VON GINGER HEBEL Ein Duo der anderen Art ZIRKUS So viele Art<strong>ist</strong>en gabs bei <strong>Salto</strong> <strong>Natale</strong> noch nie: Nächsten Mittwoch feiern <strong>Rolf</strong> <strong>und</strong> <strong>Gregory</strong> <strong>Knie</strong> Premiere <strong>ihre</strong>r Jubiläumsshow «Sternfänger». Die Proben laufen auf Hochtouren. Je näher die Premiere rückt, desto aufgeregter <strong>ist</strong> <strong>Gregory</strong> <strong>Knie</strong>. «Alle schauen auf einen. Da <strong>ist</strong> schon ein gewisser Druck, aber auch eine grosse Vorfreude.» <strong>Gregory</strong> <strong>und</strong> <strong>Rolf</strong> <strong>Knie</strong> feiern das 10-Jahr-Jubiläum von <strong>Salto</strong> <strong>Natale</strong>, <strong>ihre</strong>m Zirkus der anderen Art, wie sie ihn nennen. Den Art<strong>ist</strong>en bleibt nicht viel Zeit, um <strong>ihre</strong> Kunststücke <strong>und</strong> Nummern für die Show «Sternfänger» einzustudieren <strong>und</strong> auf die Musik abzustimmen. Jeder Schritt, jede Abfolge <strong>ist</strong> bis ins letzte Detail durchgeplant wie an einem Filmset. <strong>Rolf</strong> <strong>Knie</strong> <strong>ist</strong> ein exakter Mensch, ein Planer, «die Art<strong>ist</strong>en brauchen eine harte Hand, so ein Zirkus <strong>ist</strong> wie ein Sack voller Flöhe. Eine gute Vorbereitung geht über alles, denn nur so hat man Zeit für Änderungen.» Er verpasst keine einzige Probe, <strong>ist</strong> der Erste, der das Chapiteau betritt <strong>und</strong> der Letzte, der wieder hinausgeht. Dann zieht er sich in seinen Wohnwagen zurück. Er <strong>ist</strong> gemütlich eingerichtet mit einem flauschigen hellbeigen Teppich. <strong>Gregory</strong> <strong>und</strong> <strong>Rolf</strong> <strong>Knie</strong> erleben gerade die strengste Zeit des Jahres. Der Aufwand, der bei <strong>Salto</strong> <strong>Natale</strong> betrieben wird, <strong>ist</strong> riesig. «Wir produzieren alle Kostüme neu, schreiben die Musik, <strong>und</strong> das alles für eine Spielzeit von gerade einmal drei Wochen.» So viele Art<strong>ist</strong>en wie in diesem Jahr hat man bei <strong>Salto</strong> <strong>Natale</strong> noch nie gesehen. «Je länger man Zirkus macht, desto mehr Angst hat man vor einem Misserfolg. Und je älter man wird, desto mehr weiss man, was alles schiefgehen kann», sagt <strong>Rolf</strong> <strong>Knie</strong>. <strong>Das</strong> erfolgreiche Vater-Sohn-Gespann produziert seit zwei Jahren auch den Liebeszirkus Ohlala. Es hagelt Mails im Akkord, bitterböse <strong>und</strong> lobende, wie sie sagen. Ihr Zirkus polarisiert. Jedes Detail wird von den Zuschauern kommentiert, jeder will mitreden, wenn es darum geht, wie man Erotik zu präsentieren hat. «Erotik <strong>ist</strong> die Fantasie jedes Einzelnen, deshalb gehen die Meinungen da auch so sehr auseinander.» Als sie sich entschieden haben, einen Liebeszirkus zu produzieren, hatten sie nicht vor, den Zirkus neu zu erfinden. «<strong>Das</strong> wäre selbstherrlich. Heute kann man kaum etwas neu erfinden, aber anders präsentieren, das geht», sagt <strong>Rolf</strong> <strong>Knie</strong>. Er hat sich immer gew<strong>und</strong>ert, dass in Europa nicht früher jemand auf die Idee gekommen <strong>ist</strong>. In seinen Augen hat der Zirkus in den vergangenen Jahren nämlich an Erotik <strong>und</strong> Emotionen verloren. «Er <strong>ist</strong> ein bisschen in- spirationslos geworden. Man meint immer, er sei etwas für Kinder, das <strong>ist</strong> falsch.» Bereits in den 20er- <strong>und</strong> 30er-Jahren rekelten sich Kontorsion<strong>ist</strong>innen im hautengen Glitzerkostüm in der Manege. «Schon damals hat Erotik im Zirkus eine Rolle gespielt. Man sah in den knapp bekleideten Schlangenfrauen etwas Pornografisches», erzählt <strong>Rolf</strong> <strong>Knie</strong> <strong>und</strong> erinnert sich, wie ihm sein Grossvater eine Anekdote von einem Pfarrer erzählte, der von der Kanzel predigte: «Geht ja nicht in den Schweizer Nationalzirkus, da sieht man halb nackte Frauen.» Und der Zirkus war voll. Malen auf Mallorca <strong>Rolf</strong> <strong>Knie</strong> wurde in die bekannteste Zirkusdynastie der Schweiz hineingeboren <strong>und</strong> trat schon mit fünf Jahren als Clown auf. 1984 verliess er den Zirkus, startete mit einem eigenen Bühnenprogramm <strong>und</strong> arbeitete als Schauspieler. Er hat <strong>Das</strong> Porträt: <strong>Gregory</strong> <strong>und</strong> <strong>Rolf</strong> <strong>Knie</strong> die Zeit genossen, als man ihm nach einer geglückten Zirkusnummer auf die Schulter klopfte <strong>und</strong> das Publikum applaudierte. Noch heute würde er einspringen <strong>und</strong> den Clown spielen, «aber jeden Tag auf der Bühne stehen, das würde mir nicht mehr genügen», sagt der 63-Jährige. Lieber stellt er eine tolle Show auf die Beine, sucht die Musik aus, designt Kostüme, instruiert Lichtdesigner. Es <strong>ist</strong> die kreative Herausforderung, die ihn reizt. Seine grösste Passion aber <strong>ist</strong> die Malerei. Wenn <strong>Salto</strong> <strong>Natale</strong> vorbei <strong>ist</strong>, zieht es ihn in sein Haus auf Mallorca, wo er die Hälfte des Jahres mit seiner zweiten Frau lebt. «In meinem Atelier darf mich niemand stören.» Aktuell bereitet er sich auf eine grosse Ausstellung in Peking im Herbst 2013 vor. Früher haben ihn die Kritiker auf seine Tiermotive reduziert, heute stört ihn das nicht mehr. Er <strong>ist</strong> stolz, dass er in Peking ausstellen darf. «China boomt, was Malerei betrifft. Die Künstler gehen ins Figurative zurück <strong>und</strong> zeigen, dass Kunst durchaus schön sein kann.» Zudem plant er eine Retrospektive für 2014. <strong>Das</strong> <strong>ist</strong> auch der Gr<strong>und</strong>, warum er seine Bilder zurückkauft. «Ich bin mein grösster Sammler.» Auch <strong>Gregory</strong> verbringt seine Sommer me<strong>ist</strong> auf Mallorca. Und das Kernteam von <strong>Salto</strong> <strong>Natale</strong> fliegt ihnen hinterher, <strong>und</strong> dann sitzen sie alle im Pool <strong>und</strong> gestalten das neue Zirkusprogramm. <strong>Gregory</strong> lebte nach der Scheidung der Eltern in der Schweiz <strong>und</strong> in Spanien <strong>und</strong> studierte in den USA Wirtschaft. Mit Zirkus hatte er lange nichts am Hut. Vor elf Jahren fragte ihn sein Vater, ob er mit ihm ein Zirkusunternehmen gründen wolle. Nach anfänglichem Zögern sagte er zu <strong>und</strong> <strong>ist</strong> heute Geschäftsführer. «Mir wird schnell langweilig. Doch einen Zirkus zu produzieren, <strong>ist</strong> abwechslungsreich. Die Momente, die man mit den Zuschauern <strong>und</strong> Art<strong>ist</strong>en erleben kann, sind unvergesslich.» Im Oktober feierte er seinen 35. Geburtstag. Die Crew überraschte ihn mit einer Party. Eine gute Stimmung im Team bedeutet ihm viel. <strong>Rolf</strong> <strong>Knie</strong> will sich künftig immer mehr aus der Zirkuswelt zurückziehen, «die Leute müssen sich langsam an ein neues Gesicht gewöhnen», sagt er <strong>und</strong> zwinkert <strong>Gregory</strong> zu, den er seit seiner Geburt Muppet nennt. «Er hatte damals die Gelbsucht, das war kein schöner Anblick. Er habe ausgesehen wie der Frosch Kermet aus der Muppet-Show», erzählt <strong>Rolf</strong> <strong>Knie</strong>, <strong>und</strong> beide lachen. Angst vor der Leere Weil die guten Art<strong>ist</strong>en schnell ausgebucht sind, stecken sie bereits in den Vorbereitungen für 2013 <strong>und</strong> 2014. <strong>Gregory</strong> besucht Zirkusse auf der ganzen <strong>Welt</strong> <strong>und</strong> knüpft Kontakte. Die besten der guten Art<strong>ist</strong>en kommen immer noch aus Russland, der Ukraine, aus China. Anders als in der Schweiz kann ein Art<strong>ist</strong> in China von seinem Beruf leben <strong>und</strong> sich bei einer Verletzung auf Staatskosten neu ausbilden lassen. Gute Clowns jedoch stammen fast immer aus Europa. «Ihre Mimik <strong>ist</strong> viel ausdrucksstarker. Ich habe einmal einen chinesischen Komiker gesehen – das war traurig.» <strong>Salto</strong> <strong>Natale</strong> läuft bis zum 2. Januar. Weihnachten <strong>und</strong> Silvester werden <strong>Gregory</strong> <strong>und</strong> <strong>Rolf</strong> <strong>Knie</strong> im <strong>Zirkuszelt</strong> feiern. «Ich bin ohne Weihnachtsfeiern aufgewachsen, mir bedeutet diese Zeit nichts», gesteht <strong>Rolf</strong> <strong>Knie</strong>. Doch weil beide eine emotionale Ader haben, fürchten sie sich schon jetzt vor der letzten Aufführung, vor der Leere, die über sie hereinbricht, sobald das Licht in der Manege ausgeht <strong>und</strong> die Musik verstummt. Und spätestens dann, wenn die Clowns, Trapezkünstler <strong>und</strong> Jongleure in der Garderobe schluchzen <strong>und</strong> sich alle in einem Anflug von Sentimentalität in den Armen liegen, steigen auch <strong>Rolf</strong> <strong>und</strong> <strong>Gregory</strong> <strong>Knie</strong> die Tränen in die Augen, <strong>und</strong> die Stimme scheint zu versagen, wenn sie dem Publikum Danke sagen. m <strong>Salto</strong> <strong>Natale</strong>, Parkplatz Holberg, Kloten, www.saltonatale.ch
«Den Zirkus kann man nicht neu erfinden, aber anders präsentieren, das geht.» Bild Nandor Nagy