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Neu auf dem Markt - Arznei-Telegramm

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A 4330 E Mit Jahresregister 2009<br />

1/10<br />

arznei-telegramm ®<br />

Fakten und Vergleiche für die rationale Therapie<br />

IM BLICKPUNKT ...................................................................................................... 1<br />

Firmenfinanzierte Forschung – Manipulationspotenzial<br />

NEU AUF DEM MARKT ............................................................................ 4<br />

Nichts <strong>Neu</strong>es: �Indacaterol (ONBREZ) bei COPD<br />

THERAPIEKRITIK .................................................................................................. 4<br />

Zweifel an den Daten zu Oseltamivir (TAMIFLU)<br />

JAHRESREGISTER 2009 ...................................................................... 5<br />

LESER FRAGEN UND KOMMENTIEREN .. 14<br />

Coenzym Q10: Zusatz bei Statintherapie erforderlich?<br />

Drastische Preissteigerungen bei Grippeimpfstoffen<br />

KURZ UND BÜNDIG .................................................................................... 15<br />

Ginkgo biloba (TEBONIN, Generika) ohne Effekt <strong>auf</strong><br />

nachlassende geistige Funktionen<br />

NETZWERK AKTUELL ........................................................................ 15<br />

Vasculitis allergica unter Tolperison (MYDOCALM u.a.)<br />

NEBENWIRKUNGEN ................................................................................ 15<br />

Interaktionen mit Chitosan (FORMOLINE L112 u.a.)<br />

Brustkrebs unter Finasterid (PROSCAR, Generika)<br />

e a-t IM INTERNET* ...................................................................................................<br />

Baclofen (LIORESAL) bei Alkoholabhängigkeit?<br />

STICHWORTVERZEICHNIS<br />

Antidepressiva 2 Gabapentin 2 Publikationsbias 2<br />

Betamimetika, geistige Funktion 15 Ranibizumab 2<br />

langwirkende 4 Ginkgo-biloba-Extrakt 15 Reboxetin 1<br />

Bevacizumab 2 Grippeimpfung 15 Roche 2,4<br />

Brustkrebs 16 Ghostwriter 1,13 Sponsorbias 1<br />

Chitosan 15 Indacaterol 4 SSRI 2<br />

Cochrane 13 Influenza 4,15 Statine 14<br />

Coenzym Q10 14 Muskelschäden 14 TAMIFLU 4<br />

COPD 4 <strong>Neu</strong>roleptika, atypische 2 Tolperison 15<br />

Designbias 2 NSAR 2 Valproinsäure 15<br />

EudraCT 1 ONBREZ 4 Vasculitis allergica 15<br />

FDA 3,13 Oseltamivir 4 Vitamin K 16<br />

Finasterid 16 Pfizer 1 Warfarin 16<br />

* e a-t – jetzt neu: Bisweilen können wir redaktionelle Beiträge,<br />

die uns wichtig sind, aus Platzgründen nicht im aktuellen<br />

arznei-telegramm® unterbringen. Diese Texte wollen wir<br />

Ihnen nicht vorenthalten und veröffentlichen sie elektronisch<br />

als e a-t. Das Archiv der „e-Texte” finden Sie im Internet im<br />

Bereich für Abonnenten. Wer keinen Internetzugang hat, <strong>dem</strong><br />

senden wir die Texte <strong>auf</strong> Anforderung gerne per Fax, –Red.<br />

� = Vorsicht: weniger als 5 Jahre im Handel, geringe Erfahrungen.<br />

Die Information für Ärzte und Apotheker<br />

<strong>Neu</strong>tral, unabhängig und anzeigenfrei<br />

Im Blickpunkt<br />

41. Jahrgang, 15. Januar 2010<br />

FIRMENFINANZIERTE FORSCHUNG –<br />

ERHEBLICHES MANIPULATIONSPOTENZIAL<br />

„Wir haben <strong>dem</strong> IQWiG ausreichend Daten zur Verfügung<br />

gestellt, diejenigen Daten, die sich aus unserer Sicht für eine<br />

Nutzenbewertung von EDRONAX (Wirkstoff Reboxetin)<br />

auch im Vergleich zu anderen Mitteln eignen.” 1 So begründet<br />

die Firma Pfizer ihre Weigerung, <strong>dem</strong> IQWiG unveröffentlichte<br />

Studien mit <strong>dem</strong> Antidepressivum zu überlassen. Offensichtlich<br />

hält der derzeit größte Pharmahersteller der Welt<br />

nicht viel davon, alle durchgeführten Studien öffentlich zugänglich<br />

zu machen – was aus wissenschaftlicher Sicht eigentlich<br />

eine Selbstverständlichkeit wäre. Er will lieber eine Vorauswahl<br />

treffen. Hersteller haben üblicherweise Zugang zu allen<br />

Daten ihrer Produkte –, aber auch einen schwerwiegenden<br />

Interessenkonflikt. Der Grund, warum Pfizer zwei Drittel aller<br />

bislang in Studien erhobenen Daten zu Reboxetin unter Verschluss<br />

halten wollte und die Blockade erst nach öffentlichem<br />

Druck <strong>auf</strong>gab, ist klar: Die publizierten Studien suggerieren einen<br />

Nutzen von Reboxetin. Die Gesamtauswertung aller Daten<br />

lässt hingegen keinen Nutzen erkennen. 2 Das ist leider kein<br />

Einzelfall.<br />

Immer noch betrachten Firmen Studien, die sie finanziert<br />

haben, als Eigentum, das sie nach Belieben in ihren Tresoren<br />

verschwinden lassen können (a-t 2001; 32: 49). Die öffentliche<br />

Registrierung von Studien ist ein wichtiger Schritt gegen dieses<br />

selektive Publizieren. Der Beschluss von elf renommierten<br />

Medizinjournalen von 2004, nur noch Studien zu publizieren,<br />

die vor Aufnahme der Patienten öffentlich registriert wurden, 3<br />

hat den Druck <strong>auf</strong> Hersteller und Autoren, ihre Studien in Registern<br />

anzumelden, deutlich erhöht. In den USA müssen inzwischen<br />

alle klinischen Studien zu <strong>Arznei</strong>mitteln registriert<br />

und die Ergebnisse veröffentlicht werden. Die angel<strong>auf</strong>ene Registrierung<br />

von <strong>Arznei</strong>mittelstudien in der europäischen Datenbank<br />

EudraCT erfüllt dagegen lediglich behördliche Bedürfnisse.<br />

Damit „die Vertraulichkeit der Daten gewahrt bleibt<br />

und die legitimen Interessen von Sponsoren geschützt werden”<br />

4 , ist EudraCT bislang nur behördenintern zugänglich. 4,5<br />

Zu<strong>dem</strong> ist „derzeit nicht vorgesehen”, auch die Ergebnisse der<br />

Studien in die Datenbank <strong>auf</strong>zunehmen. 4<br />

Die Verpflichtung zur Registrierung und Veröffentlichung<br />

sämtlicher Studien dürfte den Kenntnisstand deutlich verbessern.<br />

Sie bleibt aber ohne relevanten Einfluss <strong>auf</strong> den Sponsorbias,<br />

die Einflussnahme von Pharmaherstellern <strong>auf</strong> Planung<br />

und Durchführung klinischer Studien, die sie finanzieren. Der<br />

Trend geht von der klassischen aka<strong>dem</strong>ischen Forschung zu<br />

einem komplexen „Ghostmanagement” 6 : Im Extremfall werden<br />

Studien von der Pharmaindustrie konzipiert, von Auftragsforschungsinstituten<br />

ausgeführt und durch Ghostwriter(-<br />

Firmen) geschrieben (vgl. Seite 13, Oseltamivir). Prominente<br />

Aka<strong>dem</strong>iker lassen sich dafür bezahlen, dass sie ihren Namen<br />

als Autor hergeben, ohne nennenswerten Anteil an der Veröffentlichung<br />

zu haben. Schließlich wird die Arbeit über eine


2<br />

Kommunikationsagentur, die vielleicht sogar zu einem wissenschaftlichen<br />

Verlag gehört, in einer namhaften Zeitschrift<br />

untergebracht. 7 Die Bearbeitung firmenfinanzierter Studien<br />

durch solche kommerziellen Einrichtungen scheint in jeder<br />

Beziehung für Firmen kalkulierbarer zu sein als solide aka<strong>dem</strong>ische<br />

Forschung. Die Möglichkeiten verborgener Einflussnahme<br />

<strong>auf</strong> die Ergebnisse sind beträchtlich. Das Ausmaß der<br />

Beteiligung kommerzieller Strukturen sollte nicht unterschätzt<br />

werden: Die systematische Überprüfung von 44 firmenfinanzierten<br />

Studien, die von zwei dänischen Ethikkommissionen<br />

genehmigt worden sind, ergibt bei 33 Veröffentlichungen<br />

(75%) Hinweise <strong>auf</strong> Ghostwriter. Überwiegend handelt es<br />

sich dabei um Statistiker der finanzierenden Firmen. 8<br />

Können wir es uns wirklich leisten, Planung, Durchführung<br />

und Publikation von Studien den Firmen und den von<br />

ihnen finanziell abhängigen Auftragsinstituten und Ghostwritern<br />

zu überlassen? Ist eine medizinische Forschung akzeptabel,<br />

die zwar den formalen, <strong>auf</strong> statistische Signifikanz ausgelegten<br />

Zulassungskriterien genügt und <strong>auf</strong> die Vermarktung<br />

der Firmenprodukte ausgerichtet ist, aber therapeutisch wichtige<br />

Fragestellungen ausklammert, weil diese kommerziell uninteressant<br />

oder sogar unerwünscht sind? Praxisnahe Langzeitstudien<br />

wie etwa die CATIE-Studie zum Vergleich von atypischen<br />

<strong>Neu</strong>roleptika mit einem klassischen Phenothiazin werden<br />

typischerweise herstellerunabhängig finanziert, weil sie<br />

nicht Firmeninteressen entsprechen (a-t 2005; 36: 98-100). So<br />

werden auch die Vergleichsstudien zwischen <strong>dem</strong> extrem teuren<br />

vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor �Ranibizumab<br />

(LUCENTIS, Novartis) und <strong>dem</strong> preiswerteren, jedoch<br />

bei feuchter Makuladegeneration nicht zugelassenen �Bevacizumab<br />

(AVASTIN, Roche) derzeit firmenunabhängig durchgeführt,<br />

weil die beiden finanziell über Aktienbeteiligungen<br />

verknüpften Anbieter Desinteresse signalisieren (a-t 2009; 40:<br />

63-5). Kommerzielle Interessen behindern die Klärung therapeutisch<br />

und ökonomisch relevanter Fragestellungen.<br />

Zahlreiche Untersuchungen belegen die Folgen des Sponsorings<br />

von Studien durch Pharmahersteller, das etwa 70% 9<br />

der Studien betreffen soll. Nach zwei 2003 erschienenen systematischen<br />

Übersichten von Übersichtsarbeiten, die insgesamt<br />

1.140 bzw. 2.269 Studien einbeziehen, fallen herstellergestützte<br />

Studien etwa viermal so häufig zu Gunsten des Prüfpräparates<br />

aus wie Studien mit anderen Geldgebern (a-t 2003; 34: 62-<br />

3). 10,11 Eine Nachfolgeübersicht, die 2.633 Studien der Jahre<br />

2003 bis 2006 einbezieht, geht mit diesem Ergebnis konform. 9<br />

Die Auswertung aller herstellerfinanzierten randomisierten<br />

Studien mit nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) bei<br />

rheumatoider Arthritis, die zwischen September 1987 und Mai<br />

1990 veröffentlicht wurden, veranschaulicht das gute Abschneiden<br />

der Produkte der Sponsoren: 16-mal (29%) sind<br />

diese überlegen und 40-mal (71%) <strong>dem</strong> Vergleichspräparat<br />

gleichwertig. In keiner Studie wirkt das Produkt des Sponsors<br />

jedoch schlechter. 12 Ähnlich <strong>auf</strong>fällig sind Untersuchungen, in<br />

denen atypische <strong>Neu</strong>roleptika direkt miteinander verglichen<br />

werden: Bei paarweisen Vergleichen scheint jeweils die sponsernde<br />

Firma das bessere Mittel anzubieten. So fallen randomisierte<br />

kontrollierte Studien mit Olanzapin (ZYPREXA) versus<br />

Risperidon (RISPERDAL, Generika) zu Gunsten von<br />

Olanzapin aus, wenn Lilly der Sponsor ist (5 von 5 Studien)<br />

und zu Gunsten von Risperidon, wenn Janssen die Studie finanziert<br />

hat (3 von 4 Studien; „<strong>Neu</strong>roleptika-Paradoxon”, a-t<br />

2006; 37: 92). 13<br />

Das Argument, dass Firmen Studien vor allem für solche<br />

<strong>Arznei</strong>mittel finanzieren, von deren besonderem Nutzen sie<br />

überzeugt sind und dies der Grund für die häufig positiven Ergebnisse<br />

für die Produkte des Geldgebers sei, läuft ins Leere,<br />

wenn die gegensätzlichen Ergebnisse direkter Vergleiche jeweils<br />

deutlich mit der Finanzierung assoziiert sind. Offensichtlich<br />

ist nicht das <strong>Arznei</strong>mittel ausschlaggebend, sondern das<br />

Design der Studien, also wie es getestet wird. Und hier gibt es<br />

genügend Stellrädchen, das Ergebnis einer Untersuchung in<br />

die gewünschte Richtung zu lenken (Designbias).<br />

a r z n e i - t e l e g r a m m ® 2010; Jg. 41, Nr. 1<br />

Eine inaktive Vergleichsgruppe beispielsweise (also Plazebo<br />

oder keine Therapie) lässt den Nutzen des Prüfproduktes<br />

automatisch günstiger erscheinen. Wird mit aktiver Therapie<br />

verglichen, sind – wenn überhaupt – weniger eindrucksvolle<br />

Unterschiede zu erwarten. Bei der Sichtung aller randomisierten<br />

Studien, die zwischen 1980 und 2002 zur Behandlung des<br />

multiplen Myeloms veröffentlicht wurden, verwundert es daher<br />

nicht, dass bei 60% der industriegesponserten Studien<br />

(n = 35) inaktive Vergleichsgruppen gewählt werden, aber nur<br />

bei 21% der öffentlich finanzierten Studien (n = 95). 14<br />

Auch die Wahl der Dosis beeinflusst das Ergebnis wesentlich.<br />

Wird das Prüfprodukt in höherer Äquivalenzdosis getestet<br />

als das Vergleichspräparat, schneidet es in puncto Wirksamkeit<br />

tendenziell besser ab. Auch diese Strategie wird systematisch<br />

verfolgt: In 27 (54%) von 50 herstellergesponserten<br />

randomisierten kontrollierten Studien der Jahre 1987 bis 1990<br />

mit NSAR bei rheumatoider Arthritis ist die Dosis des Prüfproduktes<br />

höher als die der Kontrolle, in 21 Studien (42%) in<br />

etwa äquivalent und lediglich in 2 Studien (4%) niedriger. 12<br />

Direkte Manipulationen von Studiendaten kommen nur<br />

gelegentlich an die Öffentlichkeit, am ehesten in Verbindung<br />

mit Gerichtsverfahren in den USA. So beleuchten Gerichtsgutachten<br />

strategische Verfälschungen von Studiendaten zum<br />

Off-label-Gebrauch des Antiepileptikums Gabapentin (NEU-<br />

RONTIN, Generika), den die Firma Pfizer propagiert hatte.<br />

Durch Veränderung des primären Endpunktes bei fünf Studien<br />

sowie Nichtveröffentlichung ungünstiger Daten wird eine<br />

Wirksamkeit von Gabapentin bei Off-label-Indikationen wie<br />

Migräneprophylaxe vorgetäuscht (a-t 2009; 40: 109). 15<br />

Den besten Überblick über die Diskrepanz zwischen den<br />

durchgeführten Studien und <strong>dem</strong> tatsächlich veröffentlichten<br />

Kenntnisstand sollten – neben den Firmen selbst – die Zulassungsbehörden<br />

haben. Aber auch bei den meisten Behörden<br />

verschwinden unveröffentlichte Studien in der Versenkung. In<br />

Deutschland und Europa berufen sie sich <strong>auf</strong> das „Betriebsgeheimnis”<br />

der Hersteller und verweigern auch für wissenschaftliche<br />

Fragestellungen eine Weitergabe nicht veröffentlichter<br />

Studiendaten.<br />

In nur wenigen zugänglichen Arbeiten sind Zulassungsunterlagen<br />

systematisch mit den entsprechenden Veröffentlichungen<br />

abgeglichen worden. 2003 erscheint eine Auswertung<br />

der 42 herstellergesponserten Studien zu fünf selektiven Serotonin-Wieder<strong>auf</strong>nahmehemmern<br />

(SSRI), die der schwedischen<br />

Behörde im Rahmen von Zulassungsanträgen vorgelegt<br />

wurden. Die Arbeit mit der bezeichnenden Überschrift „Evidence<br />

b(i)ased medicine” dokumentiert das Prinzip des selektiven<br />

Veröffentlichens (Publikationsbias): 16 Einerseits erscheinen<br />

Positivstudien mit signifikantem Unterschied des<br />

SSRI zu Plazebo dreimal so häufig als Einzelveröffentlichung –<br />

zum Teil gleich doppelt – wie Studien mit nicht signifikantem<br />

Ergebnis. Andererseits sind vier der insgesamt 21 Negativstudien<br />

gar nicht publiziert und elf lediglich in Sammelveröffentlichungen.<br />

Obwohl alle Arbeiten bei der Behörde mit Intention-to-treat-Analyse<br />

eingereicht werden mussten, fehlt bei<br />

drei Viertel der veröffentlichten Einzelstudien die Darstellung<br />

der Ergebnisse nach dieser im Vergleich zur Per-Protokoll-<br />

Analyse aussagekräftigeren Auswertung, die aber für das Prüfprodukt<br />

meist ungünstiger ausfällt. Die Autoren folgern, dass<br />

„jegliche Empfehlung eines SSRI <strong>auf</strong> der Basis der veröffentlichten<br />

Daten … <strong>auf</strong> einer verzerrten Datenlage” beruht (a-t<br />

2003; 34: 62-3). 16<br />

Dies bestätigt sehr deutlich eine 2008 erschienene Auswertung<br />

der 74 von 1987 bis 2004 bei der amerikanischen <strong>Arznei</strong>mittelbehörde<br />

FDA eingereichten Studien zu zwölf Antidepressiva<br />

(a-t 2008; 39: 22). 17 Die Gesamtheit der bei der Behörde<br />

vorliegenden Studien spiegelt die widersprüchliche Datenlage<br />

für Antidepressiva wider (51% der Studien mit positivem<br />

Ergebnis, 49% negativ oder nicht eindeutig, n = 74; siehe<br />

Abb. Seite 3, linkes Schaubild). Bei Sichtung der veröffentlichten<br />

Antidepressivastudien scheint die Datenlage hingegen eindeutig<br />

positiv zu sein (94% positiv, 6% negativ, n = 51;<br />

Waren-<br />

zeichen in<br />

Österreich<br />

und Schweiz<br />

(Beispiele)<br />

Bevacizumab:<br />

AVASTIN<br />

(A, CH)<br />

Gabapentin:<br />

NEURON-<br />

TIN<br />

(A, CH)<br />

Olanzapin:<br />

ZYPREXA<br />

(A, CH)<br />

Ranibizumab:<br />

LUCENTIS<br />

(A, CH)<br />

Reboxetin:<br />

EDRONAX<br />

(A, CH)<br />

Risperidon:<br />

RISPERDAL<br />

(A, CH)


Waren-<br />

zeichen in<br />

Österreich<br />

und Schweiz<br />

(Beispiele)<br />

Paroxetin:<br />

SEROXAT<br />

(A)<br />

DEROXAT<br />

(CH)<br />

a r z n e i - t e l e g r a m m ® 2010; Jg. 41, Nr. 1<br />

Abbildung: Ausmaß und Folgen von Publikationsbias und<br />

Datenmanipulationen am Beispiel der 74 Studien zu 12 Antidepressiva,<br />

die der amerikanischen Zulassungsbehörde<br />

FDA zwischen 1984 und 2004 eingereicht wurden. Von insgesamt<br />

38 für die Prüfpräparate positiven Studien ist nur eine<br />

nicht veröffentlicht. 36 Studien sind nach Bewertung der FDA<br />

negativ (n = 24) oder nicht eindeutig (n = 12) ausgefallen (siehe<br />

linkes Schaubild). 17 Von diesen sind aber nur 3 veröffentlicht,<br />

22 nicht. 11 wurden vor Veröffentlichung so manipuliert,<br />

dass ein positives Ergebnis vorgetäuscht wird. Die Gesamtschau<br />

der veröffentlichten Daten scheint <strong>auf</strong> diese Weise<br />

eindeutig positiv auszufallen (rechtes Schaubild). Per Datenbankrecherche<br />

finden sich lediglich 51 der Studien. Davon<br />

sind 48 (94%) für das Prüfpräparat positiv (37 tatsächlich positiv,<br />

11 geschönt, was den Veröffentlichungen nicht anzumerken<br />

ist) und lediglich 3 negativ.<br />

Der FDA vorliegende<br />

Studien (n = 74)<br />

51%<br />

(n = 38)<br />

↑1<br />

37<br />

16%<br />

(n = 12)<br />

6<br />

6<br />

32%<br />

(n = 24)<br />

16<br />

positiv fraglich negativ<br />

FDA-Bewertung<br />

5<br />

3<br />

94%<br />

(n = 48)<br />

Tatsächlich<br />

veröffentlichte<br />

Studien (n = 51)<br />

Veröffentlicht, mit<br />

FDA-Bewertung<br />

übereinstimmend<br />

Veröffentlicht, in<br />

Widerspruch zu<br />

FDA-Bewertung<br />

Nicht veröffentlicht<br />

6%<br />

(n = 3)<br />

3<br />

positiv fraglich negativ<br />

Bewertung in den Studien<br />

siehe Abb., rechtes Schaubild). Das Ausmaß unveröffentlicht<br />

gebliebener Studien ist erschreckend. Nach systematischen<br />

Auswertungen scheinen sogar 50% und mehr der abgeschlossenen<br />

Studien unterdrückt zu werden. 18,19<br />

Defizite bestehen auch bei Erfassung und Dokumentation<br />

unerwünschter Wirkungen (UAW) in Studien. Bei der systematischen<br />

Überprüfung von 133 randomisierten kontrollierten<br />

Studien, die 2006 in fünf großen Medizinjournalen veröffentlicht<br />

wurden, fehlen bei 11% der Studien Angaben zu<br />

UAW. 27% geben keine Informationen über die Schwere der<br />

UAW, und bei 32% der Studien werden UAW lediglich eingeschränkt<br />

dargestellt: nur häufige, nur schwere bzw. nur statistisch<br />

signifikante UAW. 20 In der Auswertung wird nicht zwischen<br />

firmen- und öffentlich gesponserten Studien unterschieden.<br />

Verharmlosung und Desinformation sind für uns allerdings<br />

allgegenwärtig, wenn wir bei Herstellern nach unerwünschten<br />

Wirkungen ihrer Produkte fragen (vgl. a-t 2002;<br />

33: 123-4). Anlässlich der <strong>Markt</strong>rücknahme von Rofecoxib<br />

(VIOXX) am 22. Oktober 2004 (a-t 2004; 35: 125-8) schaltet<br />

MSD in großen Tageszeitungen ganzseitige Anzeigen: „MSD<br />

hat Behörden, Ärzte und Apotheker im Interesse des Patientenwohls<br />

stets umgehend informiert. ... Wir leben Verantwortung.”<br />

21 Eine Woche später belegt das Wall Street Journal das<br />

Gegenteil. Es zitiert interne E-Mails, aus denen hervorgeht,<br />

dass die Firma seit Mitte der 1990er Jahre Hinweise <strong>auf</strong> Kardiotoxizität<br />

des Cox-2-Hemmers hatte. 22 Merck & Co. (MSD)<br />

diskutierte intern bereits damals, wie Studien angelegt sein<br />

müssen, damit das kardiovaskuläre Schädigungspotenzial von<br />

Rofecoxib nicht <strong>auf</strong>fällt (a-t 2004; 35: 117-8). Durch Vertuschungsstrategie<br />

ist beispielsweise auch SmithKline Beecham<br />

(heute GlaxoSmithKline) <strong>auf</strong>gefallen. Die Firma wies Mitarbeiter<br />

in einer internen Mitteilung an, Ergebnisse klinischer<br />

Studien, die Wirkungslosigkeit von Paroxetin (SEROXAT, Generika)<br />

bei depressiven Jugendlichen erkennen lassen, nicht<br />

11<br />

37<br />

publik zu machen. Diese seien „kommerziell unakzeptabel”<br />

(a-t 2004; 35: 29-30).<br />

Manipulation und Unterdrückung von firmenfinanzierten<br />

Daten zu erwünschten und unerwünschten Wirkungen von<br />

<strong>Arznei</strong>mitteln haben ein erschreckendes Ausmaß und erschweren<br />

eine realistische Abwägung von Nutzen und Schaden<br />

<strong>auf</strong> der Basis der veröffentlichten Daten. Dies wirkt sich<br />

<strong>auf</strong> Metaanalysen und Leitlinien aus, die überwiegend <strong>auf</strong> der<br />

Grundlage veröffentlichter Studien erarbeitet werden. Ärzte<br />

verordnen nichts ahnend <strong>Arznei</strong>mittel, deren Nutzen nur<br />

vorgetäuscht und deren Verträglichkeit unzureichend gesichert<br />

ist. Therapiefehler sind die Folge – zum Schaden von Patienten<br />

und Gesundheitssystem. Geld wird für nutzlose oder<br />

riskante Produkte verschwendet.<br />

Und nicht zuletzt ist Datenunterdrückung Betrug an den<br />

Studienteilnehmern, die sich für eine Studie zur Verfügung<br />

gestellt und damit auch ein persönliches Risiko <strong>auf</strong> sich genommen<br />

haben, um den medizinischen Erkenntnisfortschritt<br />

zu fördern. Dies stellt die Rechtmäßigkeit der Einwilligungen<br />

zur Teilnahme an den Studien infrage.<br />

� Klinische Studien sind eine Grundvoraussetzung für eine<br />

verlässliche Beurteilung von Nutzen und Schaden von <strong>Arznei</strong>mitteln,<br />

Medizinprodukten und anderen Therapeutika<br />

und therapeutischen Methoden. Aus wissenschaftlicher und<br />

ethischer Sicht muss der öffentliche Zugang zu solchen Daten<br />

selbstverständlich sein und garantiert werden.<br />

� Sponsoring von Studien durch die Hersteller der Prüfprodukte<br />

begünstigt Unterdrückung und Manipulation unliebsamer<br />

Studienergebnisse.<br />

� Die verpflichtende Registrierung vor Studienbeginn in<br />

zentralen Studienregistern ist ein wichtiger Schritt, schützt<br />

jedoch nicht vor den vielfältigen Möglichkeiten der Einflussnahme<br />

der Geldgeber <strong>auf</strong> die Ergebnisse der Untersuchungen.<br />

Der dar<strong>auf</strong> beruhende Bias lässt sich nicht durch methodische<br />

oder statistische Verfahren korrigieren.<br />

� Manipulierte Studien sind weder eine Ausnahmeerscheinung<br />

noch handelt es sich um ein Kavaliersdelikt. Abhilfe ist<br />

ebenso einfach wie unter den derzeitigen Rahmenbedingungen<br />

unrealistisch. Nur eine vollständige Trennung von Forschungsfinanzierung<br />

und Firmengeldern kann Sponsoringbias<br />

und die dar<strong>auf</strong> beruhende Verfälschung wissenschaftlicher<br />

Daten eliminieren. 7<br />

� Die verantwortlichen Firmenmanager und wissenschaftlichen<br />

Autoren sollten für Verfälschung und Unterdrückung<br />

von Daten sowie illegales Marketing persönlich und strafrechtlich<br />

haften, wobei auch Haftstrafen nicht auszuschließen<br />

sind. Denn selbst Strafzahlungen von Firmen in Höhe<br />

von Milliarden Dollar scheinen unethische Vermarktungsstrategien<br />

nicht stoppen zu können.<br />

1 Pfizer: „Pfizer weist IQWiG-Vorwürfe zurück”, Pressemitteilung vom 10.<br />

Juni 2009<br />

2 IQWiG: „Antidepressiva: Nutzen von Reboxetin ist nicht belegt”, Pressemitteilung<br />

vom 24. Nov. 2009; http://www.iqwig.de/index.867.html<br />

3 DeANGELIS, C.D. et al.: JAMA 2004; 292: 1363-4<br />

4 Bundesministerium für Gesundheit, Antwort Kleine Anfrage betreffend<br />

„Verpflichtendes Register zur Veröffentlichung von klinischen Studien”,<br />

BT-Drs 17/163<br />

5 BAHR, D., zit. Nach aerzteblatt.de: „BAHR: Nicht alle klinischen Studien<br />

sollen veröffentlicht werden”, vom 6. Jan. 2010<br />

6 SISMONDO, S.: PLoS Medicine 2007; 4: e286 (5 Seiten)<br />

7 DOUCET, M., SISMONDO, S.: J. Med. Ethics 2008; 34: 627-30<br />

8 GØTZSCHE, P.C. et al.: PLoS Medicine 2007; 4: e19 (6 Seiten)<br />

9 SISMONDO, S.: Contemp. Clin. Trials 2008; 29: 109-13<br />

10 BEKELMAN, J.E. et al.: JAMA 2003; 289: 454-65<br />

11 LEXCHIN, J. et al.: Brit. Med. J. 2003; 326: 1167-76<br />

12 ROCHON, P.A. et al.: Arch. Intern. Med. 1994; 154: 157-63<br />

13 HERES, S. et al.: Am. J. Psychiatry 2006; 163: 185-94<br />

14 DJULBEGOVIC, B. et al.: Lancet 2000; 356: 635-8<br />

15 VEDULA, S.S. et al.: N. Engl. J. Med. 2009; 361: 1963-71<br />

16 MELANDER, H. et al.: BMJ 2003; 326: 1171-5<br />

17 TURNER, E.H. et al.: N. Engl. J. Med. 2008; 358: 252-60<br />

18 DECULLIER, E. et al.: BMJ 2005; 331: 19 (6 Seiten)<br />

19 ANTES, G. et al.: Bundesgesundheitsbl. 2009; 52: 459-62<br />

20 PITROU, I. et al.: Arch. Intern. Med. 2009; 169: 1756-61<br />

21 z.B. Süddtsch. Ztg. vom 22. Okt. 2004<br />

22 Wall Street Journal, 1. Nov. 2004<br />

3


4<br />

<strong>Neu</strong> <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> <strong>Markt</strong><br />

NICHTS WIRKLICH NEUES: �INDACATEROL<br />

(ONBREZ BREEZHALER) BEI COPD<br />

Mit �Indacaterol (ONBREZ BREEZHALER) gelangt ein<br />

weiterer langwirkender Beta2-Rezeptoragonist mit europäischer<br />

Zulassung in den Handel. Anders als Salmeterol (AERO-<br />

MAX, SEREVENT) und Formoterol (OXIS, Generika), die<br />

auch bei Asthma bronchiale zugelassen sind, ist die Indikation<br />

für Indacaterol <strong>auf</strong> die bronchodilatatorische Erhaltungstherapie<br />

bei Patienten mit chronisch obstruktiver Lungenerkrankung<br />

(COPD) beschränkt. 1 Aktuelle Leitlinien 2 empfehlen,<br />

langwirkende Betamimetika bei COPD ab mittlerem Schweregrad<br />

zu erwägen.<br />

EIGENSCHAFTEN: Indacaterol wirkt als relativ spezifischer Agonist<br />

an Beta 2-Rezeptoren. Wie bei anderen Betamimetika kommt es<br />

durch erhöhte Konzentration von zyklischen AMP zu einer Entspannung<br />

der Bronchialmuskulatur und dadurch zur Bronchodilatation. Die Wirkung<br />

setzt nach circa fünf Minuten ein und erreicht ihr Maximum nach<br />

zwei bis vier Stunden. Trotz des raschen Wirkungseintritts ist Indacaterol<br />

nicht zur Notfallmedikation bei akuter Verschlechterung zugelassen. Im<br />

Gegensatz zu den bereits erhältlichen langwirkenden Betamimetika wird<br />

Indacaterol einmal täglich inhaliert. 1<br />

Tagesdosis 1 x täglich 150 μg inhalativ jeweils zur gleichen<br />

Tageszeit, bei Bedarf 1 x täglich 300 μg<br />

Verstoffwechselung Hydroxylierung hauptsächlich über Zytochrom<br />

CYP 3A4, aber auch über andere Isoenzyme,<br />

Glukuronidierung über UGPT1<br />

Ausscheidung Hauptsächlich über den Stuhl: 54% unverändert,<br />

25% als hydroxylierter Metabolit; 2% bis<br />

5% der Gesamtclearance über den Harn<br />

Wechselwirkungen Starke Hemmstoffe von CYP 3A4 wie Ketoconazol<br />

erhöhen die Indacaterol-Spiegel, was jedoch<br />

wegen guter Verträglichkeit von 600 μg/<br />

Tag nicht als Sicherheitsrisiko gilt; Hypokaliämie<br />

in Kombination mit kaliumsenkenden<br />

Mitteln (Diuretika, Theophyllin u.a.)<br />

KLINISCHE WIRKSAMKEIT: Im europäischen Bewertungsbericht<br />

3 (EPAR) werden drei relevante Zulassungsstudien<br />

beschrieben, von denen keine veröffentlicht ist. Die eingeschlossenen<br />

3.809 Patienten sind im Mittel 64 Jahre alt und<br />

leiden zum Großteil an mittelschwerer (51% bis 56%) bis<br />

schwerer (39% bis 43%) COPD mit reversibler oder nichtreversibler<br />

Atemwegsobstruktion. Geprüft wird die Wirksamkeit<br />

von 150 μg bis 600 μg Indacaterol im Vergleich zu Plazebo.<br />

Primärer Endpunkt ist jeweils das forcierte exspiratorische Volumen<br />

in einer Sekunde (FEV1) nach zwölf Wochen.<br />

Nach zwölf Wochen nimmt das FEV1 unter Indacaterol gegenüber<br />

den Ausgangswerten um 150 ml bis 190 ml zu (Ausgangswerte<br />

der FEV1 1.300-1.500 ml), während es unter Plazebo<br />

nahezu unverändert bleibt. Die Unterschiede sind statistisch<br />

signifikant. Der Effekt entspricht im direkten Vergleich<br />

numerisch <strong>dem</strong> von Tiotropium (SPIRIVA), das in einer der<br />

Studien in einem weiteren offenen Behandlungsarm nach randomisierter<br />

Zuteilung inhaliert wurde (statistische Angaben<br />

zur geplanten Nichtunterlegenheitsanalyse fehlen im EPAR).<br />

Auswertungen zur Häufigkeit akuter Verschlechterungen der<br />

COPD sowie zur Lebensqualität (sekundäre Endpunkte) lassen<br />

nur in einem Teil der Behandlungsarme statistisch signifikannte<br />

Vorteile für Indacaterol erkennen, wobei keine klare<br />

Dosis-Wirkungsbeziehung besteht. Zweimal täglich 12 μg Formoterol,<br />

das in einer der Studien in einem zusätzlichen Behandlungsarm<br />

randomisiert und verblindet als Verumvergleich<br />

inhaliert wird, führt zu einer numerisch geringeren Zunahme<br />

des FEV1 als Indacaterol (80 ml versus 190 ml<br />

[300 μg]). 3 Der Unterschied erscheint jedoch klinisch nicht<br />

bedeutsam. Zu<strong>dem</strong> wurde eine statistische Analyse dieses Vergleichs<br />

offenbar weder geplant noch durchgeführt. Ein klinisch<br />

relevanter Vorteil für Indacaterol lässt sich aus diesen<br />

Daten nicht ableiten.<br />

a r z n e i - t e l e g r a m m ® 2010; Jg. 41, Nr. 1<br />

STÖRWIRKUNGEN: Unter Indacaterol kommt es häufiger<br />

als unter Plazebo zu Husten, Muskelkrämpfen, Atemwegsinfekten,<br />

Kopfschmerzen und Durchfällen. Auffällig häufig ist<br />

ein inhalationsbedingter, mehrere Sekunden anhaltender Husten<br />

(6-Monatsdaten: Indacaterol: 17% bis 20%, Plazebo: 2%,<br />

Formoterol 0,9%, Tiotropium 0,8%). 3 Der europäische Bewertungsbericht<br />

weist zu<strong>dem</strong> <strong>auf</strong> gering erhöhte kardiovaskuläre<br />

Störwirkungen hin, ohne jedoch Art und Häufigkeit genauer<br />

zu benennen.<br />

KOSTEN: Mit monatlichen Kosten von 49 € wird Indacaterol<br />

(ONBREZ BREEZHALER; 150 μg/Tag) zwar 14%<br />

bzw. 30% günstiger angeboten als Salmeterol (SEREVENT;<br />

56 € für 100 μg/Tag) oder Tiotropium (SPIRIVA; 69 € für<br />

18 μg/Tag), ist jedoch 10% teurer als das Fomoterol-Original<br />

FORADIL P (44 € für 24 μg/Tag) und fast doppelt so teuer wie<br />

ein günstiges Generikum (z.B. FORMOTEROL-CT; 26 €).<br />

1111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111<br />

INDACATEROL IM KOSTENVERGLEICH (�) Deutschland Österreich<br />

Indacaterol OP Monat* OP Monat*<br />

ONBREZ BREEZHALER Novartis 90 Kps. zu 150 μg 146,45 48,82<br />

30 Kps. zu 150 μg 55,25 55,25 75,95 75,95<br />

Salmeterol<br />

SEREVENT DISKUS GlaxoSK 120 Plv. zu 50 μg 112,98 56,49<br />

60 Plv. zu 50 μg 62,34 62,34 42,80 42,80<br />

Formoterol<br />

FORADIL P Novartis 180 Kps. zu 12 μg 133,20 44,40<br />

FORMOTEROL-CT ct-<strong>Arznei</strong>m. 200 Kps. zu 12 μg 87,37 26,21<br />

FORADIL Novartis 60 Kps. zu 12 μg 43,90 43,90<br />

NOVOLIZER FORMOT. Meda 60 Kps. zu 12 μg 34,75 34,75<br />

Tiotropium<br />

SPIRIVA Boehringer I. 30 Kps. zu 18 μg 69,41 69,41 67,05 67,05<br />

1111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111<br />

* Für täglich 150 μg Indacaterol, 100 μg Salmeterol, 24 μg Formoterol, 18 μg<br />

Tiotropium.<br />

� Mit �Indacaterol (ONBREZ BREEZHALER) ist ein weiteres<br />

langwirkendes Beta2-Mimetikum erhältlich, das jedoch<br />

ausschließlich zur Erhaltungstherapie bei chronisch obstruktiver<br />

Lungenerkrankung (COPD) zugelassen ist.<br />

� Indacaterol führt im Vergleich zu Plazebo zu einer geringen<br />

Besserung der Lungenfunktionsparameter bei Patienten<br />

mit mittelschwerer oder schwerer Erkrankung. Eine relevante<br />

Überlegenheit gegenüber bereits angebotenen langwirkenden<br />

Betamimetika oder <strong>dem</strong> Anticholinergikum Tiotropium<br />

(SPIRIVA) ist nicht ersichtlich.<br />

� Indacaterol wird einmal täglich inhaliert. Allerdings tritt<br />

bei vielen Anwendern inhalationsbedinger Husten <strong>auf</strong>.<br />

� Beim derzeitigen Kenntnisstand sehen wir keinen Stellenwert<br />

für Indacaterol in der Therapie der COPD.<br />

1 Novartis: Fachinformation ONBREZ BREEZHALER, Stand Dez. 2009<br />

2 Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease: Global Strategy for<br />

Diagnosis, Management, and Prevention of COPD, Stand Dez. 2009;<br />

http://www.goldcopd.org<br />

3 EMEA: Europ. Bewertungsbericht (EPAR) ONBREZ BREEZHALER, Stand<br />

Dez. 2009; zu finden unter:<br />

http://www.ema.europa.eu/htms/human/epar/o.htm<br />

Therapiekritik<br />

q* ZWEIFEL AN<br />

DEN DATEN ZU OSELTAMIVIR (TAMIFLU)<br />

Weltweit haben Regierungen den <strong>Neu</strong>raminidasehemmer<br />

Oseltamivir (TAMIFLU) einlagern lassen, der im Falle einer<br />

Grippepan<strong>dem</strong>ie Sekundärkomplikationen der Influenza und<br />

Hospitalisierungen verringern soll. Als wissenschaftliche Basis<br />

für diese Annahmen wird vor allem eine gepoolte Auswertung<br />

von zehn randomisierten Studien herangezogen, deren Autoren<br />

mit Ausnahme des Erstautors KAISER Angestellte oder<br />

bezahlte Berater des Oseltamivir-Anbieters Roche sind. Nach<br />

dieser Analyse reduziert der <strong>Neu</strong>raminidasehemmer Komplikationen<br />

der unteren Atemwege, die mit Antibiotika behan-<br />

* Vorversion am 22. Dezember 2009 als blitz-a-t veröffentlicht.<br />

Fortsetzung <strong>auf</strong> Seite 13<br />

Waren-<br />

zeichen in<br />

Österreich<br />

und Schweiz<br />

(Beispiele)<br />

Formoterol:<br />

FORADIL<br />

(A, CH)<br />

Indacaterol:<br />

ONBREZ<br />

BREEZ-<br />

HALER<br />

(A)<br />

Oseltamivir:<br />

TAMIFLU<br />

(A, CH)<br />

Salmeterol:<br />

SEREVENT<br />

(A, CH)<br />

Tiotropium:<br />

SPIRIVA<br />

(A, CH)


a r z n e i - t e l e g r a m m ® 2010; Jg. 41, Nr. 1<br />

Fortsetzung von Seite 4<br />

Warenzeichen<br />

in<br />

Österreich<br />

und Schweiz<br />

(Beispiele)<br />

Azetylsalizylsäure:<br />

ASPIRIN<br />

(A, CH)<br />

Parazetamol:<br />

MEXALEN<br />

(A)<br />

BENURON<br />

(CH)<br />

delt werden, um 55% und Hospitalisierungen um 59%. 1 Auch<br />

ein 2006 publiziertes Cochrane-Review hatte Oseltamivir bei<br />

ansonsten gesunden Erwachsenen einen positiven Einfluss <strong>auf</strong><br />

Grippekomplikationen bescheinigt und sich dabei <strong>auf</strong> die<br />

KAISER-Analyse gestützt. 2 Dies wurde in einem Kommentar<br />

kritisiert, da acht der zehn eingeschlossenen Studien nicht<br />

vollständig veröffentlicht sind, diese jedoch entscheidend zu<br />

<strong>dem</strong> errechneten Nutzen beitragen. 3 Bei kritischer Überprüfung<br />

der Daten stellt die Cochrane-Gruppe fest, dass durch<br />

das von KAISER gewählte statistische Verfahren ein systematischer<br />

Fehler entstanden ist. Sie bemühen sich daher für eine<br />

eigene Analyse um die individuellen Patientendaten, die sie jedoch<br />

nicht erhalten. Das aktuelle Update des Cochrane-Reviews<br />

berücksichtigt die KAISER-Analyse daher nicht. Ein signifikanter<br />

Einfluss <strong>auf</strong> Influenzakomplikationen lässt sich für<br />

Oseltamivir nun nicht mehr nachweisen (Risk Ratio 0,55; 95%<br />

Konfidenzintervall 0,22-1,35). 4<br />

Die Bemühungen der Cochrane-Arbeitsgruppe, die vom<br />

British Medical Journal und <strong>dem</strong> britischen Fernsehsender<br />

Channel 4 unterstützt werden, bringen allerdings einige Ungereimtheiten<br />

zutage: Die angeschriebenen Autoren der beiden<br />

vollständig publizierten Studien wie auch der Abstracts und<br />

der KAISER-Analyse selbst geben an, sofern sie überhaupt<br />

antworten, die Rohdaten nicht zu haben und verweisen <strong>auf</strong><br />

Roche. Der Erstautor des Abstracts der mit Abstand größten<br />

Studie erklärt sogar, überhaupt nicht in die Studie involviert<br />

gewesen zu sein. 5,6 Beim Vergleich der Namen, die in den<br />

Publikationen genannt werden, mit denen <strong>auf</strong> Unterlagen für<br />

Behörden fallen ebenfalls Widersprüche <strong>auf</strong>. Zu<strong>dem</strong> melden<br />

sich ehemalige Mitarbeiter einer Agentur für medizinische<br />

Kommunikation und geben an, als „Ghostwriter” (siehe Seite<br />

1) unter anderem das Manuskript einer der beiden vollständig<br />

publizierten Oseltamivir-Studien 7 geschrieben zu haben.<br />

Sie sollen von der Marketingabteilung von Roche eine Reihe<br />

von Schlüsselbotschaften erhalten haben, die im Text vorkommen<br />

mussten, beispielsweise zum großen Gesundheitsproblem<br />

Influenza und dass Oseltamivir die Antwort dar<strong>auf</strong><br />

sei. 6<br />

Auffällig ist auch, dass der Anteil der randomisierten Patienten,<br />

bei denen im Verl<strong>auf</strong> tatsächlich Influenza diagnostiziert<br />

wird, in allen Studien mit 46% bis 74% (im Mittel 68%)<br />

erstaunlich hoch ist. Da der Anteil der positiv getesteten Proben<br />

selbst bei hoher Influenzaaktivität üblicherweise nur bei<br />

25% bis 35% liegt, besteht der Verdacht, dass die Einschlusskriterien<br />

strenger waren als in den Publikationen angegeben. 8<br />

Um die Behauptung eines Vorteils von Oseltamivir zu<br />

stützen, überlässt Roche der Cochrane-Gruppe neun Beobachtungsstudien<br />

als Beleg des tatsächlichen („real world”) Effekts.<br />

Das BMJ bittet zwei Statistiker um eine Bewertung. Ihr<br />

Fazit: Von einem realistischen Szenario könne nicht die Rede<br />

sein, da auch bei diesen Untersuchungen strenge Einschlusskriterien<br />

bestanden. Trotz teilweise beträchtlicher methodischer<br />

Mängel ließen die Studien die Schlussfolgerung zu, dass<br />

Oseltamivir Sekundärkomplikationen einer Influenza bei ansonsten<br />

gesunden Erwachsenen reduzieren könnte. Der absolute<br />

Nutzen für die Anwender sei jedoch sehr klein und klinisch<br />

vermutlich ohne Bedeutung. 9<br />

Die beiden Statistiker kritisieren, dass trotz breiter Anwendung<br />

des <strong>Neu</strong>raminidasehemmers nur in einer der überlassenen<br />

epi<strong>dem</strong>iologischen Studien explizit dessen Sicherheit untersucht<br />

wird. Fragen tauchen zu<strong>dem</strong> auch bei den Daten zu<br />

potenziellen Störwirkungen von Oseltamivir <strong>auf</strong>: Während die<br />

US-amerikanische <strong>Arznei</strong>mittelbehörde FDA zwischen 1999<br />

und 2007 insgesamt 1.805 Verdachtsberichte aus aller Welt zu<br />

unerwünschten Effekten dokumentiert, finden sich in der Datenbank<br />

von Roche allein zu neuropsychiatrischen Störwirkungen<br />

im gleichen Zeitraum 2.466 Berichte, von denen 562<br />

(23%) als schwerwiegend eingestuft werden. 8 Aus den FDA-<br />

Daten geht hervor, dass bei unter 20-Jährigen neuropsychiatrische<br />

Effekte wie Verhaltens<strong>auf</strong>fälligkeiten oder Halluzinationen<br />

häufiger berichtet werden als aus der klinischen Erpro-<br />

13<br />

bung bekannte Störwirkungen wie Durchfall, Übelkeit oder<br />

Erbrechen, nicht jedoch bei älteren Anwendern. Nach Schätzungen<br />

aus Japan könnten 3% der Kinder unter Oseltamivir<br />

Verhaltens<strong>auf</strong>fälligkeiten entwickeln. Wenn <strong>dem</strong> so ist, bleibt<br />

die Frage, warum diese Störwirkung in Zulassungsstudien<br />

nicht <strong>auf</strong>gefallen ist. 10<br />

Roche betont, den Zulassungsbehörden die in der KAI-<br />

SER-Analyse ausgewerteten Studien überlassen zu haben. Diese<br />

bewerten den Nutzen von Oseltamivir jedoch sehr unterschiedlich:<br />

In Europa wird <strong>dem</strong> <strong>Neu</strong>raminidasehemmer zumindest<br />

bei ansonsten gesunden Erwachsenen, um die es in<br />

<strong>dem</strong> Cochrane-Review und der Auseinandersetzung mit<br />

Roche in erster Linie geht, eine Verringerung von Sekundärerkrankungen<br />

der unteren Atemwege, die mit Antibiotika behandelt<br />

werden, zugestanden. 11 In der US-amerikanischen<br />

Produktinformation wird dagegen ausdrücklich dar<strong>auf</strong> hingewiesen,<br />

dass nicht belegt ist, dass Oseltamivir bakterielle Komplikationen<br />

einer Influenza verhindert. 12 Auch die Informationspolitik<br />

des Herstellers richtet sich offenbar nach <strong>dem</strong><br />

Land, für das die Botschaften bestimmt sind: Auf der globalen<br />

Webseite von Roche wird der Nutzen hinsichtlich einer Reduktion<br />

antibiotisch behandelter Atemwegsinfekte und Hospitalisierungen<br />

unter Verweis <strong>auf</strong> die KAISER-Analyse hervorgehoben.<br />

13 Auf einer „ausschließlich für US-amerikanische<br />

Besucher” bestimmten Internetseite heißt es dagegen, dass<br />

nicht nachgewiesen sei, dass der <strong>Neu</strong>raminidasehemmer einen<br />

positiven Einfluss <strong>auf</strong> chronische oder akute respiratorische<br />

Erkrankungen einschließlich Pneumonien, Hospitalisierungen<br />

oder Influenza-assoziierte Todesfälle hat. 14 Im Hinblick <strong>auf</strong><br />

Risikopatienten, also Personen mit chronischen respiratorischen<br />

und/oder kardialen Vorerkrankungen sind sich die Zulassungsbehörden<br />

dagegen offenbar einig: Für diese ist ein<br />

Nutzen von Oseltamivir bei Sekundärkomplikationen der Influenza<br />

nicht nachgewiesen. 11,12 Dies gilt übrigens auch für<br />

Immunsupprimierte. 12<br />

Gesundheitsbehörden mit Beratungsfunktion für Patienten<br />

und Fachkreise schätzen den Nutzen von Oseltamivir<br />

deutlich positiver ein: So behauptet das Robert Koch-Institut<br />

seit Jahren unverdrossen, dass <strong>Neu</strong>raminidasehemmer „einen<br />

statistisch signifikanten Schutz vor Hospitalisierung und tödlichem<br />

Verl<strong>auf</strong>” gewähren, 15 obwohl die <strong>auf</strong> Anfrage als Beleg<br />

angeführten Quellen mehr als dürftig sind (a-t 2006; 37: 51).<br />

Auch die US-amerikanischen Centers for Disease Control and<br />

Prevention (CDC) attestieren Oseltamivir, anders als die FDA,<br />

einen Einfluss <strong>auf</strong> Grippekomplikationen und berufen sich dabei<br />

<strong>auf</strong> die KAISER-Analyse. 16<br />

� Die wissenschaftliche Basis für die Erwartung, dass Oseltamivir<br />

(TAMIFLU) Sekundärkomplikationen einer Influenza<br />

und Hospitalisierungen verringert, lässt sich nicht halten:<br />

Zweifel bestehen sowohl <strong>auf</strong> Ebene der einzelnen, überwiegend<br />

nicht vollständig veröffentlichten Studien als auch<br />

hinsichtlich einer gemeinsamen Auswertung dieser Daten.<br />

Auch die US-amerikanische <strong>Arznei</strong>mittelbehörde FDA sieht<br />

keine Belege für einen Schutz vor Grippekomplikationen<br />

durch Oseltamivir – weder für Gesunde noch für chronisch<br />

Kranke oder Immunsupprimierte.<br />

� Als nachgewiesener Nutzen des <strong>Neu</strong>raminidasehemmers<br />

bleibt derzeit nur die klinisch wenig relevante Verkürzung<br />

der Krankheitsdauer bei Gesunden um etwa einen Tag. Ob<br />

Oseltamivir hier aber Vorteile gegenüber einer symptomatischen<br />

Behandlung mit NSAR wie Azetylsalizylsäure (ASPI-<br />

RIN, Generika) oder Parazetamol (BEN-U-RON, Generika)<br />

bietet, ist nicht untersucht. 8<br />

� Für Personen ab 65 Jahren und Patienten mit chronischen<br />

kardialen und/oder respiratorischen Vorerkrankungen<br />

sowie Kinder mit Asthma lässt sich nicht einmal ein Einfluss<br />

<strong>auf</strong> die Krankheitsdauer sichern (a-t 2005; 36: 62-3). 11<br />

� Die offenen Fragen zum Nutzen und zu den potenziellen<br />

Risiken von Oseltamivir machen erneut deutlich, wie wichtig<br />

es ist, dass Studien zentral registriert und nach Abschluss<br />

veröffentlicht werden (siehe Seite 1).


14<br />

� Wie bei den Impfstoffen gegen Schweinegrippe wird<br />

klar, dass an Bestellung und Einlagerung von <strong>Arznei</strong>mitteln,<br />

die der öffentlichen Gesundheit dienen sollen, besondere<br />

Maßstäbe an die Absicherung von Nutzen und Schaden anzulegen<br />

sind. Hersteller und Behörden stehen in der Pflicht,<br />

die Nutzenbelege offenzulegen und die Öffentlichkeit nicht<br />

mit Meinungen von Experten abzuspeisen.<br />

(M = Metaanalyse, R = randomisierte Studie)<br />

M 1 KAISER, L. et al.: Arch. Intern. Med. 2003; 163: 1667-72<br />

M 2 JEFFERSON, T. et al.: <strong>Neu</strong>raminidase inhibitors for preventing and treating<br />

influenza in healthy adults. The Cochrane Database of Systematic Reviews<br />

2009, Issue 4; Stand Mai 2008<br />

3 HAYASHI, K., in JEFFERSON, T. et al.: BMJ 2009; 339: b5106<br />

M 4 JEFFERSON, T. et al.: BMJ 2009; 339: b5106 (8 Seiten)<br />

5 GODLEE, F., CLARKE, M.: BMJ 2009; 339: b5351 (2 Seiten)<br />

6 COHEN, D.: BMJ 2009; 339: b5387 (6 Seiten)<br />

R 7 NICHOLSON, K.G. et al.: Lancet 2000; 355: 1845-50<br />

8 DOSHI, P.: BMJ 2009; 339: b5164 (4 Seiten)<br />

9 FREEMANTLE, N., CALVERT, M.: BMJ 2009; 339: b5248 (3 Seiten)<br />

10 JEFFERSON, T. et al.: Lancet 2009; 374: 1312-3<br />

11 Emea: Europ. Produktinformation TAMIFLU, Stand 23. Okt. 2009, zu<br />

finden unter http://www.ema.europa.eu/humandocs/Humans/EPAR/<br />

tamiflu/tamiflu.htm<br />

12 Roche: US-amerik. Produktinformation TAMIFLU, Stand Aug. 2008<br />

13 Roche: TAMIFLU Media Briefing; 7. Sept. 2009, zu finden unter<br />

http://www.roche.com<br />

14 Roche: http://www.tamiflu.com/hcp/influenza/impact.aspx<br />

15 RKI: Merkblätter für Ärzte – Influenza, Stand Dez. 2009<br />

16 Centers for Disease Control and Prevention: Prevention and Control of<br />

Influenza. MMWR 2008; 57: RR-7<br />

Korrespondenz<br />

COENZYM Q10: ZUSATZ<br />

BEI STATINTHERAPIE ERFORDERLICH?<br />

Eine hiesige Apotheke wendet sich gezielt an die Kunden, die mit einem<br />

CSE-Hemmer behandelt werden. In – für mein Empfinden – ziemlich<br />

dramatischer Weise wird <strong>auf</strong> spezielle Nebenwirkungen der Statintherapie<br />

hingewiesen, insbesondere <strong>auf</strong> einen Statin-induzierten Mangel<br />

an Coenzym Q10, der die körperliche Integrität bedroht. Parallel wird<br />

bezeichnenderweise ein entsprechendes Substitutionspräparat beworben.<br />

Ein Zusammenhang zwischen Statintherapie und <strong>dem</strong> Vorhandensein<br />

von Q10 besteht meines Wissens. Die Frage ist, ob dieser möglichen<br />

Nebenwirkung oder Interaktion eine klinische Bedeutung zukommt. Einige<br />

meiner Patienten haben unter <strong>dem</strong> Eindruck der Apothekeninformation<br />

ihren Cholesterinsenker abgesetzt.<br />

NN (Name und Anschrift der Redaktion bekannt)<br />

Interessenkonflikt: keiner<br />

Der morbiditäts- und mortalitätssenkende Nutzen von<br />

CSE-Hemmern wie Simvastatin (ZOCOR, Generika) oder<br />

Pravastatin (PRAVASIN, Generika) in der Sekundärprävention<br />

atherosklerotischer Erkrankungen ist durch mehrere randomisierte<br />

kontrollierte Langzeitstudien belegt (vgl. a-t 2004;<br />

35: 56-60). Unter der Einnahme werden jedoch verschiedene<br />

myopathische Beschwerden beobachtet, die von häufigen<br />

leichten Muskelschmerzen bis hin zu sehr seltenen potenziell<br />

tödlichen Rhabdomyolysen reichen. Wie Statine Muskelschäden<br />

verursachen, ist unklar. Einer der diskutierten Theorien<br />

zufolge könnten sie über eine Verringerung intramuskulärer<br />

Coenzym-Q10-Spiegel eine mitochondriale Fehlfunktion hervorrufen.<br />

1,2<br />

CSE-Hemmer blockieren ein Schlüsselenzym der Cholesterinsynthese,<br />

die HMG-CoA-Reduktase (vgl. a-t 2009; 40: 17-<br />

8). Damit hemmen sie jedoch gleichzeitig die Produktion von<br />

Coenzym Q10, da beide aus einer gemeinsamen Vorstufe gebildet<br />

werden. 1,2 Das auch als Ubichinon (von lateinisch<br />

ubique = überall) bezeichnete Coenzym wird im Prinzip in allen<br />

lebenden Zellen synthetisiert und findet sich in der Nahrung<br />

vor allem in Leber, öligem Fisch, Hülsenfrüchten, Nüssen<br />

und verschiedenen pflanzlichen Ölen. Ein behandlungsbedürftiger<br />

Mangel bzw. daraus resultierende Mangelerscheinungen<br />

sind nicht bekannt. Ubichinone sind an der Atmungskette<br />

beteiligt, in der Adenosintriphosphat (ATP) als intrazellulärer<br />

Energielieferant gebildet wird. 3 Bei höher entwi-<br />

a r z n e i - t e l e g r a m m ® 2010; Jg. 41, Nr. 1<br />

ckelten Lebewesen findet dieser Prozess in den Mitochondrien<br />

statt.<br />

In vielen, wenn auch nicht allen epi<strong>dem</strong>iologischen wie<br />

auch randomisierten Studien lässt sich unter Statinen eine Abnahme<br />

der Q10-Plasmaspiegel um bis zu 50% nachweisen. 2<br />

Dies wird in erster Linie <strong>auf</strong> die statininduzierte LDL-Senkung<br />

zurückgeführt, <strong>dem</strong> wichtigsten Transportprotein von Coenzym<br />

Q10 im Blut. 1,2 Weniger klar ist, wie sich CSE-Hemmer<br />

<strong>auf</strong> die Coenzym-Q10-Konzentration in Skelettmuskelzellen<br />

auswirken: In zwei kleinen unkontrollierten Studien steigen<br />

die intramuskulären Spiegel unter täglich 20 mg Simvastatin<br />

sogar signifikant bzw. numerisch an. 1,2 In einem achtwöchigen<br />

randomisierten Vergleich von hochdosiertem Atorvastatin<br />

(SORTIS, 40 mg täglich) oder Simvastatin (täglich 80 mg) mit<br />

Plazebo bei 48 Patienten mit Hypercholesterinämie nehmen<br />

zwar die Coenzym-Q10-Plasmaspiegel unter beiden Statinen<br />

ab. Eine Senkung der intramuskulären Konzentration des Coenzyms<br />

in den unteren als normal definierten Bereich lässt<br />

sich jedoch nur für Simvastatin nachweisen. Da die Funktion<br />

der Mitochondrien per se nicht beeinträchtigt ist, halten die<br />

Autoren es für möglich, dass der verminderte Q10-Gehalt der<br />

Muskelzellen Folge einer Abnahme von Zahl oder Volumen<br />

der Mitochondrien ist und nicht, wie häufig angenommen,<br />

Ursache einer mitochondrialen Fehlfunktion. 4 Noch spärlicher<br />

sind die Daten bei Patienten mit Statin-assoziierter Myopathie:<br />

In einer Untersuchung unterscheiden sich die durchschnittlichen<br />

Muskel-Coenzym-Q10-Spiegel der 18 Betroffenen<br />

nicht von denen einer nicht näher beschriebenen Kontrollgruppe<br />

(n = 118). Zu<strong>dem</strong> findet sich keine Korrelation<br />

zwischen intramuskulärem Spiegel des Coenzyms und der<br />

Muskelstruktur. 5<br />

Statin-assoziierte erniedrigte Blutspiegel von Coenzym<br />

Q10 steigen unter der Einnahme entsprechender Nahrungsergänzungsmittel<br />

wieder an. 1,2 Daten zum Einfluss <strong>auf</strong> myopathische<br />

Beschwerden sind jedoch spärlich und widersprüchlich:<br />

In einem vierwöchigen randomisierten doppelblinden<br />

Vergleich mit insgesamt 32 Patienten nehmen Schmerzintensität<br />

und dadurch bedingte Einschränkung täglicher Aktivitäten<br />

unter 100 mg Coenzym Q10 signifikant ab, nicht jedoch<br />

unter 400 E Vitamin E. 6 Eine mit 44 Teilnehmern kaum größere,<br />

aber immerhin plazebokontrollierte zwölfwöchige Studie<br />

kommt hingegen zu negativem Ergebnis. 7 In internationalen<br />

Leitlinien wird die Einnahme von Coenzym Q10 wegen der<br />

unzureichenden Datenlage nicht empfohlen. 8,9<br />

Die Anwendung der als Nahrungsergänzungsmittel angebotenen<br />

Substanz ist nicht ohne Risiken: Im Rahmen klinischer<br />

Studien wurden unter Dosierungen zwischen 50 mg und<br />

300 mg pro Tag gastrointestinale Störwirkungen, Anstieg von<br />

Laktatdehydrogenase oder GOT sowie bei Sportlern nach<br />

mehreren Tagen intensiven Trainings eine erhöhte Aktivität<br />

der Plasma-Kreatinkinase als möglicher Hinweis <strong>auf</strong> Zellschädigungen<br />

beobachtet. 3 Beschrieben sind zu<strong>dem</strong> Interaktionen<br />

mit <strong>dem</strong> oralen Antikoagulanz Warfarin (COUMADIN, a-t<br />

1994; Nr. 12: 120). Langzeitstudien zu etwaigen chronischen<br />

Effekten von Coenzym Q10 fehlen. Das damalige Bundesinstitut<br />

für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin<br />

(BgVV) hat 2001 Verträglichkeit und mögliche Risiken<br />

als „nicht ausreichend untersucht” eingestuft. 3<br />

� Ein klinischer relevanter Einfluss von CSE-Hemmern <strong>auf</strong><br />

die Q10-Konzentrationen im Blut und in Muskelzellen lässt<br />

sich in den bislang vorliegenden Studien nicht erkennen.<br />

Daten zum Nutzen des Coenzyms bei Statin-assoziierter<br />

Myopathie sind spärlich und widersprüchlich.<br />

� Insgesamt ist ein behandlungsbedürftiger Mangel an Coenzym<br />

Q10 nicht bekannt. Potenzielle Anwendungsrisiken<br />

sind unzureichend untersucht.<br />

� Wir raten von der Einnahme der als Nahrungsergänzung<br />

angebotenen Substanz ab. Keinesfalls sollten CSE-Hemmer,<br />

deren morbiditäts- und mortalitätssenkender Nutzen in der<br />

Sekundärprävention atherosklerotischer Erkrankungen ge-<br />

Waren-<br />

zeichen in<br />

Österreich<br />

und Schweiz<br />

(Beispiele)<br />

Atorvastatin:<br />

SORTIS<br />

(A, CH)<br />

Pravastatin:<br />

PANCHOL<br />

(A)<br />

MEVALO-<br />

TIN<br />

(CH)<br />

Simvastatin:<br />

ZOCORD<br />

(A)<br />

ZOCOR<br />

(CH)


Waren-<br />

zeichen in<br />

Österreich<br />

und Schweiz<br />

(Beispiele)<br />

Chitosan:<br />

FORMO-<br />

LINE L112<br />

(CH)<br />

Ginkgo<br />

biloba:<br />

TEBONIN<br />

(A)<br />

TEBOKAN<br />

(CH)<br />

Phenobarbital:<br />

LUMINAL<br />

(CH)<br />

Tolperison:<br />

MYDO-<br />

CALM<br />

(A, CH)<br />

Valproinsäure:<br />

CONVU-<br />

LEX<br />

(A, CH)<br />

a r z n e i - t e l e g r a m m ® 2010; Jg. 41, Nr. 1<br />

sichert ist, wegen einer allenfalls hypothetisch relevanten<br />

Beeinflussung der Coenzym-Q10-Spiegel abgesetzt werden.<br />

(R = randomisierte Studie)<br />

1 SCHAARS, C.F., STALENHOEF, A.F.H.: Curr. Opin. Lipidol. 2008; 19:<br />

553-7<br />

2 MARCOFF, L., THOMPSON, P.D.: J. Am. Coll. Cardiol. 2007; 49: 2231-7<br />

3 BgVV: Ernährungsmedizinische Beurteilung von Werbeaussagen zu<br />

Coenzym Q10; Stellungnahme vom 20. Apr. 2001<br />

R 4 PÄIVÄ, C. et al.: Clin. Pharmacol. Ther. 2005; 78: 60-8<br />

5 LAMPERTI, C. et al.: Arch. <strong>Neu</strong>rol. 2005; 62: 1709-12<br />

R 6 CASO, G. et al.: Am. J. Cardiol. 2007; 99: 1409-12<br />

R 7 YOUNG, J.M.: et al.: Am. J. Cardiol. 2007; 100: 1400-3<br />

8 McKENNEY, J.M. et al.: Am. J. Cardiol. 2006; 97 (Suppl): 89C-94C<br />

9 PASTERNAK, R.C. et al.: Circulation 2002; 106: 1024-8<br />

DRASTISCHE PREISSTEIGERUNGEN<br />

BEI SAISONALEN GRIPPEIMPFSTOFFEN<br />

Neben <strong>dem</strong> Thema der „Schweinegrippe” gerät die „normale saisonale”<br />

Grippe fast in Vergessenheit. Die Preise der Impfstoffe aus früheren<br />

Jahren sind jedoch nicht vergessen. Sie unterliegen einer bemerkenswerten<br />

Inflation. So kosten beispielsweise 10 Injektionen GRIPPE-IMPF-<br />

STOFF RATIOPHARM der Saison*:<br />

2005/06 91,39 € 2006/07 100,53 € 2007/08 138,34 €<br />

2008/09 161,02 € 2009/10 172,50 €<br />

Die Preisinflation vom Jahrgang 2005/06 <strong>auf</strong> 2009/10 beträgt 89%.<br />

In der übrigen Wirtschaft (z.B. Automobil- oder Elektroindustrie) wäre<br />

ein fast 90%iger Preisanstieg über vier Jahre der Tod der Branche, nicht<br />

aber im Pharmabereich, in <strong>dem</strong> überwiegend die Solidargemeinschaft<br />

bezahlt. An den Preisen für Hühnereier, <strong>auf</strong> denen der Impfstoff gezüchtet<br />

wird, kann es doch nicht liegen?<br />

W. WILMS (Fachapotheker für <strong>Arznei</strong>mittelinformation)<br />

D-52074 Aachen<br />

Interessenkonflikt: keiner<br />

Kurz und bündig<br />

Ginkgo-biloba-Extrakt (TEBONIN u.a.) ohne Effekt<br />

<strong>auf</strong> nachlassende geistige Funktionen: Seit Jahrzehnten<br />

versuchen Senioren, angeregt von Versprechungen wie „TE-<br />

BONIN gibt Ihrem Gehirn neue Energie”, „wirkt direkt <strong>auf</strong><br />

die ,Kraftwerke’ der Zellen” (Schwabe GmbH: So wirkt TE-<br />

BONIN; http://www.schwabe.de/schwabe/<strong>Arznei</strong>mittel/<br />

Tebonin/Wirkung.php), ihre geistige Leistungsfähigkeit mit<br />

Ginkgo biloba zu verbessern. Der Extrakt (240 mg/Tag) hat<br />

jedoch bei gesunden Älteren und jenen mit leichten kognitiven<br />

Einschränkungen im Vergleich zu Plazebo keinen präventiven<br />

Nutzen im Hinblick <strong>auf</strong> die Entwicklung einer Demenz.<br />

Dies ist das Resultat der sechsjährigen, aus öffentlichen<br />

Mitteln finanzierten GEM**-Studie mit mehr als 3.000<br />

Senioren, die bei Studieneinschluss im Mittel 79 Jahre alt<br />

waren (a-t 2009; 40: 29-30; DeKOSKY, S.T. et al.: JAMA 2008;<br />

300: 2253-62). In sekundären Analysen der GEM-Studie wird<br />

jetzt geprüft, ob sich der Extrakt dennoch beispielsweise kurz-<br />

oder mittelfristig positiv <strong>auf</strong> mentale Fähigkeiten wie das<br />

Gedächtnis auswirkt. Aber auch hier erweist sich Ginkgo als<br />

nicht wirksam – weder <strong>auf</strong> die kognitiven Fähigkeiten<br />

insgesamt noch hinsichtlich einzelner Funktionen. Die geistige<br />

Leistungsfähigkeit im Zusammenhang mit normalem Altern<br />

wird genauso wenig positiv beeinflusst wie jene bei Senioren<br />

mit bereits bestehenden leichten kognitiven Einschränkungen.<br />

Für ältere Anwender mit kardiovaskulären Vorerkrankungen<br />

könnte der Ginkgo-biloba-Extrakt nach einer explorativen<br />

Auswertung sogar ein erhöhtes Demenzrisiko bedeuten. Hämorrhagische<br />

Schlaganfälle kommen bei Ginkgo-Anwendern<br />

in dieser Studie doppelt so häufig vor wie unter Plazebo (1,0%<br />

vs. 0,5%; SNITZ, B.E. et al.: JAMA 2009; 302: 2663-70). Aufgrund<br />

der inkonsistenten Daten sehen wir auch in der Therapie<br />

der Demenz keine überzeugenden Belege für einen Nutzen<br />

von Ginkgo-biloba-Extrakt. Wir raten von der Einnahme ab,<br />

–Red.<br />

* Preise lt. Apotheken-„Lauertaxe” vom 1. Jan. 2010<br />

** GEM: Ginkgo Evaluation of Memory<br />

Netzwerk aktuell<br />

15<br />

Vasculitis allergica unter Tolperison (MYDOCALM, VI-<br />

VEO, Generika): Wegen Spastik des linken Armes nach einem<br />

mehrere Jahre zurückliegenden Schlaganfall erhält eine 85jährige<br />

Frau das Muskelrelaxans Tolperison (VIVEO). Nach<br />

dreitägiger Einnahme entwickelt sich eine blasenbildende<br />

nekrotisierende Vasculitis allergica, die drei Monate später<br />

noch nicht vollständig abgeheilt ist (NETZWERK-Bericht<br />

15.336). Dem Bundesinstitut für <strong>Arznei</strong>mittel und Medizinprodukte<br />

(BfArM) liegen zu Tolperison drei Berichte über eine<br />

auch als Vasculitis allergica bezeichnete leukozytoklastische<br />

Vaskulitis vor, darüber hinaus je ein Bericht über toxische epidermale<br />

Nekrolyse und STEVENS-JOHNSON-Syndrom<br />

(Schreiben des BfArM vom 1. Dez. 2009). Schwere allergische<br />

Reaktionen unter Tolperison sind bekannt (a-t 2004; 35: 51).<br />

Hinweise <strong>auf</strong> Vaskulitiden oder schwere bullöse Hautreaktionen<br />

fehlen in den aktuellen Fachinformationen von Tolperisonpräparaten<br />

wie MYDOCALM oder VIVEO (Strathmann:<br />

Fachinformation MYDOCALM, Stand Nov. 2008; Orion<br />

Pharma: Fachinformation VIVEO, Stand Mai 2008). In Bezug<br />

<strong>auf</strong> das in Ungarn zugelassene Tolperisonpräparat MYDERI-<br />

SON stellt die Europäische <strong>Arznei</strong>mittelbehörde EMEA (jetzt<br />

EMA genannt) im Oktober 2009 fest, dass die Vorteile nicht<br />

die Risiken <strong>auf</strong>wiegen. Die Behörde lehnt daher eine Zulassung<br />

in weiteren Ländern ab und empfiehlt die Rücknahme<br />

der Zulassung in den Ländern, in denen sie bereits erfolgt ist<br />

(EMEA: Monthly report from the CHMP October meeting,<br />

30. Okt. 2009; zu finden unter http://www.ema.europa.eu/<br />

whatsnew/oct09.htm). Auf unsere Anfrage nach Belegen der<br />

Wirksamkeit überlässt uns der VIVEO-Hersteller Orion Pharma<br />

eine Beobachtungsstudie mit 28 Patienten und Übersichten<br />

ohne Aussagekraft (Orion Pharma: Schreiben vom<br />

22. Dez. 2009). Vom MYDOCALM-Hersteller Strathmann<br />

erhalten wir trotz mehrfacher Anfragen gar keine Studien. Wir<br />

raten von der Anwendung ab, –Red.<br />

Nebenwirkungen<br />

BEDROHLICHE INTERAKTIONEN<br />

MIT CHITOSAN (FORMOLINE L112 U.A.)<br />

Das als Schlankheitsmittel beworbene Medizinprodukt<br />

Chitosan (FORMOLINE L112 u.a.), auch als Poliglusam bezeichnet,<br />

ist ein Polymer, das Nahrungsfette im Verdauungstrakt<br />

binden und deren Absorption reduzieren soll. Interaktionen<br />

mit lipophilen <strong>Arznei</strong>mitteln sind daher zu erwarten, jedoch<br />

unzureichend untersucht.<br />

Italienische Ärzte berichten aktuell über zwei 29 bzw. 35<br />

Jahre alte Frauen mit Epilepsie, die seit mehreren Jahren unter<br />

Valproinsäure (ORFIRIL, Generika) bzw. Valproinsäure plus<br />

Phenobarbital (LUMINAL u.a.) anfallsfrei sind. 1 Sie beginnen<br />

mit der Einnahme von Chitosan, um ihr Körpergewicht zu<br />

senken. Gewichtszunahme ist als sehr häufige Folge der Einnahme<br />

von Valproinsäure bekannt. 2 Innerhalb weniger Tage<br />

nach Einnahme von täglich 1 g bzw. 0,5 g Chitosan treten epileptische<br />

Anfälle <strong>auf</strong>, bei einer Anwenderin auch nach Reexposition.<br />

1 Obwohl beide Valproinsäure vorschriftsmäßig einnehmen,<br />

ist diese im Blut nicht nachweisbar. Die Autoren vermuten,<br />

dass das lipophile Antiepileptikum an Chitosan gebunden<br />

oder dass der enterohepatische Kreisl<strong>auf</strong> von Valproinsäure<br />

über eine Beeinflussung der Darmflora durch das Polymer<br />

gestört wird. 1 Dem Bundesinstitut für <strong>Arznei</strong>mittel und<br />

Medizinprodukte liegt darüber hinaus eine Verdachtsmeldung<br />

aus Japan zu einer 19-jährigen Frau vor, in der die gleiche Interaktion<br />

mitgeteilt wird. 3<br />

In den Gebrauchsinformationen von Chitosan (z.B. von<br />

FORMOLINE L112) wird dar<strong>auf</strong> hingewiesen, dass das Polymer<br />

die Aufnahme fettlöslicher Wirkstoffe vermindern kann.


16<br />

<strong>Arznei</strong>mittel und fettlösliche Vitamine sollen deshalb mindestens<br />

vier Stunden vor oder nach Chitosan eingenommen werden.<br />

4 Diese Vorsichtsmaßnahme scheint jedoch nicht auszureichen.<br />

Zumindest für eine der Frauen wird bestätigt, dass sie<br />

dieses Intervall eingehalten hat. 5<br />

In einem weiteren Bericht über einen 83-jährigen Mann<br />

mit zuvor konstanter INR von 2,0 bis 3,0 unter täglich 2,5 mg<br />

Warfarin (COUMADIN) steigt diese unter Einnahme von<br />

zweimal täglich 1,2 g Chitosan <strong>auf</strong> über 9, reproduzierbar<br />

nach erneuter Einnahme. Die Autoren halten eine Interaktion<br />

<strong>auf</strong>grund einer Chitosan-bedingten verminderten Aufnahme<br />

des fettlöslichen Vitamin K für wahrscheinlich. 6<br />

Die Einstufung als Medizinprodukt (a-t 2002; 33: 3-4) und<br />

der Vertrieb auch in Nahrungsergänzungsmitteln können dazu<br />

beitragen, dass Patienten keine Wechselwirkungen vermuten<br />

und die Verwendung von Chitosan ihren Ärzten nicht berichten.<br />

Der Nutzen des Mittels ist unzureichend belegt: In einer<br />

Metaanalyse 15 randomisierter Studien mit 1.219 adipösen<br />

oder übergewichtigen Teilnehmern, die vier bis maximal 24<br />

Wochen lang Chitosan oder Plazebo einnehmen, wird nur ein<br />

geringer Effekt von Chitosan <strong>auf</strong> das Gewicht (-1,7 kg; 95%<br />

Konfidenzintervall [CI] -2,1 kg bis -1,3 kg) errechnet. Bei Beschränkung<br />

<strong>auf</strong> qualitativ höherwertige und größere Studien<br />

sowie <strong>auf</strong> solche mit längerer Therapiedauer ist der Effekt<br />

noch kleiner (im Mittel -0,55 kg bis -0,81 kg). 7<br />

� Das als Schlankheitsmittel angebotene Chitosan (FOR-<br />

MOLINE L112 u.a.) kann die Absorption lipophiler Substanzen<br />

behindern.<br />

� Bei Kombination mit Valproinsäure (ERGENYL, Generika)<br />

oder Warfarin (COUMADIN) sind Wirkverlust mit epileptischen<br />

Anfällen bzw. Zunahme der Blutungsneigung beschrieben.<br />

� Das Gewicht wird mit Chitosan nicht relevant reduziert.<br />

(M = Metaanalyse)<br />

1 STRIANO, P. et al.: BMJ 2009; 339: b3751<br />

2 Lundbeck GmbH: Fachinformation CONVULEX Kapseln bzw. Tropfen,<br />

Stand Aug. 2009<br />

3 BfArM: Schreiben vom 21. Dez. 2009 und 5. Jan. 2010<br />

4 Biomedica Pharma-Produkte GmbH: Gebrauchsinformation<br />

FORMOLINE L112, Stand Nov. 2008<br />

5 STRIANO, P.: Schreiben vom 23. Dezember 2009<br />

6 HUANG, S.S. et al.: Ann. Pharmacother. 2007; 41: 1912-4<br />

M 7 JULL, A.B. et al.: Chitosan for overweight or obesity. The Cochrane<br />

Database of Systematic Reviews 2009, Issue 4; Stand 31. Aug. 2007<br />

BRUSTKREBS UNTER FINASTERID<br />

(PROSCAR, PROPECIA, GENERIKA)<br />

Bereits seit Mitte der 1990er Jahre besteht der Verdacht,<br />

dass der bei benigner Prostatahyperplasie und androgenetischer<br />

Alopezie verwendete 5-alpha-Reduktasehemmer Finasterid<br />

(PROSCAR, PROPECIA, Generika) Brustkrebs auslösen<br />

kann (a-t 1996; Nr. 10: 93).<br />

Nach einer Mitteilung der britischen <strong>Arznei</strong>mittelbehörde<br />

MHRA liegen weltweit 53 Meldungen über Brustkrebs unter<br />

Finasterid vor – 50 Berichte unter der 5-mg-Dosis zur Therapie<br />

der benignen Prostatahyperplasie und 3 unter 1 mg bei<br />

Alopezie. 27 Betroffene hatten den Reduktasehemmer mindestens<br />

ein Jahr lang eingenommen. 1 Dem Bundesinstitut für<br />

<strong>Arznei</strong>mittel und Medizinprodukte sind aus <strong>dem</strong> Inland 7 Berichte<br />

über Brustkrebs unter Finasterid zugegangen. Über Gynäkomastie<br />

wird unter <strong>dem</strong> Mittel 32-mal berichtet. 2 Durch<br />

Finasterid ausgelöste Störwirkungen an der Brust wie Gynäkomastie,<br />

Berührungsempfindlichkeit, Spannungsschmerz, Sekretion<br />

oder Knoten können dazu beitragen, dass Patienten<br />

häufiger untersucht werden und Brustkrebs daher häufiger<br />

festgestellt und berichtet wird als unter anderen Medikamenten.<br />

Andererseits können derartige Beschwerden auch als bekannte<br />

Störwirkung von Finasterid fehlgedeutet werden, obwohl<br />

ihnen ein Mammakarzinom zu Grunde liegt. Aufgrund<br />

der ihr vorliegenden Berichte hat die <strong>Arznei</strong>mittelkommission<br />

a r z n e i - t e l e g r a m m ® 2010; Jg. 41, Nr. 1<br />

A 4330 E Postvertriebsstück Entgelt bezahlt<br />

A.T.I. <strong>Arznei</strong>mittelinformation GmbH, Bergstr. 38 A, Wasserturm, D-12169 Berlin<br />

der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) deshalb 2008 empfohlen,<br />

Patienten dar<strong>auf</strong> hinzuweisen, bei solchen Veränderungen an<br />

der Brust umgehend den Arzt zu informieren. 3 Anstieg von<br />

Estradiol, ausgelöst durch den unter Finasterid beobachteten<br />

Anstieg des Testosterons im Blut um 10% bis 20%, erscheint<br />

der britischen Behörde als möglicher und plausibler Mechanismus<br />

für die Entstehung von Brustkrebs. Aus kontrollierten<br />

klinischen Studien mit einer Dauer von über einem Jahr errechnet<br />

sie eine Brustkrebs-Inzidenz unter Finasterid von 7,82<br />

pro 100.000 Patientenjahre (95% Konfidenzintervall [CI]<br />

3,73-16,41) gegenüber 3,84 ohne Finasterid (95% CI 1,24-<br />

11,91). 1<br />

In den Fachinformationen von Finasterid-Präparaten soll<br />

künftig vor Brustkrebs gewarnt werden. Zu<strong>dem</strong> sind die Anwender<br />

ähnlich der Empfehlung der AkdÄ <strong>auf</strong>zuklären. 1,2<br />

� Finasterid (PROSCAR, PROPECIA, Generika) steht in<br />

Verdacht, Brustkrebs auszulösen. Auch klinische Studien<br />

lassen einen Trend zu mehr Brustkrebserkrankungen unter<br />

<strong>dem</strong> 5-Alpha-Reduktasehemmer erkennen.<br />

� Bei behandlungsbedürftiger benigner Prostatahyperplasie<br />

sind Alphablocker wie Doxazosin (CARDULAR PP URO,<br />

Generika) Mittel der Wahl. Finasterid allein oder als Zusatz<br />

kommt nur in Betracht nach sorgfältiger Aufklärung über<br />

die ungeklärten Langzeitrisiken einschließlich einer möglichen<br />

Gefährdung durch aggressive Prostatakarzinome (a-t<br />

2003; 34: 70) bei Versagen der Monotherapie mit Alphablockern<br />

oder für Männer mit einem PSA-Spiegel über 4 ng/ml<br />

bzw. einem Prostatavolumen über 40 ml (a-t 2004; 35: 13-4).<br />

� Von der Anwendung bei androgenetischer Alopezie raten<br />

wir ab (a-t 1999; Nr. 2: 22-3).<br />

1 MHRA Public assessment report: The risk of male breast cancer with<br />

finasteride, Dez. 2009; http://www.mhra.gov.uk/home/groups/pl-p/<br />

documents/websiteresources/con065504.pdf<br />

2 BfArM: Schreiben vom 28. Dez. 2009<br />

3 <strong>Arznei</strong>mittelkommission der deutschen Ärzteschaft: Dt. Ärztebl. 2008; 100: A-<br />

2482; http://www.akdae.de/20/20/Archiv/2008/20081114.html<br />

arznei-telegramm® (Institut für <strong>Arznei</strong>mittelinformation),<br />

Bergstr. 38 A, Wasserturm, D-12169 Berlin, Telefax: (0 30) 79 49 02 20,<br />

Email: redaktion@arznei-telegramm.de und vertrieb@arznei-telegramm.de<br />

Im Internet: http://www.arznei-telegramm.de<br />

Herausgeber: A.T.I. <strong>Arznei</strong>mittelinformation Berlin GmbH<br />

Redaktion: W. BECKER-BRÜSER, Arzt und Apotheker (verantw.),<br />

U. BUCHHEISTER, Ärztin, Dr. med. H.R. GIECK, J. HALBEKATH, Ärztin,<br />

Dr. med. A. JUCHE, B. KERN, Apothekerin, Prof. Dr. med. M. M. KOCHEN,<br />

Dr. med. A. von MAXEN, Prof. Dr. med. I. MÜHLHAUSER, Prof. Dr. med.<br />

K. QUIRING, S. SCHENK, Ärztin, Prof. Dr. med. P. S. SCHÖNHÖFER,<br />

R. SIEWCZYNSKI, Arzt, Dr. med. H. WILLE, Dr. rer. physiol. B. WIRTH<br />

Das arznei-telegramm® (a-t) erscheint monatlich, Bezug im Jahresabonnement,<br />

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Das a-t wird ausschließlich über die Abonnements finanziert.<br />

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vornehmen, ggf. anfallende Bankspesen werden nachberechnet.<br />

Die im Heft angegebenen Internet-Adressen werden am Tag der Drucklegung<br />

<strong>auf</strong> Verfügbarkeit geprüft. Die gewählten Produktbezeichnun-<br />

gen sagen nichts über die Schutzrechte der Warenzeichen aus.<br />

© 2010, A.T.I. <strong>Arznei</strong>mittelinformation Berlin GmbH<br />

Waren-<br />

zeichen in<br />

Österreich<br />

und Schweiz<br />

(Beispiele)<br />

Doxazosin,<br />

bei Prostatahyperplasie:<br />

PROSTA-<br />

DILAT<br />

(A)<br />

Finasterid,<br />

bei Alopezie:<br />

PROPECIA<br />

(A, CH)<br />

Finasterid,<br />

bei Prostatahyperplasie:<br />

PROSCAR<br />

(A, CH)

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