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Mobbing in der 6. Klasse eines Gymnasiums - No Blame Approach

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<strong>Mobb<strong>in</strong>g</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>6.</strong> <strong>Klasse</strong> e<strong>in</strong>es <strong>Gymnasiums</strong><br />

Erfahrungsbericht<br />

Die <strong>Mobb<strong>in</strong>g</strong>-Situation<br />

Ich b<strong>in</strong> Lehrer<strong>in</strong> an e<strong>in</strong>em Gymnasium im ländlichen Raum und<br />

<strong>Klasse</strong>nlehrer<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er sechsten <strong>Klasse</strong>. Im letzten Schuljahr fanden sich<br />

drei Jungen <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er damals noch fünften <strong>Klasse</strong>, die man geme<strong>in</strong>h<strong>in</strong> als<br />

"Außenseiter" bezeichnen würdet. Diese drei Jungen fanden sich schnell zu<br />

e<strong>in</strong>er Zweckgeme<strong>in</strong>schaft zusammen, ohne sich allerd<strong>in</strong>gs näher zu<br />

befreunden. Viele ihrer Verhaltensweisen "eckten" bei den Mitschülern an,<br />

sie wurden bald als Son<strong>der</strong>l<strong>in</strong>ge betrachtet, ohne allerd<strong>in</strong>gs deshalb<br />

gehänselt zu werden.<br />

Kurz vor den Osterferien än<strong>der</strong>te sich dies ansche<strong>in</strong>end, da e<strong>in</strong>er von den<br />

Dreien zu e<strong>in</strong>em <strong>Mobb<strong>in</strong>g</strong>opfer wurde, ohne dass ich davon zunächst<br />

Kenntnis nahm. Auffällig war zwar e<strong>in</strong>e Krankheit des Jungen von zwei<br />

Wochen, die die Mutter allerd<strong>in</strong>gs mir gegenüber mit e<strong>in</strong>er chronischen<br />

Stirnhöhlenvereiterung begründete.<br />

Am Elternsprechtag nach den Osterferien kamen Mutter und Sohn<br />

geme<strong>in</strong>sam zu mir, um mir davon zu berichten, dass die <strong>Klasse</strong> den<br />

Jungen mit dem Ausruf "iiihhhh…" hänseln würde, e<strong>in</strong> Ausruf, <strong>der</strong> immer<br />

dann gebraucht würde, wenn <strong>der</strong> Junge - Ansgar - z. B. etwas anfassen<br />

würde, was e<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>en gehörte o<strong>der</strong> im Sportunterricht e<strong>in</strong> Gerät,<br />

e<strong>in</strong>en Schläger etc benutzen würde, den dann kann ke<strong>in</strong> <strong>Klasse</strong>nkamerad<br />

mehr anfassen wollte. Dieser Ausruf zur Bezeichnung e<strong>in</strong>es Ekelns vor dem<br />

Jungen wäre <strong>in</strong> den Wochen vor den Osterferien aufgetreten und nach<br />

diesen direkt weiter fortgeführt worden. Ansgar habe schon ke<strong>in</strong>e Lust<br />

mehr, die Schule zu besuchen.<br />

Gespräch mit Ansgar und E<strong>in</strong>verständnis <strong>der</strong> Mutter<br />

Ich habe mir dann von Ansgar - wie ich es <strong>in</strong> <strong>der</strong> Fortbildung gelernt hatte<br />

- sowohl die Namen <strong>der</strong> Täter als auch <strong>der</strong> Personen se<strong>in</strong>es Vertrauens<br />

nennen lassen, um e<strong>in</strong>e Unterstützungsgruppe zu bilden. Auffällig war,<br />

dass fast die ganze <strong>Klasse</strong> aus Mitläufern bestand, Haupttäter<strong>in</strong>nen waren<br />

zwei Mädchen, wobei e<strong>in</strong>es <strong>der</strong> beiden das letzte <strong>Mobb<strong>in</strong>g</strong>opfer <strong>der</strong> <strong>Klasse</strong><br />

gewesen war. Als Vertraute nannte mir <strong>der</strong> Schüler e<strong>in</strong>en <strong>der</strong> beiden oben<br />

Erfahrungsbericht: Gymnasium / 01 / 1


genannten Mitschüler und e<strong>in</strong>en weiteren Schüler, den er aus <strong>der</strong><br />

Grundschulzeit zu schätzen wusste, auch wenn dieser <strong>in</strong> <strong>der</strong> fünften <strong>Klasse</strong><br />

an<strong>der</strong>e, neue Kontakte geknüpft hatte. Ich <strong>in</strong>formierte Ansgar und se<strong>in</strong>e<br />

Mutter, dass ich nun e<strong>in</strong>e Gruppe aus diesen Personen bilden würde und<br />

des Weiteren e<strong>in</strong>e Person me<strong>in</strong>es Vertrauens h<strong>in</strong>zuziehen würde. Dies fand<br />

bei beiden sofort Anklang und E<strong>in</strong>verständnis.<br />

Ich wählte e<strong>in</strong> Mädchen h<strong>in</strong>zu, das sich grundsätzlich nie an<br />

<strong>Klasse</strong>nkonflikten beteiligt, da sie wesentlich reifer und verständiger ist als<br />

ihre Mitschüler<strong>in</strong>nen und über den üblichen "Zickereien" steht, dabei<br />

sowohl von Mädchen als auch Jungen aufgrund ihrer <strong>in</strong>telligenten, sozialen<br />

und auch besonnenen Handlungsweise geschätzt wird.<br />

Das Gespräch mit <strong>der</strong> Unterstützungsgruppe<br />

Die Teilnehmer <strong>der</strong> Gruppe rief ich bereits am nächsten Tag während e<strong>in</strong>er<br />

me<strong>in</strong>er Unterrichtsstunden zusammen und traf mich mit ihnen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

geson<strong>der</strong>ten Raum. Die <strong>Klasse</strong> erhielt e<strong>in</strong>e Aufgabe, was allerd<strong>in</strong>gs nicht<br />

störungsfrei ablief und auf diese Art nicht weiterzuempfehlen wäre.<br />

Die Gruppe verhielt sich zunächst neugierig gespannt, aber auch<br />

geschmeichelt, von mir auserwählt worden zu se<strong>in</strong>. Das weitere Gespräch<br />

verlief zunächst "klassisch", da die beiden Täter<strong>in</strong>nen zunächst sich selbst<br />

verteidigend auf den Sachverhalt reagierten, sich gleich als Täter<strong>in</strong>nen<br />

outeten und von <strong>der</strong> Schuld <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en sprachen, ohne dass ich sie e<strong>in</strong>es<br />

Fehlverhaltens beschuldigte. Sie verhielten sich regelrecht sprachlos, als<br />

ich ihnen verdeutlichte, sie e<strong>in</strong>geladen zu haben, um Hilfe von ihnen zu<br />

erhalten.<br />

Die gesamte Gruppe zeigte sich sofort bereit, Ansgar zu helfen, ihn wie<strong>der</strong><br />

<strong>in</strong> die <strong>Klasse</strong>ngeme<strong>in</strong>schaft zu <strong>in</strong>tegrieren, allerd<strong>in</strong>gs waren sich alle e<strong>in</strong>ig,<br />

dass sie dies nicht schaffen würden. E<strong>in</strong> Junge me<strong>in</strong>te, dass ich hier die<br />

"falschen" Leute e<strong>in</strong>geladen hätte. Mit dieser Gruppe sei e<strong>in</strong>e Integration<br />

von Ansgar nicht zu bewerkstelligen. Dennoch sammelten wir Ideen, wie<br />

Ansgar zu helfen sei, wobei sich die Jungen <strong>der</strong> Gruppe mehr zu Besuchen<br />

Ansgars im häuslichen Umfeld meldeten, die Mädchen h<strong>in</strong>gegen versuchen<br />

wollten, an<strong>der</strong>e Mädchen <strong>in</strong> ihrem Verhalten Ansgar gegenüber<br />

umzustimmen. Dies wurde allerd<strong>in</strong>gs auch gleich als hoffnungsloses<br />

Unterfangen bewertet.<br />

E<strong>in</strong> großes Problem für die Gruppe war <strong>der</strong> Umgang mit dieser beson<strong>der</strong>en<br />

E<strong>in</strong>ladung; die K<strong>in</strong><strong>der</strong> entschlossen sich dazu, den Mitschülern den Grund<br />

für das Gespräch zu verschweigen. E<strong>in</strong> weiteres Treffen <strong>in</strong> sieben Tagen<br />

wurde anberaumt.<br />

Erfahrungsbericht: Gymnasium / 01 / 2


Das Stoppen des <strong>Mobb<strong>in</strong>g</strong><br />

Nach <strong>der</strong> negativen Erwartungshaltung <strong>der</strong> Gruppe war auch me<strong>in</strong>e<br />

Hoffnung, mit dem "<strong>No</strong> <strong>Blame</strong> <strong>Approach</strong>" - Ansatz etwas zu erreichen,<br />

kaum mehr vorhanden. Umso erstaunter war ich, dass es bereits nach<br />

e<strong>in</strong>er Woche zu e<strong>in</strong>er Besserung kam, nach zwei Wochen gab es ke<strong>in</strong><br />

<strong>Mobb<strong>in</strong>g</strong> mehr - dies bestätigte mir sowohl Ansgar als auch die<br />

Unterstützungsgruppe.<br />

Die beiden Täter<strong>in</strong>nen waren so angetan von ihrer neuen Aufgabe, mir<br />

helfen und ihre Mitschüler bee<strong>in</strong>flussen zu können, dass sie sich am<br />

liebsten weiterh<strong>in</strong> <strong>in</strong> dieser Gruppe getroffen hätten, obwohl es dazu gar<br />

ke<strong>in</strong>en Anlass mehr gab. Me<strong>in</strong> Dank für ihre Hilfe machte sie stolz und<br />

wichtig. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, so schnell Erfolg mit dieser<br />

Methode erwirken zu können.<br />

Anmerkung<br />

Der Erfahrungsbericht wurde von <strong>der</strong> Lehrer<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es <strong>Gymnasiums</strong> erstellt<br />

und wurde anonymisiert.<br />

Erfahrungsbericht: Gymnasium / 01 / 3

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