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gesamte texte als pdf downloaden - Alfred Kurz

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Gegen den Lauf der Dinge<br />

Ist ein Bildhauer mit fetten Lettern auf eine „Karte“ gepresst, so spricht man von<br />

einer „Visitenkarte“. Verschwindet jene in den Hosentaschen der „Kartensammler“,<br />

um nicht zu sagen „Kunstsammler“, ist sie via „Waschhaus“ nicht weit von der Kanali<br />

sation der Eventfluten entfernt. Komplett anders und künstlerisch wertvoll kommt da<br />

das „Waschhaus“, sprich „Kartenhaus“, des Bildhauers<br />

<strong>Alfred</strong> <strong>Kurz</strong> daher, das, aus Rigipsplatten gestapelt, eine Dimension von sechs Metern<br />

Höhe einnimmt und selbsttragend, mit der Gefährlichkeit des Zusammenklappens,<br />

tief in unserem Alltag liegt. Der Spieler taucht plötzlich imaginär auf, jener Zocker, der<br />

bekanntlich immer im Gefahrenbereich des Gewinnens und Verlierens taumelt.<br />

Die Bildhauerei von <strong>Alfred</strong> <strong>Kurz</strong> schlägt hier auch eine Brücke zu „Karten“ aller Art und<br />

jeden Umgangs.Nimmt man nur die „Grüne Karte“ von unzähligen Kartenbegriffen<br />

heraus, so ist doch die Vorstellung desTerritoriums nicht wegzudenken. „Gelbe Kar<br />

ten“ und „Rote Karten“, zerlegt in Millionenteilchen, erreichen Millionen von Menschen<br />

über Satellit und lösen Freude und Enttäuschung aus. Pure Informationen sind längst<br />

<strong>als</strong> Kunstform ins Leben eingezogen. „Der Verzicht auf einen Inhalt ist der Preis, den<br />

die Kunst für den Aufstieg zur höheren Macht zahlt“, war in Thomas Steinfelds auf<br />

schlussreichem Kommentar zur modernen Kunst und ihren Messen im Feuilleton der<br />

Süddeutschen Zeitung im Juli 2007 zu lesen. Wie einfach wäre es, „vom Lauf der<br />

Dinge“ zu sprechen. Nein, der Bildhauer und Bildmacher <strong>Alfred</strong> <strong>Kurz</strong> lässt<br />

das Material im wahrsten Sinne laufen, so, wie er auch den Film laufen lässt. Idee,<br />

Umsetzung und Imagination werden von klaren Titeln begleitet, deren wenige zu<br />

nennen von großer Wichtigkeit ist: „Trojanischer Schaukelhirsch, Trockenbaukanone,<br />

Tut Ench Achtung, Das große Zuckerfenster, Weiche Leiter.“ Fast mit Ironie versehen,<br />

werden sie von der künstlerischen Persönlichkeit <strong>Alfred</strong> <strong>Kurz</strong>’ in eine Welt getragen,<br />

die bereits auf konkrete Inhalte verzichtet und das Banale und Alltägliche<br />

in den Vordergrund geschoben hat.<br />

Nikolaus Gerhart, 2006


Vom Glück der Dinge<br />

Anmerkungen zu den Werken von <strong>Alfred</strong> <strong>Kurz</strong><br />

Herr Rossi sucht das Glück und flüchtet mit seinem<br />

Hund Gastone ins Abenteuerland. Mit Hilfe einer<br />

magischen Trillerpfeife reisen die beiden durch Zeit und<br />

Raum. Ein Pfiff, schon sind sie an einem anderen Ort,<br />

Hauptsache nicht zu Hause. Ja, Herr Rossi sucht das<br />

Glück. Er will nur vom Glück ein Stück.<br />

Der 1972 in Landshut geborene <strong>Alfred</strong> <strong>Kurz</strong> schöpft für<br />

seine künstlerischen Arbeiten aus einem Fundus von<br />

alltäglichen Dingen, Gegenständen und Orten. Sein<br />

Blick auf die Dinge wird geschärft durch eine Ausbildung<br />

zum Konstruktionsmechaniker und das Studium<br />

der Bildhauerei bei Professor Nikolaus Gerhart an der<br />

Akademie der Bildenden Künste München. <strong>Alfred</strong> <strong>Kurz</strong><br />

findet und „sampelt“ Dinge und Gegenstände, die<br />

tagtäglich von uns gebraucht werden oder denen wir im<br />

privaten und öffentlichen Raum begegnen: Autoreifen,<br />

Bierbänke, Betten, Leitern, Rigipsplatten, Spielzeug<br />

fernseher, Verkehrsschilder, Zuckerwürfel usw.. <strong>Kurz</strong><br />

ist ein rastloser Katalysator, der banale Dinge aus ihrer<br />

Funktionalität entlässt und durch seine künstlerische<br />

Intervention in das realistische Dinggefüge eine neue<br />

Wirklichkeit erschafft. Die Transformation vom Ding<br />

zum Kunstwerk wird vollzogen. Mit der Vorgehensweise,<br />

vorhandenes Material anzunehmen und dieses durch<br />

Dekonstruktion oder Rekonstruktion in eine andere<br />

Sprache zu übersetzen, positioniert sich <strong>Alfred</strong> <strong>Kurz</strong> im<br />

Post- und Neo-Dadaismus. „Der Künstler schafft durch<br />

Wahl, Verteilung und Entformung der Materialien“, so<br />

lautet ein wichtiger Gestaltungsgrundsatz des Dadaisten<br />

Kurt Schwitters. Für den Künstler bedeutet der gleichbe<br />

rechtigte Umgang mit vorgefundenen Dingen eine<br />

grundlegende Befreiung von konventionellen Regeln<br />

und Aufgaben der Kunst bei der Suche nach einer<br />

eigenen ästhetischen Ausdrucksform. Das Primat der<br />

Form und des Formens – Merz ist Form, formen heißt<br />

„entformeln“ – entscheidet allein. Die Dinge verlieren<br />

in Schwitters Theorie durch das „Entformeln“ ihren<br />

Charakter und avancieren durch unsinnige Kombination<br />

zum autonomen Kunstwerk.<br />

In der Tat liebt <strong>Alfred</strong> <strong>Kurz</strong> das Spiel mit den<br />

Dingen, er destilliert die Essenz heraus und übersetzt<br />

sie in verschiedenste autonome Formen. Das künstlerische<br />

Zweckentfremden der Dinge, wie es in der<br />

Arbeit „Hüpfbank“ (1999) realisiert ist, trägt stets die<br />

Handschrift einer experimentellen Annäherung an das<br />

Ding. Die „Hüpfbank“ ist eine mit Pneumatikzylindern<br />

zum bewegten Objekt umgebaute Bierbank. Die durch<br />

die Pneumatik ausgelösten, zitternden Bewegungen<br />

verleihen der Bank ein fremdartiges Eigenleben. Auch<br />

das Mittel der Manipulation kommt bei den künstlerischen<br />

Transformationen von <strong>Kurz</strong> zum Einsatz. Für die<br />

„Publikumsschau“ (1999) werden Spielzeugfernseher präpariert.<br />

Kleine Spielzeugfernseher, in welchen ansonsten<br />

Bilder von Märchen zu sehen sind, zeigen Personen aus<br />

dem Publikum bekannter TV-Nachmittagsshows. Den<br />

Aggregatzustand des Dings befragt <strong>Alfred</strong> <strong>Kurz</strong> mit dem<br />

Raumobjekt „Weiche Leiter“ (2000). Der pneumatische<br />

Raum ist aus einer Polyesterfolie zusammengenäht, die<br />

durch den Einsatz eines Staubsaugermotors im aufgeblasenen<br />

Zustand einen Kubus ausbildet. Durch das<br />

Öffnen eines Reißverschlusses wird der Zugang in den<br />

„soft-sculpture room“ und der Zugriff auf die im Inneren<br />

angebrachte Strickleiter möglich. Für <strong>Kurz</strong>‘ Verhandeln<br />

der Themen Fragilität und Stabilität können <strong>als</strong> künstlerische<br />

Paten Claes Oldenburg mit seinen Soft-Sculptures<br />

und Hans Hollein mit der pneumatischen Rauminstallation<br />

„Mobiles Büro“ genannt werden.


In dem Gemeinschaftsprojekt „Raum schaffen“<br />

(2000) erobern <strong>Alfred</strong> <strong>Kurz</strong> und Michael Sailstorfer<br />

durch einen sinnlosen Eingriff in die Natur den Raum.<br />

In den Ausmaßen von 5 x 5 x 2 Metern wird ein Stück<br />

Wald gesäubert. Der sichtbare Eingriff hinterlässt Ordnung<br />

und Künstlichkeit im Naturraum. Einerseits wirkt<br />

das bereinigte Stück Wald wie eine Wunde der Natur,<br />

andererseits generiert sich ein zivilisatorischer Raum.<br />

Mit „Flaucher“ (2002) konstruiert <strong>Kurz</strong> ebenfalls einen<br />

Raum im Naturraum. Die temporäre Rauminstallation<br />

am Kieselstrand der Isar besteht darin, mit deutlich<br />

helleren Steinen am Ort einen hortus conclusus zu markieren.<br />

Unfreiwillige Akteure wie Schwäne intervenieren<br />

regelmäßig den im Entstehen begriffenen Garten. Im<br />

Zeitraffer wird das Bauen des Raumes am Flaucher auf<br />

Super-8-Film und in SW-Fotografie dokumentiert.<br />

Den Wechsel vom Außen- zum Innenraum<br />

vollzieht der Künstler mit den „Hurenbetten“ (2001/02),<br />

„Sanduhr“ (2002/03) und „Das große Zuckerfenster“. Die<br />

Fotoserie „Hurenbetten“ bildet fünfzehn Betten aus<br />

vier verschiedenen Bordellen in und um München ab.<br />

Die eindeutige Funktion dieser Betten wird allein schon<br />

daran sichtbar, dass in der Regel die Bettdecken fehlen.<br />

<strong>Kurz</strong> hat die Bordellräume gleichmäßig ausgeleuchtet<br />

und somit vom Rotlicht befreit. Allerdings zieht sich<br />

wie ein roter Faden eine fühl- und sichtbare Spießigkeit<br />

durch die fotografierten Räume, welche sich leicht <strong>als</strong><br />

Fortsetzung in den privaten Wohnungen der Kunden<br />

denken lässt. Die Themen Vanitas und Vergänglichkeit<br />

sind die treibenden Kräfte für die Raumarbeit „Sanduhr“.<br />

Installiert ist die Arbeit über zwei Etagen eines Abbruchhauses.<br />

Zwei übereinander befindliche Räume sind<br />

durch ein kleines Loch, in das ein Edelstahlrohr platziert<br />

ist, verbunden. Eine Konstruktion mit einer Trichteröffnung<br />

ermöglicht, dass 1,5 Tonnen Quarzsand in einer<br />

Woche von Raum zu Raum rieseln können.<br />

Drastischer kann Vergehen von Zeit und Raum künstlerisch<br />

nicht dargestellt werden. Die Sanduhr spiegelt<br />

<strong>als</strong> kongeniale Metapher die Geschichte des Abbruchhauses.<br />

Mit „Das große Zuckerfenster“ setzt <strong>Alfred</strong> <strong>Kurz</strong> die<br />

Diskussion über das Thema Fenster fort, die von Marcel<br />

Duchamps Werk „Das große Glas“ (1915 – 23) eröffnet<br />

wurde. Bei der temporären und raumbezogenen Arbeit<br />

baut <strong>Kurz</strong> ein Atelierfenster mit 15000 Zuckerwürfeln<br />

zu. Das auf das Zuckerfenster einfallende Tageslicht löst<br />

das Diaphane aus und der Betrachter fühlt sich gleichwohl<br />

an Alabasterfenster erinnert. Nicht nur das Material<br />

Zucker, sondern insbesondere auch der Prozess der<br />

Schichtung dieses Baustoffes ist wesentlich für die<br />

Arbeit. Der Transformationsprozess vom Zuckerwürfel<br />

zum zweiten Atelierfenster kalkuliert entschieden mit<br />

den Bedingungen und Möglichkeiten von Licht und<br />

Lichtbrechung im Raum.<br />

Der Körper von <strong>Alfred</strong> <strong>Kurz</strong> steht im Fokus<br />

der Arbeiten „Profiliert“ (2003) und „Festgenagelt“ (2003).<br />

Als Bildhauermaterial kommt für „Profiliert“ Stuckgips<br />

zum Einsatz. Das Gesichtsprofil des Künstlers wird <strong>als</strong><br />

Formvorgabe für Stuck verwendet. Im Hausbau wird<br />

Stuck gern <strong>als</strong> Zierelement im Abschluss oder Übergang<br />

von Wand zu Raumdecke eingesetzt. Das im Gips<br />

verborgene Gesichtsporträt, die Negativform, ermöglicht<br />

ganz subtil die materielle Selbstprofilierung des<br />

Künstlers im <strong>gesamte</strong>n Raum. Stets beschäftigt <strong>Kurz</strong><br />

die wichtige Frage, mit welchem Material der Bildhauer<br />

heute arbeiten kann. Das Material des eigenen Körpers<br />

steht immer zur Verfügung. In „Festgenagelt“ wird der<br />

Künstler <strong>als</strong> Subjekt für den formgebenden Prozess<br />

einer quasi klassischen Bildhauerarbeit herangezogen.<br />

Dafür wird der am Boden liegende Künstlerkörper unter<br />

einem Samttuch mit Polsternägeln eingenagelt. So wie<br />

der Bildhauer formgebend arbeitet, liefert hier die Physiognomik<br />

des Künstlers die Form. Form follows body.


Für eindeutige Irritation im öffentlichen Raum<br />

sorgen „Tut Ench Achtung“ (2004), „Teddyberg für Pauline“<br />

(2005) und „Der trojanische Schaukelhirsch“ (2005). Als Material<br />

für die Pyramide „Tut Ench Achtung“ verwendet <strong>Alfred</strong><br />

<strong>Kurz</strong> Verkehrsschilder. Die Schilder mit ihren Piktogrammen<br />

dienen dem Vollzug der Straßenverkehrsordnung.<br />

Aus ihrer Funktion im öffentlichen Raum herausgelöst<br />

irritieren sie im Kontext des Kunstwerkes. Denn hier gibt<br />

es für sie auf einmal nichts mehr zu regeln. Der Künstler<br />

hat das Glück, die Regeln zu bestimmen. Für die BUGA<br />

2005 modelliert <strong>Kurz</strong> aus Erde und Kokosfasermatten<br />

einen „Teddyberg für Pauline“. Das aufgeblasene Kinderspielzeug<br />

mit einer Größe von 7,5 x 5 Metern ist <strong>als</strong><br />

work in progress konzipiert. Die Installation im Naturraum<br />

soll im Laufe der Zeit eine pflanzliche Begrünung<br />

entwickeln. Bei Gebrauch des Teddys durch Kinder <strong>als</strong><br />

Kletterburg bleibt der pflanzliche Bewuchs allerdings<br />

aus. Einen ironischen Kommentar geben <strong>Alfred</strong> <strong>Kurz</strong><br />

und Torsten Mühlbach mit „Der trojanische Schaukelhirsch“<br />

ab. Das trojanische Pferd und ein Hirsch gehen in der<br />

großformatigen Holzkonstruktion eine surreale Symbiose<br />

ein, die sich wie der Teddyberg von der Referenz eines<br />

Spielzeuges herleiten lässt. Der trojanische Schaukelhirsch<br />

bezieht Position zur verschärften Feuerschutzbestimmung<br />

an der Münchner Akademie der Bildenden<br />

Künste während der Jahresausstellung 2005. Er ist<br />

gleichzeitig plastischer Ausdruck vom künstlerischen<br />

Stillstand.<br />

Zu Realitätsverschiebungen führen die Arbeiten<br />

„Trockenbaukanone“ (2005) und „Kartenhaus“ (2006).<br />

Die Form der aus zugeschnittenen Gipsplatten gearbeiteten<br />

„Trockenbaukanone“ ist einem Computerspiel entnommen.<br />

Das Konzept der Arbeit verfolgt die Übertragung<br />

einer Konstruktion aus der virtuellen Welt in die reale<br />

Welt. Second life becomes reality. Auch das „Kartenhaus“<br />

spielt gezielt mit dem Verschieben der Realitäten. Das<br />

hübsche leichte Spielkartenhaus wird zum gefährlichen Kartentower<br />

aus Rigipsplatten mit einer Gesamthöhe von sechs<br />

Metern aufgebaut. Der Künstler weiß um den potenziellen<br />

Einsturz und Verfall des riesigen Kartenhauses.<br />

<strong>Alfred</strong> <strong>Kurz</strong> ist <strong>als</strong> Bildhauer ein aufmerksamer<br />

Beobachter. Genau schaut er auf die Welt, die Dinge und<br />

den Alltag. <strong>Kurz</strong> rüttelt an den Dingen einer total verfügbaren<br />

Welt, in der nur dasjenige gilt, was vollständig erkannt,<br />

durchschaut und vermessen ist. Als Künstler spielt er mit<br />

den Dingen sein Spiel und erreicht stets das Ziel. Es ist<br />

das motivierte Spiel mit den Dingen und Realitätsverschiebungen,<br />

das uns vor <strong>Kurz</strong>‘ künstlerischen Werken einen<br />

entscheidenden Moment länger verharren lässt. Wäre da<br />

nicht die Trillerpfeife, dank derer der Künstler das Glück<br />

der Dinge erwischt. <strong>Alfred</strong> <strong>Kurz</strong> hat das Glück schon längst<br />

gefunden und muss sich nicht mehr nach ihm verzehren.<br />

Stefan-Maria Mittendorf

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