09.11.2012 Aufrufe

Fahndung nach Einsen und Nullen - bitfaction

Fahndung nach Einsen und Nullen - bitfaction

Fahndung nach Einsen und Nullen - bitfaction

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Bei 15 000 Umdrehungen pro Minute entsteht über<br />

der Festplatte ein hauchdünnes Luftpolster<br />

<strong>und</strong> DVDs, die etwa bei Bränden<br />

halb geschmolzen sind;<br />

von Magnetbändern, die sich<br />

von einem defekten Laufwerk<br />

abgewickelt <strong>und</strong> verknotet haben;<br />

<strong>und</strong> von Mobiltelefonen<br />

<strong>und</strong> Digitalkameras, die etwa<br />

in einen Teich gefallen sind.<br />

In neun von zehn Fällen aber<br />

haben sie es mit Festplatten<br />

zu tun.<br />

Das Innenleben dieser Datenspeicher<br />

sieht einem Plattenspieler<br />

ähnlich: Auf einem<br />

winzigen Motor rotieren r<strong>und</strong>e<br />

Aluminium- oder Glasscheiben<br />

mit einer hauchdünnen<br />

magnetisierbaren Schicht aus<br />

Eisenoxid, Kobalt oder Chromlegierungen.<br />

Auf dieser Schicht<br />

werden die Informationen<br />

Bit für Bit gespeichert, bis zu<br />

etwa 200 Millionen Bits pro<br />

Quadratmillimeter. Doch im<br />

Gegensatz zum Tonabnehmer<br />

des Plattenspielers sausen<br />

Schwingarme mit einem<br />

Schreib- <strong>und</strong> Lesekopf an der<br />

Spitze zwischen Zentrum <strong>und</strong><br />

Rand der Scheiben hin <strong>und</strong> her.<br />

Jede Plattenseite hat ihren eigenen<br />

Kopf, meist liegen mehrere<br />

Platten übereinander.<br />

Zum Speichern von Daten<br />

werden Stromimpulse durch<br />

einen winzigen Elektromagneten<br />

am Kopf geschickt. Dabei<br />

entsteht ein Magnetfeld –<br />

<strong>und</strong> damit kann der Kopf win-<br />

zige Partikel in der Platten-<br />

oberfläche ausrichten: entweder<br />

<strong>nach</strong> links oder <strong>nach</strong> rechts<br />

(in Richtung des magnetischen<br />

Nord- oder Südpols), je <strong>nach</strong>dem,<br />

ob eine Null oder eine<br />

Eins geschrieben werden soll.<br />

Zum Lesen der Daten fährt<br />

der Kopf wieder über die Platte:<br />

Das von den gerichteten Partikeln<br />

ausgehende Magnetfeld<br />

verursacht Stromimpulse im<br />

102 GEOkompakt<br />

Elektromagneten des Kopfes.<br />

Diese übersetzt die Festplattenelektronik<br />

in <strong>Nullen</strong> oder<br />

<strong>Einsen</strong>.<br />

Anders aber als eine Plattenspielernadel,<br />

berührt der<br />

Kopf die unter ihm rotierende<br />

Scheibe nicht: Denn die Magnetscheibe<br />

dreht sich weitaus<br />

schneller als eine Schallplatte –<br />

derzeit bis zu 15 000 Mal pro<br />

Minute.<br />

Bei diesem Tempo entsteht<br />

ein Luftpolster, das den Kopf<br />

in einer Höhe von 1 bis 20 Nanometer<br />

schweben lässt – das<br />

ist etwa ein Zehntausendstel<br />

der Dicke eines menschlichen<br />

Haares. Doch das hohe Tempo<br />

birgt ein Risiko: Ist Staub<br />

durch ein <strong>und</strong>ichtes Gehäuse<br />

eingedrungen, kann schon ein<br />

winziges Körnchen davon das<br />

Luftpolster stören <strong>und</strong> den<br />

Kopf aus der Bahn werfen.<br />

Dann droht ein „Headcrash“,<br />

bei dem der Kopf auf die Platte<br />

kracht, die Magnetschicht<br />

zerkratzt – <strong>und</strong> dabei Daten<br />

vernichtet.<br />

Um solche <strong>und</strong> andere Problemfälle<br />

kümmert sich<br />

Sascha Homfeldt in der<br />

Hamburger Filiale von Ibas.<br />

Und ganz gleich, ob ein Kopf<br />

über ihre Oberfläche geratscht<br />

oder die Platte aus dem dritten<br />

Stock gefallen ist, ob ein Brand<br />

sie versengt, Wasser ihr zugesetzt<br />

oder sie ohne jede Einwirkung<br />

ihre Arbeit eingestellt<br />

hat – oder ob der Besitzer angibt,<br />

er habe den Speicher aus<br />

Versehen gelöscht: Homfeldt<br />

muss die Festplatte in jedem<br />

Fall öffnen.<br />

Vor einem solchen Eingriff<br />

streift sich der Techniker einen<br />

weißen Kittel über <strong>und</strong><br />

steigt in Arbeitsschuhe mit<br />

antistatischer Sohle. Zusätzlich<br />

verbindet er sein Handgelenk<br />

per Kabel mit dem Tisch<br />

<strong>und</strong> ist damit geerdet. Das soll<br />

verhindern, dass ein – noch<br />

so schwacher – elektrischer<br />

Strom von ihm auf die Platte<br />

überspringt <strong>und</strong> die womöglich<br />

noch intakte Elektronik<br />

beschädigt.<br />

Mit einem Schraubenzieher<br />

öffnet Homfeldt dann das<br />

Plattengehäuse. Um das Innenleben<br />

vor Staub zu schützen,<br />

versorgt eine Art umgekehrte<br />

Dunstabzugshaube das Labor<br />

mit gefilterter Luft. In diesem<br />

„Reinraum“ kann der Computerexperte<br />

die Festplatte erforschen:<br />

die Magnetscheiben,<br />

die er per Augenschein oder<br />

im Mikroskop auf Beschädigungen<br />

absucht; die Köpfe, bei<br />

denen er kontrolliert, ob sie<br />

präzise ihre Position anfahren;<br />

den Motor <strong>und</strong> die Steuerelektronik,<br />

die er daraufhin<br />

überprüft, ob sie noch drehend<br />

<strong>und</strong> regelnd die Platte in Bewegung<br />

versetzen.<br />

Mit hoch konzentriertem<br />

Alkohol <strong>und</strong> anderen Spezialreinigern,<br />

die schnell verdunsten<br />

<strong>und</strong> die Platten nicht<br />

angreifen, säubert er sämtliche<br />

Bauteile von Staub oder Rußpartikeln,<br />

die etwa von einem<br />

Brand stammen. Defekte Teile<br />

ersetzt er durch neue. Ist<br />

Wasser in das Plattengehäuse<br />

eingedrungen, hilft ein Trick:<br />

„Eine nasse Festplatte darf man<br />

auf keinen Fall trocknen lassen,<br />

sonst rostet sie, <strong>und</strong> die Daten<br />

in diesem Bereich sind für<br />

immer verloren“, so Homfeldt.<br />

Deshalb haben seine norwegischen<br />

Kollegen die „Rocknes“-<br />

Platte in einem Wasserbehälter<br />

aus der Tiefe geborgen <strong>und</strong> sie<br />

bis zur Rekonstruktion der<br />

Daten feucht gehalten. Erst<br />

im Labor wischten sie die Festplatte<br />

trocken, verbanden sie<br />

mit einem Computer <strong>und</strong> lasen<br />

schnell die Daten aus.<br />

Selbst wenn Teile der Magnetschicht<br />

zerstört sind,<br />

kann Homfeldt noch<br />

Daten sichern. Dazu montiert<br />

er einen neuen Kopf auf die<br />

Platte <strong>und</strong> lässt diesen zum<br />

Auslesen über die unversehrten<br />

Areale fahren. Kompliziert<br />

wird es, wenn jener Bereich<br />

der Platte beschädigt wurde, in<br />

dem das Inhaltsverzeichnis gespeichert<br />

ist: Nur über dieses<br />

Verzeichnis gelangt der Kopf<br />

an die richtige Stelle.<br />

Denn die Oberfläche der<br />

Platte ist in Zehntausende Segmente<br />

aufgeteilt. Je häufiger<br />

Daten gespeichert, gelöscht<br />

oder verschoben werden, desto<br />

mehr gerät die Festplattenordnung<br />

durcheinander. Denn<br />

dann werden die Dateien auf<br />

der Festplatte nicht mehr der<br />

Reihe <strong>nach</strong> <strong>und</strong> in Blöcken gespeichert.<br />

Neue Dateien werden<br />

abgelegt, wo gerade Platz<br />

frei ist, <strong>und</strong> – falls dieser nicht<br />

ausreicht – oft in H<strong>und</strong>erte<br />

von Fragmenten aufgeteilt.<br />

Ist das Verzeichnis mit<br />

den Koordinaten für diese<br />

Fragmente nicht mehr lesbar,<br />

kopiert Homfeldt sämtliche<br />

Daten wie ein einziges riesiges<br />

Dokument auf eine Ersatzplatte<br />

<strong>und</strong> sucht in der Datenmasse<br />

<strong>nach</strong> Anhaltspunkten für<br />

einzelne Dateien.<br />

„Eine solche Platte zu rekonstruieren<br />

kann Tage dauern“,<br />

erklärt der 33-Jährige. „Daher<br />

ist es wichtig, zu wissen, wo<strong>nach</strong><br />

wir suchen: etwa <strong>nach</strong><br />

einem bestimmten Brief oder<br />

einem Adressbuch.“ Je länger<br />

die Suche dauert, desto teurer<br />

wird sie – eine schnelle Rettung<br />

kostet 500 Euro, eine<br />

langwierige, komplizierte bis<br />

zu 20 000 Euro.<br />

Schnell wird Homfeldt<br />

dagegen fündig, wenn die<br />

Besitzer angeben, sie hätten<br />

Dateien selbst gelöscht. Oft ein<br />

Irrtum: Denn wenn der Nutzer<br />

eine Datei etwa per Maus in<br />

den virtuellen Papierkorb befördert,<br />

wird einfach nur deren<br />

Eintrag im Inhaltsverzeichnis<br />

gelöscht.<br />

Diese Einträge kann Homfeldt<br />

mit speziellen Programmen<br />

wieder sichtbar machen<br />

<strong>und</strong> so die verloren geglaubten<br />

Dateien wieder herstellen. Das<br />

funktioniert allerdings nur,<br />

solange ihr Speicherplatz noch<br />

nicht durch neue Bit-Kolonnen<br />

belegt worden ist – <strong>nach</strong><br />

einem komplizierten Muster<br />

lässt der Computer solche<br />

Areale überschreiben, wenn<br />

es sonst keinen Platz mehr auf<br />

der Festplatte gibt.<br />

Bei r<strong>und</strong> 90 Prozent ihrer<br />

Aufträge, so sagen die Ibas-<br />

Spezialisten, könnten sie die<br />

vermissten Daten wieder aufspüren.<br />

In einem besonders<br />

heiklen Fall allerdings hatten<br />

sie keinen Erfolg: Als Teilnehmer<br />

einer Expertengruppe,<br />

die UN-Waffeninspektoren<br />

unterstützt, fahndete ein<br />

Ibas-Techniker im Irak <strong>nach</strong><br />

vermeintlich gelöschten Daten<br />

von Saddam Husseins ABC-<br />

Waffen-Programmen – <strong>und</strong><br />

fand nichts.<br />

Jens Uehlecke, 28, ist Journalist<br />

in Hamburg.<br />

Hans Hansen, 64, gehört zu den<br />

höchstgeschätzten Sachfotografen<br />

Deutschlands.<br />

Technische Beratung: Guido<br />

Kleinfeldt, Christoph Krügel.<br />

P

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!