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Esposito, Elena (2007): Die Fiktion der wahrscheinlichen Realität ...

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fastforeword (1-08)<br />

Solche Sätze wi<strong>der</strong>sprechen zunächst aller Alltagsplausibilität, denn <strong>Realität</strong>,<br />

scheint uns, ist geradezu beängstigend wahrscheinlich. <strong>Esposito</strong><br />

schafft es jedoch, mit Hilfe des Rückgriffs auf historisch verschiedene Vorstellungen<br />

des Verhältnisses von <strong>der</strong> <strong>Realität</strong> und des Nicht-Realen, diese<br />

Quasi-Gewissheit zu erschüttern und dient damit geradezu als verlockende<br />

Einladung, eigene Denkroutinen zu verlassen und sich für ein paar Stunden<br />

mit an<strong>der</strong>en Denkmöglichkeiten zu beschäftigen. Das ist die eigentliche<br />

Stärke des vorliegenden Essays. Er bietet sowohl für den (system-<br />

)theoriegeschulten, wie für den historisch gebildeten Leser nur wenig materiell<br />

Neues, verhilft jedoch zum Denken – und das ist manchmal mehr<br />

wert als etwas Neues präsentiert zu bekommen.<br />

Denn – um auf das Beispiel zurückzukommen – warum ist die <strong>Realität</strong><br />

unwahrscheinlich<br />

Einfache Antwort: Wenn sie wahrscheinlich wäre, wäre sie berechenbar.<br />

Das ist sie jedoch nicht. Soweit so trivial, doch wie schaffen wir es mit einer<br />

hochkomplexen, nicht berechenbaren <strong>Realität</strong> umzugehen <strong>Esposito</strong>s<br />

erster Teil <strong>der</strong> Antwort – nur nebenbei gesagt, Niklas Luhmanns Antwort<br />

wäre sicher ähnlich – besteht darin, dass wir gelernt hätten, durch <strong>Fiktion</strong>en<br />

Erwartungen gegenüber zukünftigen Situationen aufzubauen. Bestes<br />

Beispiel ist <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>ne Liebesroman, bei dem <strong>der</strong> Leser bestimmte mögliche<br />

Situationen durchspielt, die in <strong>der</strong> zukünftigen <strong>Realität</strong> auf ihn zukommen<br />

können. Sicher zielen auch Groschenromane und die Fernseh-<br />

Soaps in dieselbe Richtung, nämlich auf zukünftige Konstellationen vorbereitet<br />

zu sein – dies wird auch in einem kurzen Kapitel über das so genannte<br />

„Reality-TV“ angedeutet.<br />

Der zweite Teil ihrer Antwort liegt darin, dass wir gelernt hätten mit Wahrscheinlichkeit<br />

umzugehen. Wahrscheinlichkeit ließe sich mit Blumenberg<br />

als „Schein <strong>der</strong> Wahrheit“ beschreiben. In <strong>der</strong> Rede von Schein ist nämlich<br />

eine semantische Doppeldeutigkeit eingeschrieben: „Schein als Abglanz,<br />

Ausstrahlung, Aura, Durchscheinen, vertretendes und richtungsweisendes<br />

Aufscheinen einerseits“ und „Schein als leere Prätention, irreführendes<br />

Trugbild, Vortäuschung, anmaßliche Einschleichung in die legitime Signatur<br />

an<strong>der</strong>erseits“. 1<br />

Damit wird schon semantisch auf den fiktionalen Charakter von Wahrscheinlichkeit<br />

und damit auch von <strong>der</strong> Wahrscheinlichkeitstheorie verwiesen,<br />

denn <strong>der</strong>en Prämisse einer Gleichwahrscheinlichkeit von Ereignissen<br />

ist in <strong>der</strong> <strong>Realität</strong> nicht anzutreffen, genauso wie Zufallsziehungen fast<br />

zwangsläufig an <strong>der</strong> <strong>Realität</strong> scheitern (müssen). Und doch, so <strong>Esposito</strong>,<br />

könne anhand von Wahrscheinlichkeit gelernt werden: jedoch nicht auf<br />

<strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> zukünftigen Gegenwart, son<strong>der</strong>n vielmehr auf <strong>der</strong> Ebene<br />

<strong>der</strong> gegenwärtigen Zukunft, d.h. <strong>der</strong> Zukunft, wie sie sich in <strong>der</strong> Gegenwart<br />

darstellt.<br />

So lernen Politiker täglich anhand <strong>der</strong> Umfrage-Ergebnisse, welche Aussagen<br />

und Handlungen zu welchen Verän<strong>der</strong>ungen geführt haben, ein Heer<br />

1 Blumenberg, Hans (1998): Paradigmen zu einer Metaphorologie, Frankfurt/M: Suhrkamp,<br />

S. 117.<br />

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