das</strong> Forum für<br />

Umwelt- und<br />

Planungsrecht<br />

Immissionsschutz ■ Naturschutz ■ Klimaschutz ■ Bodenschutz ■ Gentechnik<br />

Energiewirtschaft ■ Abfallwirtschaft ■ Gewässerschutz ■ Chemikaliensicherheit<br />

Herausgeber<br />

Verein für <strong>Umweltrecht</strong> e.V.<br />

in Verbindung mit:<br />

Prof. Dr. Martin Beckmann<br />

Siegfried Breier<br />

Prof. Dr. Matthias Dombert<br />

Dr. Günther-Michael Knopp<br />

Prof. Dr. Hans-Joachim Koch<br />

Prof. Dr. Gertrude Lübbe-Wolff<br />

Dr. Frank Petersen<br />

Dr. Renate Phillip<br />

Michael Sauthoff<br />

Prof. Dr. Reinhard Sparwasser<br />

Prof. Dr. Michael Uechtritz<br />

Prof. Dr. Ludger-Anselm Versteyl<br />

Prof. Dr. Andreas Voßkuhle<br />

Prof. Dr. Gerd Winter<br />

Aus dem Inhalt<br />

Aufsätze<br />

Arno Scherzberg,<br />

Risikomanagement vor der WTO 1<br />

Martin Beckmann/Joachim Hagmann,<br />

Stilllegung, Rekultivierung und Nachsorge<br />

von Deponien 9<br />

Hans-Joachim Koch/Cornelia Ziehm,<br />

Schiffssicherheit und Meeresumweltschutz 16<br />

Rechtsprechung<br />

Keine einstweilige Anordnung gegen gesetzliche Pflicht<br />

zur Teilnahme am Emissionshandel, VG Karlsruhe 22<br />

Mit einer Anmerkung von Uwe Neuser 26<br />

Festlegung von Flugrouten, BVerwG 27<br />

Fluglärm – Fehlerhafte Abwägung von<br />

Spitzenpegelbelastungen, OVG Brandenburg 33<br />

Airbus-Erweiterung, OVG Hamburg 38<br />

Gesetzgebung<br />

Josef Falke,<br />

Neueste Entwicklungen im Europäischen<br />

<strong>Umweltrecht</strong> 46<br />

1/2005<br />

Jahrgang 16 · Seiten 1– 56 · E 10882<br />

Rechtsprechung in Leitsätzen<br />

Tagungsberichte, Buchrezension<br />

<strong>Zeitschrift</strong>enschau, Termine<br />

<strong>Nomos</strong>


Angela Dageförde-Reuter<br />

Umweltschutz durch<br />

öffentliche Auftragsvergabe<br />

Nicht zuletzt aufgrund der Novellierung der EG-Vergaberichtlinien<br />

wird der Handhabung des öffentlichen Auftragswesens<br />

zum Zwecke des Umweltschutzes derzeit besondere<br />

Aufmerksamkeit zuteil. Dieser Band der Berliner<br />

<strong>Umweltrecht</strong>lichen Schriften stellt die Rechtsnormen zusammen,<br />

die von öffentlichen Auftraggebern bei der Beschaffungstätigkeit<br />

einzuhalten sind und zeigt Möglichkeiten<br />

auf, wie Umweltaspekte in rechtlich zulässiger Weise<br />

in das Vergabeverfahren einfließen können. Ein Schwerpunkt<br />

liegt auf dem Umgang mit Bietern, die über ein zertifiziertes<br />

Umweltmanagement verfügen. <strong>Das</strong> neue, Ende<br />

April 2004 in Kraft getretene europäische Vergaberecht<br />

wird dabei durchgehend berücksichtigt.<br />

Angela Dageförde-Reuter<br />

Umweltschutz durch öffentliche Auftragsvergabe (Diss.)<br />

Band 4 · Berliner <strong>Umweltrecht</strong>liche Schriften · Berlin 2004<br />

337 Seiten · € 43,– · ISBN 3-936232-23-7<br />

Haedrich/Kotulla (Hrsg.)<br />

Berliner <strong>Umweltrecht</strong>liche Schriften<br />

Ebenfalls sind in dieser Reihe erschienen:<br />

Florian Kirchhof<br />

Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung (Diss.)<br />

Band 1 · Berliner <strong>Umweltrecht</strong>liche Schriften · Berlin 2003 · 293 Seiten · € 41,– · ISBN 3-936232-06-7<br />

Jochen Kerkmann<br />

Natura 2000: Verfahren und Rechtsschutz im Rahmen der FFH-Richtlinie (Diss.)<br />

Band 5 · Berliner <strong>Umweltrecht</strong>liche Schriften · Berlin 2004 · 316 Seiten · € 42,– · ISBN 3-936232-24-5<br />

Tankred Schuhmann<br />

Wissenschaftliche-technische Standards im britischen Umwelt- und Technikrecht (Diss.)<br />

Band 2 · Berliner <strong>Umweltrecht</strong>liche Schriften · Berlin 2003 · 330 Seiten · € 41,– · ISBN 3-936232-07-5<br />

Andrea Menz<br />

Gesellschaftsrechtliche Haftung im Regime der Gefahrenabwehr (Diss.)<br />

Band 6 · Berliner <strong>Umweltrecht</strong>liche Schriften · Berlin 2004 · 192 Seiten · € 39,– · ISBN 3-936232-26-1<br />

Christian Schimansky<br />

Die Problematik des Freiflächenverbrauchs in Deutschland (Diss.)<br />

Band 3 · Berliner <strong>Umweltrecht</strong>liche Schriften · Berlin 2003· 262 Seiten · € 43,– · ISBN 3-936232-08-3<br />

Bitte bestellen Sie im Buchhandel oder beim Lexxion Verlag,<br />

Lützowstraße 102–104, 10785 Berlin, Tel.: 030-81 45 06-0, Fax: 030-81 45 06-22, bestellung@lexxion.de


EDITORIAL<br />

EDITORIAL<br />

Verehrte ZUR-Leser,<br />

die ZUR, das Forum für Umwelt- und Planungsrecht, erscheint<br />

im 16. Jahrgang erstm<strong>als</strong> <strong>als</strong> Monatszeitschrift<br />

mit 11 Ausgaben im Jahr und einem deutlich erweiterten<br />

Umfang. Verlag und Schriftleitung tragen damit den<br />

gestiegenen Informationsbedürfnissen von Praxis und Wissenschaft<br />

im <strong>Umweltrecht</strong> Rechnung und unterstreichen<br />

ihren Anspruch, die führende <strong>Umweltrecht</strong>szeitschrift herauszubringen.<br />

Die neue ZUR wird an Bewährtem festhalten und ihr Profil<br />

schärfen. Geplant sind weiterhin pro Jahr drei bis vier<br />

Schwerpunkthefte zu einzelnen Themen des <strong>Umweltrecht</strong>s.<br />

Im laufenden Jahr sollen Themen, wie etwa die<br />

Umweltaspekte der beabsichtigten Föderalismusreform, die<br />

Fortentwicklung des FFH-Rechts oder die weitere Implementation<br />

der Wasserrahmen-Richtlinie behandelt werden.<br />

Der größere Umfang ermöglicht es uns, intensiver <strong>als</strong> bisher<br />

die Vielfalt der umweltrechtlichen Entwicklung zu begleiten<br />

und die Rechtsprechung noch vollständiger und aktueller<br />

zu dokumentieren. Den Einwirkungen durch das<br />

europäische und das internationale Recht sowie vielfältige<br />

Verzahnungen mit anderen Fachrechten, wie dem Bauleitplanungs-,<br />

dem Fachplanungs- oder dem Energiewirtschaftsrecht,<br />

gilt dabei ganz besondere Aufmerksamkeit.<br />

Anmerkungen und Praxishinweise zu ausgewählten Entscheidungen<br />

helfen dem praktisch tätigen Umweltjuristen<br />

bei seiner tagtäglichen Arbeit. Der umfangreiche Serviceteil<br />

wird weiterhin die gesetzgeberischen Aktivitäten und die<br />

wissenschaftlichen Entwicklungen im <strong>Umweltrecht</strong> dokumentieren.<br />

Die ZUR dient zwar primär der umweltrechtlichen Praxis,<br />

was jedoch grundsätzliche reflektierende wissenschaftliche<br />

Beiträge keineswegs ausschließt. Diese Konzeption wird<br />

auch im vorliegenden <strong>Heft</strong> deutlich. So befasst sich Prof.<br />

Dr. Arno Scherzberg mit dem Spannungsfeld zwischen<br />

nationaler bzw. europäischer Vorsorgepolitik und WTO-<br />

Recht, einem besonders brisanten Thema des internationalen<br />

Wirtschaftsrechts. Im Anschluss daran greifen<br />

Prof. Dr. Martin Beckmann und Dr. Joachim Hagmann,<br />

Rechtsanwälte in Münster, mit der »Stilllegung von<br />

Deponien« ein für die Vollzugs- und Beratungspraxis<br />

außerordentlich bedeutsames Thema auf. Prof. Dr. Hans-<br />

Joachim Koch, Vorsitzender des Rates von Sachverständigen<br />

für Umweltfragen, und Dr. Cornelia Ziehm<br />

widmen ihren Beitrag »Meeresumweltschutz und Schiffssicherheit«<br />

einem ebenfalls hochaktuellen Thema, das auf-<br />

grund seiner rechtlichen Komplexität für Wissenschaft und<br />

Praxis gleichermaßen von Interesse ist.<br />

Schließlich kommentiert Dr. Uwe Neuser, Rechtsanwalt<br />

in Berlin, im Anmerkungsteil eine der ersten verwaltungsgerichtlichen<br />

Entscheidungen zum neuen Emissionshandelsrecht.<br />

Die Kombination von größtmöglicher Aktualität, zuverlässiger<br />

Berichterstattung über die wesentlichen Entwicklungen<br />

im <strong>Umweltrecht</strong> sowie wissenschaflicher Gründlichkeit<br />

mit engagierten Standpunkten kennzeichnen das<br />

Programm und die Konzeption der ZUR.<br />

Garant für die Umsetzung dieses Programms ist eine<br />

dreiköpfige Schriftleitung, die mit 13 Fachredakteuren,<br />

durchweg erfahrene wissenschaftlich und praktisch arbeitende<br />

<strong>Umweltrecht</strong>ler, eng zusammenarbeitet. Durch diese<br />

redaktionelle Arbeit wird sichergestellt, dass die Entscheidungen<br />

über den Inhalt der einzelnen <strong>Heft</strong>e auf der Grundlage<br />

bestmöglicher sachverständiger Informationen über<br />

Entwicklungen im <strong>Umweltrecht</strong> getroffen werden können.<br />

Fachlich unterstützt werden Schriftleitung und Redaktion<br />

seit dem nun laufenden 16. Jahrgang von renommierten,<br />

fachlich hervorragend ausgewiesenen persönlichen Herausgebern<br />

aus Wissenschaft, Verwaltung, Anwaltschaft<br />

und Richterschaft, die zum Gründungsherausgeber, dem<br />

Verein für <strong>Umweltrecht</strong>, hinzutreten und die gesamte berufliche<br />

Spannbreite der mit <strong>Umweltrecht</strong> befassten Juristen<br />

widerspiegeln.<br />

<strong>Nomos</strong>-Verlagsgesellschaft<br />

mbH & Co.KG, Baden-Baden<br />

Schriftleitung ZUR<br />

ZUR 1/2005 | I


Die europäische Perspektive des <strong>Umweltrecht</strong>s<br />

Epiney<br />

UMWELTRECHT<br />

in der Europäischen Union<br />

Primärrechtliche Grundlagen<br />

Gemeinschaftliches Sekundärrecht<br />

<strong>Umweltrecht</strong>liche und umweltpolitische Problemstellungen mit<br />

ihren grenzüberschreitenden Implikationen und Herausforderungen<br />

nehmen stetig an Bedeutung zu. Hierbei spielt das<br />

gemeinschaftliche <strong>Umweltrecht</strong> eine immer größere Rolle. Daher<br />

ist die Kenntnis des europäischen <strong>Umweltrecht</strong>s unabdingbare<br />

Voraussetzung, um die Rückwirkungen auf das nationale Recht<br />

erfassen zu können.<br />

In diesem Sinne behandelt das vorliegende Fachbuch das in der<br />

Europäischen Union geltende und das durch die Europäische<br />

Gemeinschaft erlassene <strong>Umweltrecht</strong>. Es gibt damit eine<br />

zusammenfassende Sicht der europarechtlichen Vorgaben und<br />

der damit entstehenden nationalen Umsetzungs- und Durchführungsprobleme.<br />

Dabei werden im 1. Teil des Werkes die primärrechtlichen<br />

Grundlagen erläutert, während der 2. Teil das<br />

gemeinschaftliche Sekundärrecht darstellt.<br />

258-04 / Angebotsstand: 12-2004 / 4. / Carl Heymanns Verlag KG, 50926 Köln / AG Köln HRA 3666<br />

Dieses präzise Praxiswissen im EU-<strong>Umweltrecht</strong> ist eine wichtige<br />

Arbeitshilfe für Fachanwälte, nationale und internationale Umweltbehörden<br />

und –verbände, sowie universitäre und private<br />

Forschungseinrichtungen. Darüber hinaus kommt das Buch <strong>als</strong><br />

kompetente Informationsquelle für das Umweltmanagement<br />

gewerblicher Betriebe und Umweltbetriebsprüfer zum Einsatz.<br />

AUSDER BESPRECHUNGEN DER VORAUFLAGE<br />

„Insgesamt handelt es sich um ein sehr empfehlenswertes<br />

Buch, das nicht nur den Spezialisten des Europarechts und<br />

europäischen <strong>Umweltrecht</strong>s, sondern fast jeden nationalen<br />

<strong>Umweltrecht</strong>ler aus Theorie und Praxis interessieren sollte.“<br />

Prof. Dr. E. Rehbinder, in: Deutsches Verwaltungsblatt<br />

Carl Heymanns Verlag<br />

Von Professorin Dr. Astrid Epiney<br />

2., neu bearbeitete Auflage<br />

2005. Etwa 468 Seiten.<br />

Kartoniert ca. e 58,-<br />

ISBN 3-452-25873-4<br />

In Vorbereitung für Januar 2005<br />

Bestellen Sie in Ihrer Buchhandlung<br />

oder bei Carl Heymanns Verlag KG, 50926 Köln<br />

Fax 0221/94373-502, E-Mail: bestellung@heymanns.com<br />

www.heymanns.com


INHALT<br />

Schriftleitung<br />

Prof. Dr. Wolfgang Köck (V.i.S.d.P.)<br />

UFZ – Umweltforschungszentrum Leipzig-Halle<br />

GmbH<br />

Universität Leipzig<br />

Dr. Moritz Reese<br />

Rat von Sachverständigen für Umweltfragen,<br />

Berlin<br />

Dr. Sabine Schlacke<br />

Universität Rostock<br />

Redaktionsadresse:<br />

Verein für <strong>Umweltrecht</strong> e.V.<br />

Große Fischerstr. 5 c 28195 Bremen<br />

Tel. 0421/33 54 143<br />

Fax: 0421/33 54 141<br />

E-Mail: zur-bremen@t-online.de<br />

Redaktion:<br />

Dr. Peter Beyer<br />

Rechtsanwalt, Ecologic, Berlin<br />

Prof. Dr. Christian Calliess<br />

Universität Göttingen<br />

Prof. Dr. Andreas Fisahn<br />

Universität Bielefeld<br />

Dr. Harald Ginzky<br />

Umweltbundesamt<br />

Carola Glinski<br />

Universität Bremen<br />

Dr. Ekkehard Hofmann<br />

Universität Hamburg<br />

Dr. Malte Kohls<br />

Rechtsanwalt, Hamburg<br />

Stefan Kopp-Assenmacher<br />

Rechtsanwalt, Potsdam<br />

Dr. Silke R. Laskowski<br />

Universität Hamburg<br />

Christian Maaß, MdHB<br />

Vorsitzender des Umweltausschusses<br />

der Hamburgischen Bürgerschaft,<br />

Hamburg<br />

Dr. Peter Schütte<br />

Rechtsanwalt, Hamburg<br />

Prof. Dr. Bernhard W. Wegener<br />

Universität Erlangen<br />

Dr. Cornelia Ziehm<br />

Rat von Sachverständigen für Umweltfragen,<br />

Hamburg<br />

Verlag:<br />

<strong>Nomos</strong>-Verlagsgesellschaft<br />

Waldseestr. 3-5 c 76520 Baden-Baden<br />

Telefon (07221) 2104-0<br />

Fax: (07221) 2104-27<br />

<strong>Zeitschrift</strong> für<br />

<strong>Umweltrecht</strong><br />

<strong>Das</strong> Forum für Umwelt und Recht<br />

16. Jahrgang, S. 1- 56<br />

ZUR 1/2005<br />

AUFSÄTZE<br />

Risikomanagement vor der WTO<br />

zum jüngsten Handelsstreit zwischen der<br />

Europäischen Union und den Vereinigten<br />

Staaten über den Umgang mit gentechnisch<br />

veränderten Organismen<br />

Arno Scherzberg 1<br />

Stilllegung, Rekultivierung und<br />

Nachsorge von Deponien<br />

Abfallrechtliche und bodenschutzrechtliche<br />

Anforderungen<br />

Martin Beckmann/Joachim Hagmann 9<br />

Schiffssicherheit und<br />

Meeresumweltschutz<br />

Hans-Joachim Koch/Cornelia Ziehm 16<br />

RECHTSPRECHUNG<br />

VG Karlsruhe<br />

Keine einstweilige Anordnung gegen<br />

gesetzliche Pflicht zur Teilnahme<br />

am Emissionshandel<br />

Beschluss vom 18. Oktober 2004<br />

– 10 K 2205/04 – nicht rechtskräftig – 22<br />

Mit einer Anmerkung von<br />

Uwe Neuser 26<br />

BVerwG<br />

Festlegung von Flugrouten<br />

Urteil vom 24. Juni 2004<br />

– 4 C 11.03 27<br />

OVG Brandenburg<br />

Fluglärm – Fehlerhafte Abwägung von<br />

Spitzenpegelbelastungen<br />

Urteil vom 9. Juni 2004<br />

– 3 D 29/01.AK 33<br />

OVG Hamburg<br />

Airbus-Erweiterung<br />

Beschluss vom 9. August 2004<br />

– 2 Bs 300/04 38<br />

Rechtsprechung in Leitsätzen 45<br />

GESETZGEBUNG<br />

Neueste Entwicklungen im Europäischen<br />

<strong>Umweltrecht</strong><br />

Josef Falke 46<br />

TAGUNGSBERICHTE<br />

Reduzierung der Flächeninanspruchnahme<br />

durch lokale und regionale<br />

Flächenressourcenbewirtschaftung –<br />

Rechtliche und institutionelle Handlungsbedingungen,<br />

Fachtagung<br />

25. und 26. Oktober 2004 im UFZ-Umweltforschungszentrum<br />

Leipzig-Halle<br />

Jana Bovet 49<br />

Gute fachliche Praxis – Zur Standardisierung<br />

von Verhalten<br />

Ein Bericht zur Tagung an der Universität<br />

Lüneburg am 24. Juni 2004<br />

Jannes Fröhlich 52<br />

Buchrezension<br />

Schumacher, Jochen/Fischer-Hüftle,<br />

Peter: Bundesnaturschutzgesetz –<br />

Kommentar 2003<br />

Peter Kersandt 54<br />

RUBRIKEN<br />

ZEITSCHRIFTENSCHAU 55<br />

TERMINE/NACHRICHTEN<br />

Vorschau auf <strong>Heft</strong> 2/2005<br />

Vorgesehen sind u.a.<br />

Abfallerzeuger und -besitzer nach<br />

deutschem und europäischem<br />

Recht<br />

Walter Frenz<br />

Ist unausgekofferter kontaminierter<br />

Boden Abfall<br />

Christoph Riese/Nora Karsten<br />

Beilagenhinweis: Dieser Ausgabe liegt ein Prospekt des C.H. Beck Verlags bei.<br />

Wir bitten freundlichst um Beachtung.<br />

VI<br />

ZUR 1/2005 | III


Europäische Zertifikatshandelssysteme<br />

im Vergleich<br />

Seit weniger <strong>als</strong> einem Jahrzehnt haben einige europäische<br />

Länder ihre Palette an Fördermechanismen für regenerative<br />

Energien um ein neues Instrument – die sogenannten<br />

quotengestützten Zertifikatshandelssysteme – ergänzt<br />

(Belgien, Großbritannien, Italien und Schweden); andere<br />

europäische Staaten haben entsprechende Pläne eingeleitet<br />

und vorläufig zurückgestellt (Dänemark) bzw. sogar bereits<br />

wieder abgeschafft (Österreich). Die Niederlande operierten<br />

zwischen 1998 und 2003 mit verschiedenen<br />

Zertifikatssystemen und entschieden sich zuletzt für ein<br />

vergleichbares System handelbarer Herkunftsnachweise.<br />

Schriftenreihe<br />

Richard-E. Himmer<br />

Energiezertifikate<br />

in den Mitgliedstaaten<br />

der Europäischen Union<br />

Eine rechtsvergleichende und europarechtliche Analyse<br />

quotengestützter Zertifikatshandelssysteme<br />

zur Förderung erneuerbarer Energien<br />

14<br />

<strong>Das</strong> vergleichsweise neue Förderinstrument der Zertifikatssysteme<br />

ist bislang nur in der ökonomischen Literatur<br />

erforscht und dort weitgehend etabliert; eine umfassende<br />

rechtswissenschaftliche Untersuchung fehlt indes<br />

gegenwärtig. Der vorliegende Band schließt diese Lücke: Er<br />

stellt die Regelungen über die Zertifikatshandelssysteme in<br />

den verschiedenen EU-Mitgliedstaaten rechtsvergleichend<br />

dar und untersucht sie auf ihre Vereinbarkeit mit dem<br />

Gemeinschaftsrecht.<br />

<strong>Nomos</strong><br />

Energiezertifikate in den<br />

Mitgliedstaaten der<br />

Europäischen Union<br />

Eine rechtsvergleichende und<br />

europarechtliche Analyse<br />

quotengestützter<br />

Zertifikatshandelssysteme zur<br />

Förderung erneuerbarer Energien<br />

Von Richard-E. Himmer<br />

2004, 518 S., brosch., 98,– €,<br />

ISBN 3-8329-1016-6<br />

(Schriftenreihe Institut für Energieund<br />

Wettbewerbsrecht in der<br />

Kommunalen Wirtschaft e.V. an der<br />

Humboldt-Universität zu Berlin,<br />

Bd. 14)<br />

<strong>Nomos</strong><br />

Bitte bestellen Sie bei Ihrer<br />

Buchhandlung oder bei:<br />

<strong>Nomos</strong>Verlagsgesellschaft<br />

76520 Baden-Baden<br />

Telefon 0 72 21/21 04-37/-38<br />

Telefax 0 72 21/21 04-43<br />

sabine.horn@nomos.de<br />

www.nomos.de


ZUR<br />

<strong>Das</strong> Forum für Umwelt- und Planungsrecht<br />

<strong>Zeitschrift</strong> für<br />

<strong>Umweltrecht</strong><br />

Herausgeber:<br />

Verein für <strong>Umweltrecht</strong> e.V.<br />

Prof. Dr. Martin Beckmann, Rechtsanwalt, Münster; Siegfried Breier, EU-Kommission,<br />

Brüssel; Prof. Dr. Matthias Dombert, Rechtsanwalt, Potsdam; Dr. Günther-Michael<br />

Knopp, Ministerialrat, Umweltministerium München; Prof. Dr. Hans-Joachim Koch,<br />

Universität Hamburg; Prof. Dr. Gertrude Lübbe-Wolff, Richterin des Bundesverfassungsgerichts,<br />

Karlsruhe; Dr. Frank Petersen, Ministerialrat, Bundesministerium für Umwelt,<br />

Naturschutz und Reaktorsicherheit, Bonn; Dr. Renate Phillip, Richterin am Bundesverwaltungsgericht,<br />

Leipzig; Michael Sauthoff, Vizepräsident des Oberverwaltungsgerichts<br />

Greifswald; Prof. Dr. Reinhard Sparwasser, Rechtsanwalt, Freiburg; Prof. Dr. Michael<br />

Uechtritz, Rechtsanwalt, Stuttgart; Prof. Dr. Ludger-Anselm Versteyl, Rechtsanwalt, Hannover;<br />

Prof. Dr. Andreas Voßkuhle, Universität Freiburg; Prof. Dr. Gerd Winter, Universität<br />

Bremen<br />

Schriftleitung: Prof. Dr. Wolfgang Köck, Dr. Moritz Reese, Dr. Sabine Schlacke<br />

1/2005<br />

16. Jahrgang • Seiten 1- 56<br />

AUFSÄTZE<br />

Arno Scherzberg<br />

Risikomanagement vor der WTO<br />

zum jüngsten Handelsstreit zwischen der Europäischen Union<br />

und den Vereinigten Staaten über den Umgang mit gentechnisch<br />

veränderten Organismen<br />

Beim Anbau von Nutzpflanzen kommen weltweit immer mehr genetisch<br />

veränderte Organismen (GVO) zum Einsatz. So werden heute bereits<br />

51 % der Sojabohnen, 12 % der Baumwolle, 9% des Mais und ein geringerer<br />

Anteil weiterer Produkte aus transgenem Saatgut erzeugt. 1 Die<br />

Anbauflächen befinden sich bislang zu 99% in den USA, China, Argentinien<br />

und Kanada. 2<br />

Die Qualität und die Eintrittswahrscheinlichkeit von Neben- und Folgewirkungen<br />

dieses massenhaften Einsatzes der Gentechnik sind derzeit<br />

noch nicht umfassend erforscht und deshalb nicht sicher abschätzbar.<br />

Daher ist auch die Abwägung zwischen Risiken und Nutzen schwierig<br />

zu treffen. <strong>Das</strong> Vorsorgeprinzip ist ein weltweit geläufiger, wenn auch<br />

nicht unumstrittener Ansatz, um mit derartigen Unsicherheiten umzugehen.<br />

Um seine Anwendung geht es auch in dem seit mehreren Jahren<br />

geführten Streit um die Zulassung gentechnisch veränderten Saatgutes<br />

auf dem Gebiet der EU, der auf Antrag der USA jüngst in der Eröffnung<br />

eines Streitschlichtungsverfahrens im Rahmen der WTO gipfelte.<br />

Der Streit beruht, wie im Folgenden argumentiert wird, weniger auf<br />

gegensätzlichen Auffassungen über die Anerkennung des Vorsorgeprinzips<br />

<strong>als</strong> vielmehr auf unterschiedlichen Konzepten zur Ausgestaltung<br />

der Vorsorge. Diese weisen auf unterschiedliche kulturelle Präferenzen<br />

im Umgang mit dem Risiko hin. Vergegenwärtigt man sich, dass das<br />

Verständnis und die Verarbeitung von Risiken in einer Gesellschaft<br />

maßgeblich von kulturellen Faktoren geprägt sind, es sich bei Differenzen<br />

in der Art der Risikoverarbeitung <strong>als</strong>o um kulturelle Differenzen<br />

handelt, wird fraglich, ob und wie diese nach den allein auf wirtschaftspolitische<br />

Ziele gerichteten Vorgaben der WTO angemessen<br />

gelöst werden können. Nachfolgend wird vorgeschlagen, dass die WTO<br />

die kulturelle Bedingtheit des Umgangs mit Risiken respektiert und diesen<br />

Umstand in ihr Rechtssystem integriert.<br />

A. Die Grundlagen des Handelsstreits<br />

I. Nutzen und Risiken der GVO<br />

Wird einem Organismus ein bestimmtes, aus einem anderen Organismus<br />

stammendes Gen übertragen, erhält er damit die mit<br />

* Übersetzte, teilweise erweiterte und mit Fußnoten versehene Fassung eines<br />

Vortrags, den der Verfasser im August 2004 beim Oxford Round Table in der<br />

Oxford Union gehalten hat. Meinem Mitarbeiter Dr. Stephan Meyer danke<br />

ich für umfangreiche Vorbereitungsarbeiten.<br />

1 First Submission of the US (WT/DS 291, 292 and 293), 11; Bundesministerium<br />

für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (BMVEL), Diskurs<br />

Grüne Gentechnik, 2003, S. 6.<br />

2 BMVEL (o. Fn. 1), S. 6-7.<br />

ZUR 1/2005 | 1


AUFSÄTZE | Scherzberg, Risikomanagement vor der WTO<br />

diesem Gen verknüpften Eigenschaften des fremden Organismus.<br />

Anders <strong>als</strong> bei Züchtungen und spontanen Mutationen kann dabei<br />

die Artenschranke überschritten werden und lassen sich nahezu<br />

unbegrenzte Rekombinationen von Erbmaterial denken. Entsprechend<br />

vielfältig sind die von gentechnischen Verfahren erwarteten<br />

Nutzen. Die landwirtschaftliche Produktion kann<br />

gesteigert, die Verwendung von Insektiziden reduziert werden. Die<br />

Widerstandsfähigkeit gegen Herbizide und Viren lässt sich erhöhen<br />

und der Nährwert verbessern. 3<br />

Andererseits werden eine Reihe von nachteiligen Effekten befürchtet.<br />

Wechselwirkungen der GVO mit ihrer Umwelt könnten<br />

die Eigenschaften GVO-basierter Erzeugnisse in unvorhersehbarer<br />

Weise verändern. 4 Wird die Widerstandsfähigkeit gegenüber Herbiziden<br />

etwa auf Unkraut übertragen, könnte dies das Ziel des<br />

Pflanzenschutzes nachgerade konterkarieren. 5 Eine unkontrollierte<br />

Ausbreitung besonders gut angepaßter GVO könnte die Zusammensetzung<br />

der Pflanzenpopulationen verändern und etwa virusresistenten<br />

Arten Dominanz verschaffen. 6 Giftstoffe, welche <strong>als</strong><br />

genetisch eingebaute Insektizide dienen, könnten eine unerwartete<br />

Art der Toxizität entwickeln. 7 Genetische Modifikationen können<br />

auch Allergien auslösen. 8 Schließlich macht der weltweite Einsatz<br />

ähnlicher Arten von GVO diese verwundbar gegenüber neuen<br />

Schädlingen oder Krankheiten, wodurch die Lebensmittelversorgung<br />

der Menschheit insgesamt in Gefahr geraten könnte. 9 Die<br />

wissenschaftliche Haltbarkeit dieser Gefahrenhypothesen ist umstritten.<br />

Während die EU eine unentschiedene Beweislage annimmt,<br />

behaupten die USA einen »proven safety record«. 10<br />

II. Die streitentscheidenden Normen<br />

Im aktuellen Streitschlichtungsverfahren werfen die Vereinigten<br />

Staaten der EU vor, sie hätte die Zulassung gentechnisch veränderter<br />

Produkte seit Oktober 1998 suspendiert. 11 Dieses Moratorium<br />

sei unvereinbar mit den Bestimmungen des Welthandelsrechts.<br />

Verletzt seien insbesondere die Vorschriften des WTO-Übereinkommens<br />

über die Anwendung gesundheitspolizeilicher und<br />

pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen, 12 auf die sich die folgenden<br />

Ausführungen beschränken.<br />

Nach Art. 2.1 SPS dürfen die Mitglieder notwendige Maßnahmen<br />

zum Schutze menschlichen, pflanzlichen oder tierischen Lebens<br />

bzw. der Gesundheit treffen. Gem. Art. 2.2, 3.3 und 5 SPS mit Anhang<br />

A darf jedes Mitglied dazu sein eigenes Schutzniveau festlegen<br />

und solche Schutzmaßnahmen vorsehen, die aus Sicht einer<br />

wissenschaftlichen Risikobewertung zur Erreichung des Schutzniveaus<br />

notwendig erscheinen. Dabei darf das Schutzniveau dasjenige<br />

der internationalen Standards übersteigen. Die Maßnahmen<br />

dürfen gem. Art. 2.3 SPS aber nicht zu willkürlichen oder ungerechtfertigten<br />

Unterschieden zwischen Mitgliedern führen oder<br />

verschleierte Beschränkungen für den Welthandel bewirken. Sofern<br />

wissenschaftliche Nachweise unzureichend sind, dürfen gem.<br />

Art. 5.7 vorläufige Maßnahmen getroffen werden, sofern die Mitglieder<br />

sich bemühen, zusätzliche Informationen zu gewinnen,<br />

und die Maßnahmen innerhalb eines angemessenen Zeitraumes<br />

überprüfen. Gem. Art. 8 i.V.m. Anhang C sind Kontroll-, Inspektions-<br />

und Genehmigungsverfahren so rasch wie möglich abzuschließen.<br />

III. Die Streitfrage<br />

Die Vereinigten Staaten sind der Auffassung, das Moratorium sei<br />

eine Schutzmaßnahme, für die wissenschaftliche Grundlagen im<br />

Sinne der Art. 2.2, 3.3 und 5 SPS fehlen. Vor allem habe die EU keine<br />

Risikobewertung vorgelegt, welche ihre Maßnahmen tragen<br />

könnte. Hierdurch verletze sie Art. 5.1 SPS.<br />

Die EU hingegen behauptet, es habe kein Moratorium gegeben.<br />

Die Antragsverfahren hätten sich vielmehr aufgrund zusätzlichen<br />

Informationsbedarfs der Genehmigungsbehörden verzögert. 13 Diese<br />

Einlassung ist allerdings in rechtstatsächlicher Hinsicht nicht<br />

überzeugend: fehlende Antragsdaten allein können einen mehrjährigen<br />

faktischen Zulassungsstopp in einer Mehrzahl von Verfahren<br />

nicht befriedigend erklären. Gegen die Behauptung der EU<br />

spricht auch eine zeitliche Koinzidenz: die Genehmigungsverfahren<br />

blieben gerade so lange unbeschieden, bis die zeitgleich betriebene<br />

Überarbeitung der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen<br />

zum Umgang mit GVO abgeschlossen war. 14<br />

Es liegt deshalb nahe, den von den USA im Streitschlichtungsverfahren<br />

der WTO monierten Stillstand der Genehmigungsverfahren<br />

auf das Ziel der Reform des gemeinschaftlichen Regelungswerks zum<br />

Gentechnikrecht zu beziehen: das Vertrauen von Verbrauchern und<br />

der Öffentlichkeit in die Verwendung von GVO wiederherzustellen,<br />

das Potential der Biotechnologie wieder nutzbar zu machen und die<br />

Abwanderung von Forschern in diesem Bereich zu stoppen. 15 Nicht<br />

zuletzt die Kommission selbst hat an anderer Stelle eingeräumt, dass<br />

es bei ihrer Zurückhaltung bei der Genehmigung der Markteinführung<br />

und Freisetzung von GVO-Produkten um einen angemessenen<br />

Umgang mit den Sorgen der Verbraucher ging. 16<br />

Daher ist die für den Ausgang des Streitschlichtungsverfahrens<br />

entscheidende Frage nicht die nach der Existenz eines Moratoriums.<br />

Streitentscheidend wird vielmehr sein, ob die EU nach den<br />

Vorgaben der WTO rechtlich gehindert war, die im Raum der Gemeinschaft<br />

spürbare öffentliche Besorgnis gegenüber den Risiken<br />

der Gentechnik bei ihren Entscheidungen in Rechnung zu stellen,<br />

das gemeinschaftsrechtliche Regelwerk darauf einzustellen und anhängige<br />

Anträge bis zum Abschluss der Reform zurückzustellen.<br />

Um diese Frage zu beantworten, bedarf es einer näheren Betrachtung<br />

der Aufgabe, welche sich den Gemeinschaftsorganen stellte:<br />

die Wahl von geeigneten Mitteln des Risikomanagements.<br />

B. Risiko und Risikomanagement<br />

I. Begriffliche Klärungen<br />

In der Entscheidungstheorie bezieht sich der Risikobegriff üblicherweise<br />

auf den Erwartungswert eines (bestimmten) Schadens.<br />

3 First Submission of the US (o. Fn. 1), 7-8; BMVEL (o. Fn. 1), passim; Rat von Sachverständigen<br />

für Umweltfragen (Rat), Umweltgutachten 2004, Abs. 846.<br />

4 Rat (o. Fn. 3), Abs. 881.<br />

5 Bartsch, in: T. Potthast, Ökologische Schäden – begriffliche, methodologische<br />

und ethische Aspekte, Reihe »Theorie in der Ökologie«, Band 10, 2004 (i. E., Seitenzahlen<br />

beziehen sich auf Manuskript), S. 5; Rat (o. Fn. 3), Abs. 882; Wissenschaftlicher<br />

Beirat der Bundesregierung Globale Veränderungen (WBGU), Welt<br />

im Wandel: Strategien zur Bewältigung globaler Umweltrisiken, 1999, S. 114.<br />

6 WBGU (o. Fn.5 ), S. 78, 110, 115.<br />

7 WBGU (o. Fn. 5), S. 115.<br />

8 WBGU (o. Fn. 5), S. 80.<br />

9 WBGU (o. Fn. 5), S. 80, 114. Ein derartiger Vorfall ereignete sich bereits 1970,<br />

<strong>als</strong> ein Hochleistungsgetreide – entstanden durch klassische Züchtung – von<br />

einer zuvor harmlosen Pilzerkrankung zum großen Teil zerstört wurde.<br />

10 First Submission of the US (o. Fn. 1), 9; siehe auch Robertson, in:<br />

Kellow/Robertson, Globalization and the Environment, 2001, S. 206 (207-<br />

212).<br />

11 First Submission of the US (o. Fn. 1), 9; siehe auch Robertson (o. Fn. 10),<br />

S. 207-212.<br />

12 WTO Agreement on the Application of Sanitary and Phytosanitary Measures,<br />

SPS, ABl. EG 1994 L 336/40.<br />

13 First submission of the EU (DS291/DS292/DS293), para. 486, 561.<br />

14 Am 19.5.2004 wurde der Süßmais Bt 11 zugelassen; dazu näher Commission<br />

of the European Communities (Commission), Commission authorizes import<br />

of canned GM-sweet corn under new strict labelling conditions – consumers<br />

can choose, Press Release IP/04/663, 2004.<br />

15 Commission, Communication to the Commission from the President for an<br />

orientation debate on Genetically Modified Organisms (GMOs) and related<br />

issues, SEU (2004) 80/1, S. 2; Brack/Falkner/Goll, in: The Royal Institute of International<br />

Affairs, Briefing Paper No. 8, 2003, S. 3.<br />

16 Commission (o. Fn. 15), S. 2 f.<br />

2 | ZUR 1/2005


Scherzberg, Risikomanagement vor der WTO | AUFSÄTZE<br />

Dieser errechnet sich <strong>als</strong> Produkt von Schadenshöhe und Eintrittswahrscheinlichkeit.<br />

Ist die Eintrittswahrscheinlichkeit nicht<br />

hinreichend bekannt, ist meist von »Ungewissheit« die Rede.<br />

Wenn aufgrund unzureichenden Wissens das Vorhandensein von<br />

nachteiligen Wirkungen nicht bekannt ist, aber auch nicht ausgeschlossen<br />

werden kann, handelt es sich um »Nichtwissen«.<br />

Diese Unterscheidungen sind von analytischem Wert für entscheidungstheoretische<br />

Modellierungen, vernachlässigen jedoch,<br />

dass der Entscheider in der Lebenswirklichkeit ex ante nicht beurteilen<br />

kann, in welcher der drei Entscheidungssituationen er sich befindet,<br />

und er sich regelmäßig auch nicht auf mathematisch errechenbare<br />

Wahrscheinlichkeiten und das Gesetz der großen Zahl<br />

stützen kann, das unerwartete Entwicklungen in Einzelfällen kompensiert.<br />

Nachfolgend wird der Begriff des Risikos deshalb in Anlehnung<br />

an den allgemeinen Sprachgebrauch in einem weiten Sinne<br />

gebraucht, welcher alle drei erwähnten Konstellationen umfasst.<br />

Die moderne Wissenschaft erweitert fortlaufend unser Wissen<br />

über die physische und soziale Welt und legt ihre Interdependenzen<br />

offen. Zugleich fördert sie aber in zunehmendem Maße auch<br />

das Wissen um unser Nichtwissen. Dieses wachsende Bewußtsein<br />

von der Lückenhaftigkeit und den Grenzen menschlicher Erkenntnis<br />

lässt bei der Einführung potentiell riskanter Technologien<br />

ein gewisses Maß an Vorsorge geboten erscheinen. Vorsorgemaßnahmen<br />

begrenzen die Entfaltung von Innovationen. Ihr Einsatz<br />

birgt deshalb seinerseits Risiken und Chancen. So kann ein<br />

Zuwenig an Vorsorge einen Eintritt negativer Effekte begünstigen<br />

oder ein Zuviel an Vorsorge Innovationen verhindern und die<br />

grundrechtliche Entfaltung unnötig beeinträchtigen. 17 Im Rahmen<br />

staatlichen Risikomanagements sind daher stets zwei Arten<br />

von Risiken zu unterscheiden: <strong>Das</strong> Gefahrenpotential der neuen<br />

Technologie oder des neuen Stoffes selbst, das »Risiko erster Ordnung«,<br />

und die möglichen Irrtumskosten der rechtlichen Regulierung,<br />

das »Risiko zweiter Ordnung«. 18<br />

II. Die „ratio“ staatlichen Risikomanagements<br />

1. Risikoverarbeitung <strong>als</strong> wissenschaftlich angeleiteter Prozess<br />

Um beide Risikotypen sachgerecht zu verarbeiten, verpflichtet das<br />

Recht die Entscheidungsträger traditionell auf die Beachtung der<br />

Erkenntnisse der Wissenschaft. So knüpfen auch die skzizzierten<br />

Bestimmungen der WTO die Zulässigkeit nationaler Handelsbeschränkungen<br />

an den wissenschaftlichen Nachweis ihrer Notwendigkeit.<br />

Dem dürfte die Annahme zugrundeliegen, einer<br />

wissenschaftsbasierten Risikobewertung werde regelmäßig keine<br />

einseitige politische Präferenz oder ein partikulares Interesse zugrundeliegen.<br />

19 In der Tat sollte die Unabhängigkeit von (handels-<br />

)politischen Erwägungen eine grundlegende Eigenschaft der in Bezug<br />

genommenen Expertenurteile sein. Diese Feststellung erübrigt<br />

aber nicht die Auseinandersetzung mit der Frage, ob die wissenschaftliche<br />

Analyse überhaupt eine hinreichende und hinreichend<br />

verlässliche Referenz für die Bewertung von Risiken und die Auswahl<br />

von Maßnahmen im Rahmen des staatlichen Risikomanagements<br />

bietet. Zweifel daran sind in dreierlei Hinsicht angebracht:<br />

Eine technologische Innovation kann eine Vielfalt nachteiliger<br />

Wirkungen mit sich bringen. Sie kann die menschliche Gesundheit<br />

durch giftige Stoffe, Produkte mit mangelndem Nährwert oder<br />

durch unerwartete Wechselwirkungen von an sich harmlosen Bestandteilen<br />

bedrohen. Die Natur könnte einen Verlust an Biodiversität<br />

erleiden. 20 Die Innovation kann wirtschaftliche Schäden<br />

nach sich ziehen, sofern externe Effekte erzeugt, aber nicht internalisiert<br />

werden. Sie kann schließlich soziale Wirkungen zeitigen,<br />

wenn etwa das Unbehagen über die Einführung der Technologie<br />

verbunden mit mangelndem Vertrauen in die Fähigkeit der Verantwortlichen<br />

zur Gefahrenbeherrschung die Offenheit der Gesellschaft<br />

für weitere Innovationen und damit mittelbar die Wettbewerbsfähigkeit<br />

des Landes beeinträchtigt. 21<br />

Eine vollständige Risikobewertung müsste alle diese Wirkungen<br />

antizipieren. Einer solch umfänglichen Analyse stünden indes sowohl<br />

ein Mangel an Wissen <strong>als</strong> auch ein Mangel an Ressourcen entgegen.<br />

22 Kumulative und indirekte Wirkungen bleiben deshalb bei<br />

Kosten-Nutzen-Bewertungen vielfach unberücksichtigt, 23 die Wirkungsvielfalt<br />

wird auf voraussehbare, unmittelbare und schwere<br />

Konsequenzen für Mensch und Umwelt reduziert. Eine entsprechende<br />

Beschränkung der Analyse(kosten) ist jedoch nur politisch,<br />

nicht wissenschaftlich zu begründen. Gleiches gilt im Ergebnis für<br />

die speziell im Rahmen gentechnischer Risikosteuerung zu treffende<br />

Entscheidung, welche Wirkungen überhaupt <strong>als</strong> nachteilig<br />

bewertet werden sollen. So ist der Austausch genetischer Informationen<br />

zwischen Individuen oder Populationen ein biologisches<br />

Prinzip und nicht notwendig eine ökologische Gefahr. 24 Deshalb<br />

erfordert bereits der Begriff des »nachteiligen Effekts« eine ethisch<br />

oder kulturell basierte Definition. 25 Die Entscheidung, eine bestimmte<br />

Wirkung im Rahmen des Risikomanagements für schädlich<br />

zu halten, setzt mithin eine allein aufgrund von naturwissenschaftlicher<br />

Expertise nicht zu treffende, <strong>als</strong> politisch zu qualifizierende<br />

Wertung voraus. 26<br />

Die Anmutung der Vollständigkeit einer Risikoanalyse erforderte<br />

überdies den Vergleich aller relevanten Wirkungen und ihrer<br />

Charakteristika. Aspekte wie Schwere, Unmittelbarkeit oder Reversibilität<br />

wären einander gegenüberzustellen und vergleichend<br />

zu gewichten. 27 Nachteilige Folgen für Mensch und Umwelt sind<br />

aber in aller Regel inkommensurabel. Noch weniger kann eine wissenschaftlich<br />

begründete Abwägung zwischen potentiellem Nutzen<br />

und potentiellem Schaden gelingen. 28 GVO-Nutzpflanzen<br />

könnten etwa die Hungersnot in der Dritten Welt lindern und zugleich<br />

die Biodiversität und die Gesundheit der Verbraucher in diesem<br />

oder einem anderen Teil der Welt beeinträchtigen. Solche Folgen<br />

zu gewichten, ist eine Funktion sozialer und politischer Wertung<br />

29 – wissenschaftliche Maßstäbe können diese nicht ersetzen.<br />

Schließlich lässt sich mit wissenschaftlicher Exaktheit vielfach<br />

nicht einmal die statistische Wahrscheinlichkeit für die Verwirklichung<br />

eines bestimmten Schadenspotenti<strong>als</strong> angeben. Der Nutzen<br />

einer neuen Technologie oder eines neuen Stoffes ist regelmäßig<br />

leicht nachzuweisen – auf diesen Nutzen hin wurde die Innovation<br />

schließlich konzipiert. Ihre Folge- und Nebenwirkungen lassen<br />

sich hingegen nur punktuell antizipieren und sind auch insoweit<br />

zumeist nur Schätzungen zugänglich, denen unsichere und divergente<br />

Prämissen zugrundeliegen können und die deshalb nicht selten<br />

zu widersprüchlichen Resultaten führen. Vielfach zeigen sich<br />

unerwünschte Effekte auch erst im Zuge der praktischen Anwendung<br />

der neuen Technologie – die gesamte Gesellschaft gerät dann<br />

zum Labor.<br />

17 Scherzberg, in: VVDStRL 63 (2004), 214 (225); Gleich, in: Bröchler/Simonis/Sundermann,<br />

Handbuch Technikfolgenabschätzung, 1999, S. 287 (292).<br />

18 Scherzberg (o. Fn. 17), S. 219-220; Sunstein, Risk and Reason, 2002, S. 99<br />

(Chapter 6); Gleich (o. Fn. 17), S. 288.<br />

19 Dies machen nicht zuletzt Art. 2 und 5 SPS deutlich, indem sie »scientific evidence«<br />

einerseits und versteckte Handelshemmnisse andererseits gegenüberstellen.<br />

20 Stirling, On Science and Precaution in the Management of Technological<br />

Risk, A synthesis report of case studies, 1999, S. 10.<br />

21 So verdankt sich das Misstrauen gegenüber GVO in Europa wohl zu einem<br />

nicht unerheblichen Ausmaß der noch nicht abgeschlossenen Erfahrungen<br />

mit BSE; vgl. Economic & Social Research Council (ESRC), The politics of GM<br />

food. Risk, science & public trust, Special Briefing No 5, 1999, S. 7-8.<br />

22 Rat (o. Fn. 3), Abs. 889.<br />

23 Stirling (o. Fn. 20), S. 11.<br />

24 Bartsch (o. Fn. 5), S. 5; WBGU (o. Fn. 5), S. 109.<br />

25 Bartsch (o. Fn. 5), S. 4.<br />

26 Rat (o. Fn. 3), Abs. 876.<br />

27 Stirling (o. Fn. 20), S. 11; Scherzberg (o. Fn. 17), S. 231.<br />

28 Stirling (o. Fn. 20), S. 11; Scherzberg (o. Fn. 17), S. 231-232.<br />

29 Stirling (o. Fn. 20), S. 10.<br />

ZUR 1/2005 | 3


AUFSÄTZE | Scherzberg, Risikomanagement vor der WTO<br />

Ohne eine verlässliche Berechnung der Wahrscheinlichkeit<br />

nachteiliger Wirkungen lässt sich der Umgang mit ihnen nicht in<br />

rationaler Weise determinieren. Dies gilt naturgemäß besonders<br />

dann, wenn die Wissenschaft keinen oder keinen sicheren Hinweis<br />

darauf liefert, dass es überhaupt zu nachteiligen Effekten kommen<br />

kann. <strong>Das</strong> Fehlen eines Risikonachweises darf nicht <strong>als</strong> Nachweis<br />

des Fehlens von Risiken missverstanden werden. 30 Im Gegenteil<br />

verbietet es die praktische Vernunft, nachteilige Folgen einer nachhaltigen<br />

zivilisatorischen Einwirkung auf die Umwelt generell auszuschließen.<br />

31 <strong>Das</strong> ist nicht zuletzt eine Lehre aus den Erfahrungen<br />

mit den FCKW. Die European Environmental Agency stellte hierzu<br />

fest:<br />

»There can be little doubt that a conventional risk assessment, in say<br />

1965, would have concluded that there were no known grounds for concern.<br />

It would have noted that CFCs were safe to handle, being chemically<br />

very inert, […] and having very low levels of toxicity. […] The assessment<br />

might have pointed out that it was not known what happens<br />

to CFCs when they are released to the atmosphere, but would no doubt<br />

have added that they had been released for more than 30 years with no<br />

apparent harm being done.« 32<br />

Der Schaden war aber eben nur noch nicht sichtbar geworden.<br />

Damit soll nicht gesagt werden, dass die Wissenschaft keine Beiträge<br />

zur gesellschaftlichen Verarbeitung von Ungewissheit und<br />

Nichtwissen zu leisten vermag. Im Gegenteil stellt der Umgang mit<br />

den Grenzen des Wissens ein zentrales Element wissenschaftlichen<br />

Arbeitens dar. Nach den Erkenntnissen des kritischen Rationalismus<br />

kann dabei aber niem<strong>als</strong> beansprucht werden, eine abschließende<br />

Wahrheit aufzufinden. Gerade in den Grenzbereichen<br />

unsicheren Wissens sind überdies eindeutige Standards zur Bestimmung<br />

der wissenschaftlichen Güte einer Theorie schwer beizubringen.<br />

Immer existieren auch alternative Paradigmen, oft können<br />

unterschiedliche Prämissen zugrundegelegt werden und häufig<br />

liefern unterschiedliche Disziplinen auch konfligierende<br />

Ergebnisse. 33 Der Beitrag der Wissenschaft zur Risikosteuerung ist<br />

deshalb begrenzt.<br />

2. Risikomanagement <strong>als</strong> politischer Prozess<br />

Wenn es kein »rationales« Verfahren der wissenschaftlichen Verarbeitung<br />

von Ungewissheit und Nichtwissen sowie der Abwägung<br />

von Nutzen und Kosten von Risiken gibt, 34 erweist sich Risikobewertung<br />

<strong>als</strong> eine volitive Operation. 35 Die »ratio« staatlicher Risikosteuerung<br />

darf sich deshalb nicht auf das Postulat ihrer Wissenschaftlichkeit<br />

beschränken. 36 Wie aber kann Risikomanagement<br />

ohne sichere wissenschaftliche Basis in rationaler Weise betrieben<br />

werden<br />

Zunächst muss die Risikoentscheidung die Vorläufigkeit des vorhandenen<br />

Wissens in Rechnung stellen und darf den Erwerb weiteren<br />

Wissens nicht behindern. 37 In Anbetracht der Existenz von<br />

Risiken zweiter Ordnung bedürfen Entscheidungen deshalb eines<br />

fortlaufenden Monitorings und der Evaluation, um auftretenden<br />

Änderungsbedarf rechtzeitig zu erkennen und die gesellschaftliche<br />

Anpassungs- und Lernfähigkeit zu erhalten. Dies erfordert kontrollierte<br />

Verfahren von Versuch und Irrtum, welche den Behörden<br />

bereits in einem frühen Stadium das Aufspüren bislang unbekannter<br />

Gefahren sowie deren Eindämmung ermöglichen. 38<br />

Gleichzeitig sollte die staatliche Risikosteuerung die Erkundung alternativer<br />

Verfahren und Stoffe anregen, welche bei gleichem Nutzen<br />

ein geringeres Risiko mit sich bringen könnten.<br />

Des Weiteren sind die Prämissen der zugrundegelegten Risikoanalyse<br />

offenzulegen. 39 Den Betroffenen und der Öffentlichkeit<br />

wird damit erkennbar, welche Wirkungen in Betracht gezogen und<br />

wie sie gewichtet wurden. Erst die Transparenz der Grundannahmen<br />

der Risikoanalyse macht einen Risikodiskurs möglich, der die<br />

Sinnhaftigkeit der vorgenommenen „Reduktion von Komplexität“<br />

hinterfragt. Dies erscheint gerade bei der Analyse der Risiken komplexer<br />

technischer Systeme erforderlich, besteht hier nach den Untersuchungen<br />

von Charles Perrow doch die Neigung der Entscheidungsträger,<br />

auf einfache probabilitische Berechnungsweisen<br />

zurückzugreifen, deren Anwendungsvoraussetzungen gar nicht<br />

vorliegen. 40 Bei den Vermittlungsvorgängen zwischen der scientific<br />

community, den Entscheidungsträgern und der Öffentlichkeit<br />

muss ferner deutlich werden, welche Fragen aus wissenschaftlicher<br />

Sicht vorläufig <strong>als</strong> unbeantwortet gelten müssen. 41<br />

Handelt es sich bei der Verarbeitung von Risiken um eine wertebasierte<br />

Operation, muss sie schließlich in Rechnung stellen, dass<br />

in der Gesellschaft konkurrierende und konfligierende soziale Werte<br />

bestehen und sich daraus unterschiedliche Präferenzen und Abwägungsergebnisse<br />

ergeben. <strong>Das</strong> Arrow-Theorem 42 lehrt uns, dass<br />

diese unterschiedlichen Präferenzen nicht einfach zu einer Gesamtnutzenfunktion<br />

aggregiert werden können. Es ist vielmehr<br />

die Aufgabe des politischen Systems zu entscheiden, ob und unter<br />

welchen Bedingungen eine neue Technologie eingeführt und wie<br />

mit deren Risiken umgegangen werden soll. 43 Als drittes Erfordernis<br />

muss sich das politische System zur Notwendigkeit einer politischen<br />

Risikobewertung bekennen und hierfür die Verantwortung<br />

übernehmen, anstatt auf die vermeintliche Autorität der Wissenschaft<br />

zu verweisen. 44<br />

3. Risikobewertung <strong>als</strong> kulturell geprägter Prozess<br />

Für die Akzeptabilität von Risiken gibt es kein allgemeingültiges<br />

Maß. Ihre individuelle und gesellschaftliche Bewertung ist, wie die<br />

moderne Risikoforschung erweist, in hohem Maße von subjektiven<br />

Faktoren wie Freiwilligkeit, Vertrautheit, Zurechenbarkeit,<br />

Streuung, Zeitnähe und Kontrollierbarkeit des Risikos abhängig. 45<br />

Der Umgang mit dem Risiko folgt offenbar kollektiven Mustern<br />

und Traditionen und ist damit Ausdruck der jeweils vorherrschenden<br />

Kultur. Etwa lassen sich deutliche Unterschiede in der Risikowahrnehmung<br />

zwischen Europa und den USA feststellen.<br />

Während in Europa die »grüne Gentechnik« anders <strong>als</strong> die »rote<br />

Gentechnik« erheblichen Widerständen ausgesetzt ist, sind beide<br />

in den USA weithin akzeptiert und erscheint dort auch ihre unterschiedliche<br />

Behandlung kaum nachvollziehbar. 46 Ähnliche Gegensätze<br />

bestehen offenkundig bei der Bewertung der Risiken der<br />

Klimaveränderung. 47 Kollektive Muster erschließen sich ferner bei<br />

der Risikobewertung im Straßenverkehr. Während die USA schon<br />

seit langem generelle Geschwindigkeitsbeschränkungen auf Autobahnen<br />

kennen, erscheint die bundesdeutsche Öffentlichkeit we-<br />

30 ESRC (o. Fn. 21), S. 7.<br />

31 Scherzberg (o. Fn. 17), S. 252; Gleich (o. Fn. 17), S. 287-288.<br />

32 European Environmental Agency (EEA), Late lessons from early warnings: the<br />

precautionary principle 1896–2000. Environmental issue report No 22, 2001, S.<br />

82.<br />

33 Stirling (o. Fn. 20), S. 19.<br />

34 Stirling (o. Fn. 20), S. 10, 12.<br />

35 Scherzberg (o. Fn. 17), S. 249; Dose, in: Böschen/Lerf/Schneider, Handeln trotz<br />

Nichtwissen. Vom Umgang mit Chaos und Risiko in Politik, Industrie und<br />

Wissenschaft, 2004, S. 121 (123 f.); Holland/Kellow, in: Kellow/Robertson,<br />

Globalization and the Environment, 2001, S. 229 (238).<br />

36 Douglas, Risk and culture, 1982, S. 194.<br />

37 Scherzberg (o. Fn. 17), S. 233.<br />

38 Scherzberg (o. Fn. 17), S. 258.<br />

39 Stirling (o. Fn. 20), S. 12.<br />

40 Perrow, Normal accidents: living with high-risk technologies, 1999, S. 62 ff.<br />

41 Dose (o. Fn. 35), S. 135.<br />

42 Stirling (o. Fn. 20), S. 12.<br />

43 Sundermann, in: Bröchler/Simonis/Sundermann, Handbuch Technikfolgenabschätzung,<br />

1999, S. 119 (122); Dose (o. Fn. 35), S. 123 f., 125.<br />

44 Bartsch (o. Fn. 5), S. 2; Hennen, in: Bröchler/Simonis/Sundermann, Handbuch<br />

Technikfolgenabschätzung, 1999, S. 565 (565); Meyer-Abich, in: Bröchler/Simonis/Sundermann,<br />

Handbuch Technikfolgenabschätzung, 1999, S. 309<br />

(311, 316).<br />

45 Stirling (o. Fn. 20), S. 11; Deane, in: Kellow/Robertson, Globalization and the<br />

Environment, 2001, S. 106 (107-111); Scherzberg (o. Fn. 17), 231.<br />

46 Robertson (o. Fn. 10), S. 207-208, 217.<br />

47 WBGU (o. Fn. 5), S. 135-140.<br />

4 | ZUR 1/2005


Scherzberg, Risikomanagement vor der WTO | AUFSÄTZE<br />

der von der Rekordzahl von 21.000 Verkehrstoten im Jahr 1970<br />

noch vom gegenwärtigen Stand von etwa 6.600 Opfern pro Jahr<br />

im größeren Ausmaß beunruhigt. Man stelle sich dagegen den Aufruhr<br />

vor, der entstünde, wenn eine vergleichbare Zahl von Todesopfern<br />

auf das Konto von gentechnisch erzeugtem Saatgut ginge.<br />

Offensichtlich gibt es risikoaverse und risikofreundliche Gemeinschaften,<br />

und gehen auch im Einzelnen die soziokulturellen Bewertungen<br />

von Risiken auseinander. 48<br />

Wenn die Risikoverarbeitung von gesellschaftlichen Einschätzungen<br />

abhängt, lässt sich ihre Akzeptabilität nur im Wege der Kommunikation<br />

mit der Gesellschaft ermitteln. Staatliches Risikomanagement<br />

verlangt daher nach einer öffentlichen Risikokommunikation.<br />

49 Ein politisch initiierter Risikodialog über die Chancen<br />

und Gefahren neuer Technologien fördert nicht nur das Vertrauen<br />

der Menschen in die politische Führung, sondern erhält auch<br />

die Fähigkeit der Gesellschaft zur Innovation. Schon mehrfach hat<br />

der öffentliche Widerstand in der Bundesrepublik den Verzicht auf<br />

risikobehaftete Investitionen erzwungen. Gorleben und Wackersdorf<br />

sind nur die bekanntesten Stichworte. Aber nicht nur das Verhinderungspotential<br />

der Öffentlichkeit gibt Anlass dafür, gesellschaftliche<br />

Besorgnisse aufzugreifen und in die Risikobewertung zu<br />

integrieren. 50 Risikokommunikation kann auch positiv die Legitimität<br />

der politischen Entscheidungen im Rahmen des Risikomanagements<br />

erhöhen. 51<br />

Zeichnet sich eine neue Technologie oder ein neues Risikophänomen<br />

ab, sollte der Staat einen umfassenden Diskurs über die<br />

Chancen und Risiken der Innovation und ihre Alternativen initiieren.<br />

52 Bei der Darstellung des Standes der Wissenschaft sind dazu<br />

die Grenzen der wissenschaftlichen Aussagen und ihre Abhängigkeit<br />

von bestimmten Grundannahmen aufzuzeigen. 53 Dabei ist<br />

deutlich zu machen, dass die unterschiedlichen Prognosen bis zu<br />

einer F<strong>als</strong>ifikation <strong>als</strong> gleichwertig gelten müssen. 54 Werden politische<br />

Entscheidungen getroffen, sollte ihre Begründung diejenigen<br />

Werte und Konzepte bezeichnen, die der abschließenden Abwägung<br />

zugrunde liegen. Ferner sollte offen gelegt werden, inwieweit<br />

die Entscheidungsfolgen einer Revision zugänglich sind.<br />

Dabei sollte der Öffentlichkeit nicht zuletzt verdeutlicht werden,<br />

dass selbst »unverdächtige« Technologien unerwartete Wirkungen<br />

mit sich bringen können 55 und Risiken aufgrund von Ungewissheit<br />

und Nichtwissen letztlich nur dann ausgeschlossen werden könnten,<br />

wenn die Gesellschaft vollständig auf Innovation verzichtet.<br />

Ein entsprechender Risikodiskurs führt nicht notwendig zu einem<br />

gesamtgesellschaftlichen Konsens. 56 Er kann aber Glaubwürdigkeit<br />

und Akzeptanz schaffen. 57 Er ist deshalb mit dem Ziel zu organisieren,<br />

auch diejenigen Teilnehmer einzubinden, deren Auffassungen<br />

sich am Ende nicht durchsetzen werden. Ihnen sollte die<br />

Risikoentscheidung am Ende nicht mehr <strong>als</strong> willkürlich und ungerechtfertigt<br />

erscheinen, sondern – wenn schon nicht wissenschaftlich<br />

zwingend –, so doch wenigstens nachvollziehbar begründet.<br />

58<br />

III. Fazit: Der Umgang mit dem Risiko <strong>als</strong> soziales Konstrukt<br />

Die Definition, Bewertung und Abwägung von Risiken und Chancen<br />

ist nach dem Gesagten ein soziales Konstrukt. 59 Dies beginnt<br />

mit der Auswahl der <strong>als</strong> relevant und nachteilig zu qualifizierenden<br />

Wirkungen und setzt sich fort bei der Frage, wie die betroffenen<br />

individuellen und kollektiven Güter zu gewichten und auf<br />

welche Weise Sicherheit von Nutzen und Ungewissheit von Nebenfolgen<br />

zueinander ins Verhältnis zu setzen sind. Es endet mit<br />

der politischen Entscheidung, unter welchen Annahmen und Bedingungen<br />

die ermittelten Risiken akzeptabel erscheinen. Im Rahmen<br />

des staatlichen Risikomanagements geht es mithin nicht allein<br />

oder auch nur vorrangig um die Ermittlung der besten technischen<br />

Vorkehrungen zur Vorbeugung und Minimierung eines<br />

nachteiligen Effekts, sondern in jedenfalls gleichem Maße auch um<br />

die Definition, Reflexion und Selektion sozialer Werte und Präferenzen<br />

im Umgang mit der Ungewissheit. Diese besondere Qualität<br />

staatlicher Risikoentscheidung legt prozedural besondere Vorgehensweisen<br />

und material die Verwendung besonderer Maßstäbe<br />

nahe. Für beides stehen im internationalen und europäischen<br />

Recht der Begriff und das Konzept der Vorsorge.<br />

C. Vorsorge <strong>als</strong> Strategie des Risikomanagements<br />

<strong>Das</strong> Vorsorgeprinzip verkörpert eine bestimmte Strategie des Risikomanagements.<br />

60 Es ist nach allgemeinem Verständnis anwendbar,<br />

sofern eine fundierte Sachstandserhebung die Besorgnis veranlasst,<br />

ein umwelt- oder gesundheitsrelevantes Geschehen könnte<br />

auf individuelle oder kollektive Güter rechtlich relevante<br />

nachteilige Wirkungen zeitigen. 61 Um Risikomanagement durch<br />

Vorsorge geht es auch im vorliegenden Handelsstreit. Vor einer<br />

Analyse des Vorsorgeprinzips im SPS-Übereinkommen sei kurz dessen<br />

Rezeption im internationalen und europäischen Recht skizziert.<br />

I. Die Rezeption des Vorsorgeprinzips im internationalen<br />

und europäischen Recht<br />

1. Vorsorge im internationalen Recht<br />

Die Anwendung des Vorsorgeprinzips im internationalen Recht<br />

geht auf die Anregung der Rio Declaration on Environment and<br />

Development aus dem Jahre 1992 zurück und beruht auf spezifischen<br />

Abkommen wie dem Cartagena Protocol on Biosafety und<br />

der UN Framework Convention on Climate Change. 62<br />

<strong>Das</strong> Principle 15 der Rio Declaration 63 berücksichtigt ausdrücklich<br />

das Problem der Ungewissheit. So soll Vorsorge gerade dort<br />

Platz greifen, wo »full scientific certainty« nicht besteht. Der Bereich<br />

des Nichtwissens wird hingegen nicht thematisiert. Als Voraussetzung<br />

für die Anwendung des Vorsorgesprinzips werden vielmehr<br />

»threats of serious or irreversible damage« benannt. Dies impliziert,<br />

dass man diese Bedrohungen im Grundsatz kennt. <strong>Das</strong> ist,<br />

wie oben gezeigt, vielfach nicht der Fall. Auch der sozio-kulturelle<br />

Aspekt der Risikowahrnehmung bleibt außer Betracht.<br />

48 Robertson (o. Fn. 10), S. 3.<br />

49 Deane (o. Fn. 45), S. 111-114.<br />

50 Deane (o. Fn. 45), S. 114-115.<br />

51 Hennen (o. Fn. 44), S. 565.<br />

52 Stirling (o. Fn. 20), S. 25; Sundermann (o. Fn. 43), S. 121.<br />

53 Dressel, BSE – The New Dimension of Uncertainty. The Cultural Politics and<br />

Decision-Making, 2000, S. 192-197; Sunstein (o. Fn. 18), S. 110; Hennen<br />

(o. Fn. 44), S. 566; Dose (o. Fn. 35), S. 135 ff.<br />

54 Stirling (o. Fn. 20), S. 12.<br />

55 Beispielsweise ist der Gleichstrom in Solarstromanlagen anfällig für selbsterhaltende<br />

Lichtbögen, welche Feuersbrünste auslösen können. Nach einer<br />

kürzlichen Studie macht die Strahlung von Mobiltelefonen Männer unfruchtbar.<br />

56 Stirling (o. Fn. 20), S. 24.<br />

57 Deane (o. Fn. 45), S. 113-114.<br />

58 Hennen (o. Fn. 44), S. 570.<br />

59 Scherzberg (o. Fn. 17), S. 258; Sunstein (o. Fn. 18), S. 108-110; Douglas<br />

(o. Fn. 36), S. 186-198; Deane (o. Fn. 45), S. 108.<br />

60 Commission, Communication from the Commission on the precautionary<br />

principle, COMM(2000) 1 final, 2000, S. 8.<br />

61 Commission (o. Fn. 60), S. 2.<br />

62 Rio Declaration on Environment and Development = U. N. Doc.<br />

A/CONF.151/26 (Vol. I). <strong>Das</strong> Cartagena Protocol on Biosafety ist veröffentlicht<br />

im ABl. EG 2002 L 201/48. UN Framework Convention on Climate<br />

Change = U. N. Doc. A/AC.237/18 (Part II) (Add. 1), Misc 6 (1993), Cm 2137;<br />

31 I.L.M. 848.<br />

63 »In order to protect the environment, the precautionary approach shall be<br />

widely applied by States according to their capabilities. Where there are<br />

threats of serious or irreversible damage, lack of full scientific certainty shall<br />

not be used as a reason for postponing cost-effective measures to prevent environmental<br />

degradation«.<br />

ZUR 1/2005 | 5


AUFSÄTZE | Scherzberg, Risikomanagement vor der WTO<br />

<strong>Das</strong> Cartagena Protocol on Biosafety erweitert den Vorsorgegedanken<br />

der Deklaration. Maßnahmen sind gerade auch dort gestattet,<br />

wo der wissenschaftliche Nachweis bezüglich des Ausmaßes<br />

möglicher nachteiliger Wirkungen fehlt. <strong>Das</strong> Protokoll erlaubt mithin<br />

auch die Vorsorge gegenüber bislang unbekannten Wirkungen,<br />

umfasst <strong>als</strong>o auch Fälle des Nichtwissens. Ausdrücklich wird darauf<br />

hingewiesen, dass das Fehlen wissenschaftlicher Erkenntnisse<br />

oder des wissenschaftlichen Konsenses nicht zwangsläufig ein bestimmtes<br />

Risikoniveau, das Ausbleiben eines Risikos oder die Annehmbarkeit<br />

des Risikos impliziert. 64 Bei der Entscheidung über die<br />

Einfuhr von GVO dürfen auch sozio-ökonomische Aspekte berücksichtigt<br />

werden. Ferner ist die Öffentlichkeit über GVO-bezogene<br />

Gefahren aufzuklären. Bei neuen wissenschaftlichen Befunden soll<br />

schließlich eine Revision der Entscheidung erfolgen können.<br />

2. Vorsorge im Gemeinschaftsrecht<br />

a. Die Mitteilung der Europäischen Kommission zur Anwendung des Vorsorgeprinizips<br />

<strong>Das</strong> Vorsorgeprinzip findet seine vertragliche Grundlage in Art.<br />

174 EG-Vertrag. Es kommt nach einer Mitteilung der Kommission<br />

über dessen Regelungsbereich hinaus in allen Fällen zur Anwendung,<br />

in denen die wissenschaftlichen Beweise nicht ausreichen,<br />

keine eindeutigen Schlüsse zulassen oder unklar sind, in denen jedoch<br />

aufgrund einer vorläufigen wissenschaftlichen Risikobewertung<br />

begründeter Anlass zu der Besorgnis besteht, dass die möglicherweise<br />

gefährlichen Folgen für die Umwelt und die Gesundheit<br />

von Menschen, Tieren und Pflanzen mit dem von der EU angestrebten<br />

Schutzniveau unvereinbar sein könnten. 65<br />

Die Kommission weist darauf hin, dass die politischen Entscheidungsträger<br />

den für die Gesellschaft zumutbaren Risikograd festzulegen<br />

hätten und dabei mit nachgewiesenen, nicht hinnehmbaren<br />

Risiken, mit wissenschaftlicher Unsicherheit und mit einer besorgten<br />

Öffentlichkeit konfrontiert sein können. 66 Darauf sei jeweils auf<br />

der Basis einer Kosten/Nutzen-Analyse zu reagieren, die auch<br />

nichtwirtschaftliche Gesichtspunkte wie etwa die Akzeptanz in der<br />

Öffentlichkeit berücksichtigen müsse. 67 Ggf. dürften Maßnahmen<br />

auch dann ergriffen werden, wenn keine abschließenden wissenschaftlichen<br />

Erkenntnisse vorliegen. Etwa könnten die Mitglieder<br />

bestimmte Produkte a priori für gefährlich halten und ihr Inverkehrbringen<br />

im Wege der Beweislastumkehr an den Nachweis ihrer<br />

Unschädlichkeit knüpfen. 68 Stets wird eine fortlaufende Aktualisierung<br />

der Entscheidung nach Maßgabe neuester wissenschaftlicher<br />

Daten gefordert. 69 In keinem Falle gestatte das Vorsorgeprinzip willkürliche<br />

Entscheidungen. 70 Die Kommission hält daher seine Anwendung<br />

für vereinbar mit den Vorgaben des SPS-Abkommens. 71<br />

b. <strong>Das</strong> Beispiel der Richtlinie über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter<br />

Organismen in die Umwelt<br />

Die neue Richtlinie 2001/18 ersetzt ihre Vorgängerin aus dem Jahre<br />

1990. Sie nimmt ausdrücklich Bezug auf das Vorsorgeprinzip. 72<br />

Besonderes Gewicht wird auf die Beteiligung der Öffentlichkeit gelegt.<br />

73 Materiell gilt das Stufenprinzip, wonach die Einschließung<br />

der GVO stufenweise gelockert und ihre Freisetzung in der gleichen<br />

Weise ausgeweitet wird, sofern die Auswertung der Ergebnisse der<br />

vorherigen Stufen entsprechende Unbedenklichkeit für die<br />

menschliche Gesundheit und die Umwelt signalisiert. 74 Schließlich<br />

müssen die Unternehmen bei der Anmeldung der Freisetzung eine<br />

Umweltverträglichkeitsprüfung vorlegen. 75 »Entsprechend dem<br />

Vorsorgeprinzip« ist diese in wissenschaftlich fundierter und transparenter<br />

Weise durchzuführen 76 und hat alle Merkmale der GVO<br />

zu ermitteln, die mit der genetischen Veränderung in Verbindung<br />

stehen und schädliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit<br />

oder die Umwelt haben können. 77<br />

c. <strong>Das</strong> Beispiel der Verordnung über genetisch veränderte Lebensmittel und<br />

Futtermittel<br />

Auch die Verordnung 1829/2003 nimmt Bezug auf das Vorsorgeprinzip.<br />

Sie fordert eine bestmögliche wissenschaftliche Bewertung<br />

aller Risiken gentechnisch veränderter Lebensmittel und Futtermittel<br />

vor deren Inverkehrbringen. 78 Kein Lebensmittel soll zugelassen<br />

werden, bevor der Antragsteller nicht in geeigneter und ausreichender<br />

Weise nachgewiesen hat, dass keine nachteiligen Auswirkungen<br />

für Umwelt und Gesundheit bestehen, der Verbraucher<br />

nicht irregeführt wird und sich das veränderte Lebensmittel von<br />

den Lebensmitteln, die es ersetzen soll, nicht so stark unterscheidet,<br />

dass dessen normaler Verzehr Ernährungsmängel für den Konsumenten<br />

mit sich brächte. 79 Ferner wird eine Pflicht zur eindeutigen<br />

Kennzeichnung der Verwendung gentechnisch veränderten<br />

Materi<strong>als</strong> – unabhängig von der Nachweisbarkeit von DNA oder<br />

Proteinen aufgrund der genetischen Veränderungen im Endprodukt<br />

– eingeführt, wie sie von den Verbrauchern im Gebiet der EU<br />

gewünscht und gefordert wird. Die Kennzeichnung soll fundierte<br />

Entscheidungen erleichtern und Irrtümer hinsichtlich des Herstellungs-<br />

oder Gewinnungsverfahrens ausschließen. 80<br />

II. <strong>Das</strong> Vorsorgeprinzip im SPS-Übereinkommen<br />

1. Die Entscheidung des Berufungsgremiums<br />

<strong>Das</strong> SPS-Übereinkommen enthält keinen ausdrücklichen Bezug auf<br />

das Vorsorgeprinzip. Inzident wird dieses jedoch in Art. 3.3 und 5<br />

inkorporiert. Für das Verständnis dieser Regelungen kann auf die<br />

Entscheidung des Berufungsgremiums der WTO im Hormonfleischfall<br />

zurückgegriffen werden.<br />

<strong>Das</strong> Berufungsgremium lässt ausdrücklich offen, ob das Vorsorgeprinzip<br />

Bestandteil des allgemeinen Völkerrechts ist. 81 Es betont,<br />

dass es im SPS-Übereinkommen nicht ausdrücklich aufgenommen<br />

worden sei, um Konflikte mit anderen Verpflichtungen des Übereinkommens<br />

zu vermeiden. 82 Dennoch spiegele sich das Prinzip in<br />

den Art. 5.7 und 3.3 wider, die ausdrücklich das Recht jedes Mitglieds<br />

anerkennen, ein eigenes angemessenes Schutzniveau festzulegen.<br />

83 <strong>Das</strong> Vorsorgeprinzip verdränge dabei aber nicht die Regelungen<br />

der Art. 5.1 und 5.2, welche eine Risikobewertung und<br />

einen wissenschaftlichen Nachweis verlangen. 84 Diese Anforderungen<br />

seien essentiell für die Wahrung der vom Vertrag festgelegten<br />

Balance zwischen der Förderung des Welthandels und dem<br />

Schutz menschlichen Lebens. 85 Allerdings wies das Berufungsgremium<br />

das erstinstanzliche Panel, welches die Existenz eines ausreichenden<br />

wissenschaftlichen Nachweises zu prüfen hatte, ausdrücklich<br />

darauf hin, dass verantwortliche Regierungen im Allge-<br />

64 Annex III.4 des Protokolls.<br />

65 Commission (o. Fn. 60), S. 14.<br />

66 Commission (o. Fn. 60), S. 3.<br />

67 Commission (o. Fn. 60), S. 4.<br />

68 Commission (o. Fn. 60), S. 4.<br />

69 Commission (o. Fn. 60), S. 7.<br />

70 Commission (o. Fn. 60), S. 13.<br />

71 Commission (o. Fn. 60), S. 10-12.<br />

72 Richtlinie 2001/18/EC, Präambel (8) und Artikel 1, Anhang II B (ABl. EG 2001<br />

L 106/1).<br />

73 Richtlinie 2001/18/EC, Präambel (9, 10, 46) und Artikel 9, 24, 29.<br />

74 Richtlinie 2001/18/EC, Präambel (24).<br />

75 Richtlinie 2001/18/EC, Artikel 4.2, 13.<br />

76 Richtlinie 2001/18/EC, Anhang II B.<br />

77 Richtlinie 2001/18/EC, Anhang II C.2.1.<br />

78 Verordnung (EC) No 1829/2003, Präambel (9), Artikel 6.4, 18.4 (ABl. EG 2003<br />

L 268/1).<br />

79 Verordnung (EC) No 1829/2003, Artikel 4.1, 4.3, 16.1, 16.3.<br />

80 Verordnung (EC) No 1829/2003, Präambel (21).<br />

81 EU Measures Concerning Meat and Meat Products, WT/DS26/AB/R,<br />

WT/DS48/AB/R, adopted 13 February 1998, para. 123.<br />

82 EU Measures Concerning Meat and Meat Products (o. Fn. 81), para. 124.<br />

83 EU Measures Concerning Meat and Meat Products (o. Fn. 81), para. 124.<br />

84 EU Measures Concerning Meat and Meat Products (o. Fn. 81), para. 125.<br />

85 EU Measures Concerning Meat and Meat Products (o. Fn. 81), para. 177.<br />

6 | ZUR 1/2005


Scherzberg, Risikomanagement vor der WTO | AUFSÄTZE<br />

meinen mit Umsicht und Vorsicht handelten, wenn irreversible<br />

Schäden für das menschliche Leben drohen. 86<br />

Damit anerkennt das Berufungsgremium zwar die Notwendigkeit<br />

der Vorsorge, berücksichtigt aber weder den kulturellen Aspekt<br />

der Risikobewertung noch die Notwendigkeit einer Verarbeitung<br />

des Nichtwissens im vorgenannten Sinne. Nach seinem Verständnis<br />

soll es den Mitglieder im Rahmen des Art. 5.7 SPS nur dann gestattet<br />

sein, vorläufige Schutzmaßnahmen festzulegen, wenn der<br />

Nachweis für die Möglichkeit spezifischer Risiken mit unbekannter<br />

Eintrittswahrscheinlichkeit erbracht ist. 87<br />

2. Die Defizite der Entscheidung<br />

Indem das Berufungsgremium auch im Falle vorläufiger Maßnahmen<br />

an der Notwendigkeit eines wissenschaftlichen Nachweises zumindest<br />

für die Möglichkeit eines bestimmten Risikos festhält, bevorzugt<br />

es die Nutznießer einer neuen Technologie gegenüber den<br />

von ihr potentiell Geschädigten. Während der Nutzen einer Innovation,<br />

wie bereits angesprochen, in der Regel hinlänglich bekannt<br />

ist, ist die Vielfalt möglicher nachteiliger Wirkungen zumeist nur<br />

sehr unvollkommen untersucht. In diesen Fällen gewährt Art. 5.7<br />

SPS in der Lesart des Berufungsgremiums einen Aufschub für zusätzliche<br />

Forschungen nur, wenn bereits spezifische nachteilige<br />

Wirkungen der betreffenden Verfahren oder Produkte in wissenschaftlich<br />

nachvollziehbarer Weise identifiziert worden sind.<br />

Folgt man diesem Verständnis, würde das WTO-System wesentliche<br />

Erkenntnisse moderner Risikoforschung ignorieren, wonach<br />

– bereits die Auswahl nachteiliger Wirkungen sowie deren Qualifizierung<br />

<strong>als</strong> »nachteilig« auf einer soziokulturellen Wertung basieren,<br />

die sich eines wissenschaftlichen »Nachweises« entziehen,<br />

– eine vollständige Risikoanalyse angesichts zeitlicher und finanzieller<br />

Beschränkungen häufig nicht erreichbar ist,<br />

– hinreichend »sichere« Anzeichen für spezifische nachteilige<br />

Wirkungen oft erst im Zuge der praktischen Anwendung einer<br />

Innovation erkennbar werden und<br />

– es sich beim Umgang mit Ungewissheit und Nichtwissen um einen<br />

weniger wissenschaftlich determinierten <strong>als</strong> kulturell geprägten<br />

Vorgang handelt.<br />

Angesichts dieses Befundes stellt sich die Frage, ob es sich bei der<br />

vom Berufungsgremium gewählten Auslegung um die einzig mögliche<br />

Interpretation der einschlägigen SPS-Regelungen handelt.<br />

Nach dessen Präambel soll das Abkommen den notwendigen<br />

Schutz menschlichen, tierischen und pflanzlichen Lebens sowie<br />

der Gesundheit gewährleisten und gleichzeitig willkürliche Diskriminierungen<br />

und verschleierte Beschränkungen des Welthandels<br />

verhindern. Es zielt <strong>als</strong>o auf die Herstellung eines Gleichgewichts<br />

zwischen Handelsfreiheit und Rechtsgüterschutz. Dieser<br />

Zielsetzung folgend wäre zu berücksichtigen, dass die Alternative<br />

von verschleierter Handelsbeschränkung einerseits und wissenschaftsbasiertem<br />

Rechtsgüterschutz andererseits nicht so ausschließlich<br />

ist, wie dies das Berufungsgremium im Hormonfleischfall<br />

unterstellt. Da Risikobewertung im Falle von Ungewissheit und<br />

Nichtwissen ein wertungsbedürftiger Prozess ist, der sich nicht in<br />

der Anwendung wissenschaftlicher Standards erschöpft, kann es<br />

sehr wohl Schutzmaßnahmen geben, die von sozio-kulturellen<br />

Wertungen und nicht von wissenschaftlichen Standards gefordert<br />

werden – die aber nach ihrem Sinn und Zweck dennoch weder <strong>als</strong><br />

willkürlich noch <strong>als</strong> verschleierte Handelsbeschränkungen angesehen<br />

werden können. 88<br />

Maßnahmen dieser Art sind unter das SPS-Abkommen nicht eindeutig<br />

zu subsumieren. Nach seinem Wortlaut wären sie unzulässig.<br />

Von seinem Regelungszweck könnten sie dagegen durchaus gedeckt<br />

sein. Wenn die Mitglieder danach berechtigt sind, ihr Schutzniveau<br />

gegenüber den bekannten Gefahren einer neuen Technologie<br />

autonom festzulegen und dabei auch eine Null-Risiko-Strategie<br />

zu verfolgen, müsste ihnen diese Null-Risiko-Strategie erst recht<br />

gegenüber unbekannten Risiken und Risiken mit unsicherer Eintrittswahrscheinlichkeit<br />

eingeräumt werden, handelt es sich dabei<br />

doch um Situationen noch höherer kognitiver Unsicherheit, deren<br />

Verarbeitung in noch weitergehendem Maße von den politischen<br />

und kulturellen Mustern und Bewertungen der jeweiligen Gesellschaft<br />

abhängt.<br />

Die Zulassung kulturell basierter Vorsorge würde auch die Kompatibilität<br />

des SPS-Übereinkommens mit anderen internationalen<br />

Vereinbarungen wie dem Cartagena Protokoll herstellen, die die<br />

Probleme von Ungewissheit und Nichtwissen aufnehmen und ihre<br />

soziokulturelle Verarbeitung ermöglichen. Andernfalls würden<br />

die Konflikte zwischen dem Ziel der Handelsliberalisierung und anderen<br />

legitimen Politikzielen einseitig zugunsten des Freihandelsprinizips<br />

gelöst und dem SPS-Übereinkommen im Ergebnis ein<br />

»kulturelles Homogenitätsgebot« entnommen, das die Funktion<br />

und die Legitimation der WTO übersteigen und seine weltweite<br />

Anerkennung in Frage stellen würde. Damit soll nicht einem undifferenzierten<br />

»Imperialismus«-Vorwurf das Wort geredet werden,<br />

der die positiven Wirkungen der Überwindung des Protektionismus<br />

leugnete. 89 Die Gefahr einer Überschreitung der funktionellen<br />

Grenzen der WTO aber besteht, und wurde auch vom Berufungsgremium<br />

erkannt, wenn es im shrimp-turtle-Fall andeutete,<br />

dass Regelungskonflikte zwischen der WTO und multilateralen<br />

Umweltabkommen möglicherweise auch zulasten der Ziele des<br />

freien Welthandels zu lösen sein könnten. 90<br />

Eine Interpretation der SPS-Regelungen, die die Probleme von<br />

Ungewissheit und Nichtwissen aufgreift und kulturell basierte Vorsorgemaßnahmen<br />

ermöglicht, erscheint daher – auch zur Erhaltung<br />

der Funktionsfähigkeit der WTO – vorzugswürdig. Danach<br />

wäre präventives Handeln gerechtfertigt, sofern die Wissenschaft<br />

das Eintreten bestimmter Neben- oder Folgewirkungen eines Produkts<br />

nicht ausschließt und der Mitgliedstaat substantiiert darlegt,<br />

dass die Verwirklichung entsprechender Risiken dem Gemeinwesen<br />

eine sozial nicht akzeptable Belastung auferlegen würde. Für<br />

die Angemessenheit eines solchen Ansatzes sprechen nicht zuletzt<br />

die Lehren aus dem Scheitern des britischen BSE-Managements.<br />

D. Exkurs: Die Lektion des BSE-Falles<br />

I. Eine kurze Geschichte des BSE-Managements 91<br />

Die erste offizielle Diagnose der »Bovinen Spongiformen Enzephalopathie«<br />

in Großbritannien stammt vermutlich aus dem November<br />

1986. Im Juni 1987 informierte das Central Veterinary<br />

Office das britische Landwirtschaftsministerium (MAFF) über die<br />

Existenz einer neuen Rinderkrankheit. Im Dezember 1987 wurden<br />

Hinweise gefunden, wonach aus Wiederkäuern gewonnenes Tiermehl<br />

ursächlich für die Verbreitung von BSE sein könnte. Dennoch<br />

wurde BSE erst im Juni 1988 meldepflichtig, und entsprechendes<br />

Tiermehl erst im Juli 1988 verboten. Im August 1988 trat eine<br />

Schlachtungsanordnung für betroffene Rinder in Kraft. Der Southwood<br />

Report vom Februar 1989 bezeichnete das Risiko für Men-<br />

86 EU Measures Concerning Meat and Meat Products (o. Fn. 81), para. 124.<br />

87 So auch Cottier, in: Kellow/Robertson, Globalization and the Environment,<br />

2001, S. 41 (52).<br />

88 Byron, in: Kellow/Robertson, Globalization and the Environment, 2001, S. 27<br />

(28, 34).<br />

89 Poulantzas, in: Hirsch/Jessop/Poulantzas, Die Zukunft des Staates. Denationalisierung,<br />

Internationalisierung, Renationalisierung, 2001, passim; Imperialistische<br />

Globalisierung, Prokla 133, <strong>Heft</strong> 4/2003.<br />

90 United States – Import Prohibition of Certain Shrimp and Shrimp Products,<br />

WT/DS58/AB/R, adopted 6 November 1998, para.185.<br />

ZUR 1/2005 | 7


AUFSÄTZE | Scherzberg, Risikomanagement vor der WTO<br />

schen <strong>als</strong> »entfernt« und »höchst unwahrscheinlich«. Noch im<br />

Mai 1990 behauptete der Landwirtschaftsminister, britisches Rindfleisch<br />

sei absolut sicher. 1995 trat eine alarmierende Zahl der „new<br />

variant“ Creutzfeld-Jakob-Krankheit auf. 1996 gestand die britische<br />

Regierung schließlich die Gefahr für Menschen ein. Bis 2004<br />

gab es im Vereinigten Königreich 139 Todesfälle wegen BSE.<br />

Die USA richteten 1986 ein BSE-Überwachungsprogramm ein.<br />

1987 wurde BSE zur meldepflichtigen Krankheit. Im Juli 1989 wurde<br />

der Import lebender Wiederkäuer aus Ländern verboten, in denen<br />

die Existenz von BSE bekannt war. <strong>Das</strong> FDA-Verbot der Verfütterung<br />

von tierischem Eiweiß an Rinder trat im August 1997 in<br />

Kraft. Im Dezember 1997 wurde der Import aus Europa vollständig<br />

verboten. Der erste BSE-Fall trat in den USA erst Ende 2003 auf. Todesfälle<br />

bei Menschen sind nicht bekannt.<br />

II. Die Lehren aus der BSE-Erfahrung<br />

In den USA wurden die ersten Schutzmaßnahmen bereits getroffen,<br />

<strong>als</strong> wissenschaftliche Beweise für die Gefährlichkeit von BSE<br />

noch unzureichend waren. Die Infektionsraten blieben niedrig. In<br />

Großbritannien hingegen bot das Fehlen eindeutiger Beweise Anlass,<br />

überhaupt keine, unzureichende oder verspätete Maßnahmen<br />

zu treffen. 92 Die Wahrscheinlichkeit der Übertragbarkeit auf den<br />

Menschen wurde <strong>als</strong> vernachlässigbar erachtet, weil man annahm,<br />

BSE stamme von Scrapie ab, welches den Menschen nicht befällt. 93<br />

Auch <strong>als</strong> deutlich wurde, dass das Verfüttern tierischen Proteins für<br />

die Ausbreitung verantwortlich war, wurde das Tierfutterverbot<br />

zunächst auf Wiederkäuer beschränkt und mit mehreren Monaten<br />

Verzögerung erlassen.<br />

<strong>Das</strong> Handeln der britischen Regierung war lange vorwiegend<br />

darauf gerichtet, Panikreaktionen der Verbraucher zu verhindern. 94<br />

Ihre maßgebliche Besorgnis galt einer Schädigung der landeseigenen<br />

Lebensmittelindustrie. 95 Erst der untrügliche Nachweis eines<br />

Zusammenhangs zwischen BSE und CJD und die ersten Todesfälle<br />

veranlassten die britische Regierung zu einem wirksamen Risikomanagement.<br />

Zuvor wurden Informationen über die neue<br />

Krankheit zurückgehalten und ein breiter wissenschaftlicher Dialog<br />

verhindert. 96 Ein solcher Dialog hätte zwar durchaus auch ergeben<br />

können, ökonomische Interessen der öffentlichen Gesundheit<br />

vorzuziehen, solange keine schlüssigen wissenschaftlichen Resultate<br />

vorlagen. Er hätte aber wenigstens ein öffentliches<br />

Problembewusstsein geschaffen, welches den Verbrauchern die<br />

Möglichkeit souveräner Entscheidung über den Umgang mit dem<br />

Risiko gegeben hätte.<br />

Vermutlich wäre die Öffentlichkeit aber auch in England nicht<br />

bereit gewesen, die eigene Gesundheit der wirtschaftlichen Prosperität<br />

unterzuordnen. Eine nachhaltige öffentliche Forderung<br />

nach wirkungsvollen Schutzmaßnahmen hätte der Regierung die<br />

vorherrschenden Wertvorstellungen der Gesellschaft verdeutlicht.<br />

Selbst wenn entsprechende öffentliche Reaktionen nicht immer rational<br />

im wissenschaftlichen Sinne erscheinen mögen, so kann<br />

dies für das britische BSE-Management im Ergebnis noch weit weniger<br />

gelten: keines der seinerzeit angestrebten Ziele wurde erreicht,<br />

viele Menschen verloren ihr Leben und die Fleischindustrie<br />

wurde schwer geschädigt.<br />

E. Schlussfolgerungen<br />

Von BSE zurück zu GVO: Der Umgang der EU mit GVO erscheint<br />

nicht weniger wissenschaftlich <strong>als</strong> der Ansatz der USA. Nur die sozialen<br />

Werte und Präferenzen, welche dem Umgang mit der Ungewissheit<br />

zugrundeliegen, sind verschieden. Vielleicht offenbart<br />

sich darin der Unterschied zwischen einer risikofreundlichen und<br />

einer risikoaversen Gesellschaft. Jedenfalls ist das gegenwärtige<br />

WTO-System kaum darauf vorbereitet, derartige kulturell basierte<br />

Differenzen zu bewältigen. 97 Der Wertungsaspekt der Risikoanalyse<br />

wird vernachlässigt und die Phänomene der Ungewissheit und<br />

des Nichtwissens werden nicht angemessen verarbeitet. 98<br />

Um ähnliche Rechtsstreitigkeiten in der Zukunft zu vermeiden,<br />

hat die WTO zwei Optionen: entweder gestattet sie ihren Mitgliedern,<br />

Maßnahmen des Risikomanagements auf die Ergebnisse des<br />

gesellschaftlichen Risikodiskurses zu stützen, oder sie etabliert einen<br />

solchen Diskurs auf internationaler Ebene selbst. 99 Sofern Risiken<br />

nationale Grenzen überschreiten und daher nicht durch nationale<br />

Regulierung eingedämmt werden können, könnte das<br />

WTO Committee on Trade and Environment (CTE) mit der Aufgabe<br />

betraut werden, eine supranationale Risikokommunikation<br />

zu initiieren und öffentliches Feedback aus den Mitgliedern zu gewinnen.<br />

Basierend auf diesen Erkenntnissen könnten die WTO-Organe<br />

dann eine Leitlinie für die Zulässigkeit von Handelsbeschränkungen<br />

im Rahmen des nationalen Risikomanagements<br />

entwickeln, die die kulturellen Bedürfnisse der WTO- Mitglieder respektiert.<br />

Prof. Dr. Arno Scherzberg<br />

Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaft, Staatswissenschaftliche<br />

Fakultät Universität Erfurt, Nordhäuser Straße 63, 99089<br />

Erfurt.<br />

Tätigkeitsschwerpunkte: Staatswissenschaften <strong>als</strong> Forschungszusammenhang<br />

– Recht der Risikoverwaltung, Funktion des Rechts <strong>als</strong> Mittel gesellschaftlicher<br />

Steuerung, Verwaltungsmodernisierung, Juristische Rationalität<br />

Aktuelle Veröffentlichungen: Risikosteuerung durch Verwaltungsrecht: Ermöglichung<br />

oder Begrenzung von Innovationen, in: VVDStRL 63 (2004),<br />

214 ff.; Rationalität – staatswissenschaftlich betrachtet – Prolegomena zu<br />

einer Theorie juristischer Rationalität, in: Walter Krebs (Hrsg.), Liber Amicorum<br />

Hans-Uwe Erichsen: zum 70. Geburtstag am 15. Oktober 2004,<br />

Köln, Berlin, München 2004, 177 ff.; Wozu und wie überhaupt noch<br />

öffentliches Recht, Berlin 2003; Wissen, Nichtwissen und Ungewissheit im<br />

Recht, in: Engel/Halfmann/Schulte, Wissen – Nichtwissen – Unsicheres<br />

Wissen, Baden-Baden 2002, S. 113 ff; Die Öffentlichkeit der Verwaltung,<br />

Baden-Baden 2000.<br />

91 Zum Folgenden vgl. Report of the BSE Inquiry, Stationery Office, 2000; National<br />

Meat Association Resource, http://meat.tamu.edu/ pdf/BSEresource.pdf.<br />

92 Dressel (o. Fn. 53), S. 50-51.<br />

93 BSE Inquiry (o. Fn. 91), Executive Summary, 19; EEA (o. Fn. 32), S. 157.<br />

94 BSE Inquiry (o. Fn. 91), Executive Summary, 18.<br />

95 EEA (o. Fn. 32), S. 159.<br />

96 BSE Inquiry (o. Fn. 91), Executive Summary, 19; EEA (o. Fn. 32), S. 159; Dressel<br />

(o. Fn. 53), S. 68-75.<br />

97 Sampson, in: Kellow/Robertson, Globalization and the Environment, 2001,<br />

S. 15 (24-25); Cottier (o. Fn. 87), S. 42.<br />

98 Cottier (o. Fn. 87), S. 53.<br />

99 Cottier (o. Fn. 87), S. 53, schlägt Umfragen und Expertenanhörungen vor »to<br />

look into factors such as acceptance of new technologies and ethical considerations«.<br />

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Beckmann/Hagmann, Stillegung, Rekultivierung und Nachsorge von Deponien | AUFSÄTZE<br />

Martin Beckmann/Joachim Hagmann<br />

Stilllegung, Rekultivierung und Nachsorge<br />

von Deponien<br />

Abfallrechtliche und bodenschutzrechtliche Anforderungen<br />

Die rechtlichen Probleme der Deponiestilllegungen sowie der Sanierung<br />

von Deponiestandorten bleiben angesichts des in diesem Jahr uneingeschränkt<br />

eingreifenden Vorbehandlungsgebotes der Abfallablagerungsverordnung<br />

und der Deponieverordnung weiterhin aktuell. Viele in der<br />

Vergangenheit stillgelegte Deponiestandorte sind zudem heute Altlasten<br />

im Sinne des Bundes-Bodenschutzgesetzes. Oftm<strong>als</strong> stellt sich die Frage,<br />

ob für solche Standorte deponierechtliche oder bodenschutzrechtliche<br />

Vorschriften zur Anwendung gelangen, da die Vorgaben hinsichtlich der<br />

inhaltlichen Anforderungen und insbesondere im Hinblick auf den in<br />

Anspruch zu nehmenden Adressatenkreis voneinander abweichen. Der<br />

vorliegende Beitrag befasst sich mit den rechtlichen Vorgaben zur Stilllegung,<br />

Rekultivierung und Nachsorge von Deponien. Von besonderer Bedeutung<br />

ist dabei die Abgrenzung der deponierechtlichen Vorgaben zum<br />

Regime des Bundes-Bodenschutzgesetzes, die nach den §§ 36 Abs. 2 S.<br />

2 KrW-/AbfG, 3 Abs. 1 Nr. 2 BBodSchG vorzunehmen ist.<br />

A. Einführung<br />

Zwischen 1972 und 1986 wurde in der Bundesrepublik die Zahl der<br />

Deponien von ca. 50.000 auf etwa 3.000 verringert. Bei vielen dieser<br />

Altablagerungen handelt es sich heute um sanierungsbedürftige<br />

Altlasten. In der ehemaligen DDR wurden 1989 etwa 120 geordnete<br />

Deponien, ca. 2.000 betriebseigene Deponien und ca.<br />

10.000 wilde Müllkippen registriert, die heute ebenfalls häufig <strong>als</strong><br />

sanierungsbedürftige Altlasten anzusehen sind. 1 Die rechtlichen<br />

Anforderungen an die Stilllegung und die Nachsorge von Deponien<br />

gewinnen darüber hinaus aktuell stark an Bedeutung, weil zahlreiche<br />

Deponien die Anforderungen der zum 1.3.2001 in Kraft getretenen<br />

Abfallablagerungsverordnung – AbfAblV- und der zum<br />

1.8.2002 in Kraft getretenen Deponieverordnung – DepV- für den<br />

Weiterbetrieb von Deponien nicht erfüllen und deshalb stillgelegt<br />

werden müssen oder bereits stillgelegt worden sind und nachgesorgt<br />

werden müssen. 2 Von den im Jahre 2000 in Deutschland<br />

noch vorhandenen rund 370 Hausmülldeponien werden Mitte<br />

2005 etwa die Hälfte stillgelegt sein, weil sie die Anforderungen der<br />

AbfAblV nicht einhalten können. Laufende Deponien, die noch<br />

vor dem 15.7.2005 den Ablagerungsbetrieb einstellen, werden<br />

nach § 14 Abs. 6 S. 2 DepV zudem privilegiert. Die zuständige<br />

Behörde kann für diese Deponien Ausnahmen von den Anforderungen<br />

für die Stilllegung und Nachsorge nach § 14 Abs. 4 DepV<br />

i.V.m. §§ 12, 13 DepV und Nr. 11.2.1 h TA Siedlungsabfall zulassen,<br />

wenn der Deponiebetreiber im Einzelfall den Nachweis erbringt,<br />

dass durch andere geeignete Maßnamen das Wohl der Allgemeinheit,<br />

gemessen an den mit den Anforderungen der DepV<br />

und der AbfAblV zu erreichenden Zielen eines dauerhaften<br />

Schutzes der Umwelt, insbesondere des Grundwassers, nicht beeinträchtigt<br />

wird. <strong>Das</strong> soll die Bereitschaft zur Deponiestilllegung<br />

erhöhen. Bis zum Jahre 2020 möchte die Bundesregierung nahezu<br />

vollständig auf eine Abfallbeseitigung in Form der Abfallablagerung<br />

verzichten.<br />

Bei den Deponiestillegungen bis etwa 1986 dachte kaum jemand<br />

daran, die Deponien zur Vermeidung unkontrollierter Sickerwasseraustritte<br />

und Entgasungen zu sanieren und nachzusorgen. Sie<br />

wurden zumeist nur mit einer Bodenschicht abgedeckt und begrünt.<br />

Viele von ihnen sind deshalb Altlasten, über deren Sanierung<br />

auf der Grundlage des 1998 in Kraft getretenen BBodSchG gestritten<br />

wird. Natürlich gehen auch von den nach Inkrafttreten des<br />

AbfG 1972 in Betrieb genommenen Zentraldeponien Gefahren für<br />

die Umwelt, insbesondere durch die Belastung des Grundwassers<br />

aus. Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen befürchtet<br />

wegen der unzureichenden technischen Ausstattung und der Ablagerung<br />

unvorbehandelter Abfälle für die bis zum Jahre 2005 stillzulegenden<br />

Deponien lange Nachsorgezeiten und aufwändige Sanierungsmaßnahmen.<br />

Nach Ansicht des Umweltrates kann bei<br />

Hausmülldeponien unter Umständen erst nach über 100 Jahren<br />

anfallendes Sickerwasser wegen der bis dahin stattfindenden<br />

Auslaugung des Deponiekörpers in ein Gewässer eingeleitet werden.<br />

Auch die Entgasung einer solchen Hausmülldeponie mit unvorbehandelt<br />

abgelagerten Abfällen kann mehrere Jahrzehnte in<br />

Anspruch nehmen. 3<br />

Für die Stilllegung und Nachsorge von Deponien sind abfallrechtliche<br />

Bestimmungen maßgeblich. Daneben können aber<br />

auch Vorschriften des Bodenschutzrechts über die Sanierung von<br />

Altablagerungen beachtlich sein. In Rechtsprechung und Literatur<br />

werden in jüngerer Zeit zu der Frage, welche Vorschriften zur Anwendung<br />

kommen, unterschiedlichste Auffassungen vertreten. 4<br />

Im Nachfolgenden soll nach einem Überblick über die zu beachtenden<br />

abfallrechtlichen Regelungen auf die Bestimmungen des<br />

Bodenschutzrechts eingegangen und erläutert werden, welche unterschiedlichen<br />

Konsequenzen sich aus einer Anwendung des<br />

BBodSchG ergeben können. Da die Abgrenzung der Anwendungsbereiche<br />

des KrW-/AbfG und des BBodSchG schwierig ist, sollen<br />

schließlich die Anwendungsbereiche beider Gesetze bei der Stilllegung,<br />

Nachsorge und Sanierung von Deponien voneinander abgegrenzt<br />

werden.<br />

B. Lebensphasen der Deponie<br />

In der DepV sind erstm<strong>als</strong> verschiedene zeitliche Phasen der Errichtung,<br />

des Betriebs, der Stilllegung und der Nachsorge von De-<br />

1 Kersting/Spieß, Bestandsschutz für Altdeponien in den alten Bundesländern,<br />

LKV 1999, 425; Bericht der Bundesregierung, BT-Drs. 11/8041.<br />

2 Dazu Beckmann, in: Landmann/Rohmer, <strong>Umweltrecht</strong>, Band III, Loseblatt,<br />

§ 36 KrW-/AbfG Rn. 10.<br />

3 Umweltrat, Umweltgutachten 2002, Stuttgart 2002, Anmerkung 1078 ff..<br />

4 OVG Weimar, Urt. v. 11.6. 2001 – 4 KO 52/97, NuR 2002, 172; OVG Münster,<br />

Urt. v. 16.11.2000 – 20 A 1774/99, NVwZ 2001, 1186; VGH München,<br />

Beschl. v. 9.7.2003 – 20 CS 03.103, NVwZ 2003, 1281; VG Meiningen, Urt.<br />

v. 2.12.2003 – 2 K 800/00; VGH München, Beschl. v. 2.2.2001 - 20 ZB<br />

00.3551, NVwZ 2001, 576; VG Regensburg, Urt. v. 6.3.2003 – 7 KO 01.1236,<br />

AbfallR 2004, 92; Thärichen, Die Abgrenzung zwischen Abfallrecht und Bodenschutzrecht<br />

bei der Altlastensanierung, AbfallR 2004, 55; Frenz, Abfallund<br />

Bodenschutzrecht – Abgrenzung, Parallelen und Zusammenspiel, UPR<br />

2002, 201; Plogmann, Anwendung des Bodenschutzrechts auf die Sanierung<br />

stillgelegter Deponien, UPR 2002, 432; Beckmann/Hagmann, Rechtsgrundlagen<br />

der Rekultivierung und Nachsorge von Deponien nach Inkrafttreten des<br />

BBodSchG, DVBl. 2001, 1636; Schäfer, Zum Altlastenregime des Bundes-Bodenschutzgesetzes,<br />

NuR 2001, 429; Schäfer, Stilllegung von Deponien, NVwZ<br />

2001, 1133; Rossi, Anmerkung zum Urteil des OVG Weimar v. 11.6.2001, NJ<br />

2002, 219.<br />

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AUFSÄTZE | Beckmann/Hagmann, Stillegung, Rekultivierung und Nachsorge von Deponien<br />

ponien definiert und auf diese Weise voneinander abgegrenzt worden.<br />

Sie sind für das Verständnis der abfallrechtlichen Anforderungen<br />

für die Stilllegung und Nachsorge und auch für die Abgrenzung<br />

der Anwendungsbereiche des BBodSchG und des KrW-<br />

/AbfG von zentraler Bedeutung. Die Verordnung unterscheidet<br />

eine Betriebsphase und eine Nachsorgephase.<br />

An die Betriebsphase schließt sich gem. § 2 Nr. 24 DepV die Nachsorgephase<br />

an. Sie umfasst den Zeitraum nach der endgültigen<br />

Stilllegung der Deponie bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die zuständige<br />

Behörde nach § 36 Abs. 5 KrW-/AbfG den Abschluss der Nachsorge<br />

feststellt. <strong>Das</strong> Gesetz sieht dazu den Erlass eines weiteren<br />

feststellenden Verwaltungsaktes vor, mit dem der Inhaber einer Deponie<br />

aus der Nachsorgephase entlassen wird. Welchen konkreten<br />

zeitlichen Rahmen die Nachsorgephase umfassen kann, regelt das<br />

Gesetz nicht. Einen Anhaltspunkt enthält dazu § 19 Abs. 3 DepV,<br />

der Einzelheiten zu der von Deponiebetreibern zu erbringenden Sicherheitsleistung<br />

bestimmt. 7 Danach soll für die Berechnung der<br />

Höhe der zu leistenden Sicherheit bei Deponien der Deponieklasse<br />

I, II, III und IV ein Nachsorgezeitraum von mindestens 30 Jahren,<br />

bei Deponien der Klasse 0 ein Nachsorgezeitraum von mindestens<br />

10 Jahren zugrunde gelegt werden. Die tatsächliche Dauer<br />

des Nachsorgezeitraums hängt jedoch allein von den Umständen<br />

des jeweiligen Einzelfalls ab. Sie kann den in § 19 Abs. 3 DepV genannten<br />

Zeitraum deutlich über- oder unterschreiten.<br />

I. Betriebsphase<br />

Die Betriebsphase umfasst gem. § 2 Nr. 5 DepV den Zeitraum von<br />

der Abnahme der für den Betrieb einer Deponie oder eines Deponieabschnittes<br />

erforderlichen Einrichtungen durch die zuständige<br />

Behörde bis zur Feststellung der endgültigen Stilllegung einer Deponie<br />

nach § 36 Abs. 3 KrW-/AbfG. Zur Betriebsphase zählen eine<br />

Ablagerungsphase und eine Stilllegungsphase.<br />

1. Ablagerungsphase<br />

Die Ablagerungsphase erstreckt sich gem. § 2 Nr. 2 DepV auf den<br />

Zeitraum von der Abnahme der für den Betrieb einer Deponie oder<br />

eines Deponieabschnittes erforderlichen Einrichtungen durch die<br />

zuständige Behörde bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die Ablagerung<br />

von Abfällen zur Beseitigung auf der Deponie oder dem Deponieabschnitt<br />

beendet wird. Ihr geht die so genannte Einrichtungsphase<br />

voraus, die sämtliche tatsächlichen Maßnahmen am Anlagenstandort<br />

umfasst, die der Errichtung der Deponie dienen. 5<br />

Gem. § 5 DepV darf der Deponiebetreiber eine Deponie oder einen<br />

Deponieabschnitt erst dann in Betrieb nehmen, wenn die zuständige<br />

Behörde die für den Betrieb erforderlichen Einrichtungen abgenommen<br />

hat. Die Abnahme ist im Betriebstagebuch zu dokumentieren.<br />

Mit der behördlichen Abnahme beginnt gem. § 2 Nr. 2<br />

DepV die Ablagerungsphase.<br />

Die Ablagerungsphase endet, wenn die Ablagerung von Abfällen<br />

zur Beseitigung auf der Deponie oder dem Deponieabschnitt eingestellt<br />

wird. § 36 Abs. 1 KrW-/AbfG verpflichtet den Inhaber einer<br />

Deponie, ihre beabsichtigte Stilllegung der zuständigen Behörde<br />

unverzüglich anzuzeigen. Für das Ende der Ablagerungsphase<br />

kommt es jedoch nicht auf die Anzeige, sondern auf die tatsächliche<br />

Beendigung des Ablagerungsbetriebs an. 6<br />

2. Stilllegungsphase<br />

Mit dem Ende der Ablagerungsphase beginnt gem. § 2 Nr. 26 DepV<br />

die Stilllegungsphase. Sie dauert bis zur “endgültigen Stilllegung”<br />

der Deponie. Die endgültige Stilllegung ist der Zeitpunkt, zu dem<br />

alle Stilllegungsmaßnahmen abgeschlossen sind. Gem. § 36 Abs. 3<br />

KrW-/AbfG hat die zuständige Behörde den Abschluss der Stilllegung<br />

<strong>als</strong> den Zeitpunkt der endgültigen Stilllegung festzustellen.<br />

II. Nachsorgephase<br />

C. Abfallrechtliche Stilllegung und Nachsorge von Deponien<br />

Die Stilllegungs- und Nachsorgeregelungen des § 36 KrW-/AbfG<br />

gelten für die nach Inkrafttreten des AbfG 1972 errichteten und betriebenen<br />

Deponien sowie für die Deponien im Sinne des § 35 Abs.<br />

1 KrW-/AbfG, die vor dem 11.7.1972 betrieben wurden oder mit<br />

deren Errichtung begonnen war. Für Uraltdeponien, d. h. für solche<br />

Deponien, die bereits vor dem 11.6.1972 endgültig stillgelegt<br />

worden waren, gelten die Regelungen dagegen nicht. 8<br />

I. Anzeigepflicht<br />

Gem. § 36 Abs. 1 S. 1 KrW-/AbfG hat der Inhaber einer Deponie ihre<br />

beabsichtigte Stilllegung der zuständigen Behörde unverzüglich<br />

anzuzeigen. Der Anzeige sind Unterlagen über Art, Umfang und Betriebsweise<br />

sowie über die beabsichtigte Rekultivierung und sonstige<br />

Vorkehrungen zum Schutz des Wohls der Allgemeinheit beizufügen.<br />

Eine Zustimmung oder ein behördliches Einverständnis mit der<br />

Stilllegung ist nicht erforderlich. Auch einer Genehmigung oder<br />

Planfeststellung bedarf die Stilllegung grundsätzlich nicht. <strong>Das</strong> gilt<br />

jedenfalls, wenn die beabsichtigte Stilllegung nicht von den Regelungen<br />

des Planfeststellungsbeschlusses abweicht. Sieht der Planfeststellungsbeschluss<br />

bereits Bestimmungen für die im Zusammenhang<br />

mit der Stilllegung notwendige Rekultivierung und Nachsorge<br />

vor und soll davon abgewichen werden, weil diese Anforderungen<br />

z.B. nicht mehr dem Stand der Technik entsprechen, dann kann bei<br />

einer wesentlichen Änderung neben der Anzeige ein Zulassungsverfahren<br />

erforderlich werden. Eine planfeststellungs- oder plangenehmigungsbedürftige<br />

Änderung der Deponie durch Maßnahmen der<br />

Rekultivierung und Nachsorge setzt im Übrigen voraus, dass der Bescheid,<br />

von dem abgewichen werden soll, noch wirksam ist. 9<br />

Einer Stilllegungsanzeige bedarf es nicht, wenn die zuständige<br />

Behörde den Deponiebetreiber nach § 12 Abs. 1 DepV zu einer Stilllegung<br />

verpflichtet. 10 Denn in diesem Fall fehlt es an einer Stilllegungsabsicht<br />

des Deponiebetreibers. Auch eine Unterrichtung der<br />

Behörde ist nicht erforderlich, weil sie die bevorstehende Stilllegung<br />

selbst veranlasst hat. Die Vorlage der nach § 36 Abs. 1 S. 2<br />

KrW-/AbfG der Anzeige beizufügenden Unterlagen kann die zuständige<br />

Behörde bei einer Stilllegungsanordnung verlangen,<br />

wenn sie diese benötigt, um ihre Stillegungsanordnung zu konkretisieren.<br />

Ob die Ermächtigung des § 12 Abs. 1 DepV zum Erlass<br />

einer Stilllegungsanordnung mit § 36 KrW-/AbfG vereinbar ist, ist<br />

zweifelhaft. Denn anders <strong>als</strong> der Verordnungsgeber geht der Gesetzgeber<br />

nicht davon aus, dass jede Beeinträchtigung des Allgemeinwohls<br />

zu einer Stilllegung berechtigt. 11 Offensichtlich ist, dass<br />

aus Gründen der Verhältnismäßigkeit vorrangig zur Vermeidung<br />

5 Klett, Deponieverordnung – Ausgewählte Fragen zu deren Anwendung, AbfallR<br />

2002, 23 ff.; Gaßner/Siederer, Deponierecht, Kommentar zur Abfallablagerungsverordnung<br />

und zur Deponieverordnung, Berlin 2004, § 2 DepV, Rn. 2.<br />

6 Gaßner/Siederer, Fn. 5, § 2 DepV, Rn. 2; vgl. auch BR-Drs. 231/02, S. 73.<br />

7 Siehe dazu Beckmann/Gesterkamp, Sicherheitsleistungen für Abfallentsorgungsanlagen<br />

und Entsorgungsdienstleistungen, UPR 2003, 206 ff.<br />

8 Beckmann, Fn. 2, § 36 KrW-/AbfG Rn. 18; Paetow, in: Kunig/Paetow/Versteyl,<br />

Kommentar zum KrW-/AbfG, 2. Aufl., München 2003, § 36 Rn. 5.<br />

9 Beckmann, Fn. 2, § 36 KrW-/AbfG Rn. 24.<br />

10 Paetow, Fn. 8, § 36 Rn. 7.<br />

11 Beckmann, Fn. 2, § 36 KrW-/AbfG Rn. 27; Beckmann, Rechtliche Vorgaben für<br />

Abfallwirtschaftsplanung und Deponiezulassung zum Weiterbetrieb und zur<br />

Stilllegung von Deponien, in: Tagungsband zu den Kölner Abfalltagen 2002,<br />

Köln 2003; Klett, Fn. 5, AbfallR 2002, 23 (28 f.).<br />

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Beckmann/Hagmann, Stillegung, Rekultivierung und Nachsorge von Deponien | AUFSÄTZE<br />

von Beeinträchtigungen des Allgemeinwohls an den Erlass<br />

nachträglicher Anordnungen zu denken ist, was in § 32 Abs. 4<br />

KrW-/AbfG auch vom Gesetzgeber so vorgesehen ist. Reichen<br />

nachträgliche Auflagen zur Vermeidung von Allgemeinwohlbeeinträchtigungen<br />

nicht aus, kann auf der Grundlage der gesetzlichen<br />

Regelungen allenfalls über eine Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses<br />

entschieden werden. Hinsichtlich der Stilllegung<br />

von Deponien geht dagegen die Initiative nach dem Gesetz vom<br />

Deponiebetreiber aus. Dieser ist nach § 36 Abs. 1 S. 1 KrW-/AbfG<br />

lediglich verpflichtet, eine von ihm beabsichtigte Stilllegung rechtzeitig<br />

anzuzeigen. Die umfassende Stilllegungsbefugnis des § 12<br />

Abs. 1 DepV für die Behörde ist mit dieser gesetzlichen Regelung,<br />

die dem Deponiebetreiber die Entscheidung für oder gegen eine<br />

Stilllegung belässt, ist mit § 36 KrW-/AbfG unvereinbar.<br />

Anzeigepflichtig ist nicht die tatsächliche Stilllegung der Deponie,<br />

sondern bereits die beabsichtigte Stilllegung. Die Stilllegungsabsicht<br />

besteht, wenn der Inhaber der Deponie auf der Grundlage<br />

konkreter Planungen entschieden hat, den Ablagerungsbetrieb einzustellen.<br />

Die Anzeige muss demnach schon vor der Stilllegung unverzüglich,<br />

d. h. im Sinne des § 121 Abs. 1 BGB ohne schuldhaftes<br />

Zögern abgegeben werden, nachdem sich der Deponieinhaber zur<br />

Stilllegung entschlossen hat. Nach § 20 Abs. 3 S. 1 DepV ist die Stilllegung<br />

einer Deponie der Klasse 0, I, II, III oder IV oder eines Deponieabschnitts<br />

einer solchen Deponie nach § 36 Abs. 1 KrW-<br />

/AbfG mindestens ein Jahr vor dem beabsichtigten Ende der Ablagerungsphase<br />

bei der zuständigen Behörde schriftlich anzuzeigen.<br />

Hat der Deponiebetreiber seine Pflicht zur unverzüglichen Anzeige<br />

der Stilllegungsabsicht versäumt, dann handelt er gemäß § 61<br />

Abs. 2 Nr. 2 a KrW-/AbfG ordnungswidrig. Nach überwiegender<br />

Auffassung ist der Deponiebetreiber verpflichtet, eine versäumte<br />

Stilllegungsanzeige nachzuholen. 12<br />

Nach § 36 Abs. 1 S. 2 KrW-/AbfG sind der Anzeige über die beabsichtigte<br />

Stilllegung Unterlagen über Art, Umfang und Betriebsweise<br />

sowie die beabsichtigte Rekultivierung und sonstige Vorkehrungen<br />

zum Schutz des Wohls der Allgemeinheit beizufügen. Einzelheiten<br />

der beizufügenden Unterlagen regelt neuerdings § 20 Abs. 3<br />

S. 2 i. V. m. Abs. 1 S. 1 – 3 DepV. Die Unterlagen sollen eine Feststellung<br />

der zuständigen Behörde ermöglichen, ob die vorgesehenen<br />

Maßnahmen für eine Rekultivierung und zur Vermeidung von<br />

Beeinträchtigungen des Wohls der Allgemeinheit ausreichend sind.<br />

Dabei kann allerdings auf Regelungen des Planfeststellungsbeschlusses<br />

zur Rekultivierung und Nachsorge und auf die dazu<br />

gehörenden Antragsunterlagen Bezug genommen werden, soweit<br />

in dem Planfeststellungsbeschluss entsprechende Regelungen vorhanden<br />

bzw. in den Antragsunterlagen auch entsprechende Planungen<br />

beigefügt sind, die nicht auf der Grundlage des sich entwickelnden<br />

Standes der Technik und der Laufzeit der Deponie überholt<br />

sind. Es ist allerdings davon auszugehen, dass die bereits im<br />

Planfeststellungsverfahren vorgelegten Untersuchungen etwa zur<br />

Bodenbeschaffenheit des Deponiestandortes und seiner Umgebung<br />

grundsätzlich auch für die Überlegungen zur Stilllegung und Nachsorge<br />

aussagekräftig sind. 13 Bei einer wesentlichen Änderung im<br />

Rahmen des Stilllegungsverfahrens gilt nach § 20 Abs. 3 S. 3 DepV<br />

zusätzlich § 36 Abs. 1 S. 4 KrW-/AbfG entsprechend. Danach sind<br />

in den Unterlagen zu den in der Anlage 2 des UVPG genannten Kriterien<br />

Aussagen zu treffen, die eine Vorprüfung des Einzelfalls zur<br />

Frage der Umweltverträglichkeitsprüfung ermöglichen.<br />

II. Rekultivierungs- und Nachsorgeanordnungen<br />

Gem. § 36 Abs. 2 S. 1 KrW-/AbfG hat die zuständige Behörde, soweit<br />

entsprechende Anforderungen nicht bereits im Planfeststellungsbeschluss,<br />

in der Plangenehmigung oder in einem Bescheid<br />

nach § 35 KrW-/AbfG bzw. in den für die Deponie geltenden umweltrechtlichen<br />

Vorschriften geregelt sind, den Deponiebetreiber<br />

zur Rekultivierung und Nachsorge zu verpflichten. Eine Anordnung<br />

nach § 36 Abs. 2 S. 1 KrW-/AbfG setzt nicht voraus, dass der<br />

Deponiebetreiber pflichtgemäß die Anzeige nach § 36 Abs. 1 S. 1<br />

KrW-/AbfG abgegeben hat. 14<br />

Die Kosten für die Rekultivierung und Nachsorge müssen von<br />

dem Deponiebetreiber während der gesamten Ablagerungsphase<br />

in der Entgelt- bzw. Gebührenkalkulation berücksichtig werden.<br />

Gem. § 36 d Abs. 1 S. 1 KrW-/AbfG müssen die vom Deponiebetreiber<br />

für die Ablagerung von Abfällen in Rechnung zu stellenden<br />

Entgelte auch die geschätzten Kosten für die Stilllegung und die<br />

Nachsorge für einen Zeitraum von mindestens 30 Jahren abdecken.<br />

Der Gesetzgeber geht von einem Vorrang der Rekultivierungs-<br />

und Nachsorgeregelungen im Zulassungsbescheid bzw. in<br />

einer Anordnung nach § 35 KrW-/AbfG aus. Denn eine Anordnung<br />

nach § 36 Abs. 2 S. 1 KrW-/AbfG kommt nur in Betracht, soweit<br />

entsprechende Regelungen nicht bereits in den erwähnten Bescheiden<br />

enthalten sind.<br />

Die Anordnungsbefugnisse nach § 36 Abs. 2 S. 1 KrW-/AbfG richten<br />

sich gegen den Inhaber der Deponie, nicht gegen den Grundstückseigentümer,<br />

wenn dieser nicht mit dem Inhaber der Deponie<br />

identisch ist, weil er das Grundstück z.B. an den Inhaber der<br />

Deponie verpachtet hat. 15 Als Inhaber der Deponie wird der Deponiebetreiber<br />

angesehen. Deponiebetreiber ist nach § 2 Nr. 12<br />

DepV die natürliche oder juristische Person, die die rechtliche oder<br />

tatsächliche Verfügungsgewalt über eine Deponie innehat. § 36<br />

Abs. 2 S. 1 KrW-/AbfG ermächtigt auch nicht zu einer Verpflichtung<br />

des Eigentümers, erforderliche Rekultivierungs- und Sicherungsmaßnahmen<br />

zu dulden. Eine derartige Duldungspflicht ist allerdings<br />

teilweise in den Landesabfallgesetzen geregelt. Regelmäßig<br />

wird sie sich darüber hinaus aus den zivilrechtlichen Verhältnissen,<br />

etwas aus einem Pachtvertrag, einem Erbbaurechtsvertrag etc. ergeben.<br />

Nötigenfalls kann die Duldung auch über das allgemeine<br />

Ordnungsrecht durchgesetzt werden. 16 Eine fehlende Duldungspflicht<br />

des Eigentümers führt nicht zur Rechtswidrigkeit der Anordnung<br />

nach § 36 Abs. 2 S. 1 KrW-/AbfG gegenüber dem Deponiebetreiber,<br />

sondern allein zu einem vorübergehenden Durchsetzungshindernis.<br />

17<br />

Ob sich Anordnungen gem. § 36 Abs. 2 S. 1 KrW-/AbfG auch gegen<br />

frühere Anlageninhaber richten können, ist umstritten. Teilweise<br />

wird dies mit der Begründung verneint, die Verfügung könne<br />

sich nur an den letzten Inhaber richten, der die Anlage stilllegen<br />

möchte und deshalb eine entsprechende Anzeige abgegeben<br />

hat oder hätte abgeben müssen. 18 Von der Gegenmeinung wird dagegen<br />

unter Hinweis auf Sinn und Zweck des Gesetzes eine solche<br />

Inanspruchnahme nicht ausgeschlossen. 19 Umstritten war in der<br />

Vergangenheit außerdem, ob und inwieweit eine Inanspruchnahme<br />

nach § 36 Abs. 2 KrW-/AbfG bzw. der Vorgängerregelung des<br />

§ 10 AbfG zeitlich nur begrenzt zulässig ist. Auf diesen Rechtsstreit<br />

kommt es nur noch an, soweit die Inanspruchnahme nicht auf der<br />

Grundlage des § 36 Abs. 2 S. 2 KrW-/AbfG nach dem BBodSchG zu<br />

12 Siehe z.B. Paetow, Fn. 8, § 36 Rn. 9; Ebling, in: Fluck (Hrsg.), Kreislaufwirtschafts-<br />

, Abfall- und Bodenschutzrecht, Loseblatt, § 36 KrW-/AbfG Rn. 29; a.A. Beckmann,<br />

Fn. 2, § 36 KrW-/AbfG Rn. 32.<br />

13 Ebling, Fn. 12, § 36 KrW-/AbfG Rn. 42.<br />

14 Zutreffend Frenz, Kommentar zum KrW-/AbfG, 3. Aufl., Köln u.a., 2002, § 36<br />

Rn. 2.<br />

15 Nach u.E. zweifelhafter Auffassung von Kügel, NJW 2004, 1570, soll im Zweifel<br />

von einer Mitinhaberschaft des Grundstückseigentümers ausgegangen<br />

werden, wenn die Rechtsverhältnisse mit dem Hauptnutzer des Grundstücks<br />

so unklar gestaltet sind, dass die Inhaberschaft nicht eindeutig zu klären ist.<br />

16 Paetow, Fn. 8, § 36 Rn. 15.<br />

17 Frenz, Fn. 14, § 36 Rn. 10; BVerwG, Urt. v. 28.4.1972 – IV C. 42, BVerwGE 40,<br />

101 (103).<br />

18 v. Lersner, in: v. Lersner/Wendenburg, Recht der Abfallbeseitigung, Loseblatt<br />

Berlin, § 36 KrW-/AbfG Rn. 25; Paetow, Fn. 8, § 36 Rn. 15.<br />

19 BVerwG, Beschl. v. 14.4.1986 – 7 B 18/86, NVwZ 1986, 640; Schoeneck, in: Jarass/Ruchay/Weidemann,<br />

Kommentar zum KrW-/AbfG, Loseblatt München,<br />

§ 36 Rn. 68 m. v. N.<br />

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AUFSÄTZE | Beckmann/Hagmann, Stillegung, Rekultivierung und Nachsorge von Deponien<br />

erfolgen hat. <strong>Das</strong> BVerwG hatte insoweit erwogen, den ursprünglich<br />

in § 17 Abs. 4 a BImSchG genannten Zeitraum von 10 Jahren,<br />

der allerdings durch eine Änderung des § 17 Abs. 4 a BImSchG zwischenzeitlich<br />

auf ein Jahr verkürzt worden ist, <strong>als</strong> Anhaltspunkt für<br />

eine solche zeitliche Beschränkung heranzuziehen. 20 Allerdings<br />

dürfte die jetzt nach § 17 Abs. 4 a BImSchG geltende Jahresfrist auf<br />

Deponien nicht übertragbar sein, weil schädliche Auswirkungen<br />

der Deponie innerhalb einer so kurzen Frist häufig nicht festzustellen<br />

sind. 21 Der Zeitraum, in dem derartige Anordnungen nach<br />

der Stilllegung einer Deponie ergehen können, bestimmt sich<br />

mangels einer genauer definierten zeitlichen Begrenzung nach<br />

dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. 22 Dementsprechend gibt<br />

es keine festen zeitlichen Grenzen für eine solche Inanspruchnahme.<br />

Wo sie genau liegen, lässt sich abstrakt nicht festlegen, sondern<br />

bedarf einer Abwägung im Einzelfall, wobei z. B. die Frage, ob der<br />

Deponiebetrieb seinerzeit ordnungsgemäß oder unter Missachtung<br />

seinerzeit beachtlicher Regelungen oder Zulassungen geführt worden<br />

ist, im Rahmen dieser Abwägung berücksichtigt werden kann.<br />

Nach Auffassung des BVerwG konnten jedenfalls nach früherer<br />

Rechtslage für den Fall einer unterlassenen Stilllegungsanzeige Anordnungen<br />

auch noch 13 Jahre nach Stilllegung zulässig sein. 23<br />

1. Rekultivierung<br />

Unter einer Rekultivierung wird die Umgestaltung der Deponiefläche<br />

in einer Weise verstanden, die lediglich eine andere Bodennutzung<br />

ermöglicht. 24 Andere verstehen unter dem Begriff der Rekultivierung<br />

die Wiedereingliederung der Deponiefläche in die<br />

Landschaft im Sinne der Anpassung an ihre natürliche Umgebung. 25<br />

Die Rekultivierung der stillgelegten Deponie dient in erster Linie<br />

nicht dem Bodenschutz, insbesondere der Vermeidung oder Beseitigung<br />

schädlicher Bodenveränderungen im Sinne des § 2 Abs. 3<br />

BBodSchG, sondern dem Natur- und Landschaftsschutz, und zwar<br />

zumeist und vor allem dem Ausgleich eines mit der Errichtung und<br />

dem Betrieb der Deponie in aller Regel verbundenen erheblichen<br />

Eingriffs in das Landschaftsbild. Allerdings muss die Rekultivierungsanordnung<br />

nicht immer auf einen Ausgleich des Eingriffs in<br />

Natur und Landschaft gerichtet sein. Denn nach den konkreten Umständen<br />

des Einzelfalls kommt auch eine gewerbliche oder sonstige<br />

bauliche Nachnutzung des Deponiegeländes in Betracht, so dass eine<br />

Rekultivierungsanordnung darauf Rücksicht zu nehmen hat. 26<br />

2. Sonstige Vorkehrungen<br />

Gem. § 36 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 KrW-/AbfG hat die zuständige Behörde<br />

den Deponiebetreiber zu verpflichten, auf seine Kosten alle sonstigen<br />

erforderlichen Vorkehrungen, einschließlich der Überwachungs-<br />

und Kontrollmaßnahmen während der Nachsorgephase<br />

zu treffen, um die in § 32 Abs. 1 – 3 KrW-/AbfG genannten Anforderungen<br />

auch nach der Stilllegung zu erfüllen. Nach § 36 Abs. 2<br />

S. 1 Nr. 3 KrW-/AbfG ist der Deponiebetreiber zu verpflichten, der<br />

zuständigen Behörde alle Überwachungsergebnisse zu melden, aus<br />

denen sich Anhaltspunkte für erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen<br />

ergeben. 27<br />

III. Endgültige Stilllegung<br />

Die zuständige Behörde hat nach § 36 Abs. 3 KrW-/AbfG den Abschluss<br />

der Stilllegung festzustellen. Diese Feststellung wird vom<br />

Gesetzgeber <strong>als</strong> endgültige Stilllegung definiert. Mit der Feststellung<br />

des Abschlusses der Stilllegung endet die Stilllegungsphase im<br />

Sinne des § 2 Nr. 26 DepV. Nach der endgültigen Stilllegung beginnt<br />

die Nachsorgephase im Sinne von § 2 Nr. 24 DepV.<br />

IV. Abschluss der Nachsorgephase<br />

Gem. § 32 Abs. 5 KrW-/AbfG hat die zuständige Behörde auf Antrag<br />

den Abschluss der Nachsorgephase festzustellen. Die Einzelheiten<br />

der Nachsorge und der Feststellung des Abschlusses der<br />

Nachsorgephase sind in § 13 DepV geregelt. Der Betreiber der Deponie<br />

hat die zuständige Behörde gem. § 13 Abs. 3 S. 1 DepV unverzüglich<br />

über alle festgestellten nachteiligen Auswirkungen der<br />

Deponie auf die Umwelt während der Nachsorgephase zu unterrichten.<br />

Er hat die Maßnahmen, die im Fall des Überschreitens der<br />

Auslöseschwellen zu treffen sind, in Maßnahmenplänen gem. § 13<br />

Abs. 3 S. 2 DepV zu beschreiben. Kommt die zuständige Behörde<br />

nach Prüfung aller vorliegenden Ergebnisse der Kontrollen nach<br />

§ 13 Abs. 2 DepV unter Berücksichtigung der Prüfkriterien nach<br />

§ 13 Abs. 5 DepV zu dem Schluss, dass sich aus dem Verhalten einer<br />

Deponie der Klasse 0, I, II, III oder IV zukünftig keine Beeinträchtigungen<br />

des Wohls der Allgemeinheit zu erwarten sind, dann<br />

kann sie auf Antrag des Deponiebetreibers die Kontroll- und Überwachungsmaßnahme<br />

aufheben und nach § 36 Abs. 5 KrW-/AbfG<br />

den Abschluss der Nachsorgephase feststellen. Mit der Feststellung<br />

des Abschlusses der Nachsorgephase endet die abfallrechtliche Verantwortung<br />

des Deponiebetreibers für die Deponie endgültig.<br />

D. Bedeutung des BBodSchG für Altdeponien<br />

Während für die Anordnung von Rekultivierungs- und Nachsorgemaßnahmen<br />

im zeitlichen Zusammenhang mit einer noch bevorstehenden<br />

und lediglich beabsichtigten Stilllegung einer Deponie<br />

auf der Grundlage des § 36 Abs. 2 S. 1 KrW-/AbfG abfallrechtliche<br />

Anforderungen an den Inhaber der Deponie gerichtet<br />

werden können, finden auf bereits stillgelegte Deponien nach § 36<br />

Abs. 2 S. 2 KrW-/AbfG unter den dort genannten Voraussetzungen<br />

Regelungen des BBodSchG Anwendung. Umstritten ist allerdings<br />

der Begriff der stillgelegten Deponie. Kommt es insoweit auf die<br />

Einstellung des Ablagerungsbetriebes, auf den Abschluss der Stilllegungsmaßnahmen<br />

im Sinne einer endgültigen Stilllegung gem.<br />

§ 36 Abs. 3 KrW-/AbfG oder gar auf den Abschluss der Nachsorgephase<br />

im Sinne von § 36 Abs. 5 KrW-/AbfG an Die Bedeutung des<br />

BBodSchG für die Stilllegung und Nachsorge von Deponien bzw.<br />

die Sanierung von Altablagerungen hängt aber nicht nur von dem<br />

umstrittenen Stilllegungsbegriff, sondern auch von der ebenfalls<br />

umstrittenen Frage ab, ob die Anwendbarkeit des BBodSchG dazu<br />

führt, dass – im Sinne eines vollständigen Rechtsregimewechsels –<br />

die Vorschriften des KrW-/AbfG unanwendbar werden oder ob sie<br />

neben dem BBodSchG eigenständige Bedeutung behalten. Die<br />

Schwierigkeiten bei der Bestimmung der für die Stilllegung, Nachsorge<br />

und Sanierung von Altdeponien maßgeblichen Vorschriften<br />

haben ihren Grund in widersprüchlichen und unklaren Regelungen<br />

des Gesetz- und Verordnungsgebers des Bundes. Der Bundesgesetzgeber<br />

wollte 1998 mit dem Inkrafttreten des BBodSchG und<br />

der Neuregelung des § 36 Abs. 2 S. 2 KrW-/AbfG einerseits mög-<br />

20 BVerwG, Beschl.v. 6.5.1997 – 7 B 142/97, NVwZ 1997 1000 (1001); vgl. auch VGH<br />

München, Beschl. v. 2.2.2001 – 20 ZB 00.3551, NVwZ 2001, 576, wonach auch<br />

eine Inanspruchnahme 22 Jahre nach der Stilllegung noch verhältnismäßig sein<br />

kann, wenn dem Inhaber der Anlage einige Jahre nach der Einstellung der Abfallablagerung<br />

die Notwendigkeit von Nachsorgemaßnahmen bekannt war.<br />

21 v. Lersner, Fn. 18, § 36 Rn. 27; siehe aber auch OVG Hamburg, Urt. v.<br />

1.12.1992 – Bf. VI 29/91, NVwZ-RR 1993, 602 (604); VGH München, Urt. v.<br />

10.12.1996 – 20 B 96.521,UPR 1997, 193 f.<br />

22 OVG Münster, Urt. v. 16.11.2000 - 20 A 1774/99, NVwZ 2001, 1186.<br />

23 BVerwG, Beschl .v. 6.5.1997 – 7 B 142/97,NVwZ 1997, 1000.<br />

24 Dazu Schoeneck, Fn. 19, § 36 Rn. 73 f.<br />

25 Paetow, Fn. 8, § 36 Rn. 17.<br />

26 Paetow, Fn. 8, § 36 Rn. 17.<br />

27 Zu Beispielen aus der Rechtsprechung für mögliche Vorkehrungen siehe Paetow,<br />

Fn. 8, § 36 Rn. 21.<br />

12 | ZUR 1/2005


Beckmann/Hagmann, Stillegung, Rekultivierung und Nachsorge von Deponien | AUFSÄTZE<br />

lichst frühzeitig und bundesweit Vorschriften des BBodSchG bei der<br />

Sanierung von Altablagerungen anstelle der abfallrechtlichen Bestimmungen<br />

zur Geltung bringen. Andererseits hat der Gesetzgeber<br />

zwischenzeitlich im Jahre 2001 mit § 36 Abs. 3 und Abs. 5 KrW-<br />

/AbfG sowie der Verordnungsgeber im Jahre 2002 mit den Regelungen<br />

der §§ 12, 13 DepV zur Stilllegung und Nachsorge von Deponien<br />

und insbesondere mit der Forderung des § 23 DepV, auch<br />

Stilllegungsanordnungen im Sinne von § 36 Abs. 2 S. 1 KrW-/AbfG<br />

alle vier Jahre daraufhin zu überprüfen, ob zur Einhaltung des Standes<br />

der Technik im Sinne von § 3 Abs. 12 KrW-/AbfG noch weitere<br />

Bedingungen, Auflagen oder Befristungen angeordnet werden müssen,<br />

dafür Sorge tragen wollen, dass abfallrechtliche Anforderungen<br />

noch weit nach der Einstellung des Ablagerungsbetriebes und auch<br />

nach der endgültigen Stilllegung zu beachten sind.<br />

I. Anwendbarkeit des BBodSchG<br />

Der in § 2 KrW-/AbfG geregelte Geltungsbereich des KrW-/AbfG<br />

sieht eine Abgrenzung zum Anwendungsbereich des BBodSchG<br />

nicht vor. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 BBodSchG besteht für schädliche<br />

Bodenveränderungen ein Anwendungsvorrang der Vorschriften<br />

des KrW-/AbfG über die Zulassung und den Betrieb von Abfallbeseitigungsanlagen<br />

zur Beseitigung von Abfällen sowie über die Stilllegung<br />

von Deponien. Im Übrigen aber ist das BBodSchG anwendbar,<br />

wenn es sich bei der nachzusorgenden Deponie um eine<br />

Altlast im Sinne von § 2 Abs. 5 BBodSchG handelt oder wenn von<br />

ihr schädliche Bodenveränderungen im Sinne von § 2 Abs. 3 BBod-<br />

SchG ausgehen. Als Altlast definiert der Gesetzgeber in § 2 Abs. 5<br />

Nr. 1 BBodSchG stillgelegte Abfallbeseitigungsanlagen sowie sonstige<br />

Grundstücke, auf denen Abfälle behandelt, gelagert oder abgelagert<br />

worden sind (Altablagerungen), durch die schädliche Bodenveränderungen<br />

oder sonstige Gefahren für den Einzelnen oder<br />

die Allgemeinheit hervorgerufen werden.<br />

§§ 32, 36 Abs. 1 und 2 KrW-/AbfG regeln Anforderungen an Errichtung<br />

und Betrieb und Stilllegung von Deponien, die angesichts<br />

des Anwendungsvorrangs grundsätzlich eine Anwendbarkeit des<br />

BBodSchG ausschließen. Allerdings enthält § 36 Abs. 2 S. 2 KrW-<br />

/AbfG eine Rückausnahme, die wiederum auf das BBodSchG verweist.<br />

Hinzu kommt, dass das Abfallrecht keine Regelungen für die<br />

Sanierung bereits eingetretener Schäden außerhalb des Deponiekörpers<br />

enthält. Für die Sanierung dieser Schäden gelten unstreitig<br />

nur die Vorschriften des BBodSchG. Die Anwendbarkeit des<br />

BBodSchG im Übrigen ist nach § 36 Abs. 2 S. 2 KrW-/AbfG von zwei<br />

Voraussetzungen abhängig. Es muss sich einerseits um eine stillgelegte<br />

Deponie nach § 36 Abs. 1 KrW-/AbfG handeln. Zum anderen<br />

muss hinsichtlich dieser Deponie der Verdacht bestehen, dass<br />

von ihr schädliche Bodenveränderungen oder sonstige Gefahren<br />

für den einzelnen oder die Allgemeinheit ausgehen.<br />

1. Stillgelegte Deponie<br />

Für Maßnahmen der Sanierung und Nachsorge von Deponien wird<br />

damit der Zeitpunkt der Stilllegung der Deponie entscheidend. Der<br />

Begriff der Stilllegung im Sinne des § 36 Abs. 2 S. 2 KrW-/AbfG wird<br />

im Gesetz nicht eindeutig erläutert. Es verwundert deshalb nicht,<br />

dass in Rechtsprechung und Literatur von verschiedenen Stilllegungsbegriffen<br />

ausgegangen wird. 28 Teilweise wird unter Stilllegung<br />

im Sinne des § 36 Abs. 2 S. 2 KrW-/AbfG die Beendigung des<br />

Ablagerungsbetriebs verstanden. 29 Nach anderer Auffassung wird<br />

jedoch <strong>als</strong> Stilllegung im Sinne des § 36 Abs. 2 S. 2 KrW-/AbfG der<br />

Zeitpunkt nach Abschluss der Stilllegungsmaßnahmen im Sinne<br />

der endgültigen Stilllegung gem. § 36 Abs. 3 KrW-/AbfG angesehen.<br />

30 Stillgelegt ist eine Deponie danach erst, wenn die zuständige<br />

Behörde den Abschluss der Stilllegung festgestellt hat. Schließlich<br />

soll nach einer weiteren Auffassung von einer stillgelegten Deponie<br />

erst nach behördlicher Feststellung des Abschlusses der<br />

Nachsorgephase im Sinne von § 36 Abs. 5 KrW-/AbfG ausgegangen<br />

werden können. 31<br />

Für die Anwendbarkeit des BBodSchG nach § 36 Abs. 2 S. 2 KrW-<br />

/AbfG kommt es weder darauf an, dass die Behörde die »endgültige<br />

Stilllegung« gemäß § 36 Abs. 3 KrW-/AbfG noch dass sie den Abschluss<br />

der Nachsorgephase im Sinne von § 36 Abs. 5 KrW-/AbfG<br />

festgestellt hat. Stillgelegte Deponien im Sinne des § 36 Abs. 2 S. 1,<br />

Abs. 1 KrW-/AbfG sind demnach Deponien, auf denen dauerhaft<br />

und nicht nur vorübergehend keine Abfälle mehr abgelagert werden.<br />

32 <strong>Das</strong>s der Zeitpunkt der behördlichen Feststellung des Abschlusses<br />

der Nachsorgephase nicht maßgeblich sein kann, ergibt<br />

sich bereits daraus, dass sich die Nachsorgephase an den Zeitpunkt<br />

des Abschlusses der Stilllegung im Sinne einer endgültigen Stilllegung<br />

anschließt. Es kann deshalb nicht ernstlich bezweifelt werden,<br />

dass es sich bei Deponien, die sich bereits in der Nachsorgephase<br />

befinden, um stillgelegte Deponien im Sinne des § 36 Abs. 2<br />

S. 2 KrW-/AbfG handelt. Hinzu kommt, dass bei einer auf den Zeitpunkt<br />

des Abschlusses der Nachsorgephase abstellenden Sichtweise<br />

die vom Gesetzgeber beabsichtigte, möglichst frühzeitige Anwendung<br />

des BBodSchG auf Altablagerungen weitestgehend vereitelt<br />

würde. Denn die Nachsorgephase wird vom Gesetzgeber –<br />

wie sich aus § 36 d Abs. 1 S. 1 KrW-/AbfG ergibt – auf einen Zeitraum<br />

von mindestens dreißig Jahren nach dem Abschluss der Stillegung<br />

geschätzt. Wie bereits erwähnt kann nach Ansicht des Umweltrates<br />

bei Hausmülldeponien unter Umständen erst nach über<br />

100 Jahren anfallendes Sickerwasser wegen der bis dahin stattfindenden<br />

Auslaugung des Deponiekörpers in ein Gewässer eingeleitet<br />

werden. Da es bis dahin einer Nachsorge hinsichtlich der Sickerwasserfassung<br />

bedarf, könnte das BBodSchG auf sehr lange, unabsehbare<br />

Zeit nicht zur Anwendung kommen, wenn man <strong>als</strong><br />

stillgelegte Deponie lediglich solche Anlagen ansehen würde, für<br />

die behördlich der Abschluss der Nachsorgephase festgestellt worden<br />

ist. <strong>Das</strong> war offensichtlich vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt.<br />

Aber auch der Zeitpunkt der behördlichen Feststellung der endgültigen<br />

Stilllegung der Deponie dürfte für die Eröffnung des Anwendungsbereichs<br />

des BBodSchG über § 36 Abs. 2 S. 2 KrW-/AbfG<br />

letztlich jedenfalls im Sinne eines vollständigen Rechtsregimewechsels<br />

nicht maßgeblich sein. Der Wortlaut des § 36 Abs. 2 S. 2<br />

KrW-/AbfG spricht nicht von einer »endgültigen Stilllegung«, sondern<br />

von einer »stillgelegten Deponie nach § 36 Abs. 1«. Die in § 36<br />

Abs. 1 KrW-/AbfG geregelte Verpflichtung, eine beabsichtigte Stilllegung<br />

anzuzeigen, bezieht sich jedoch auf die beabsichtigte Einstellung<br />

des Ablagerungsbetriebs und nicht auf den Abschluss der<br />

Stilllegung nach Durchführung von Stilllegungsmaßnahmen im<br />

Sinne von § 36 Abs. 3 KrW-/AbfG. Denn es würde keinen Sinn machen,<br />

die Anzeigepflicht nach § 36 Abs. 1 S. 1 KrW-/AbfG auf den<br />

Zeitpunkt zu beziehen, zu dem die Stillegungsmaßnahmen abgeschlossen<br />

sind. Diese sollen, soweit erforderlich, von der Behörde<br />

aus Anlass der Stilllegungsanzeige erst noch angeordnet werden.<br />

Der Wortlaut des § 36 Abs. 2 S. 2 KrW-/AbfG setzt somit für die Stilllegungsanzeige<br />

eine Deponie voraus, deren Ablagerungsbetrieb<br />

eingestellt werden soll.<br />

Hinzu kommt die Systematik der Stilllegungsregelungen des § 36<br />

Abs. 1 und 2 KrW-/AbfG. Der Gesetzgeber ging von der Vorstellung<br />

28 Siehe dazu die gute Übersicht bei Thärichen, Fn. 4, AbfallR 2004, 55 (58).<br />

29 OVG Weimar, Urt. v. 11.6. 2001 – 4 KO 52/97, NuR 2002, 172 (174); Plogmann,<br />

Fn. 4, UPR 2002, 432; v. Lersner, Fn. 18, § 36 KrW-/AbfG, Rn. 11; Schoeneck,<br />

Fn. 19, § 36 Rn. 31; Gaßner/Siederer (Hrsg.), Handbuch Recht und Praxis<br />

der Abfallwirtschaft, Rn. 323; VG Regensburg, Urt. v. 6.3.2003 – RO 7 K<br />

01.1236.<br />

30 Vgl. dazu Sondermann/Knorpp, Die Deponieverordnung, ZUR 2003, 198 (200);<br />

Klett, Fn. 4, AbfallR 2003, 23 (29); Thärichen, Fn. 4, AbfallR 2004, 55 (58 ff.).<br />

31 Paetow, Fn. 8, § 36 Rn. 26 f.; Schäfer, Fn. 4, NuR 2001, 429 (432); ders., Fn. 4,<br />

NVwZ 2001, 1133.<br />

32 Schoeneck, Fn. 19, § 36 Rn. 31; Paetow, Fn. 8, § 36 Rn. 10.<br />

ZUR 1/2005 | 13


AUFSÄTZE | Beckmann/Hagmann, Stillegung, Rekultivierung und Nachsorge von Deponien<br />

aus, dass die Stilllegung und Nachsorge einer Deponie grundsätzlich<br />

bereits in der abfallrechtlichen Planfeststellung geregelt sind.<br />

<strong>Das</strong> ergibt sich daraus, dass die zuständige Behörde nach § 36 Abs.<br />

2 S. 1 KrW-/AbfG weitere Stilllegungsmaßnahmen nur anordnen<br />

darf, soweit entsprechende Regelungen in der abfallrechtlichen<br />

Deponiezulassung noch nicht enthalten sind. Der abfallrechtliche<br />

Planfeststellungsbeschluss regelt die Errichtung und den Betrieb einer<br />

Deponie grundsätzlich einschließlich der für die Stilllegung<br />

und Nachsorge erforderlichen Maßnahmen. Die Stillegungsanzeige<br />

des Deponiebetreibers bereits vor dem Ende der Ablagerung soll<br />

der zuständigen Behörde Gelegenheit geben, sich zu vergewissern,<br />

ob die mit dem Planfeststellungsbeschluss bereits angeordneten<br />

Maßnahmen für die Stilllegung und Nachsorge ausreichend sind<br />

oder nachgebessert werden müssen. Gegebenenfalls sollen noch<br />

nach der Stilllegungsanzeige, jedoch vor der Stilllegung die entsprechenden<br />

Anordnungen getroffen werden. § 20 Abs. 3 S. 1 DepV<br />

verlangt eine Stilllegungsanzeige mindestens ein Jahr vor dem Ende<br />

der Ablagerungsphase. <strong>Das</strong> sichert der Behörde einen ausreichenden<br />

Zeitraum für rechtzeitige Stilllegungsanordnungen noch<br />

vor dem Ende der Ablagerung. Stellt sich erst nach dem Ende der<br />

Ablagerung heraus, dass trotz der Anordnungen des Planfeststellungsbeschlusses<br />

bzw. des diesen ergänzenden Stilllegungsbeschlusses<br />

von der Deponie schädliche Bodenveränderungen oder<br />

sonstige Gefahren ausgehen, soll nach § 36 Abs. 2 S. 2 KrW-/AbfG<br />

das BBodSchG zur Anwendung kommen.<br />

Dieses Ergebnis entspricht auch den Gesetzesmaterialien zur Änderung<br />

des § 36 Abs. 2 KrW-/AbfG. 33 Denn mit der Einführung des<br />

§ 36 Abs. 2 S. 2 KrW-/AbfG durch Art. 2 des Gesetzes zum Schutz<br />

des Bodens vom 17.3.1998 wollte der Gesetzgeber den Grundsatz<br />

der abfallrechtlichen Nachsorge für Abfallentsorgungsanlagen<br />

nicht verändern. Er wollte jedoch sicherstellen, dass bei Deponien,<br />

deren Betrieb eingestellt worden ist und die altlastenverdächtig<br />

sind, die Vorschriften des BBodSchG Anwendung finden. In den<br />

Gesetzesmaterialien ist ein ausdrücklicher Hinweis darauf enthalten,<br />

dass die Schnittstelle zwischen der Anwendung des KrW-/AbfG<br />

und des BBodSchG »die Einstufung <strong>als</strong> altlastenverdächtige Fläche<br />

bildet« (BT-Drs. 13/6701, S. 47). Insoweit enthalten die Gesetzesmaterialien<br />

die Aussage, dass es dem Gesetzgeber für eine Anwendung<br />

des Bodenschutzrechts maßgeblich auf die Einstufung <strong>als</strong><br />

altlastenverdächtigte Fläche ankommt und nicht auf das formale<br />

Kriterium des Abschlusses von Stilllegungsmaßnahmen. Dies hat<br />

sich jedenfalls bezogen auf die Anwendbarkeit des BBodSchG<br />

durch den neu eingefügten § 36 Abs. 3 KrW-/AbfG grundsätzlich<br />

nicht geändert. Die Änderung des § 36 Abs. 2 S. 1 KrW-/AbfG diente<br />

der Umsetzung des Art. 13 Deponierichtlinie und sollte lediglich<br />

klarstellen, dass die Behörde im Rahmen der Stilllegungsverfahren<br />

die Einhaltung der Sanierungs- und Rekultivierungspflicht sicherzustellen<br />

hat. § 36 Abs. 2 KrW-/AbfG sollte unverändert bleiben. 34<br />

Auch § 36 Abs. 3 KrW-/AbfG dient der Umsetzung von Art. 13 b<br />

Deponierichtlinie. Danach ist eine Deponie nur dann <strong>als</strong> »endgültig<br />

stillgelegt« anzusehen, wenn die zuständige Behörde eine<br />

Schlussabnahme durchgeführt, alle vom Betreiber vorgelegten Berichte<br />

einer Bewertung unterzogen und dem Betreiber ihre Zustimmung<br />

für die Stilllegung erteilt hat. Diese in der Deponierichtlinie<br />

vorgesehene Zustimmung für eine endgültige Stilllegung<br />

gestaltet § 36 Abs. 3 KrW-/AbfG <strong>als</strong> einen feststellenden Verwaltungsakt<br />

aus. Darin erschöpft sich der Regelungsgehalt des § 36<br />

Abs. 3 KrW-/AbfG. Eine weitergehende Änderung des § 36 KrW-<br />

/AbfG war nicht beabsichtigt. Insbesondere war nicht beabsichtigt,<br />

die Anwendbarkeit des BBodSchG von dem Erlass eines förmlichen<br />

Stilllegungsbescheides abhängig zu machen. Daher verbleibt es<br />

auch nach geltender Rechtslage bei der Anwendung des Bodenschutzrechts,<br />

wenn bei einer Deponie, deren Ablagerungsbetrieb<br />

eingestellt worden ist, ein Altlastenverdacht besteht.<br />

Auch Sinn und Zweck der Vorschrift sprechen dafür, die Anwendbarkeit<br />

des BBodSchG nicht von einem förmlichen Bescheid mit der<br />

Feststellung der endgültigen Stilllegung abhängig zu machen. Denn<br />

das die Altlastenproblematik bundeseinheitlich regelnde BBodSchG<br />

soll Anwendung finden, wenn der Verdacht besteht, dass von einer<br />

Deponie schädliche Bodenveränderungen oder sonstige Gefahren<br />

für die Umwelt ausgehen. Gerade auch stillgelegte Deponien, von<br />

denen Gefahren für Mensch und Umwelt ausgehen, sollen seinem <strong>als</strong><br />

umfassend verstandenen Handlungsinstrumentarium unterworfen<br />

sein und die altlastenbedingten Gefahren sollen in ihrer Gesamtheit<br />

erfasst und sachgerecht bewältigt werden. 35 Diese Gesetzessystematik<br />

muss unabhängig davon gelten, ob ein die endgültige Stilllegung<br />

feststellender Verwaltungsakt ergangen ist oder nicht.<br />

2. Bestehen eines Altlastenverdachtes<br />

Ferner setzt § 36 Abs. 2 S. 2 KrW-/AbfG das Bestehen eines Altlastenverdachtes<br />

für die Anwendbarkeit des BBodSchG voraus. Altlastenverdächtige<br />

Flächen sind nach der Legaldefinition des § 2<br />

Abs. 5 und 6 BBodSchG u.a. stillgelegte Deponien, bei denen der<br />

Verdacht schädlicher Bodenveränderungen oder sonstiger Gefahren<br />

für den einzelnen oder die Allgemeinheit bestehen. Somit<br />

genügt vom Wortlaut des § 36 Abs. 2 Satz 2 KrW-/AbfG für das Eingreifen<br />

der bodenrechtlichen Bestimmungen der bloße Verdacht<br />

schädlicher Bodenveränderungen oder Altlasten. Auch nach Auffassung<br />

des OVG Münster ist das Bodenschutzrecht beim Verdacht<br />

einer Altlast anwendbar. Im Übrigen gilt ein Erst–Recht–Schluss:<br />

Wenn schon bei einer altlastenverdächtigen Fläche das BBodSchG<br />

eingreift, gilt dies erst recht bei einer Altlast. 36 Nach Auffassung des<br />

OVG Weimar liegt ein Altlastenverdacht vor, wenn die Schwelle einer<br />

konkreten Gefahr entsprechend § 9 Abs. 2 BBodSchG erreicht<br />

wird. Danach müssen konkrete Anhaltspunkte bestehen, die den<br />

hinreichenden Verdacht einer schädlichen Bodenveränderungen<br />

oder sonstiger Gefahren begründen. 37<br />

II. Folgen einer Anwendbarkeit des BBodSchG<br />

Die Anwendbarkeit des BBodSchG führt hinsichtlich der Sanierung<br />

und Nachsorge von Deponien zu verschiedenen Konsequenzen hinsichtlich<br />

der möglichen Adressaten einer Inanspruchnahme, hinsichtlich<br />

möglicher Ausgleichsansprüche und hinsichtlich der materiell-rechtlichen<br />

Voraussetzungen einer Inanspruchnahme. <strong>Das</strong> Bodenschutzrecht<br />

setzt anders <strong>als</strong> die abfallrechtlichen Stilllegungs- und<br />

Nachsorgepflichten für die Durchführung von Gefahrenabwehr- und<br />

Sanierungsmaßnahmen das Überschreiten einer Gefahrenschwelle<br />

voraus. Nicht zuletzt sind für die abfallrechtliche Überwachung der<br />

Altdeponie und des Vollzugs des BBodSchG regelmäßig unterschiedliche<br />

Behörden zuständig. Die Anwendbarkeit des BBodSchG bedeutet<br />

allerdings seit der Neuregelung im Jahre 2001 nicht mehr, dass abfallrechtliche<br />

Bestimmungen im Zeitpunkt der Anwendbarkeit keine<br />

Rolle mehr zu spielen hätten, dass <strong>als</strong>o mit dem Zeitpunkt der Stilllegung<br />

der Deponie ein vollständiger Wechsel des Rechtsregimes vom<br />

Abfallrecht hin zum Bodenschutzrecht stattfinden könnte.<br />

1. Weitergeltung abfallrechtlicher Regelungen<br />

<strong>Das</strong> OVG Münster hatte noch in einem Urteil vom 16.11.2000 zur<br />

damaligen Rechtslage ausgeführt, aus dem Ineinandergreifen der<br />

33 Plogmann, Fn. 4, UPR 2002, 432 (433).<br />

34 Plogmann, Fn. 4, UPR 2002, 432 (433).<br />

35 BT-Drs. 13/6701; Plogmann, Fn. 4, UPR 2002, 432 (433 f.); OVG Münster, Urt.<br />

v. 16.11.2000 -20 A 1774/99, NVwZ 2001, 1186 (1187); OVG Weimar, Urt. v.<br />

11.6. 2001 – 4 KO 52/97, NuR 2002, 172 (173).<br />

36 OVG Münster, Urt. v. 16.11.2000 -20 A 1774/99, NVwZ 2001, 1186 (1187,<br />

1188).<br />

37 OVG Weimar, Urt. v. 11.6. 2001 – 4 KO 52/97, NuR 2002, 172 (175).<br />

14 | ZUR 1/2005


Beckmann/Hagmann, Stillegung, Rekultivierung und Nachsorge von Deponien | AUFSÄTZE<br />

bodenschutzrechtlichen und deponierechtlichen Vorschriften ergebe<br />

sich, dass das KrW-/AbfG Einwirkungen auf den Boden und sonstige<br />

Gefahren für den Einzelnen oder die Allgemeinheit, die sich<br />

nach der Stilllegung einer Deponie ergäben, nicht mehr regele. 38 Die<br />

Stilllegung der Deponie bilde in Bezug auf diese Gefahren einen<br />

Schnittpunkt zwischen dem Regime des Abfallrechts und demjenigen<br />

des Bodenschutzrechts. <strong>Das</strong> BBodSchG solle das Problem der Altlasten<br />

bundeseinheitlich regeln. Gerade auch stillgelegte Deponien,<br />

von denen Gefahren für Mensch und Umwelt ausgingen, sollten seinem<br />

<strong>als</strong> umfassend verstandenen Handlungsinstrumentarium unterworfen<br />

sein. Die altlastenbedingten Gefahren sollten in ihrer Gesamtheit<br />

erfasst und sachgerecht bewältigt werden. Nach anderer<br />

Auffassung ist mit dem Eingreifen der bodenschutzrechtlichen Vorschriften<br />

durch den Verweis in § 36 Abs. 2 Satz 2 KrW-/AbfG kein<br />

vollständiger Rechtsregimewechsel verbunden. 39 Der Anwendungsvorrang<br />

des Bodenschutzrechts nach § 36 Abs. 2 S. 2 KrW-/AbfG umfasse<br />

nicht sämtliche Maßnahmen im Zusammenhang mit einer<br />

stillgelegten Deponie, sondern nur Maßnahmen zur Erfassung, Untersuchung,<br />

Bewertung und Sanierung, die sich auf die bestehenden<br />

oder drohenden schädlichen Bodenveränderungen oder sonstige<br />

Gefahren bezögen. § 36 Abs. 2 S. 2 KrW-/AbfG schließe daher die Anwendung<br />

des Abfallrechts nur insoweit aus, <strong>als</strong> es um Sanierungsmaßnahmen<br />

im Sinne von § 2 Abs. 7 BBodSchG gehe. Die abfallrechtliche<br />

Befugnis zur Anordnung von Rekultivierungsmaßnahmen<br />

bleibe vom Vorrang des Bodenschutzrechts unberührt. 40<br />

Überwiegendes dürfte in der Tat dafür sprechen, dass ein vollständiger<br />

Rechtsregimewechsel vom KrW-/AbfG zum BBodSchG<br />

auf der Grundlage des § 36 Abs. 2 S. 2 KrW-/AbfG, wie ihn noch<br />

das OVG Münster allerdings auf der Grundlage der alten Rechtslage<br />

zutreffend im Auge hatte, nicht stattfindet. Ausgangspunkt für<br />

die Frage, inwieweit Bestimmungen des KrW-/AbfG durch Regelungen<br />

des BBodSchG bei der Stilllegung, Sanierung und Nachsorge<br />

von Deponien durch Vorschriften des BBodSchG abgelöst werden,<br />

ist § 3 Abs. 1 Nr. 2 BBodSchG. Danach tritt das Bodenschutzrecht<br />

zurück, soweit Vorschriften des KrW-/AbfG über die<br />

Zulassung und den Betrieb von Abfallbeseitigungsanlagen sowie<br />

über die Stilllegung von Deponien Einwirkungen auf den Boden regeln.<br />

<strong>Das</strong> BBodSchG geht von einem Anwendungsvorrang des Deponierechts<br />

aus, soweit dieses Einwirkungen auf den Boden regelt.<br />

§ 36 Abs. 2 S. 2 KrW-/AbfG regelt hierzu eine Rückausnahme. Allerdings<br />

kann § 36 Abs. 2 S. 2 KrW-/AbfG nicht isoliert gesehen werden.<br />

Denn der Gesetzgeber hat durch weitere Regelungen im KrW-<br />

/AbfG keinen Zweifel daran gelassen, dass trotz der Rückausnahme<br />

des § 36 Abs. 2 S. 2 KrW-/AbfG und des Verweises auf das<br />

BBodSchG auch weiterhin jedenfalls bestimmte Regelungen des<br />

KrW-/AbfG weiterhin Anwendung finden sollen. <strong>Das</strong> gilt offensichtlich<br />

für die Regelungen des § 36 Abs. 3 und Abs. 5 KrW-/AbfG,<br />

aber auch für die auf Ermächtigungsgrundlagen des § 36 c KrW-<br />

/AbfG gestützten Regelungen der DepV über die Stilllegung und<br />

Nachsorge von Deponien. Hinzu kommt, dass das BBodSchG angesichts<br />

seiner auf den Bodenschutz gerichteten Zweckrichtung eine<br />

Vielzahl von Fragen, die sich im Zusammenhang mit der Stilllegung<br />

und Nachsorge von Deponien stellen, nicht regelt. <strong>Das</strong> betrifft<br />

z.B. Fragen des landschaftsrechtlichen Eingriffsausgleichs und<br />

der Rekultivierung. Es findet insoweit kein vollständiger Wechsel<br />

des Rechtsregimes vom Abfallrecht zum Bodenschutzrecht statt,<br />

wie er möglicherweise ursprünglich im Jahre 1998 bei der Neuregelung<br />

des § 36 Abs. 2 S. 2 KrW-/AbfG beabsichtigt war. Diese Intention<br />

eines vollständigen Wechsels zum BBodSchG sollte oder<br />

konnte vom Gesetzgeber mit den Neuregelungen des § 36 KrW-<br />

/AbfG und der DepV im Zusammenhang mit der Umsetzung der<br />

Deponierichtlinie nicht aufrechterhalten werden, weil die Deponierichtlinie<br />

eine abfallrechtliche Überwachung der Deponie auch<br />

für die Stilllegungs- und Nachsorgephase verlangt.<br />

2. Ausgleichsansprüche nach § 24 Abs. 2 BBodSchG<br />

Soweit Deponien in der Vergangenheit nacheinander von verschiedenen<br />

Inhabern betrieben worden sind, die an der Verursachung<br />

einer schädlichen Bodenveränderung mitgewirkt haben,<br />

können sich bei einer Inanspruchnahme auf der Grundlage des<br />

BBodSchG gem. § 24 Abs. 2 BBodSchG Ausgleichsansprüche ergeben,<br />

die dem <strong>als</strong> letzten Deponieinhaber nach den Vorschriften des<br />

KrW-/AbfG in Anspruch genommenen Deponiebetreiber bis dahin<br />

nicht zustanden. Nicht zuletzt hat mit Inkrafttreten des BBodSchG<br />

das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht <strong>als</strong> Grundlage eines<br />

ordnungsrechtlichen Einschreitens zur Beseitigung von Gefahren,<br />

die von stillgelegten Deponien ausgehen, grundsätzlich ausgedient,<br />

jedenfalls soweit es um Gefahren geht, deren Vermeidung<br />

und Beseitigung Regelungsgegenstand des BBodSchG ist. 41<br />

3. Adressaten einer Sanierungsanordnung<br />

Die Anwendung des BBodSchG betrifft einerseits materielle Maßstäbe<br />

der Sanierung und Nachsorge, nämlich das »Ob« und das<br />

»Wie« einer solchen Sanierung oder Nachsorge sowie der Planung<br />

derartiger Maßnahmen. Andererseits ergibt sich aus der Eröffnung<br />

des Anwendungsbereichs des BBodSchG in § 36 Abs. 2 S. 2 KrW-<br />

/AbfG auch ein anderer Maßstab für die Frage, wer für die Sanierung<br />

und Nachsorge in Anspruch zu nehmen ist. Der Verweis des<br />

§ 36 Abs. 2 S. 2 KrW-/AbfG auf das BBodSchG führt dazu, dass nicht<br />

notwendigerweise der Inhaber der Deponie, sondern der in § 4 Abs.<br />

3 BBodSchG genannte Personenkreis <strong>als</strong> Adressat einer Nachsorgeanordnung<br />

in Betracht zu ziehen ist. Auch einen abstrakten Vorrang<br />

der Inanspruchnahme des Deponiebetreibers kann es im Geltungsbereich<br />

des BBodSchG nicht geben. Gleichwohl dürfte die<br />

personelle Verantwortung des Inhabers der stillgelegten Deponie<br />

für die Stilllegung und Nachsorge regelmäßig bei der Störerauswahl<br />

viel dafür sprechen dürfte, auf den Deponiebetreiber zuzugehen. 42<br />

Hinsichtlich des gefährdeten Schutzguts enthält § 36 Abs. 2 S. 2<br />

KrW-/AbfG in seinen objektiven Voraussetzungen zwei Alternativen.<br />

Die erste Möglichkeit besteht darin, dass von einer stillgelegten<br />

Deponie der Verdacht einer schädlichen Bodenveränderung<br />

ausgeht. Schädliche Bodenveränderungen sind gem. § 2 Abs. 3<br />

BBodSchG Beeinträchtigungen der Bodenfunktionen, die geeignet<br />

sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen<br />

für den Einzelnen oder die Allgemeinheit herbeizuführen.<br />

Zum anderen verweist § 36 Abs. 2 S. 2 KrW-/AbfG auf das BBod-<br />

SchG, wenn der Verdacht besteht, dass von einer stillgelegten Deponie<br />

sonstige Gefahren für den Einzelnen oder die Allgemeinheit<br />

ausgehen.<br />

Prof. Dr. Martin Beckmann und Dr. Joachim Hagmann<br />

Die Verfasser sind Sozien und Fachanwälte für Verwaltungsrecht der<br />

Rechtsanwälte Baumei-ster, Piusallee 8, 48147 Münster.<br />

Sie sind unter anderem auf abfallrechtliche und bodenschutzrechtliche<br />

Mandate spezialisiert.<br />

38 OVG Münster, Urt. v. 16.11.2000 – 20 A 1774/99, NVwZ 2001, 1186 ff.; im Ergebnis<br />

wohl auch VGH München, Beschl. v. 9.7.2003 – 20 CS 03.103, NVwZ<br />

2003, 1281 ff.; zustimmend Frenz, Fn. 4, UPR 2002, 201 (205).<br />

39 Vgl. OVG Weimar, Urt. v. 11.6.2001 -4 KO 52/97, NuR 2002, 172 ff.; Thärichen,<br />

Fn. 4, AbfallR 2004, 55 (60); Gaßner/Siederer, Fn. 28, Rn. 321 f.; Schäfer,<br />

Fn. 4, NVwZ 2001, 1133.<br />

40 So: Gaßner/Siederer, Fn. 29, Rn. 322; in ähnlichem Sinne Frenz, Fn. 4, UPR<br />

2002, 201 (205).<br />

41 BVerwG, Urt. v. 15.6.2000 – 3 C 2.00, NuR 2000, 689; OVG Weimar, Urt. v.<br />

11.6.2001 – 4 KO 52/97, NuR 2002, 172 (173); OVG Münster, Urt. v.<br />

16.11.2000 – 20 A 1774/99, NVwZ 2001, 1186 (1187).<br />

42 Sondermann/Knorpp, Fn. 30, ZUR 2003, 198 (202), gehen dagegen davon aus,<br />

dass eine Inanspruchnahme zu Durchführung bodenschutzrechtlicher Maßnahmen<br />

ausschließlich gegen den Betreiber der Anlage gerichtet werden<br />

können.<br />

ZUR 1/2005 | 15


AUFSÄTZE | Koch/Ziehm, Schiffssicherheit und Meeresumweltschutz<br />

Hans-Joachim Koch/Cornelia Ziehm<br />

Schiffssicherheit und Meeresumweltschutz*<br />

Die EU sollte im Bereich der Schiffssicherheit fortsetzen, was sie insbesondere<br />

mit den sog. »Erika«-Maßnahmepaketen begonnen hat. Sie sollte<br />

mit den ihr zur Verfügung stehenden Instrumenten auf eine konsequente<br />

Durchsetzung international vereinbarter Schiffssicherheitsstandards<br />

in den neuen wie in den alten Mitgliedstaaten drängen. Außerdem<br />

sollte sie nicht zögern, gegebenenfalls durch regionale Normsetzung eine<br />

Anstoßfunktion gegenüber dem internationalen Recht wahrzunehmen<br />

und zu dessen Weiterentwicklung beizutragen. Von maßgeblicher Bedeutung<br />

ist es allerdings auch, Fragen der Schiffssicherheit in die gegenwärtige<br />

Entwicklung einer europäischen Meeresschutzstrategie einzubeziehen.<br />

Die Chance, die Meeresschutzstrategie zu einem Beispiel wirklicher<br />

Umweltschutzintegration werden zu lassen, sollte nicht vertan<br />

werden.<br />

A. Handlungsbedarf<br />

Die Straße von Dover sowie die Schifffahrtsstraßen vor den deutschen<br />

Küsten gehören schon heute mit zu den weltweit am stärksten<br />

befahrenen. Dies gilt für die Deutsche Bucht und die Einfahrt<br />

zum Hamburger Hafen genauso wie für die Ein- und Ausfahrt des<br />

Nord-Ostseekan<strong>als</strong> und die in der Ostsee südlich vom dänischen<br />

Gedser gelegene Kadetrinne. Allein der Transitverkehr in der Nordsee<br />

umfasst etwa 48.000 Schiffsbewegungen pro Jahr, der Transitverkehr<br />

in der Ostsee wird auf ca. 30.000 Bewegungen jährlich geschätzt.<br />

1 Die Welthandelsflotte expandierte im Zeitraum von 1990<br />

bis 2000 von einer Bruttoraumzahl (BRZ) von etwa 426 Mio. BRZ<br />

auf 558 Mio. BRZ. 2 <strong>Das</strong> entspricht einem Wachstum von 31 %. Die<br />

Öltankerflotte nahm von 232 Mio. TDW (Tragfähigkeitstonnage)<br />

Anfang 1989 auf 305 Mio. TDW Anfang 2003 zu, wobei das Durchschnittsalter<br />

der Tankschiffflotte von 17,5 Jahren in 1999 auf 18,3<br />

Jahre Anfang 2003 stieg. 3 Bereits vor der Osterweiterung der EU erfolgten<br />

90 % des Erdölhandels mit der EU über den Seeweg. 70 %<br />

der Erdöleinfuhren der Union wurden an der bretonischen Küste<br />

entlang und durch den Ärmelkanal transportiert. 4 8.200 Tanker<br />

fuhren durchschnittlich jährlich durch die Kadetrinne. 800 Mio. t<br />

Erdöl wurden über Gemeinschaftshäfen umgeschlagen. 5<br />

Der Seeverkehr wird in den nächsten Jahren noch weiter ansteigen.<br />

<strong>Das</strong> wirtschaftliche Wachstum insbesondere in der Ostseeregion<br />

infolge des Beitritts der baltischen Staaten und Polens zur EU<br />

wird zu erhöhtem Schiffsverkehr und damit zu zusätzlichen Sicherheits-<br />

und Verschmutzungsrisiken führen. Helcom etwa geht<br />

von einer Zunahme des Risikos schwerer Ölunfälle in der Ostsee<br />

um 25 % aus. 6<br />

B. Schiffssicherheit und Meeresumweltschutz – neue Politikbereiche<br />

der EU<br />

Die Havarien insbesondere der »Erika« 1999 vor der Bretagne und<br />

der »Prestige« 2002 vor der galizischen Küste Spaniens und die katastrophalen<br />

Auswirkungen dieser Unfälle für Mensch und Umwelt<br />

sind in eindringlicher Erinnerung. Die Relevanz der Schiffsicherheit<br />

für den Meeresumweltschutz ist evident. Gleichwohl sind der<br />

Schutz der Meere und Fragen der Schiffssicherheit auf Gemeinschaftsebene<br />

lange Zeit nicht bzw. nur ansatzweise behandelt worden:<br />

I. Schiffssicherheit<br />

Die EU-Kommission war zwar bereits nach der Katastrophe der<br />

»Amoco Cadiz« im Jahr 1978 vor der Bretagne von den Mitgliedstaaten<br />

aufgefordert worden, Maßnahmen zur Überwachung und<br />

Verringerung der Ölverschmutzung der Meere zu unterbreiten. In<br />

der Folge wurden auch ehrgeizige Vorschläge erarbeitet. Herausgekommen<br />

sind schließlich jedoch lediglich einfache Erklärungen<br />

oder Entschließungen, welche die Mitgliedstaaten veranlassen sollten,<br />

vorhandene internationale Übereinkommen zu ratifizieren.<br />

Die seinerzeitige Aktivität verwundert wenig, ist doch bei den Mitgliedstaaten<br />

die Tendenz auszumachen, zwingende Regelungen<br />

überhaupt vermeiden zu wollen, sobald sich der von einem Schiffsunfall<br />

ausgehende Impuls abgeschwächt hat. 7 Hinzukommen<br />

Vorbehalte der Mitgliedstaaten gegen eine »Vergemeinschaftung«<br />

der Meere auf Grund dadurch befürchteter eigener nationaler Kompetenzverluste.<br />

8 An der Befugnis der EU zur Etablierung einer gemeinschaftlichen<br />

Schiffssicherheitspolitik kann indes in Anbetracht<br />

von Art. 71 Abs. 1 lit.b, 80 Abs. 2 EG und der Bestimmungen<br />

über die transeuropäischen Netze kein Zweifel bestehen.<br />

Mit der 1993 vom Rat verabschiedeten Entschließung über »Eine<br />

gemeinsame Politik im Bereich der Sicherheit im Seeverkehr« 9<br />

wurde schließlich auch der Grundstein für eine eigentliche europäische<br />

Schiffssicherheitspolitik gelegt. Die in der Folge dieser<br />

Entschließung ergangenen Gemeinschaftsregelungen wurden in<br />

* Dem Beitrag liegt ein Vortrag zugrunde, der im Rahmen der Veranstaltung »30<br />

Years E.C. Environmental Law« am 24.9.2004 in Bremen gehalten wurde.<br />

1 Brenk, Verschmutzung der Nord- und Ostsee durch die Seeschifffahrt, in: Lozán/Rachor/Reise/Sündermann/Westernhagen<br />

(Hrsg.), Warnsignale aus<br />

Nordsee und Wattenmeer, 2003, S. 107.<br />

2 Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH), Verkehrsweg. Online im<br />

Internet: http://www.bsh.de/de/Meeresnutzung/Wirtschaft/Verkehrsweg/index.jsp.<br />

3 Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik, 2003, Executive Summary –<br />

SSMR Market Analysis No. 1/2. World merchant fleet, OECD Shipping and<br />

Shipbuilding. Online im Internet: http://www.isl.org/products_services/publications/pdf/Fleet_short.pdf;<br />

Verband für Schiffbau und Meerestechnik,<br />

2003, Entwicklung der Weltschifffahrt und des Weltschiffbaus 1998. Online<br />

im Internet: http://www.vsm.de/ftp/JB98ii.pdf.<br />

4 EU-Kommission, Mitteilung vom 21.3.2000 an das Europäische Parlament<br />

und den Rat über die Sicherheit des Erdöltransports zur See, KOM(2000) 142<br />

endg.; dies., Mitteilung vom 6.12.2000 an das Europäische Parlament und<br />

den Rat über ein zweites Paket von Maßnahmen der Gemeinschaft für die<br />

Sicherheit der Seeschifffahrt im Anschluss an den Untergang des Öltankschiffs<br />

Erika, KOM(2000) 802 endg.<br />

5 S. ausführlich auch Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU), Sondergutachten<br />

»Meeresumweltschutz für Nord- und Ostsee«, 2004, BT-Drs.15/2626,<br />

Tz. 105 f., 194 f., 359.<br />

6 Helcom, Newsletter 1/2003, S. 4.<br />

7 EU-Kommission, Mitteilung vom 21.3.2000 an das Europäische Parlament<br />

und den Rat über die Sicherheit des Erdöltransports zur See, KOM(2000) 142<br />

endg., S. 4.<br />

8 Vitzthum, Sicherheit im Seeverkehr – völker- und europarechtliche Entwicklungslinien,<br />

in: Ehlers/Erbguth (Hrsg.), Aktuelle Entwicklungen im Seerecht<br />

II (Dokumentation der Rostocker Gespräche zum Seerecht 2000-2002) 2003,<br />

S. 61, 74; Krämer, E. C. Environmental Law, 5. Aufl. 2003, S. 265; Erbguth/Jenisch/Herma/Keller,<br />

Maritime Sicherheit im Ostseeraum 2002, Endbericht, in:<br />

Landtag Mecklenburg-Vorpommern, Maritime Sicherheit im Ostseeraum, Bd.<br />

2, 2002, S. 257; Nollkaemper, The External Competences of the European<br />

Community with Regard to Marine Pollution from Maritime Transport: the<br />

Frail Legal Support for Grand Ambitions, in: Ringbom (Hrsg.), Competing<br />

Norms in the Law of Marine Environmental Protection, 1997, S. 169; Bothe,<br />

Versuch einer Bilanz. Ratifizierungs-, Durchsetzungs-, Ausfüllungs- und Überwachungsdefizite,<br />

in: Koch/Lagoni (Hrsg.), Meeresumweltschutz für Nordund<br />

Ostsee, 1996, S. 329 ff.; Cron, <strong>Das</strong> Umweltregime der Nordsee – völkerund<br />

europarechtliche Aspekte, 1995, S. 167 f.; Frees, Maßnahmen und rechtliche<br />

Möglichkeiten der Europäischen Gemeinschaft zur Bekämpfung und<br />

Verhütung von Öltankerunfällen vor ihren Küsten, NuR 1992, 1 (18).<br />

9 Entschließung vom 8. Juni 1993, ABl. EG 1993, Nr. C 271/1.<br />

16 | ZUR 1/2005


Koch/Ziehm, Schiffssicherheit und Meeresumweltschutz | AUFSÄTZE<br />

erster Linie <strong>als</strong> Umsetzung internationaler Vorgaben verstanden. 10<br />

Zu diesen Gemeinschaftsregelungen zählen insbesondere<br />

– die Richtlinie 93/75/EG über Mindestanforderungen an Schiffe,<br />

die Seehäfen der Gemeinschaft anlaufen oder aus ihnen auslaufen<br />

und gefährliche Stoffe oder umweltschädliche Güter befördern,<br />

11<br />

– die Richtlinie 94/57/EG über gemeinsame Vorschriften und<br />

Normen für Schiffsüberprüfungs- und -besichtigungsorganisationen<br />

und die einschlägigen Maßnahmen der Seebehörden, 12<br />

– die Richtlinie 95/21/EG zur Durchsetzung internationaler Normen<br />

für die Schiffssicherheit, die Verhütung von Verschmutzung<br />

und die Lebens- und Arbeitsbedingungen an Bord von<br />

Schiffen, die Gemeinschaftshäfen anlaufen und in Hoheitsgewässern<br />

der Mitgliedstaaten fahren (Hafenstaatkontrolle). 13<br />

Eine eigene Initiativfunktion übernahm die EU im Bereich der<br />

Schiffssicherheit erstm<strong>als</strong> 2000 unter dem Eindruck der Auswirkungen<br />

der Havarie der »Erika« mit den sog. »Erika«-I- 14 und »Erika«-II-<br />

15 Maßnahmepaketen sowie weiteren Vorschlägen 16 im Anschluss<br />

an den Untergang der »Prestige«. Hierzu im Einzelnen sogleich<br />

(Ziffer C.).<br />

II. Meeresumweltschutz<br />

Handelt es sich bei der gemeinschaftlichen Schiffssicherheitspolitik<br />

mithin um einen noch »jungen« Politikbereich, so existierte eine<br />

explizite EU-Meeresumweltschutzpolitik bislang überhaupt<br />

nicht. Richtlinien wie beispielsweise die Gewässerschutzrichtlinie<br />

76/464/EWG 17 oder die Nitratrichtlinie 91/676/EWG 18 leisten zwar<br />

– mehr oder weniger reflexartig – einen Beitrag zum Schutz der<br />

Meeresumwelt, indem sie etwa Schadstoffeinleitungen aus landseitigen<br />

Quellen in Oberflächengewässer oder den Eintrag von<br />

Stickstoff im Rahmen landwirtschaftlicher Düngung regulieren. 19<br />

Die Meere sind dabei aber stets Annex zum Gemeinschaftsterritorium,<br />

nicht selbständiges Schutzgut. 20 Während der Verhandlungen<br />

über die Wasserrahmenrichtlinie 21 war die Ausdehnung des<br />

qualitätsbezogenen Ansatzes auf marine Gewässer insgesamt seitens<br />

der Kommission eingebracht worden. 22 Sie hat sich mit diesem<br />

Vorschlag jedoch nicht durchsetzen können. Der Geltungsbereich<br />

23 für den »guten ökologischen Zustand« ist in der endgültigen<br />

Fassung der Wasserrahmenrichtlinie beschränkt worden auf<br />

einen Bereich von lediglich 1 sm, der »gute chemische Zustand«<br />

ist bis zu einer Entfernung von nur 12 sm maßgeblich. 24<br />

<strong>Das</strong> Sechste Umweltaktionsprogramm 25 aus dem Jahre 2002<br />

sieht nunmehr die Erarbeitung einer thematischen Strategie zum<br />

Schutz der Meeresumwelt vor. Als ersten Schritt hierfür hat die<br />

Kommission im Oktober 2002 die Mitteilung »Hin zu einer Strategie<br />

zum Schutz und zur Erhaltung der Meeresumwelt« 26 veröffentlicht.<br />

Auf dieser Grundlage erarbeitet sie derzeit eine Strategie, deren<br />

»zero version« im November 2004 beraten wurde und deren<br />

endgültige Fassung Mitte 2005 vorliegen soll.<br />

So begrüßenswert die Idee einer Meeresschutzstrategie ist, so kritisch<br />

muss doch der bislang beabsichtigte Inhalt betrachtet werden.<br />

Denn auf Grund der bisherigen Arbeiten der Kommission ist davon<br />

auszugehen, dass wesentliche Bereiche wie Landwirtschaft, Fischerei<br />

und eben auch die Schifffahrt nicht bzw. allenfalls marginal umfasst<br />

sein werden. Maßgeblich dafür sind die geteilten Zuständigkeiten<br />

innerhalb der Kommission und damit einhergehende differierende<br />

Interessenslagen. Die Generaldirektion Umwelt übt<br />

Zurückhaltung überall dort, wo Kompetenzen beispielsweise der<br />

Generaldirektion Verkehr berührt sind. Selbstverständlich sind die<br />

einzelnen Verantwortungsbereiche zu beachten. Nur: eine Strategie,<br />

die maßgebliche Verschmutzungs- und Belastungsquellen wie die<br />

Schifffahrt ausklammert, wird notwendig in ihrer Wirkungskraft begrenzt<br />

bleiben. Der von der Kommission – zu Recht – verfolgte sog.<br />

ökosystemare Ansatz zum Schutz der Meere 27 bleibt von vornherein<br />

lückenhaft. In Anbetracht der tatsächlichen Belastungssituation<br />

der Gemeinschaftsmeere ist dies schwerlich sachgerecht.<br />

Wegen des Gebots der Integration des Umweltschutzes in sämtliche<br />

Politikbereiche der EU ist eine solche Restriktion auch rechtlich<br />

nicht geboten. Im Gegenteil, die Querschnittsklausel des Art.<br />

6 EG ist endlich auch innerhalb der Kommission zu verwirklichen.<br />

Der sog. Cardiff-Prozess ist weitgehend gescheitert. 28 Die in seinem<br />

Rahmen entwickelte Grundidee der Selbstverantwortlichkeit der<br />

einzelnen Sektoren für die Einbeziehung des Umweltschutzes in<br />

ihre Politiken 29 ist vielfach Theorie geblieben. Warum sollte <strong>als</strong>o für<br />

die Meeresschutzstrategie nicht an der ressortübergreifenden Kooperation<br />

angesetzt werden, wie sie in Form einer gemeinsamen<br />

Mitteilung von Verkehrsdirektion und Umweltdirektion nach der<br />

Havarie der »Prestige« 30 schon einmal praktiziert worden ist Die<br />

Meeresschutzstrategie hätte auf diese Weise die Chance, zu einem<br />

Beispiel wirklicher Umweltschutzintegration zu werden.<br />

C. Die konkreten Maßnahmen der EU-Schiffssicherheitspolitik<br />

Die »Erika«-Maßnahmenpakete und die Mitteilungen in Reaktion<br />

auf die Havarie der »Prestige« enthalten Vorschläge<br />

– für eine Verschärfung der Hafenstaatkontrollen insbesondere<br />

durch ein Anlaufverbot für Substandard-Schiffe und intensivierte<br />

Überprüfungen,<br />

10 Vgl. EU-Kommission, Mitteilung vom 2.10.2002 an das Europäische Parlament<br />

und den Rat »Hin zu einer Strategie zum Schutz und zur Erhaltung der Meeresumwelt«,<br />

KOM(2002) 539 endg., S. 16, 51.<br />

11 Richtlinie des Rates vom 13.9.1993, ABl. EG 1993, Nr. L 247/19.<br />

12 Richtlinie des Rates vom 22.11.1994, ABl. EG 1994, Nr. L 319/20.<br />

13 Richtlinie des Rates vom 19.6.1995, ABl. EG 1995 Nr. L 157/1.<br />

14 EU-Kommission, Mitteilung vom 21.3.2000 an das Europäische Parlament<br />

und den Rat über die Sicherheit des Erdöltransports zur See, KOM(2000) 142<br />

endg.<br />

15 EU-Kommission, Mitteilung vom 6.12.2000 an das Europäische Parlament<br />

und den Rat über ein zweites Paket von Maßnahmen der Gemeinschaft für<br />

die Sicherheit der Seeschifffahrt im Anschluss an den Untergang des Öltankschiffs<br />

Erika, KOM(2000) 802 endg.<br />

16 EU-Kommission, Mitteilung vom 3.12.2002 an das Europäische Parlament<br />

und den Rat zur Erhöhung der Sicherheit im Seeverkehr nach dem Untergang<br />

des Öltankschiffs Prestige, KOM(2002) 681 endg.; Mitteilung vom<br />

5.3.2003, Bericht an den Europäischen Rat über die angesichts der Folgen der<br />

Prestige-Katastrophe zu ergreifenden Maßnahmen, KOM(2003) 105 endg.<br />

17 Richtlinie des Rates vom 4.5.1976 betreffend die Verschmutzung infolge der<br />

Ableitung bestimmter gefährlicher Stoffe in die Gewässer der Gemeinschaft<br />

(76/464/EWG), ABl. EG 1976, Nr. L 129/23.<br />

18 Richtlinie des Rates vom 12.12.1991 zum Schutz der Gewässer vor Verunreinigung<br />

durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen (91/676/EWG), ABl.<br />

EG 1991, Nr. L 375, S. 1.<br />

19 Die einzelnen vorhandenen Richtlinien reichen bei weitem nicht zur Gewährleistung<br />

eines effektiven Meeresumweltschutzes aus, vgl. SRU (o. Fn. 5),<br />

Tz. 295 ff., 336 ff.<br />

20 Krämer (o. Fn. 8), S. 264.<br />

21 Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.10.2000 zur<br />

Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im<br />

Bereich der Wasserpolitik (2000/60/EG), ABl. EG 2000, Nr. L 327/1.<br />

22 Änderungsvorschlag der EU-Kommission zur Wasserrahmenrichtlinie vom<br />

27.11.1997, ABl. EG 1998, Nr. C 16/14.<br />

23 S. aber zur Beachtlichkeit des – vom Geltungsbereich zu unterscheidenden<br />

– Wirkbereichs der Wasserrahmenrichtlinie SRU (o. Fn. 5), Tz. 296, 349.<br />

24 Seidel, Gewässerschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 163,<br />

zufolge spielte für diese Begrenzung jedenfalls auch die »Befürchtung« der<br />

Mitgliedstaaten eine Rolle, dass der Gemeinschaft durch die Einbeziehung<br />

des Meeresschutzes in die Wasserrahmenrichtlinie schrittweise eine ausschließliche<br />

Außenkompetenz im Rahmen der internationalen Meeressschutzabkommen<br />

zuwachsen könnte.<br />

25 EU-Kommission, Mitteilung an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts-<br />

und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen vom<br />

24.1.2001 zum Sechsten Umweltaktionsprogramm »Umwelt 2010: Unsere<br />

Zukunft liegt in unserer Hand«, KOM(2001) 31 endg.<br />

26 S.o. Fn. 10.<br />

27 Ausführlich SRU (o. Fn. 5), Tz. 496 ff.<br />

28 SRU, Umweltgutachten 2004 »Umweltpolitische Handlungsfähigkeit sichern«,<br />

BT-Drs. 15/3600, Tz. 1196.<br />

29 EU-Kommission, Mitteilung an den Europäischen Rat - Partnerschaft für Integration<br />

– eine Strategie zur Einbeziehung der Umweltbelange in die EU-Politik<br />

– Cardiff – Juni 1998, KOM(1998) 333 endg.<br />

30 EU-Kommission (Fn. 16), KOM(2002) 681 endg.<br />

ZUR 1/2005 | 17


AUFSÄTZE | Koch/Ziehm, Schiffssicherheit und Meeresumweltschutz<br />

– für eine effektivere, europaweit einheitliche Kontrolle der Klassifikationsgesellschaften,<br />

– für ein beschleunigtes Verbot von Einhüllen-Tankschiffen,<br />

– für ein gemeinschaftliches Verkehrsüberwachungssystem,<br />

– für einen Fonds für Ölverschmutzungsschäden sowie<br />

– für die Errichtung einer Europäischen Agentur für Seeverkehrssicherheit.<br />

Mittlerweile sind – mit einer Ausnahme – alle Vorschläge verbindliches<br />

Gemeinschaftsrecht geworden. Die Europäische Agentur für<br />

Seeverkehrssicherheit (EMSA) 31 ist nicht nur eingerichtet worden,<br />

sondern hat zwischenzeitlich auch ihre Arbeit in Lissabon aufgenommen.<br />

Lediglich die Idee eines eigenständigen europäischen<br />

Fonds ist nicht verwirklicht worden. Hier soll es ausschließlich bei<br />

der internationalen Ebene bleiben. Im Einzelnen:<br />

I. Hafenstaatkontrollen<br />

Die Hafenstaatkontrollen auch in den Häfen der EU sind vielfach<br />

defizitär. Die Richtlinie 95/21/EG über Hafenstaatkontrollen<br />

schreibt vor, mindestens 25 % der im Durchschnitt in die jeweiligen<br />

Häfen der Mitgliedstaaten einlaufenden Schiffe zu kontrollieren.<br />

Vorrangig sind potenziell unternormige Schiffe zu überprüfen.<br />

Tatsächlich wurden in einigen EU-Häfen in der Vergangenheit jedoch<br />

anscheinend ganz bewusst nur neuere Schiffe kontrolliert,<br />

um zwar die 25 %-Quote zu erfüllen, die Überprüfungstätigkeit<br />

aber zu erleichtern. 32 Zum Teil wurde die Kontrollquote von mindestens<br />

25 % überhaupt erheblich unterschritten. 33<br />

Als Folge des »Erika«-I-Pakets sind die Regelungen der Richtlinie<br />

über Hafenstaatkontrollen durch die Änderungsrichtlinie<br />

2001/106/EG 34 mit Wirkung ab dem 22.7.2003 verschärft worden.<br />

Zwar ist es bei der 25 %-Quote geblieben. Den Inspektoren wird<br />

nunmehr jedoch konkreter vorgeschrieben, welche Schiffe sie vorrangig<br />

und in welcher Reihenfolge überprüfen müssen. Neu ist<br />

auch eine verdachtsunabhängige Überprüfung bei potenziellen Risikoschiffen,<br />

wenn seit der letzten gründlichen Überprüfung zwölf<br />

Monate vergangen sind. Auf der Grundlage eines neuen Art. 7b sollen<br />

ferner alle sechs Monate Informationen über Substandard-<br />

Schiffe, die in den vorangegangenen zwei bzw. drei Jahren wiederholt<br />

in EU-Häfen festgehalten worden sind, erstellt und in einer<br />

Gemeinschaftsliste veröffentlicht werden. 35 Schiffen, die in<br />

dieser Liste geführt werden, ist zwingend der Zugang zu sämtlichen<br />

Gemeinschaftshäfen zu verweigern.<br />

Die verschärften Regelungen der Richtlinie über Hafenstaatkontrollen<br />

sind uneingeschränkt zu begrüßen. Voraussetzung für deren<br />

Wirksamkeit ist es allerdings, dass tatsächlich eine ausreichende<br />

Zahl von Inspektoren bereitgestellt wird, um mindestens 25 %<br />

der Schiffe in den Gemeinschaftshäfen zu kontrollieren. Alle Mitgliedstaaten<br />

müssen für sämtliche ihrer Häfen und Ankerplätze unbedingt<br />

eine ausreichende Zahl von Besichtigungen garantieren,<br />

damit einzelne Häfen oder Mitgliedstaaten nicht zu »Gefälligkeitshäfen«<br />

oder gar »Gefälligkeitsstaaten« werden. Hier kommt einem<br />

auf konsequente Durchsetzung ausgerichteten Verhalten der<br />

Kommission maßgebliche Bedeutung zu. Gegen Frankreich und Irland<br />

sind insoweit wegen Nichterfüllung der 25 %-Quote seit 2002<br />

bereits entsprechende Vertragsverletzungsverfahren vor dem<br />

EuGH angestrengt worden. 36 Und unmittelbar nach Ablauf der<br />

Frist für die Umsetzung der Änderungsrichtlinie 2001/106/EG hat<br />

die Kommission gegen sämtliche Mitgliedstaaten mit Ausnahme<br />

von Dänemark, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und<br />

Spanien Vertragsverletzungsverfahren wegen Nichterfüllung der<br />

normativen Umsetzungsverpflichtungen eingeleitet. 37<br />

II. Klassifizierung<br />

Im Rahmen der Hafenstaatkontrolle ist die Möglichkeit, Lade- und<br />

Ballasträume zu besichtigen, beschränkt. Der unter Wasser befindliche<br />

Schiffsteil kann praktisch nicht staatlich überprüft werden,<br />

so dass es hier wesentlich auf die Arbeit der – privaten – Klassifikationsgesellschaften<br />

ankommt, die die Schiffe im Auftrag der Reeder<br />

für die Zeugniserteilung der Flaggenstaaten überprüfen. Ebenfalls<br />

<strong>als</strong> Konsequenz aus der Havarie der »Erika« sind die Anforderungen<br />

an die Klassifikationsgesellschaften in der Richtlinie<br />

94/57/EG durch die Änderungsrichtlinie 2001/105/EG 38 strenger<br />

gefasst worden. Eingeführt wurde insbesondere eine einheitliche<br />

gemeinschaftsweite Anerkennung der Klassifikationsgesellschaften.<br />

Erfüllt eine Klassifikationsgesellschaft bestimmte Kriterien<br />

nicht (mehr), kann ihr die Zulassung entzogen werden.<br />

Mit der Zulassung nach einheitlichen Standards soll dem zunehmend<br />

kommerziellen Charakter der Klassifikationsgesellschaften und<br />

daraus resultierenden unterschiedlichen Qualitätsstandards entgegengewirkt<br />

werden. Es gilt, dem bei den Schiffseignern zu beobachtenden<br />

Trend zum Ausweichen auf »bequeme« Überprüfungsorganisationen 39<br />

entgegenzusteuern. Die jetzt eingeführte Möglichkeit der Aberkennung<br />

der Zulassung <strong>als</strong> Klassifikationsgesellschaft dürfte insoweit einen entsprechenden<br />

Druck auf diese privaten Akteure ausüben.<br />

III. Ausmusterung von Einhüllen-Tankschiffen<br />

Auf der Grundlage des »Erika«-I-Pakets wurde im Februar 2002 die<br />

Verordnung (EG) Nr. 417/2002 zur beschleunigten Einführung von<br />

Doppelhüllen oder gleichwertigen Konstruktionsanforderungen für<br />

Einhüllen-Öltankschiffe 40 verabschiedet. Die Verordnung gilt für alle<br />

Öltankschiffe ab einer Tragfähigkeit von 5000 t, die (1) einen Hafen<br />

oder Vorhafen unter der Gerichtsbarkeit eines Mitgliedstaates<br />

anlaufen, unabhängig davon, welche Flagge sie führen, oder die (2)<br />

die Flagge eines Mitgliedstaates führen. Betroffen sind <strong>als</strong>o auch<br />

Schiffe unter der Flagge von Drittstaaten. Die nach dem Internationalen<br />

Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung<br />

durch Schiffe 41 – kurz MARPOL 73/78 – nach Alter, Tragfähigkeit<br />

und dem Vorhandensein schutzbietend angeordneter Tanks für<br />

getrennten Ballast in drei Kategorien eingeteilten Einhüllen-Tankschiffe<br />

sollten nach der Verordnung (EG) Nr. 417/2002 ursprünglich<br />

spätestens ab 2007 (Kategorie 1) bzw. ab 2015 (Kategorien 2 und<br />

3) ausgemustert sein. Diese Fristen sind in Folge des Untergangs der<br />

»Prestige« weiter verschärft worden. Die Außerdienststellung<br />

– für Schiffe der Kategorie 1 ist nunmehr spätestens bis 2005 und<br />

– für Schiffe der Kategorie 2 und Kategorie 3 spätestens bis 2010<br />

vorgesehen. 42<br />

31 S. die Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.6.2002<br />

zur Errichtung einer Europäischen Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs,<br />

ABl. EG 2002, Nr. L 208/1.<br />

32 König, Schiffssicherheit und Umweltschutz vor Deutschlands Küsten, NordÖR<br />

2003, 89 (95).<br />

33 Vgl. SRU (o. Fn. 5), Tz. 364.<br />

34 Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.12.2001, ABl.<br />

EG 2002, Nr. L 19/17.<br />

35 Vgl. SRU (o. Fn. 5), Tz. 365 sowie die im Anhang dieses Sondergutachtens abgedruckte<br />

Schiffsliste.<br />

36 Im Jahre 1999 war bereits Italien vom EuGH wegen unvollständiger Umsetzung<br />

der Richtlinie über Hafenstaatkontrollen verurteilt worden, Urt. v.<br />

11.11.1999 - Rs. C-315/98, Slg. I-8001.<br />

37 EU-Kommission, Pressemitteilung IP/03/1116.<br />

38 Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.12.2001, ABl.<br />

EG 2002, Nr. L 19/9.<br />

39 Erbguth/Jenisch/Herma/Keller (o. Fn. 8), S. 241; SRU (o. Fn. 5), Tz. 367.<br />

40 Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18.2.2002,<br />

ABl. EG 2002, Nr. L 64/1.<br />

41 Übereinkommen vom 2.11.1973, BGBl. II 1982, S. 4.<br />

42 Vgl. Verordnung (EG) Nr. 1726/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates<br />

vom 22.7.2003 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 417/2002 zur beschleunigten<br />

Einführung von Doppelhüllen oder gleichwertigen Konstruktionsanforderungen<br />

für Einhüllentankschiffe, ABl. EG 2003, Nr. L 249/1.<br />

18 | ZUR 1/2005


Koch/Ziehm, Schiffssicherheit und Meeresumweltschutz | AUFSÄTZE<br />

Damit die Gemeinschaftsregelungen zur Außerdienststellung von<br />

Einhüllen-Tankschiffen auch gegenüber Schiffen, die nicht unter<br />

EU-Flaggen fahren, tatsächlich in der Praxis durchgesetzt werden,<br />

normiert die Verordnung ein europäisches Hafenanlaufverbot für<br />

Tankschiffe mit nur einer Hülle ab 2005 bzw. 2010.<br />

Ferner enthält die Verordnung (EG) Nr. 417/2002 jetzt eine Bestimmung,<br />

dass Schweröl überhaupt nur noch in Doppelhüllentankschiffen<br />

transportiert werden darf. Dieses Transportverbot gilt<br />

für Öltankschiffe bereits ab einer Tragfähigkeit von 600 t. Schließlich<br />

soll eine umfassendere Anwendung der besonderen Inspektionsvorschriften<br />

für Tankschiffe, des sog. Condition Assessment<br />

Scheme (CAS) durchgesetzt werden. Dabei ist die strukturelle Solidität<br />

von Tankschiffen, die älter <strong>als</strong> 15 Jahre sind, zu überprüfen.<br />

Die konsequente Durchsetzung des beschleunigten phasing-out<br />

von Einhüllen-Tankschiffen und des Transports von Schweröl in<br />

solchen Schiffen bedeutet einen wesentlichen Schritt für den<br />

Schutz der Meeresumwelt. Schweröl wird in Anbetracht seines relativ<br />

geringen Handelswerts und des vergleichsweise geringen<br />

Brand- und Explosionsrisikos regelmäßig mit älteren Tankschiffen<br />

transportiert, verursacht aber die größten umweltschädigenden<br />

Wirkungen. Diesem aus Sicht des Meeresumweltschutzes in keiner<br />

Weise akzeptablen Missverhältnis muss entgegengesteuert werden.<br />

Nicht übersehen werden darf allerdings, dass auch eine doppelte<br />

Hülle bei Tankern keine absolute Sicherheit bietet. Zwar gewährleistet<br />

die Doppelhülle bei Strandungen sehr viel mehr Schutz <strong>als</strong><br />

eine einfache Hülle. Bei Schiffskollisionen vermag eine Doppelhülle<br />

jedoch nur relativ wenig auszurichten, wobei allerdings in<br />

der Regel bei Kollisionen von Doppelhüllen-Tankschiffen auf<br />

Grund kleinerer Tanks weniger Öl auslaufen wird. Gleichwohl sollte<br />

angestrebt werden, das Risiko der durch Maschinenschäden verursachten<br />

Schiffsunfälle durch den Einbau eines Ersatzmotors, der<br />

das Schiff manövrierfähig halten kann, zu minimieren. Auch gilt<br />

es zu beachten, dass bei Doppelhüllen-Tankschiffen im Laufe der<br />

Zeit Haarrisse auftreten können, verbunden mit einer Gasbildung<br />

zwischen den Böden. Dies kann sowohl auf dem Meer <strong>als</strong> auch in<br />

Häfen zu Unfällen führen. Deswegen sind unbedingt entsprechende<br />

regelmäßige Qualitätskontrollen sicherzustellen. 43<br />

IV. Meldepflichten und Überwachungssysteme<br />

Die auf der Grundlage des »Erika«-II-Pakets beschlossene sog.<br />

Schiffsmelderichtlinie 2002/59/EG 44 ersetzt die Richtlinie<br />

93/75/EG. Sie koordiniert die bislang auf internationaler, gemeinschaftlicher<br />

und nationaler Ebene bestehenden einzelnen Meldeund<br />

Auskunftspflichten, erweitert sie in ihrem sachlichen Anwendungsbereich<br />

und fasst sie zu einem einheitlichen System der<br />

Überwachung, Kontrolle und Information für den Seeverkehr in<br />

der Gemeinschaft zusammen. 45 Hatten in der Vergangenheit lediglich<br />

Schiffe mit gefährlicher oder umweltschädlicher Ladung,<br />

die beispielsweise deutsche innere Gewässer und damit einen deutschen<br />

Hafen anliefen, eine Anlaufmeldung abzugeben, so sind<br />

nunmehr grundsätzlich alle Schiffe über 300 t meldepflichtig. Dabei<br />

sind gefährliche oder umweltschädliche Güter auf Schiffen anzugeben.<br />

Außerdem bestehen Pflichten zur Meldung von Ereignissen auf<br />

See und von Seeunfällen. Hiermit sollen erhebliche Gefahren für<br />

die Schiffssicherheit, die Sicherheit von Personen oder die Umwelt<br />

vermieden, zumindest aber gemindert werden. Zu melden sind<br />

vom Kapitän nicht nur tatsächlich bereits eingetretene oder zu erwartende<br />

erhebliche Verschmutzungen, sondern auch alle Ereignisse,<br />

welche die Sicherheit des Schiffs beeinträchtigen oder wahrscheinlich<br />

beeinträchtigen können. Ferner muss der Kapitän auf<br />

See treibende Ölfelder oder sonstige Schadstoffe sowie Container<br />

und Pakete melden.<br />

Neben den beschriebenen Meldepflichten wird mit der Schiffsmelderichtlinie<br />

die Einführung von Schiffsdatenschreibern – sog.<br />

black boxes – und automatischen Schiffsidentifizierungssystemen<br />

(AIS) je nach Größe zeitlich gestaffelt bis spätestens Anfang 2008<br />

bzw. Juli 2007 auf europäischer Ebene vorgeschrieben. Schiffen, die<br />

innerhalb des für sie geltenden Zeitraums beispielsweise nicht über<br />

einen Schiffsdatenschreiber verfügen, ist wiederum der Zugang zu<br />

allen Gemeinschaftshäfen zu verweigern. Schließlich treffen die<br />

Mitgliedstaaten nach der Richtlinie die erforderlichen Vorkehrungen,<br />

um sicherzustellen, dass auf ihrem Hoheitsgebiet Häfen vorhanden<br />

sind, die Schiffe in Seenot aufnehmen können. 46<br />

D. EU – Implementierungshelfer und Initiator einer Schiffsicherheitspolitik<br />

Naturgemäß sind der Seeverkehr und seine Regulierung durch ihren<br />

internationalen Charakter geprägt. Die Erhöhung der Schiffssicherheit<br />

erfordert – ebenso wie die Bekämpfung chronischer Meeresverschmutzungen<br />

– eine internationale Zusammenarbeit. Maßgebliche<br />

Bedeutung kommt insoweit der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation<br />

(International Maritime Organization – IMO)<br />

zu. Die IMO ist ausweislich Art. 211 Abs. 1 des Seerechtsübereinkommens<br />

der Vereinten Nationen 47 – SRÜ – zur Rechtsetzung, d.h.<br />

insbesondere zur Ausgestaltung des durch das SRÜ vorgegebenen<br />

generellen Rahmens, zuständig. Unter ihrer Federführung sind<br />

wichtige internationale Konventionen wie beispielsweise das Übereinkommen<br />

zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe<br />

von 1973 (International Convention for the Prevention of Marine<br />

Pollution from Ships, ergänzt durch ein Protokoll von 1978 –<br />

MARPOL 73/78) 48 und das Übereinkommen von 1974 zum Schutz<br />

menschlichen Lebens auf See (Safety of Life at Sea – SOLAS) 49 zustande<br />

gekommen. Mit ihren derzeit 162 Mitgliedern, die mehr <strong>als</strong><br />

95 % der Welthandelsschiffstonnage repräsentieren, darf die IMO<br />

Universalität für sich in Anspruch nehmen. 50<br />

Lösungsansätze im Rahmen der IMO werden indessen – quasi<br />

<strong>als</strong> Kehrseite der Universalität – zumeist nur in langwierigen Entscheidungsprozessen<br />

und oftm<strong>als</strong> nur auf dem kleinsten gemeinsamen<br />

Nenner erarbeitet. 51 Zu der zeitlichen Verzögerung des<br />

globalen Rechtsetzungsprozesses, der inhaltlichen Dürftigkeit<br />

mancher Ergebnisse sowie der zum Teil mangelhaften Ratifikationsdisziplin<br />

kommen erhebliche Anwendungsdefizite in der Praxis<br />

hinzu. Insgesamt konnten fast 30 IMO-Konventionen und zahlreiche<br />

Codes, Leitlinien und Empfehlungen Substandardschiffe<br />

und »Billigflaggen« nicht verhindern. 52<br />

I. EU <strong>als</strong> Implementierungshelfer<br />

Internationale Schiffssicherheitsnormen sind nur dann wirksam,<br />

wenn sie einer einheitlichen, an Effektivitätsmaßstäben ausge-<br />

43 SRU (o. Fn. 5), Tz. 395.<br />

44 Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.6.2002 über<br />

die Einrichtung eines gemeinschaftlichen Überwachungs- und Informationssystems<br />

für den Schiffsverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie<br />

93/75/EWG des Rates, ABl. EG 2002, Nr. L 208/10.<br />

45 Lagoni, Vorsorge gegen Schiffsunfälle im Küstenvorfeld, Transportrecht 2001,<br />

S. 284, 285.<br />

46 Vertiefend Ehlers, Schiffssicherheit nach der »Prestige«, ZUR 2003, 342 (347);<br />

ders., Schiffsunsicherheit auf der Ostsee – Strategien der Helsinki-Kommission,<br />

NordÖR 2002, 89 (93); Lagoni (Fn. 45), S. 289 ff.<br />

47 Übereinkommen vom 10.12.1982, BGBl. II 1994, S. 2565.<br />

48 S. o. Fn. 41.<br />

49 Neufassung BGBl. II 1998, S. 2579.<br />

50 Vitzthum (o. Fn. 8), S. 65; s. auch König, The Enforcement of the International<br />

Law of the Sea by Coastal and Port States, ZaöRV 62 (2002), 1 (2).<br />

51 Ehlers (o. Fn. 46, Schiffssicherheit…), S. 343.<br />

52 Vitzthum (o. Fn. 8), S. 70; ders., Schiffssicherheit: Die EG <strong>als</strong> potentieller Durchsetzungsdegen<br />

der IMO, ZaöRV 2002, 167 f.<br />

ZUR 1/2005 | 19


AUFSÄTZE | Koch/Ziehm, Schiffssicherheit und Meeresumweltschutz<br />

richteten Implementierung unterliegen. Wie im Bereich des übrigen<br />

Umweltvölkerrechts wurden auch der IMO <strong>als</strong> internationaler<br />

Organisation keine umfassenden Durchsetzungsbefugnisse übertragen.<br />

53 Im Unterschied zur IMO verfügt jedoch die EU über Kontroll-,<br />

Vollzugs- und Durchsetzungsmechanismen. 54 Die Kommission<br />

ist gemäß Art. 211 EG <strong>als</strong> zentrales Organ für die Überwachung<br />

sowohl der normativen Umsetzung <strong>als</strong> auch der<br />

tatsächlichen Anwendung verbindlichen Gemeinschaftsrechts in<br />

den Mitgliedstaaten zuständig. Sie kann Vertragsverletzungsverfahren<br />

vor dem EuGH nach Art. 226 EG und gegebenenfalls sogar<br />

Sanktionsmaßnahmen gemäß Art. 228 Abs. 2 EG einleiten.<br />

Mittels Umsetzung der internationalen Standards in Richtlinien<br />

und Verordnungen und deren anschließender Durchsetzung kann<br />

<strong>als</strong>o die EU maßgeblich zur Erhöhung der Schiffssicherheit beitragen.<br />

Die Kommission kann dabei zum einen auf eine einheitliche<br />

Implementierung internationaler maritimer Standards auf Schiffen,<br />

die unter der Flagge eines Mitgliedstaates fahren, hinwirken.<br />

In Anbetracht des Beitritts von Malta und Zypern zur EU kommt<br />

dem künftig eine noch größere Bedeutung zu. Denn auf die 15 alten<br />

Mitgliedstaaten der EU entfallen knapp über 10 % der Welthandelsschiffstonnage,<br />

auf Malta 5 %, auf Zypern 4 %. 55 Der »unmittelbare<br />

Einflussbereich« der Kommission ist mithin nahezu<br />

verdoppelt worden.<br />

Mit der Durchsetzung strenger Hafenstaatkontrollen in den Gemeinschaftshäfen<br />

kann die Kommission darüber hinaus entsprechenden<br />

Druck auf sog. Drittlandschiffe ausüben. Sie bzw. die kontrollierenden<br />

Mitgliedstaaten handeln insoweit auch völkerrechtskonform.<br />

Die Hafenstaatkontrollen sind die Konsequenz aus<br />

der den Staaten in ihren jeweiligen Häfen zukommenden Gebietshoheit.<br />

Sie sind auch explizit in Art. 218 SRÜ vorgesehen. 56<br />

II. EU <strong>als</strong> Initiator<br />

Die Rolle der EU im Bereich der Schiffssicherheitspolitik ist indes<br />

nicht auf diejenige eines »Implementierungshelfers« beschränkt.<br />

Zwar sollte es grundsätzlich beim Vorrang internationalen Rechts<br />

im Bereich der Schiffssicherheit bleiben. Erweisen sich allerdings<br />

die völkerrechtlich vereinbarten Schiffssicherheitsstandards <strong>als</strong> für<br />

den Schutz der Meere und Küsten nicht ausreichend, kann die EU<br />

unter bestimmten Voraussetzungen selbst initiativ werden und<br />

durch Normierung von gegenüber dem Völkerrecht anspruchsvolleren<br />

Gemeinschaftsregelungen <strong>als</strong> »Motor« für die Entwicklung<br />

strengerer weltweiter Schiffssicherheitsbestimmungen agieren.<br />

<strong>Das</strong> hier vorhandene Potenzial der EU hat sich eindrücklich<br />

am Beispiel der Ausmusterung von Einhüllen-Tankschiffen gezeigt:<br />

International sind im Rahmen der IMO überhaupt erst 1992 <strong>als</strong><br />

Reaktion auf den Oil Pollution Act der USA von 1990 Regelungen<br />

über die schrittweise Abschaffung von Einhüllen-Tankschiffen getroffen<br />

worden. Gemäß Regel 13G der Anlage 1 des MARPOL-Übereinkommens<br />

sollten diese Schiffe zunächst bis 2026 ausgemustert<br />

werden. Angestoßen durch einen Vorschlag der EU-Kommission in<br />

dem sog. »Erika«-I-Paket verschärfte das Marine Environment Protection<br />

Committee (MEPC) der IMO auf seiner 46. Sitzung im April<br />

2001 die 1992 vereinbarten Regelungen: Die revidierte Regel 13G<br />

forderte eine Ausmusterung gestaffelt nach dem Alter bis spätestens<br />

2007 bzw. 2015. 57 Diese Fristen stimmten mit denen in der<br />

ursprünglichen Fassung der Verordnung (EG) Nr. 417/2002 überein<br />

(s.o.). Letztere wurden jedoch <strong>als</strong> Konsequenz aus der Havarie der<br />

»Prestige« durch die im Oktober 2003 in Kraft getretene Änderung<br />

der Verordnung (EG) Nr. 417/2002 auf 2005 bzw. 2010 weiter verkürzt<br />

(s.o.). Während der Verhandlungen über die Verschärfung<br />

der Verordnung hatten die EU-Mitgliedstaaten im April 2003 einen<br />

gemeinsamen, mit dem Vorschlag der Änderungsverordnung 58<br />

identischen Antrag bei der IMO über ein auch auf internationaler<br />

Ebene nochm<strong>als</strong> beschleunigtes phasing-out von Einhüllen-Tankern<br />

eingebracht. Daraufhin verständigte man sich im Juli 2003 innerhalb<br />

der IMO zunächst auf eine vorgezogene Ausmusterung<br />

von Tankern der Kategorie 1 bis April 2005. Auf der 50. Sitzung des<br />

MEPC im Dezember 2003 konnte dann auch hinsichtlich der<br />

Außerdienststellung von Tankschiffen der Kategorien 2 und 3 bis<br />

spätestens 2010 Einigkeit erzielt werden. 59 Die Regelungen, die die<br />

EU bereits im Oktober 2003 eingeführt hat, gelten im Wesentlichen<br />

nunmehr ab April 2005 weltweit.<br />

Die vorübergehend gegenüber der MARPOL-Regel 13G in der<br />

Fassung von 2001 strengeren EU-Fristen und die Pflicht zur Hafenzugangsverweigerung<br />

bei Nichteinhaltung der Fristen standen<br />

mit dem einschlägigen Völkerrecht in Einklang:<br />

Art. 21 Abs. 1 SRÜ räumt zunächst Küstenstaaten das Recht ein, Bestimmungen<br />

über die friedliche Durchfahrt unter anderem in Bezug<br />

auf die Sicherheit der Schifffahrt, die Erhaltung der lebenden Ressourcen<br />

des Meeres und den Schutz der Umwelt des Küstenstaates<br />

und die Verhütung, Verringerung und Überwachung ihrer Verschmutzung<br />

zu erlassen. Fremde Schiffe, die das Recht der friedlichen<br />

Durchfahrt durch das Küstenmeer ausüben, müssen diese Gesetze<br />

und sonstigen Vorschriften gemäß Art. 21 Abs. 4 SRÜ einhalten.<br />

Maßgeblich sind hier aber vor allem die noch weitergehenden Befugnisse<br />

der Hafenstaaten. <strong>Das</strong> Recht auf friedliche Durchfahrt ist<br />

nämlich in den Häfen nicht anwendbar. 60 Die Hafenstaaten haben<br />

nach Art. 211 Abs. 3, Art. 25 Abs. 2 SRÜ vielmehr ihrerseits das<br />

Recht, nationale Regeln und Standards <strong>als</strong> Bedingung zum Anlaufen<br />

ihrer Häfen vorzuschreiben. <strong>Das</strong> SRÜ tastet die Souveränität der Vertragsstaaten<br />

des SRÜ in ihren Häfen nicht an. 61 <strong>Das</strong> Übereinkommen<br />

und das Statut über die internationale Rechtsordnung der Seehäfen 62<br />

steht derartigen Anlaufbedingungen ebenso wenig entgegen. Darin<br />

wird lediglich ein Anspruch auf Gleichbehandlung begründet. 63<br />

Durch ihren Beitritt zum MARPOL-Übereinkommen haben sich<br />

die Hafenstaaten auch nicht etwa ihres Rechts aus Art. 211 Abs. 3,<br />

Art. 25 Abs. 2 SRÜ begeben, nationale Regeln und Standards <strong>als</strong> Bedingung<br />

zum Anlaufen ihrer Häfen zu normieren. Adressaten der<br />

Verpflichtungen aus dem MARPOL-Übereinkommen sind die Flaggenstaaten.<br />

Die MARPOL-Verpflichtungen stellen zwar für die Flaggenstaaten<br />

ein Minimum dar, welches diese erfüllen müssen. Sie<br />

begründen aber nicht gleichzeitig für die Hafenstaaten ein Maximum,<br />

über das diese für ihre Häfen nicht hinausgehen dürften. 64<br />

Ein derartiger, die Souveränität eines Hafenstaates berührender Automatismus<br />

lässt sich dem MARPOL-Übereinkommen auch bei einer<br />

Auslegung gemäß Art. 31 Abs. 1 der Wiener Vertragsrechtskonvention<br />

nicht entnehmen. Danach sind internationale Verträge<br />

nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der<br />

53 S. auch König, Durchsetzung internationaler Bestands- und Umweltschutzvorschriften<br />

auf Hoher See im Interesse der Staatengemeinschaft, 1989, S. 84;<br />

Wolfrum, Means of Ensuring Compliance with and Enforcement of International<br />

Environmental Law, Recueil des Cours 272 (1998), S. 1, 27.<br />

54 SRU (o. Fn. 5), Tz. 392.<br />

55 EU-Kommission, Mitteilung vom 3.12.2002 an das Europäische Parlament<br />

und den Rat zur Erhöhung der Sicherheit im Seeverkehr nach dem Untergang<br />

des Öltankschiffs Prestige, KOM(2002) 681 endg.<br />

56 Ehlers (o. Fn. 46, Schiffssicherheit...), S. 343; Vitzthum (o. Fn. 8), S. 74; König<br />

(o. Fn. 50), S. 5; dies. (o. Fn. 53); McDormann, Port State Enforcement: A Comment<br />

on Article 218 of the 1982 Law of the Sea Convention, Journal of Maritime<br />

Law and Commerce 28 (1997), S. 305; Wolfrum (o. Fn. 53), S. 154.<br />

57 Unter besonderen Voraussetzungen sollte allerdings ausnahmsweise ein Einsatz<br />

von Einhüllen-Tankern bis 2017 zulässig sein.<br />

58 ABl. EG 2002, Nr. L 64/1.<br />

59 In Einzelfällen kommt allerdings eine Zulassung bis längstens 2015 in Betracht.<br />

60 König (o. Fn. 50), S. 5.<br />

61 Rat der EU, Gutachten des Juristischen Dienstes vom 21.3.2003 zur Vereinbarkeit<br />

des Vorschlags für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung<br />

(EG) Nr. 417/2002 mit dem internationalen Seerecht, 7610/03, S. 3; Ehlers<br />

(o. Fn. 46, Schiffssicherheit…), S. 344.<br />

62 RGBl. II 1928, S. 22.<br />

63 Ehlers (o. Fn. 46, Schiffssicherheit…), S. 344.<br />

64 So aber Nöll, in: Deutsche Seeschifffahrt, <strong>Zeitschrift</strong> des Verbandes Deutscher Reeder,<br />

2003, S. 1, ähnlich Lagoni (o. Fn. 45).<br />

20 | ZUR 1/2005


Koch/Ziehm, Schiffssicherheit und Meeresumweltschutz | AUFSÄTZE<br />

gewöhnlichen, ihren Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden<br />

Bedeutung und im Lichte ihres Zieles und Zweckes zu<br />

interpretieren. Juristische Unsicherheiten im Zusammenhang mit<br />

dem MARPOL-Übereinkommen sollen ausweislich dessen Art. 9<br />

Abs. 2 jedoch durch die Regeln des allgemeinen Völkerrechts und<br />

insbesondere unter dem Regime des SRÜ gelöst werden. Art. 9 Abs.<br />

2 MARPOL-Übereinkommen räumt bei Konflikten zwischen dem<br />

SRÜ und dem MARPOL-Übereinkommen dem ersteren Vorrang<br />

ein. 65 <strong>Das</strong> SRÜ sieht in Art. 211 Abs. 3, Art. 25 Abs. 2 aber – wie dargestellt<br />

– gerade das Recht der Hafenstaaten zur Bestimmung von<br />

Zugangsbedingungen für ihre Häfen vor. Statt einer Einschränkung<br />

der durch das SRÜ unangetasteten Souveränität der Hafenstaaten<br />

verweist das MARPOL-Übereinkommen in Art. 9 Abs. 2 auf<br />

das SRÜ.<br />

Überdies bezweck(t)en die – zeitweise schärferen – EU-Regelungen<br />

einen effektiveren Schutz der Meeresumwelt, sie soll(t)en mithin<br />

zum übergeordneten Ziel des MARPOL-Übereinkommens beitragen.<br />

Für die Zielkonformität spricht im Übrigen die Anpassung<br />

des internationalen Rechts an die Gemeinschaftsbestimmungen<br />

im Dezember 2003. Außerdem war im Rahmen der 2001 erfolgten<br />

Revision der Regel 13G der Anlage 1 das vollständige Verbot von<br />

Einhüllen-Tankschiffen <strong>als</strong> Ziel ausdrücklich benannt worden. 66<br />

Auch aus einer Gesamtschau des MARPOL-Übereinkommens<br />

und seinen Änderungen lässt sich <strong>als</strong>o nicht ableiten, dass es den<br />

Hafenstaaten verwehrt ist, strengere Vorschriften zu erlassen. Nationale<br />

bzw. gemeinschaftliche CDEM (construction, design,<br />

equipment and manning of vessels)-Standards müssen nicht mit<br />

allgemein akzeptierten internationalen Standards, die im Rahmen<br />

der IMO zustande gekommen sind, übereinstimmen, sie können<br />

strenger sein. 67 Hat aber ein Hafenstaat die Möglichkeit, solche<br />

strikteren Regelungen zu erlassen, so finden sie selbstverständlich<br />

Anwendung nicht nur auf die unter Flagge des jeweiligen Hafenstaates<br />

fahrenden Schiffe, sondern in gleicher Weise auf Schiffe unter<br />

der Flagge eines Drittstaates. 68<br />

Hinzu kommt schließlich das Folgende: Weder der Erlass des Oil<br />

Pollution Act 1990 in den USA noch das Opting-Out der USA in<br />

Bezug auf die 1992 geänderte MARPOL-Regel unter Hinweis auf die<br />

nationalen Regelungen des Oil Pollution Act führten zu grundlegenden<br />

Protesten der Staatengemeinschaft. 69 Vielmehr akzeptiert<br />

die Staatengemeinschaft seit längerer Zeit die einschlägigen regionalen<br />

US-amerikanischen Regelungen. Ebenso wenig hatten die<br />

immerhin 21 Vertragsstaaten auf der gemeinsamen OSPAR-Helcom-Konferenz<br />

2003 in ihrer Abschlusserklärung auch nur Zweifel<br />

an der Vereinbarkeit der EU-Regelungen mit internationalem<br />

Recht zum Ausdruck gebracht. Neben den dargestellten theoretischen<br />

Begründungen spricht mithin auch die Praxis der Staatengemeinschaft<br />

für die völkerrechtliche Zulässigkeit regional strengerer<br />

Sicherheitsstandards. <strong>Das</strong> Völkerrecht ist nicht statisch, sondern<br />

unterliegt notwendig einer dynamischen Entwicklung. Ist<br />

festzustellen, dass international lediglich suboptimale Regelungen<br />

existieren, ist diejenige Auslegung des Völkerrechts zu wählen, die<br />

zu seiner Optimierung führt. Ohne die regionalen Vorreiterrollen<br />

wäre das internationale Schiffssicherheitsrecht mit großer Wahrscheinlichkeit<br />

längst nicht auf dem Standard, auf dem es sich jetzt<br />

befindet.<br />

E. Ausblick<br />

Die EU sollte fortsetzen, was sie insbesondere mit den sog. »Erika«-<br />

Maßnahmepaketen begonnen hat. Sie sollte mit den ihr zur Verfügung<br />

stehenden Instrumenten auf eine konsequente Durchsetzung<br />

international vereinbarter Schiffssicherheitsstandards in den neuen<br />

wie in den alten Mitgliedstaaten drängen. Die beispielsweise unmittelbar<br />

nach Ablauf der Umsetzungsfrist der revidierten Richtlinie<br />

über Hafenstaatkontrollen gegen mehrere Mitgliedstaaten eingeleiteten<br />

Vertragsverletzungsverfahren sind uneingeschränkt zu<br />

unterstützen. Die EU sollte aber auch nicht zögern, gegebenenfalls<br />

durch regionale Normsetzung eine Anstoßfunktion gegenüber dem<br />

internationalen Recht wahrzunehmen und zu dessen Weiterentwicklung<br />

beizutragen. Regional strengere Hafenanlaufbedingungen<br />

stehen mit dem maßgeblichen Völkerrecht in Einklang.<br />

Auch wenn derzeit der Beitritt eines Staatenverbundes zur IMO<br />

nicht vorgesehen ist, sollte dies die EU zudem nicht davon abhalten,<br />

langfristig gleichwohl weiter auf die von ihr angestrebte Vollmitgliedschaft<br />

in der IMO hinzuwirken. 70 Die Initiativrolle der EU<br />

und das konzertierte Zusammenwirken der Mitgliedstaaten innerhalb<br />

der IMO beim phasing-out von Einhüllen-Tankschiffen haben<br />

eindrücklich das hier vorhandene Potenzial aufgezeigt. In diesem<br />

Zusammenhang dürfte es allerdings auch von ganz wesentlicher<br />

Bedeutung sein, dass die Mitgliedstaaten ihrerseits ihre Vorbehalte<br />

gegen eine Vergemeinschaftung der Meere 71 zugunsten der EU<br />

und zugunsten meeresumweltschutzpolitischer Notwendigkeiten<br />

auf den Prüfstand stellen. Ergebnisse und Entwicklungen im Bereich<br />

der Schiffssicherheitspolitik in der jüngeren Vergangenheit<br />

sprechen – trotz unterschiedlicher Verwaltungstraditionen und<br />

–strukturen in den Mitgliedstaaten etwa in Bezug auf die Hafenstaatkontrolle<br />

– für eine stärkere Stellung der EU bei der Durchsetzung<br />

maritimer Schiffssicherheitsstandards und bei der Normsetzung<br />

im Falle der Lückenhaftigkeit des Seevölkerrechts. Sowohl in<br />

ihrer Funktion <strong>als</strong> Implementierungshelfer <strong>als</strong> auch in ihrer Rolle<br />

<strong>als</strong> Initiator sollte sich die EU jedoch unbedingt um ein koordiniertes<br />

und konstruktives Miteinander von gemeinschaftlicher<br />

Meeresumweltschutzpolitik und gemeinschaftlicher Schiffssicherheitspolitik<br />

bemühen. Die gegenwärtigen Arbeiten an einer europäischen<br />

Meeresschutzstrategie bieten dazu die Chance.<br />

Prof. Dr. Hans-Joachim Koch<br />

Universität Hamburg, Geschäftsführender Direktor der Forschungsstelle<br />

<strong>Umweltrecht</strong> (FORUM), Vorsitzender des Rates von Sachverständigen<br />

für Umweltfragen.<br />

Aktuelle Veröffentlichungen: <strong>Umweltrecht</strong> (Hrsg.), 2002; Allgemeines<br />

Verwaltungsrecht (zusammen mit R. Rubel und F. S. Heselhaus), 2003;<br />

Baurecht, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht (zusammen mit R.<br />

Hendler), 2004<br />

Dr. Cornelia Ziehm<br />

Rechtsanwältin und wissenschaftliche Mitarbeiterin des Vorsitzenden<br />

des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen Prof. Dr. Hans-Joachim<br />

Koch, Universität Hamburg, Edmund-Siemers-Allee 1, 20146<br />

Hamburg.<br />

Aktuelle Veröffentlichung: Zugang zu Wasser in ausreichender Quantität<br />

und Qualität, in: Lozán, J. et al. (Hrsg.): Warnsignal Klima: Genug<br />

Wasser für alle, 2004.<br />

65 Molenaar, Coastal State Jurisdiction over Vessel-Source Pollution, 1998, S. 111.<br />

66 Vitzthum (o. Fn. 8), S. 69.<br />

67 Rat der EU, Gutachten des Juristischen Dienstes vom 21.3.2003 zur Vereinbarkeit<br />

des Vorschlags für eine Verordnung zur Änderung der Verordung (EG)<br />

Nr. 417/2002 mit dem internationalen Seerecht, 7610/03, S. 4; Molenaar (o.<br />

Fn. 65), S. 112; König (o. Fn. 50), S. 5.<br />

68 Molenaar (o. Fn. 65), S. 112; Hakapää, Marine Pollution in International Law –<br />

Material Obligations and Jurisdiction, 1981, S. 113; s. auch bereits o. Ziff. D.I.<br />

69 Ehlers (o. Fn. 46, Schiffssicherheit…), S. 344; Molenaar (o. Fn. 65), S. 113; Valenzuela,<br />

The Role of the United Nations and other Competent International<br />

Organizations in the Future Development of Law for the Protection of the Marine<br />

Environment: Selected Topics, in LSI Conference 1995, S. 673, 684.<br />

70 SRU (o. Fn. 5), Tz. 486.<br />

71 S. Ziffer B.I.<br />

ZUR 1/2005 | 21


RECHTSPRECHUNG | VG Karlsruhe, Emissionshandel<br />

RECHTSPRECHUNG<br />

Keine einstweilige Anordnung gegen gesetzliche<br />

Pflicht zur Teilnahme am Emissionshandel<br />

VG Karlsruhe, Beschluss vom 18. Oktober 2004 – 10 K 2205/04<br />

– nicht rechtskräftig –<br />

1. Klagen, die gegen die Änderung/Ergänzung von immissionsschutzrechtlichen<br />

Genehmigungen gerichtet sind, sind<br />

Streitigkeiten, die sich auf unbewegliches Vermögen oder<br />

ein ortsgebundenes Recht oder Rechtsverhältnis beziehen<br />

und für die gemäß § 52 Nr. 1 VwGO das Verwaltungsgericht<br />

örtlich zuständig ist. Dies gilt auch für Klagen, die gegen eine<br />

sich unmittelbar aus § 4 Abs. 7 Satz 1 TEHG ergebende<br />

Änderung/Ergänzung der Genehmigung richten.<br />

2. Die durch § 4 Abs. 7 Satz 1 TEHG begründete Pflicht, im<br />

Rahmen der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung<br />

zukünftig auch die Voraussetzungen zur Teilnahme am<br />

Emissionshandel nachzuweisen, stellt keine im Wege der<br />

Anfechtungsklage angreifbare Teilaufhebung der immissionsschutzrechtlichen<br />

Genehmigung durch einen fiktiven<br />

Verwaltungsakt dar.<br />

3. Die durch § 6 Abs. 1 TEHG begründete Pflicht, dass jeder zur<br />

Teilnahme am Emissionshandel Verpflichtete (»Verantwortliche«,<br />

s. § 3 Abs. 5 TEHG) bis zum 30. April eines Jahres eine<br />

Anzahl von Berechtigungen an die zuständige Behörde<br />

abzugeben hat, die den durch seine Tätigkeit im vorangegangenen<br />

Kalenderjahr verursachten Emissionen entspricht,<br />

begründet kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis<br />

zwischen dem Verantwortlichen und dem jeweiligen<br />

Bundesland, sondern allein zwischen dem Verantwortlichen<br />

und dem Bund.<br />

4. Die von den Verantwortlichen gemäß §§ 4 und 5 TEHG zu<br />

erfüllenden Pflichten sind nicht von derartigem Gewicht,<br />

dass im Hinblick auf rechtliche Zweifel an diesen Regelungen<br />

eine einstweilige Anordnung erforderlich erscheint.<br />

5. Insbesondere ist eine Verfassungswidrigkeit der durch das<br />

TEHG begründeten Pflichten jedenfalls nicht offensichtlich.<br />

(Leitsätze der Redaktion)<br />

Gründe: I. Die Antragstellerin betreibt Anlagen zur Herstellung<br />

von Zement und zum Brennen von Kalksteinen an mehreren Standorten<br />

in Deutschland, u.a. ein Zementwerk in Leimen. Die Anlage<br />

in Leimen wurde 1960 auf der Grundlage der Gewerbeordnung<br />

genehmigt und mit Inkrafttreten des Bundesimmissionsschutzgesetzes<br />

übergeleitet; in der Folgezeit ergingen zahlreiche immissionsschutzrechtliche<br />

Änderungsgenehmigungen.<br />

Nach dem Inkrafttreten des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes<br />

(TEHG) vom 8.7.2004 (BGBl. I S. 1578) hat die Antragstellerin<br />

am 23.7.2004 Klage gegen das Land Baden-Württemberg erhoben<br />

(10 K 1993/04). Sie beantragt, die in § 4 Abs. 7 Satz 1 TEHG<br />

angeordnete Änderung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen<br />

der Anlage zur Herstellung von Zementklinker in Leimen<br />

(Gemarkung Leimen, Flst.-Nr. 1170) aufzuheben. Hilfsweise<br />

beantragt sie festzustellen, dass die in §§ 4, 5 und 6 Abs. 1 TEHG<br />

geregelten Pflichten nicht Bestandteil der immissionsschutzrechtlichen<br />

Genehmigungen der Anlagen zur Herstellung von Zementklinker<br />

in Leimen sind. (…)<br />

Am 16.8.2004 hat die Antragstellerin beim VG Karlsruhe einen<br />

Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt; Antragsgegner<br />

ist das Land Baden-Württemberg. Sie beantragt, festzustellen,<br />

dass ihre Klage 10 K 1993/04 aufschiebende Wirkung<br />

hat, hilfsweise im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123<br />

Abs. 1 Satz 1 VwGO festzustellen, dass sie vorläufig die in §§ 4, 5<br />

und 6 Abs. 1 TEHG geregelten Pflichten bis zum rechtskräftigen Abschluss<br />

des Hauptsacheverfahrens 10 K 1993/04 nicht erfüllen<br />

muss.<br />

Zur Begründung trägt die Antragstellerin im Wesentlichen vor,<br />

durch § 4 Abs. 7 Satz 1 TEHG werde eine Änderung der ihr von der<br />

zuständigen Landesbehörde, dem Regierungspräsidium Karlsruhe,<br />

erteilten immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen angeordnet,<br />

die sich im Ergebnis <strong>als</strong> Teilaufhebung der Genehmigung darstelle.<br />

Hierbei handele es sich um einen verkappten Verwaltungsakt,<br />

der mit aufschiebender Wirkung anfechtbar sei. Nach § 80 Abs.<br />

5 VwGO in entsprechender Anwendung sei ein Antrag auf Feststellung<br />

der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs statthaft,<br />

wenn die Behörde – wie hier – diese bestreite. <strong>Das</strong> Land Baden-<br />

Württemberg sei passivlegitimiert, weil die bestrittenen Pflichten<br />

zum Bestandteil einer von der zuständigen Landesbehörde erteilten<br />

Genehmigung würden; passivlegitimiert sei die Gebietskörperschaft,<br />

deren Behörde die Genehmigung erteilt habe und der somit<br />

die Wahrnehmungskompetenz für die darin enthaltenen<br />

Pflichten zugewiesen sei. (…)<br />

Im Hinblick auf die beantragte Sicherungsanordnung bestehe<br />

ein Anordnungsanspruch, weil schwerwiegende Zweifel an der<br />

Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes bestanden. Die Zuständigkeitsregelungen<br />

des TEHG verstießen gegen Art. 30, 83, 87 Abs. 3 und<br />

Art. 20 Abs. 3 GG. Die Eingriffsregelung in § 4 Abs. 7 Satz 1 TEHG<br />

und die hierdurch ausgelösten Pflichten verletzten Art. 14 Abs. 1<br />

und Art. 12 Abs. 1 GG. (…)<br />

II. Der Antrag der Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen<br />

Rechtsschutzes, für den das Verwaltungsgericht Karlsruhe örtlich<br />

zuständig ist (dazu 1.), hat keinen Erfolg. Soweit sie im Hauptantrag<br />

begehrt festzustellen, dass ihre Klage aufschiebende Wirkung<br />

hat, ist der Antrag unbegründet, weil die Anfechtungsklage nicht<br />

statthaft ist (dazu 2.). Auch die hilfsweise beantragte Sicherungsanordnung<br />

kann nicht ergehen (dazu 3.).<br />

1. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtschutzes scheitert<br />

allerdings nicht an der Frage der örtlichen Zuständigkeit des<br />

Verwaltungsgerichts. Nach § 52 Nr. 1 VwGO ist in Streitigkeiten,<br />

die sich auf unbewegliches Vermögen oder ein ortsgebundenes<br />

Recht oder Rechtsverhältnis beziehen, nur das Verwaltungsgericht<br />

örtlich zuständig, in dessen Bezirk das Vermögen oder der Ort liegt.<br />

Erfasst werden damit solche Rechte, die zu einem bestimmten Territorium<br />

in besonderer Beziehung stehen oder eine weitgehende<br />

Verbindung zwischen dem strittigen Recht und dem Territorium<br />

aufweisen, auf dem es ausgeübt wird (BVerwG, Beschl. v.<br />

10.12.1996 - 7 AV 11 -18/96, NJW 1997, 1022 m. w. N.). Die Antragstellerin<br />

wendet sich in der Hauptsache gegen eine Änderung/Ergänzung<br />

der ihr erteilten immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen<br />

durch § 4 Abs. 7 Satz 1 TEHG. Danach sind bei Anlagen<br />

im Sinne von Anhang 1, die vor dem 15.7.2004 nach den<br />

Vorschriften des Bundes-Immissionsschutzgesetzes genehmigt<br />

worden sind, die Anforderungen der §§ 5 und 6 Abs. 1 TEHG <strong>als</strong><br />

Bestandteil dieser Genehmigung anzusehen. Die von der Antragstellerin<br />

bestrittenen Pflichten knüpfen somit an die immissionsschutzrechtlichen<br />

Genehmigungen an, für die der dingliche Gerichtsstand<br />

gegeben ist (Bier, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner,<br />

VwG0, § 52 Rn. 5). Dies folgt auch daraus, dass das TEHG der<br />

Umsetzung der Richtlinie 2003/87/EG über ein System für den<br />

Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft<br />

dient. Diese Richtlinie hat einen sektoralen anlagenbezogenen Ansatz<br />

(Knopp/Hoffmann, EU – Emissionsrechtehandel und deutsches<br />

22 | ZUR 1/2005


VG Karlsruhe, Emissionshandel | RECHTSPRECHUNG<br />

TEHG, EWS 2004, 201 (203); vgl. etwa Art. 6 Abs. 1, Art. 7 Satz 1,<br />

Art. 11 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie), dem das TEHG Rechnung<br />

trägt. Die durch das TEHG begründeten Rechte und Pflichten<br />

knüpfen jeweils an eine »Tätigkeit« an. Unter diesem Begriff ist in<br />

erster Linie der Betrieb bestimmter (ortsfester) Anlagen zu verstehen,<br />

wie sich insbesondere aus der Formulierung des Katalogs der<br />

»Tätigkeiten« im Anhang 1 des Gesetzes ergibt (VG Augsburg, Beschl.<br />

v. 1.9.2004 – Au 4 E 04.1237 –). Zwar wollte der Gesetzgeber<br />

mit der Wahl des Begriffes »Tätigkeit« das TEHG für das Hinzukommen<br />

weiterer Emittenten offen halten; er geht aber ebenfalls<br />

davon aus, dass der Tätigkeitsbegriff nach dem derzeitigen Anwendungsbereich<br />

ausschließlich den Betrieb einer immissionsschutzrechtlich<br />

genehmigungsbedürftigen Anlage erfasst, soweit<br />

sie im Anhang 1 aufgeführt ist (vgl. BT-Drs. 15/2328, Begründung<br />

des Gesetzentwurfes zu § 3). Insbesondere die hier umstrittenen Ermittlungs-,<br />

Berichts- und Prüfpflichten des § 5 TEHG weisen einen<br />

Ortsbezug auf, weil sie sich auf die Emissionen der jeweiligen ortsfesten<br />

Anlage beziehen und beispielsweise das Betreten des Anlagengrundstücks<br />

voraussetzen (s. auch BR-Drs. 198/04). Auch die<br />

Abgabe von Berechtigungen (§ 6 Abs. 1 TEHG) und ihre Zuteilung<br />

(§ 9 Abs. 1 u. 2 TEHG) richten sich nach dem Umfang der durch<br />

»seine« (d.h. des Verantwortlichen) bzw. »eine« Tätigkeit verursachten<br />

Emissionen und ist somit anlagen- und ortsbezogen (ebenso<br />

VG Augsburg, a.a.O.).<br />

Mithin ist der ausschließliche Gerichtsstand des § 52 Nr. 1 Vw-<br />

GO gegeben. Die dem Gericht aus der Presse bekannt gewordene<br />

Auffassung des Umweltbundesamtes (FAZ v. 15.9.2004), die Zuständigkeit<br />

richte sich nach dem Sitz der zuständigen Bundesbehörde<br />

(s. § 52 Nr. 2 VwGO), hält die Kammer jedenfalls im vorliegenden<br />

Verfahren schon deshalb für unzutreffend, weil nicht<br />

der Verwaltungsakt einer Bundesbehörde, sondern die Anforderungen<br />

im Streit stehen, für deren Vollzug gemäß § 20 Abs. 1 Satz<br />

1 TEHG i.V.m. § 4 Abs. 7 TEHG die Landesbehörden zuständig sind<br />

oder nach Rechtsansicht der Antragstellerin sein sollen und der Antrag<br />

ausdrücklich gegen das Land Baden-Württemberg gerichtet ist.<br />

2. Der Antrag festzustellen, dass die Klage der Antragstellerin aufschiebende<br />

Wirkung hat, ist nicht statthaft.<br />

Allerdings ist anerkannt, dass das Gericht nach § 80 Abs. 5 Satz<br />

1 VwGO in entsprechender Anwendung feststellen kann, dass der<br />

eingelegte Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat, wenn hierüber<br />

Streit besteht und Vollzugsmaßnahmen drohen. Dies gilt auch,<br />

wenn unklar ist, ob die angefochtene Maßnahme ein Verwaltungsakt<br />

ist (vgl. etwa VGH Mannheim, Beschl. v. 20.8.1987 - 8 S<br />

1001/87, VBIBW 1988, 146 m.w.N.; Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl.,<br />

§ 80 Rn. 181; Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Vw-<br />

GO, § 80 Rn. 239).<br />

Weitere Voraussetzung der Statthaftigkeit des Antrages ist jedoch,<br />

dass objektiv ein Verwaltungsakt vorliegt, der Gegenstand einer<br />

Anfechtungsklage sein kann. Zwar tritt die aufschiebende Wirkung<br />

nach § 80 Abs. 1 VwGO grundsätzlich ohne Rücksicht auf die<br />

Zulässigkeit und die Begründetheit eines Rechtsbehelfs ein; in Anbetracht<br />

des funktionellen Zusammenhangs zwischen dem vorläufigen<br />

Rechtsschutz und dem Rechtsbehelf in der Hauptsache ist<br />

der Eintritt der aufschiebenden Wirkung jedoch ausgeschlossen,<br />

wenn eine Maßnahme nicht <strong>als</strong> Verwaltungsakt zu qualifizieren<br />

und daher Widerspruch und Anfechtungsklage von vorneherein<br />

nicht statthaft sind. Denn die Regelung des § 80 Abs. 5 VwGO bezieht<br />

sich ausschließlich auf die Vollziehung von Verwaltungsakten;<br />

liegt ein Rechtsbehelf im Sinne des § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO<br />

mangels eines anfechtbaren Verwaltungsaktes nicht vor, kann er<br />

auch keine aufschiebende Wirkung entfalten (vgl. VGH Mannheim,<br />

a.a.O., S. 146; OVG Berlin, Beschl. v. 5.8.1996, DVBl. 1996,<br />

945 (950); VGH München, Beschl. v. 5.8.1996 - 12 CS 95.3195,<br />

BayVBl. 1997, 22 (23); Schoch, a.a.O. § 80 Rn. 67; Kopp/Schenke,<br />

a.a.O. § 80 Rn. 50; Puttler, in: Sodan/Ziekow, <strong>Nomos</strong>-Kommentar<br />

zur VwGO, § 80 Rn. 32).<br />

Ein mit der Anfechtungsklage, angreifbarer Verwaltungsakt liegt<br />

nicht vor. Die Antragstellerin wendet sich gegen die durch § 4 Abs.<br />

7 Satz 1 TEHG begründeten Pflichten. Die Klage der Antragstellerin<br />

richtet sich im Hauptantrag gegen § 4 Abs. 7 Satz 1 TEHG; sie<br />

begehrt »die Aufhebung der durch § 4 Abs. 7 Satz 1 TEHG angeordneten<br />

Änderung ihrer immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen«.<br />

Damit wendet sie sich gegen ein formelles Gesetz. Denn<br />

wann ein Gesetz und wann ein Verwaltungsakt vorliegt, bestimmt<br />

sich nicht nach dem jeweiligen Inhalt, sondern allein nach der<br />

Form, <strong>als</strong>o dem Verfahren des Zustandekommens und der Art der<br />

Verkündung. Wenn die für die Rechtsetzung maßgebliche Form<br />

eingehalten wird, liegt ein Gesetz und kein Verwaltungsakt vor (P.<br />

Stelkens/U. Stelkens, VwVfG, 6. Aufl., § 35 Rn. 16). Auch für den zu<br />

gewährenden Rechtsschutz ist daher nicht der materielle Inhalt,<br />

sondern allein die äußere Erscheinungsform maßgeblich (BVerwG,<br />

Urt. v. 1.3.1967, BVerwGE 26, 251 (252); VGH München, Beschl.<br />

v. 30.11.1993, NVWZ-RR 1995, 114 (115)). Umstritten ist diese<br />

Rechtsauffassung – soweit ersichtlich – nur, wenn es um die Abgrenzung<br />

von Verwaltungsvorschrift und Rechtsverordnung, <strong>als</strong>o<br />

um abstrakt-generelle Regelungen der Verwaltung geht (vgl. VGH<br />

Mannheim, NK-Urt. v. 28.4.1997 – 1 S 2007/96, NuR 1999, 329<br />

(330)), nicht aber, wenn ein Parlamentsgesetz vorliegt. Es ist deshalb<br />

für die richtige Rechtsschutzform unerheblich, ob die in § 4<br />

Abs. 7 Satz 1 TEHG getroffene Regelung inhaltlich eine Einzelfallregelung<br />

in Form einer Allgemeinverfügung darstellt und ob sie<br />

darüber hinaus nur <strong>als</strong> Verwaltungsakt hätte ergehen dürfen. Denn<br />

selbst bei Formenmissbrauch ist ein förmliches Gesetz nicht <strong>als</strong><br />

Verwaltungsakt zu qualifizieren, sondern allenfalls nichtig (Stelkens,<br />

a.a.O. § 35 Rn. 16; VGH Kassel Urt. v. 16.6.1989 - 3 N 108/87,<br />

NuR 1990, 380). Widerspruch und Anfechtungsklage sind daher<br />

vorliegend ausgeschlossen.<br />

Der Auffassung der Antragstellerin, es handele sich bei § 4 Abs. 7<br />

Satz 1 TEHG um einen fingierten oder »verkappten« Verwaltungsakt,<br />

weil die dort genannten Pflichten zum »Bestandteil« ihrer immissionsschutzrechtlichen<br />

Genehmigungen erklärt und diese somit<br />

teilweise abgeändert würden, vermag das Gericht nicht zu folgen.<br />

Es bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Fiktion eines<br />

Verwaltungsaktes. Selbst wenn man mit der Antragstellerin davon<br />

ausgeht, dass die immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen<br />

der Antragstellerin abgeändert werden (a.A. aber Kobes, <strong>Das</strong> Zuteilungsgesetz<br />

2007, NVWZ 2004, 1153 (1154)) und nur die<br />

zuständige Landesbehörde, hierzu befugt gewesen wäre, so folgt<br />

hieraus noch nicht, dass die gleichwohl durch Bundesgesetz erfolgte<br />

Regelung <strong>als</strong> Verwaltungsakt der Landesbehörde anzusehen<br />

ist. Hierfür gibt schon der Wortlaut des § 4 Abs. 7 Satz 1 TEHG nichts<br />

her. Dagegen spricht aber auch die Systematik des Gesetzes:<br />

Während nach § 4 Abs. 7 Satz 1 TEHG die dort genannten Pflichten<br />

(kraft Gesetzes) Bestandteil der immissionsschutzrechtlichen<br />

Genehmigung werden, werden die zuständigen (Landes-) Behörden<br />

in Satz 2 ausdrücklich ermächtigt, die für die Durchführung des Gesetzes<br />

erforderlichen nachträglichen Anordnungen zu treffen, <strong>als</strong>o<br />

Verwaltungsakte zu erlassen. Zudem fehlen der Bestimmung wesentliche<br />

Merkmale eines fiktiven oder fingierten Verwaltungsaktes.<br />

Fiktive Verwaltungsakte sind Verwaltungsakte, die kraft besonderer<br />

Rechtsvorschriften bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen, z. B.<br />

bei Untätigkeiten der Behörde nach Antragstellung während einer<br />

bestimmten Frist, <strong>als</strong> ergangen gelten (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8.<br />

Aufl., § 35 Rn. 24 m. w. N.; P. Stelkens/U. Stelkens, a.a.O. § 35 Rn. 52<br />

f.). Auch der fiktive Verwaltungsakt ist <strong>als</strong>o eine Einzelfallregelung,<br />

die vom Eintritt bestimmter Voraussetzungen abhängt. Zwar liegt<br />

keine »Maßnahme« einer Behörde vor (P. Stelkens/U. Stelkens, a.a.O.<br />

§ 35 Rn.52); der Verwaltungsakt kann der Behörde aber zugerech-<br />

ZUR 1/2005 | 23


RECHTSPRECHUNG | VG Karlsruhe, Emissionshandel<br />

net werden, weil sie es grundsätzlich in der Hand hat, eine abweichende<br />

Regelung zu treffen oder eine andere <strong>als</strong> die fingierte Rechtsfolge<br />

zu setzen, etwa indem sie fristgerecht tätig wird. All diese Voraussetzungen<br />

sind vorliegend nicht gegeben.<br />

Etwas anderes folgt auch nicht aus § 4 Abs. 6 TEHG, wonach die<br />

immissionsschutzrechtliche Genehmigung die Emissionsgenehmigung<br />

nach § 4 Abs. 1 TEHG ist. Denn eine immissionsschutzrechtliche<br />

Genehmigung, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes<br />

erteilt worden ist, wird hierdurch nicht zu einer (neuen) Emissionsgenehmigung<br />

(ebenso VG Augsburg, a.a.O.). Weder dem Wortlaut<br />

noch der Begründung des Gesetzes lässt sich entnehmen, dass<br />

die immissionsschutzrechtliche Genehmigung <strong>als</strong> Emissionsgenehmigung<br />

fingiert wird mit der Folge, dass inhaltliche Einschränkungen<br />

oder nachteilige Nebenbestimmungen (erneut)<br />

anfechtbar wären. Vielmehr ersetzt die bisherige immissionsschutzrechtliche<br />

Genehmigung die Erteilung einer Emissionsgenehmigung<br />

und gilt – allerdings ergänzt um die im TEHG begründeten<br />

Pflichten – <strong>als</strong> solche fort.<br />

3. Auch der Antrag, im Wege einer einstweiligen Anordnung<br />

festzustellen, dass die Antragstellerin die in § 4, 5 und 6 Abs. 1<br />

TEHG geregelten Pflichten vorläufig nicht erfüllen muss, hat keinen<br />

Erfolg.<br />

Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine<br />

einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen,<br />

wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Änderung des bestehenden<br />

Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers<br />

vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte.<br />

Statthaft ist auch der Antrag auf vorläufige Feststellung eines<br />

Rechtsverhältnisses, soweit es der Bewahrung des status quo dient<br />

(BVerfG, Beschl. v. 5.5.1987 - 2 BvR 104/87, NJW 1988, 249; Happ,<br />

in: Eyermann, VwGO, 10. Aufl., § 123 Rn. 21). Der Antrag ist begründet,<br />

wenn sowohl ein Anordnungsanspruch <strong>als</strong> auch ein Anordnungsgrund<br />

glaubhaft gemacht sind.<br />

a) Soweit sich der Feststellungsantrag auf die Pflichten aus 6 Abs.<br />

1 TEHG bezieht, besteht kein Anordnungsanspruch, weil der Antragsgegner<br />

insoweit nicht passiv legitimiert ist. Denn ein Anordnungsanspruch<br />

besteht nur dann, wenn der in der Hauptsache geltend<br />

gemachte Anspruch dem Antragsteller (im Sinne einer Aktivlegitimation)<br />

gegen den Antragsgegner (im Sinne einer<br />

Passivlegitimation) zusteht (Puttler, a.a.O. § 123 Rn. 78). Geht es<br />

um eine (vorläufige) Feststellung, so ist der Antrag nach § 123 Abs.<br />

1 VwGO deshalb gegen den Rechtsträger zu richten, mit dem der<br />

Streit über ein konkretes Rechtsverhältnis besteht (Happ, a.a.O. §<br />

123 Rn. 47). Zwischen der Antragstellerin und dem Land Baden-<br />

Württemberg besteht im Hinblick auf die Pflichten nach § 6 Abs.<br />

1 TEHG jedoch kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis. Ob insoweit<br />

ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht ist, kann deshalb<br />

dahinstehen.<br />

Nach § 6 Abs. 1 TEHG hat der Verantwortliche (zum Begriff § 3<br />

Abs. 5 TEHG) bis zum 30. April eines Jahres, erstm<strong>als</strong> im Jahre 2006,<br />

eine Anzahl von Berechtigungen an die zuständige Behörde abzugeben,<br />

die den durch seine Tätigkeit im vorangegangenen Kalenderjahr<br />

verursachten Emissionen entspricht. Nach § 20 Abs. 1 Satz<br />

1 TEHG sind »zuständige Behörde« für den Vollzug der §§ 4 und 5<br />

TEHG bei genehmigungsbedürftigen Anlagen im Sinne des § 4 Abs.<br />

1 Satz 3 BImSchG die dafür nach Landesrecht zuständigen Behörden.<br />

Im Übrigen ist das Umweltbundesamt zuständig (§ 20 Abs. 1<br />

Satz 2 TEHG). Die Berechtigungen sind somit nach § 20 Abs. 1 Satz<br />

2 i. V. m. § 6 Abs. 1 TEHG an das Umweltbundesamt abzugeben,<br />

das auch für die Zuteilung der Berechtigungen (§§ 9, 10 TEHG i. V.<br />

m. dem Zuteilungsgesetz) sowie für die Sanktionen zur Durchsetzung<br />

der Abgabepflicht (vgl. § 18 TEHG) zuständig ist. Ist danach<br />

für den Vollzug des § 6 Abs. 1 TEHG eine Bundesbehörde zuständig,<br />

wird durch die darin geregelten Pflichten keine Rechtsbeziehung<br />

zwischen dem Land Baden-Württemberg und der Antragstellerin<br />

begründet, über das Streit entstehen könnte und das der<br />

vorläufigen Klärung im Wege einer einstweiligen Anordnung bedarf.<br />

Etwas Anderes könnte allerdings gelten, wenn die Landesbehörden<br />

für die Feststellung zuständig wären, ob das TEHG auf eine immissionsschutzrechtlich<br />

genehmigte Anlage anwendbar ist, <strong>als</strong>o<br />

<strong>als</strong> Anlage im Sinne des Anhang 1 zum TEHG anzusehen ist. Denn<br />

hierdurch würde auch inzident festgestellt, dass die Anlage u. a. die<br />

Anforderungen des § 6 Abs. 1 TEHG zu erfüllen hat (vgl. § 4 Abs. 7<br />

Satz 1 TEHG). Eine solche Befugnis oder Verpflichtung der zuständigen<br />

Immissionsschutzbehörde zur verfahrensunabhängigen<br />

Feststellung der Anwendbarkeit des TEHG auf Altanlagen findet im<br />

Gesetz aber keine Stütze (VG Augsburg, a.a.O.; Kobes, a.a.O., S.<br />

1154; a. A. offenbar das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz<br />

und Reaktorsicherheit, s. Schreiben v. 6.8.2004, Anlage 4 der<br />

Antragsschrift). Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass sich die<br />

Mitteilungspflicht nach § 4 Abs. 11 TEHG auch auf Altanlagen bezieht<br />

(VG Augsburg, a.a.O.). Die Frage der Emissionshandelspflichtigkeit<br />

einer Altanlage stellt sich vielmehr erstm<strong>als</strong> im Zuteilungsverfahren<br />

beim Umweltbundesamt. Vorliegend kann diese<br />

Frage aber offen bleiben. Denn die Antragstellerin bestreitet<br />

nicht, dass das TEHG auf die streitgegenständliche Anlage anwendbar<br />

ist. Selbst wenn <strong>als</strong>o die Landesbehörden für eine, vom<br />

Zuteilungsverfahren unabhängige Vorabprüfung der Anwendbarkeit<br />

des TEHG zuständig wären, käme der Erlass einer einstweiligen<br />

Anordnung nicht in Betracht, weil hierüber kein Streit besteht<br />

(vgl. Happ, a.a.O., § 123 Rn. 42). Zudem hätte sich die Antragstellerin<br />

– wenn sie anderer Auffassung wäre – mit ihrem Begehren<br />

zunächst an die zuständige Immissionsschutzbehörde wenden<br />

müssen.<br />

Schließlich wird ein konkretes Rechtsverhältnis zum Land auch<br />

nicht dadurch begründet, dass § 6 Abs. 1 TEHG in § 4 Abs. 7 Satz<br />

1 TEHG erwähnt wird, für den Vollzug des § 4 TEHG aber nach §<br />

20 Abs. 1 Satz 1 TEHG die Immissionsschutzbehörden der Länder<br />

zuständig sind. Wie oben ausgeführt, handelt es sich bei dieser Regelung<br />

nicht um einen fiktiven/fingierten Verwaltungsakt, der<br />

dem Land zugerechnet werden könnte. § 4 Abs. 7 Satz 1 TEHG wird<br />

nicht durch die Landesbehörden vollzogen, sondern begründet für<br />

Altanlagen eine gesetzliche Pflicht zur Abgabe von Berechtigungen,<br />

für deren verfahrensmäßige Durchführung und Überwachung<br />

– wie ausgeführt – eine Bundesbehörde zuständig ist. <strong>Das</strong>s die<br />

Abänderung landesrechtlicher Genehmigungen durch Bundesgesetz<br />

nach Auffassung der Antragstellerin mit der Kompetenzordnung<br />

des Grundgesetzes unvereinbar ist, kann nicht dazu führen,<br />

dass das Land prozessual so zu behandeln ist, <strong>als</strong> ob es tatsächlich<br />

beteiligt wäre.<br />

Im Hinblick auf § 6 Abs. 1 TEHG steht mithin kein konkretes<br />

Rechtsverhältnis zwischen der Antragstellerin und dem Antragsgegner<br />

im Streit.<br />

b) Im Hinblick auf die in § 4 TEHG geregelten Pflichten besteht<br />

kein Anordnungsgrund. Nach Überzeugung der Kammer ist es für<br />

die Antragstellerin zumutbar, die dort genannten Anforderungen<br />

bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zu erfüllen,<br />

weil bis dahin nach derzeitigem Sach- und Streitstand keine Vereitelung<br />

oder wesentliche Erschwerung eines Rechts oder sonstige<br />

wesentliche, nicht wieder rückgängig zu machenden Nachteile<br />

drohen:<br />

§ 4 Abs. 1 bis Abs. 5 TEHG regelt die Erteilung der Emissionsgenehmigung.<br />

Gem. § 4 Abs. 6 Satz 1 TEHG benötigt die Antragstellerin<br />

keine (zusätzliche) Emissionsgenehmigung, weil die immissionsschutzrechtliche<br />

Genehmigung die Emissionsgenehmigung<br />

nach § 4 Abs. 1 TEHG ist. Die Antragstellerin wird <strong>als</strong>o durch die<br />

Regelungen des § 4 Abs. 1 bis 5 TEHG im Grundsatz nicht belastet.<br />

24 | ZUR 1/2005


VG Karlsruhe, Emissionshandel | RECHTSPRECHUNG<br />

Die Absätze 2 bis 5 finden allerdings insoweit Anwendung, <strong>als</strong> sie<br />

zusätzliche Anforderungen enthalten (§ 4 Abs. 6 Satz 2 TEHG). Zusätzliche<br />

Anforderungen enthält – soweit ersichtlich – nur § 4 Abs.<br />

2 TEHG, weil die Emissionsgenehmigung voraussetzt, dass der Verantwortliche<br />

in der Lage ist, die durch seine Tätigkeit verursachten<br />

Emissionen zu ermitteln und darüber zu berichten. Diese zusätzlichen<br />

Anforderungen entsprechen aber den Anforderungen des § 5<br />

TEHG, der nach § 4 Abs. 7 Satz 1 TEHG ohnehin <strong>als</strong> Bestandteil der<br />

Genehmigung anzusehen ist (dazu sogleich).<br />

Im Hinblick auf 4 Abs. 7 Satz 1 TEHG kommt – wie ausgeführt –<br />

der Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen das Land mangels<br />

Passivlegitimation nicht in Betracht.<br />

§ 4 Abs. 7 Satz 2 TEHG ermächtigt die Landesbehörden, die immissionsschutzrechtlichen<br />

Genehmigungen durch nachträgliche<br />

Anordnungen nach § 17 BImSchG an die Anforderungen des TEHG<br />

anzupassen. Derartige Anordnungen sind jedoch derzeit nicht beabsichtigt<br />

(Schreiben des Antragsgegners vom 6.10.2004), so dass<br />

derzeit ein Bedürfnis für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes<br />

nicht besteht. Im Übrigen wäre eine solche Anordnung <strong>als</strong> Verwaltungsakt<br />

zu qualifizieren; vorläufiger Rechtschutz könnte daher nur<br />

nach § 80 Abs. 5 VwGO gewährt werden (vgl. § 123 Abs. 5 VwGO).<br />

Auch im Hinblick auf die in § 4 TEHG begründeten Anzeigepflichten<br />

ist kein einstweiliger Rechtsschutz geboten und zwar unabhängig<br />

von der Frage, ob eine einfache Anzeige genügt, oder ob<br />

ein sog. Monitoring-Konzept beigefügt werden muss, aus dem sich<br />

die Einzelheiten der Treibhausgas-Ermittlung ergeben (s. dazu Kobes,<br />

a.a.O., S. 1154). Nach § 4 Abs. 7 Satz 3 TEHG haben die Betreiber<br />

Anlagen nach Satz 1 der zuständigen Behörde innerhalb<br />

von 3 Monaten nach Inkrafttreten dieses Gesetzes, <strong>als</strong>o bis zum<br />

15.10.2004 anzuzeigen. Nach § 4 Abs. 9 und Abs. 10 TEHG ist der<br />

Verantwortliche verpflichtet, der Behörde geplante Änderungen<br />

der Tätigkeit, soweit diese Auswirkungen auf Emissionen haben<br />

können, sowie Änderungen seiner Identität oder Rechtsform innerhalb<br />

einer bestimmten Frist anzuzeigen. Es ist nicht ersichtlich<br />

und von der Antragstellerin auch nicht geltend gemacht, dass es<br />

für sie unzumutbar ist, den Anzeigepflichten vor Abschluss des<br />

Hauptsacheverfahrens nachzukommen. Die Erfüllung der Anzeigepflichten<br />

belastet die Antragstellerin nur mittelbar insoweit, <strong>als</strong><br />

sie die Überwachung und Durchsetzung der im TEHG begründeten<br />

sonstigen Pflichten ermöglicht. Die Antragstellerin wendet sich<br />

mithin nicht gegen die Anzeigepflichten <strong>als</strong> solche, sondern gegen<br />

die eigentliche Emissionshandelspflichtigkeit selbst.<br />

Entsprechendes gilt für die Mitteilungspflicht nach § 4 Abs. 11<br />

TEHG. Danach ist die zuständige Landesbehörde verpflichtet, dem<br />

Umweltbundesamt die Erteilung von Emissionsgenehmigungen<br />

und emissionsrelevante Änderungen mitzuteilen. Ungeachtet dessen,<br />

dass die Mitteilungspflicht nicht für Altanlagen gelten dürfte<br />

(vgl. VG Augsburg, a.a.O), handelt es sich hierbei um eine verwaltungsinterne<br />

Regelung ohne unmittelbare Außenwirkung gegenüber<br />

der Antragstellerin.<br />

Schließlich haben nach § 4 Abs. 8 TEHG Maßnahmen nach § 17<br />

und 18 TEHG Vorrang vor Maßnahmen nach § 17 BImSchG. Bei<br />

Verstößen gegen die Pflichten nach § 5 TEHG finden die §§ 20 und<br />

21 BImSchG keine Anwendung. Erfüllt der Verantwortliche die in<br />

§ 6 Abs. 1 TEHG genannten Pflichten nicht, finden ausschließlich<br />

die Regelungen des TEHG Anwendung. Auch insoweit droht kein<br />

Gesetzesvollzug durch den Antragsgegner, der für die Antragstellerin<br />

unzumutbar wäre. Im Gegenteil begrenzt und reduziert die<br />

Regelung die Handlungsmöglichkeiten der Immissionsschutzbehörden<br />

des Landes zu Gunsten der in §§ 17 ff. TEHG geregelten<br />

Sanktionen. Diese werden aber – wie ausgeführt – nach § 20 Abs.<br />

1 Satz 2 TEHG durch das Umweltbundesamt verhängt. Im Hinblick<br />

auf drohende Sanktionen, die allerdings derzeit nicht in Rede stehen,<br />

wäre der Antragsgegner mithin nicht passivlegitimiert.<br />

Auch die Erfüllung der in § 5 TEHG geregelten Pflichten kann der<br />

Antragstellerin vor der rechtskräftigen Entscheidung der Hauptsache<br />

zugemutet werden. Nach § 5 Abs. 1 TEHG hat der Verantwortliche<br />

ab dem 1.1.2005 die durch seine Tätigkeit verursachten<br />

Emissionen zu ermitteln und der zuständigen Behörde bis zum 1.<br />

März des Folgejahres zu berichten. Nach § 5 Abs. 3 TEHG ist der<br />

Emissionsbericht durch eine sachverständige Stelle zu prüfen.<br />

Emissionsbericht und Prüfbericht werden von der zuständigen<br />

Landesbehörde stichprobenartig überprüft und dem Umweltbundesamt<br />

übermittelt (§ 5 Abs. 4 i. V. m. § 20 Abs. 1 Satz 1 u. Satz 2<br />

TEHG). Ungeachtet dessen, dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung<br />

schon deshalb nicht erforderlich erscheint, weil die Berichtspflicht<br />

erst zum 1.3.2006 erfüllt werden muss, entstehen hierdurch<br />

keine irreversiblen Fakten zum Nachteil der Antragstellerin.<br />

Die Antragstellerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass Ermittlung<br />

und Überprüfung der Emissionen der streitgegenständlichen Anlage<br />

in Leimen Kosten verursachen, die in wirtschaftlicher Hinsicht<br />

unzumutbar sind, geschweige denn zu nicht wieder rückgängig zu<br />

machenden Dispositionen zwingen. Ihre besondere Betroffenheit<br />

sieht die Antragstellerin vielmehr darin, dass die konjunkturbedingt<br />

geringen CO 2<br />

-Emissionen der Jahre 2000 bis 2002 zum Maßstab<br />

für die Zuteilung von Emissionsberechtigungen gemacht werden<br />

(s. § 7 Abs. 2 Zuteilungsgesetz 2007 – ZuG 2007 – (BGBl. I S.<br />

2211) und sie damit 40 bis 50 % der Produktionskapazität verliere.<br />

Eine weitere Sonderbelastung ergebe sich daraus, dass ein Teil der<br />

CO 2<br />

-Emissionen nicht aus dem Brennstoff, sondern aus dem Rohstoff<br />

Kalkstein komme. Damit wendet sie sich in der Sache nicht<br />

gegen die Ermittlungs- und Berichtspflicht <strong>als</strong> solche, sondern dagegen,<br />

dass und in welcher Weise die ermittelten Emissionen zur<br />

Grundlage der Zuteilung gemacht werden. Die geltend gemachten<br />

Beeinträchtigungen ihres Geschäftsbetriebes treten somit nach<br />

ihrem eigenen Vortrag nicht durch den Umstand ein, dass sie Emissions-<br />

und Prüfberichte vorzulegen hat, sondern erst dadurch, dass<br />

die Emissionen bewirtschaftet werden.<br />

Die Kammer sieht daher keinen Anlass, im Hinblick auf die in §<br />

5 TEHG i. V. m. § 20 Abs. 1 Satz 1 TEHG genannten Pflichten gegenüber<br />

der zuständigen Landesbehörde eine einstweilige Anordnung<br />

zu treffen.<br />

d) Ungeachtet der fehlenden Passivlegitimation des Antragsgegners<br />

im Hinblick auf § 6 Abs. 1 TEHG, käme die Kammer auch bei<br />

der von der Antragstellerin angeregten Folgenabwägung voraussichtlich<br />

nicht zu einem anderen Ergebnis. Die Antragstellerin hält<br />

den Erlass einer einstweiligen Anordnung schon deshalb für geboten,<br />

weil das TEHG aller Voraussicht nach verfassungswidrig sei,<br />

das Hauptsachebegehren <strong>als</strong>o offensichtlich begründet sei. Dem<br />

gegenüber sei ein öffentliches Interesse daran, dass auch die Antragstellerin<br />

beziehungsweise die streitgegenständliche Anlage ab<br />

sofort in den Emissionshandel einbezogen werde, nicht erkennbar.<br />

<strong>Das</strong>s eine Verfassungswidrigkeit offensichtlich wäre, vermag die<br />

Kammer schon deshalb nicht festzustellen, weil insoweit sowohl<br />

die Bindung des Gesetzgebers an europarechtliche Vorgaben <strong>als</strong><br />

auch die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung zu<br />

berücksichtigen sind (die Verfassungsmäßigkeit bejahend: Burgi,<br />

Grundprobleme des deutschen Emissionshandelssystems, NVWZ<br />

2004, 1162 (1163 f.)). Davon unabhängig fällt aber auch eine offene<br />

Interessenabwägung nicht eindeutig zu Gunsten des Erlasses<br />

einer einstweiligen Anordnung aus. Stellt das Gericht die betroffene<br />

Anlage im Wege einer einstweiligen Anordnung von der Emissionshandelspflichtigkeit<br />

frei, dürften gravierende Folgen für die<br />

Antragstellerin eintreten, wenn sich das TEHG gleichwohl <strong>als</strong> verfassungsmäßig<br />

erweist. Denn die Antragstellerin hätte zumindest<br />

für die erste Zuteilungsperiode vom 1.1.2005 bis 31.12.2007 (§ 6<br />

Abs. 4 Satz 2 TEHG) keine Berechtigungen abgegeben. Sie müsste<br />

voraussichtlich erhebliche wirtschaftliche Anstrengungen unter-<br />

ZUR 1/2005 | 25


RECHTSPRECHUNG | Anmerkung Neuser zum Beschluss des VG Karlsruhe<br />

nehmen, um die erforderlichen Berechtigungen nachträglich zu erwerben,<br />

weil der Emissionshandel in diesem Zeitraum in Gang gekommen<br />

sein dürfte, und wäre außerdem der Gefahr der in §§ 17<br />

ff. TEHG genannten Sanktionen ausgesetzt (Kontosperrung, Zahlungspflichten<br />

etc). <strong>Das</strong>s die Nachteile einer vorläufigen Teilnahme<br />

am Emissionshandel schwerer wiegen, wenn sich das TEHG <strong>als</strong><br />

verfassungswidrig erweisen sollte, vermag die Kammer nicht mit<br />

der erforderlichen Eindeutigkeit festzustellen, zumal die Antragstellerin<br />

nicht im Einzelnen glaubhaft gemacht hat, welche nicht<br />

wieder rückgängig zu machenden Dispositionen zu treffen sind.<br />

Auch der Umstand, dass die Antragstellerin es nicht ausschließt,<br />

trotz des vorliegenden Rechtsstreits am Zuteilungsverfahren teilnehmen<br />

zu wollen, spricht dafür, dass auch ihr eine vorläufige<br />

Teilnahme am Emissionszertifikate-Handel in der Sache geboten<br />

und zumutbar erscheint. Hinzu kommt, dass Einschränkungen des<br />

Betriebs der Anlage nach der Systematik des TEHG nicht zu befürchten<br />

sind, selbst wenn die Antragstellerin ihren Pflichten nach<br />

§§ 4, 5 und 6 TEHG nicht nachkommt, etwa die erforderliche Zahl<br />

der Berechtigungen nicht abgibt (vgl. § 4 Abs. 8 TEHG, § 5 Abs. 1<br />

BImschG i. d. F. des Art. 2 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie<br />

2003/87/EG über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten<br />

in der Gemeinschaft (BGBl. I S. 1578). Auch<br />

deshalb erscheint eine vorläufige Sicherung des bestehenden<br />

Rechtszustands in der Sache nicht geboten.<br />

Anmerkung zum Beschluss des VG Karlsruhe<br />

A. Hintergrund<br />

Nachdem sich mittlerweile beinahe weltweit die Erkenntnis durchgesetzt<br />

hat, dass der globale Klimawandel eine zentrale Herausforderung<br />

für die Umweltpolitik der kommenden Jahrzehnte ist, führt<br />

am Emissionshandel eigentlich kein Weg vorbei, da er das kosteneffizienteste<br />

Instrument zur Erreichung nationaler Klimaschutzverpflichtungen<br />

ist: Bei Treibhausgas-Emissionen ist es vollkommen<br />

irrelevant, wo sie vermieden werden, wichtig ist allein,<br />

dass sie vermieden werden. So überlässt es der Emissionshandel der<br />

ökonomischen Entscheidungsrationalität der Verantwortlichen,<br />

ob sie ihre Minderungsverpflichtungen durch eigene Maßnahmen<br />

zur Emissionsreduzierung erfüllen oder von Minderungsmaßnahmen<br />

Dritter profitieren, indem sie die dort nicht (mehr) benötigten<br />

Emissionskontingente zukaufen.<br />

Von dieser theoretischen Erkenntnis zur praktischen Einführung<br />

des Emissionshandels in Deutschland führte der Weg über die<br />

Emissionshandels-Richtlinie (2003/87/EG) und die nationalen<br />

Umsetzungsgesetze (Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz – TEHG<br />

– und Zuteilungsgesetz 2007 – ZuG 2007) bis zum Zuteilungsverfahren,<br />

in dem die eigens geschaffene »Deutsche Emissionshandelsstelle«<br />

über die Anträge von etwa 2.100 Kraftwerken und Industrieanlagen<br />

auf Zuteilung kostenloser Emissionsberechtigungen<br />

entschieden hat.<br />

Der vorliegende Beschluss des VG Karlsruhe betrifft allerdings<br />

keine dieser konkreten Zuteilungsentscheidungen, sondern vielmehr<br />

eines von drei Parallelverfahren, das ein Unternehmen der<br />

Zementindustrie unmittelbar nach Inkrafttreten des TEHG vom<br />

08.07.2004 (BGBl. I, S. 1578) mit dem Ziel eingeleitet hatte, den<br />

Emissionshandel noch vor der Durchführung des Zuteilungsverfahrens<br />

wegen offensichtlicher Verfassungswidrigkeit zu stoppen.<br />

<strong>Das</strong> betroffene Unternehmen hatte zunächst Klage gegen das Land<br />

Baden-Württemberg erhoben und beantragt, die (nach Auffassung<br />

der Klägerin) mit § 4 Abs. 7 Satz 1 TEHG angeordnete Änderung<br />

der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung aufzuheben.<br />

Hilfsweise beantragte die Klägerin die Feststellung, dass die in §§ 4,<br />

5 und 6 Abs. 1 TEHG geregelten Pflichten nicht Bestandteil der immissionsschutzrechtlichen<br />

Genehmigung sind.<br />

Nachdem das Land es abgelehnt hat, die aufschiebende Wirkung<br />

der Klage festzustellen, hat die Antragstellerin im Rahmen<br />

des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens beantragt, die aufschiebende<br />

Wirkung der Klage festzustellen. Im Hilfsantrag begehrte die<br />

Antragstellerin die Feststellung, dass sie vorläufig die Pflichten<br />

nach §§ 4, 5 und 6 Abs. 1 TEHG nicht erfüllen muss.<br />

<strong>Das</strong> von der Antragstellerin ausdrücklich benannte Ziel dieser<br />

prozessualen Konstruktion war es, das Verwaltungsgericht von der<br />

Verfassungswidrigkeit des TEHG zu überzeugen, damit es das Verfahren<br />

im Wege der konkreten Normenkontrolle dem BVerfG vorlegt.<br />

Dieses Ziel hat die Antragstellerin nicht erreicht. Vielmehr hat<br />

das VG Karlsruhe den Antrag mit dem vorliegenden Beschluss abgelehnt.<br />

B. Ablehnung des Hauptantrags<br />

Den Hauptantrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung<br />

der Klage hat das VG bereits wegen Unstatthaftigkeit abgelehnt, da<br />

nur die Klage gegen einen Verwaltungsakt aufschiebende Wirkung<br />

entfalten kann. Ein Verwaltungsakt liegt aber nach Auffassung des<br />

Gerichts nicht vor. <strong>Das</strong> Gericht verwirft mit dieser Feststellung die<br />

von der Antragstellerin mit viel Aufwand entwickelte Rechtsfigur<br />

des »verkappten« Verwaltungsakts. <strong>Das</strong> Gericht verweist hier<br />

zunächst auf den Grundsatz, dass zwischen Verwaltungsakt und<br />

Gesetz eine rein formale Abgrenzung besteht, die auch über den jeweils<br />

möglichen Rechtsschutz entscheidet. Zusätzlich lehnt das<br />

Gericht auch einen Vergleich mit der Figur des »fingierten« Verwaltungsakts<br />

ab, da die Voraussetzungen für die Annahme einer<br />

solchen Fiktion nicht erfüllt sind. Auch wird die immissionsschutzrechtliche<br />

Genehmigung durch die Regelung des § 4 Abs. 6<br />

TEHG nicht zu einer neuen Emissionsgenehmigung, sondern gilt<br />

<strong>als</strong> immissionsschutzrechtliche Genehmigung mit den neuen<br />

TEHG-Pflichten fort. Mit dieser Feststellung bestätigt das Gericht<br />

die Absicht des Gesetzgebers, Betreiber von Bestandsanlagen nicht<br />

mit einem neuen Genehmigungsverfahren zu überziehen, sondern<br />

die bestehenden Genehmigungen lediglich um die Pflichten<br />

des TEHG zu erweitern. Sofern die TEHG-Pflichten im Einzelfall<br />

weiter konkretisiert werden müssen, erfolgt dies über nachträgliche<br />

Anordnungen nach § 17 BImSchG.<br />

C. Ablehnung des Hilfsantrags<br />

Den Hilfsantrag lehnt das Gericht <strong>als</strong> unbegründet ab. Dabei differenziert<br />

das Gericht nach den einzelnen TEHG-Pflichten. Hinsichtlich<br />

der Pflicht zur Abgabe von Berechtigungen (§ 6 Abs. 1<br />

TEHG) besteht nach Auffassung des Gerichts kein Anordnungsanspruch,<br />

da für den Vollzug des § 6 Abs. 1 TEHG ausschließlich das<br />

Umweltbundesamt zuständig ist (§ 20 Abs. 1 Satz 2 TEHG) und daher<br />

kein streitiges Rechtsverhältnis zum beklagten Land bestehen<br />

kann, innerhalb dessen eine vorläufige Regelung getroffen werden<br />

könnte. Diese Feststellung des Gerichts mag auf den ersten Blick<br />

verwundern, ist aber konsequent und richtig. Zwar verfolgte die<br />

Antragstellerin mit dem Hilfsantrag offensichtlich das Ziel, auch<br />

bei Ablehnung der Figur des »verkappten« Verwaltungsakts die<br />

über § 4 Abs. 7 Satz 1 TEHG erfolgte Pflichtenerweiterung insgesamt<br />

anzugreifen. Für die geltend gemachten Feststellungsansprüche<br />

gegen das Land muss aber ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis<br />

bestehen, an dem es aber im Hinblick auf die Abgabepflicht<br />

aus § 6 Abs. 1 TEHG nach der zutreffenden Auffassung des<br />

Gerichts gerade fehlt.<br />

26 | ZUR 1/2005


BVerwGl, Festlegung von Flugrouten | RECHTSPRECHUNG<br />

In diesem Zusammenhang prüft das Gericht noch die Frage, ob<br />

sich ein streitiges Rechtsverhältnis möglicherweise aus der Befugnis<br />

des Landes ergeben könne, eine Entscheidung über den Anwendungsbereich<br />

des TEHG und damit mittelbar auch über die Pflicht<br />

aus § 6 Abs. 1 TEHG zu treffen. Diese Frage verneint das Gericht mit<br />

einer unzutreffenden Begründung, aber im Ergebnis zu Recht. Für<br />

die Entscheidung der Frage, ob eine Anlage dem Anwendungsbereich<br />

des TEHG unterfällt, sind die Landesbehörden im Anzeigeverfahren<br />

nach § 4 Abs. 7 Satz 3 TEHG zuständig. 1 Dies ergibt sich<br />

aus der Entstehungsgeschichte der Regelung, die ursprünglich in §<br />

3 des Entwurfs zur 34. BImSchV enthalten war. Ausweislich der Begründung<br />

zu dieser Regelung dient das Anzeigeverfahren auch dazu,<br />

dass »die Betreiber von Anlagen, die sich über ihre Betroffenheit<br />

im Unklaren sind, die Gelegenheit (bekommen), von den zuständigen<br />

Behörden Gewissheit über ihre Teilnahme am Emissionshandel<br />

zu erhalten.« 2 Ein solcher Zweifelsfall über die Emissionshandelspflichtigkeit<br />

der Anlage lag hier aber nicht vor. Zwischen<br />

den Beteiligten ist völlig unstreitig, dass es sich bei der betroffenen<br />

Anlage um eine Tätigkeit nach Nr. X der Anlage 1 zum TEHG handelt.<br />

Daher kann es <strong>als</strong>o tatsächlich kein streitiges Rechtsverhältnis<br />

zum Land geben, das einer vorläufigen Regelung bedürfte.<br />

Hinsichtlich der begehrten vorläufigen Freistellung von den<br />

Pflichten der §§ 4 und 5 TEHG trifft das Gericht keine Feststellung<br />

zum Anordnungsanspruch, sondern lehnt die Anträge mangels<br />

Anordnungsgrund ab. Der Antragstellerin sei es zumutbar, bis zur<br />

Entscheidung in der Hauptsache die Anforderungen aus §§ 4 und<br />

5 TEHG zu erfüllen. Dabei geht das Gericht auf die einzelnen Anforderungen<br />

dieser Regelungen und die möglichen Konsequenzen<br />

für die Antragstellerin ein. Bei dieser Prüfung der Einzelpflichten<br />

ist das Ergebnis konsequent, da es der Antragstellerin im Kern nicht<br />

darum geht, die Unzumutbarkeit einzelner Pflichten (z.B. die Emissionsberichterstattung<br />

nach § 5 TEHG) nachzuweisen. Vielmehr<br />

stützt sie die beantragte Freistellung von den TEHG-Pflichten in erster<br />

Linie darauf, dass das TEHG offensichtlich verfassungswidrig<br />

sei und es kein öffentliches Interesse an der Erfüllung verfassungswidriger,<br />

gesetzlicher Pflichten geben kann.<br />

Die »offensichtliche« Verfassungswidrigkeit des TEHG verneint das<br />

Gericht ausdrücklich unter Hinweis auf die Bindung des Gesetzgebers<br />

an europarechtliche Vorgaben und wegen der Möglichkeiten<br />

einer verfassungskonformen Auslegung. Damit ist ein Teil des<br />

Wegs für die Prüfung der geltend gemachten Verfassungsverstöße<br />

im Hauptsacheverfahren vorgezeichnet. Denn wenn das Gericht<br />

eine hinreichende Gewissheit an der Verfassungswidrigkeit des<br />

TEHG hätte, wäre es möglicherweise verpflichtet gewesen, unter<br />

Umgehung des Verwerfungsmonopols des BVerfG zur Gewährleistung<br />

eines effektiven Rechtsschutzes eine vorläufige Regelung gegen<br />

die <strong>als</strong> verfassungswidrig erachtete Norm zu treffen. 3<br />

Über die Feststellung hinaus, dass das TEHG nicht offensichtlich<br />

verfassungswidrig sei, geht das Gericht nicht näher auf die geltend<br />

gemachten Verfassungsverstöße ein. Die Antragstellerin hat Verfassungsverstöße<br />

insbesondere gegen die grundgesetzliche Kompetenzordnung,<br />

gegen Art. 14 GG sowie gegen Art. 12 GG geltend<br />

gemacht. Eine Auseinandersetzung mit den geltend gemachten<br />

Verfassungsverstößen war im Rahmen der Eilentscheidung des VG<br />

Karlsruhe allerdings nicht notwendig, da das Gericht im Rahmen<br />

einer Folgenabwägung die möglichen Konsequenzen betrachtet,<br />

die sich ergeben, wenn es die begehrte Anordnung trifft und sich<br />

das TEHG nachträglich <strong>als</strong> verfassungsgemäß erweist. Hierbei betont<br />

das Gericht zu Recht, dass die Antragstellerin in diesem Fall<br />

erhebliche wirtschaftliche Anstrengungen unternehmen müsste,<br />

um die erforderlichen Berechtigungen nachträglich zu erwerben.<br />

Diese Argumentation offenbart die große Umsicht der Entscheidung.<br />

Denn bei einer vorläufigen Befreiung der Antragstellerin von<br />

der Pflicht zur Abgabe von Berechtigungen nach § 6 Abs. 1 TEHG<br />

entfällt auch der korrespondierende Anspruch auf Zuteilung von<br />

Berechtigungen (§ 9 TEHG). Dieser Anspruch kann nach Abschluss<br />

des Zuteilungsverfahrens nicht wieder aufleben, da dann keine Berechtigungen<br />

mehr vorhanden sind, die zugeteilt werden könnten.<br />

Für diesen Fall diente die Ablehnung des Eilantrags der Antragstellerin<br />

mehr <strong>als</strong> die begehrte Anordnung.<br />

Die Antragstellerin hat Beschwerde gegen den Beschluss des VG<br />

Karlsruhe eingelegt. In einem der anderen Parallelverfahren hat das<br />

VG Würzburg Eilantrag und Klage nach mündlicher Verhandlung<br />

am 9.11.2004 abgewiesen. Die Sprungrevision wurde zugelassen.<br />

Uwe Neuser<br />

Dr. Uwe Neuser<br />

Rechtsanwalt und senior fellow bei Ecologic – Institut für angewandte<br />

europäische und internationale Umweltpolitik, Pfalzburger Str. 43-44,<br />

10717 Berlin, neuser@ecologic.de; berät derzeit das Bundesministerium<br />

für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit bei der Einführung des<br />

Emissionshandels in Deutschland.<br />

Aktuelle Veröffentlichungen: Hermann/Neuser: Sicherung von Industrieanlagen<br />

gegen Eingriffe Unbefugter, UBA-Texte 25-27/04, Berlin<br />

2004; Sicherheitsüberprüfungen <strong>als</strong> staatliche »Serviceleistung« WIK,<br />

<strong>Heft</strong> 1/04, S. 7.<br />

1 So auch Weinreich/Marr, Handel gegen Klimawandel, NJW 2005 (i.E); a.A. Kobes,<br />

<strong>Das</strong> Zuteilungsgesetz 2007, NVwZ 2004, 1153 (1154); Begemann/Lustermann,<br />

Emissionshandel: Probleme des Anwendungsbereichs und Auslegungsfragen zu<br />

Härtefallregelungen des ZuG 2007, NVwZ 2004, 1292 (1293); VG Augsburg Beschl.<br />

v. 1.9.2004 – Au 4 E 1237/04 (Umdruck, S. 12).<br />

2 Begründung des Regierungsentwurfs zu § 3 der 34. BImSchV. Diese Regelung<br />

enthielt das jetzt in § 4 Abs. 7 TEHG geregelte Anzeigeverfahren.<br />

3 Vgl. z. BVerfG, Beschl. v. 25.10.1988, NJW 1989, 827; Urban, Eingeschränkte<br />

Verwerfungskonpetenz der Verwaltungsgerichte im Eilverfahren gem. §<br />

123 VwGO, NVwZ 1989, 433.<br />

Festlegung von Flugrouten<br />

BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2004 – 4 C 11.03<br />

1. Bei der Festlegung von Flugrouten auf der Grundlage des<br />

§ 27 a Abs. 2 LuftVO hat das Luftfahrt-Bundesamt eine Abwägungsentscheidung<br />

zu treffen, die gerichtlich überprüfbar,<br />

aber nicht an den zum Abwägungsgebot im Fachplanungsrecht<br />

entwickelten Grundsätzen zu messen ist (im<br />

Anschluss an BVerwG, Urt. v. 28.6.2000 – 11 C 13.99,<br />

BVerwGE 111, 276 und vom 26.11.2003 – 9 C 6.02, DVBl.<br />

2004, 382).<br />

2. Der Prüfungsmaßstab ist unterschiedlich, je nachdem, ob<br />

durch die Flugroutenbestimmung Fluglärm hervorgerufen<br />

wird, der oberhalb oder unterhalb der Zumutbarkeitsschwelle<br />

liegt.<br />

3. Der Begriff des unzumutbaren Lärms im § 29 b Abs. 2<br />

LuftVG deckt sich mit dem immissionsschutzrechtlichen<br />

Begriff der erheblichen Lärmbelästigung.<br />

4. Für eine Flugroute, die mit unzumutbarem Fluglärm verbunden<br />

ist, darf sich das Luftfahrt-Bundesamt nur entscheiden,<br />

wenn überwiegende Gründe zur sicheren, geordneten<br />

und flüssigen Abwicklung des Luftverkehrs dies gebieten.<br />

5. Eine Flugroute, durch die Lärmbelästigungen unterhalb der<br />

Zumutbarkeitsschwelle hervorgerufen werden, ist zulässig,<br />

wenn sich für sie sachlich einleuchtende Gründe anführen<br />

lassen.<br />

6. Die Lärmschutzvorschriften, denen das Luftfahrt-Bundesamt<br />

bei seiner Abwägungsentscheidung Rechnung zu<br />

tragen hat, sind – jedenfalls auch – dazu bestimmt, Drittschutzinteressen<br />

zu dienen.<br />

Vorinstanz: VGH Kassel vom 11.2.2003 – 2 A 1062/01 –<br />

ZUR 1/2005 | 27


RECHTSPRECHUNG | BVerwG, Festlegung von Flugrouten<br />

Aus den Gründen: I. Die Klägerinnen, Städte und Gemeinden im<br />

Hochtaunus, wenden sich gegen die Festsetzung neuer Abflugverfahren<br />

in dem Bereich nordwestlich von Frankfurt/Main. Sie<br />

machen insbesondere geltend, dass ihnen gehörende Wohngrundstücke<br />

in unzulässiger Weise durch Fluglärm betroffen<br />

werden. (…)<br />

II. Die Revision der Beklagten ist begründet. <strong>Das</strong> angefochtene<br />

Urteil ist zu ändern (§ 144 Abs. 3 Nr. 1 VwGO). Es verletzt Bundesrecht.<br />

<strong>Das</strong> Erstgericht hätte der Klage nicht teilweise stattgeben<br />

dürfen.<br />

1. Die gegen die Zulässigkeit der Feststellungsklage erhobenen<br />

Einwände der Beklagten und der Beigeladenen greifen allerdings<br />

nicht durch.<br />

1.1 Die Feststellungsklage ist statthaft (vgl. BVerwG, Urt. v.<br />

28.6.2000 – 11 C 13.99, BVerwGE 111, 276 und vom 26.11.2003 –<br />

9 C 6.02, DVBl. 2004, 382). Die Kläger durften sie auf die 5. Änd-<br />

VO zur 212. DVO-LuftVO erstrecken, obwohl diese Rechtsverordnung<br />

erst während des Revisionsverfahrens erlassen worden ist<br />

(vgl. BVerwG, Urt. v. 26.11.2003 – 9 C 6.02, a.a.O.).<br />

1.2 Die Statthaftigkeit der Feststellungsklage wird nicht durch den<br />

Subsidiaritätsgrundsatz in Frage gestellt. § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO<br />

greift nur in den Fällen ein, in denen sich das mit der Klage erstrebte<br />

Ziel mit einer Gestaltungs- oder Leistungsklage ebenso gut oder besser<br />

erreichen lässt. Der Gesetzgeber will den Rückgriff auf die Feststellungsklage<br />

verhindern, wenn für die Rechtsverfolgung ein unmittelbareres,<br />

sachnäheres und wirksameres Verfahren zur Verfügung<br />

steht. Davon kann dort keine Rede sein, wo die Feststellungsklage einen<br />

Rechtsschutz gewährleistet, der weiter reicht <strong>als</strong> ein einzelnes Leistungsbegehren.<br />

Als effektiver erweist sich die Feststellungsklage insbesondere<br />

dann, wenn sich durch sie eine Vielzahl potentieller Anfechtungsprozesse<br />

vermeiden lässt. Dies trifft für das Verhältnis der<br />

Flugroutenfestlegung zu den auf ihrer Grundlage erteilten Einzelflugfreigaben<br />

zu. Der von der Beigeladenen aufgezeigte Weg, eine einzelne<br />

Freigabeentscheidung anzufechten und im Rahmen dieses<br />

Rechtsstreits die Frage nach der Gültigkeit des angewandten Flugverfahrens<br />

klären zu lassen, nötigt nicht zu einer abweichenden Beurteilung.<br />

Die Klägerinnen ziehen die normativen Vorgaben in Zweifel,<br />

die der Entscheidungsebene der Kontrollfreigabe vorgelagert sind.<br />

Die insoweit maßgebenden Rechtsverordnungen des Luftfahrt-Bundesamts<br />

würden im Rahmen von Anfechtungsverfahren – ihre Entscheidungserheblichkeit<br />

vorausgesetzt – allenfalls <strong>als</strong> Vorfrage eine<br />

Rolle spielen. Die Rechtskraftwirkungen eines etwaigen Aufhebungsausspruchs<br />

würden nicht so weit reichen wie die Feststellungswirkung<br />

eines stattgebenden Feststellungsurteils. Lässt sich dem eigentlichen<br />

Rechtsschutzanliegen der Klägerinnen mit einer Feststellungsklage<br />

nicht bloß ebenso gut, sondern sogar besser <strong>als</strong> mit einer<br />

Anfechtungsklage Rechnung tragen, so steht § 43 Abs. 2 Satz 1 Vw-<br />

GO der Wahl dieser Klageart nicht entgegen (vgl. BVerwG, Urt. v.<br />

7.9.1989 – 7 C 4.89, NVwZ 1990, 162 und v. 29.4.1997 – 1 C 2.95,<br />

NJW 1997, 2534).<br />

1.3 Die Feststellungsklage ist auch sonst zulässig. Den Klägerinnen<br />

fehlt nicht die Klagebefugnis. Diese Zulässigkeitsvoraussetzung,<br />

die in § 43 VwGO nicht genannt wird, in der Rechtsprechung<br />

des BVerwG aber seit langem anerkannt ist, ist nur dann nicht erfüllt,<br />

wenn subjektive Rechte des Klägers offensichtlich und eindeutig<br />

nach keiner Betrachtungsweise verletzt sein können (vgl.<br />

BVerwG, Urt. v. 28.2.1997 – 1 C 29.95, BVerwGE 104, 115 und v.<br />

10.10.2002 – 6 C 8.01, BVerwGE 117, 93). Sie dient ebenso wie im<br />

Anwendungsbereich des § 42 Abs. 2 VwGO dazu, Popularklagen zu<br />

verhindern (vgl. BVerwG, Urt. v. 6.2.1986 -5 C 40.84, BVerwGE 74,<br />

1 und v. 29.6.1995 – 2 C 32.94, BVerwGE 99, 64). Dagegen ist es<br />

nicht ihr Sinn, ernsthaft streitige Fragen über das Bestehen eines<br />

subjektiven Rechts, von deren Beantwortung der Klageerfolg abhängen<br />

kann, bereits vorab im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung<br />

zu klären (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.11.2003 – 9 C 6.02, a.a.O.). Vor<br />

dem Hintergrund der bisherigen Rechtsprechung des BVerwG lässt<br />

sich dem Interesse, vor Fluglärm ohne Rücksicht auf den Grad<br />

der Beeinträchtigung bewahrt zu bleiben, nicht von vornherein<br />

jegliche rechtliche Relevanz absprechen. Ob diesem Gesichtspunkt<br />

im konkreten Fall die Bedeutung zukommt, die ihm die Klägerinnen<br />

beimessen, ist der Prüfung im Rahmen der Begründetheit vorzubehalten.<br />

1.4 Ebenfalls nicht durchzudringen vermögen die Beklagte und<br />

die Beigeladene mit ihrem Einwand, der vom Erstgericht <strong>als</strong> »Maßgabe«<br />

bezeichnete Ausspruch, wonach die Klägerinnen die Nutzung<br />

der beanstandeten Flugverfahren »nach Ablauf von drei Monaten<br />

nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils nicht zu dulden haben«,<br />

stelle sich <strong>als</strong> eine Tenorierungsvariante dar, die das<br />

Prozessrecht in § 43 VwGO nicht vorsehe. Nach den Intentionen<br />

der Vorinstanz (vgl. UA S. 27) sollen die für die Beklagte und die<br />

Beigeladene nachteiligen Feststellungswirkungen nicht automatisch<br />

mit der Rechtskraft des Urteils, sondern erst drei Monate später<br />

eintreten. Dahin stehen kann, ob eine solche zeitliche Einschränkung<br />

rechtlich zulässig ist. Selbst wenn insoweit Zweifel angebracht<br />

sein sollten, ist offenkundig, dass die Beklagte und die<br />

Beigeladene durch die von ihnen beanstandete Maßgabe nicht beschwert,<br />

sondern im Gegenteil begünstigt werden.<br />

2. Die Klage ist indes in vollem Umfang unbegründet.<br />

2.1 Im Ausgangspunkt geht das Erstgericht in Übereinstimmung<br />

mit der Rechtsprechung des BVerwG zutreffend davon aus, dass das<br />

Luftfahrt-Bundesamt bei der Festlegung von Abflugstrecken durch<br />

eine Flugverfahrensverordnung eine Abwägungsentscheidung zu<br />

treffen hat, bei der auch das Interesse Einzelner, vor Lärmeinwirkungen<br />

bewahrt zu bleiben, <strong>als</strong> Abwägungsposten eine Rolle spielen<br />

kann. Der Verwaltungsgerichtshof weist in Anknüpfung an die<br />

Entscheidung des 11. Senats des BVerwG vom 28.6.2000 – 11 C<br />

13.99 (a.a.O.) zu Recht darauf hin, dass das Abwägungsgebot für<br />

die Ausweisung von Flugrouten »zwar grundsätzlich, aber nicht<br />

mit allen inhaltlichen Anforderungen (gilt), die in der Dogmatik<br />

des Fachplanungsrechts entwickelt worden sind« (UA S. 18). In diesem<br />

Zusammenhang streicht er ebenso wie das BVerwG die beiden<br />

Besonderheiten heraus, durch die Flugroutenfestlegungen gekennzeichnet<br />

sind. Er bemerkt, dass das Luftfahrt-Bundesamt »aus<br />

kompetenzrechtlichen Gründen darauf beschränkt ist, den vorhandenen<br />

Fluglärm zu verteilen, ohne die eigentliche Störquelle<br />

beseitigen oder einschränken zu können« (UA S. 18). Eine weitere<br />

Abweichung vom fachplanerischen Abwägungsgebot sieht er darin,<br />

»dass keine ‘parzellenscharfe’ Ermittlung und Bewertung der<br />

Belange der Betroffenen geboten, sondern eine generalisierende<br />

Betrachtung ausreichend ist« (UA S. 19). Mit seiner Annahme, dass<br />

die von den Klägerinnen angegriffene Regelung deshalb an einem<br />

Fehler im Abwägungsvorgang leide, weil das Luftfahrt-Bundesamt<br />

»mehr <strong>als</strong> geschehen die besonderen topografischen Bedingungen<br />

(hätte) berücksichtigen müssen« (UA S. 24), stellt er indes auf ein<br />

Anforderungsniveau ab, das dem von ihm selbst im Anschluss an<br />

die Rechtsprechung des BVerwG formulierten rechtlichen Ansatz<br />

zuwiderläuft und geeignet ist, die Unterschiede zu den im Bereich<br />

der Fachplanung zum Abwägungsgebot entwickelten Grundsätzen<br />

einzuebnen. Einer solchen Gleichsetzung aber ist das BVerwG<br />

in den Urteilen vom 28.6.2000 – 11 C 13.99 (a.a.O.) und vom<br />

26.11.2003 – 9 C 6.02 (a.a.O.) ausdrücklich entgegengetreten.<br />

2.2 In welchem Umfang das Luftfahrt-Bundesamt bei der Festlegung<br />

von Flugverfahren einer Abwägungspflicht unterliegt, richtet<br />

sich nach den gesetzlichen Vorgaben und im Übrigen nach<br />

dem rechtsstaatlich für jede Abwägung unabdingbar Gebotenen.<br />

Dazu im Einzelnen:<br />

2.2.1 Die 5. ÄndVO zu der 212. DVO–LuftVO, gegen die sich die<br />

Klägerinnen zur Wehr setzen, findet ihre Rechtsgrundlage in § 27 a<br />

28 | ZUR 1/2005


BVerwG, Festlegung von Flugrouten | RECHTSPRECHUNG<br />

Abs. 2 Satz 1 LuftVO. Danach ist das Luftfahrt-Bundesamt ermächtigt,<br />

bei An- und Abflügen zu und von Flugplätzen mit Flugverkehrskontrollstelle<br />

die Flugverfahren einschließlich der Flugwege,<br />

Flughöhen und Meldepunkte durch Rechtsverordnung festzulegen.<br />

Die Vorschrift beruht auf § 32 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LuftVG.<br />

Danach ist das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen<br />

u.a. ermächtigt, durch Rechtsverordnung Bestimmungen<br />

über das Verhalten im Luftraum und am Boden unter Einschluss<br />

von Start und Landung zu treffen. § 32 Abs. 3 Satz 3 LuftVG<br />

lässt es zu, die Regelung der Einzelheiten über die Durchführung<br />

dieser Verhaltenspflichten durch Rechtsverordnung auf das Luftfahrt-Bundesamt<br />

zu übertragen.<br />

2.2.2 Der systematische Zusammenhang, in den § 27 a LuftVO<br />

vor dem Hintergrund des § 32 LuftVG hineingestellt ist, lässt erkennen,<br />

dass es sich bei der Festlegung von Flugverfahren, zu deren<br />

wesentlichen Elementen auch die Bestimmung von Flugrouten<br />

gehört, nach der gesetzgeberischen Konzeption in erster Linie<br />

um ein sicherheitsrechtliches Instrument handelt, das der Verhaltenssteuerung<br />

insbesondere bei An- und Abflügen zu und von<br />

näher bezeichneten Flugplätzen dient. Adressat ist der Luftfahrzeugführer.<br />

Dieser verhaltensbezogene Ansatz wird durch § 58<br />

Abs. 1 Nr. 10 LuftVG unterstrichen, wonach ordnungswidrig handelt,<br />

wer vorsätzlich oder fahrlässig einer aufgrund des § 32 LuftVG<br />

erlassenen Rechtsverordnung zuwiderhandelt. Im Vordergrund der<br />

mit dieser Reglementierung verfolgten Zwecke stehen Sicherheitserwägungen.<br />

Nach § 29 Abs. 1 Satz 1 LuftVG haben die Luftfahrtbehörden,<br />

zu denen auch das Luftfahrt-Bundesamt in seiner<br />

Eigenschaft <strong>als</strong> oberste Bundesbehörde gehört (vgl. das Gesetz über<br />

das Luftfahrt-Bundesamt vom 30.11.1954, BGBl. I S. 354), Gefahren<br />

für die Sicherheit des Luftverkehrs abzuwehren. Die überragende<br />

Bedeutung dieses Aspekts hebt der Gesetzgeber auch an anderer<br />

Stelle ausdrücklich hervor. Nach § 27 c Abs. 1 LuftVG dient<br />

die Flugsicherung der sicheren, geordneten und flüssigen Abwicklung<br />

des Luftverkehrs. Dieser im eigentlichen Kern sicherheitsrechtliche<br />

Charakter verbietet es, die im Fachplanungsrecht zum<br />

Abwägungsgebot entwickelten Grundsätze unbesehen auf die Festlegung<br />

von Flugverfahren zu übertragen. Hinzu kommt, dass das<br />

Luftfahrt-Bundesamt im Rahmen des § 27 a Abs. 2 Satz 1 LuftVO<br />

nicht über das Maß an Gestaltungsfreiheit verfügt, das für eine Planungsentscheidung<br />

im materiellen Sinne typisch ist. Im Vordergrund<br />

steht nicht das Ziel, die Infrastruktur zu verbessern. Überdies<br />

weist der 11. Senat im Urt. v. 28.6.2000 – 11 C 13.99 (a.a.O.) darauf<br />

hin, dass der Festlegung von Flugverfahren insofern ein der<br />

Planung immanentes Element fehlt, <strong>als</strong> das Luftfahrt-Bundesamt<br />

keinen Einfluss auf den Umfang des Flugbetriebs hat. <strong>Das</strong> Lärmpotential<br />

des Flugplatzes stellt sich aus seiner Entscheidungsperspektive<br />

<strong>als</strong> unvermeidbare Folge vorausgegangener Verfahren dar,<br />

die – bei idealtypischer Betrachtung – nicht zuletzt dazu bestimmt<br />

sind, die mit dem Flughafenbetrieb verbundenen Lärmprobleme<br />

zu bewältigen (vgl. § 6 Abs. 2 Satz 1, § 9 Abs. 2 LuftVG). Darüber,<br />

ob im Genehmigungs- und im Planfeststellungsverfahren dem Gesichtspunkt<br />

des Lärmschutzes in optimaler Weise Rechnung getragen<br />

worden ist, hat das Luftfahrt-Bundesamt nicht zu befinden.<br />

Über den der Bevölkerung und den betroffenen Gemeinden zumutbaren<br />

Nutzungsumfang kann es nicht mitbestimmen. Die<br />

Quelle des Fluglärms ist seiner Einwirkung entzogen. Insoweit bestimmt<br />

die luftseitige Verkehrskapazität des jeweiligen Flughafens<br />

(Start- und Landebahnen, Rollwege, Vorfeldflächen) nach Maßgabe<br />

der luftrechtlichen Zulassungsentscheidung das Lärmpotential.<br />

<strong>Das</strong> Luftfahrt-Bundesamt ist darauf beschränkt, den vorhandenen<br />

Lärm gleichsam zu »bewirtschaften«. Einen umfassenden Interessenausgleich,<br />

wie ihn das Planungsrecht fordert, kann das Luftfahrt-Bundesamt<br />

nicht gewährleisten.<br />

2.2.3 <strong>Das</strong> bedeutet allerdings nicht, dass sich das Luftfahrt-Bundesamt<br />

bei seiner Entscheidung ausschließlich von Sicherheitsüberlegungen<br />

leiten lassen darf. Der Gesetzgeber bringt zum Ausdruck,<br />

dass es bei der Festlegung von Flugverfahren eine Abwägungsentscheidung<br />

zu treffen hat, bei der auch anderen Belangen<br />

Rechnung zu tragen ist. Wie aus § 29 Abs. 1 Satz 1 LuftVG erhellt,<br />

dürfen die Luftfahrtbehörden bei der Abwehr von »Gefahren für<br />

die Sicherheit des Luftverkehrs« nicht aus den Augen verlieren,<br />

dass Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung auch<br />

»durch die Luftfahrt« drohen können. In § 29 Abs. 1 Satz 3 LuftVG<br />

geht der Gesetzgeber noch einen Schritt weiter. Danach gehört<br />

nicht bloß die Abwehr von Gefahren »durch die Luftfahrt«, sondern<br />

darüber hinaus in Anlehnung an das Immissionsschutzrecht<br />

auch die Abwehr von erheblichen Nachteilen oder Belästigungen<br />

zu den Aufgaben der Luftaufsicht. In diesem Zusammenhang<br />

spricht der Gesetzgeber <strong>als</strong> Quelle etwaiger Beeinträchtigungen<br />

ausdrücklich den »durch Luftfahrzeuge in der Umgebung von Flugplätzen«<br />

hervorgerufenen »Fluglärm« an. Freilich ermächtigt § 29<br />

Abs. 1 LuftVG nur zu luftfahrtbehördlichen Einzelfallregelungen.<br />

Als allgemeine Vorschrift der Luftaufsicht hat er den Charakter einer<br />

Generalklausel, die eingreift, sofern nicht Spezialvorschriften<br />

eine abweichende Regelung enthalten. Als eine solche Sonderbestimmung<br />

kommt § 29 b Abs. 2 LuftVG in Betracht, der sich auch<br />

im Rahmen der rechtssatzmäßigen Festlegung von Flugverfahren<br />

nach § 27 a Abs. 2 Satz 1 LuftVO Geltung beimisst. Danach haben<br />

die Luftfahrtbehörden auf den Schutz der Bevölkerung vor unzumutbarem<br />

Fluglärm hinzuwirken.<br />

2.2.3.1 Soweit § 29 b Abs. 2 LuftVG auf »unzumutbare« Belastungen<br />

abstellt, ist er entgegen der Auffassung der Beklagten und<br />

der Beigeladenen nicht lediglich auf die Abwehr etwaiger Gesundheitsgefährdungen<br />

oder die Beeinträchtigung sonstiger verfassungsrechtlich<br />

geschützter Rechtsgüter zugeschnitten. Zwar besteht<br />

eine Pflicht aller staatlichen Organe, sich schützend und fördernd<br />

vor Rechtsgüter zu stellen, die Verfassungsrang genießen,<br />

und insbesondere Gesundheits- oder Eigentumsbeeinträchtigungen<br />

abzuwehren, durch die der Gewährleistungsgehalt des Art. 2<br />

Abs. 2 Satz 1 GG oder des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG angetastet wird<br />

(BVerwG, Urt. v. 23.5.1991 – 7 C 19.90, BVerwGE 88, 210 und vom<br />

28.10.1998 – 11 A 3.98, BVerwGE 107, 350; vgl. auch Urt. v.<br />

21.3.1996 – 4 C 9.95, BVerwGE 101, 1). <strong>Das</strong> Luftfahrt-Bundesamt<br />

würde diese Pflicht verletzen, wenn es an der Herstellung oder<br />

Fortsetzung solcher rechtswidrigen Eingriffe mitwirken würde. Es<br />

hat verfassungsmäßige Zustände zu gewährleisten und darf sich<br />

nicht damit begnügen, auf dieses Ziel bloß hinzuwirken. § 29 b<br />

Abs. 2 LuftVG setzt jedoch im Interesse des Lärmschutzes unterhalb<br />

der durch das Verfassungsrecht markierten äußersten Zumutbarkeitsgrenze<br />

an.<br />

2.2.3.2 Diese Feststellung rechtfertigt – entgegen der Ansicht der<br />

Klägerinnen – indes nicht die Schlussfolgerung, dass die Lärmschutzbelange<br />

bis hin zur Geringfügigkeitsgrenze bei der Festlegung<br />

von Flugverfahren keine andere Rolle spielen <strong>als</strong> in der Fachplanung.<br />

Wenn der Gesetzgeber in § 29 b Abs. 2 LuftVG von »unzumutbarem«<br />

Fluglärm spricht, dann liegt die Annahme fern, dass er<br />

mit diesem Attribut sämtliche Lärmeinwirkungen bezeichnet, die<br />

bei der Planfeststellung <strong>als</strong> Abwägungsposten zu Buche schlagen.<br />

Als unzumutbar qualifiziert er ersichtlich den Fluglärm, den er auch<br />

im luftrechtlichen Zulassungsrecht und im sonstigen Luftrecht <strong>als</strong><br />

unzumutbar bewertet. Entgegen der Auffassung der Klägerinnen<br />

liegt § 29 b Abs. 2 LuftVG auch nicht das Verständnis zugrunde, dass<br />

die Luftfahrtbehörden verpflichtet sind, darauf hinzuwirken, dass<br />

vermeidbarer Lärm unterbleibt. Nicht jeder Lärm, der vermeidbar<br />

ist, lässt darauf schließen, dass er unzumutbar ist. Als unzumutbar<br />

stuft der Gesetzgeber nur Lärmeinwirkungen ein, die durch das<br />

Qualifikationsmerkmal der Erheblichkeit die Schädlichkeitsgrenze<br />

ZUR 1/2005 | 29


RECHTSPRECHUNG | BVerwG, Festlegung von Flugrouten<br />

überschreiten (vgl. BVerwG, Urt. v. 7.10.1983 – 7 C 44.81, BVerw-<br />

GE 68, 62; vom 29.4.1988 – 7 C 33.87, BVerwGE 79, 254 und vom<br />

19.1.1989 – 7 C 77.87, BVerwGE 81, 197). Die einfachgesetzliche<br />

Grenzlinie der »Unzumutbarkeit« ist in § 29 b Abs. 2 LuftVG nicht<br />

anders zu ziehen <strong>als</strong> im Anwendungsbereich des § 29 Abs. 1 Satz 3<br />

LuftVG und im luftverkehrsrechtlichen Planungsrecht. Unterschiedlich<br />

geregelt sind lediglich die Rechtsfolgen.<br />

Die Lärmschutzklausel des § 29 b Abs. 2 LuftVG hebt sich in diesem<br />

Punkt insbesondere von dem Lärmschutzregime ab, das im<br />

luftverkehrsrechtlichen Zulassungsverfahren gilt. Nach § 6 Abs. 2<br />

Satz 1 LuftVG ist vor Erteilung der Genehmigung, die sowohl Unternehmergenehmigung<br />

<strong>als</strong> auch Planungsentscheidung sein<br />

kann, zu prüfen, ob der Schutz vor Fluglärm angemessen »berücksichtigt«<br />

ist. Mit diesem Berücksichtigungsgebot kennzeichnet der<br />

Gesetzgeber die Lärmschutzproblematik <strong>als</strong> unabdingbaren Bestandteil<br />

des Abwägungsmateri<strong>als</strong>. Auch im Rahmen der Planfeststellung<br />

spielt der Lärmschutz <strong>als</strong> Abwägungsposten eine maßgebliche<br />

Rolle. In § 9 Abs. 2 LuftVG kommt dies dadurch zum Ausdruck,<br />

dass dem Unternehmer im Planfeststellungsbeschluss die<br />

Errichtung und Unterhaltung der Anlagen aufzuerlegen ist, die zur<br />

Sicherung der Benutzung der benachbarten Grundstücke gegen<br />

Gefahren oder Nachteile notwendig sind. <strong>Das</strong> Nebeneinander von<br />

Gefahren und Nachteilen <strong>als</strong> je eigenständige Tatbestandsmerkmale<br />

macht deutlich, dass Schutzvorkehrungen nicht bloß zur Abwehr<br />

etwaiger Gesundheitsgefährdungen oder der Beeinträchtigung<br />

sonstiger verfassungsrechtlich geschützter Rechtsgüter geboten<br />

sind. Handlungsbedarf sieht der Gesetzgeber bereits auf einer<br />

der Gefahrenabwehr vorgelagerten Stufe. Mit dem Begriff der<br />

Nachteile markiert er eine zusätzliche Zumutbarkeitsschwelle. Im<br />

Bereich der Luftaufsicht folgt er diesem Regelungsmuster. Allerdings<br />

knüpft er an die Überschreitung der Zumutbarkeitsschwelle<br />

anders <strong>als</strong> in der Planfeststellung nicht die Verpflichtung, einen –<br />

vorrangig physisch-realen – Ausgleich zu schaffen. Vielmehr hält<br />

er die Luftfahrtbehörden lediglich dazu an, auf den Schutz der Bevölkerung<br />

vor unzumutbarem Fluglärm »hinzuwirken«. Mit dieser<br />

Regelung billigt er, dass unter bestimmten Umständen selbst unzumutbare<br />

Fluglärmbeeinträchtigungen ohne Ausgleich hinzunehmen<br />

sind. Gleichzeitig bringt er zum Ausdruck, dass sich die<br />

Luftfahrtbehörden über das Interesse, vor unzumutbarem Fluglärm<br />

bewahrt zu bleiben, nur unter engen Voraussetzungen hinwegsetzen<br />

dürfen. § 29 b Abs. 2 LuftVG normiert eine Regelverpflichtung,<br />

die Ausnahmen nur zulässt, wenn sich hierfür zwingende Gründe<br />

ins Feld führen lassen. Dies gilt auch für die Festlegung von Flugverfahren.<br />

Der Gesetzgeber trägt der Tatsache Rechnung, dass das<br />

Luftfahrt-Bundesamt nicht stets in der Lage ist, dem Lärmschutzziel<br />

des § 29 b Abs. 2 LuftVG gerecht zu werden. Durch die Festlegung<br />

von Flugrouten lässt sich das Ausmaß des Luftverkehrsaufkommens<br />

nicht beeinflussen. <strong>Das</strong> Luftfahrt-Bundesamt hat sich an<br />

der anderweitig getroffenen Grundentscheidung über den zulässigen<br />

Umfang der Verkehrsmenge auszurichten. Zum Lärmschutz<br />

kann es nur insoweit beitragen, <strong>als</strong> Sicherheitsanforderungen dies<br />

zulassen. Wo Verteilungsmaßnahmen unter Ausschöpfung aller sicherheitsrechtlich<br />

vertretbaren Möglichkeiten keine Abhilfe versprechen,<br />

kann es nicht dafür einstehen müssen, vor unzumutbarem<br />

Fluglärm zu schützen. Insoweit steht das durch § 29 b Abs. 2<br />

LuftVG vorgegebene Ziel unter dem Vorbehalt des Machbaren.<br />

Ist das Luftfahrt-Bundesamt mithin nicht daran gehindert, sich<br />

in dem Zielkonflikt zwischen Luftsicherheit und Lärmschutz für eine<br />

mit unzumutbaren Folgen verbundene Lösung zu entscheiden,<br />

so unterliegt es nach der Konzeption des Gesetzgebers doch einem<br />

besonderen Rechtfertigungszwang. Den Nachweis, dass schonendere<br />

Mittel nicht in Betracht kommen, kann es nur dann führen,<br />

wenn ihm überwiegende Gründe der sicheren, geordneten und<br />

flüssigen Abwicklung des Luftverkehrs zur Seite stehen. Auch in der<br />

Kollision mit gewichtigen Lärmschutzinteressen haben sicherheitsrelevante<br />

Erwägungen Vorrang. Der Schutz vor unzumutbarem<br />

Fluglärm ist von hoher Bedeutung, er darf aber nach der Wertung<br />

des Gesetzgebers nicht auf Kosten der Luftsicherheit gehen.<br />

2.2.3.3 Mit der in § 29 b Abs. 2 LuftVG getroffenen Bestimmung<br />

bringt der Gesetzgeber nicht im Sinne einer abschließenden Regelung<br />

zum Ausdruck, dass Fluglärm unterhalb der Zumutbarkeitsschwelle<br />

im Lärmschutzsystem des Luftverkehrsgesetzes außerhalb<br />

des Anwendungsbereichs der §§ 6 ff. LuftVG keine Rolle spielt. Jedenfalls<br />

bei der Festlegung von Flugverfahren lässt sich nicht in Abrede<br />

stellen, dass das Luftfahrt-Bundesamt eine Regelung trifft, die<br />

mindestens eine gewisse Nähe zu Planungsentscheidungen aufweist.<br />

Soweit Flugwege, Flughöhen und Meldepunkte festgelegt<br />

werden, wird ein räumlicher Bezug hergestellt. Durch die Festsetzung<br />

wird, einem Verkehrsweg vergleichbar, eine vertikal und horizontal<br />

definierte Linie im Raum verortet, auch wenn sich die<br />

Flugbewegungen mit Hilfe der Festlegungen nicht mit der gleichen<br />

Präzision wie beim Bau einer Straße oder eines Schienenweges<br />

an eine bestimmte Linienführung binden, sondern nur auf<br />

einen mehr oder weniger breiten Korridor kanalisieren lassen. Einen<br />

planerischen Einschlag hat die Flugroutenbestimmung auch<br />

insofern, <strong>als</strong> in der Umgebung eines Flughafens Lärmkonflikte bewältigt<br />

werden müssen.<br />

Anders <strong>als</strong> für den Fall unzumutbaren Fluglärms stellt der Gesetzgeber<br />

für geringere Lärmbelästigungen freilich kein Lösungsmodell<br />

zur Verfügung. Eine dem § 8 Abs. 1 Satz 2 LuftVG entsprechende<br />

Vorschrift, wonach die öffentlichen und die privaten Belange<br />

untereinander und gegeneinander abzuwägen sind, fehlt.<br />

Dieses gesetzgeberische Schweigen verbietet es, auf die in der<br />

Rechtsprechung zum fachplanerischen Abwägungsgebot entwickelten<br />

Grundsätze zurückzugreifen. <strong>Das</strong> BVerwG hat klargestellt,<br />

dass für die Abwägungsentscheidung, die das Luftfahrt-Bundesamt<br />

unter Berücksichtigung der Sicherheitsanforderungen auf<br />

der einen und der Lärmschutzinteressen auf der anderen Seite zu<br />

treffen hat, andere Maßstäbe gelten (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.6.2000<br />

– 11 C 13.99, a.a.O. und vom 26.11.2003 – 9 C 6.02, a.a.O.). Auszugehen<br />

ist von Folgendem: Soweit das Luftfahrt-Bundesamt zwischen<br />

verschiedenen Alternativen wählen kann, wäre es mit<br />

rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar, Lärmeinwirkungen,<br />

die sich ohne weiteres vermeiden oder vermindern lassen, in<br />

Kauf zu nehmen, nur weil sie von ihrem Ausmaß her noch nicht<br />

<strong>als</strong> schädlich, sondern bloß <strong>als</strong> lästig einzustufen sind. Auch unterhalb<br />

der Zumutbarkeitsschwelle brauchen Lärmbetroffene Belastungen<br />

nicht hinzunehmen, die sich zur Erreichung des mit einer<br />

bestimmten Maßnahme verfolgten Ziels objektiv <strong>als</strong> unnötig<br />

erweisen. Allerdings unterliegen die Luftfahrtbehörden in dem der<br />

Abwehr unzumutbaren Fluglärms vorgelagerten Bereich der Lärmvorsorge<br />

nicht dem Nachweis- und Rechtfertigungszwang, der für<br />

§ 29 b Abs. 2 LuftVG charakteristisch ist. Insoweit sieht der Gesetzgeber<br />

davon ab, die Abwägungsentscheidung mit den Mitteln<br />

des einfachen Rechts zu steuern. Er verpflichtet die Luftfahrtbehörden<br />

nicht, gezielt darauf hinzuwirken, dass der Bevölkerung<br />

Fluglärm jeder Art erspart bleibt, unabhängig davon, ob er den<br />

Rahmen des Zumutbaren überschreitet oder nicht. Die Wertung,<br />

die § 29 b Abs. 2 LuftVG zugrunde liegt, lässt den Schluss zu, dass<br />

das Interesse am Schutz vor Fluglärm, der nicht unzumutbar ist,<br />

hintangestellt werden darf, wenn sich hierfür sachlich einleuchtende<br />

Gründe ins Feld führen lassen. Dies trifft auch für die Festlegung<br />

von Flugverfahren zu. Muss die Entscheidung für eine bestimmte<br />

Flugroute nicht mit unzumutbaren Lärmbelastungen erkauft<br />

werden, so genügt es, wenn sie sich mit vertretbaren<br />

Argumenten untermauern lässt. <strong>Das</strong> Luftfahrt-Bundesamt braucht<br />

nicht obendrein den Nachweis zu erbringen, auch unter dem<br />

Blickwinkel des Lärmschutzes die angemessenste oder gar best-<br />

30 | ZUR 1/2005


BVerwG, Festlegung von Flugrouten | RECHTSPRECHUNG<br />

mögliche Lösung gefunden zu haben. Einen Rechtsverstoß begeht<br />

es nur dann, wenn es die Augen vor Alternativen verschließt, die<br />

sich unter Lärmschutzgesichtspunkten <strong>als</strong> eindeutig vorzugswürdig<br />

aufdrängen, ohne zur Wahrung der für den Flugverkehr unabdingbaren<br />

Sicherheitserfordernisse weniger geeignet zu sein.<br />

2.2.3.4 Die Lärmschutzvorschriften, denen das Luftfahrt-Bundesamt<br />

bei seiner Abwägungsentscheidung Rechnung zu tragen<br />

hat, sind – jedenfalls auch – dazu bestimmt, Drittschutzinteressen<br />

zu dienen. Der Gesetzgeber stellt in § 29 Abs. 1 LuftVG klar, dass<br />

die Luftfahrtbehörden die Aufgabe haben, Gefahren abzuwehren,<br />

die der öffentlichen Sicherheit durch die Luftfahrt drohen. Zu den<br />

Schutzgütern dieser, anderen »polizeilichen« Generalklauseln<br />

nachgebildeten Vorschrift gehört nicht nur die Aufrechterhaltung<br />

der Sicherheit der Allgemeinheit oder einer unbestimmten Personenmehrheit,<br />

sondern auch die Wahrung von Rechtspositionen,<br />

die für den Einzelnen von elementarer Bedeutung sind. Soweit Leben<br />

oder Gesundheit bedroht sind, ist eine Abwehr geboten. Erweiterte<br />

Schutzpflichten lassen sich daraus ableiten, dass der Gesetzgeber<br />

den Luftfahrtbehörden ein Mittel an die Hand gibt, unter<br />

den in § 29 Abs. 1 Satz 3 LuftVG bezeichneten Voraussetzungen<br />

auch Maßnahmen zur Abwehr von erheblichen Belästigungen<br />

durch Fluglärm zu ergreifen. Dem Schutzkonzept des § 29 b Abs. 2<br />

LuftVG liegen ähnliche Zielvorstellungen zugrunde. Der Schutz<br />

vor »unzumutbarem« Fluglärm steht <strong>als</strong> Synonym für den Schutz<br />

vor Fluglärm, durch den »erhebliche Belästigungen« hervorgerufen<br />

werden. Unbeschadet des § 2 Abs. 2 Satz 1 BImSchG bestimmt der<br />

Gesetzgeber das Anforderungsprofil im Bereich der Luftaufsicht in<br />

diesem Punkt in Anlehnung an das Bundes-Immissionsschutzgesetz.<br />

Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass die Vorschriften,<br />

die der Abwehr erheblicher Belästigungen im Sinne der Definition<br />

des § 3 Abs. 1 BImSchG dienen, Drittschutz vermitteln (vgl.<br />

BVerwG, Urt. v. 30.9.1983 – 4 C 74.78, BVerwGE 68, 58 und vom<br />

24.9.1992 – 7 C 7.92, Buchholz 406.12 § 15 BauNVO Nr. 22; Beschl.<br />

v 9.2.1996 – 11 VR 46.95, Buchholz 406.25 § 22 BImSchG Nr. 13).<br />

Nichts anderes gilt für den durch § 29 b Abs. 2 LuftVG begründeten<br />

Schutz der »Bevölkerung«. Zu dem damit geschützten Personenkreis<br />

gehören die im Einwirkungsbereich eines Flugplatzes lebenden<br />

Menschen einschließlich der Eigentümer von Grundstücken,<br />

die unzumutbarem Fluglärm ausgesetzt sind. Wegen der<br />

planungsähnlichen Wirkungen der Festlegung von Flugrouten ist<br />

eine drittschützende Wirkung auch für solche Personen zu bejahen,<br />

die keinem unzumutbaren Fluglärm im Sinne des § 29 b Abs. 2<br />

BImSchG ausgesetzt werden, deren Lärmschutzinteressen das Luftfahrt-Bundesamt<br />

bei seiner Abwägungsentscheidung aber gleichwohl<br />

im Rahmen des rechtsstaatlich unerlässlichen Minimums<br />

Rechnung zu tragen hat.<br />

2.2.4 Gemessen an diesen Grundsätzen bietet die 5. ÄndVO zu<br />

der 212. DVO-LuftVO keinen Anlass zu rechtlichen Bedenken.<br />

2.2.4.1 Die Klägerinnen machen selbst nicht geltend, <strong>als</strong> Eigentümerinnen<br />

von Wohngrundstücken im Einwirkungsbereich<br />

der von ihnen bekämpften Flugrouten Fluglärm ausgesetzt zu werden,<br />

der im luftaufsichtlichen Sinne unzumutbar ist. Der Gesetzgeber<br />

hat es trotz der hieran in der Literatur geübten Kritik (vgl. Berkemann,<br />

Fluglärm – Offene, aber zu lösende Rechtsfragen,<br />

ZUR 2002, 202 (205); Storost, Umweltprobleme bei der Zulassung<br />

von Flughäfen – Materielle Schutzstandards, NVwZ 2004, 257 (263<br />

ff.)) bisher unterlassen, das Maß des Zumutbaren normativ festzuschreiben.<br />

Nach der Rechtsprechung ist die Grenze einzelfallbezogen<br />

nach den konkreten Verhältnissen zu ziehen. Dahinstehen<br />

kann, welche Lärmwerte sich <strong>als</strong> Indikator dafür eignen, dass ein<br />

kritischer Bereich erreicht ist. Keine der bisherigen Entscheidungen<br />

des BVerwG (vgl. beispielhaft BVerwG, Urt. v. 7.7.1978 – 4 C<br />

79.76 u.a., BVerwGE 56, 110; v. 29.1.1991 – 4 C 51.89, BVerwGE<br />

87, 332 und v. 27.10.1998 – 11 A 1.97, BVerwGE 107, 313) bietet<br />

auch nur ansatzweise Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerinnen<br />

durch den von ihnen bekämpften Fluglärm in unzumutbarer Weise<br />

beeinträchtigt sein könnten. Die Ergebnisse der im Jahre 2000<br />

vorgenommenen Lärmmessungen lassen insoweit keine Zweifel<br />

aufkommen. Als höchster Mittelungspegel wurden knapp 50 dB(A)<br />

am Tag und annähernd 43 dB(A) bei Nacht festgestellt. Werte in einer<br />

solchen Größenordnung halten sich allemal im Rahmen des<br />

Hinnehmbaren (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.11.2003 – 9 C 6.02, a.a.O.).<br />

2.2.4.2 Bringt die 5. ÄndVO zu der 212. DVO-LuftVO ebenso wenig<br />

wie ihre Vorgängerregelungen keine unzumutbaren Lärmbeeinträchtigungen<br />

mit sich, so kann sich das Luftfahrt-Bundesamt zu ihrer<br />

Rechtfertigung mit dem Nachweis begnügen, dass sie auf sachlichen<br />

Erwägungen beruht, die nach Lage der Dinge geeignet sind, sich<br />

gegen die Lärmschutzinteressen der Klägerinnen durchzusetzen.<br />

<strong>Das</strong> Erstgericht gibt im angefochtenen Urteil (UA S. 6/7) die wesentlichen<br />

Gründe wieder, die das Luftfahrt-Bundesamt zu der veränderten<br />

Flugroutenführung veranlasst haben: Auslöser war die<br />

Anpassung des deutschen Flugverkehrsstreckennetzes an das im<br />

Laufe der 90er Jahre überarbeitete europäische Streckenkonzept,<br />

aus dem sich Konsequenzen auch für die Zubringerstrecken ergaben,<br />

da der Raum Frankfurt nicht mehr bloß von einer, sondern<br />

von zwei Überflugstrecken in Nord-Süd-Richtung mit festen und<br />

variablen Abdrehpunkten berührt wird. Die Anflüge zum Flughafen<br />

Frankfurt aus nordwestlicher Richtung wurden aus dem Hauptverkehrsstrom<br />

ausgegliedert und zum Einflugpunkt ETARU geführt.<br />

Um An- und Abflugverkehr auf praktisch ein und derselben<br />

Strecke zu vermeiden, wurden die Abflüge nicht mehr über TAU geleitet,<br />

sondern auf die Ausflugpunkte GOGAS-BIBOS (Nordwesten)<br />

und TABUM (Nordosten) verteilt. Dadurch, dass die Mehrzahl der<br />

Flugzeuge, die anstatt über TAU nunmehr über TABUM abfliegen,<br />

bereits am Punkt R 260 nach Norden abdreht, wird im Übrigen die<br />

Bevölkerung in der Umgebung von Mainz, Wiesbaden, Wicker,<br />

Delkenheim und Massenheim, die bisher unter erheblichen<br />

Fluglärmeinwirkungen litt, spürbar entlastet. <strong>Das</strong> Erstgericht<br />

räumt ein, dass sich das Luftfahrt-Bundesamt nicht ohne Berücksichtigung<br />

der zu beachtenden Belange auf die Abflugrouten festgelegt<br />

hat, die den Regelungsgegenstand der 5. ÄndVO zu der<br />

212. DVO-LuftVO bilden, sondern der Frage nachgegangen ist, ob<br />

andere Streckenführungen in Betracht kommen. Es weist darauf<br />

hin, dass die 13. ÄndVO zur 177. DVO-LuftVO, <strong>als</strong> deren Fortschreibung<br />

sich die 5. ÄndVO zu der 212. DVO-LuftVO darstellt,<br />

das Ergebnis einer Ende 2000 durchgeführten Computersimulation<br />

war, bei der das von der Technischen Universität Darmstadt entwickelte<br />

sog. NIROS-Programm (= Noise Impact Reduction and<br />

Optimization System) verwendet wurde. Kernstück dieses Programms<br />

ist die Bewertung von Fluglärmeinflüssen anhand einer<br />

Gewichtung errechneter Immissionspegel mit der örtlichen Bevölkerungsverteilung.<br />

<strong>Das</strong> Verfahren wird von der Beklagten wie<br />

folgt beschrieben: In Anknüpfung an simulierte Flugspuren wird<br />

die Lärmbelastung am Boden in der Weise bestimmt, dass auf der<br />

Grundlage der Immissionen der Flugzeuge verschiedener Luftfahrzeugkategorien<br />

nach den Gesetzen der Schallausbreitung in<br />

der Atmosphäre insbesondere unter Berücksichtigung der Parameter<br />

Temperatur und Luftfeuchtigkeit die Schallimmissionen am Boden<br />

berechnet werden. Die für die verschiedenen Streckenführungen<br />

ermittelten Immissionswerte werden in Beziehung zu der jeweiligen<br />

Bevölkerungsdichte gesetzt. Der Wert dieses Integr<strong>als</strong> wird<br />

<strong>als</strong> Maß für die Fluglärmbelastung der betroffenen Bevölkerung genommen.<br />

Er dient <strong>als</strong> Gütekriterium, an dem die einzelnen<br />

Streckenführungen gemessen werden. Zu dem Zeitpunkt, <strong>als</strong> die<br />

Berechnungen für die TABUM-Route angestellt wurden, waren<br />

Höhenprofildaten unstreitig noch nicht Teil des NIROS-Programms,<br />

auch wenn das Luftfahrt-Bundesamt geltend macht, bei<br />

seiner Entscheidung der Topografie in generalisierter Form inso-<br />

ZUR 1/2005 | 31


RECHTSPRECHUNG | BVerwG, Festlegung von Flugrouten<br />

fern Rechnung getragen zu haben, <strong>als</strong> in das Berechnungsprogramm<br />

die nach § 6 LuftVO erforderlichen Mindestflughöhen eingestellt<br />

worden seien.<br />

2.2.4.3 <strong>Das</strong> Erstgericht wertet die Nichtberücksichtigung der<br />

tatsächlichen Höhenverhältnisse zu Unrecht <strong>als</strong> Ermittlungsdefizit.<br />

Es misst dem Umstand, dass zwischen dem Flughafenniveau<br />

und den beim Abflug in Richtung TABUM überflogenen höchstgelegenen<br />

Geländeteilen eine Höhendifferenz von mehr <strong>als</strong> 500 m<br />

besteht, eine Bedeutung bei, die ihm bei Anlegung der insoweit<br />

maßgeblichen rechtlichen Maßstäbe nicht zukommt.<br />

Wie weit die Ermittlungspflicht reicht, richtet sich nach den materiellrechtlichen<br />

Anforderungen. Gibt das materielle Recht lediglich<br />

einen groben Maßstab vor, so bedarf es nicht der Ermittlung<br />

von Details, auf die es für die Entscheidung nicht ankommt. <strong>Das</strong><br />

Anforderungsprofil bei der Festlegung von Flugverfahren lässt sich<br />

aus Gründen der Sachgesetzlichkeit nicht in Anlehnung an die<br />

Grundsätze bestimmen, die im Fachplanungsrecht für das Abwägungsgebot<br />

entwickelt worden sind. <strong>Das</strong> BVerwG hat bereits in den<br />

Urteilen vom 28.6.2000 – 11 C 13.99 (a.a.O.) und vom 26.11.2003<br />

– 9 C 6.02 (a.a.O.) auf die Besonderheiten hingewiesen, durch die<br />

Flugverfahren gekennzeichnet sind. Flugstrecken lassen sich im<br />

Gegensatz zu Verkehrswegeplanungen am Boden nicht so festlegen,<br />

dass parzellenscharf festgestellt werden kann, mit welchen Beeinträchtigungen<br />

Dritte rechnen müssen. Die Immissionen, die<br />

von Luftfahrzeugen ausgehen, hängen von verschiedenen Faktoren<br />

ab. Neben dem Flugzeugtyp, der Triebwerksleistung und dem<br />

Gewicht des Luftfahrzeugs sind vor allem die meteorologischen<br />

Verhältnisse, wie etwa die Windrichtung und -geschwindigkeit sowie<br />

die Lufttemperatur, von Bedeutung. Wegen dieser Imponderabilien<br />

ist die Schallausbreitung nicht exakt vorhersehbar. Dies<br />

zwingt bei der Ermittlung und der Bewertung der Belastungssituation<br />

zu Pauschalierungen. Die Sachverhaltsfeststellungen können<br />

sich durchweg darauf beschränken, anhand von aktuellem Kartenmaterial,<br />

das zuverlässig Aufschluss über die Siedlungsstruktur<br />

bietet, näher aufzuklären, wie groß der Kreis potenzieller Lärmbetroffener<br />

ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.6.2000 – 11 C 13.99, a.a.O. und<br />

v. 26.11.2003 – 9 C 6.02, a.a.O.). Weitere Ermittlungen sind nur<br />

dann anzustellen, wenn die konkreten Umstände hierzu Anlass geben.<br />

Welche Untersuchungstiefe hierbei sachlich und räumlich geboten<br />

ist, richtet sich vornehmlich nach dem Ausmaß der Lärmbelastung.<br />

Ist <strong>als</strong> wahrscheinlich oder gar <strong>als</strong> gewiss davon auszugehen,<br />

dass durch den Flugverkehr auf der festgelegten Route<br />

unzumutbarer Lärm im Sinne des § 29 b Abs. 2 LuftVG hervorgerufen<br />

wird, so hat das Luftfahrt-Bundesamt umso intensiver zu<br />

prüfen, ob sich Streckenalternativen anbieten, die Abhilfe versprechen,<br />

je deutlicher die Zumutbarkeitsschwelle voraussichtlich<br />

überschritten wird. Liegt der Schluss auf unzumutbare Lärmbeeinträchtigungen<br />

dagegen von vornherein fern, so erübrigt es sich, alle<br />

Einzeltatsachen zu ermitteln, die geeignet sind, diese Annahme<br />

zu erhärten. Verfügt das Luftfahrt-Bundesamt über eine Tatsachengrundlage,<br />

die für eine an § 29 b Abs. 2 LuftVG orientierte<br />

Lärmbeurteilung ausreicht, so kann es sich weitere Nachforschungen,<br />

die keine entscheidungsrelevanten zusätzlichen Erkenntnisse<br />

versprechen, ersparen.<br />

<strong>Das</strong> Erstgericht macht selbst nicht geltend, dass das Luftfahrt-<br />

Bundesamt die topografischen Verhältnisse gänzlich übergangen<br />

habe. Es räumt ausdrücklich ein, dass »mit der Prüfung der zulässigen<br />

Mindestflughöhe« der Geländeanstieg durchaus »in den Entscheidungsprozess<br />

eingeflossen« ist (UA S. 25). Weshalb insoweit<br />

zusätzlicher Ermittlungsbedarf bestanden haben soll, legt es nicht<br />

dar. Insbesondere lässt es unberücksichtigt, dass das Luftfahrt-Bundesamt<br />

dem Problem der Flughöhe nicht bloß unter dem Blickwinkel<br />

der §§ 6 und 36 LuftVO Bedeutung beigemessen hat. Die<br />

<strong>als</strong> rechtswidrig qualifizierten Flugrouten dürfen nur dann benutzt<br />

werden, wenn genau definierte Bedingungen erfüllt sind. Vorausgesetzt<br />

wird, dass am Punkt R 260 FFM eine Höhe von 3 500 ft NN<br />

erreicht ist. Nur die Flugzeuge, die diesem Erfordernis gerecht werden,<br />

dürfen an diesem Punkt nach Norden abdrehen. Die übrigen<br />

haben den westlichen Kurs zunächst beizubehalten. Auch die Flugzeuge,<br />

die am Punkt R 260 FFM eine Höhe von 3 500 ft NN erreicht<br />

haben, dürfen den Punkt TABUM nicht nach Belieben anfliegen.<br />

Sie haben vielmehr zunächst den Punkt TAU im Norden anzusteuern.<br />

Erst wenn sie eine Höhe von 4 400 ft NN erreicht haben,<br />

dürfen sie nach Nordosten abdrehen und über das Gebiet der Klägerinnen<br />

hinweg in Richtung TABUM fliegen. Entgegen der Würdigung<br />

des Verwaltungsgerichtshofs hat das Luftfahrt-Bundesamt<br />

mithin sein Augenmerk nicht in Anlehnung an die in den §§ 6 und<br />

36 LuftVO getroffenen Regelungen allein »auf die Einhaltung von<br />

Mindeststandards« gerichtet (UA S. 26), sondern die Flughöhe so<br />

festgelegt, dass eine Überschreitung der gesetzlich vorgeschriebenen<br />

Mindestflughöhe um mehrere hundert Meter sichergestellt<br />

ist. Genauere Untersuchungen der topografischen Verhältnisse<br />

hätten sich ihm nur dann aufzudrängen brauchen, wenn trotz des<br />

4 400 ft-Kriteriums Anhaltspunkte dafür vorhanden gewesen<br />

wären, dass die festgelegte Flughöhe nicht ausreicht, um Lärmbeeinträchtigungen<br />

in dem nach § 29 b Abs. 2 LuftVG kritischen Bereich<br />

zu vermeiden. Umstände, die in diese Richtung hätten deuten<br />

können, werden weder vom Verwaltungsgerichtshof noch von<br />

den Klägerinnen aufgezeigt; sie sind auch sonst nicht ersichtlich.<br />

Die Ergebnisse der inzwischen vorgenommenen Lärmmessungen<br />

lassen sich im Gegenteil <strong>als</strong> Beleg dafür werten, dass sich das Luftfahrt-Bundesamt<br />

mit seinen Höhenfestlegungen auf der sicheren<br />

Seite wähnen durfte.<br />

2.2.4.4 Bot die festgelegte Flugroute unter Lärmschutzgesichtspunkten<br />

keinen Anlass zu Bedenken, so musste das Luftfahrt-Bundesamt<br />

die topografischen Verhältnisse nicht zum Gegenstand eingehenderer<br />

Untersuchungen machen. Die Vorzugswürdigkeit anderer<br />

Streckenführungen hing nicht vom Geländerelief der<br />

Hochtaunusregion ab. Der Verwaltungsgerichtshof stellt nicht in<br />

Abrede, dass das Luftfahrt-Bundesamt im NIROS-Verfahren Alternativrouten<br />

untersucht, wegen ungünstigerer Gütewerte aber verworfen<br />

hat. Er weist darauf hin, dass die von den Klägerinnen befürwortete<br />

Routenverschiebung »auf den ersten Blick keine Verbesserung<br />

der Lärmsituation insgesamt verspricht«. Als Grund<br />

nennt er, dass »dieser Bereich wohl dichter besiedelt ist <strong>als</strong> der jetzt<br />

betroffene«. Positive Wirkungen lassen sich nach seiner eigenen<br />

Einschätzung im Falle einer Routenverschiebung allenfalls dadurch<br />

erzielen, dass »die Intensität der Betroffenheit infolge größerer<br />

Flughöhen deutlich reduziert werden« kann (UA S. 26). Indes<br />

lassen sich die Klägerinnen nicht <strong>als</strong> Opfer intensiver Lärmeinwirkungen<br />

kennzeichnen. <strong>Das</strong>s sich mit einer modifizierten Streckenführung<br />

ihre Lärmbelastung verringern ließe, ist weder ein Indiz<br />

noch gar ein Beleg für eine auf sachfremde Erwägungen gestützte<br />

Auswahlentscheidung. Für ein Ungültigkeitsverdikt genügt nicht<br />

der Hinweis, dass eine bestimmte, die Klägerinnen weniger belastende<br />

Alternative möglich gewesen wäre. Hinzukommen muss,<br />

dass sich dem Luftfahrt-Bundesamt unter Berücksichtigung aller<br />

entscheidungserheblichen Kriterien gerade diese Alternative hätte<br />

aufdrängen müssen. Soweit der Abwägungsspielraum, den der Gesetzgeber<br />

eröffnet, nicht durch die in § 29 b Abs. 2 LuftVG enthaltene<br />

Direktive eingeschränkt wird, ist die Festsetzung von Flugverfahren<br />

nur daraufhin überprüfbar, ob sie mit guten Gründen<br />

sachlich vertretbar ist. Nach der gesetzlichen Wertung gehört das<br />

Lärmschutzinteresse zwar zu den Gesichtspunkten, denen im Rahmen<br />

der Festlegung nach § 27 a Abs. 2 LuftVO rechtliche Relevanz<br />

zukommt. <strong>Das</strong> bedeutet aber entgegen der Auffassung der Vorinstanz<br />

nicht, dass es unabhängig davon, wie schwer es im konkreten<br />

Fall wiegt, <strong>als</strong> ein Posten zu Buche schlägt, dem im Wege einer<br />

32 | ZUR 1/2005


OVG Brandenburg, Fluglärm | RECHTSPRECHUNG<br />

»Optimierung« (UA S. 26) Rechnung zu tragen ist. Der Gesetzgeber<br />

gibt kein bestimmtes Ergebnis vor. <strong>Das</strong> Luftfahrt-Bundesamt<br />

hat nach Maßgabe der Flugsicherheitserfordernisse zu beurteilen,<br />

ob die Flugbewegungen eher gebündelt oder gestreut werden und<br />

die Lärmbelastung nach Art eines großräumigen Lastenausgleichs<br />

aufgeteilt werden oder bestimmte Gebiete möglichst verschont<br />

bleiben sollen. Ebenso ist seiner Entscheidung vorbehalten, ob bei<br />

der Bewertung der Belange stärker auf das Ausmaß der Betroffenheit<br />

oder die Zahl der betroffenen Bewohner abgestellt werden soll<br />

(vgl. OVG Münster, Urt. v. 4.3.2002, NW VBl. 2003, 95). Nicht jede<br />

noch so geringfügige Änderung bei der Lärmverteilung lässt<br />

sich <strong>als</strong> Indiz für ein Abwägungsdefizit werten. Entscheidend ist die<br />

Gesamtbilanz.<br />

2.3 <strong>Das</strong> angefochtene Urteil stellt sich nicht im Sinne des § 144<br />

Abs. 4 VwGO aus anderen Gründen im Ergebnis <strong>als</strong> richtig dar.<br />

2.3.1 Die Klägerinnen rügen ohne Erfolg, im Vorfeld der von ihnen<br />

angegriffenen Flugroutenbestimmung nicht angehört worden<br />

zu sein. Mit einem vergleichbaren Einwand hat sich der 9. Senat<br />

des BVerwG im Urt. v. 26.11.2003 – 9 C 6.02 (a.a.O.) auseinander<br />

gesetzt. Der erkennende Senat schließt sich diesen Ausführungen<br />

an: Weder das Luftverkehrsgesetz noch die Luftverkehrs-Verordnung<br />

enthalten Vorschriften, die darauf hindeuten, dass lärmbetroffene<br />

Gemeinden vor der Festlegung von Flugverfahren zu beteiligen<br />

sind. Stattdessen sieht § 32 b LuftVG bei Maßnahmen der<br />

für die Flugsicherung zuständigen Stellen zum Schutz gegen<br />

Fluglärm die Einschaltung der Fluglärmkommission vor. Diese Einrichtung<br />

hat, wie aus Abs. 1 zu ersehen ist, eine beratende Funktion.<br />

Nach Abs. 4 Satz 1 spiegeln sich in ihrer Zusammensetzung die<br />

gegensätzlichen Interessen im Umfeld eines Flugplatzes wider.<br />

Denn neben Vertretern der vom Fluglärm betroffenen Nachbargemeinden<br />

sollen der Kommission u.a. auch Vertreter der Flugfahrzeughalter<br />

und des Flugplatzunternehmers angehören. Auf einfachgesetzlicher<br />

Ebene hat es damit sein Bewenden, dass die<br />

Gemeinden im Rahmen der Fluglärmkommission an Stellungnahmen<br />

und Empfehlungen zu Lärmschutzfragen mitwirken.<br />

Art. 28 Abs. 2 GG vermittelt kein weitergehendes Beteiligungsrecht.<br />

2.3.2 Auch aus § 7 Satz 1 BauGB können die Klägerinnen nichts<br />

für sich herleiten. Die Ausführungen des Erstgerichts zu diesem<br />

Punkt lassen keinen Rechtsfehler erkennen. Anders <strong>als</strong> in § 4 Abs. 1<br />

BauGB ist in § 7 Satz 1 BauGB nicht allgemein von Trägern öffentlicher<br />

Belange, sondern von öffentlichen Planungsträgern die Rede.<br />

Der Verwaltungsgerichtshof macht zu Recht darauf aufmerksam,<br />

dass bereits höchst zweifelhaft ist, ob das Luftfahrt-Bundesamt<br />

<strong>als</strong> »Planungsträger« im Sinne dieser Bestimmung angesehen<br />

werden kann. Jedenfalls kommt ein Verstoß gegen die durch § 7<br />

Satz 1 BauGB unter den dort genannten Voraussetzungen begründete<br />

Anpassungspflicht nicht in Betracht. Der Gesetzgeber weist<br />

den Gemeinden in § 1 Abs. 1 BauGB die Aufgabe zu, im Wege der<br />

Bauleitplanung die bauliche und die sonstige Nutzung der Grundstücke<br />

in der Gemeinde vorzubereiten und zu leiten. Was Inhalt eines<br />

Flächennutzungsplans sein kann, lässt sich der beispielhaften<br />

Aufzählung in § 5 Abs. 2 BauGB entnehmen. Zwischen der Festlegung<br />

von Flugverfahren und den Bodennutzungsregelungen, die<br />

den Gegenstand von Darstellungen in einem Flächennutzungsplan<br />

bilden können, besteht kein Konkurrenzverhältnis. Durch<br />

Maßnahmen auf der Grundlage des § 27 a Abs. 2 LuftVO wird kein<br />

Grund und Boden in Anspruch genommen. Die Festlegung von<br />

Flugverfahren führt, selbst wenn sie mit erheblichen Lärmeinwirkungen<br />

einhergeht, nicht zu einem unmittelbaren Widerspruch<br />

sich gegenseitig ausschließender Raumansprüche. Die Gefahr, dass<br />

ein und dasselbe Grundstück mit unterschiedlicher oder gar gegensätzlicher<br />

Zielrichtung überplant wird, besteht nicht.<br />

2.3.3 Ohne Erfolg halten die Klägerinnen dem Luftfahrt-Bundesamt<br />

vor, nicht beachtet zu haben, dass in dem durch Fluglärm<br />

betroffenen Gebiet des Hochtaunus-, des Main-Taunus- und des<br />

Rheingau-Taunus-Kreises mehrere FFH- und Vogelschutzgebiete<br />

gemeldet worden sind. Dahinstehen kann, ob eine Flugroutenfestlegung<br />

geeignet ist, diese Gebiete im Sinne des § 34 Abs. 2<br />

BNatSchG in ihren für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck<br />

maßgeblichen Bestandteilen erheblich zu beeinträchtigen. Selbst<br />

wenn dies zuträfe, ließe der insoweit geltend gemachte Verstoß<br />

nicht auf eine Verletzung von Rechten der Klägerinnen schließen.<br />

Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Senats, dass Gemeinden,<br />

die sich gegen sie belastende Maßnahmen zur Wehr setzen,<br />

nicht unter Hinweis auf ihre Planungshoheit oder ihre sonstigen<br />

Belange eine umfassende Rechtmäßigkeitsprüfung fordern können.<br />

Ihnen ist es verwehrt, sich zum gesamtverantwortlichen<br />

Wächter des Natur- und des sonstigen Umweltschutzes aufzuschwingen<br />

und <strong>als</strong> solcher Belange der Allgemeinheit zu wahren, die<br />

nicht speziell ihrem Selbstverwaltungsrecht zugeordnet sind (vgl.<br />

BVerwG, Urt. v. 21.3.1996 – 4 C 26.94, BVerwGE 100, 388, v.<br />

26.2.1999 – 4 A 47.96, Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 148 und v.<br />

11.1.2001 – 4 A 12.99, Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 161). <strong>Das</strong> Vorbringen<br />

der Klägerinnen bietet keinen Anlass, von dieser Rechtsprechung<br />

abzurücken.<br />

Fluglärm – Fehlerhafte Abwägung von<br />

Spitzenpegelbelastungen<br />

OVG Brandenburg, Urteil vom 9. Juni 2004 – 3 D 29/01.AK<br />

1. 1. Zum Anwendungsbereich der Genehmigungsfiktion nach<br />

§ 71 Abs. 1 S. 1 LuftVG.<br />

2. Für die planerische Rechtfertigung eines Konversionsprojekts<br />

genügt es, wenn mit einer von einem konkret feststellbaren<br />

Bedarf losgelösten Angebotsplanung beispielsweise<br />

eine Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur<br />

bezweckt wird.<br />

3. Bei der Beurteilung von Fluglärm kann nicht ausschließlich<br />

auf errechnete Mittelungspegel abgestellt werden; wegen<br />

der intermittierenden Art des Fluglärms ist daneben eine<br />

Berechnung und Bewertung auch der auftretenden Spitzenpegel<br />

erforderlich.<br />

(Leitsätze der Redaktion)<br />

Vorinstanz: VGH Kassel vom 11.2.2003 – 2 A 1062/01 –<br />

Aus dem Tatbestand: Die Kläger wenden sich gegen eine der<br />

Beigeladenen erteilte Änderungsgenehmigung zur zivilen<br />

Nachnutzung des ehem<strong>als</strong> militärisch genutzten Flugplatzes<br />

Fürstenwalde. (…)<br />

Aus den Gründen: Der Senat ist gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 6 der<br />

Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) für die Entscheidung über<br />

die Klagen zuständig. Nach dieser Vorschrift entscheidet das<br />

Oberverwaltungsgericht im ersten Rechtszug über sämtliche<br />

Streitigkeiten, die das Anlegen, die Erweiterung oder Änderung<br />

und den Betrieb von Verkehrsflughäfen und von Verkehrslandeplätzen<br />

mit beschränktem Bauschutzbereich betreffen. Um eine<br />

solche Streitigkeit handelt es sich hier.<br />

A. Die – fristgerecht erhobenen – Klagen sind mit dem Hauptantrag<br />

zulässig.<br />

I. Die Kläger <strong>als</strong> Eigentümer von mit Wohnhäusern bebauten<br />

Grundstücken in unmittelbarer Nähe zu dem Flugplatz sind klage-<br />

ZUR 1/2005 | 33


RECHTSPRECHUNG | OVG Brandenburg, Fluglärm<br />

befugt (§ 42 Abs. 2 VwGO), denn sie können geltend machen, durch<br />

die Änderungsgenehmigung in eigenen Rechten verletzt zu sein. (…)<br />

1. Die Grundstücke der Kläger liegen im Einwirkungsbereich des<br />

von dem Flugplatz ausgehenden Fluglärms. (…)<br />

2. Zwar können sich die Kläger im Hinblick auf diese Werte nicht<br />

darauf berufen, dass der Fluglärm schwer und unerträglich in ihr<br />

Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 1 GG) oder<br />

in ihr Eigentumsgrundrecht (Art. 14 Abs. 1 GG) eingreife. Derartige<br />

Auswirkungen von Fluglärm können erst bei erheblich höheren<br />

Dauer- und Maxim<strong>als</strong>challpegeln angenommen werden. Ein am<br />

Tage auftretender äquivalenter Dauerschallpegel von 50 bis 55<br />

dB(A) stellt ausweislich des Sondergutachtens des Rates von Sachverständigen<br />

für Umweltfragen, Umwelt und Gesundheit – Risiken<br />

richtig einschätzen (BT-Drs. 14/2300 vom 15.12.1999 – SRU 1999,<br />

S. 163) lediglich den Schwellenwert für Belästigungsreaktionen<br />

dar. Die Schwelle zu Gesundheitsgefährdungen bei am Tage auftretenden<br />

Maximalpegeln wird bei 19 Lärmereignissen täglich mit<br />

einem Pegel von 99 dB(A) <strong>als</strong> überschritten betrachtet (S. 184 des<br />

Gutachtens).<br />

3. Die Kläger können jedoch geltend machen, die Änderungsgenehmigung<br />

verletze sie in ihrem Recht auf gerechte Abwägung ihrer<br />

privaten Belange. Die Erteilung einer Änderungsgenehmigung<br />

nach § 8 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 6 Abs. 4 Satz 2 des Luftverkehrsgesetzes<br />

(LuftVG) stellt eine planerische Ermessensentscheidung dar,<br />

denn ihr folgt ein weiterer luftverkehrsrechtlicher Zulassungsakt in<br />

Form einer Planfeststellung oder Plangenehmigung nicht nach. Ihr<br />

kommt somit eine Doppelnatur zu; sie ist sowohl (endgültige) luftverkehrsrechtliche<br />

Zulassungsentscheidung <strong>als</strong> auch Unternehmergenehmigung<br />

und folgt somit Planungsgrundsätzen (BVerwG,<br />

Beschl. v. 7.11.1996 – 4 B 170.96, Buchholz 442.40. § 8 LuftVG Nr.<br />

13 sowie Urt. v. 11.7.2001 – 11 C 14.00, zit. nach Juris; Hoffmann/Grabherr,<br />

Luftverkehrsgesetz, Kommentar, Stand März 2004,<br />

§ 6 Rn. 102). <strong>Das</strong> für das Planungsrecht allgemein geltende Abwägungsgebot<br />

räumt den von der Planung Betroffenen ein subjektives<br />

Recht auf gerechte Abwägung ihrer eigenen Belange ein. Die<br />

Lärmschutzbelange der Kläger sind nicht offensichtlich nicht abwägungserheblich,<br />

weil mit Blick auf die prognostizierten Werte<br />

nicht davon ausgegangen werden kann, dass die zu erwartende<br />

Lärmbeeinträchtigung lediglich geringfügig ist und deshalb vernachlässigt<br />

werden kann (vgl. auch Hoffmann/Grabherr, a.a.O., § 6<br />

Rn. 54 a). Wie bereits dargelegt, ist bei einem äquivalenten Dauerschallpegel<br />

von 50 bis 55 dB(A) bereits mit Belästigungsreaktionen<br />

der Betroffenen zu rechnen. Eine Fehlgewichtung der Lärmschutzbelange<br />

der Kläger ist somit nicht von vorneherein ausgeschlossen.<br />

(…)<br />

II. Den Klagen fehlt auch weder insgesamt noch hinsichtlich einzelner<br />

möglicherweise abtrennbarer Regelungen der angegriffenen<br />

Bescheide das Rechtsschutzbedürfnis. Grundsätzlich ist vom Bestehen<br />

eines Rechtsschutzbedürfnisses auszugehen; dieses ist nur<br />

bei Vorliegen besonderer Umstände zu verneinen (Schoch/Schmidt-<br />

Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, Stand<br />

September 2003, Vorb. § 40 Rn. 80 m.w.N.). (…)<br />

2. Ein Rechtsschutzbedürfnis für die Klagen kann auch nicht im<br />

Hinblick auf die Regelung des § 71 Abs. 1 Satz 1 LuftVG verneint<br />

werden. Dieser Vorschrift zufolge gilt ein bis zum 2.10.1990 im Beitrittsgebiet<br />

angelegter Flugplatz, der am 1.3.1999 noch betrieben<br />

wurde, <strong>als</strong> genehmigt und, wenn er der Planfeststellung bedarf, <strong>als</strong><br />

im Plan festgestellt. An dieser Stelle kann dahinstehen, ob diese<br />

Fiktionswirkung hier überhaupt eingreift. Von einer fingierten Genehmigung<br />

wird die südliche Start- und Landebahn schon deshalb<br />

nicht erfasst, weil sie in dem maßgeblichen Zeitraum nicht genutzt<br />

wurde, wie unten ausgeführt. Jedenfalls erstreckt sich eine denkbare<br />

Genehmigungsfiktion nach § 71 Abs. 1 Satz 1 LuftVG nicht<br />

darauf, dass der Beigeladenen die zivile Nachnutzung des ehemaligen<br />

Militärflugplatzes <strong>als</strong> Verkehrslandeplatz gestattet wäre. <strong>Das</strong><br />

Erfordernis einer Änderungsgenehmigung für die Konversion des<br />

Militärflugplatzes ist erst mit der Entlassung des Flugplatzes aus der<br />

militärischen Trägerschaft im Jahre 1995 entstanden, mithin zu einem<br />

Zeitpunkt, <strong>als</strong> das Luftverkehrsgesetz bereits Anwendung auf<br />

den Flugplatz fand. Die gesetzlich angeordnete Fiktion dient aber<br />

nur dazu, für vor dem 3.10.1990 angelegte und am 1.3.1999 noch<br />

betriebene Flugplätze eine sichere Rechtsgrundlage auch für die<br />

Zeit vor Inkrafttreten des heutigen Luftverkehrsgesetzes zu schaffen<br />

(vgl. Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf eines Elften<br />

Gesetzes zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes, BT-DR. 13/9513,<br />

S. 54 f.). Sie hat nicht den Charakter einer allgemeinen Heilungsklausel,<br />

die über rechtliche Versäumnisse unter Geltung des Luftverkehrsgesetzes<br />

hinweghilft bzw. Genehmigungserfordernisse<br />

ausräumen könnte, die auf Grund erst nach Inkrattreten des Luftverkehrsgesetzes<br />

in den neuen Ländern eingetretener Umstände<br />

entstanden sind (vgl. zu § 71 Abs. 2 LuftVG BVerwG, Beschl. v.<br />

26.2.2004 – 4 B 95.03, zit. nach Juris; Hoffmann/Grabherr, a.a.O., §<br />

71 Rn. 5, 7; a.A. zu § 71 Abs. 2 Giemulla/Schmid, Luftverkehrsgesetz,<br />

Kommentar, Stand Oktober 2003, Bd. 1.2, § 71 LuftVG Rn. 12). Da<br />

mithin im Falle einer erfolgreichen Anfechtung der Änderungsgenehmigung<br />

der Beigeladenen die zivile Nachnutzung des Flugplatzes<br />

<strong>als</strong> Landeplatz für den allgemeinen Verkehr sowie die Änderung<br />

der Flugplatzanlagen nicht aus anderen Gründen gestattet<br />

wäre, kann den Klagen gegen die Änderungsgenehmigung ein<br />

Rechtsschutzbedürfnis nicht abgesprochen werden.<br />

B. Die Klagen sind mit dem Hauptantrag auch begründet.<br />

I. Die Änderungsgenehmigung ist nicht bereits wegen eines Verfahrensfehlers<br />

aufzuheben. (…)<br />

II. Für die Planung besteht entgegen der Auffassung der Kläger<br />

eine ausreichende Planrechtfertigung. Eine Flugplatzplanung ist<br />

gerechtfertigt, wenn für das beabsichtigte Vorhaben nach Maßgabe<br />

der durch das Luftverkehrsgesetz allgemein verfolgten Ziele ein<br />

Bedürfnis besteht, die mit ihr geplante Maßnahme <strong>als</strong>o objektiv erforderlich<br />

ist. Objektiv erforderlich ist eine Maßnahme nicht erst<br />

im Falle ihrer Unausweichlichkeit, sondern bereits dann, wenn sie<br />

vernünftigerweise geboten ist (BVerwG, Urt. v. 8.7.1998 – 11 A<br />

53.97, BVerwGE 107, 142 (145) m.w.N.) Für die planerische Rechtfertigung<br />

eines Konversionsprojekts ist hierbei entgegen der Auffassung<br />

der Klägerin nicht erforderlich, dass eine mit dem geplanten<br />

Vorhaben zu befriedigende Nachfrage nach Luftverkehrsleistungen<br />

konkret ermittelt wird. Die Genehmigung einer zivilen<br />

Nachnutzung ehemaliger Militärflugplätze unterscheidet sich von<br />

der Planung eines neuen Flugplatzes, denn durch sie soll vermieden<br />

werden, dass eine bereits bestehende, mit öffentlichen Mitteln<br />

geschaffene Infrastruktur brach liegt und verfällt. Deshalb ist in<br />

derartigen Fällen von einer Planrechtfertigung schon dann auszugehen,<br />

wenn mit einer von einem konkret feststellbaren Bedarf losgelösten<br />

Angebotsplanung beispielsweise eine Verbesserung der<br />

regionalen Wirtschaftsstruktur bezweckt wird (vgl. BVerwG, Urt.<br />

v. 11.7.2001 – 11 C 14. 00, zit. nach Juris; OVG Lüneburg, Urt. v.<br />

11.12.2000 – 12 K 3200/99, zit. nach Juris; OVG Koblenz, Urt. v.<br />

1.7.1997 – 7 C 11834/93, zit. nach Juris). In dem Widerspruchsbescheid<br />

vom 12.4.2001 hat der Beklagte ausgeführt, dass der Verkehrslandeplatz<br />

für die luftverkehrliche Erschließung des Entwicklungszentrums<br />

Fürstenwalde und des Erholungsgebiets Bad<br />

Saarow notwendig sei. Diese Erwägungen rechtfertigen die Planung<br />

<strong>als</strong> »vernünftigerweise geboten«.<br />

III. Die Planung verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.<br />

Gemäß § 19 Abs. 11 Satz 5 des Gemeinsamen Landesentwicklungsprogramms<br />

der Länder Berlin und Brandenburg (LEPro) sollen<br />

ergänzend zu dem bestehenden Flughafensystem bzw. dem zu<br />

entwickelnden Großflughafen für die allgemeine Luftfahrt regionale<br />

Flugplätze geschaffen werden. (…)<br />

34 | ZUR 1/2005


OVG Brandenburg, Fluglärm | RECHTSPRECHUNG<br />

IV. Die Änderungsgenehmigung verletzt aber das subjektive<br />

Recht der Kläger auf gerechte Abwägung ihrer Belange. <strong>Das</strong> Abwägungsgebot<br />

wird verletzt, wenn in die Abwägung an Belangen<br />

nicht eingestellt worden ist, was nach Lage der Dinge in sie hätte<br />

eingestellt werden müssen. Es ist ferner verletzt, wenn die Bedeutung<br />

der betroffenen privaten Belange verkannt<br />

oder wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten<br />

öffentlichen Belangen in einer Weise vorgenommen wird, die<br />

zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis<br />

steht. Innerhalb des so gezogenen Rahmens wird das Abwägungsgebot<br />

nicht verletzt, wenn sich der Planungsträger in der Kollision<br />

zwischen verschiedenen Belangen für die Bevorzugung des einen<br />

und damit notwendigerweise für die Zurückstellung eines anderen<br />

entscheidet (BVerwG, Urt. v. 12.12.1969 – IV C 105.66, BVerwGE<br />

34, 301 (309)). Eine fehlerhafte Abwägung kann von den Antragstellern<br />

aber nur gerügt werden, wenn und soweit sie durch sie in<br />

eigenen Rechten verletzt sind. Jeder Beteiligte kann nur eine gerechte<br />

Abwägung seiner eigenen Belange mit entgegenstehenden<br />

anderen Belangen fordern, nicht aber auch eine gerechte Abwägung<br />

der Belange anderer Beteiligter oder eine insgesamt und in jeder<br />

Hinsicht fehlerfreie Abwägung (BVerwG, Urt. v. 14.2.1975 – IV<br />

C 21.74, BVerwGE 48, 56 (66)).<br />

1. Die Sicherheitsbelange der Kläger sind zwar nicht fehlerhaft<br />

abgewogen worden. (…)<br />

2. Es liegt aber ein Abwägungsfehler hinsichtlich der Fluglärmbelange<br />

der Kläger vor.<br />

a) Eine Prüfung der Zumutbarkeit des Fluglärms für die Anwohner<br />

des Flugplatzes ist im Rahmen des vorliegenden Verfahrens<br />

nicht etwa deshalb entbehrlich, weil der Flugplatz möglicherweise<br />

bereits früher genehmigt worden ist oder <strong>als</strong> genehmigt gilt. Die<br />

Frage der Zumutbarkeit von Fluglärmbelastungen stellt sich bei der<br />

Änderung einer bestehenden Flugplatzanlage nur dann nicht neu,<br />

wenn die Beeinträchtigungen der Anlieger von einer früheren luftverkehrsrechtlichen<br />

Genehmigung gedeckt sind und von einer<br />

späteren Änderung des Flugplatzes nicht berührt werden (vgl.<br />

BVerwG, Urt. v. 15.9.1999 – 11 A 22.98, LKV 2000, 211). Hier wird<br />

aber die bislang – allenfalls – genehmigte oder <strong>als</strong> genehmigt geltende<br />

technische Kapazität des Flugplatzes durch Instandsetzung<br />

und (Wieder)Inbetriebnahme der südlichen, asphaltierten Startund<br />

Landebahn erweitert. (...)<br />

Auch die Fiktionswirkung gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 LuftVG umfasst<br />

die asphaltierte Start- und Landebahn nicht. Die Fiktion gilt<br />

nur für diejenigen Anlagen des Flugplatzes, die zum Stichtag auch<br />

tatsächlich »angelegt« waren. Am 2.10.1990 war die südliche Startund<br />

Landebahn unstreitig nicht für den Flugbetrieb nutzbar. (...)<br />

b) <strong>Das</strong> der Entscheidung des Beklagten zu Grunde liegende Abwägungsmaterial<br />

dürfte hinsichtlich der zu erwartenden Belastung<br />

der Anwohner mit Fluglärm vollständig ermittelt worden sein.<br />

Zum Umfang der am Tage zu erwartenden Lärmbelastungen führt<br />

die Änderungsgenehmigung aus: Bei Zugrundelegung eines worstcase-Szenarios<br />

seien für den Immissionspunkt IO 1 (Neuendorf unter<br />

Anflug 26) ein Maximalpegel von 85,78 dB(A) und ein äquivalenter<br />

Dauerschallpegel von 56,16 dB(A) sowie für den Immissionspunkt<br />

IO 2 (Neuendorf zwischen Anflug 26 und 29) ein<br />

Maximalpegel von 84,6 dB(A) und ein äquivalenter Dauerschallpegel<br />

von 55,6 dB(A) ermittelt worden; die Spitzenpegel träten<br />

nur ein- bis zweimal wöchentlich auf. Diese Beurteilung stützt<br />

sich auf das Gutachten der AVIA Consult, dessen Ergebnisse sich<br />

die Bescheide zu eigen machen. Dieses Gutachten begegnet zwar<br />

hinsichtlich einiger ihm zu Grunde liegender Annahmen Bedenken,<br />

die ermittelten Ergebnisse dürften jedoch letztlich nicht zu beanstanden<br />

sein.<br />

Die zu erwartende Lärmbelästigung der Anwohner des Flugplatzes<br />

ist prognostisch zu bestimmen. <strong>Das</strong> Gericht hat im Streitfall nur<br />

die Wahl einer geeigneten fachspezifischen Methode, die zutreffende<br />

Ermittlung des der Prognose zu Grunde liegenden Sachverhalts<br />

und die einleuchtende Begründung des Ergebnisses zu überprüfen.<br />

Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, das Ergebnis einer nach<br />

diesen Maßstäben sachgerecht erarbeiteten Prognose darauf zu<br />

überprüfen, ob die prognostizierte Entwicklung mit Sicherheit bzw.<br />

größerer oder geringerer Wahrscheinlichkeit eintreten wird oder<br />

kann, ferner nicht darauf, ob die Prognose durch die spätere<br />

tatsächliche Entwicklung mehr oder weniger bestätigt oder widerlegt<br />

ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 8.7.1998 – 11 A 53.97, BVerwGE 107,<br />

142 (146); BVerwG, Urt. v. 11.7.2001 – 11 C 14.00, zit. nach Juris).<br />

aa) Die dem Gutachen der AVIA Consult zu Grunde liegende<br />

fachliche Methode ist nicht zu beanstanden.<br />

<strong>Das</strong> Gutachten, das die Fluglärmbelastung anhand äquivalenter<br />

Dauerschallpegel sowie der Höhe und Häufigkeit auftretender Maximalpegel<br />

ermittelt hat, entspricht dem in Wissenschaft und<br />

Technik anerkannten Stand. Der Dauerschallpegel ist in aller Regel<br />

der angemessene Maßstab für die Erfassung einer regelmäßig in Erscheinung<br />

tretenden Vielzahl von Fluglärmereignissen. Er ist allerdings<br />

zur Erfassung von besonders hohen Spitzenpegeln um die<br />

Ermittlung von Maximalpegeln und deren Häufigkeit zu ergänzen<br />

(vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 1.7.1997 – 7 C 11843/93, zit. nach Juris;<br />

Hoffmann/Grabherr, a.a.O. § 6 Rn. 52).<br />

Die Berechnung der äquivalenten Dauerschallpegel ist unter Verwendung<br />

der Berechnungsmethode der Anleitung zur Berechnung<br />

von Lärmschutzbereichen an zivilen und militärischen Flugplätzen<br />

nach dem Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm (AzB, GMBl.<br />

1975, 162 ff.) unter Berücksichtigung der Modifikationen nach der<br />

Leitlinie zur Ermittlung und Beurteilung der Fluglärmimmissionen<br />

in der Umgebung von Landeplätzen durch die Immissionsschutzbehörden<br />

der Länder (Landeplatz-Fluglärmleitlinie) erfolgt. Diese<br />

Vorschriften sind umfassend methodisch erarbeitete Regelwerke zu<br />

Ermittlung von Fluglärm. (...)<br />

bb) Fraglich ist, ob der Berechnungen der zu erwartenden<br />

Fluglärmbelastung ein zutreffend und vollständig ermittelter Sachverhalt<br />

zu Grunde liegt.<br />

(1) Es bestehen zwar Zweifel daran, ob das Gutachten von zutreffenden<br />

Flugbewegungszahlen ausgeht, das gefundene Ergebnis<br />

ist indes nicht zu beanstanden. (...)<br />

(2) Soweit die Kläger die Ergebnisse des Gutachtens unter Hinweis<br />

darauf in Zweifel ziehen, dass den Berechnungen der A-Schalldruckpegel<br />

zu steile An- und Abflugwinkel zu Grunde gelegt worden<br />

wären, weshalb fehlerhaft von einer zu großen Überflughöhe<br />

über den Immissionspunkten ausgegangen worden sei, dürfte auch<br />

dieser Einwand nicht durchgreifen. (...)<br />

cc) Da das Gutachten auch die gefundenen Ergebnisse im Wesentlichen<br />

nachvollziehbar darstellt und begründet, spricht zumindest<br />

einiges dafür, dass es der Entscheidung des Beklagten abwägungsfehlerfrei<br />

zu Grunde gelegt werden konnte.<br />

c) Der Beklagte hat aber bei der von ihm getroffenen Abwägungsentscheidung<br />

die Bedeutung der Belange der durch am Tage<br />

auftretenden Fluglärm betroffenen Anwohner verkannt.<br />

Die Planfeststellungs- bzw. Genehmigungsbehörde entscheidet<br />

im Rahmen ihrer planerischen Gestaltungsfreiheit grundsätzlich<br />

nach pflichtgemäßem Ermessen auch darüber, auf welche Weise sie<br />

den Belangen des Lärmschutzes Rechnung tragen will. § 9 Abs. 2<br />

LuftVG setzt dieser Entscheidung eine nicht durch Abwägung der<br />

widerstreitenden Belange zu überwindende Grenze. Dieser Vorschrift<br />

zufolge sind dem Unternehmer im Planfeststellungsbeschluss<br />

bzw. hier in der Genehmigung die Errichtung und Unterhaltung<br />

der Anlagen aufzuerlegen, die für das öffentliche Wohl<br />

oder zur Sicherung der Benutzung der benachbarten Grundstücke<br />

gegen Gefahren oder Nachteile notwendig sind. Ein hierauf gestutzter<br />

Anspruch auf Schutzanordnungen gegen Fluglärm setzt<br />

ZUR 1/2005 | 35


RECHTSPRECHUNG | OVG Brandenburg, Fluglärm<br />

voraus, dass die Lärmbeeinträchtigungen »unzumutbar« sind. <strong>Das</strong><br />

Gebot der Bewältigung aller erheblichen Probleme beschränkt sich<br />

aber nicht allein auf »unzumutbaren« Fluglärm. Als abwägungserheblicher<br />

Belang ist vielmehr jede Lärmbelastung anzusehen, die<br />

nicht lediglich <strong>als</strong> nur geringfügig einzustufen ist (vgl. BVerwG,<br />

Urt. v. 29.1.1991 – 4 C 51.89, BVerwGE 87, 332 (341 f.)).<br />

Da durch Gesetz festgesetzte Lärmgrenzwerte bisher nicht bestehen,<br />

ist es Aufgabe des Gerichts im einzelnen Fall, anhand der<br />

Würdigung der konkreten Gegebenheiten die Grenze der zumutbaren<br />

Lärmbelastungen zu bestimmen. Die Zumutbarkeit von<br />

Flugverkehrsgeräuschen richtet sich nach der durch die Gebietsart<br />

und die konkreten tatsächlichen Verhältnisse bestimmten Schutzbedürftigkeit<br />

der jeweiligen Umgebung. Für die Gebietsart ist dabei<br />

von der bebauungsrechtlich geprägten Situation der Grundstücke<br />

auszugehen, für die tatsächlichen Verhältnisse spielen insbesondere<br />

»Geräuschvorbelastungen« und »plangegebene«<br />

Vorbelastungen eine wesentliche Rolle. Nach diesen Kriterien ist<br />

ein Grundstück gegenüber einem Planvorhaben umso schutzwürdiger,<br />

je mehr es nach der Gebietsart berechtigterweise Schutz vor<br />

Immissionen erwarten kann und je weniger es durch Störfaktoren<br />

tatsächlich vorbelastet ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 7.7.1978 – 4 C 79.76<br />

u. a., BVerwGE 56, 110 (131); BVerwG, Urt. v. 29.1.1991 – 4 C<br />

51.89, BVerwGE 87, 332 (356 f.)).<br />

aa) Der Lärmbelastung auf den Grundstücken der Kläger zu 1.<br />

und 4. angenäherte Werte treten an dem in unmittelbarer Nähe zu<br />

ihren Wohnhäusern gelegenen Immissionspunkt 1 (Neuendorf unter<br />

Anflug 26) auf Hier wurden für die Berechnungsvariante 1 (100<br />

% der Flugbewegungen in Startrichtung Ost) folgende Geräuschpegel<br />

ermittelt: ein äquivalenter Dauerschallpegel von 56,18 dB(A)<br />

– die Angabe von 56,16 dB(A) in Tabelle 4.2.1. weicht von der auf<br />

der Kontrolldruckliste ab -, ein 0,49 mal täglich auftretender Maximalpegel<br />

von 85,78 dB(A) sowie darunter liegende Einzelschallereignisse<br />

zwischen 75 und 84 dB(A), die für insgesamt 56,88 Tagesereignisse<br />

prognostiziert werden – der ganz überwiegende Teil<br />

dieser Einzelschallereignisse liegt hierbei sogar über 78 dB(A). Für<br />

die Berechnungsvariante 2 (100 % der Flugbewegungen in Richtung<br />

West) wurden folgende Werte berechnet: ein äquivalenter<br />

Dauerschallpegel von 53,35 dB(A), ein 0,49 mal täglich auftretender<br />

Maximalpegel von 85,78 dB(A) und 11,89 mal täglich auftretende<br />

[darunter] liegende Einzelschallereignisse mit einer Lautstärke<br />

zwischen 75 und 84 dB(A).<br />

<strong>Das</strong> Grundstück des Klägers zu 3. liegt in unmittelbarer Nähe des<br />

Immissionspunktes 2 (Neuendorf zwischen Anflug 26 und 29).<br />

Hierfür errechnet das Gutachten bei Berechnungsvariante 1 einen<br />

äquivalenten Dauerschallpegel von 55,62 dB(A), einen 1,22 mal<br />

täglich auftretenden Maximalpegel von 84,6 dB(A) sowie täglich<br />

47,54 darunter liegende Einzelschallereignisse zwischen 75 und 84<br />

dB(A). Für Variante 2 werden folgende Werte ermittelt: ein äquivalenter<br />

Dauerschallpegel von 52,71 dB(A), ein 1,22 mal täglich<br />

auftretender Maximalpegel von 84,6 dB(A) sowie 2,77 mal täglich<br />

zu erwartende Einzelschallereignisse zwischen 75 und 84 dB(A).<br />

Der Kläger zu 2., dessen Grundstück weiter nördlich liegt, ist von<br />

deutlich geringeren Belästigungen betroffen. Wie den von der<br />

AVIA Consult erstellten Lärmkonturen zu entnehmen ist, liegt sein<br />

Grundstück in einem Bereich, für den ein äquivalenter Dauerschallpegel<br />

von 50 bis 55 dB(A) prognostiziert wird. Dieser liegt<br />

mithin etwa um bis zu 5 dB(A) unter den für die Grundstücke der<br />

anderen Kläger prognostizierten Werten. Da sein Grundstück sich<br />

nicht unmittelbar in der Einflugschneise der Startbahnen befindet,<br />

dürften auch die zu erwartenden Einzelschallereignisse erheblich<br />

unter den für die übrigen Kläger ermittelten Werten liegen.<br />

bb) Die Entscheidung des Beklagten stellt sich jedenfalls gegenüber<br />

den Klägern zu 1., 3. und 4. <strong>als</strong> abwägungsfehlerhaft dar.<br />

(1) Die bebauungsrechtliche Situation rechtfertigt entgegen der<br />

Auffassung der Kläger aller-dings die Einordnung der Gemeinde<br />

Neuendorf im Sande <strong>als</strong> Dorfgebiet. (...)<br />

(2) Darüber hinaus liegen die Grundstücke der Kläger in einem<br />

plangegeben vorbelasteten Gebiet. Eine sogenannte plangegebene<br />

Vorbelastung kann sich schutzmindernd auswirken. Sie liegt vor,<br />

wenn ein Anwohner aufgrund einer zwar noch nicht verwirklichten,<br />

aber bereits verfestigten Planung mit erhöhten Immissionen<br />

rechnen muss, da das Maß der zumutbaren Immissionen auch von<br />

der Lage des betroffenen Grundstücks abhängt. Ein Grundstück<br />

wird allerdings durch eine sich verfestigende Planung dann nicht<br />

mehr – mit der Folge einer Duldungspflicht gegenüber künftigem<br />

Lärm – vorbelastet, wenn die Planung ihrerseits auf eine vorhandene<br />

bebauungsrechtlich verfestigte Situation trifft. Eine solche Situation<br />

ist anzunehmen, wenn das Grundstück zum Zeitpunkt der<br />

Verfestigung der Fachplanung bereits baulich nutzbar war (BVerwG,<br />

Urt. v. 29.1.1991 – 4 C 51.89, BVerwGE 87, 332 (364, 365)).<br />

Die Grundstücke sämtlicher Kläger liegen im Einwirkungsbereich<br />

eines Flugplatzes, der, wie oben dargelegt, nie außer Betrieb genommen<br />

wurde. Es ist auch nichts dafür vorgetragen oder sonst ersichtlich,<br />

dass die Grundstücke zu einer Zeit bebaut worden wären<br />

bzw. bebaubar geworden wären, in der der Flugplatz noch nicht angelegt<br />

war. Somit ist jedenfalls eine plangegebene Vorbelastung anzunehmen.<br />

(3) Der Beklagte hat den Umfang jedenfalls der Betroffenheit der<br />

Kläger zu 1., 3. und 4. durch Lärm verkannt bzw. nicht mit dem<br />

diesem Belang zukommenden Gewicht in seine Abwägung eingestellt.<br />

(a) Allein mit Blick auf die prognostizierten äquivalenten Dauerschallpegel<br />

stellt sich die Entscheidung des Beklagten allerdings<br />

nicht <strong>als</strong> abwägungsfehlerhaft dar. Diese Werte hat der Beklagte in<br />

seiner Abwägungsentscheidung zutreffend und mit dem ihnen zukommenden<br />

Gewicht berücksichtigt. Der Umstand, dass die<br />

Grundstücke der Kläger in einem <strong>als</strong> Dorfgebiet zu charakterisierenden<br />

Gebiet liegen, führt dazu, dass gegenüber sonstigen, nur<br />

dem Wohnen dienenden Gebieten eine geringere Schutzwürdigkeit<br />

besteht. Bislang sind keine Lärmgrenzwerte für die Bewertung<br />

von Fluglärm festgesetzt. Wegen der unterschiedlichen Art der<br />

Lärmbeeinträchtigungen kommt eine Übertragung der in der Verkehrslärmschutzverordnung<br />

vom 12.6.1990 (BGBl. 1 S. 1063 – 16.<br />

BImSchV) festgelegten Grenzwerte für den Straßenverkehr für die<br />

Beurteilung der Zumutbarkeit von Fluglärm nicht ohne weiteres in<br />

Betracht (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.1.1991 – 4 C 51.89, BVerwGE 87,<br />

332 (373 f.)); dies gilt auch für die Grenzwerte der Technischen Anleitung<br />

zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) vom 26.8.1998 (GMBl.<br />

S. 503; vgl. hierzu OVG Hamburg, Beschl. v. 13.12.1994 – Bs III<br />

376/93, zit. nach Juris) sowie für die DIN 18005 – Schallschutz im<br />

Städtebau. Allerdings weist die TA Lärm (vgl. Nr. 6) ebenso wie DIN<br />

18005 (vgl. Beiblatt 1 Nr. 1.1 Buchst. e) <strong>als</strong> Grenzwert zum Schutz<br />

der Nachbarschaft gegen Lärmimmissionen in Dorfgebieten einen<br />

Beurteilungspegel von 60 dB(A) am Tage aus; der Grenzwert der 16.<br />

BImSchV (vgl. § 2 der Verordnung) liegt mit 64 dB(A) sogar noch<br />

darüber. Der höchste für die klägerischen Grundstücke prognostizierte<br />

äquivalente Dauerschallpegel beträgt demgegenüber nur<br />

56,18 dB(A). Der Umstand, dass die Grenzwerte der oben genannten<br />

Regelwerke auf den Grundstücken der Kläger nicht nur nicht<br />

erreicht, sondern sogar deutlich unterschritten werden, rechtfertigt<br />

unter Berücksichtigung auch ihrer plangegebenen Vorbelastung<br />

den Schluss, dass die vorliegend prognostizierten äquivalenten<br />

Dauerschallpegel allein jedenfalls nichts dafür hergeben,<br />

dass den Anwohnern nicht mehr zumutbare Lärmbelästigungen<br />

drohen.<br />

(b) Es liegt aber ein Abwägungsfehler vor, weil der Beklagte in seiner<br />

Entscheidung die tatsächliche Belastung der Kläger zu 1., 3.<br />

36 | ZUR 1/2005


OVG Brandenburg – Fluglärm | RECHTSPRECHUNG<br />

und 4. durch die auftretenden Einzelschallereignisse nicht mit dem<br />

ihr zukommenden Gewicht in die Abwägung eingestellt hat. Entgegen<br />

der Ansicht der Beigeladenen kann bei der Beurteilung von<br />

Fluglärm nicht ausschließlich auf errechnete Mittelungspegel abgestellt<br />

werden; wegen der intermittierenden Art des Fluglärms ist<br />

daneben eine Berechnung und Bewertung auch der auftretenden<br />

Spitzenpegel erforderlich (vgl. vorstehend S. 27 des Entscheidungsabdrucks).<br />

(aa) Der Abwägungsvorgang ist fehlerhaft. Der Beklagte hat sich<br />

zwar abwägend mit den höchsten Maximalpegeln von 84,6 bzw.<br />

85,78 dB(A) auseinander gesetzt und insoweit zutreffend ausgeführt,<br />

dass diese lediglich vereinzelt auftreten und deshalb vernachlässigt<br />

werden können. Allerdings hat er sich in keiner Weise<br />

dazu geäußert, dass den Klägern zu 1. und 4. täglich insgesamt<br />

57,37 Lärmereignisse mit Schallpegeln von 75 dB(A) und mehr –<br />

davon 56,51 Lärmereignisse mit einer Lautstärke von 78 dB(A) und<br />

mehr – sowie dem Kläger zu 3. insgesamt 48,76 Einzelschallereignisse<br />

täglich mit einer Lautstärke von mindestens 75 dB(A) zu gemutet<br />

werden. Eine Auseinandersetzung mit diesen Lärmbelastungen<br />

war nicht entbehrlich, da sie keinesfalls <strong>als</strong> geringfügig betrachtet<br />

werden können. Bei einem 16-stündigen Betrieb des<br />

Flugplatzes haben die Kläger zu 1., 3,. und 4. immerhin mehr <strong>als</strong><br />

dreimal pro Stunde mit einem Lärmereignis von über 75 dB(A) zu<br />

rechnen; bei den Klägern zu 1. und 4. liegen diese Einzelereignisse<br />

sogar nahezu vollständig im Bereich von 78 dB(A) und darüber.<br />

(bb) Dieser Mangel im Abwägungsvorgang ist im Sinne von § 10<br />

Abs. 8 Satz 1 LuftVG offensichtlich, weil den angegriffenen Bescheiden<br />

eindeutig zu entnehmen ist, dass der Beklagte ausschließlich<br />

auf die äquivalenten Dauerschallpegel sowie die höchsten<br />

Spitzenpegel abgestellt hat.<br />

(cc) Der Fehler im Abwägungsvorgang hat sich auch auf das Abwägungsergebnis<br />

ausgewirkt (vgl. § 10 Abs. 8 Satz 1 LuftVG).<br />

Es ist allerdings zweifelhaft, ob der Beklagte im Hinblick auf Höhe<br />

und Häufigkeit dieser prognostizierten Einzelschallpegel gemäß § 9<br />

Abs. 2 LuftVG gezwungen gewesen wäre, weitergehende Schutzauflagen<br />

in die angegriffene Änderungsgenehmigung aufzunehmen.<br />

Hinsichtlich unzumutbar von Lärmbeeinträchtigungen Betroffener<br />

markiert diese Vorschrift – wie bereits dargelegt – eine<br />

nicht durch Abwägung der widerstreitenden Belange überwindbare<br />

Grenze. Als ein Mittel zur Bewältigung der anstehenden (Lärm-<br />

)Probleme gibt § 9 Abs. 2 LuftVG der Behörde die rechtliche Grundlage,<br />

mit der Verpflichtung des Vorhabenträgers das Ziel einer umfassenden<br />

und gerechten planerischen Abwägung zu erreichen.<br />

»Notwendig« im Sinne dieser Vorschrift sind bestimmte Schutzvorkehrungen<br />

durch Dritte jedoch nur dann, wenn die Behörde<br />

sich abwägungsfehlerfrei nicht in der Lage sieht, die Problembewältigung<br />

durch eigene planerische Gestaltung zu leisten (vgl.<br />

BVerwG, Urt. v. 29.1.1991 – 4 C 51.89, BVerwGE 87, 332 (342)).<br />

Fraglich ist, ob die hier vorliegenden Beeinträchtigungen bereits<br />

<strong>als</strong> unzumutbar zu qualifizieren sind. Gesundheitliche Beeinträchtigungen<br />

der Anwohner durch die Einzelschallereignisse sind nicht<br />

zu befürchten; derartige Gefahren werden erst bei 19 mal täglich<br />

auftretenden Maximalpegeln von über 99 dB(A) angenommen (vgl.<br />

SRU 1999, S. 194; Hoffmann/Grabherr, a.a.O., § 6 Rn. 53). Die prognostizierten<br />

Einzelschallereignisse könnten allerdings die Zumutbarkeitsschwelle<br />

überschreitende erhebliche Belästigungen darstellen.<br />

Der übliche Tagespegel im Wohnbereich beträgt etwa 50 dB(A)<br />

(SRU 1999, S. 158). Beachtliche Störungen im Wohnungsinneren<br />

sind deshalb erst bei Maximalpegeln von über 55 dB(A) anzunehmen<br />

(vgl. OVG Hamburg, Urt. v. 3.9.2001 – 3 E 32/98.P, NordÖR<br />

2002, 241 (250) m. w. N.). Im Hinblick auf das Ziel, die Kommunikation<br />

vor Beeinträchtigungen zu schützen, sind zudem nicht<br />

schon einzelne höhere Pegel kritisch, solange ihre Häufigkeit nicht<br />

dazu führt, dass ein Gespräch immer wieder unterbrochen wird, Radio-<br />

und Fernsehsendungen mangels Satzverständlichkeit nur noch<br />

eingeschränkt mitvollzogen werden können oder sich die für eine<br />

Informationsaufnahme notwendige Konzentration nicht wieder<br />

einstellt (vgl. OVG Hamburg, Urt. v. 3.9.2001, a. a. O.). Die Dämmwirkung<br />

geschlossener Fenster ist mit etwa 25 dB(A) zu veranschlagen<br />

(vgl. SRU 1999, S. 184), so dass bei geschlossenen Fenstern erst<br />

Maximalpegel an der Außenseite von Wohnhäusern von 80 dB(A)<br />

und darüber in den Wohnräumen zu beachtlichen Beeinträchtigungen<br />

führen. Derartige Werte treten am Immissionsort 1 bei Variante<br />

1 (alle Starts in Richtung Osten) etwa 11 mal täglich, im Übrigen<br />

allenfalls ca. dreimal täglich auf. Somit ist selbst im ungünstigsten<br />

Fall nicht einmal ein Störereignis pro Stunde zu erwarten, was<br />

<strong>als</strong> zumutbar anzusehen sein dürfte. Die Dämmwirkung schon eines<br />

gekippten Fensters beträgt aber lediglich 10 bis 15 dB(A) (vgl.<br />

SRU 1999, S. 184, Hoffmann/Grabherr, a.a.O., § 6 Rn. 55), so dass in<br />

diesem Fall sämtliche Lärmereignisse über 75 dB(A) auch zu einer<br />

beachtlichen Störung innerhalb der Wohnhäuser führen. Darüber<br />

hinaus sind die Außenwohnbereiche der Grundstücke der Kläger zu<br />

1., 3. und 4. durchschnittlich dreimal pro Stunde Beeinträchtigungen<br />

durch Einzelschallereignisse mit einer Lautstärke von 75 dB(A)<br />

und mehr ausgesetzt. Es ist fraglich, ob derartige Beeinträchtigungen<br />

der bebauungsrechtlichen Situation der Grundstücke zugemutet<br />

werden können. Eine plangegebene Vorbelastung lässt sich<br />

hierfür jedenfalls nicht ohne weiteres ins Feld führen. Wie oben dargelegt,<br />

wurde die Hauptstart- und Hauptlandebahn mindestens seit<br />

1986 tatsächlich nicht mehr genutzt und ist auch nicht Bestandteil<br />

des <strong>als</strong> planfestgestellt fingierten Bestandes des Flugplatzes. Durch<br />

ihre Wiederinbetriebnahme dürfte sich die Belastung der Grundstücke<br />

der Kläger zu 1., 3. und 4. deutlich erhöhen, da diese derzeit<br />

lediglich durch ihre Lage am Rand des An- und Abflugkorridors der<br />

nördlichen Start- und Landebahn belastet werden. Ermittlungen<br />

dazu, ob die bislang bestehende tatsächliche Vorbelastung mit Einzelschallereignissen<br />

in vergleichbarer Höhe und Häufigkeit verbunden<br />

ist, hat der Beklagte nicht angestellt.<br />

Die Frage, ob die auftretenden Maximalpegel zwingend Schutzauflagen<br />

erfordert hätten, kann aber letztlich dahingestellt bleiben.<br />

Die Entscheidung des Beklagten ist schon deshalb im Ergebnis abwägungsfehlerhaft,<br />

weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass<br />

der Beklagte bei vollständiger Abwägung der klägerischen Lärmschutzbelange<br />

auch unterhalb der Schwelle der unzumutbaren Beeinträchtigungen<br />

weitere Regelungen zur Verringerung der<br />

Lärmbelastungen der Kläger getroffen hätte. Hierfür spricht, dass<br />

er, ohne ausdrücklich von einer unzumutbaren Lärmbelästigung<br />

der Anwohner auszugehen, bereits mit den Auflagen Nr. 19 und 20<br />

Regelungen zur Minimierung des Fluglärms getroffen hat.<br />

d) Es liegt überdies auch ein Abwägungsfehler hinsichtlich der<br />

Lärmschutzbelange sämtlicher Kläger zur Nachtzeit vor. Eine Abwägung<br />

hat insoweit offensichtlich nicht stattgefunden. Wie auf<br />

Seite 7 des Widerspruchsbescheides ausgeführt wird, hat der Beklagte<br />

eine »gesonderte Beauflagung hinsichtlich der Nachtruhe«<br />

für »entbehrlich« gehalten, weil der Verkehrslandeplatz nur für<br />

Flüge unter Sichtschutzbedingungen am Tage zugelassen ist. Auch<br />

das Gutachten der AVIA Consult hat keine Berechnungen für eventuelle<br />

Fluglärmimmissionen zur Nachtzeit angestellt (vgl. S. 14 des<br />

Gutachtens sowie die Tabellen in Anlage 2 zu dem Gutachten).<br />

Dem Flugplatz Fürstenwalde ist aber mit den hier angefochtenen<br />

Bescheiden eine Genehmigung zum Betrieb ohne jede Nachtflugeinschränkung<br />

erteilt worden. Ein vollständiger Ausschluss von<br />

Flügen zur Nachtzeit ergibt sich entgegen der Ansicht des Beklagten<br />

auch nicht aus der Zulassung des Flugplatzes <strong>als</strong> Verkehrslandeplatz<br />

»für die Durchführung von Sichtflugregeln bei Tage«. Nach<br />

allgemeiner Lärmschutzpraxis umfasst die Nachtzeit die Zeit von<br />

22.00 Uhr bis 6.00 Uhr (BVerwG, Urt. v. 29.1.1991 – 4 C 51.89,<br />

BVerwGE 87, 332 (371 f.)). Für den Fluglärmschutz findet sich ei-<br />

ZUR 1/2005 | 37


RECHTSPRECHUNG | OVG Hamburg, Airbus-Erweiterung<br />

ne entsprechende Regelung in Ziffer 1 Satz 3 der Anlage zu § 3 des<br />

Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm. Gemäß § 33 Satz 2 der Luftverkehrs-Ordnung<br />

in der Fassung der Bekanntmachung vom<br />

27.3.1999 (BGBl. 1 S. 580) gilt für Flüge nach Sichtflugregeln bei<br />

Nacht aber der Zeitraum zwischen einer halben Stunde nach Sonnenuntergang<br />

und einer halben Stunde vor Sonnenaufgang <strong>als</strong><br />

»Nacht«; Flüge nach Sichtflugbedingungen bei Tage können somit<br />

bereits eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang starten. Im Sommer<br />

sind deshalb innerhalb der unter Lärmschutzgesichtspunkten <strong>als</strong><br />

Nachtzeit definierten Zeit des frühen Morgens auf dem Flugplatz<br />

Fürstenwalde über einen längeren Zeitraum hinweg uneingeschränkt<br />

Flugbewegungen möglich. Am längsten Tag des Jahres,<br />

dem 21. Juni beispielsweise geht die Sonne in Fürstenwalde bereits<br />

um ca. 4.40 Uhr MEZ auf, Flüge nach Sichtflugregeln bei Tag können<br />

demnach bereits ab 4. 10 Uhr MEZ beginnen. Der offenkundige<br />

Fehler im Abwägungsvorgang schlägt auch auf das Abwägungsergebnis<br />

durch, denn ausweislich der oben zitierten Ausführungen<br />

im Widerspruchsbescheid ist davon auszugehen, dass<br />

der Beklagte mögliche Flugbewegungen zur Nachtzeit im lärmschutzrechtlichen<br />

Sinne entweder vollständig ausgeschlossen oder<br />

allenfalls unter weiteren Auflagen genehmigt hätte.<br />

Nach alledem ist der Anspruch aller Kläger auf gerechte Abwägung<br />

ihrer Lärmschutzbelange verletzt.<br />

V. Auf die Anfechtungsklagen hin ist die Änderungsgenehmigung<br />

jedoch nicht aufzuheben, sondern es ist lediglich ihre Rechtswidrigkeit<br />

und Nichtvollziehbarkeit festzustellen.<br />

Für Planfeststellungsverfahren ist anerkannt, dass nicht jeder<br />

Mangel eines Planfeststellungsbeschlusses, der zur Folge hat, dass<br />

dieser einen Betroffenen in seinen Rechten verletzt, auch die Aufhebung<br />

des Beschlusses rechtfertigt. Ein Anspruch auf Aufhebung<br />

des Planfeststellungsbeschlusses besteht vielmehr nur dann, wenn<br />

der Abwägungsmangel nicht durch Planergänzungen beseitigt werden<br />

kann. Letzteres ist dann nicht möglich, wenn der Abwägungsmangel<br />

für die Planungsentscheidung insgesamt von so großem Gewicht<br />

ist, dass dadurch die Ausgewogenheit der Planung in Frage gestellt<br />

wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 7.7.1978 – 4 C 79.76 u. a., BVerwGE<br />

56, 110 (133); BVerwG, Beschl. v. 3.4.1990 – 4 B 50.89, NVWZ-RR<br />

1990, 454 f.). Dieser von der Rechtsprechung entwickelte Grundsatz<br />

ist mit dem Planungsvereinfachungsgesetz vom 17.12.1993 für<br />

Planfeststellungsbeschlüsse und Plangenehmigungen ausdrücklich<br />

in § 10 Abs. 8 Satz 2 LuftVG eingefügt worden. Diese Vorschrift ist<br />

entsprechend auch auf Anfechtungsklagen gegen Änderungsgenehmigungen<br />

nach § 6 Abs. 4 Satz 2 LuftVG anzuwenden, denn derartige<br />

Genehmigungen haben, wie bereits dargelegt, Planungsfunktion<br />

(vgl. zur Anwendung des der Vorschrift zu Grunde liegenden<br />

Rechtsgedankens auf eine Genehmigung nach § 6 Abs. 4 Satz 2<br />

LuftVG OVG Frabkfurt/Oder, Beschl. v. 28.11.1996 – 4 B 142/96,<br />

LKV 1997, 457; OVG Koblenz, Urt. v. 1.7.1997 – 7 C 11843/93, zit.<br />

nach Juris; OVG Bremen, Urt. v. 11.6.1996 – 1 G 5/94, zit. nach Juris;<br />

Hoffmann/Grabherr, a.a.O., § 6 Rn. 182).<br />

Die festgestellten Abwägungsmängel stellen die Ausgewogenheit<br />

der Planung insgesamt nicht in Frage. Es ist nicht ersichtlich,<br />

dass eine Ergänzung der Genehmigung zu Gunsten der Kläger die<br />

Gesamtkonzeption des Vorhabens in einem wesentlichen Punkt<br />

berühren würde.<br />

Selbst in dem Fall, dass unzumutbare Lärmbeeinträchtigungen<br />

einzig durch Schutzauflagen zu vermeiden sind, steht die Festlegung<br />

der konkreten Schutzmaßnahme grundsätzlich im Ermessen<br />

der Planfeststellungs- bzw. hier der Genehmigungsbehörde (BVerwG,<br />

Urt. v. 29.1.1991 – 4 C 51.89, BVerwGE 87, 332 (345)). Nichts<br />

spricht dafür, dass der Beklagte von der Genehmigung des Vorhabens<br />

insgesamt abgesehen oder es wesentlich modifiziert hätte.<br />

Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass eine Verlegung der Hauptstart-<br />

und Hauptlandebahn erfolgt wäre, um den Lärmschutzbelangen<br />

der Kläger zu 1., 3. und 4. besser zu entsprechen. Im Widerspruchsbescheid<br />

hat der Beklagte ausgeführt, dass eine Umlegung<br />

der Start- und Landebahnen nicht ernstlich in Betracht gezogen<br />

werden könne, weil dies einer kompletten Neuanlage des<br />

Flugplatzes gleichkomme und die Investitionen der Platzbetreiber<br />

zerstört würden. Anhaltspunkte dafür, dass eine Änderung der<br />

Flugplatzkonfiguration oder eine sonstige wesentliche Änderung<br />

des Flugplatzes die einzige Möglichkeit wäre, die Lärmschutzbelange<br />

der Kläger angemessen zu berücksichtigen, liegen nicht vor;<br />

vielmehr erscheint es – unter anderem – auch möglich, die Belastungen<br />

durch eine Einschränkung der Betriebszeiten des Flugplatzes<br />

zu senken.<br />

Mit der Regelung des § 10 Abs. 8 LuftVG hat der Gesetzgeber eine<br />

spezifische Fehlerfolgenregelung für luftverkehrsrechtliche<br />

Planfeststellungsbeschlüsse und Plangenehmigungen getroffen. Er<br />

hat damit im Grundsatz eine im Bauplanungsrecht entwickelte<br />

Fehlerfolgenregelung auf durch Verwaltungsakt ergehende Planungsentscheidungen<br />

übertragen (zu § 17 Abs. 6 c FStrG BVerwG,<br />

Urt. v. 27.10.2000 – 4 A 18.88, Buchholz 406.401 § 8 BNatSchG Nr.<br />

29). Diese – hier entsprechend anwendbare – Regelung verbietet<br />

dem Gericht die Planaufhebung, sagt aber nichts darüber aus, welche<br />

Rechtsfolge eines festgestellten erheblichen Abwägungsmangels<br />

das Gericht auszusprechen hat. Die Annahme, statt der beantragten<br />

Kassation sei die Verpflichtung der Behörde zu einem ergänzenden<br />

Verfahren auszusprechen, das auf die behördliche<br />

Überprüfung und gegebenenfalls Bestätigung der angegriffenen<br />

Entscheidung gerichtet ist, wird der Interessenlage der Beteiligten,<br />

wie sie in der Vorschrift ihren Niederschlag gefunden hat, nicht gerecht.<br />

Der Gesetzgeber will das Interesse des die Aufhebung der angefochtenen<br />

Bescheide beantragenden Klägers an der Verhinderung<br />

des Vorhabens nicht umlenken oder umdeuten in ein Interesse<br />

an einem dem Abwägungsgebot genügenden Verfahren. Er<br />

will lediglich die radikale Folge einer Rechtswidrigkeit dieser Bescheide,<br />

die Kassation, vermeiden, wenn der Fehler durch ein ergänzendes<br />

Verfahren behoben werden kann. Folglich hat das Gericht<br />

nur die Rechtswidrigkeit – nicht die Aufhebung – der Änderungsgenehmigung<br />

auszusprechen mit der Folge, dass die<br />

Änderungsgenehmigung bis zur Behebung des Mangels nicht vollziehbar<br />

ist. Damit ist dem Interesse der Kläger, einen Eingriff in ihre<br />

Rechte durch ein abwägungsfehlerhaft genehmigtes Vorhaben<br />

abzuwehren, Genüge getan. Gleichzeitig trägt eine derartige Entscheidung<br />

dem Umstand Rechnung, dass die Entscheidung über<br />

konkrete Planergänzungen bzw. die Anordnung von Schutzauflagen<br />

im Ermessen des Beklagten steht. Dieser hat auch die Möglichkeit,<br />

von der Planung gänzlich Abstand zu nehmen (vgl. BVerwG,<br />

Urt. v. 21.3.1996 – 4 C 19.94, DVBI. 1996, 907 f). (…)<br />

Airbus-Erweiterung<br />

OVG Hamburg, Beschluss vom 9. August 2004 – 2 Bs 300/04<br />

1. Gegenstand der Abwägung der Planfeststellungsbehörde<br />

im Rahmen von § 8 Abs. 1 LuftVG ist der konkrete durch die<br />

Begründung des Planfeststellungsantrags beschriebene<br />

Zweck des Vorhaben. Dieses gilt auch für die wegen einer<br />

enteignungsrechtlichen Vorwirkung vorzunehmende Abwägung<br />

zwischen den Belangen der von einer Enteignung<br />

betroffenen Grundeigentümer und einem mit dem Vorhaben<br />

verbundenen (mittelbaren) Gemeinwohlbezug.<br />

2. Bei einer unmittelbar privatnützigen und nur mittelbar dem<br />

Gemeinwohl dienenden Enteignung kommt auch dem<br />

objektiven Gewicht der privatnützigen Interessen eine<br />

entscheidende Bedeutung zu.<br />

38 | ZUR 1/2005


OVG Hamburg, Airbus-Erweiterung | RECHTSPRECHUNG<br />

Aus den Gründen: I. Die Antragsgegnerin und die Beigeladene<br />

wenden sich mit ihrer Beschwerde gegen einen Beschluss des VG<br />

Hamburg vom 28.6.2004, mit dem dieses den Antragstellern<br />

vorläufigen Rechtsschutz gegen den Planfeststellungsbeschluss<br />

»Airbus Start- und Landebahnverlängerung« vom 29.4.2004<br />

gewährt hat. Dieser Planfeststellungsbeschluss ermöglicht die<br />

weitere Verlängerung der Start- und Landebahn des<br />

Sonderlandeplatzes der Beigeladenen in Hamburg-Finkenwerder<br />

um 589 Meter in Richtung Südwesten sowie weitere daraus<br />

resultierende Folgemaßnahmen. (…)<br />

Im Oktober 1998 beantragte die Freie und Hansestadt Hamburg<br />

bei der Planfeststellungsbehörde ihrer Wirtschaftsbehörde, Amt<br />

Strom- und Hafenbau – im Folgenden <strong>als</strong> Antragsgegnerin bezeichnet<br />

– die wasserrechtliche Planfeststellung eines Plans, mit<br />

dem u.a. die Zuschüttung einer etwa 170 ha großen Teilfläche des<br />

Mühlenberger Lochs zur Herrichtung einer Baufläche, die Schaffung<br />

einer etwa 150 Meter in die Elbe ragenden Halbinsel <strong>als</strong><br />

Grundfläche für eine Verlängerung der Start- und Landebahn des<br />

Sonderlandeplatzes der Beigeladenen, der Neubau und die Anpassung<br />

von Hochwasserschutzanlagen sowie ergänzende Anlagen<br />

und Folgemaßnahmen ermöglicht werden sollten. Gleichzeitig beantragte<br />

die Daimler-Benz Aerospace Airbus GmbH, die unmittelbare<br />

Rechtsvorgängerin der Beigeladenen, die Feststellung eines<br />

Planes nach dem Luftverkehrsgesetz (LuftVG), der u.a. die Verlängerung<br />

der Start- und Landebahn um 309 Meter in Richtung Nordosten<br />

sowie um 54 Meter Richtung Südwesten auf insgesamt<br />

2.684 Meter unter gleichzeitiger Verbreiterung um 30 Meter auf<br />

75 Meter und Verlegung der nordöstlichen Landeschwelle um<br />

277 Meter in Richtung Nordosten vorsah.<br />

Die Anträge wurden im Wesentlichen damit begründet, dass die<br />

vorhandenen Betriebsflächen und die vorhandene Start- und Landebahn<br />

für den Bau und die Auslieferung des geplanten Großraumflugzeugs<br />

A3XX nicht ausreichten. Die Start- und Landebahn müsse<br />

im genannten Umfang verlängert und verbreitert werden, um<br />

ein sicheres Starten und Landen der Flugzeuge des Typs A3XX in<br />

den seinerzeit projektierten Versionen A3XX-100 und A3XX-200<br />

mit einem definierten Abflug- bzw. Landegewicht zu ermöglichen.<br />

Die Antragsgegnerin fasste das wasserrechtliche Planfeststellungsverfahren<br />

und das luftverkehrsrechtliche Planfeststellungsverfahren<br />

gemäß § 78 Hamburgisches Verwaltungsverfahrensgesetz<br />

(HmbVwVfG) zusammen und stellte am 8.5.2000 den Plan<br />

«DA-Erweiterung A3XX« (Amtl. Anz. S. 1609 ff.) fest.<br />

Die Antragsteller haben gegen diesen Planfeststellungsbeschluss<br />

Klage (- 15 VG 3918/2000, – 15 VG 1382/2000 u.a.) erhoben. (…)<br />

Auf die Klage des Antragstellers zu 2) und eines weiteren Klägers<br />

hob das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 27.10.2002 (- 15 VG<br />

1382/2000, NordÖR 2002, 459) den Planfeststellungsbeschluss<br />

vom 8.5.2000 auf, weil es an ausreichenden gesetzlichen Grundlagen<br />

für das Vorhaben der Beigeladenen fehle. <strong>Das</strong> Verfahren über<br />

die von der Antragsgegnerin und der Beigeladenen eingelegte Berufung<br />

ist vor dem Beschwerdegericht noch anhängig (- 2 Bf<br />

345/02 -). Über die weiteren Klagen von Antragstellern gegen diesen<br />

Planfeststellungsbeschluss hat auch das Verwaltungsgericht<br />

noch nicht entschieden. (…)<br />

Im April 2002 meldete die Beigeladene bei der Freien und Hansestadt<br />

Hamburg Bedarf für eine weitere Verlängerung der Startund<br />

Landebahn an, weil die inzwischen ebenfalls zur Fertigung<br />

vorgesehene Frachtversion A 380 F eine solche benötige. (…)<br />

Während des Verwaltungsverfahrens verabschiedete die Bürgerschaft<br />

der Freien und Hansestadt Hamburg das Werkflugplatz-Enteignungsgesetz<br />

vom 18.2.2004 (GVBl. 2004, S. 95), welches vorsieht,<br />

dass der Werkflugverkehr der Beigeladenen dem Allgemeinwohl<br />

dient, und das unter weiteren Voraussetzungen die<br />

Enteignung sowie die vorzeitige Besitzeinweisung zum Zwecke des<br />

Erhalts und der Förderung der Flugzeugproduktion in Hamburg-<br />

Finkenwerder zulässt.<br />

Mit dem angegriffenen Planfeststellungsbeschluss vom<br />

29.4.2004 (Amtl. Anz. v. 3.5.2004, S. 866) genehmigte die Antragsgegnerin<br />

das Vorhaben entsprechend den Antragsunterlagen<br />

der Beigeladenen; die Einwendungen der Antragsteller wurden<br />

durchweg zurückgewiesen.<br />

Die Antragsteller haben – neben weiteren Klägern – am 5.5.2004<br />

gegen diesen Planfeststellungsbeschluss Klage erhoben. Ferner haben<br />

die Antragsteller (…) am 7.6.2004 (– 15 E 2865/04 –) beantragt,<br />

die aufschiebende Wirkung dieser Klage anzuordnen.<br />

Die Antragsteller machen im Eilverfahren in beiden Instanzen<br />

im Wesentlichen geltend, neben diversen entscheidungserheblichen<br />

Verfahrensfehlern des Planfeststellungsverfahrens fehle es an<br />

ausreichenden gesetzlichen Grundlagen für ihre nach dem Beschluss<br />

bevorstehende Enteignung, weil das Werkflugplatz-Enteignungsgesetz<br />

verfassungswidrig sei. (…)<br />

Durch Zwischenbeschluss vom 19.5.2004 hat das Verwaltungsgericht<br />

auf einen entsprechenden Antrag der Antragsteller zu 1) bis<br />

20) die aufschiebende Wirkung der Klage vorläufig bis zur abschließenden<br />

Entscheidung über den Antrag angeordnet, soweit der<br />

Neuenfelder Hauptdeich vor dem südwestlichen Kopf der Startund<br />

Landebahn der Beigeladenen abgetragen werden soll. Die dagegen<br />

gerichteten Beschwerden der Antragsgegnerin und der Beigeladenen<br />

hat das Beschwerdegericht mit Beschluss vom 19.5.2004<br />

(– 2 Bs 240/02 –) zurückgewiesen.<br />

Mit Beschluss vom 28.6.2004 hat das Verwaltungsgericht beide<br />

Verfahren verbunden und die aufschiebende Wirkung der Klage<br />

der Antragsteller gegen den Planfeststellungsbeschluss vom<br />

29.4.2004 angeordnet. (…)<br />

II. Die zulässigen Beschwerden der Antragsgegnerin und der Beigeladenen<br />

gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts haben nur<br />

hinsichtlich eines Teils der Antragsteller Erfolg. Im Ergebnis zu<br />

Recht hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der<br />

Klage der <strong>als</strong> Grundeigentümer oder Pächter von einer enteignungsrechtlichen<br />

Vorwirkung betroffenen Antragsteller angeordnet<br />

(1.). Allerdings können nicht alle Antragsteller geltend machen,<br />

von einer enteignungsrechtlichen Vorwirkung des Planfeststellungsbeschlusses<br />

betroffen zu sein (2.). (…)<br />

a) Anders <strong>als</strong> das Verwaltungsgericht vermag das Beschwerdegericht<br />

die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses<br />

allerdings nicht daraus herzuleiten, dass der vorangegangene<br />

Planfeststellungsbeschluss vom 8.5.2000 mangels einer<br />

hinreichenden Rechtsgrundlage für ein nicht unmittelbar gemeinnütziges<br />

Vorhaben keinen Bestand haben werde und der angefochtene<br />

Planfeststellungsbeschluss für sich allein keinen Sinn mache.<br />

<strong>Das</strong> Beschwerdegericht hat vielmehr in dem bei ihm anhängigen<br />

Berufungsverfahren zum Planfeststellungsbeschluss vom 8.5.2000<br />

(– 2 Bf 345/02 –) die dortigen Verfahrensbeteiligten – darunter der<br />

Antragsteller zu 2) und die Prozessbevollmächtigten aller Antragsteller<br />

– mittlerweile darauf hingewiesen, dass voraussichtlich die<br />

jenem Planfeststellungsbeschluss zugrundegelegten Rechtsgrundlagen<br />

auch eine nur mittelbar gemeinnützige Planfeststellung tragen<br />

können und dass dabei im Wege der Abwägung den davon Betroffenen<br />

auch nachteilige (Lärm-)Auswirkungen über die durch<br />

das zivile Nachbarrecht gesetzten Grenzen hinaus zugemutet werden<br />

können. In dem gerichtlichen Hinweis wird ausgeführt:<br />

»<strong>Das</strong> Berufungsgericht teilt nicht die die Entscheidung tragende<br />

Auffassung des Verwaltungsgerichts, nur unmittelbar gemeinnützige<br />

Zwecke eines nach § 8 LuftVG planfeststellungsbedürftigen<br />

Vorhabens könnten es rechtfertigen, dass Anwohnern mehr<br />

Lärm zugemutet werden dürfe, <strong>als</strong> sich sonst ohnehin aus § 906<br />

BGB ergeben würde. Ebensowenig folgt das Berufungsgericht dem<br />

ZUR 1/2005 | 39


RECHTSPRECHUNG | OVG Hamburg, Airbus-Erweiterung<br />

in diesem Zusammenhang vom Verwaltungsgericht entwickelten<br />

Verständnis der Planrechtfertigung.<br />

Was die Gemeinnützigkeit betrifft, so erscheint es seit dem den<br />

Beteiligten bekannten Boxberg-Urteil des BVerfG geklärt, dass auch<br />

mittelbare Folgen eines privatnützigen Vorhabens für die Entstehung<br />

von Arbeitsplätzen und die regionale Wirtschaft einen Gemeinwohlbezug<br />

und damit eine Bedeutung des Vorhabens für das<br />

allgemeine Wohl nach dem Maßstab des Art. 14 GG begründen<br />

können. Soweit sich aus älterer Judikatur hierzu etwas anderes ergibt,<br />

dürfte dies überholt sein. Die Forderung nach einem dies<br />

näher regelnden Gesetz hat das BVerfG nur wegen Art. 14 Abs. 3<br />

GG für den im vorliegenden Rechtstreit nicht gegebenen Fall der<br />

Enteignung aufgestellt. Unterhalb dieser Schwelle ist es im Rahmen<br />

der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums eine<br />

Frage des einfachen Rechts, dessen Regelungen darauf zu prüfen,<br />

was sich aus ihnen zur Bedeutung mittelbar gemeinnütziger<br />

Wirkungen ergibt.<br />

<strong>Das</strong> LuftVG enthält hierzu keine ausdrückliche Regelung, kennt<br />

aber in § 8 Abs. 1 das Gebot der Abwägung aller öffentlichen und<br />

privaten Belange. Was die regionale Wirtschaftskraft und die Schaffung<br />

von Arbeitsplätzen betrifft, so ist es im allgemeinen Planungsrecht<br />

des ROG und des BauGB nicht zweifelhaft, dass diese<br />

z.B. in § 2 Abs. 2 Nr. 9 ROG niedergelegten Grundsätze und in § 1<br />

Abs. 5 Nr. 8 BauGB angesprochenen Belange dort zugleich auch öffentliche<br />

Belange sind, sie dem allgemeinen Wohl dienen und es<br />

in der Abwägung rechtfertigen können, private Belange zurückzustellen.<br />

Vor diesem Hintergrund scheint auch für die Zeit vor der<br />

kürzlich erfolgten Ergänzung von § 28 LuftVG schwer begründbar,<br />

warum dieselben Belange im Fachplanungsrecht und speziell im<br />

Luftverkehrsrecht bereits ihrem Wesen nach nicht <strong>als</strong> öffentliche<br />

Belange sollten gewertet werden dürfen.<br />

Bei diesem Verständnis würde sich folgerichtig im Rahmen der<br />

Abwägung ergeben, welches Gewicht diese Belange im konkreten<br />

Fall haben dürfen und welche Nachteile für Betroffene dadurch gerechtfertigt<br />

werden können, so lange die durch das LuftVG allgemein<br />

vorgegebenen Grenzen nicht überschritten werden. Dabei<br />

würden etwa auch die Fragen nach Zahl oder längerfristigem Bestand<br />

der zu erwartenden Arbeitsplätze und ein Zusammenhang<br />

zwischen der Intensität der Beeinträchtigungen Dritter und dem<br />

Fortbestand der Arbeitsplätze (vgl. den Beschluss des BVerfG vom<br />

11.11.2002 – 1 BvR 218/99 –) von Bedeutung sein. Es liegt dabei<br />

nahe, dass die luftverkehrsrechtliche Planfeststellungsbehörde eine<br />

größere Zahl von Arbeitsplätzen oder eine Stärkung der Wirtschaftskraft<br />

an einem bestimmten Standort nicht allein aus eigener<br />

Kompetenz <strong>als</strong> einen gewichtigen Belang ansehen darf, sondern<br />

nur in Übereinstimmung mit den für die Raumordnung und<br />

evtl. den für die Bauleitplanung zuständigen Stellen. Dies erscheint<br />

hier allerdings angesichts der von der Beklagten mit den Ländern<br />

Niedersachsen und Schleswig-Holstein geschlossenen Staatsverträge<br />

aus dem November und Dezember 1998 nicht <strong>als</strong> problematisch.<br />

Was die Planrechtfertigung betrifft, sieht das Berufungsgericht<br />

gegenwärtig keinen Anlass, dieses aus den Zwecken des jeweiligen<br />

Fachplanungsrechts zu konkretisierende und in diesem Zusammenhang<br />

auf eine Vernünftigkeitskontrolle zielende Überprüfungskriterium<br />

bei einem luftverkehrsrechtlichen Vorhaben nicht<br />

anzuwenden, wenn der unmittelbare Vorhabenszweck ein privatnütziger<br />

ist. Wenn das Gesetz auch solche Vorhaben einer Planfeststellung<br />

unterwirft, liegt es nahe, dass auch bei solchen Vorhaben<br />

eine Überprüfung anhand der allgemeinen Zielsetzungen des<br />

Gesetzes bezogen auf privatnützige Vorhaben möglich und nötig<br />

ist. Die Erwägung, dass es bei einem privatnützigen Vorhaben hierauf<br />

nicht ankomme, weil es ohnehin nicht in fremde Rechte eingreifen<br />

dürfe, trifft – wenn sie nicht ohnehin durch das Boxberg-<br />

Urteil überholt sein sollte – jedenfalls auf das Luftverkehrsrecht<br />

nicht zu. Denn auch eine ausschließlich privatnützigen Zwecken<br />

dienende Planfeststellung für einen Landeplatz hätte ein Recht<br />

zum Überfliegen umliegender Grundstücke auch in solchen Höhen<br />

zur Folge, in denen sich nicht schon aus dem BGB ergibt, dass deren<br />

Eigentümer den Überflug nicht untersagen können. Es liegt nahe,<br />

dass eine solche Wirkung nicht durch eine Planfeststellung<br />

herbeigeführt werden dürfte, für die es eine Planrechtfertigung<br />

nicht gibt, die <strong>als</strong>o vernünftigerweise unterbleiben müsste.<br />

Bei der Heranziehung mittelbar gemeinnütziger Zwecke bei einer<br />

Planfeststellung könnte deren Berechtigung dem Grunde nach<br />

schon im Rahmen der Planrechtfertigung zu überprüfen sein. U.a.<br />

das Urteil das Bundesverwaltungsgerichts zum Flugplatz Bitburg<br />

kann in diese Richtung deuten. Die vorstehenden Erwägungen zur<br />

Übereinstimmung mit den Zielen von Raumordnung oder Bauleitplanung<br />

wären dann zunächst in diesem Zusammenhang anzustellen.<br />

Ist danach die Begründung des Verwaltungsgerichts, gegen die<br />

seitens der Beschwerdeführer in den Beschwerdebegründungen bereits<br />

vor Kenntnis von diesem rechtlichen Hinweis Bedenken hinreichend<br />

dargelegt worden waren (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO),<br />

nicht tragfähig, kann dies allerdings nicht bereits den Erfolg der Beschwerde<br />

rechtfertigen. Vielmehr hat das Beschwerdegericht nunmehr<br />

im Rahmen des § 80 a Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO das Rechtsschutzbegehren<br />

der Beschwerdeführer umfassend zu prüfen (vgl.<br />

z.B. OVG Hamburg, Beschl. v. 16.12.2002, NordÖR 2003, S. 67, 69;<br />

OVG Weimar, Beschl. v. 17.11.2003 – 2 EO 349/03 – in Juris<br />

m.w.N.; Bader in Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/v.Albedyll, VwGO,<br />

2. Auflage, § 146 Rn. 35).<br />

Diese Prüfung ergibt, dass der angefochtene Planfeststellungsbeschluss<br />

aller Voraussicht nach zu Lasten der <strong>als</strong> Grundeigentümer<br />

und Pächter von einer Enteignungsvorwirkung betroffenen<br />

Antragsteller rechtswidrig ist, weil der Beschluss hinsichtlich des<br />

das Vorhaben der Beigeladenen auslösenden Verlängerungsbedarfs<br />

von 312 Metern für die Frachtversion des A 380 eine solche Enteignung<br />

in seiner Abwägungsentscheidung nicht hinreichend<br />

rechtfertigt und mit hoher Wahrscheinlichkeit im Ergebnis nicht<br />

rechtfertigen kann (b), er die Enteignung in der Abwägungsentscheidung<br />

auch hinsichtlich der Verlängerung um 277 Meter aufgrund<br />

der Rückführung des Landegleitwinkels von 3,5° auf 3,0°<br />

nicht hinreichend rechtfertigt (c) und dass vor diesem Hintergrund<br />

auch im Übrigen eine an den Vollzugsfolgen ausgerichtete Interessenabwägung<br />

nicht zur Ablehnung des Antrags führen kann (d).<br />

Mögliche Verfahrensfehler und weitere materiellrechtliche Mängel<br />

des Planfeststellungsbeschlusses, wie sie von den Antragstellern<br />

geltend gemacht werden, können dahinstehen. (…)<br />

aa) Nach § 8 Abs. 1 LuftVG hatte die Antragsgegnerin im Rahmen<br />

der Planfeststellung eine Abwägung der von dem konkreten<br />

zur Genehmigung gestellten Vorhaben berührten öffentlichen und<br />

privaten Belange vorzunehmen. (…)<br />

Kommt im Rahmen einer Planfeststellung mit enteignungsrechtlicher<br />

Vorwirkung auch die Enteignung vom Vorhaben betroffener<br />

Grundeigentümer in Betracht, ist der rechtliche Maßstab<br />

für die fachplanerische Abwägung auch stets verfassungsrechtlicher<br />

Natur (vgl. z.B. BVerwG, Urt. v. 18.3.1983, BVerwGE 67, 74<br />

(76); Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 72 Rn. 39 m.w.N. d. Rspr. d. BVerwG).<br />

Denn ob ein Vorhaben dem Allgemeinwohl dient, ist, selbst<br />

wenn der einfache Gesetzgeber die Gemeinwohlklausel des Grundgesetzes<br />

in einfaches (Fachplanungs-)Recht übernimmt, eine Frage<br />

spezifischen Verfassungsrechts. Der einfache Gesetzgeber kann<br />

die materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine Enteignung<br />

allenfalls verschärfen, darf jedoch nicht dahinter zurückbleiben<br />

(vgl. z.B. Papier, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz,<br />

Kommentar, Stand 2003 (im Folgenden M/D/H/S), Art. 14 Rn. 573<br />

40 | ZUR 1/2005


OVG Hamburg, Airbus-Erweiterung | RECHTSPRECHUNG<br />

m.w.N.). Ob dem Gemeinwohlerfordernis Genüge getan ist, bedarf<br />

selbst in Fällen, in denen in einem Enteignungsgesetz bestimmte<br />

Maßnahmen generell <strong>als</strong> dem Allgemeinwohl dienend bezeichnet<br />

werden, stets der Einzelfallprüfung (vgl. z.B. BVerwG, Urt. v.<br />

10.4.1997, BVerwGE 104, 236 (249 f.); Papier, in: M/D/H/S, Art. 14<br />

Rn. 574 m.w.N.). Hierzu gehört <strong>als</strong> wesentlicher Gesichtspunkt,<br />

dass jede dem Allgemeinwohl dienende Enteignung nicht gegen<br />

das rechtsstaatliche Übermaßverbot verstoßen darf; dies bedeutet,<br />

dass ein Eigentumseingriff neben den Schranken von Eignung und<br />

Erforderlichkeit auch im engeren Sinne verhältnismäßig sein muss,<br />

<strong>als</strong>o keine Disproportionalität zwischen dem mit der Enteignung<br />

verfolgten Nutzen für das Allgemeinwohl und Schwere und Ausmaß<br />

des Schadens für den Enteignungsbetroffenen besteht (vgl.<br />

z.B. Papier, in: M/D/H/S, Art. 14 Rn. 589, 590 m.w.N.; Depenheuer,<br />

in: v.Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Kommentar, 4. Auflage,<br />

Art. 14 Rn. 433 m.w.N.).<br />

Insbesondere für Enteignungen zu Gunsten Privater, bei denen<br />

– wie vorliegend – der Nutzen für das allgemeine Wohl lediglich<br />

mittelbare Folge der Unternehmenstätigkeit ist, treten zusätzliche<br />

Anforderungen hinzu und machen es zusätzlich erforderlich, die<br />

grundlegenden Enteignungsvoraussetzungen, das Verfahren zu ihrer<br />

Ermittlung sowie Vorkehrungen zur Sicherung des verfolgten<br />

Gemeinwohlziels gesetzlich zu regeln (vgl. BVerfGE 74, 264 (287<br />

ff.); Papier, in: M/D/H/S, Art. 14 Rn. 584). Vieles spricht dafür, dass<br />

im Rahmen der erforderlichen Bestimmung der öffentlichen Interessen<br />

für eine Enteignung, die durch den mittelbaren Gemeinwohlbezug<br />

verwirklicht werden sollen, ein besonders gewichtiges,<br />

dringendes öffentliches Interesse erforderlich ist, um eine Enteignung<br />

zu Gunsten Privater zu rechtfertigen (so z.B. Papier, in<br />

M/D/H/S, Art. 14 Rn. 585). Enteignungen zur Umverteilung von<br />

Rechtspositionen zwischen Privaten, die nicht der Verwirklichung<br />

von jedenfalls mittelbaren Gemeinwohlbelangen dienen, sind unzulässig<br />

(vgl. z.B. Papier, in: M/D/H/S, Art. 14 Rn. 577; Depenheuer,<br />

in: v.Mangoldt/Klein/Starck, Art. 14 Rn. 435).<br />

Auch für die luftrechtliche Planfeststellung ist dieser verfassungsrechtliche<br />

Maßstab im Abwägungsgebot des § 8 Abs. 1<br />

LuftVG enthalten. Im vorliegenden Fall entbindet das hamburgische<br />

Werkflugplatz-Enteignungsgesetz die Planfeststellungsbehörde<br />

hiervon ebenfalls nicht.<br />

<strong>Das</strong> Werkflugplatz-Enteignungsgesetz folgt hinsichtlich des Verhältnisses<br />

zwischen Planfeststellungsbeschluss und dem ggf. nachfolgend<br />

erforderlichen Enteignungsverfahren keinen anderen<br />

Grundsätzen <strong>als</strong> dies bei den meisten anderen Fachplanungsgesetzen<br />

der Fall ist. Einwendungen gegen den die Enteignung auslösenden<br />

Planfeststellungsbeschluss und die inhaltliche Rechtfertigung<br />

der Enteignung sind danach im Enteignungsverfahren nicht<br />

mehr möglich (vgl. zu jenen z.B. Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 75 Rn.<br />

12 f.). Auch § 3 Abs. 1 Satz 2 dieses Gesetzes bestimmt, dass ein festgestellter<br />

oder genehmigter Plan im Enteignungsverfahren zugrunde<br />

zu legen und für die Enteignungsbehörde bindend ist; die<br />

Gesetzesbegründung verweist insoweit auf die enteignungsrechtliche<br />

Vorwirkung der jeweiligen planrechtlichen Zulassung (vgl.<br />

Bürgerschaftsdrucksache 17/3920, S. 7). Danach muss auch der<br />

vorliegende Planfeststellungsbeschluss jenen Anforderungen vollen<br />

Umfangs genügen, die für Planfeststellungsbeschlüsse mit enteignungsrechtlicher<br />

Vorwirkung auf der Basis der entsprechenden<br />

bundesrechtlichen Normen der Fachplanungsgesetze, etwa § 28<br />

LuftVG, bestehen.<br />

Zwar gab das streitige Vorhaben den Anlass zum Erlass des Werkflugplatz-Enteignungsgesetzes,<br />

weil es zuvor bereits dem Grunde<br />

nach an einer landesgesetzlichen Grundlage für Vorhaben der Beigeladenen<br />

fehlte, die ggf. eine Enteignung erfordern. <strong>Das</strong> Gesetz<br />

nimmt jedoch weder eine Legalenteignung vor noch lässt die Gesetzesstruktur<br />

erkennen, dass der Gesetzgeber in den Regelungen<br />

der §§ 1 bis 3 des Gesetzes für dieses Vorhaben bereits eine konkrete<br />

und abschließende Regelung dahin getroffen hat, dass dieses wie<br />

jedes andere denkbare Vorhaben der Beigeladenen mit möglichen<br />

Auswirkungen auf die erforderliche Länge der Start- und Landebahn<br />

per se von solcher Bedeutung für das Allgemeinwohl ist, dass<br />

die Enteignung hiervon betroffener privater Grundeigentümer<br />

ohne weitere Prüfung stets zulässig ist. Vielmehr beschreibt § 1 Abs.<br />

2 des Gesetzes die Merkmale, die nach dem Willen des Gesetzgebers<br />

abstrakt dazu führen, dass ein Produktionsvorhaben der Beigeladenen<br />

und der damit verbundene Werkflugverkehr am Standort<br />

Hamburg-Finkenwerder mittelbar auch dem Gemeinwohl im<br />

Sinne des Art. 14 Abs. 3 GG dient, wie dies in § 1 Abs. 1 ausgedrückt<br />

werden soll. § 2 enthält hierzu eine Konkretisierung, welche Produktionsvorhaben<br />

der Beigeladenen allgemein zur Verwirklichung<br />

dieser Ziele beitragen und welche in diesem Zusammenhang erforderlichen<br />

Baumaßnahmen einen Enteignungsbedarf auslösen<br />

können. § 3 regelt die Voraussetzungen von Enteignungen und<br />

stellt hierbei nicht auf einen konkreten Planfeststellungsbeschluss,<br />

sondern abstrakt auf die nach § 8 Abs. 1 und 2 LuftVG möglichen<br />

Entscheidungsformen des Planfeststellungsbeschlusses und der<br />

Plangenehmigung ab. <strong>Das</strong>s die Vorschriften, insbesondere § 2, bereits<br />

eine abschließende Bewertung – insbesondere – des konkreten<br />

Ausbauvorhabens im Hinblick auf die konkreten entgegenstehenden<br />

Rechte Enteignungsbetroffener vornehmen, ist deshalb<br />

weder dem Gesetzestext noch der Gesetzesbegründung (vgl. Bürgerschaftsdrucksache<br />

17/3920, S. 7) zu entnehmen. (…)<br />

Damit oblag der Planfeststellungsbehörde im Rahmen ihrer Entscheidung<br />

über den Antrag der Beigeladenen die Prüfung, ob das<br />

begehrte konkrete Vorhaben nach Maßgabe der im Werkflugplatz-<br />

Enteignungsgesetz niedergelegten Gemeinwohlbelange den verfassungsrechtlichen<br />

Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 GG für zur<br />

Verwirklichung des Vorhabens erforderliche Enteignungen genügt.<br />

bb) Die Antragsgegnerin hat im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens<br />

die fachplanerische Abwägung nicht rechtsfehlerfrei<br />

durchgeführt. Der Abwägungsvorgang – wie er in den vorgelegten<br />

Unterlagen und im Planfeststellungsbeschluss dokumentiert ist –<br />

war sowohl hinsichtlich der Vollständigkeit des Abwägungsmateri<strong>als</strong><br />

<strong>als</strong> auch bei der Erfassung der Bedeutung der betroffenen Belange<br />

fehlerbehaftet.<br />

Zum erforderlichen Abwägungsmaterial gehörte hinsichtlich der<br />

für das konkrete Vorhaben sprechenden öffentlichen und privaten<br />

Belange auch die Prüfung, welche Folgen von der Verwirklichung<br />

oder Nichtverwirklichung des Vorhabens für die privaten Unternehmensinteressen<br />

auf Seiten der Beigeladenen und für die <strong>als</strong><br />

mittelbar gemeinnützige Belange verfolgten Ziele der Schaffung<br />

und des Erhalts von Arbeitsplätzen und der Förderung der regionalen<br />

Wirtschaftsstruktur ausgehen. Diese Prüfung hat nur unvollständig<br />

stattgefunden.<br />

Gegenstand dieser Prüfung hatte nach § 8 Abs. 1 LuftVG hier das<br />

konkrete, vom Vorhabenträger im Planfeststellungsantrag beschriebene<br />

Vorhaben sowie der dadurch – mit Blick auf die Überwindung<br />

der (Eigentums-)Rechte Dritter – verbundene (mittelbare)<br />

Gemeinwohlbezug zu sein. Der Zweck des Vorhabens besteht<br />

primär darin, die Start- und Landebahn des Sonderlandeplatzes der<br />

Beigeladenen (einschließlich einer Entwicklungsreserve von 74<br />

Meter) um 312 Meter zu verlängern, um den Start und die Landung<br />

der Frachtversion des von der Beigeladenen produzierten Baumusters<br />

A 380 F, der Frachtversion des Großraumflugzeugs A 380, mit<br />

einem Gewicht von jedenfalls 66 v.H. (entsprechend 410 t) seines<br />

geplanten maximalen Startgewichts von 620 t auf dem Landeplatz<br />

zu ermöglichen, um auf diese Weise die Auslieferung dieses Flugzeugs<br />

über den Landeplatz durchführen zu können (Zif. 3.4.1 der<br />

Bedarfsbegründung). Alle weiteren beabsichtigten Maßnahmen,<br />

wie die weitere Verlängerung der Start- und Landebahn um<br />

ZUR 1/2005 | 41


RECHTSPRECHUNG | OVG Hamburg, Airbus-Erweiterung<br />

nochm<strong>als</strong> 277 Meter wegen einer Verringerung des Gleitwinkels<br />

bei Landungen aus Richtung Nordosten von 3,5° auf 3° (dazu unten<br />

c)), sowie alle weiteren erforderlichen Baumaßnahmen im Bereich<br />

der öffentlichen Straßen und der Gewässer sowie der Hochwasserschutzanlagen<br />

stellen demgegenüber Folgemaßnahmen dar,<br />

die das Vorhaben ihrerseits nicht rechtfertigen sollen.<br />

Nähere konkrete Angaben zur Quantifizierung und Qualifizierung<br />

dieses Verlängerungsbedarfs im Hinblick auf die Zahl der<br />

Frachtflugzeuge oder zu konkreten, den mittelbaren Gemeinwohlcharakter<br />

des zur Genehmigung gestellten Vorhabens aus der<br />

Sicht der Beigeladenen rechtfertigender Auswirkungen etwa auf die<br />

Arbeitsplätze enthält der Antrag (nur) insoweit, <strong>als</strong> die Beigeladene<br />

insgesamt einen Bedarf für dieses Flugzeugmuster von ca. 300 Flugzeugen<br />

sieht und zum Antragszeitraum 17 Bestellungen vorlagen<br />

(Zif. 3.3). Im Übrigen wird das Bedürfnis lediglich unter Berufung<br />

auf die allgemeine wirtschaftliche Bedeutung des Werks der Beigeladenen<br />

für Hamburg und mit der Zusage der politisch Verantwortlichen<br />

der Freien und Hansestadt Hamburg gerechtfertigt, »im<br />

Rahmen und nach Maßgabe der rechtlichen Regelungen alle<br />

Schritte zu unternehmen, damit Airbus ab 2006 eine Start- und<br />

Landebahn zur Verfügung steht, wie sie von Toulouse zur Verfügung<br />

gestellt wird« (Zif. 3.3 der Bedarfsbegründung a.E.). Die Möglichkeit<br />

einer Alternative, für die betroffenen Flüge auf einen anderen<br />

Hamburger Flughafen auszuweichen, wurde im Hinblick auf<br />

die hierfür erforderliche Infrastruktur, die damit verbundenen Kosten<br />

und die fehlende Akzeptanz bei den Kunden der Beigeladenen<br />

verneint (Zif. 3.5 d. Bedarfsbegründung). Im Rahmen des weiteren<br />

Planfeststellungsverfahrens hat die Beigeladene diesen Bedarf im<br />

Hinblick auf Einwendungen der Antragsteller und anderer Einwender<br />

insoweit zusätzlich beschrieben, <strong>als</strong> sie ausgeführt hat, dass<br />

alle Frachtflugzeuge in Hamburg industriell abgenommen werden<br />

sollen und lediglich die Kundenauslieferung für Kunden, die nicht<br />

aus Europa und dem mittleren Osten stammten, in Toulouse vorgenommen<br />

werden solle. Eine generelle Kundenauslieferung der<br />

Frachtversion in Toulouse oder in Rostock sei aufgrund des erforderlichen<br />

Transfers von Belegschaftsmitgliedern und Produktionsmitteln<br />

und vermeidbarer Belastungen der Umwelt durch zusätzliche<br />

Überführungsflüge nicht akzeptabel, und ein Verzicht auf die<br />

Endabnahme und Auslieferung an die Kunden sei für Airbus<br />

Deutschland nicht zumutbar; eine Veränderung der Arbeitsteilung<br />

zwischen Hamburg und Toulouse stehe nicht zur Diskussion (zu<br />

Einwendungen SD 211 bis 214, 221).<br />

Die Antragsgegnerin hat diese Begründung übernommen und<br />

keinen Anlass gesehen, diese Ausführungen zur Bedarfsbegründung<br />

zu hinterfragen oder die Beigeladene zu einer Ergänzung aufzufordern.<br />

Hierzu hätte allerdings im Hinblick auf eine widerspruchsfreie<br />

Zusammenstellung des erforderlichen Tatsachenmateri<strong>als</strong><br />

für die Abwägung der einander gegenüberstehenden<br />

Belange der Beigeladenen sowie öffentlicher Belange und jener der<br />

Enteignungsbetroffenen Anlass bestanden, um einen hinreichend<br />

eindeutigen (und widerspruchsfreien) Antragssachverhalt und insbesondere<br />

das tatsächliche Gewicht des Vorhabens im Hinblick auf<br />

die gemeinnützigen Belange <strong>als</strong> Voraussetzung einer fehlerfreien<br />

Abwägung festzustellen. Denn zum einen ließen die Darstellungen<br />

der Beigeladenen nicht erkennen, in welcher Weise die industrielle<br />

Abnahme von einer Bahnverlängerung abhängig war und welche<br />

Bedeutung der industriellen Abnahme der Flugzeuge im Verhältnis<br />

zur Abnahme und Auslieferung an die Kunden zukommt,<br />

und zum anderen ließen sie im Unklaren, welche konkreten Auswirkungen<br />

ein Verzicht auf die Durchführung der industriellen<br />

Abnahme sowie der Kundenauslieferung der Frachtversion des A<br />

380 am Standort Hamburg-Finkenwerder für die Beigeladene und<br />

die Verwirklichung der gemeinnützigen Belange hätte. (…)<br />

Vor allem hat die Antragsgegnerin jedoch bereits keine ausreichenden<br />

Feststellungen dahin getroffen, ob und welche Folgen für<br />

die gemeinnützigen Zielsetzungen eintreten würden, wenn die einen<br />

Verlängerungsbedarf auslösenden Produktionsschritte nicht<br />

am Standort Hamburg-Finkenwerder, sondern an anderer Stelle<br />

vorgenommen werden müssten und ob mit Blick auf die Gemeinwohlbelange<br />

solche Alternativen zur Verfügung ständen. Sie hat<br />

sich vielmehr die Auffassung der Beigeladenen vollen Umfangs zu<br />

eigen gemacht und unter Hinweis darauf, dass nach dem Antrag<br />

und dem Willen der Beigeladenen eine Verlagerung von »Arbeitspaketen«<br />

nicht erfolgen solle, von weiteren Feststellungen und<br />

Prüfungen abgesehen. Dies ließ eine hinreichende fachplanerische<br />

Abwägung der Belange unter Berücksichtigung ihres Gewichts<br />

nicht zu, da eine konkrete vorhabensbezogene Bewertung der die<br />

mittelbare Gemeinnützigkeit auslösenden Belange unter Berücksichtigung<br />

der fachplanerischen Alternativenprüfung und des verfassungsrechtlichen<br />

Übermaßverbots für die Abwägung mit den<br />

Belangen der durch das Vorhaben Enteignungsbetroffenen nicht<br />

hinreichend möglich war.<br />

Dementsprechend hat in der Folge keine den fachplanerischen<br />

und den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechende<br />

Abwägung zwischen den öffentlichen Belangen und Unternehmensbelangen<br />

der Beigeladenen einerseits und den Belangen der<br />

enteignungsbetroffenen Antragsteller [andererseits] im Planfeststellungsbeschluss<br />

stattgefunden. (…)<br />

Der Planfeststellungsbeschluss nimmt auf diese Weise die spezifische<br />

Bedeutung des konkreten Vorhabens für die zu verwirklichenden<br />

mittelbaren Gemeinwohlziele nicht bzw. unzureichend<br />

in den Blick und schließt auf diese Weise eine einzelfallorientierte,<br />

den Anforderungen des Übermaßverbots genügende Abwägung<br />

sowohl auf der einfachgesetzlichen fachplanungsrechtlichen Ebene<br />

<strong>als</strong> auch unter Berücksichtigung von Art. 14 Abs. 3 GG aus. (…)<br />

cc) Die dargelegten Mängel sind auch mit Blick auf § 10 Abs. 8<br />

LuftVG nicht unerheblich. Sie sind vielmehr für den Abwägungsvorgang<br />

und das Abwägungsergebnis erheblich gewesen, denn sie<br />

betreffen den Kern der der Antragsgegnerin obliegenden fachplanerischen<br />

Abwägung und die verfassungsrechtliche Rechtfertigung<br />

der Folgen des Vorhabens gegenüber den durch das Vorhaben am<br />

stärksten betroffenen Trägern privater Belange. Bereits dies müsste<br />

im Klageverfahren dazu führen, die Nichtvollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses<br />

festzustellen, solange die Mängel nicht behoben<br />

sind.<br />

Vieles spricht jedoch dafür, dass der Planfeststellungsbeschluss<br />

in einem Hauptsacheverfahren auch aufzuheben sein wird, weil<br />

das Abwägungsergebnis selbst fehlerhaft sein dürfte und die Mängel<br />

der Abwägung deshalb nicht zu beheben sein werden. Nach<br />

den gegenwärtig erkennbaren Umständen wird das Gewicht der für<br />

das konkrete Vorhaben sprechenden Belange auch unter Berücksichtigung<br />

der von der Antragsgegnerin und der Beigeladenen im<br />

vorliegenden Verfahren (zusätzlich) geltend gemachten Umstände<br />

des Vorhabens voraussichtlich nicht ausreichen, um eine Enteignung<br />

nach dem Maßstab des Art. 14 Abs. 3 GG zu rechfertigen.<br />

Hierbei sind folgende Erwägungen von erheblicher Bedeutung:<br />

Bei einer unmittelbar privatnützigen und – ungeachtet der Festlegungen<br />

des Hamburgischen Landesgesetzgebers in § 1 des Gesetzes<br />

zum Erhalt und zur Stärkung des Luftfahrtstandortes Hamburg<br />

und § 1 Abs. 1 Werkflugplatz-Enteignungsgesetz – verfassungsrechtlich<br />

im Rahmen von Art. 14 Abs. 3 GG nur mittelbar dem Gemeinwohl<br />

dienenden Enteignung kommt auch dem objektiven<br />

Gewicht der privatnützigen Interessen eine entscheidende Bedeutung<br />

zu.<br />

Dies wird in besonderem Maße deutlich, wenn der mittelbar gemeinnützige<br />

Zweck des Vorhabens im Wesentlichen darauf gerichtet<br />

ist, die Arbeitsplätze am Standort zu erhalten und die At-<br />

42 | ZUR 1/2005


RECHTSPRECHUNG IN LEITSÄTZEN<br />

traktivität eines Wirtschaftsstandortes auch für die Zukunft zu sichern<br />

oder zu fördern. Wäre in diesem Falle keine inhaltliche Prüfung<br />

des konkreten Bedarfs auf seine objektive Bedeutung möglich<br />

und erforderlich, wäre es einem Großunternehmen mit einem unmittelbar<br />

privatnützigen Vorhaben möglich, sein Interesse an einer<br />

Betriebserweiterung gegenüber umliegenden Grundstückseigentümern<br />

– mit staatlicher Unterstützung – im Wege der Enteignung<br />

allein dadurch durchzusetzen, dass es erklärt, dass es<br />

andernfalls Arbeitsplätze am Standort abbauen müsse oder den<br />

Standort durch Wegzug aufgebe.<br />

Solches wäre mit Art. 14 Abs. 3 GG, wie bereits ausgeführt,<br />

schlechterdings unvereinbar. Art. 14 Abs. 3 GG lässt in erster Linie<br />

nur eine Enteignung aus unmittelbar gemeinnützigen und damit<br />

(uneingeschränkt) dem Allgemeinwohl dienenden Gründen zu.<br />

Selbst in jenen Fällen, etwa wenn bei Verkehrsvorhaben ein Bedarf<br />

für ein Vorhaben ggf. sogar gesetzlich festgeschrieben ist, ist insbesondere<br />

bei einer enteignungsrechtlichen Vorwirkung im Rahmen<br />

der Abwägung im Planfeststellungsverfahren auch zu prüfen,<br />

ob aufgrund entgegenstehender Belange und ihres Gewichts auf<br />

die Realisierung eines Vorhabens gänzlich verzichtet werden muss<br />

(vgl. z.B. BVerwG, Urt. v. 10.4.1997, BVerwGE 104, 236 (249 f.); Urt.<br />

v. 15.1.2004 – 4 A 11/02, in juris). Es würde dieses Verhältnis grundlegend<br />

verändern, wenn im Falle einer bevorstehenden Enteignung,<br />

die aufgrund ihres nur mittelbaren Gemeinwohlbezugs nur<br />

unter zusätzlichen Voraussetzungen zulässig ist, ein Unternehmen<br />

in der Lage wäre, diese zu seinen Gunsten ohne eine solche eingehende<br />

Bedarfsprüfung seines konkreten unternehmerischen Vorhabens<br />

durchzusetzen. Dabei kann auf das objektive Gewicht eines<br />

Bedarfs wegen der bei großen Unternehmen mit mehreren<br />

Standorten bestehenden Gestaltungsmöglichkeiten nicht ohne<br />

weiteres daraus geschlossen werden, welche nachteiligen Folgen<br />

nach den Angaben des Unternehmens ohne eine antragsgemäße<br />

Verwirklichung des Vorhabens eintreten würden. Es bedarf vielmehr<br />

der Prüfung, ob sie auch bei einer den Standort grundsätzlich<br />

fördernden Unternehmensführung aus sachlich plausiblen<br />

Gründen zu befürchten wären. Diese Prüfung oblag und obliegt<br />

hier der Antragsgegnerin <strong>als</strong> Planfeststellungsbehörde.<br />

Diese Prüfung führt hinsichtlich des konkreten Vorhabens dazu,<br />

dass auf der Basis der dem Beschwerdegericht bekannten Umstände<br />

derzeit kein Bedarf für das Vorhaben erkennbar ist, der ein Enteignungen<br />

rechtfertigendes Gewicht aufweist. (…)<br />

Eine andere Beurteilung ist auch nicht gerechtfertigt, wenn man<br />

die Erwägungen von Antragsgegnerin und Beigeladener im Beschwerdeverfahren<br />

heranzieht, (nur) die Verlängerung der Startund<br />

Landebahn eröffne dem Standort Hamburg-Finkenwerder eine<br />

hinreichende Entwicklungsmöglichkeit. Diesen Gesichtspunkt,<br />

der in der Bedarfsbegründung der Beigeladenen mit dem Verweis<br />

auf eine Erklärung seitens des Senats der Freien und Hansestadt<br />

Hamburg angesprochen worden ist, »im Rahmen und nach Maßgabe<br />

der rechtlichen Regelungen alle Schritte zu unternehmen,<br />

damit der Beigeladenen ab 2006 eine Start- und Landebahn zur<br />

Verfügung steht, wie sie von Toulouse zur Verfügung gestellt wird«,<br />

hat der angefochtene Planfeststellungsbeschluss nicht <strong>als</strong> bedarfsbegründend<br />

aufgenommen. Er wäre <strong>als</strong> solcher allerdings genauso<br />

wenig geeignet, um eine Enteignung zu rechtfertigen, wie die vom<br />

Senat der Freien und Hansestadt Hamburg und der Beigeladenen<br />

geäußerte Befürchtung, der Standort Hamburg-Finkenwerder werde<br />

im Rahmen des Konzerns der Beigeladenen wegen seiner kürzeren<br />

Start- und Landebahn einen Konkurrenznachteil gegenüber<br />

dem Standort in Toulouse erleiden und könne zukünftig zu einem<br />

Standort »zweiter Klasse« werden, der an künftigen Innovationen<br />

nicht mehr teilhabe. Derartige Überlegungen trennen nicht hinreichend<br />

zwischen nachteiligen Wirkungen, die aus sachlichen<br />

Gründen plausibel sind, und Entwicklungen, die durch konzerninterne<br />

Vorgaben unabhängig von sachlichen Notwendigkeiten<br />

gesteuert werden können. Die Freie und Hansestadt Hamburg hat<br />

der Beigeladenen im Hinblick auf die strukturpolitische Bedeutung<br />

des Unternehmens für Arbeitsplätze und Wirtschaftsstruktur durch<br />

die Entscheidungen des hamburgischen Gesetzgebers eine Stellung<br />

eingeräumt, die über jene anderer Wirtschaftsunternehmen<br />

hinausgeht, die jedoch die Maßstäbe und Grenzen des Art. 14 Abs.<br />

3 GG nicht verändert und nicht verändern kann.<br />

c) Soweit der Planfeststellungsbeschluss <strong>als</strong> Folge der Notwendigkeit<br />

einer Bahnverlängerung um 312 Meter eine zusätzliche Verlängerung<br />

der Startbahn um weitere 277 Meter zur Wiederherstellung<br />

eines Gleitwinkels von 3° für Landungen in Richtung Südwesten<br />

(Landerichtung 23) für hinreichend erforderlich hält, um auch<br />

dafür Grundflächen der Antragsteller zu enteignen, lassen die vorangehenden<br />

Ausführungen auch die Rechtfertigung für die durch<br />

die Veränderung des Gleitwinkels bedingte Verlängerung entfallen.<br />

Denn diese Veränderung wird im Planfeststellungsbeschluss ausschließlich<br />

damit gerechtfertigt, dass der durch die Ausgangsverlängerung<br />

bedingte Wegfall des Neuenfelder Hauptdeiches <strong>als</strong> Luftfahrthindernis<br />

zugleich diese Folgewirkungen auslöse.<br />

Zusätzlich bestehen allerdings einerseits ernstliche rechtliche Bedenken<br />

dagegen, dass die Antragsgegnerin eine solche Folgewirkung<br />

<strong>als</strong> gesichert angenommen hat (aa), und würde andererseits<br />

die Widerlegung dieser Bedenken zugleich bedeuten, dass die Risiken<br />

einer Vollziehung des Planfeststellungsbeschlusses vor seiner<br />

abschließenden Überprüfung im Klageverfahren der Hauptsache<br />

zu Lasten der enteignungsbetroffenen Antragsteller erheblich gesteigert<br />

würden (bb). Beide Gesichtspunkte würden für sich genommen<br />

ebenfalls bereits die Anordnung der aufschiebenden Wirkung<br />

gegen den gesamten Planfeststellungsbeschluss rechtfertigen.<br />

aa) Auch bezüglich der Verlängerung um weitere 277 Meter gelten<br />

die zuvor dargestellten rechtlichen Rahmenbedingungen und<br />

fehlt es bereits an einer vollständigen Ermittlung des für eine<br />

rechtsfehlerfreie Abwägung erforderlichen Abwägungsmateri<strong>als</strong>.<br />

Denn die Antragsgegnerin hat es versäumt, hinreichend der Frage<br />

nachzugehen, ob der Wegfall des Luftfahrthindernisses »Neuenfelder<br />

Hauptdeich« am Ende der bisherigen Start- und Landebahn<br />

tatsächlich notwendig dazu führt, dass eine Rückführung des mit<br />

dem Planfeststellungsbeschluss vom 8.5.2000 auf 3,5° erhöhten<br />

Gleitwinkels erforderlich ist. (…)<br />

bb) Sollte allerdings ernstlich in Betracht kommen, dass entgegen<br />

den vorstehenden Ausführungen allein die tatsächliche Entfernung<br />

des Luftfahrthindernisses »Neuenfelder Hauptdeich« aus<br />

Anlass der Vollziehung des angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses<br />

zur Verlängerung der Start- und Landebahn dem zur Zeit<br />

im Ausnahmewege zugelassenen Gleitwinkel von 3,5° die Grundlage<br />

endgültig entzieht, würde auch dies bereits für sich die Anordnung<br />

der aufschiebenden Wirkung der Klage rechtfertigen.<br />

Dann würde nämlich die von der Beigeladenen bei Erfolg ihrer Beschwerde<br />

<strong>als</strong>bald beabsichtigte Entfernung dieses Deichabschnitts<br />

die Grundlage dafür entfallen lassen, die im Planfeststellungsbeschluss<br />

vom 8.5.2000 in Richtung Nordosten zugelassenen Verlängerungsstrecke<br />

für Landungen in Richtung Südwesten (Landerichtung<br />

23) zu nutzen, die nur bei einem Landegleitwinkel von<br />

3,5° genutzt werden kann. Dies hätte zur Folge, dass ohne die hier<br />

streitige Verlängerung die verbleibende Bahnlänge auch für die<br />

Passagierversion des A 380 nicht mehr ausreichen würde und sich<br />

deswegen ein Bedarf für eine Verlängerung um 277 Meter in Richtung<br />

Südwesten ergeben würde, um auch nur die Ziele der Planfeststellung<br />

vom 8.5.2000 nicht zu gefährden. Die Deckung dieses<br />

Bedarfs, der gegenüber dem hier zu beurteilenden Bedarf für die<br />

Frachtversion deutlich gewichtiger wäre, würde in gleicher Weise<br />

Enteignungen auf Antragstellerseite im Bereich des ersten Teils der<br />

Verlängerungsstrecke erforderlich machen.<br />

ZUR 1/2005 | 43


RECHTSPRECHUNG | OVG Hamburg, Airbus-Erweiterung<br />

Auf diese Weise hätte dann gerade der Vollzug des angefochtenen<br />

Planfeststellungsbeschlusses einen selbstständigen Bedarf für<br />

den Fall geschaffen, dass er selbst im Klageverfahren keinen Bestand<br />

haben sollte. Unter solchen Umständen hätte der Antrag auf<br />

Anordnung der aufschiebenden Wirkung nur abgelehnt werden<br />

können, wenn die Klage im Verfahren der Hauptsache mit sehr hoher<br />

Wahrscheinlichkeit erfolglos bleiben müsste. Davon kann<br />

nach den vorstehenden Ausführungen jedoch gerade nicht die Rede<br />

sein.<br />

d) Selbst wenn man diese mögliche Gefahr der Entstehung eines<br />

selbstständigen Enteignungsbedarfs <strong>als</strong> Folge des Sofortvollzugs<br />

außer Acht lässt, würde eine Abwägung zwischen den Interessen<br />

der Beigeladenen und der Antragsgegnerin an der sofortigen Vollziehung<br />

des Planfeststellungsbeschlusses einerseits und den Interessen<br />

der enteignungsbetroffenen Antragsteller andererseits es<br />

nicht rechtfertigen können, trotz der dargestellten Erfolgsaussichten<br />

der Klagen den Interessen der Beigeladenen und der Antragsgegnerin<br />

den Vorrang einzuräumen. Die Vollziehung würde weitgehend<br />

vollendete Tatsachen schaffen, die nur schwer wieder rückgängig<br />

zu machen wären. Sie würde darüber hinaus für den<br />

Antragsteller zu 2) im Ergebnis die Vollzugsfolgen des von ihm<br />

noch angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses vom 8.5.2000<br />

von einer Lärmbetroffenheit bis zum – jedenfalls zeitweiligen –<br />

Verlust und zur völligen Veränderung seines Wohngrundstücks<br />

steigern.<br />

2. Die Beschwerden der Antragsgegnerin und der Beigeladenen<br />

haben Erfolg, soweit das Verwaltungsgericht die aufschiebende<br />

Wirkung der Klagen der Antragsteller zu 5), 6), 9), 11) bis 20) und<br />

24) bis 35) angeordnet hat.<br />

Die Antragsgegnerin und die Beigeladene machen mit ihren Beschwerden<br />

zu Recht geltend, dass diese Klagen voraussichtlich erfolglos<br />

bleiben werden, weil diese Antragsteller nicht berechtigt<br />

seien, eine enteignungsrechtliche Vorwirkung geltend zu machen<br />

und andere subjektive Rechte nicht verletzt seien.<br />

a) Die Antragsteller zu 5), 6), 9), 11) bis 20) und 24) bis 35) leiten<br />

ihre Betroffenheit durch den Planfeststellungsbeschluss vornehmlich<br />

aus ihrer Stellung <strong>als</strong> (Mit-)Eigentümer des 100 m_<br />

großen Flurstücks 2999 her, das für das genehmigte Vorhaben in<br />

Anspruch genommen werden und ggf. enteignet werden muss,<br />

wenn das Vorhaben verwirklicht wird. Gegen Klage und Antrag<br />

greift insoweit der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung<br />

durch. (…)<br />

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der<br />

das Beschwerdegericht folgt, ist es zwar für die Klagebefugnis<br />

grundsätzlich unerheblich, aus welchen Gründen ein Eigentümer<br />

das Eigentum erworben hat und gehört es zu den von der Rechtsordnung<br />

gebilligten Zielen, ein Grundstück für Zwecke des Naturschutzes<br />

und der Landschaftspflege zu erhalten und gegen konkurrierende<br />

Nutzungsansprüche zu verteidigen. Eine andere rechtliche<br />

Beurteilung ist danach aber dann geboten, wenn die geltend<br />

gemachte Rechtsposition nicht schutzwürdig und rechtsmissbräuchlich<br />

begründet worden ist, etwa wenn das Eigentum nicht<br />

erworben worden ist, um die mit ihm verbundenen Gebrauchsmöglichkeiten<br />

zu nutzen, sondern nur <strong>als</strong> Mittel dafür dient, die<br />

formalen Voraussetzungen für eine Prozessführung zu schaffen, die<br />

nach der Rechtsprechung dem Eigentümer vorbehalten ist. So liegt<br />

es hier.<br />

Der Eigentumserwerb dieser Antragsteller ist bereits in seinem<br />

Ansatz zeitparallel mit den gegen den Planfeststellungsbeschluss<br />

vom 8.5.2000 eingelegten Rechtsmitteln erfolgt, um im dortigen<br />

wie nunmehr im vorliegenden Rechtsstreit eine Verletzung eigener<br />

Rechte geltend machen zu können. (…)<br />

b) Soweit ein Teil dieser Antragsteller, die Antragsteller zu 6) und<br />

11) bis 14), auch in einem näheren Umkreis um den Verlängerungsbereich<br />

der Start- und Landebahn wohnt und ergänzend geltend<br />

macht, in unzumutbarer Weise zusätzlichen Immissionen<br />

durch Lärm und Abgase ausgesetzt zu sein, ist eine Verletzung subjektiv-öffentlicher<br />

Rechte nicht ersichtlich und wird die erhobene<br />

Anfechtungsklage dieser Antragsteller auch insoweit keinen Erfolg<br />

haben. Gegenstand der Beurteilung ist insoweit, ob diesen Antragstellern<br />

durch den Planfeststellungsbeschluss vom 29.4.2004<br />

zusätzliche Belastungen mit der Folge einer Verletzung ihrer subjektiv-öffentlichen<br />

Rechte zugemutet werden. Solches haben die<br />

Antragsteller im vorliegenden Verfahren nicht dargelegt und ist<br />

auch im Übrigen gegenwärtig nicht erkennbar. Denn durch die<br />

weitere Verlängerung der Start- und Landebahn in Richtung Südwesten<br />

wäre eine zusätzliche Lärmbelastung von Gewicht schon<br />

nach der Struktur der genehmigten Maßnahme nicht zu erwarten.<br />

(…)<br />

44 | ZUR 1/2005


RECHTSPRECHUNG IN LEITSÄTZEN<br />

RECHTSPRECHUNG IN LEITSÄTZEN<br />

Anwendung der FFH-RL auf Projekte in<br />

Vogelschutzgebieten<br />

BVerwG, Urteil vom 1. April 2004 – 4 C 2.03<br />

1. Ein Verstoß gegen die Vogelschutz-Richtlinie (79/409/<br />

EWG) kann in einem ergänzenden Verfahren nach § 17 Abs.<br />

6 c FStrG behoben werden, indem die Voraussetzungen für<br />

den Wechsel in das Schutzregime der Fauna-Flora-Habitat-<br />

Richtlinie (92/43/EWG) geschaffen und die Schutz- und<br />

Ausnahmebestimmungen des Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL<br />

bzw. des § 34 BNatSchG 2002 nachträglich angewandt<br />

werden.<br />

2. Der Übergang in das Schutzregime der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie<br />

setzt nach Art. 7 FFH-RL eine endgültige<br />

rechtsverbindliche und außenwirksame Erklärung eines<br />

Gebiets zum besonderen Schutzgebiet (Vogelschutzgebiet)<br />

voraus. Die Meldung eines Gebiets an die Europäische<br />

Kommission und die einstweilige naturschutzrechtliche<br />

Sicherstellung eines Gebiets lösen den Regimewechsel<br />

(noch) nicht aus.<br />

3. Ein Straßenbauvorhaben in einem »faktischen« (nichterklärten)<br />

Vogelschutzgebiet ist nach Art. 4 Abs. 4 Satz 1 der<br />

Vogelschutz-Richtlinie grundsätzlich unzulässig, wenn es<br />

durch die Verkleinerung des Gebiets zum Verlust mehrerer<br />

Brut- und Nahrungsreviere führen würde, die einem Hauptvorkommen<br />

einer der Vogelarten in Anhang I der Richtlinie<br />

dienen.<br />

Vorinstanz: I. OVG Koblenz vom 9.1.2003 – 1 C 10187/01 –<br />

Drittschutz gegen private Schwimmhalle<br />

im Wohngebiet<br />

BVerwG, Urteil vom 28. April 2004 – 4 C 10.03<br />

1. Die Festsetzung eines Kleinsiedlungsgebiets ist funktionslos<br />

geworden, wenn im betroffenen Gebiet auf absehbare Zeit<br />

nicht mehr mit einer Rückkehr zur Selbstversorgung mit<br />

Nahrungsmitteln, die auf dem Grundstück gewonnen<br />

werden, zu rechnen ist und sich die Bewohner erkennbar<br />

auf diesen Zustand eingestellt haben.<br />

2. Eine bauliche Anlage, die zwar der sportlichen Betätigung<br />

dienen soll, aber nur zur Benutzung durch die Bewohner<br />

des auf demselben Grundstück befindlichen Wohnhauses<br />

und deren persönliche Gäste bestimmt und beschränkt ist,<br />

fällt nicht in den Anwendungsbereich von § 3 Abs. 3 Nr. 2<br />

BauNVO.<br />

3. Eine private Schwimmhalle in einem Wohngebiet ist <strong>als</strong><br />

Nebenanlage anzusehen. Sie ist nicht zulässig, wenn sie das<br />

Merkmal der funktionellen und räumlich-gegenständlichen<br />

Unterordnung nicht erfüllt. Dem Nachbarn steht insoweit<br />

ein subjektives Abwehrrecht zu.<br />

Vorinstanzen: I. VG Hamburg vom 29.8.2000 – 12 VG 5528/96 –<br />

II. OVG Hamburg vom 30.7.2003 – 2 Bf 426/00 –<br />

Elektrosmog<br />

VGH Mannheim, Beschluss vom 2. März 2004 – 8 S 243/04<br />

1. Es ist mit der aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgenden Pflicht<br />

des Staates zum Schutz der menschlichen Gesundheit vereinbar,<br />

dass die Grenzwerte nach § 2 der 26. BImSchVO<br />

keinen Schutz gegen zwar nicht auszuschließende, derzeit<br />

wissenschaftlich aber nicht belegbare Gefährdungen durch<br />

sog. athermische (biologische) Wirkungen hochfrequenter<br />

elektromagnetischer Felder bieten (wie BVerfG, Kammerbeschl.<br />

vom 28.2.2002 – 2 BvR 1676/01, NJW 2002, 1638<br />

m.w.N.).<br />

2. Die Staatszielbestimmung des Art. 20a GG vermag die<br />

Schutzpflicht nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG schon deshalb<br />

nicht zu einer Vorsorgepflicht gegen solche hypothetischen<br />

Gefahren elektromagnetischer Felder zu »verdichten«, weil<br />

diese nicht über eine Schädigung der natürlichen Lebensgrundlagen<br />

– etwa eine Verseuchung von Luft oder Boden<br />

–, sondern unmittelbar auf den Menschen einwirken.<br />

3. Zu den Anforderungen an die Darlegung neuer wissenschaftlicher<br />

Erkenntnisse zur Gefährlichkeit elektromagnetischer<br />

Felder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes<br />

(im Anschluss an BVerfG, a.a.O.).<br />

Vorinstanz: VG Stuttgart 11 K 3634/03 –<br />

Verantwortlichkeit für Grenzbaum<br />

BGH, Urteil vom 2. Juli 2004 – V ZR 33/04<br />

a. Ein Baum ist ein Grenzbaum im Sinne von § 923 BGB, wenn<br />

sein Stamm dort, wo er aus dem Boden heraustritt, von der<br />

Grundstücksgrenze durchschnitten wird.<br />

b. Jedem Grundstückseigentümer gehört der Teil des Grenzbaumes,<br />

der sich auf seinem Grundstück befindet (vertikal<br />

geteiltes Eigentum).<br />

c. Jeder Grundstückseigentum ist für den ihm gehörenden Teil<br />

eines Grenzbaumes in demselben Umfang verkehrssicherungspflichtig<br />

wie für einen vollständig auf seinem<br />

Grundstück stehenden Baum.<br />

d. Verletzt jeder Eigentümer die ihm hinsichtlich des ihm<br />

gehörenden Teils eines Grenzbaumes obliegende Verkehrssicherungspflicht,<br />

ist für den ihnen daraus entstandenen<br />

Schaden eine Haftungsverteilung nach § 254 BGB vorzunehmen.<br />

Vorinstanzen: OLG Düsseldorf, LG Krefeld<br />

ZUR 1/2005 | 45


GESETZGEBUNG | Falke, Neueste Entwicklungen im Europäischen <strong>Umweltrecht</strong><br />

Josef Falke<br />

GESETZGEBUNG<br />

Neueste Entwicklungen im Europäischen <strong>Umweltrecht</strong><br />

A. Informationen über industrielle<br />

Verschmutzungen<br />

<strong>Das</strong> Aarhus-Übereinkommen über den Zugang<br />

zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung<br />

an Entscheidungsverfahren<br />

und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten<br />

enthält in Art. 5 Abs. 9 eine<br />

Verpflichtung zur Einrichtung einheitlicher<br />

Schadstoffverzeichnisse oder -register<br />

in Form strukturierter, computergestützter<br />

und öffentlich zugänglicher Datenbanken,<br />

die anhand standardisierter Berichte erstellt<br />

werden. Die Kommission hat am 17.7.2000<br />

gemäß Art. 15 der Richtlinie 96/61/EG des<br />

Rates über die integrierte Vermeidung und<br />

Verminderung der Umweltverschmutzung<br />

(IPPC) 1 die Entscheidung 2000/479/EG<br />

über den Aufbau eines Europäischen Schadstoffemissionsregisters<br />

(EPER – European<br />

Pollutant Emission Register) 2 getroffen. <strong>Das</strong><br />

Verzeichnis funktioniert seit dem<br />

23.2.2004 3 ; in den ersten drei Monaten<br />

wurden etwa 100.000 Abfragen registriert. 4<br />

Am 21.5.2003 hat die EG das UN-ECE-Protokoll<br />

über Register zur Erfassung der Freisetzung<br />

und Übertragung von Schadstoffen<br />

unterzeichnet. Die vorangegangenen Verhandlungen<br />

hatten sich an den Grundzügen<br />

des EPER <strong>als</strong> Modell orientiert. Damit<br />

die EG das Protokoll ratifizieren und umsetzen<br />

kann 5 , hat die Kommission eine auf<br />

Art. 175 EG gestützte Verordnung des Europäischen<br />

Parlaments und des Rates vorgeschlagen,<br />

um das EPER zu erweitern und<br />

ein europäisches Schadstofffreisetzungsund<br />

Verbringungsregister (PRTR – Pollutant<br />

Release and Transfer Register) einzurichten.<br />

6 <strong>Das</strong> PRTR soll mehr Daten umfassen<br />

und bessere Informationen liefern. <strong>Das</strong> erweiterte<br />

Register soll im Jahr 2009 im Internet<br />

eingerichtet werden und das EPER<br />

ersetzen. Dessen Grundmuster bleibt erhalten;<br />

das PRTR wird <strong>als</strong>o ebenfalls nach Ländern<br />

geordnete Angaben über die Höhe der<br />

Verschmutzung durch bestimmte Schadstoffe,<br />

die Qualität der örtlichen Umwelt<br />

sowie die auf bestimmte Industrieanlagen<br />

und -tätigkeiten zurückzuführenden Emissionen<br />

enthalten und für jede interessierte<br />

Person ohne Nachweis eines besonderen<br />

Interesses auf elektronischem Wege über<br />

das Internet zugänglich sein. Die Anzahl<br />

der erfassten Stoffe soll von 50 auf 90 ausgeweitet<br />

werden, die Anzahl der Industrietätigkeiten<br />

von 56 auf 65. <strong>Das</strong> erweiterte<br />

Register soll auch Angaben über die Freisetzung<br />

in Böden, die Freisetzung aus diffusen<br />

Quellen wie Straßenverkehr, Luftfahrt,<br />

Schifffahrt und Landwirtschaft und darüber<br />

enthalten, was die erfassten Industriebetriebe<br />

mit ihrem Abfall und Abwasser<br />

machen. Statt im Abstand von drei Jahren<br />

soll die Berichterstattung jährlich erfolgen.<br />

Die Bürger sollen Gelegenheit erhalten, ihre<br />

Wünsche bezüglich der Weiterentwicklung<br />

des PRTR zu äußern. Obwohl nicht die<br />

Verschmutzung selbst, sondern nur der<br />

Umgang mit den einschlägigen Informationen<br />

geregelt wird, geht die Kommission<br />

davon aus, dass das erweiterte Register zu<br />

einer signifikanten Verringerung der Verschmutzungswerte<br />

führen wird. Die integrierte,<br />

einheitliche Datenbank des Europäischen<br />

PRTR werde Entscheidungsträgern,<br />

Wissenschaftlern, Industrie und<br />

anderen Organisationen eine solide Grundlage<br />

für künftige Entscheidungen bieten<br />

und den öffentlichen Druck zur Verringerung<br />

von Verschmutzungen verstärken.<br />

B. Handbuch zur umweltverträglichen<br />

öffentlichen Beschaffung<br />

Die Europäische Kommission hat im August<br />

2004 ein Handbuch für ein umweltorientiertes<br />

öffentliches Beschaffungswesen 7<br />

vorgelegt, in dem sie darlegt, wie öffentliche<br />

Einrichtungen sowie nationale und lokale<br />

Verwaltungen bei der Beschaffung von<br />

Gütern, Dienst- und Bauleistungen Umweltbelangen<br />

Rechnung tragen können. 8<br />

Die öffentliche Hand wendet jährlich etwa<br />

16 % des gemeinschaftlichen Bruttoinlandsprodukts,<br />

d. h. rund 1,5 Billionen Euro, für<br />

öffentliche Beschaffungen auf. Eine umweltorientierte<br />

Ausrichtung der öffentlichen<br />

Beschaffungen kann die Nachfrage<br />

nach umweltfreundlichen Waren steigern,<br />

die umweltbewusste Produktion fördern<br />

und umweltfreundlichen Technologien<br />

helfen, den Markt zu erobern. Ferner würden<br />

die effiziente Verwendung von Energie<br />

und Ressourcen und die Abfallvermeidung<br />

gefördert. <strong>Das</strong> Handbuch enthält Beispiele<br />

für bewährte Methoden und Ratschläge für<br />

alle Etappen des Beschaffungsverfahrens.<br />

Die am 31.3.2004 verabschiedeten neuen<br />

Richtlinien für die öffentliche Beschaffung 9<br />

eröffnen verschiedene Möglichkeiten, Umweltbelange<br />

bei der öffentlichen Beschaffung<br />

zu berücksichtigen. Eine aktuelle Studie<br />

über die Beschaffungspraktiken in den<br />

Mitgliedstaaten der EU-15 10 zeigt allerdings,<br />

dass nur 19 % aller öffentlichen Stellen<br />

in nennenswertem Umfang eine umweltorientierte<br />

Beschaffung betreiben, indem<br />

sie bei mehr <strong>als</strong> der Hälfte ihrer<br />

Beschaffungen Umweltkriterien anwenden.<br />

Haupthindernisse sind das mangelnde<br />

Wissen darüber, wie die richtigen Umweltkriterien<br />

in den Ausschreibungsunterlagen<br />

festzulegen sind, Haushaltsengpässe wegen<br />

der vielfach auf den ersten Blick höheren<br />

Preise umweltfreundlicher Produkte und<br />

Dienstleistungen sowie Rechtsunsicherheit.<br />

<strong>Das</strong> Handbuch soll dazu beitragen,<br />

diese Hindernisse zu überwinden. Es enthält<br />

u. a. den Hinweis, dass die Lebenszykluskosten<br />

der beschafften Produkte,<br />

1 ABl. L 257 v. 10.10.1996, 26-40.<br />

2 ABl. L 192 v. 28.7.2000, 36-43.<br />

3 ABl. C 55 v. 3.3.2004, 6.<br />

4 Die EPER-Website sowie Hintergrundinformationen<br />

finden sich unter http://www.eper.cec.<br />

eu.int.<br />

5 Vgl. Vorschlag für einen Beschluss des Rates zum<br />

Abschluss des UN-ECE-Protokolls über Register<br />

zur Erfassung der Freisetzung und Übertragung<br />

von Schadstoffen im Namen der Europäischen<br />

Gemeinschaft, KOM (2004) 635 endg. v.<br />

6.10.2004.<br />

6 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen<br />

Parlaments und des Rates über die Schaffung<br />

eines Europäischen Registers zur Erfassung<br />

der Freisetzung und Übertragung von Schadstoffen<br />

und zur Änderung der Richtlinien<br />

91/689/EWG und 96/61/EG des Rates, KOM<br />

(2004) 634 endg. v. 7.10.2004.<br />

7 Commission Staff Working Document, Buying<br />

green! A handbook on environmental public<br />

procurement, SEC(2004) 1050, 18.8.2004. <strong>Das</strong><br />

Handbuch und weitere Informationen zur umweltfreundlichen<br />

öffentlichen Beschaffung können<br />

unter der folgenden Internet-Adresse abgerufen<br />

werden: .<br />

8 Zur Berücksichtigung von Umweltbelangen bei<br />

der öffentlichen Auftragsvergabe unter Geltung<br />

der alten Vergaberichtlinien vgl. Interpretierende<br />

Mitteilung der Kommission über das auf das<br />

Öffentliche Auftragswesen anwendbare Gemeinschaftsrecht<br />

und die Möglichkeiten zur<br />

Berücksichtigung von Umweltbelangen bei der<br />

Vergabe öffentlicher Aufträge, KOM (2001) 274<br />

endg. v. 4.7.2001.<br />

9 Richtlinie 2004/17/EG des Europäischen Parlaments<br />

und des Rates v. 31.3.2004 zur Koordinierung<br />

der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber<br />

im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung<br />

sowie der Postdienste, ABl. L<br />

134 v. 30.4.2004, 1-113; Richtlinie 2004/18/EG<br />

des Europäischen Parlaments und des Rates v.<br />

31.3.2004 über die Koordinierung der Verfahren<br />

zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge<br />

und Dienstleistungsaufträge, ABl. L 134 v.<br />

30.4.2004, 114-240.<br />

10 ICLEI European Secretariat, Eco-Procurement<br />

Programme, Study contract to survey the state of<br />

play of green public procurement in the European<br />

Union. Final Report, Freiburg, July 2003.<br />

46 | ZUR 1/2005


Falke, Neueste Entwicklungen im Europäischen <strong>Umweltrecht</strong> | GESETZGEBUNG<br />

Dienst- und Bauleistungen berücksichtigt<br />

werden müssen, und verweist auf eine Online-Datenbank,<br />

in der Umweltinformationen<br />

zu etwa 100 Produkten und Dienstleistungen<br />

zu finden sind. 11<br />

Die Richtlinien bieten folgende Möglichkeiten<br />

zur Berücksichtigung von Umweltaspekten:<br />

– In den technischen Spezifikationen zur<br />

Umschreibung der Anforderungen an<br />

Bauleistungen, Waren oder Dienstleistungen<br />

können die Leistungs- und<br />

Funktionsanforderungen Umwelteigenschaften<br />

umfassen. Dabei können die öffentlichen<br />

Auftraggeber die detaillierten<br />

Spezifikationen oder gegebenenfalls Teile<br />

davon verwenden, die in europäischen,<br />

(pluri-)nationalen oder anderen<br />

Umweltgütezeichen definiert sind,<br />

wenn folgende Voraussetzungen 12 erfüllt<br />

sind: Sie müssen sich zur Definition der<br />

Merkmale der Waren oder Dienstleistungen<br />

eignen. Die Anforderungen an<br />

das Gütezeichen werden auf der Grundlage<br />

von wissenschaftlich abgesicherten<br />

Informationen ausgearbeitet. Die Umweltgütezeichen<br />

werden im Rahmen eines<br />

Verfahrens ausgearbeitet, an dem interessierte<br />

Kreise – wie z. B. staatliche<br />

Stellen, Verbraucher, Hersteller, Händler<br />

und Umweltorganisationen – teilnehmen<br />

können. Die Gütezeichen sind für<br />

alle Beteiligten zugänglich und verfügbar.<br />

Dabei kann angegeben werden, dass<br />

bei Waren oder Dienstleistungen, die<br />

mit einem Umweltgütezeichen ausgestattet<br />

sind, vermutet wird, dass sie den<br />

in den Verdingungsordnungen festgelegten<br />

technischen Spezifikationen<br />

genügen. 13 Die Anforderungen sind so<br />

genau zu fassen, dass sie den Bietern ein<br />

klares Bild vom Auftragsgegenstand vermitteln<br />

und dem öffentlichen Auftraggeber<br />

die Erteilung des Zuschlags ermöglichen.<br />

– Technische Spezifikationen können sich<br />

auch auf Umweltleistungsstufen sowie<br />

Produktionsprozesse und -methoden beziehen.<br />

14<br />

– Lassen die öffentlichen Auftraggeber Varianten<br />

zu, so haben sie in den<br />

Verdingungsunterlagen die Mindestanforderungen<br />

zu nennen, die die Varianten<br />

erfüllen müssen. Sie dürfen nur solche<br />

Varianten berücksichtigen, die diese<br />

Mindestanforderungen erfüllen. 15 Solche<br />

Mindestanforderungen können präzise<br />

Umweltaspekte enthalten.<br />

– Die öffentlichen Auftraggeber können zusätzliche<br />

Bedingungen für die Ausführung<br />

des Auftrags vorschreiben, sofern<br />

diese mit dem Gemeinschaftsrecht<br />

vereinbar sind und in der Bekanntmachung<br />

oder in den Verdingungsunterlagen<br />

angegeben werden. Solche Bedingungen<br />

können insbesondere soziale und<br />

umweltbezogene Aspekte betreffen. 16<br />

– Die Mitgliedstaaten können öffentliche<br />

Auftraggeber verpflichten, in den<br />

Verdingungsunterlagen die Stellen anzugeben,<br />

bei denen die Bewerber oder<br />

Bieter die erforderlichen Auskünfte über<br />

ihre Verpflichtungen im Zusammenhang<br />

u. a. mit dem Umweltschutz erlangen<br />

können. 17<br />

– Bei öffentlichen Bau- und Dienstleistungsaufträgen<br />

kann der Auftraggeber<br />

verlangen, die technische Leistungsfähigkeit<br />

u. a. durch Angabe der Umweltmanagementmaßnahmen<br />

nachzuweisen,<br />

die ein Bieter bei der Ausführung<br />

des Auftrages gegebenenfalls anwenden<br />

will. 18 Dabei haben sie auf das Gemeinschaftssystem<br />

für das Umweltmanagement<br />

und das Umweltbetriebssystem<br />

(EMAS) 19 oder auf Normen für das Umweltmanagement<br />

Bezug zu nehmen, die<br />

auf den einschlägigen europäischen<br />

oder internationalen Normen beruhen<br />

und von entsprechenden Stellen zertifiziert<br />

worden sind, die dem Gemeinschaftsrecht<br />

oder einschlägigen europäischen<br />

oder internationalen Zertifizierungsnormen<br />

entsprechen. Auch andere<br />

Nachweise für gleichwertige Umweltmanagement-Maßnahmen<br />

sind anzuerkennen.<br />

20<br />

– Von der Teilnahme am Vergabeverfahren<br />

können Wirtschaftsteilnehmer ausgeschlossen<br />

werden, die aufgrund eines<br />

nach den Rechtsvorschriften des betreffenden<br />

Landes rechtskräftigen Urteils<br />

wegen eines Delikts bestraft worden<br />

sind, das ihre berufliche Zuverlässigkeit<br />

in Frage stellt, oder die im Rahmen ihrer<br />

beruflichen Tätigkeit eine schwere<br />

Verfehlung begangen haben, die vom öffentlichen<br />

Auftraggeber nachweislich<br />

festgestellt wurde. 21 Ein Ausschluss ist <strong>als</strong>o<br />

möglich bei einer rechtskräftigen Verurteilung<br />

wegen Verstoßes gegen Umweltvorschriften<br />

oder bei der Feststellung<br />

schwerer beruflicher Verfehlungen<br />

in Bezug auf Umweltaspekte.<br />

– Die Bieter können aufgefordert werden,<br />

in geeigneter Form ihre technische<br />

und/oder berufliche Leistungsfähigkeit<br />

nachzuweisen. 22 Dazu gehört bei Waren<br />

oder Dienstleistungen mit voraussetzungsvollen<br />

umwelttechnischen Anforderungen<br />

die Angabe der technischen<br />

Fachkräfte bzw. der eingeschalteten<br />

technischen Prüfstellen.<br />

– Wenn der Zuschlag nicht nach dem Kriterium<br />

des niedrigsten Preises, sondern<br />

nach dem Kriterium des wirtschaftlich<br />

günstigsten Angebotes erfolgt, gehören zu<br />

den mit dem Auftragsgegenstand zusammenhängenden<br />

berücksichtigungsfähigen<br />

Kriterien auch Umwelteigenschaften,<br />

Betriebskosten und Rentabilität. 23 Mit der<br />

nur beispielhaften und nicht abschließenden<br />

Nennung solcher Kriterien<br />

wird die Möglichkeit eröffnet, das Kriterium<br />

der Wiederverwendbarkeit und die gesamten<br />

Lebenszykluskosten der beschafften<br />

Produkte, Dienst- und Bauleistungen<br />

zu berücksichtigen, <strong>als</strong>o auch Ersparnisse<br />

beim Verbrauch von Wasser, Energie und<br />

sonstigen Ressourcen sowie die Abfallströme.<br />

Der Auftraggeber hat in den Verdingungsunterlagen<br />

anzugeben, wie er<br />

die einzelnen Kriterien gewichtet, um das<br />

wirtschaftlich günstigste Angebot zu ermitteln.<br />

Inwieweit nicht nur konkrete<br />

umweltrelevante Produkteigenschaften<br />

berücksichtigt werden können, sondern<br />

11 . –<br />

Im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt<br />

und des Umweltbundesamtes hat der Bundesverband<br />

für Umweltberatung eine Internet-Seite<br />

geschaffen, die<br />

Informationen zur umweltfreundlichen, nachhaltigen<br />

Beschaffung bündelt.<br />

12 Die in den Richtlinien formulierten Voraussetzungen<br />

greifen sehr präzise die Kriterien auf, die<br />

der EuGH in zwei Urteilen zur Berücksichtigung<br />

von Umweltbelangen bei der öffentlichen Auftragsvergabe<br />

aufgestellt hatte. Es handelt sich<br />

um das Urteil v. 17.9.2002 in der Rs. C-513/99<br />

(Concordia Bus Finland Oy Ab) und um das Urteil<br />

v. 4.12.2003 in der Rs. C-448/01 (EVN AG,<br />

Wienstrom GmbH).<br />

13 Art. 23 Abs. 3 lit. b), Abs. 6 der Richtlinie<br />

2004/18/EG; Art. 34 Abs. 3 lit. b), Abs. 6 der<br />

Richtlinie 2004/17/EG.<br />

14 Anhang VI der Richtlinie 2004/18/EG, Anhang<br />

XXI der Richtlinie 2004/17/EG.<br />

15 Art. 24 der Richtlinie 2004/18/EG; Art. 36 der<br />

Richtlinie 2004/17/EG.<br />

16 Art. 26 der Richtlinie 2004/18/EG; Art. 38 der<br />

Richtlinie 2004/17/EG.<br />

17 Art. 27 der Richtlinie 2004/18/EG; Art. 39 der<br />

Richtlinie 2004/17/EG.<br />

18 Art. 48 Abs. 2 lit. f) der Richtlinie 2004/18/EG.<br />

19 Verordnung (EG) Nr. 761/2001 des Europäischen<br />

Parlaments und des Rates v. 19.3.2001<br />

über die freiwillige Beteiligung von Organisationen<br />

an einem Gemeinschaftssystem für das Umweltmanagement<br />

und die Umweltbetriebsprüfung<br />

(EMAS), ABl. L 114 v. 24.4.2001, 1-29. –<br />

Nach Art. 11 Abs. 2 der EMAS-Verordnung ist zu<br />

prüfen, wie die Beteiligung von Organisationen<br />

an EMAS dadurch gefördert werden kann, dass<br />

der EMAS-Eintragung bei der Festlegung von Kriterien<br />

für die Beschaffungspolitik Rechnung getragen<br />

wird. – <strong>Das</strong> Bundesministerium für Arbeit<br />

und Wirtschaft und das Bundesumweltministerium<br />

haben mit Schreiben vom 30.8.2004<br />

alle Bundesbehörden aufgefordert, die Beteiligung<br />

an einem Umweltmanagementsystem bei<br />

öffentlichen Aufträgen zu berücksichtigen. Vgl.<br />

die Hinweise des Bundesministeriums für Umwelt,<br />

Naturschutz und Reaktorsicherheit v.<br />

17.8.2004 zu den rechtlichen Möglichkeiten der<br />

Berücksichtigung der Teilnahme von Organisationen<br />

am Europäischen Gemeinschaftssystem<br />

für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung<br />

(EMAS) bei der öffentlichen<br />

Vergabe.<br />

20 Art. 50 der Richtlinie 2004/18/EG; Art. 52 Abs. 3<br />

der Richtlinie 2004/17/EG.<br />

21 Art. 45 Abs. 2 Lit. c) und d) der Richtlinie<br />

2004/18/EG; Art. 53 und 54 der Richtlinie<br />

2004/17/EG.<br />

22 Vgl. Art. 48 der Richtlinie 2004/18/EG; Art. 53<br />

und 54 der Richtlinie 2004/17/EG.<br />

23 Art. 53 Abs. 1 lit. a) der Richtlinie 2004/18/EG;<br />

Art. 55 Abs. 1 lit. a) der Richtlinie 2004/17/EG.<br />

ZUR 1/2005 | 47


GESETZGEBUNG | Falke, Neueste Entwicklungen im Europäischen <strong>Umweltrecht</strong><br />

auch Umweltmanagementmaßnahmen,<br />

ist bislang durch die Rechtsprechung<br />

nicht geklärt.<br />

C. Emissionshandel<br />

Die Europäische Kommission hat im Juli<br />

und im Oktober 2004 jeweils acht nationalen<br />

Zuteilungsplänen für CO 2<br />

-Emissionszertifikate<br />

ihre Zustimmung erteilt. 24 In den nationalen<br />

Zuteilungsplänen 25 wird die Zahl<br />

der Emissionszertifikate 26 festgelegt, die die<br />

Mitgliedstaaten energieintensiven Industrieanlagen<br />

27 zuteilen wollen, damit sie ab<br />

Januar 2005 am Emissionshandel teilnehmen<br />

können. Die genehmigten Pläne betreffen<br />

insgesamt 3.865 Mio. Tonnen CO 2<br />

-<br />

Zertifikate für 7.282 Anlagen; das sind etwa<br />

55 % der erwarteten Menge von Zertifikaten.<br />

Die Bewertung der Pläne Italiens, Litauens,<br />

Maltas, Polens, Spaniens, der Tschechischen<br />

Republik, Ungarns und Zyperns<br />

war Ende Oktober 2004 noch nicht abgeschlossen,<br />

Griechenland hatte noch keinen<br />

Plan vorgelegt. Der Handel mit Emissionsrechten<br />

soll dazu beitragen, dass die Treibhausgasemissionen<br />

im Energiesektor und in<br />

der Industrie zu den geringsten Kosten für<br />

die Wirtschaft reduziert werden, und der EU<br />

und ihren Mitgliedstaaten die Einhaltung<br />

ihrer Emissionsziele im Rahmen des Kyoto-<br />

Protokolls von 1997 erleichtern. Aus den<br />

nationalen Zuteilungsplänen geht hervor,<br />

wie viele CO 2<br />

-Emissionszertifikate die<br />

Mitgliedstaaten im Handelszeitraum 2005-<br />

2007 vergeben wollen und wie viele davon<br />

die einzelnen Anlagen erhalten.<br />

Die Kommission muss die Pläne anhand<br />

von elf Zuteilungskriterien prüfen, die in<br />

der Richtlinie über den Emissionshandel 28<br />

festgelegt sind. Durch die Kriterien soll vor<br />

allem sichergestellt werden, dass die Pläne<br />

mit der Gesamtstrategie des jeweiligen Landes<br />

zur Erreichung seiner Kyoto-Ziele vereinbar<br />

sind. Andere Kriterien betreffen die<br />

Diskriminierungsfreiheit, die gemeinschaftlichen<br />

Bestimmungen für Wettbewerb<br />

und staatliche Beihilfen sowie technische<br />

Aspekte. Die Kommission verlangte<br />

Änderungen in drei Fällen von allgemeiner<br />

Bedeutung:<br />

– wenn die Menge der Zertifikate für den<br />

Handelszeitraum 2005-2007 es dem betreffenden<br />

Land unmöglich macht, seine<br />

Kyoto-Ziele im ersten Verpflichtungszeitraum<br />

einzuhalten;<br />

– wenn die Menge der Zertifikate für den<br />

Handelszeitraum 2005-2007 nicht mit<br />

den Bewertungen des Fortschritts im<br />

Hinblick auf das Kyoto-Ziel in Einklang<br />

steht, d. h. wenn die Zuteilungen über<br />

den Emissionsprojektionen liegen;<br />

– wenn ein Mitgliedstaat so genannte »Expost-Anpassungen«<br />

plant, d. h. wenn er<br />

eine Umverteilung von Zertifikaten unter<br />

den beteiligten Unternehmen im<br />

Zeitraum 2005-2007 beabsichtigt. Solche<br />

Anpassungen würden den Markt<br />

stören und Unsicherheiten für die Unternehmen<br />

schaffen.<br />

PD Dr. Josef Falke,<br />

Zentrum für Europäische Rechtspolitik an der<br />

Universität Bremen; Universitätsallee, GW 1,<br />

28359 Bremen; jfalke@zerp.uni-bremen.de.<br />

Tätigkeitsschwerpunkte: Europarecht, Welthandelsrecht,<br />

Umwelt-, Arbeits- und Verbraucherrecht,<br />

Technikrecht, Rechtssoziologie.<br />

Aktuelle Veröffentlichungen: Josef Falke,<br />

Rechtliche Aspekte der technischen Normung in<br />

der Bundesrepublik Deutschland, Luxemburg<br />

2000; Josef Falke, Harm Schepel (eds.), Legal<br />

Aspects of Standardisation in the Member States<br />

of the EC and the EFTA. Country Reports,<br />

Luxemburg 2000; Harm Schepel, Josef Falke,<br />

Legal Aspects of Standardisation in the Member<br />

States of the EC and the EFTA. Comparative<br />

Report, Luxemburg 2000; Josef Falke, Die Aarhus-Konvention<br />

und der Zugang zu Gerichten in<br />

Umweltangelegenheiten, in: Falke/Schlacke,<br />

Neue Entwicklungen im Umwelt- und Verbraucherrecht,<br />

2004, S. 99 ff.<br />

Die nachfolgende Übersicht zeigt die Menge von Zertifikaten und Anlagen<br />

pro Mitgliedstaat<br />

Mitgliedstaat CO 2<br />

-Zertifikate Anzahl der<br />

in Mio. Tonnen Anlagen<br />

Belgien 189 363<br />

Dänemark 101 362<br />

Deutschland 1.497 2.419<br />

Estland 57 43<br />

Finnland 137 535<br />

Frankreich* 371 642<br />

Irland 67 143<br />

Lettland 14 95<br />

Luxemburg 10 19<br />

Niederlande 286 333<br />

Österreich 98 205<br />

Portugal 115 239<br />

Slowakische Republik 92 209<br />

Slowenien 26 98<br />

Schweden 69 499<br />

Vereinigtes Königreich 736 1.078<br />

Insgesamt 3.865 7.282<br />

* Ohne Berücksichtigung von etwa 750 Anlagen, für die Zuteilungen vorbereitet werden.<br />

24 Mitteilung der Kommission an den Rat und an das<br />

Europäische Parlament zu den Entscheidungen der<br />

Kommission vom 7.7.2004 über die nationalen<br />

Pläne für die Zuteilung von Zertifikaten für Treibhausgasemissionen,<br />

die von Dänemark, Deutschland,<br />

Irland, den Niederlanden, Österreich, Slowenien,<br />

Schweden und dem Vereinigten Königreich<br />

gemäß der Richtlinie 2003/87/EG mitgeteilt wurden,<br />

KOM (2004) 500 endg. v. 7.7.2004; Mitteilung<br />

der Kommission an den Rat und an das Europäische<br />

Parlament betreffend Entscheidungen der<br />

Kommission vom 20.10.2004 über die nationalen<br />

Pläne zur Zuteilung von Zertifikaten für Treibhausgasemissionen<br />

von Belgien, Estland, Finnland,<br />

Frankreich, Lettland, Luxemburg, Portugal und der<br />

Slowakischen Republik gemäß der Richtlinie<br />

2003/87/EG, KOM (2004) 681 endg. v. 20.10.681<br />

endg. v. 20.10.2004.<br />

25 Zugänglich unter http://europa.eu.int/comm/<br />

environment/climat/emission_plans.htm.<br />

26 1 Zertifikat entspricht 1 Tonne CO 2<br />

.<br />

27 Verbrennungsanlagen, Erdölraffinerien, Koksöfen,<br />

Eisen- und Stahlwerke sowie Anlagen der<br />

Zement- Glas-, Kalk-, Ziegel-, Keramik-, Zellstoffund<br />

Papierindustrie.<br />

28 Anhang III der Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen<br />

Parlaments und des Rates v.<br />

13.10.2003 über ein System für den Handel mit<br />

Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft<br />

und zur Änderung der Richtlinie<br />

96/61/EG des Rates, ABl. L 275 v. 25.10.2003, 32-<br />

46. – Zur Erläuterung der Kriterien vgl. Mitteilung<br />

der Kommission über Hinweise zur Unterstützung<br />

der Mitgliedstaaten bei der Anwendung<br />

der in Anhang III der Richtlinie<br />

2003/87/EG über ein System für den Handel mit<br />

Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft<br />

und zur Änderung der Richtlinie<br />

96/61/EG des Rates aufgelisteten Kriterien sowie<br />

über die Bedingung für den Nachweis höherer<br />

Gewalt, KOM (2003) 830 endg. v. 7.1.2004.<br />

48 | ZUR 1/2005


TAGUNGSBERICHT<br />

TAGUNGSBERICHT<br />

Reduzierung der Flächeninanspruchnahme durch lokale<br />

und regionale Flächenressourcenbewirtschaftung –<br />

Rechtliche und institutionelle Handlungsbedingungen<br />

Fachtagung, 25. und 26. Oktober 2004 im UFZ-Umweltforschungszentrum Leipzig-Halle<br />

Die Neuinanspruchnahme von Flächen für Siedlungs-, Wirtschafts-<br />

und Verkehrszwecke erfolgt weiterhin auf hohem Niveau.<br />

Die von der Bundesregierung in ihrer Nachhaltigkeitsstrategie festgelegte<br />

Zielvorgabe, den Flächenverbrauch bis zum Jahre 2020 auf<br />

30 ha pro Tag zu begrenzen, erfordert eine Stärkung der Innenentwicklung<br />

sowie eine Effektivierung der Bestandsnutzung und der<br />

regionalen Koordination. Die vom Department Umwelt- und Planungsrecht<br />

des Umweltforschungszentrums Leipzig-Halle veranstaltete<br />

Fachtagung widmete sich daher den rechtlichen Rahmenbedingungen<br />

und sonstigen institutionellen Bedingungen für die<br />

Etablierung eines lokalen und regionalen Flächenressourcenmanagements.<br />

Nach einer Begrüßung der angereisten Teilnehmer durch den<br />

Leiter des Departments Umwelt- und Planungsrecht Prof. Dr. Wolfgang<br />

Köck und einem einleitenden Überblick auf die Veranstaltung<br />

sprach Freifrau von Fritsch (Leiterin des Amtes für Umweltschutz der<br />

Stadt Leipzig) ein Grußwort der Stadt Leipzig.<br />

In seinem sehr anschaulichen Beitrag konnte Klaus Einig (Bundesamt<br />

für Bauwesen und Raumordnung, Bonn) durch umfangreiches<br />

Material zu aktuellen Flächenbedarfsentwicklung und -prognosen<br />

eine hervorragende Einführung in die Materie bieten. Er<br />

wies darauf hin, dass Deutschland eines der höchsten Verstädterungsniveaus<br />

in Mitteleuropa hat, wobei es im Westen immer noch<br />

höher <strong>als</strong> im Osten ist. Mag auch die tägliche Zunahme der Siedlungs-<br />

und Verkehrsfläche seit 1997 von 129 ha konjunkturell bedingt<br />

auf etwa 105 ha abgenommen haben, so sei nicht nur der Umfang<br />

entscheidend, sondern auch die Verteilung der Flächeninanspruchnahme<br />

im Raum. Mit Bezug auf eine Studie von<br />

Siedentop/Kausch (Institut für ökologische Raumentwicklung, Dresden)<br />

konnte er zeigen, dass das Wachstum der Siedlungs- und Verkehrsfläche<br />

– wenn es nach 10 km-Entfernungszonen differenziert<br />

wird – im Zeitraum von 1996 bis 2000 von den Kernstädten ausgehend<br />

ansteigt; ein Beleg für die fortdauernde Verstädterung. Zudem<br />

müsse berücksichtigt werden, dass trotz eines dispersen Wachstums<br />

lediglich 10% der ca. 13.000 Gemeinden für 60% des Zuwachses an<br />

Siedlungs- und Verkehrsfläche verantwortlich sind. Hier sieht Einig<br />

ein großes Defizit insofern, <strong>als</strong> aktuelle Strategien auf diese Konzentration<br />

keine Rücksicht nähmen. Bisher auch ohne größere<br />

Berücksichtigung sei die qualitative Dimension der Flächeninanspruchnahme,<br />

die hauptsächlich auf Kosten der Landwirtschaft erfolge,<br />

wobei insbesondere hochwertige Böden betroffen seien. In<br />

der von der Bundesregierung verfolgten Doppelstrategie von quantitativer<br />

und qualitativer Steuerung durch eine Beschränkung des<br />

Flächenwachstums auf 30 ha täglich bis zum Jahr 2020, der verstärkten<br />

dezentralen Konzentration und einer Stärkung der Innenvor<br />

der Außentwicklung im Verhältnis 3:1 sieht Einig erste Lösungsansätze.<br />

Er verwies jedoch auf Defizite der Debatte. Diese identifizierte<br />

er im Fehlen handhabbarer Zwischenziele und im Fehlen<br />

jeglicher Kosten-Nutzen-Analysen sowohl für die Rechtfertigung<br />

des Ziels-30 ha, <strong>als</strong> auch für die Legitimierung weiteren Siedlungswachstums.<br />

Darüber hinaus bemängelte er das Fehlen eines intensiven<br />

Länderdiskurses über dieses Ziel.<br />

Martin Held (Evangelische Akademie Tutzing) ging in seinem Referat<br />

zum Flächenressourcenmanagement und Bodenbewusstsein<br />

auf Beispiele in England und der Schweiz ein. Ausgangspunkt seiner<br />

Analyse war die These, dass es in der Bevölkerung an einem Bewusstsein<br />

für Flächen und einem Gespür für deren Bedeutung fehle.<br />

Die unterschiedlichen Funktionen, die der Boden leisten könne<br />

– Lebensraum-, Regelungs-, Nutzungs- und Kulturfunktionen –<br />

werden in dieser Ausdifferenzierung nicht wahrgenommen, sondern<br />

auf die Baulandnutzung reduziert. Nur wenn es gelinge, ein<br />

Verständnis dafür bei den Akteuren zu erzielen, werde ein instrumenteller<br />

Zugang zum Flächenmanagement Erfolg haben können.<br />

<strong>Das</strong> Beispiel England/Wales zeige, dass es aufgrund eines – durch<br />

eine Zielsetzung forcierten – nationalen Konsenses durchaus zu einer<br />

rückläufigen Flächeninanspruchnahme kommen könne. Zwar<br />

ließen sich diese Erfahrungen nicht unmittelbar aus dem streng<br />

zentralistischen Planungssystem Englands 1 auf Deutschland übertragen,<br />

jedoch stelle dieser pragmatische Ansatz mit klaren Zielgrößen,<br />

einem Monitoring 2 und Kostenanreizen ein lehrreiches<br />

Beispiel dar. Als kontrastierendes weiteres Beispiel wählte Held die<br />

Schweiz, deren naturräumliche, wirtschaftliche und politische<br />

Strukturen sich deutlich von denjenigen Englands unterscheiden.<br />

Dort wurde eine marktwirtschaftliche Analyse <strong>als</strong> Einstieg in die<br />

Flächenneuinanspruchnahme gewählt, durch die ein Problembewusstsein<br />

erzeugt werden konnte. Ergebnis ist eine aktuelle Studie<br />

(2003) mit dem Titel »Siedlungsbegrenzung für eine nachhaltige<br />

Siedlungsentwicklung« 3 . Zum Abschluss seines Vortrages appellierte<br />

Held dafür, trotz aller Forderungen nach einer verstärkten Innenentwicklung,<br />

eine Vorstellung für Urbanität zu entwickeln, die<br />

auch den Erhalt von Grünflächen beinhalte. Als »Hebel« für einen<br />

Einstieg in die Reduzierung der Flächeninanspruchnahme empfahl<br />

er den Weg über die ökonomischen Instrumente wie Abschaffung<br />

der Grunderwerbssteuer und Einführung handelbarer Flächenausweisungsrechte.<br />

Am Beispiel der Stadt Leipzig zeigte Dr. Engelbert Lütke Daldrup<br />

(Beigeordneter für Stadtentwicklung und Bau der Stadt Leipzig)<br />

ausgewählte Handlungsstrategien zur Stärkung der Innenentwicklung.<br />

Für ihn ist eine sparsame Flächenpolitik gekennzeichnet<br />

durch eine Minimierung der Flächenausweisung im Außenbereich<br />

sowie einer Aufwertung von innerstädtischen Flächen und Quartieren.<br />

Mit zahlreichen Beispielen stellte er die Tätigkeiten der Stadt<br />

Leipzig vor. So wurden vier Bebauungspläne mit einer Kapazität<br />

von etwa 600 Wohneinheiten aufgehoben. Diese baurechtliche<br />

Steuerung am Stadtrand wird ergänzt durch innerstädtische Aktivitäten,<br />

wobei Leipzig über ein besonderes Potenzial an Altbauquartieren<br />

<strong>als</strong> Anziehungspunkt verfüge. Über das sog. Stadthauskonzept<br />

gelinge es, Bürger bei der Realisierung ihres Eigenheimwunsches<br />

auf bislang ungenutzte innerstädtische Flächen zu<br />

lenken, indem eine organisatorische Unterstützung durch die<br />

Kommune erfolge. 4 Mit Hilfe von Zwischennutzungsvereinbarungen<br />

wiederum könne die Stadt innerstädtische Grünflächen schaffen:<br />

Über kleinere Brachflächen und Baulücken werden Gestat-<br />

1 Vgl. www.planning.odpm.gov.uk<br />

2 Vgl. www.nlud.org.uk<br />

3 http://www.are.admin.ch/imperia/md/content/are/are2/publikationen/<br />

deutsch/168.pdf<br />

4 Vgl. www.selbstnutzer.de<br />

ZUR 1/2005 | 49


TAGUNGSBERICHT |<br />

tungsvereinbarungen geschlossen, die eine auf 8 – 10 Jahre befristete<br />

Begrünung durch die Stadt erlauben, das dem Eigentümer zustehende<br />

Baurecht aber unangetastet lassen. Für den Bereich Gewerbe<br />

wurde die Umgestaltung der ehem<strong>als</strong> größten europäischen<br />

Baumwollspinnerei vorgestellt. Die Sanierung war von einer stadteigenen<br />

GmbH übernommen worden. Heute sind die Hallen zu<br />

40% von Künstlern, Freiberuflern und Handwerkern belegt. Gerade<br />

bei den Gewerbeflächen zeige sich jedoch, dass es manchmal –<br />

auch aus immissionsschutzrechtlichen Gründen – unabdingbar<br />

ist, größere industrielle Nutzung wie BMW oder Porsche in den<br />

Außenbereich anzusiedeln.<br />

Die Bedeutung des städtebaulichen Handlungsrahmens für eine<br />

Flächenhaushaltspolitik hinterfragte Prof. Dr. Gerd Schmidt-Eichstaedt<br />

(Institut für Stadt- und Regionalplanung, TU Berlin). Ausgangsthese<br />

seiner Darstellungen war, dass Planung funktioniere,<br />

das Städtebaurecht aber nur ungern überörtlicher Planung folge<br />

und sich auf Dauer nicht gegen ökonomische Gesetzmäßigkeiten<br />

durchsetzen könne. Die Herrschaft über den Flächenverbrauch liege<br />

in der Hand der Kommunen. Schmidt-Eichstaedt untermauerte<br />

seine These damit, dass auf Bundesebene lediglich eine Festlegung<br />

von Grobstrukturen erfolgen könne und eine nationale Planung<br />

nicht rechtmäßig sei. Insofern sei auch das Ziel-30-ha der Bundesregierung<br />

ein rein politisches Ziel und eine in diese Richtung gehende<br />

bundesgesetzliche Regelung unzulässig. Auf der Ebene der<br />

Regionalplanung könne es wohl Ordnungskonzepte geben, diese<br />

hätten aber nie die für eine Flächenverbrauchsreduzierung erforderliche<br />

Wirkung. Die indes <strong>als</strong> entscheidende Ebene eingestufte<br />

städtebaurechtliche Planung verfüge über lediglich dienende und<br />

weniger lenkende Instrumente. Der Referent erwähnte in diesem<br />

Zusammenhang, dass etwa 60% der Flächeninanspruchnahme aufgrund<br />

von Bebauungsplänen erfolge, 30% etwa aufgrund von § 34<br />

BauGB bzw. Innenbereichssatzungen und lediglich 10% auf der Basis<br />

von §§ 35, 33 BauGB. Für die erstgenannte Fallgruppe gäbe es<br />

die Möglichkeit, Baurecht zurückzunehmen, wobei das Planungsschadensrecht<br />

von Schmidt-Eichstaedt <strong>als</strong> ausgewogen bewertet<br />

wurde. Ein sehr nützliches Instrument sei das gem. § 200 Abs. 3<br />

BauGB eingeführte Baulandkataster, welches seiner Ansicht nach<br />

noch viel zu wenig genutzt werde. Hier sieht er Potenziale für die<br />

Kommunen, ein Flächenkataster aufzubauen, in dem Nutzer Einzeldaten<br />

zu Baulücken abrufen können. Als ein positives Beispiel<br />

erwähnt er das Baulückenmanagement in Berlin. 5 Er schloss seinen<br />

Vortrag mit einem Plädoyer, sowohl das Wissen über den Flächenbedarf<br />

<strong>als</strong> auch über die Flächeninanspruchnahme zu vertiefen,<br />

um die städtebaulichen Instrumente daran ausrichten zu können.<br />

Dr. Ernst-Hasso Ritter (Staatssekretär a. D., Vizepräsident der Akademie<br />

für Raumforschung und Landesplanung, Hannover) referierte<br />

zu den Reduktionszielen einer Flächeninanspruchnahme in<br />

der Landes- und Regionalplanung. Er betrachtete die Problematik<br />

»von außen kommend« und stellte den Freiraumschutz in den<br />

Mittelpunkt seines Vortrages. In formellen Plänen könne dieser erreicht<br />

werden durch Freiraum schützende textliche Ziele der<br />

Raumordnung. Diese Ziele könnten ein hohes instrumentelles Gewicht<br />

haben, wenn sie Kennwerte <strong>als</strong> Orientierungswerte enthalten.<br />

Die Bedeutung von zeichnerischen Darstellungen wiederum<br />

liege darin, dass sie Konfliktlinien deutlich machten. Resümierend<br />

bewertete er die Instrumente der Landes- und Regionalplanung <strong>als</strong><br />

durchaus hilfreich, sofern sie konsequent angewendet und in notwendiger<br />

Härte durchgesetzt werden. In neuen Instrumenten wie<br />

den handelbaren Flächenausweisungsrechten sieht er eine Erfolg<br />

versprechende Ergänzung, die es auszuprobieren gelte. Der<br />

Schwachpunkt der überörtlichen Planung – ihren Charakter einer<br />

Angebotsplanung – müsse durch die Einführung informeller Instrumente<br />

überwunden werden.<br />

Hier setzte dann auch das Referat von Thomas Gawron (UFZ-Umweltforschungszentrum<br />

Leipzig-Halle GmbH, Department Umwelt-<br />

und Planungsrecht) an, in dem er sich mit Erscheinungsformen<br />

und Wirkungen regionaler Kooperationen beschäftigte; allerdings<br />

mit einem ernüchternden Fazit. Regionalplanung leide<br />

allgemein an einer Durchsetzungsschwäche, die sich auf drei Ursachen<br />

zurückführen ließe. Neben der grundsätzlich schwach institutionalisierten<br />

regionalen Ebene in der föderalen Struktur, verfüge<br />

die Regionalplanung nur über zwei Aufgaben (Erstellung der<br />

Regionalpläne und Anhörungsrechte <strong>als</strong> Träger öffentlicher Belange)<br />

und dabei müsse sie noch mit den Unsicherheiten kämpfen, die<br />

die Zielformulierung kennzeichneten. In dieser Rolle treffe die Regionalplanung<br />

auf die Kommunen, die wiederum »ihren wohlverstandenen<br />

Eigensinn« verfolgten. In einer solchen Situation informelle<br />

regionale Kooperationen mit der Zielsetzung einer Reduzierung<br />

des Flächenverbrauchs zu initiieren, sei regelrecht<br />

unmöglich, da die für eine Kooperation grundlegend erforderliche<br />

Freiwilligkeit eine win-win-Situation voraussetze. Diese sei jedoch<br />

bei einer Flächeneinsparung nicht gegeben. Die Wirkung informeller<br />

regionaler Kooperationen wie Städtenetze, Teilraumgutachten,<br />

Public-Private-Partnership-Modelle und dem Regionalmanagement<br />

sei dementsprechend gering. Flächenverbrauchsziele<br />

in der Raumordnung könnten Erfolg versprechender über<br />

Vorranggebiete, einem Ausschluss der Außenentwicklung oder Orientierungswerten<br />

für Gemeindeeinerwohnerzuwachs erreicht werden.<br />

Es sollte jedoch darüber nachgedacht werden, überkommunale<br />

Instrumente zu Zwangsinstrumenten weiter zu entwickeln;<br />

dies sei mit Art. 28 Abs. 2 GG vereinbar, solange es flächendeckend<br />

für alle verbindlich erfolge.<br />

In einer sehr präzisen Systematisierung stellte Rechtsanwalt<br />

Frank Reitzig (Berlin) die unterschiedlichen Möglichkeiten und Ziele<br />

interkommunaler Bauleitplanung vor. Dabei griff er auf Materialien<br />

einer von ihm durchgeführten Rechtstatsachenuntersuchung<br />

zurück. Den Schwerpunkt setzte er bei der interkommunalen<br />

Flächennutzungsplanung, da es auf der Ebene der<br />

Bebauungsplanung keine besonderen Konfliktfälle gab, weil dort<br />

die Kooperationen zur Umsetzung konkreter gemeinsamer Projekte<br />

gebildet worden waren und der Interessensausgleich im Vordergrund<br />

stand. Auf der Ebene der interkommunalen Flächennutzungsplanung<br />

ließen sich zwei Fallgruppen im BauGB ausfindig<br />

machen: Drei Formen zwangsweiser Zusammenschlüsse und fünf<br />

Formen freiwilliger Zusammenarbeit. Trotz der Wahl eines institutionalisierten<br />

Rahmens fand in den untersuchten Fällen keine gemeinsame<br />

Planung statt. Dabei war es interessanterweise unerheblich,<br />

ob es sich um einen Fall der erzwungenen oder der freiwilligen<br />

Zusammenarbeit handelte. Als Gründe dafür machte<br />

Reitzig das »Denken im eigenen Verwaltungsraum« aus, das sich zusammensetze<br />

aus einer fehlenden Einigung über die Planung, dem<br />

Negieren eines Bedürfnisses einer gemeinsamen Planung und dem<br />

Wunsch nach einer eigenständigen Entwicklung. Auffallend sei<br />

weiter, dass immerhin in einem Drittel der Fälle einer gemeinsamen<br />

Planung eine Verringerung des Umfangs der in den interkommunalen<br />

Flächennutzungsplänen dargestellten Bauflächen erfolgt<br />

sei. Für Reitzig ergibt sich daraus die Forderung, dass die interkommunale<br />

Bauleitplanung mit materiellen Instrumenten<br />

kombiniert werden sollte. Dazu sollten sowohl harte Instrumente<br />

wie regionalplanerische Vorgaben für einen interkommunalen<br />

Handlungsrahmen und verbindliche Mechanismen zum Ausgleich<br />

von Disparitäten gehören, <strong>als</strong> auch weiche Instrumente, die mit<br />

Maßnahmen zur Schaffung von Vertrauen und einer regionalen<br />

Identität für eine gemeinsame abgestimmte Planung begleitend erforderlich<br />

seien.<br />

5 www.stadtentwicklung.berlin.de/bauen/baulueckenmanagement/de/baulandrecherche.shtml<br />

50 | ZUR 1/2005


| TAGUNGSBERICHT<br />

In seinem anschließenden Referat stellte Prof. Dr. Reinhard Hendler<br />

(Institut für Umwelt- und Technikrecht, Universität Trier) ein<br />

gleichermaßen ausgestaltetes Instrument vor: den regionalen<br />

Flächennutzungsplan. Dieses Planungsinstrument wurde 1998 in<br />

§ 9 Abs. 6 ROG verankert. Eine landesgesetzliche Ausgestaltung erfolgte<br />

in den Ländern Hessen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen,<br />

Sachsen-Anhalt und Thüringen. In Sachsen und Thüringen seien<br />

die Regelungen jedoch noch nicht vollzugsfähig. In seinen weiteren<br />

Ausführungen beschränkte sich Hendler auf die hessische Implementierung,<br />

die in drei Gesetzen erfolgte (Planungsverbandsgesetz,<br />

Landesplanungsgesetz und Ballungsraumgesetz) und somit<br />

eine besondere Komplexität aufweise. Planerische Festlegungen<br />

innerhalb des Regionalen Flächennutzungsplanes (die zugleich<br />

Darstellungen nach § 5 BauGB sind) werden von einem Gremium<br />

getroffen, das aus Regionalversammlung und Verbandskammer<br />

besteht (§ 13 HLPlG). Während sich die Regionalversammlung aus<br />

gewählten Vertretern zusammensetze, sei die Verbandskammer eine<br />

Körperschaft des öffentlichen Rechts. Diese Struktur verstößt<br />

nach Ansicht von Hendler nicht gegen das Bundesrahmenrecht,<br />

welches von einer Verbandsstruktur des Planungsträgers ausgeht.<br />

Die Regelung im Raumordnungsrecht diene dem Schutz der gemeindlichen<br />

Hoheit und sei unabhängig von dem Vorliegen einer<br />

Verbandsstruktur. Ausschlaggebend sei, dass kommunale Gebietskörperschaften<br />

mit ausreichender planerischer Entscheidungsbefugnis<br />

im Planungsträger vertreten seien. Diese Situation sei in<br />

dem hessischen Gesetz gegeben. 6<br />

Am zweiten Tag der Veranstaltung standen die rechtlichen und<br />

institutionellen Rahmenbedingungen für die Revitalisierung von<br />

Brachen im Mittelpunkt. Sein sehr instruktives Referat eröffnete Dr.<br />

ing. Egbert Dransfeld (Institut für Bodenmanagement, Dortmund)<br />

mit der provokanten Frage nach dem Königsweg einer erfolgreichen<br />

Brachflächenrevitalisierung. Die Ausgangssituation beschrieb<br />

er folgendermaßen: <strong>Das</strong> Gros der vorgefundenen Brachen seien Industrie-<br />

und Gewerbebrachen sowie Infrastruktur- und Verkehrsbrachen.<br />

Zu letzteren gehörten insbesondere Flächen, die von der<br />

Bahn, Telekom und Post aufgegeben wurden. Daneben fänden sich<br />

– zunehmend auch im Westen – die Wohnbrachen, die entstehen,<br />

wenn bestimmte Wohnformen <strong>als</strong> unattraktiv empfunden und am<br />

Markt nicht mehr nachgefragt werden. Die Verwendbarkeit von<br />

Brachflächen sei dabei zum Großteil <strong>als</strong> äußerst schlecht zu beurteilen,<br />

da es sich um Problemflächen ohne Planungsrecht handele,<br />

für die kein Nutzungsdruck bestehe. Diese Situation trage dazu<br />

bei, dass trotz der Vorteile, die die Revitalisierung von Brachen leiste<br />

(etwa Verringerung der Flächeninanspruchnahme im Freiraum,<br />

bessere Auslastung der Infrastruktur, geringere Erschließungskosten,<br />

städtebauliche Aufwertung), diese nicht stattfinde. Da die Finanzierung<br />

der Brachflächenreaktivierung ein Hauptproblem darstelle,<br />

setzt Dransfeld auf die öffentliche Hand, die sich z. B. in Form<br />

von Treuhänder-, Public-Private-Partnership- oder in Developer-<br />

Modellen diesem Problem annehmen müsse. Der Bebauungsplan<br />

<strong>als</strong> rechtliches Instrument zur baulichen Wiedernutzung erweise<br />

sich dabei aufgrund seines Angebotscharakters <strong>als</strong> nicht zielführend,<br />

die Umlegung nach § 45 ff. BauGB spiele praktisch keine<br />

Rolle, da Brachen – mit Ausnahme der Wohnbrachen – in der Regel<br />

groß genug seien und keiner Umlegung bedürfen. <strong>Das</strong> Baugebot<br />

sei bekanntermaßen ein stumpfes Schwert und die Sanierungsmaßnahmen<br />

nach § 136 ff. BauGB setzten den Zwischenerwerb<br />

durch die öffentliche Hand nicht voraus und seien daher<br />

ungeeignet. So bliebe <strong>als</strong> Instrument für die Reaktivierung die Entwicklungsmaßnahmen,<br />

welche seines Erachtens nach auch allein<br />

mit dem Ziel einer Wiedernutzung brachliegender Flächen begründet<br />

werden könnten. Angesichts dieser nicht besonders<br />

schlagkräftigen Instrumente ergibt sich für Dransfeld somit die<br />

Schlussfolgerung, dass es allein durch das Schaffen einer Chancengleichheit<br />

von Brache und »grüner Wiese« zu einer nennenswerten<br />

Reaktivierung kommen werde. Diese Chancengleichheit<br />

könne nur durch eine Verknappung der »grünen Wiese« erreicht<br />

werden, die auf einem stringenten und umfassenden Freiraumschutz<br />

beruhen müsse.<br />

Anhand von praktischen Fällen aus verschiedenen Städten (Leipzig,<br />

Köln und Dortmund) schilderte Rechtsanwalt Thomas Tyczewski<br />

(Sozietät Wolter und Hoppenberg, Hamm) eine spezielle Form<br />

der Brachflächenrevitalisierung – die Nachnutzung von Bahnflächen.<br />

Die Grundkonstellation sei immer dieselbe: Flächen der<br />

Bahn werden nicht genutzt, was sich negativ auf die städtebauliche<br />

Gestaltung auswirke. Weder die Bahn noch die Stadt haben<br />

ausreichend Geld, um diesen Zustand zu ändern. Kann für eine solche<br />

Fläche ein Investor gefunden werden, so entsteht eine komplexe<br />

Struktur, in der es Aufgabe der Gemeinde ist, Planungsrechte<br />

für das Grundstück zu schaffen und evtl. die Entwidmung der<br />

betroffenen Fläche beim Eisenbahnbundesamt zu beantragen. Der<br />

Investor, der den Bahnhof modernisiert, kombiniert diesen mit einem<br />

Einkaufs- und / oder Dienstleistungs- und Freizeitzentrum.<br />

Die Crux innerhalb dieses Beziehungsgeflechts sei es, die Masse an<br />

Verfahrensschritten zu bündeln und dabei einen Weg zu finden,<br />

den alle bereit sind zu gehen; insbesondere wenn es für komplexe<br />

Aufgaben – <strong>als</strong> Beispiel führte Tyczewski den Brandschutz an – keine<br />

klaren gesetzlichen Regelungen gäbe.<br />

Rechtsanwalt Stefan Kopp-Assenmacher (Rechtsanwälte Dombert,<br />

Potsdam) untersuchte in seinem Vortrag die Leistungsfähigkeit des<br />

Altlastensanierungsrechts <strong>als</strong> Instrument der Flächenhaushaltspolitik.<br />

In den Mittelpunkt seines Vortrages stellte er das vor sechs<br />

Jahren in Kraft getretene Bundes-Bodenschutzgesetz (BBodSchG),<br />

welches <strong>als</strong> Leitgesetz für die Beurteilung des Altlastensanierungsrechts<br />

von zentraler Bedeutung sei. Zwar ist die Verringerung der<br />

Flächeninanspruchnahme auch ein Zweck dieses Gesetzes, dieses<br />

Ziel sei aber nicht gleichbedeutend mit dem Ziel der Rekultivierung<br />

von Brachflächen. Als ein Manko des Gesetzes machte der Referent<br />

den fehlenden Automatismus zur Altlastensanierungspflicht aus.<br />

Erst nach einer behördlichen Anordnung oder einem Sanierungsvertrag<br />

würde die appellative Wirkung des Gesetzes zu einer Sanierungspflicht.<br />

Eine solche Pflicht wäre nach Ansicht von Kopp-<br />

Assenmacher aber für eine effektive Flächenhaushaltspolitik dienlich.<br />

Ein weiteres Manko sah er darin, dass das BBodSchG zwar<br />

qualitativen und quantitativen Flächenschutz verfolge, ersterer<br />

aber im Vordergrund stünde. Der quantitative Schutz, der lediglich<br />

in der Regelung zur Entsiegelung zu finden ist (§ 5 BBodSchG), sei<br />

ein schwaches Instrument, weil die für eine Umsetzung erforderliche<br />

Rechtsverordnung fehle und die Regelung das Vorhandensein<br />

von Baurechten voraussetze. Zudem sei die Entsiegelung nicht<br />

identisch mit dem Recycling. Eine Chance für die Flächenhaushaltspolitik<br />

sah Kopp-Assenmacher in dem Instrument des öffentlich-rechtlichen<br />

Sanierungsvertrages. Mit einem solchen Vertrag<br />

könnten flexible und kostengünstige Varianten für eine Revitalisierung<br />

von Brachflächen gewählt werden. In der Praxis stellten<br />

sich insbesondere die mit der Altlastensanierung verbundenen Kosten<br />

<strong>als</strong> gewichtigster Nachteil für die Revitalisierung von Brachflächen<br />

dar. Dies beträfe sowohl das Konzept der Kostentragung im<br />

BBodSchG, <strong>als</strong> auch Defizite bei der Ausgleichsregelung sowie der<br />

Praxis der Haftungsfreistellung und hinsichtlich steuerrechtlicher<br />

Aspekte. Als äußerst interessant und für die deutsche Rechtsordnung<br />

von großer Bedeutung sei ein aktuelles Urteil des EuGH 7 , in<br />

dem der Abfallbegriff konträr zur deutschen Begriffsbestimmung<br />

6 Vgl. auch HessStGH, Urteile v. 4.5.2004 – P.St. 1713. (http://www.staatsgerichtshof.hessen.de/C1256E20003AD625/vwContentByKey/W25YJD98730JUSZDE)<br />

und P.St. 1714 (http://www.staatsgerichtshof.hessen.de/C1256E20003AD625/<br />

vwContentByKey/W25YJD67278JUSZDE)<br />

7 Rs C-1/03 gegen Paul Van de Walle u. a.. Urt. v. 7.9.2004. Zu finden unter<br />

http://curia.eu.int/.<br />

ZUR 1/2005 | 51


TAGUNGSBERICHT<br />

ausgelegt wurde. <strong>Das</strong> Gericht wertete schon eine Kontamination<br />

im Boden <strong>als</strong> Abfall und nicht <strong>als</strong> Verunreinigung. Aus der Abfalleigenschaft<br />

ergeben sich gegenüber dem Bodenschutzrecht verschärfte<br />

Rechtsfolgen.<br />

Werner Höing (Leiter des Umweltamtes Dortmund) berichtete<br />

darüber, wie in der Stadt Dortmund die Eingriffsregelung <strong>als</strong> Beitrag<br />

zur Flächenkreislaufwirtschaft genutzt wird. <strong>Das</strong> vorgestellte<br />

Modellprojekt zeige, dass es durchaus möglich ist, die Eingriffsregelung<br />

<strong>als</strong> Teil eines Flächenmanagements einzusetzen, an dessen<br />

Ende nicht die Inanspruchnahme von Freifläche, sondern eine<br />

Qualifizierung ihrer Funktion im Naturhaushalt bei gleichzeitiger<br />

Aufrechterhaltung ihrer derzeitigen Nutzung stehe. Produktionsintegrierte<br />

Ausgleichsmaßnahmen seien seit Ende 2002 der zentrale<br />

Begriff in dem Projekt »Landwirtschaft und Ökokonto -<br />

Dortmunds Gehversuch im ökologischen Ausgleich«. Nach inzwischen<br />

zwei Jahren Laufzeit erweise sich dieser neue Denkansatz <strong>als</strong><br />

belastbar in der Praxis. Er gehe davon aus, landwirtschaftlichen<br />

Produktionsformen, die sich von der agrarindustriellen Produktion<br />

unterscheiden, ökologisch einzuordnen, <strong>als</strong> Ausgleichsmaßnahmen<br />

anzuerkennen und auf einem Ökokonto gutzuschreiben.<br />

Für die Stadt Dortmund bringe dieser Weg den entscheidenden<br />

Vorteil, <strong>als</strong> Eigentümerin von mehr <strong>als</strong> 30% der städtischen landwirtschaftlichen<br />

Flächen Motor einer schrittweisen Ökologisierung<br />

sein zu können, ohne die finanzwirtschaftlichen Ziele außer Acht<br />

lassen zu müssen. So sei die Stadt selbst <strong>als</strong> Entwicklerin von Bauflächen<br />

häufig genug ausgleichspflichtig und müsse entsprechende<br />

Maßnahmen nachweisen. Durch eine vertraglich geregelte langfristige<br />

Umstellung ihrer eigenen landwirtschaftlichen Flächen erspare<br />

sie sich erhebliche Kosten-Aufwendungen. Im Gegenzug<br />

könnten die Pachtlandwirte – fast einem Paradigmenwechsel<br />

gleichkommend – endlich langfristige Pachtverträge auf den fürs<br />

Ökokonto bestimmten Flächen erwarten und mit dieser betriebswirtschaftlichen<br />

Sicherheit wiederum die notwendigen Weichenstellungen<br />

für eine landwirtschaftliche Betriebsumstellung wagen.<br />

In seinem die Tagung beschließenden Referat »Schritte zu einem<br />

Recht der Flächenkreislaufwirtschaft« hob Prof. Dr. Wolfgang Köck<br />

(UFZ-Umweltforschungszentrum Leipzig-Halle GmbH, Department<br />

Umwelt- und Planungsrecht) die Bedeutung einer Flächenkreislaufwirtschaft<br />

auf stadtregionaler Ebene und ihre Flankierung<br />

durch rechtliche Regelungen und andere Instrumente <strong>als</strong> zentrale<br />

Strategie für die Reduzierung der Flächeninanspruchnahme hervor.<br />

Anders <strong>als</strong> Schmidt-Eichstaedt sah Köck durchaus Möglichkeiten<br />

für den Bund, das Ziel-30-ha zu legitimieren. Seiner Auffassung<br />

nach sei eine gesetzliche Festlegung im ROG zu quantitativen Minderungsraten<br />

bezüglich der Flächeninanspruchnahme vor dem<br />

Hintergrund des demografischen Wandels und des Nachhaltigkeitsgebotes<br />

zu rechtfertigen und auch durch die Gesetzgebungskompetenz<br />

des Bundes gedeckt. Als Flächenkreislaufwirtschaft bezeichnete<br />

der Referent in Anlehnung an Arbeiten des BBR im Rahmen<br />

des Forschungsfeldes »Fläche im Kreis« eine Strategie, die folgende<br />

Elemente miteinander kombiniere: systematische Erfassung<br />

bestehender sowie zu erwartender Flächenpotenziale, systematischer<br />

Abgleich von Potenzialen mit der aktuellen oder zu erwartenden<br />

Nachfrage nach Flächen und Nutzungen, parametrische<br />

Steuerung von Quantitäten der räumlichen Planung von übergeordneten<br />

in die untergeordneten Planungsebenen, vertikale und<br />

horizontale Kooperation in den Kommunen, zwischen den Kommunen<br />

und innerhalb der zu definierenden Stadtregionen sowie<br />

zwischen den öffentlichen und den privaten Akteuren zur Feinsteuerung<br />

von Quantitäten und Qualitäten der Flächennutzung<br />

bzw. der Standortfindung, finanzieller Lasten- und Nutzenausgleich<br />

innerhalb der Stadtregion. Die Aufgaben eines Rechts der<br />

Flächenkreislaufwirtschaft identifizierte der Referent in einem<br />

wirksamen Freiraumschutz durch Bauleitplanungs- und Raumordnungsrecht,<br />

durch Etablierung neuer prozeduraler kommunaler<br />

Pflichten für Zielfestlegungen, Konzeptentwicklungen, Begründungen<br />

und Berichten zur Reduzierung der Flächeninanspruchnahme,<br />

durch Etablierung kommunaler Beobachtungs- und<br />

Informationsinstrumente über die Flächennutzungsentwicklung,<br />

durch Effektivierung der rechtlichen Instrumente zur Flächenmobilisierung<br />

und durch flankierende Regelungen zur Umweltplanung,<br />

insbesondere zur Sanierungsplanung, um die Voraussetzungen<br />

für flächensparende Nutzungsmischungen zu schaffen. Die<br />

Etablierung eines Verkehrssanierungsrechts bezeichnete der Referent<br />

in diesem Zusammenhang <strong>als</strong> einen integralen Bestandteil einer<br />

Flächenkreislaufwirtschaft, der es um eine Stärkung der Innenentwicklung<br />

gehe und deshalb den flächenverbrauchenden Konsequenzen<br />

des Trennungsgebotes entgegenwirken müsse.<br />

Mit den vielfältigen Referaten aus Wissenschaft und Praxis und<br />

den interessanten rechtspolitischen Diskussionen um aktuelle Strategien<br />

zur Reduzierung des Flächenverbrauchs ist es der Tagung gelungen,<br />

die rechtliche und institutionelle Handlungsbedingungen<br />

umfassend zu beleuchten. Die einzelnen Referate sollen in einem<br />

Tagungsband zusammengefasst und veröffentlicht werden.<br />

Jana Bovet<br />

Dr. Jana Bovet<br />

Wissenschaftliche Mitarbeiterin am UFZ-Umweltforschungszentrum Leipzig-Halle,<br />

Department Umwelt- und Planungsrecht, Permoserstraße 15,<br />

04318 Leipzig.<br />

Tätigkeitsschwerpunkt: Planungsrecht.<br />

Aktuelle Veröffentlichung: Sanierung und Entwicklung <strong>als</strong> raumordnerische<br />

Aufgabe – § 7 Abs. 2 Nr.2c ROG. Dissertation. Dresden 2003.<br />

Gute fachliche Praxis – Zur Standardisierung von Verhalten<br />

Ein Bericht zur Tagung an der Universität Lüneburg am 24. Juni 2004<br />

I. Wirtschaftlichen wie auch gesellschaftlichen Interessen wird im<br />

Kontext regulierter Selbstregulierung ein großer Gestaltungsspielraum<br />

eröffnet. Räumt im Umkehrschluss der Staat das Feld der traditionell<br />

hoheitlich-imperativen Normgebung Gute fachliche<br />

Praxis (im Folgenden gfP) ist dem Diskurs um gesellschaftliche<br />

Selbstregulierung inhärent. Sie will ein Rechtsinstrument sein, dass<br />

Verhalten sanft steuert und weniger starr reglementiert. Als Leitlinie<br />

zur Realisierung bestimmter fachlicher Standards soll gfP in<br />

mehr oder minder konkretisierter Form spezifisches Verhalten (gesellschaftlicher<br />

und insbesondere wirtschaftlicher Akteure) steuern,<br />

so Dr. Ulrich Smeddinck, Professur für Öffentliches Recht, insbesondere<br />

Energie- und <strong>Umweltrecht</strong>, Universität Lüneburg. Seit<br />

den mittleren 1990er Jahren wird die gfP in der rechtswissenschaftlichen<br />

Diskussion verstärkt thematisiert.<br />

Prof. Dr. Thomas Schomerus, ebenfalls Professur für Öffentliches<br />

Recht, eröffnete die Veranstaltung, indem er betonte, dass gfP <strong>als</strong><br />

Rechtsphänomen in immer mehr Fachgesetze eindringe. Um diese<br />

Entwicklungen zu analysieren und sie zur Diskussion zu stellen,<br />

52 | ZUR 1/2005


TAGUNGSBERICHT<br />

kamen an der Universität Lüneburg im Juni 2004 Experten und interessierte<br />

Öffentlichkeit zusammen.<br />

Auf der Agenda des Werkstattgesprächs standen vier Referate: zuvorderst<br />

sollte ein allgemeiner theoretischer Abriss der gfP das Instrument<br />

einordnen (II.), darauf aufbauend wurden anhand zweier<br />

Beispiele – gfP im Bodenschutzrecht und im Energierecht (III.<br />

und IV.) – Anwendungsbezüge beleuchtet; das abschließende Referat<br />

zeigte Entwicklungschancen und -hemmnisse der gfP <strong>als</strong><br />

rechtliches Steuerungsinstrument aus Sicht der Rechtsethologie<br />

auf (V.). Der Bericht schließt mit einigen diskutierten Thesen (VI.).<br />

II. In seinem grundlegenden Vortrag »Gute fachliche Praxis – Zur<br />

Standardisierung von Verhalten« ging es Smeddinck erst einmal um<br />

eine rechtswissenschaftliche und steuerungstheoretische Einordnung.<br />

Die gfP wurde dazu <strong>als</strong> Rechtsfigur von typischerweise starken<br />

Praxisbezügen abstrahiert, aber auch immer wieder anhand<br />

von Beispielen illustriert. <strong>Das</strong> Augenmerk lag dabei auf der Handlungs-<br />

und Steuerungsperspektive, die staatliche Entscheidungsträger<br />

einnehmen, um Verhalten zu lenken. Die gfP <strong>als</strong> eine administrative<br />

Handlungsoption gehöre einerseits in den größeren Kontext<br />

der Deregulierung. In Normtexten werde sie andererseits unter<br />

dem konkreten Leitbild der regulierten Selbstregulierung verwendet.<br />

Mit diesem Regelungsansatz bietet der Staat dem Bürger eine<br />

Art Handlungskorridor an, der ihm Raum gibt, im Sinne seiner privaten<br />

Interessen und innerhalb von staatlich vorgegebenen Rahmenbedingungen<br />

zu agieren. Durch diese »Wegbeschreibung« soll<br />

Verhalten sanft gesteuert werden. Die Vorgehensweise ist hier deutlich<br />

vom Dogma der Technik-Steuerung einer »End-of-the-pipe-Lösung«<br />

abzugrenzen: die Beeinflussung von menschlichen Verhaltensweisen<br />

liegt diametral zu Lenkungsambitionen im Feld der<br />

Umwelttechnik. Dort findet man meist gradlinige Wirkungsketten<br />

vor – <strong>als</strong> Emissionsverursacher erhält man gesetzlich definierte Auflagen<br />

für bestimmte Filtertechnik. Der Referent wies darauf hin,<br />

dass Verhaltenssteuerung mittels gfP einer Standardisierung der Lebenswelt<br />

entspreche. Der Regelungsansatz gehe über das herkömmliche<br />

Anliegen der Normierung mechanischer Arbeitsgeräte<br />

und Filtertechnik hinaus. Es wurde die Frage aufgeworfen, wie im<br />

Zuge einer solchen Kontextsteuerung – die eben das private und<br />

wirtschaftliche Interesse von Individuen zu standardisieren versucht<br />

– »Befolgungsdefizite« zu sanktionieren sind. <strong>Das</strong> Potenzial,<br />

um Fehlverhalten zu korrigieren, offenbart sich <strong>als</strong> nicht sehr<br />

hoch. Wie könne gewährleistet werden, dass sich ein Landwirt in<br />

seiner Tätigkeit auf gute fachliche Kenntnisse beruft, die Beratung<br />

wahrnimmt und die Regeln guter fachlicher Praxis, z.B. gem. § 17<br />

Bundes-Bodenschutzgesetz (BBodSchG), tatsächlich einhält Diese<br />

Fragen warf Smeddinck abschließend auf. Damit die Vorgaben zur<br />

gfP nachhaltige Wirkungen entfalten, müsste dem unbestimmten<br />

Rechtsbegriff (gfP) der Weg in die Verwaltungsgerichte geebnet<br />

sein. Vorraussetzung dafür ist eine Normgestaltung, die Rechtsfolgen,<br />

insbesondere Sanktionsmöglichkeiten, vorsieht. Nur dann<br />

könne diese Leitlinie, die <strong>als</strong> eher moralische Anregung in den Gesetzgebungsprozess<br />

Eingang fand, sich <strong>als</strong> wirkungsvoller Regelungsansatz<br />

behaupten.<br />

III. Prof. Dr. Walter Frenz von der RWTH Aachen (Arbeitsschwerpunkt<br />

im Berg- und <strong>Umweltrecht</strong>) widmete sich in seinem Vortrag<br />

»Gute fachliche Praxis im Bundes-Bodenschutzgesetz (mit Bezügen<br />

zum landwirtschaftlichen Fachrecht)« intensiver der gfP im Sektor<br />

der Landwirtschaft. Die allgemeine Relevanz dieses Wirtschaftszweigs<br />

ergebe sich allein daraus, dass 55% des Gebiets der Bundesrepublik<br />

landwirtschaftlich genutzt werde; damit sei sie quantitativ<br />

der bedeutendste Akteur, so Frenz. Neben Regelungen im Düngemittel-<br />

und Pflanzenschutzgesetz wird die gfP in der<br />

Landwirtschaft insbesondere durch das bereits erwähnte BBod-<br />

SchG vermittelt: § 17 Abs. 1 und 2 verweisen explizit darauf. Wobei<br />

§ 17 Abs. 1 in Verbindung mit § 7 BBodSchG scheinbar den<br />

Landwirt hinsichtlich der Vorsorge in Sachen Bodennutzung in die<br />

Pflicht nimmt. Allerdings wird die Vorsorge eben durch die Einhaltung<br />

der gfP bestimmt. Beratungsstellen sollen über die<br />

Grundsätze der gfP informieren. GfP in der Landwirtschaft bestehe<br />

in der nachhaltigen Sicherung der Fruchtbarkeit und Leistungsfähigkeit<br />

des Bodens <strong>als</strong> natürliche Ressource. Es sei aber versäumt<br />

worden, deutlich zu machen, wie genau die nachhaltige Sicherung<br />

des Bodens in der Landwirtschaft auszugestalten sei. § 17<br />

Abs. 2 BBodSchG führt auf, welche Aspekte der Bodenbearbeitung<br />

nachhaltige Sicherung durch gfP erfahren sollen. Die gfP im Bodenschutzrecht,<br />

hob Frenz hervor, stelle aber kein rechtliches Kernmaterial<br />

dar. Mangels (zwingender) gesetzlicher Normen liegen lediglich<br />

Leitlinien vor, die <strong>als</strong> Beratungsangebot den Landwirten zur<br />

Verfügung stehen. Wie kann der Idee gfP in der Landwirtschaft<br />

mehr Wirkungskraft verliehen werden, wie effizientere Beratung<br />

den Landwirt auch erreichen Frenz gab eine andere Antwort. Er<br />

wies auf die soziale Dimension einer dörflichen Struktur hin, die<br />

den Beratungsansatz wirksamer unterstützen kann. Eine informierte<br />

Dorfgemeinschaft würde dabei helfen, (umweltgerechte)<br />

»landwirtschaftliche Regeln« einzuhalten – beispielsweise eine<br />

nachhaltige Ausfuhr von Gülle. Nur legitime Handlungen würden<br />

von den Mitmenschen honoriert. Die Beratung müsse das Prinzip<br />

der sozialen »Ächtung und Achtung« ausnutzen, da nicht auf »jedem<br />

Traktor ein Kontrolleur sitzen könne«. Ein weiteres Instrument,<br />

welches zu einer nachhaltigen Entwicklung im Sinne der gfP<br />

beiträgt, ist die Implementation qualitätsbezogener Subventionen.<br />

In Zeiten einer diesbezüglich markanten wirtschaftlichen Abhängigkeit<br />

der Betriebe könnten sie zu einer umweltverträglicheren<br />

Produktion führen.<br />

IV. Mit »Gute fachliche Praxis im Recht der Energiewirtschaft« bereicherte<br />

Prof. Dr. Dr. Peter Salje von der Universität Hannover (Arbeitsschwerpunkt<br />

im Zivilrecht und Recht der Wirtschaft) den Diskurs<br />

um gfP um ein weiteres Referenzbeispiel. In § 6 Abs. 1 S. 5<br />

EnGW n. F. vermute der Gesetzgeber in der Verbändevereinbarung<br />

(VV) der deutschen Stromnetz-Betreiber die Einhaltung der gfP. Mit<br />

der Verrechtlichung der privaten VV wurde auf eine strengere staatliche<br />

Regulierung mittels Rechtverordnung verzichtet. Der Ansatz<br />

schien der Deregulierungsphilosophie und Liberalisierung im<br />

Strommarkt zu entsprechen. Anregung für die VV sei der Willen gewesen,<br />

erläuterte Salje, den Netzzugang für alle Stromanbieter zu<br />

öffnen. Jedes Unternehmen solle jeden Kunden in Deutschland beliefern<br />

können. Jedoch hätten die Netzbetreiber weiterhin 96 % des<br />

Marktanteils der Stromversorger behauptet. Deshalb drängte der<br />

Gesetzgeber auf eine einheitliche Preisgestaltung für die Netzbereitstellung<br />

durch die Betreiber gegenüber Dritten. Die VV (II plus)<br />

sollte nun zukünftig Stromanbietern ermöglichen, in kalkulierbaren<br />

Rahmenbedingungen in Deutschland, Kunden mit Strom zu beliefern.<br />

Die gesetzliche Vermutung, dass die gfP durch die Einhaltung<br />

der VV erfüllt wird, ist bis zu 31.12.2003 befristet gewesen. Faktisch<br />

werden die Regeln im Alltagsgeschäft weiterhin eingehalten.<br />

V. Einen interdisziplinären Perspektivenwechsel vollzog Prof. Dr.<br />

Hagen Hof, Volkswagenstiftung Hannover (Arbeitsschwerpunkt:<br />

ehem<strong>als</strong> Recht und Verhalten), mit seinem Thema »Gute fachliche<br />

Praxis – Entwicklungsperspektiven aus rechtsethologischer Sicht«.<br />

Der Ansatz erklärt, wie Recht aus Verhalten entsteht und wie Verhalten<br />

Recht steuert. Recht stehe hier quasi auf Augenhöhe mit<br />

ethischen und erzieherischen Aspekten. Deutlich werde dies u. a.<br />

dadurch, dass sich thematische Schnittmengen der einzelnen Disziplinen<br />

(Recht, Erziehung, Ethik) ergeben: Hof wies dazu auf die<br />

Achtung gegenüber Anderen, Vertrauen und Umweltschutz <strong>als</strong><br />

Verhaltenskodex hin. Er ging, nach einer Auslegung der juristischen<br />

Merkmale des Terminus gfP, auf ähnliche Regelwerke und<br />

Konzepte sowie deren Unterschiede und Gemeinsamkeiten ein.<br />

Hof bilanzierte § 17 BBodSchG dahingehend: Landwirte seien nicht<br />

ZUR 1/2005 | 53


TAGUNGSBERICHT<br />

verpflichtet, in der Bodennutzung (Nachhaltigkeit) vorsorglich zu<br />

agieren oder beispielsweise ihre Äcker (bezüglich der Fruchtfolge)<br />

auf gute, fachkundige Art zu bestellen. § 17 BBodSchG gebe dem<br />

Normadressaten kein bestimmtes Verhalten vor. Kriterien für die<br />

Umsetzung der Vorgaben seien nicht ersichtlich, Verpflichtungen<br />

nicht auferlegt. Zugespitzt: Der Landwirt sei von der Vorsorge gem.<br />

§ 7 BBodSchG gleichsam freigestellt. Die angesprochenen vergleichbaren<br />

Regeln, so Hof, die der Gesetzgeber parat halte, seien<br />

tendenziell technik- und entwicklungsorientiert (Regelklauseln,<br />

Technikklauseln) und zielten weniger auf die Standardisierung von<br />

unsicherem Verhalten ab. Die Möglichkeit der dynamischen<br />

Rechtsanpassung sprach er der gfP ab. Sie schreibe lediglich einen<br />

Status quo fest. Wie kann nun gfP eine höhere Wirkungskraft entfalten,<br />

so dass Normadressaten sich innerhalb guter fachlicher<br />

Handlungskorridore bewegen Zum einen sei es versäumt worden,<br />

analysierte Hof, effektive Handlungsanreize (zu umweltfreundlichem<br />

Verhalten) zu schaffen: Hier könne eine qualitätsbezogene<br />

Subventionsstützung greifen. Verhaltensspielräume – geschaffen<br />

durch gfP (und landwirtschaftliche Beratung) – seien in den Schatten<br />

des Rechts zu stellen bzw. mit rechtlich fixierten Sanktionsmöglichkeiten<br />

zu kombinieren.<br />

VI. Annähernd herrschte in der Analyse der Rechtsfigur gfP dahingehend<br />

Konsens, dass der Staat sich hier nicht vollständig von<br />

der Idee der hoheitlich-imperativen Normgebung verabschieden<br />

sollte. Bürgern und Unternehmen wird größere Handlungsautonomie<br />

zugestanden. Nur: Um gfP zwingend zu implementieren,<br />

müssen rechtliche Vollzugsmöglichkeiten dem Staat offen stehen.<br />

GfP fände im landwirtschaftlichen Sektor hinreichend Anwendung,<br />

wenn z.B. entsprechende Subventionen sie erzwängen, so<br />

insbesondere Hof und Frenz. Ohne ein Ausschärfen der angesprochenen<br />

rechtlichen Vollzugmöglichkeiten stellt gfP jedoch ein beinahe<br />

»zahnloses« Standardisierungswerkzeug dar. Ein vollständiges<br />

Abwenden von bindenden Steuerungsambitionen wäre demnach<br />

nicht zweckmäßig. Zukünftig besteht die Herausforderung<br />

einerseits darin, den ursprünglichen Charakter von gfP nicht zu<br />

entfremden (Verhaltensspielraum), andererseits aber einen Rechtrahmen<br />

zu schaffen, der das Durchsetzungsvermögen des Instruments<br />

akzentuiert.<br />

Jannes Fröhlich<br />

Jannes Fröhlich<br />

Stud. des Dipl.-Studiengangs Umweltwissenschaften, Frommestr. 6,<br />

21335 Lüneburg.<br />

Tätigkeitsschwerpunkte: Strategische Umweltprüfung und strategisches Umweltmonitoring<br />

für Offshore-Windenergieparks.<br />

BUCHREZENSION<br />

Schumacher, Jochen/ Fischer-Hüftle, Peter:<br />

Bundesnaturschutzgesetz<br />

Kommentar<br />

2003, 744 S. mit CD-ROM, 109,– Euro,<br />

Kohlhammer, ISBN 3-17-017601-3<br />

Die Novellierung des Bundesnaturschutzrechts<br />

durch das BNatSchGNeuregG 2002<br />

haben die Juristen Peter Fischer-Hüftle, Dietrich<br />

Kratsch und Jochen Schumacher sowie<br />

die Biologen Wolfgang Herter und Anke<br />

Schumacher zum Anlass genommen, einen<br />

neuen Kommentar zum BNatSchG<br />

vorzulegen. Der interdisziplinäre Ansatz<br />

überzeugt, weil Juristen bei der Auslegung<br />

und Anwendung des Naturschutzrechts<br />

dringend auf fachlichen Rat angewiesen<br />

sind und – umgekehrt – Naturschutzexperten<br />

die rechtlichen Vorgaben für den<br />

Schutz von Natur und Landschaft zu beachten<br />

und ggf. den aus fachlicher Sicht<br />

notwendigen Änderungs- und Entwicklungsbedarf<br />

aufzuzeigen haben. Diesen Gedanken<br />

fühlt sich das Autorenteam offenbar<br />

verpflichtet, wenn es etwa die im<br />

Grundsätzekatalog und im Artenschutzrecht<br />

verwendeten biologischen und ökologischen<br />

Begriffe fundiert erläutert (A.<br />

Schumacher/ J. Schumacher zu § 2, Rn. 15<br />

ff.; Herter/ Kratsch/ J. Schumacher zu § 10,<br />

Rn. 32 ff.) oder Defizite der neuen Eingriffsregelung<br />

deutlich benennt (Fischer-<br />

Hüftle/ A. Schumacher zu § 19, Rn. 35 f.).<br />

Der Kommentierung des BNatSchG sind<br />

(auch) die Texte der Fauna-Flora-Habitat-<br />

Richtlinie (92/43/EWG) und der Vogelschutzrichtlinie<br />

(79/409/EWG) vorangestellt.<br />

Hierdurch hat der Leser die Möglichkeit, den<br />

in den nationalen Umsetzungsvorschriften<br />

der §§ 32 ff. BNatSchG noch immer enthaltenen<br />

europarechtswidrigen Tendenzen im<br />

Wege der richtlinienkonformen Auslegung<br />

zu begegnen (vgl. auch J. Schumacher/ A.<br />

Schumacher zu § 34, Rn. 31 ff.). Für die folgenden<br />

Auflagen des Kommentars wäre zudem<br />

der Abdruck des Übereinkommens von<br />

1992 über die biologische Vielfalt (CBD)<br />

wünschenswert, um den Blick der Rechtsanwender<br />

für den völkerrechtlichen Rahmen<br />

des modernen biodiversitätserhaltenden<br />

Rechts, auf das etwa in § 2 Abs. 2 Satz 1 und<br />

Abs. 1 Nr. 8 BNatSchG Bezug genommen<br />

wird, weiter zu schärfen. Die diesbezügliche<br />

Kommentierung von J. Schumacher/ A.<br />

Schumacher (§ 2, Rn. 60 ff. und 101) und insbesondere<br />

die Erläuterungen von J. Schumacher<br />

zu dem neuen § 38 BNatSchG (Geschützte<br />

Meeresflächen in der ausschließlichen<br />

Wirtschaftszone und auf dem<br />

Festlandsockel) zeigen exemplarisch, dass die<br />

Autoren die nationalen Regelungen zutreffend<br />

und kenntnisreich in den internationalen<br />

und supranationalen Kontext einzuordnen<br />

wissen.<br />

<strong>Das</strong> Instrumentarium der Schutzgebietsausweisung<br />

ist durch das BNatSchGNeuregG<br />

2002 (vgl. hierzu auch D. Czybulka<br />

[Hrsg.], Wege zu einem wirksamen Naturschutz<br />

– <strong>Das</strong> neue BNatSchG: Analyse und<br />

Kritik, 2004) kaum verändert worden. Die<br />

Kommentierung der §§ 22 ff. BNatSchG ermöglicht<br />

vor allem den Rechtsanwendern<br />

einen sicheren Umgang mit der (zu) komplizierten<br />

Schutzgebietssystematik durch<br />

einführende rechtstatsächliche und -historische<br />

Erläuterungen, eine präzise Beschreibung<br />

der Tatbestandsmerkmale sowie zahlreiche<br />

Rechtsprechungshinweise. Eine<br />

Erweiterung der vergleichenden Darstellungen,<br />

wie der zu den Unterschieden zwischen<br />

Naturschutzgebiet und Naturdenkmal<br />

(A. Schumacher/ J. Schumacher/ Fischer-Hüftle<br />

zu § 28, Rn. 2), würde den<br />

Abschnitt noch wertvoller für Neulinge des<br />

Naturschutzrechts machen. Schließlich sei<br />

die ausgezeichnete Bearbeitung der artenschutzrechtlichen<br />

Vorschriften durch<br />

Kratsch/ Herter <strong>als</strong> beispielgebend für die<br />

eindeutige und handhabbare Darstellung<br />

einer schwer verständlichen Fachrechtsmaterie<br />

hervorgehoben. Die sorgfältige Kommentierung<br />

von Fischer-Hüftle zur Mitwirkung<br />

von Vereinen (§§ 58 ff. BNatSchG)<br />

wird künftig durch empirisches Material<br />

angereichert werden können, da entsprechende<br />

Untersuchungen laufen.<br />

54 | ZUR 1/2005


ZEITSCHRIFTENSCHAU<br />

Neben seiner inhaltlichen Stärke besticht<br />

der bei Kohlhammer erschienene Kommentar<br />

von J. Schumacher/ Fischer-Hüftle<br />

durch klare Sprache und Struktur. Die<br />

großzügige Anordnung der Absätze und<br />

Überschriften macht den Text außerordentlich<br />

lesefreundlich. Dem Kommentar<br />

ist eine CD-ROM beigelegt, die neben allen<br />

Naturschutzgesetzen der Länder auch den<br />

Text des BNatSchG 1998 mit entsprechenden<br />

synoptischen Gegenüberstellungen<br />

enthält. Zusammen mit der von einem Teil<br />

des Autorenteams zu verantwortenden Internetseite<br />

www.naturschutzrecht.net kann<br />

sich der Leser ein (ausbaufähiges) naturschutzrechtliches<br />

Multimedia-Paket zusammenstellen.<br />

Peter Kersandt<br />

Peter Kersandt<br />

Rechtsreferendar in Berlin, Doktorand am Lehrstuhl<br />

für Staats- und Verwaltungsrecht, <strong>Umweltrecht</strong><br />

und Öffentliches Wirtschaftsrecht<br />

(Prof. Dr. Detlef Czybulka), Universität<br />

Rostock, Juristische Fakultät, Richard-Wagner-<br />

Straße 31, 18119 Rostock-Warnemünde;<br />

Dissertationsvorhaben im Bereich des supranationalen<br />

und nationalen Umwelt- und Naturschutzrechts<br />

mit seerechtlichen Bezügen.<br />

Aktuelle Veröffentlichung: Luttmann/Baumgarten/Kersandt,<br />

Fälle und Lösungen zum Verwaltungsrecht<br />

(M-V) für Fortgeschrittene und Examenskandidaten,<br />

Rostock-Warnemünde 2004.<br />

ZEITSCHRIFTENSCHAU<br />

Die nachfolgende Übersicht erfasst die umweltrechtliche<br />

Aufsatzliteratur des Erscheinungszeitraumes<br />

bis zum 15. Oktober 2004. Sie schließt unmittelbar<br />

an die <strong>Zeitschrift</strong>enschau in ZUR 6/04 an.<br />

Einzelne Abweichungen sind durch die Erscheinungsweise<br />

und Erreichbarkeit der <strong>Zeitschrift</strong>en bedingt.<br />

(Siehe hierzu die Liste auf der letzten Seite des<br />

<strong>Heft</strong>es)<br />

In folgenden Rubriken wurden keine Veröffentlichungen<br />

im Berichtszeitraum nachgewiesen:<br />

Recht der UVP, Gentechnikrecht, Verkehrsrecht<br />

Verfahrens- und Verfassungsrecht.<br />

EG- und Internationales <strong>Umweltrecht</strong><br />

Beyer, Peter: Eine neue Dimension der Umwelthaftung<br />

in Europa Eine Analyse der Europäischen<br />

Richtlinie zur Umwelthaftung. ZUR 2004,<br />

S. 257-65.<br />

Bruggeman, Véronique: Energy Efficiency as a Criterion<br />

for Regulation in the European Community.<br />

EELR 2004, S. 140-153.<br />

Klasing, Anneke/Beyer, Peter/Coffey, Clare/Homeyer,<br />

Ingmar: The Draft Constitution for Europe<br />

and the Environment - The Impact of Institutional<br />

Changes, the Reform of the Instruments and the<br />

Principle of Subsidiarity. EELR 2004, S. 218-224.<br />

Knopp, Lothar: Europarechtliche Dominanz und<br />

deutscher Kompetenzwechsel an den Beispielen<br />

Emissionshandelsrecht und Umwelthaftung. UPR<br />

2004, S. 379-382.<br />

Laskowski, Silke Ruth: <strong>Das</strong> EG-<strong>Umweltrecht</strong> und<br />

seine Umsetzung in Deutschland und Polen. DVBl.<br />

2004, S. 1216-1219.<br />

Leifer, Christoph/Mißling, Sven: Die Berücksichtigung<br />

von Umweltschutzkriterien im bestehenden<br />

und zukünftigen Vergaberecht am Beispiel des europäischen<br />

Umweltmanagementsystems EMAS.<br />

ZUR 2004, S. 266-272.<br />

Trüe, Christian: EU-Kompetenzen für Energierecht,<br />

Gesundheitsschutz und Umweltschutz nach dem<br />

Verfassungsentwurf. JZ 2004, S. 779-788.<br />

Yu, Zhang Shu: The Proposed EU Energy Security<br />

Package via-à-vis EU Law. EELR 2004, S. 170-176.<br />

Umweltprivatrecht<br />

Hötzel, Hans-Joachim: Verkehrssicherungspflicht<br />

für Bäume – Zehn Jahre Rechtsprechung zum Visual<br />

Tree Assessment. VersR 2004, S. 1234-1239.<br />

Umweltstrafrecht<br />

Meeder, Jochen/Eßling, Robert: Die Strafbarkeit<br />

des Abstellens von Autowracks im Sinne des § 326<br />

Abs. 1 Nr. 4a StGB unter Berücksichtigung der gerichtlichen<br />

Spruchpraxis. NZV 2004, S. 446-450.<br />

Allgemeines <strong>Umweltrecht</strong><br />

Bückmann, Walter: <strong>Umweltrecht</strong> <strong>als</strong> Innovation<br />

UPR 2004, S. 281-290.<br />

Dietze, Doris/Bohne, Eberhard: Pollution Prevention<br />

and Control in Europe Revisited. EELR 2004,<br />

S. 198-217.<br />

Keller, Maxi: Effektiver Rechtsschutz im <strong>Umweltrecht</strong><br />

– Stand, aktuelle Entwicklungen, Perspektiven<br />

– Rostocker <strong>Umweltrecht</strong>stag 2004. DVBl.<br />

2004, S. 1153-1156.<br />

Maslaton, Martin: Entschädigung für die Nichtgewährung,<br />

Beeinträchtigung oder Entziehung des<br />

Windabschöpfungsrechts – Entschädigungspflicht<br />

für rechtmäßige raumordnerische Untersagungsverfügungen<br />

LKV 2004, S. 289-294.<br />

Nisipeanu, Peter: Pläne des Bundesumweltministeriums<br />

zur Verschärfung der Klärschlammverordnung<br />

– Oder: Haben wir wirklich keine anderen<br />

Sorgen AgrarR 2004, S. 277-284.<br />

Quambusch, Erwin: <strong>Das</strong> Windkraftdilemma. VR<br />

2004, S. 266-270.<br />

Wernsmann, Rainer: Viel Lärm um nichts – Die<br />

Ökosteuer ist verfassungsgemäß. NVwZ 2004,<br />

S. 819-821.<br />

Immissionsschutzrecht<br />

Fickert, Hans Carl: Worauf müssen sich die Gemeinden<br />

bei der Umsetzung der Umgebungsrichtlinie<br />

der EU in deutsches Recht einstellen<br />

BauR 2004, S. 1559-1567.<br />

Giemulla, Elmar/Schorcht, Hendrik: Juristische Bewertung<br />

von Fluglärm (Teil I). Fluglärmsynopse.<br />

ZLW 2004, S. 386-394.<br />

Hölscher, Christoph: Die künftige Regulierung des<br />

Emissionshandels auf Bundes- und Landesebene.<br />

DÖV 2004, S. 834-838.<br />

Michler, Hans-Peter: Lärmsummationen. VBlBW<br />

2004, S. 361-370.<br />

Höltl, René: Gaststättenlärm und Rücksichtnahmegebot.<br />

VBlBW 2004, S. 330-335.<br />

Wehdeking, Silke: Internationale Zuständigkeit der<br />

Zivilgerichte bei grenzüberschreitenden Immissionen<br />

– Zur »Temelin«-Entscheidung des österreichischen<br />

OGH. DZWiR 2004, S. 323-325.<br />

Atom- und Energierecht<br />

Büdenbender, Ulrich: Die Abwälzung der Subventionslasten<br />

für erneuerbare Energien und Kraft-<br />

Wärme-Kopplung auf die Stromverbraucher.<br />

NVwZ 2004, S. 823-826.<br />

Franßen, Gregor: Zum Anspruch des industriellen<br />

KWK-Anlagebetreibers auf Mindestvergütung<br />

nach dem KWKG 2000. RdE 2004, S. 212-218.<br />

Leidinger, Tobias/Zimmer, Tilman: Die Überführung<br />

der Bundesauftragsverwaltung im Atomrecht<br />

in Bundeseigenverwaltung. DVBl. 2004,<br />

S. 1005-1013.<br />

Oschmann, Volker: Die Novelle des Erneuerbare-<br />

Energien-Gesetzes. NVwZ 2004, S. 910-915.<br />

Ossenbühl. Fritz: Zur Verbandslast <strong>als</strong> Finanzierungsinstrument<br />

der atomaren Endlagerung.<br />

DVBl. 2004, S. 1132-1144.<br />

Roßnagel, Alexander/Hentschel, Anja: Alternativprüfung<br />

für atomare Endlager UPR 2004, S. 291-<br />

296.<br />

Gefahrstoff- und Produktrecht<br />

Lenz, Tobias: <strong>Das</strong> neue Geräte- und Produktsicherheitsgesetz.<br />

MDR 2004, S. 918-922.<br />

ZUR 1/2005 | 55


ZEITSCHRIFTENSCHAU<br />

Abfallrecht<br />

Gärditz, Klaus Ferdinand: Funktionale Selbstverwaltung<br />

und Demokratieprinzip im Recht der<br />

Wasser- und Entsorgungsverbände, AbfallR<br />

2004, S. 235-239<br />

Gruneberg, Ralf: Die Umsetzung der Elektronikschrottrichtlinie<br />

durch das ElektroG – Auswirkungen<br />

auf kommunale Entsorgungsunternehmen,<br />

AbfallR 2004, S. 225-230<br />

Oexle, Anno: Verfahrensrechtliche Fragen der<br />

grenzüberschreitenden Verbringung von Abfällen,<br />

Anmerkung zu OVG NRW, Entscheidungen<br />

vom 24.3.2004 und 29.4.2004, AbfallR 2004,<br />

S. 239-242<br />

Prelle, Rebecca/Thärichen, Holger: Gewerbliche<br />

Abfallsammlungen zwischen öffentlichen Interessen<br />

und unternehmerischer Freiheit, AbfallR<br />

2004, S. 206<br />

Rindtorff, Ermbrecht/Gabriel, Marc: Die gewerbliche<br />

Sammlung und Verwertung ovn Hausmüll,<br />

AbfallR, 2004, S. 194-205<br />

Spieth, Wolf Friedrich/Hamer, Martin: Abfallverbrennungsanlagen<br />

und Emissionshandel, AbfallR<br />

2004, S. 218-225<br />

Versmann, Andreas: Die strategischen Umweltprüfung<br />

in der Abfallwirtschaftsplanung, AbfallR<br />

2004, S. 212-218<br />

Stengler, Ella: <strong>Das</strong> Abfallstrategiepapier der EU,<br />

AbfallR 2004, S. 230-235<br />

Bodenschutz- und Altlastenrecht<br />

Steinmetz, Christiane: Für sparsamen Umgang mit<br />

Grund und Boden. StuG 2004, S. 299-300.<br />

Wasserrecht<br />

Anders, Dieter R./Krüger, Jan-Christof: Festsetzung<br />

von Wasserschutzgebieten. Keine babylonische<br />

Sprachverwirrung im Wasserrecht. NuR<br />

2004, S. 491-503.<br />

Fries, Susanne: Optionen für den deutschen Wassermarkt<br />

– überholt die europäische Entwicklung<br />

die deutsche Modernisierungsstrategie NWVBl.<br />

2004, S. 341-345.<br />

Heiland, Joachim: Die Wassergesetz-Novelle 2004<br />

– Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie und<br />

Modernisierung des Hochwasserschutzes. VBlBW<br />

2004, S. 281-291.<br />

Koch, Hans-Joachim: Meeresumweltschutz für<br />

Nord- und Ostsee. NordÖR 2004, S. 221-228.<br />

Nisipeanu, Peter: Wasser- und ortsrechtliche Anforderungen<br />

an Indirekteinleitungen mit biologisch<br />

schwer abbaubaren Inhaltsstoffen. UPR<br />

2004, S. 372-379.<br />

Spreen, Holger: Auswirkungen der Wasserrahmenrichtlinie<br />

und ihrer nationalen Umsetzung auf<br />

die Landwirtschaft – Einwirkungsmöglichkeiten<br />

und Risiken für landwirtschaftliche Betriebe und<br />

Verbände. AgrarR 2004, S. 237-240.<br />

Naturschutz- und<br />

Landschaftspflegerecht<br />

Baranek, Elke/Günther, Beate/Kehl, Christine:<br />

Lässt sich Naturschutzplanung durch Moderation<br />

effektiver gestalten – Erfahrungen aus dem<br />

Gewässerrandstreifenprojekt Spreewald. NuL<br />

2004, S. 402-408.<br />

Bruker, Jörg: Naturschutzgroßprojekte des Bundes<br />

– Förderprogramm zur Errichtung und Sicherung<br />

schutzwürdiger Teile von Natur und<br />

Landschaft mit gesamtstaatlich repräsentativer<br />

Bedeutung – Naturschutzgroßprojekte und Gewässerrand-Streifenprogramm.<br />

NuL 2004,<br />

S. 393-401.<br />

Ditscherlein, Elke/Brücher, Helmut: Rechtliche Einordnung<br />

von Greifvogelhybriden. NuR 2004,<br />

S. 576-579.<br />

Ellinghofen, Gabriele/Brandenfels, Annette: Rechtliche<br />

Anforderungen an die Eingriffsbilanzierung<br />

und deren naturschutzfachliche Umsetzung am<br />

Beispiel von Abgrabungsvorhaben. NuR 2004,<br />

S. 564-572.<br />

Gassner, Erich: Die Zulassung von Eingriffen<br />

trotz artenschutzrechtlicher Verbote. NuR 2004,<br />

S. 560-564.<br />

Hösch, Ulrich: Vom generellen Vorrang des<br />

Straßenbaus vor dem Naturschutz in der Rechtsprechung.<br />

Anmerkungen zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts<br />

vom 15.1.2004 – 4 A 11.02<br />

zur A 73 (NuR 2004, 366). NuR 2004, S. 572-576.<br />

Schrader, Christian: Rechtliche Umsetzung von § 5<br />

Abs. 3 BNatSchG in Landesrecht: Die regionale<br />

Mindestdichte und ihr Verhältnis zum Biotopverbund.<br />

AgrarR 2004, S. 273-277.<br />

Thum, Randi: Rechtliche Instrumente zur Lösung<br />

von Konflikten zwischen Artenschutz und wirtschaftlicher<br />

Nutzung natürlicher Ressourcen durch<br />

den Menschen am Beispiel Kormoranschutz und<br />

Teichwirtschaft. NuR 2004, S. 580-587.<br />

Weitzel, Wolfgang/Baum, Marius: Rückweichklauseln<br />

in LSG-Verordnungen bundesrechtskonform<br />

Anmerkungen zum Beschluss vom 20.5.2003<br />

(NuR 2003, 624). NuR 2004, S. 511-513.<br />

Fachplanungsrecht<br />

Jarass, Hans D.: Schutzmaßnahmen und Ausgleichsentschädigung<br />

bei Planfeststellungen.<br />

DÖV 2004, S. 633-642.<br />

Louis, Hans Walter: Artenschutz in der Fachplanung.<br />

NuR 2004, S. 557-559.<br />

Smeddinck, Ulrich/Au, Christian: »Lex Airbus« –<br />

Gesetzgebung <strong>als</strong> Prozesstaktik. ZUR 2004, S. 273-<br />

278.<br />

Ramsauer, Ulrich: Umweltprobleme in der Fachplanung<br />

– Verfassungsrechtliche Fragen. NVwZ<br />

2004, S. 1041-1052.<br />

Stüer, Bernhard: Befangenheit in der Planfeststellung.<br />

DÖV 2004, S. 642-649.<br />

Sonstiges<br />

Farnsworth, Nick: Subsidiarity – A Conventional<br />

Industry Defence. Is the Directive on Environmental<br />

Liability with Regard to Prevention and<br />

Remedying of Environmental Damage Justified<br />

under the Subsidiarity Principle EELR, 2004,<br />

S. 176-185.<br />

Fluck, Jürgen/Strack, Lutz: Die Verarbeitung und<br />

Beseitigung von tierischen Nebenprodukten nach<br />

der EG-VO Nr. 1774/2002 und dem TierNebG.<br />

Neues europäisches und ergänzendes deutsches<br />

Recht im Veterinärbereich. NuR 2004, S. 503-510.<br />

Lange, Robert: Wissenschaft zwischen Verfassungsgarantie<br />

und Staatszielbestimmung – Ein<br />

Beitrag zur grundgesetzlichen Verankerung des<br />

Tierschutzes. KritV 2004, S. 170-181.<br />

Siegel, Torsten: Die Gesetzgebungskompetenz im<br />

Tierschutz. NuR 2004, S. 513-515.<br />

56 | ZUR 1/2005


AUSGEWERTETE ZEITSCHRIFTEN<br />

AcP = Archiv für die civilistische Praxis 3/04 – AbfallR = Abfallrecht<br />

6/03 – AfK = Archiv für Kommunalwissenschaften 5/04 – AgrarR =<br />

Agrarrecht 9/04 – AKP = Alternative Kommunalpolitik 5/04<br />

altlasten-spektrum 4/04 – AnwBl = Anwaltsblatt 7/04 – AöR =<br />

Archiv des öffentlichen Rechts 3/04 – ARSP = Archiv für Rechtsund<br />

Sozialphilosophie 2/04 – AVR = Archiv des Völkerrechts 2/04<br />

– BauR = Baurecht 10/04 – BayVBl. = Bayerische Verwaltungsblätter<br />

19/04 – BB = Betriebs-Berater 40/04 – BodSch = Bodenschutz<br />

3/04 – CMLR = Common Market Law Review 4/04 – DB = Der Betrieb<br />

38/04 – DÖV = Die öffentliche Verwaltung 19/04 – DVBl. =<br />

Deutsches Verwaltungsblatt 19/04 – DVP = Deutsche Verwaltungspraxis<br />

10/04 – DZWiR = Deutsche <strong>Zeitschrift</strong> für Wirtschaftsrecht<br />

9/04 – EELR = European Environmental Law Review 9/04 – EJIL =<br />

European Journal of International Law 3/04 – ELNI = ELNI-<br />

Newsletter 1/04 – ELR = European Law Review 4/04 – et = Energiewirtschaftliche<br />

Tagesfragen 10/04 – EuGRZ = Europäische<br />

Grundrechte-<strong>Zeitschrift</strong> 19/04 – EuR = Europarecht 4/04 – EuZW<br />

= Europäische <strong>Zeitschrift</strong> für Wirtschaftsrecht 18/04 – EWS = Europäisches<br />

Wirtschafts- & Steuerrecht 9/04 – GewArch = Gewerbearchiv<br />

10/04 – ImmSch = Immissionsschutz 3/04 – JA = Juristische<br />

Arbeitsblätter 10/04 – JEL = Journal of European Law – June 04<br />

– JEPP = Journal of European Public Policy 3/04 – JR = Juristische<br />

Rundschau 9/04 – Jura = Juristische Ausbildung 10/04 – JuS = Juristische<br />

Schulung 10/04 – JZ = Juristenzeitung 19/04 – KA = KA-<br />

Wasserwirtschaft, Abwasser, Abfall 10/04 – KGVR = KGV-Rundbrief<br />

3/04 – KJ = Kritische Justiz 3/04 – KritV = Kritische Vierteljahresschrift<br />

für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft 2/04 – LKV = Landes-<br />

und Kommunalverwaltung 10/04 – MDR = Monatsschrift für<br />

Deutsches Recht 19/04 – MM = Müllmagazin 2/04 – Müll&Abf =<br />

Müll und Abfall 9/04 – NdsVBl. = Niedersächsische Verwaltungsblätter<br />

10/04 – NJ = Neue Justiz 7/04 – NJW = Neue Juristische<br />

Wochenschrift 42/04 – NordÖR = <strong>Zeitschrift</strong> für norddeutsches öffentliches<br />

Recht 8/04 – NStZ = Neue <strong>Zeitschrift</strong> für Strafrecht 10/04<br />

– NuL = Natur und Landschaft 9/04 – NuR = Natur und Recht 9/04<br />

– NVwZ = Neue <strong>Zeitschrift</strong> für Verwaltungsrecht 9/04 – NWVBl. =<br />

Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter 9/04 – NZBau = Neue<br />

<strong>Zeitschrift</strong> für Baurecht und Vergaberecht 9/04 – NZS = Neue<br />

<strong>Zeitschrift</strong> für Sozialrecht 8/04 – NZV = Neue <strong>Zeitschrift</strong> für<br />

Verkehrsrecht 9/04 – osteuR = osteuropa-Recht 3/04 – RdE = Recht<br />

der Energiewirtschaft 9/04 – Rechtstheorie = <strong>Zeitschrift</strong> für Logik,<br />

Methodenlehre, Normentheorie und Soziologie des Rechts 3/04 –<br />

RIW = Recht der internationalen Wirtschaft 9/04 – RJE = Revue Juridique<br />

de l’ environnement 4/04 – Sächs.VBl. = Sächsische Verwaltungsblätter<br />

10/04 – Staat = Der Staat 3/04 – Städtetag = Der<br />

Städtetag 12/03 – StuG = Stadt und Gemeinde 9/04 – StV =<br />

Strafverteidiger 9/04 – ThürVBl. = Thüringische Verwaltungsblätter<br />

10/04 – TransportR = Transportrecht 9/04 – UPR = Umwelt- und<br />

Planungsrecht 10/04 – UVP-Report = UVP-report 1/04 – VBlBW =<br />

Verwaltungsblätter Baden-Württemberg 10/04 – VersR = Versicherungsrecht<br />

28/04 – Verw = Die Verwaltung 3/04 – VerwArch.<br />

= Verwaltungs-Archiv 3/04 – VR = Verwaltungsrundschau 9/04 –<br />

WiRO = Wirtschaft und Recht in Osteuropa 9/04 – wistra =<br />

<strong>Zeitschrift</strong> für Wirtschaft Steuer Strafrecht 5/04 – WiVerw =<br />

Wirtschaft und Verwaltung 3/04 – ZaöRV = <strong>Zeitschrift</strong> für ausländisches<br />

öffentliches Recht und Völkerrecht 2/04 – ZAU =<br />

<strong>Zeitschrift</strong> für Angewandte Umweltforschung 2/04 – ZEuP =<br />

<strong>Zeitschrift</strong> für Europäisches Privatrecht 3/04 – ZEuS = <strong>Zeitschrift</strong> für<br />

Europarechtliche Studien 3/04 – ZfB = <strong>Zeitschrift</strong> für Bergrecht 2/04<br />

– ZfBR = <strong>Zeitschrift</strong> für deutsches und internationales Baurecht<br />

7/04 – ZfRS = <strong>Zeitschrift</strong> für Rechtssoziologie Juli 04 – ZfU =<br />

<strong>Zeitschrift</strong> für Umweltpolitik und <strong>Umweltrecht</strong> 3/04 – ZfW =<br />

<strong>Zeitschrift</strong> für Wasserrecht 3/04 – ZG = <strong>Zeitschrift</strong> für Gesetzgebung<br />

3/04 – ZIP = <strong>Zeitschrift</strong> für Wirtschaftsrecht 41/04 – ZLR =<br />

<strong>Zeitschrift</strong> für das gesamte Lebensmittelrecht 5/04 – ZLW =<br />

<strong>Zeitschrift</strong> für Luft- und Weltraumrecht 3/04 – ZNER = <strong>Zeitschrift</strong><br />

für Neues Energierecht 3/04 – ZRP = <strong>Zeitschrift</strong> für Rechtspolitik<br />

7/04 – ZStW = <strong>Zeitschrift</strong> für die gesamte Strafrechtswissenschaft<br />

4/04 – ZUR = <strong>Zeitschrift</strong> für <strong>Umweltrecht</strong> 5/04<br />

Impressum<br />

Schriftleitung:<br />

Prof. Dr. Wolfgang Köck (Verantwortlich im Sinne des Presserechts) c<br />

Dr. Moritz Reese c Dr. Sabine Schlacke<br />

Redaktionsadresse:<br />

Verein für <strong>Umweltrecht</strong> e.V. c Große Fischerstr. 5 c 28195 Bremen c<br />

Telefon (0421) 3354143 c (0421) 3354141 c zur-bremen@t-online.de<br />

Verlag:<br />

<strong>Nomos</strong>-Verlagsgesellschaft c Waldseestr. 3-5 c 76520 Baden-Baden c<br />

Telefon (07221) 2104-0 c Fax: (07221) 2104-27 c nomos@nomos.de<br />

Anzeigenverwaltung:<br />

sales friendly c Reichsstr. 45–47 c 53125 Bonn c roos@sales-friendly.de<br />

Vertrieb und Aboverwaltung: <strong>Nomos</strong> Verlagsgesellschaft<br />

Abo-Service: Tel. 07221/2104-39 Fax: 07221/2104-43.<br />

Erscheinungsweise der ZUR: 11 Ausgaben pro Jahr.<br />

Bestellungen und Bezugspreise: Bestellungen richten Sie bitte an die <strong>Nomos</strong>-<br />

Verlagsgesellschaft. <strong>Das</strong> Abo beginnt bei Bestellung. <strong>Das</strong> Abo kann bis zum<br />

30. September eines Jahres gekündigt werden, ansonsten verlängert es sich um<br />

ein Kalenderjahr. Ein ZUR-Jahresabonnement kostet für Mitglieder des Vereins für<br />

<strong>Umweltrecht</strong> 139,– €, für Nichtmitglieder 198,– €. Studenten-Abo: Für Mitglieder<br />

des Vereins für <strong>Umweltrecht</strong> 79,– €, für Nicht-Mitglieder 120,– €. (Bitte<br />

Studienbescheinigung einsenden). Alle Preise verstehen sich incl. MwSt. zzgl.<br />

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postalischen Nachsendeauftrag erfaßt wird. Bankverbindung: Sparkasse Baden-<br />

Baden, Konto.-Nr. 5002266, BLZ 66250030, Postbank, Konto.-Nr. 73636-751,<br />

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Manuskripte: Einsendungen für den Aufsatz- und Berichtsteil werden an<br />

die Schriftleitung (Prof. Dr. Wolfgang Köck, Umweltforschungszentrum Leipzig-<br />

Halle, Permoserstr. 15, 04318 Leipzig, Tel.: 0341/235-3140, Email: wolfgang.koeck@ufz.de)<br />

oder an die angegebene Redaktionsadresse erbeten. Für<br />

Manuskripte, die unaufgefordert eingesandt werden, wird keine Haftung übernommen.<br />

Die Annahme zur Veröffentlichung muß schriftlich erfolgen. Copyright:<br />

Die ZUR und die darin enthaltenen Beiträge sind urheberrechtlich<br />

geschützt. <strong>Das</strong> gilt auch für die veröffentlichten Gerichtsentscheidungen und Leitsätze,<br />

soweit sie vom Einsender oder von der Redaktion erarbeitet oder redigiert<br />

worden sind. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes<br />

ist ohne Zustimmung des Herausgebers unzulässig. <strong>Das</strong> gilt insbesondere für<br />

Vervielfältigungen, Übersetzungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in<br />

elektronischen Systemen. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht<br />

unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.<br />

ZUR 1/2005 | V


INFORMATIONEN / TERMINE<br />

INFORMATIONEN / TERMINE<br />

Umweltpreis 2004 der Gesellschaft<br />

für <strong>Umweltrecht</strong><br />

Die Gesellschaft für <strong>Umweltrecht</strong> hat im<br />

Rahmen ihrer Jahrestagung in Leipzig am<br />

5./6. November 2004 zum zweiten Mal nach<br />

2001 ihren Umweltpreis für Nachwuchswissenschaftler<br />

vergeben. Teilnahmeberechtigt<br />

waren Autoren im Alter bis zu 40 Jahren, die<br />

– bis März 2003 noch nicht veröffentlichte -<br />

Monographien auf dem Gebiet des deutschen,<br />

europäischen oder internationalen<br />

<strong>Umweltrecht</strong>s verfasst haben. Es wurden 23<br />

Arbeiten eingereicht, zum größten Teil Dissertationen.<br />

Die Themen der Arbeiten spiegelten<br />

die gesamte Breite des <strong>Umweltrecht</strong>s<br />

wider, vom Umweltvölkerrecht über das<br />

Umweltverfassungsrecht bis hin zu den klassischen<br />

umweltrechtlichen Feldern des Naturschutz-,<br />

Immissionsschutz- und Abfallrechts.<br />

Die Arbeiten wurden von einem<br />

Preisgericht unter dem Vorsitz von Dr. Stefan<br />

Paetow, Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht,<br />

bewertet.<br />

Mit dem ersten Preis in Höhe von 5000 €<br />

wurde die Dissertation von Yvonne Kerth<br />

»Emissionshandel im Gemeinschaftsrecht.<br />

Die EG-Emissionshandelsrichtlinie <strong>als</strong> neues<br />

Instrument europäischer Klimaschutzpolitik«<br />

(Universität Würzburg, Prof. Dr.<br />

Scheuing) ausgezeichnet. Den zweiten Preis<br />

erhielt Thomas Bosecke für seine Dissertation<br />

»Vorsorgender Küstenschutz und Inte-<br />

griertes Küstenzonenmanagement an der<br />

deutschen Ostseeküste – Strategien, Vorgaben<br />

und Defizite aus Sicht der Raumplanung,<br />

des Naturschutzes und der Wasserwirtschaft«<br />

(Universität Rostock, Prof. Dr.<br />

Czybulka). Dritter Preisträger ist Gerrit<br />

Günther mit der Dissertation »Umweltvorsorge<br />

und Umwelthaftung« (Universität Trier,<br />

Prof. Dr. Marburger).<br />

2./3. FEBRUAR 2005<br />

Bremen<br />

»Normative und tatsächliche Unsicherheiten<br />

im Umweltschutz«<br />

Die Forschungsstelle für Europäisches <strong>Umweltrecht</strong>,<br />

das Bremer Institut für Transnationales<br />

Verfassungsrecht und der Bundesarbeitskreis<br />

Ethik im BUND e.V. halten<br />

unter der Leitung von Prof. Dr. Felix Ekardt<br />

am 2./3. Februar 2005 in Bremen eine interdisziplinäre<br />

Tagung zum Thema »Normative<br />

und tatsächliche Unsicherheiten in<br />

der Umweltpolitik« ab. Die Tagung wird<br />

gefördert von der Deutschen Bundesstiftung<br />

Umwelt und ist daher gebührenfrei.<br />

Nähere Informationen und Anmeldung bei<br />

fekardt@uni-bremen.de. Die Tagung richtet<br />

sich vornehmlich an den ambitionierten<br />

Nachwuchs aus Politik, Recht, Wissenschaft<br />

und Praxis.<br />

Es geht (1) um tatsachenbezogene Aspekte<br />

wie: Wie sicher ist natur- und sozialwissenschaftliche<br />

Erkenntnis Wie zuverlässig<br />

sind z.B. die Gefährdungsprognosen bei<br />

Schadstoffgrenzwerten, beim Klimawandel,<br />

bei radioaktiver Strahlung, bei genveränderten<br />

Lebensmitteln, bei Hormonfleisch,<br />

beim Wohnen auf altlastenverseuchten<br />

Grundstücken usw. Kann Sicherheit überhaupt<br />

verlangt werden Ist natur- und sozialwissenschaftliche<br />

Erkenntnis objektivierbar<br />

oder »nur Konstruktion« oder gar<br />

»kultur- und milieuabhängig« Ist die nationale<br />

und internationale Politik auch bei<br />

bloß unsicherer Gefährdungsprognose zum<br />

Handeln verpflichtet (oder wenigstens berechtigt)<br />

Welche Verfahrensregeln und<br />

welche politischen Beobachtungs- und<br />

Nachbesserungspflichten entstehen dabei<br />

Es geht ferner (2) direkt normbezogen darum,<br />

wie die »normativ unsichere« Kollisionslage<br />

zwischen verschiedenen Normen<br />

wie Wirtschaftsfreiheit und Umweltgrundrechten,<br />

die bei jeder umweltpolitischen<br />

Entscheidung besteht (z.B. Atomausstieg,<br />

Import von Hormonfleisch, Umgang mit<br />

Gentechnik, Verwendung einer neuen und<br />

riskanten Technologie) möglichst optimal<br />

aufgelöst werden kann.<br />

Umweltstrafrecht <strong>als</strong> präventives<br />

Steuerungsinstrument<br />

Der Betreiber im Umweltstrafrecht<br />

Zugleich ein Beitrag zur Lehre von den Pflichtdelikten<br />

Von Dr. Lars Witteck<br />

2004, 273 S., brosch., 50,– €, ISBN 3-8329-0813-7<br />

(<strong>Nomos</strong> Universitätsschriften – Recht / Unterreihe: Gießener Schriften zum Strafrecht<br />

und zur Kriminologie, Bd. 12)<br />

Die Arbeit steht unter der Prämisse, dass dem Strafrecht in der modernen Gesellschaft<br />

vermehrt die Rolle eines präventiven Steuerungsinstruments zugesprochen<br />

wird. Der Autor untersucht die Grenzen dieses Modells anhand der Täterschaft bei<br />

den umweltstrafrechtlichen Betreiberdelikten.<br />

Hierzu erhält die Lehre von den Pflichtdelikten ein dogmatisches Fundament und<br />

wird für die Betreiberdelikte <strong>als</strong> Täterschaftsmodell fruchtbar gemacht.<br />

UNIVERSITÄTSSCHRIFTEN<br />

Gießener Schriften zum Strafrecht<br />

und zur Kriminologie<br />

NOMOS<br />

RECHT<br />

Lars Witteck<br />

Der Betreiber<br />

im Umweltstrafrecht<br />

Zugleich ein Beitrag zur Lehre<br />

von den Pflichtdelikten<br />

<strong>Nomos</strong><br />

www.nomos.de<br />

VI | ZUR 1/2005


Aktuelle Gutachten des Rates von<br />

Sachverständigen für Umweltfragen<br />

<strong>Das</strong> Umweltgutachten 2004 steht unter dem Motto<br />

»Umweltpolitische Handlungsfähigkeit sichern«. Nach<br />

Auffassung des Umweltrates ist diese sowohl auf der<br />

europäischen <strong>als</strong> auch auf nationaler Ebene gefährdet.<br />

Hinsichtlich der europäischen Umweltpolitik warnt der<br />

Umweltrat vor Tendenzen der »weichen Rahmensteuerung«<br />

und der Unterordnung unter wettbewerbspolitische<br />

Interessen. Hinsichtlich der in Deutschland<br />

stattfindenden Grundsatzdebatte über die Funktionsfähigkeit<br />

der bundesstaatlichen Ordnung rät der SRU<br />

dazu, sich nachdrücklich den Tendenzen zur Verlagerung<br />

umweltpolitischer Kompetenzen auf die Länder zu<br />

widersetzen.<br />

Der Sachverständigenrat für Umweltfragen gibt mit dem<br />

Umweltgutachten 2004 einen Überblick über die<br />

aktuellen Entwicklungen der deutschen und europäischen<br />

Umweltpolitik, bewertet diese und formuliert<br />

zahlreiche Handlungsempfehlungen für die Bundesregierung.<br />

Meeresumweltschutz für Nord- und Ostsee<br />

Sondergutachten Februar 2004<br />

Von SRU – Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen<br />

2004, 265 S., brosch., 38,– €, ISBN 3-8329-0630-4<br />

<strong>Das</strong> Sondergutachten gibt einen Überblick über die<br />

wichtigsten Problemfelder und die aktuelle<br />

Belastungslage der Nord- und Ostsee. Es zeigt den<br />

wesentlichen Handlungsbedarf auf, insbesondere für die<br />

Fischerei-, Chemikalien-, Agrar- und Schifffahrtspolitik<br />

und entwickelt Vorschläge für eine integrierte<br />

europäische und nationale Meeresschutzpolitik<br />

einschließlich einer Meeresraumordnung.<br />

Umweltgutachten<br />

2004<br />

Umweltpolitische<br />

Handlungsfähigkeit<br />

sichern<br />

Juli 2004<br />

<strong>Nomos</strong><br />

Umweltgutachten 2004<br />

Umweltpolitische<br />

Handlungsfähigkeit sichern<br />

Juli 2004<br />

Von SRU – Der Rat von<br />

Sachverständigen für<br />

Umweltfragen<br />

2004, 669 S., geb., 84,– €,<br />

ISBN 3-8329-0942-7<br />

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Reform des<br />

Erneuerbare-Energien-Gesetz<br />

<strong>Das</strong> reformierte Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG)<br />

verbessert die Förderung der Stromerzeugung aus<br />

erneuerbaren Energien erheblich. Die Regelungen<br />

müssen jetzt in die Praxis umgesetzt werden. Hierbei<br />

hilft die 2. Auflage des Kommentars zum EEG.<br />

<strong>Das</strong> Werk berücksichtigt sämtliche Gesetzesänderungen:<br />

„liefert präzise<br />

Informationen<br />

zu den einzelnen<br />

Bestimmungen.“<br />

■ So wurden die Vergütungsregelungen für die<br />

einzelnen Energieträger stärker<br />

differenziert<br />

■ Die Abnahmepflicht für Strom aus<br />

erneuerbaren Energien wurde<br />

ausgedehnt (z.B. Strom aus<br />

Biomasseanlagen)<br />

■ Die Ausgleichsregelungen zwischen<br />

RdW 9/02<br />

den Netzbetreibern, den Elektrizitätsversorgungsunternehmen<br />

und den<br />

Verbrauchern (insbesondere Großverbraucher)<br />

wurden verfeinert<br />

■ Der Verbraucherschutz wurde erheblich verbessert<br />

■ Die zeitlich befristete Härtefallregelung für<br />

stromintensive Betriebe wurde ausgedehnt und die<br />

Befristung aufgehoben<br />

EEG Erneuerbare-Energien-<br />

Gesetz<br />

Handkommentar<br />

Von RA Dr. Jan Reshöft, LL.M.,<br />

Dipl.-Ing. Sascha Steiner und<br />

Jörg Dreher, LL.M.<br />

2. Auflage 2005, ca. 350 S., geb.,<br />

ca. 78,– €, ISBN 3-8329-0986-9<br />

Erscheint Februar 2005<br />

Umfangreiche Erläuterungen der Begriffe fördern das<br />

Verständnis und zahlreiche Praxistipps erleichtern die<br />

Umsetzung der Neuregelungen.<br />

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Befassen Sie sich<br />

rechtzeitig mit<br />

dem neuen Gesetz<br />

Mit dem geplanten Gesetz zur Entsorgung von Elektro(nik)-<br />

Altgeräten setzt die Bundesregierung zwei EU-Richtlinien, diejenige<br />

über Elektro- und Elektronik-Altgeräte (WEEE) und diejenige<br />

zur Verwendung bestimmter Stoffe (RoHS), in deutsches Recht<br />

um. Damit werden die Hersteller elektrischer und elektronischer<br />

Produkte verpflichtet, ihre Altgeräte getrennt von anderem Abfall<br />

zurückzunehmen und zu entsorgen. Die Pflicht zur Registrierung<br />

tritt bereits ab dem 01.05.2005 in Kraft.<br />

Gerätehersteller, Handel und Kommunen stehen damit vor einer<br />

der größten Herausforderungen der letzten Jahre.<br />

Der Leitfaden »<strong>Das</strong> neue Elektronikgesetz« wendet sich an Manager<br />

und Praktiker in Wirtschaft, öffentlicher Verwaltung, Anwaltschaft<br />

wie Gerichte. Er gibt genaue Hinweise für die Praxis,<br />

wie die Betroffenen mit dem neuen Gesetz umgehen müssen.<br />

Insbesondere werden behandelt:<br />

c die Regelungen für die durch das neue Gesetz Verpflichteten<br />

(Hersteller, Vertreiber, Besitzer, öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger,<br />

privatwirtschaftliche Entsorgungsbetriebe),<br />

c die Stellung der Kontrolleure im System (das Umweltbundesamt,<br />

die Gemeinsame Stelle und das beliehene Register der<br />

Wirtschaft ) sowie<br />

c Fragen der Finanzierung (auf Seiten der Hersteller bzw. den öffentlich-rechtlichen<br />

Entsorgungsträger).<br />

Herausgeber – Professor Dr. Dr. h.c. Martin Bullinger und Rechtsanwalt<br />

Hans-Jochen Lückefett, Ministerialrat a.D., Tübingen – wie<br />

Autoren – Ministerialdirigent Reinhard Schmalz, Niedersächsisches<br />

Umweltministerium, Hannover; Rechtsanwalt Dr. Jörg Karenfort,<br />

LL.M, Berlin; Dr. Mario Tobias, Bereichsleiter Bundesverband<br />

Informationswirtschaft, Telekommunikation und Neue<br />

Medien e.V., Berlin – stehen für die Praxisorientierung des Werks.<br />

<strong>Das</strong> neue Elektrogesetz<br />

■ Zuständigkeiten und Verfahren ■ Verpflichtete<br />

■ Finanzierung<br />

Herausgegeben von Prof. Dr. Dr. h.c. Martin Bullinger<br />

und RA Hans-Jochen Lückefett<br />

2005, ca. 160 S., brosch., ca. 34,– €, ISBN 3-8329-1115-4<br />

Erscheint Februar 2005<br />

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»<strong>Das</strong> sehr handliche<br />

Werk ist eine wertvolle<br />

Hilfe für die<br />

immissionsschutzrechtliche<br />

Praxis.«<br />

Umweltbrief 4/03<br />

<strong>Das</strong> Standardwerk – jetzt wieder topaktuell<br />

Die 23. Auflage enthält alle einschlägigen Vorschriften<br />

zum Bundesimmissionsschutzrecht.<br />

Sie berücksichtigt die aktuellen Änderungen und<br />

die neuen Durchführungsverordnungen zum<br />

BImSchG. Neu aufgenommen wurden<br />

■ das Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz,<br />

■ das Zuteilungsgesetz 2007 und<br />

■ die Zuteilungsverordnung 2007.<br />

<strong>Das</strong> Werk enthält eine umfassende Einführung in<br />

die komplexen Regelungen. <strong>Das</strong> BImSchG selbst,<br />

die wichtigsten Durchführungsverordnungen, die<br />

TA Luft und TA Lärm sowie das neue Treibhausgas-<br />

Emmissionshandelsgesetz sind durch praxisorientierte<br />

Anmerkungen erläutert.<br />

Bundes-Immissionsschutzgesetz<br />

BImSchG / BImSch-Verordnungen /<br />

EMASPrivilegV / TA Luft / TA Lärm / TEHG /<br />

ZuG 2007<br />

Textsammlung mit Einführung und<br />

Erläuterungen<br />

Von Dr. Klaus Hansmann<br />

23. Auflage 2005, 900 S., brosch., 26,– €,<br />

ISBN 3-8329-0956-7<br />

Ein ausführliches Schlagwortverzeichnis hilft<br />

beim Auffinden der einschlägigen Normen.<br />

Der Autor war Vorsitzender des Länderausschusses<br />

für Immissionsschutz. Er ist Lehrbeauftragter der<br />

Universität Düsseldorf und Mitglied des Arbeitskreises<br />

für <strong>Umweltrecht</strong>.<br />

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