Rahmenkonzept „Erinnerungskultur und Demokratiebildung“
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<strong>Rahmenkonzept</strong><br />
„Erinnerungskultur <strong>und</strong> Demokratiebildung“<br />
Denkorte in Verden<br />
"Wir brauchen nur die Gegenwart zu ertragen. Weder Vergangenheit noch Zukunft können<br />
uns bedrücken, da die eine nicht mehr <strong>und</strong> die andere noch nicht existiert."<br />
Émile-Auguste Chartier, genannt Alain (1868-1951), französischer Schriftsteller, in seinem Buch: Die Pflicht,<br />
glücklich zu sein, Frankfurt/Main 1982.<br />
Erstellt im Auftrag des Vereins für Regionalgeschichte Verden e.V.<br />
Finanziert im Rahmen des Programms „Jugend für Vielfalt, Toleranz <strong>und</strong> Demokratie – gegen<br />
Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit <strong>und</strong> Antisemitismus“. Programmbereich<br />
„Entwicklung interaktiver lokaler Strategien“ (Lokale Aktionspläne) des B<strong>und</strong>esministeriums<br />
für Familie, Senioren, Frauen <strong>und</strong> Jugend<br />
<strong>und</strong> dem Weser-Aller-Bündnis: Engagiert für Demokratie <strong>und</strong> Zivilcourage (WABE)<br />
Die Urheberrechte von Text <strong>und</strong> Fotos liegen bei der Autorin <strong>und</strong> den Fotographen. Nutzung für Ausstellungs- <strong>und</strong><br />
Veröffentlichungszwecke für den Arbeitskreis <strong>und</strong> die Stadt Verden nur unter Respektierung des Copyrights.<br />
www.geschichtsraum-wickert.de<br />
1<br />
Dr. Christl Wickert<br />
Wacholderweg 7<br />
D – 29499 Zernien<br />
Tel.: 05863 – 274<br />
Fax: 05863 – 983 151<br />
Funk: 0173 – 922 45 27<br />
e-mail: christl.wickert@web.de<br />
Berlin/Zernien, 10.12.2008<br />
Tag der Menschenrechte
Gliederung:<br />
Vorwort 3<br />
1. Zum konkreten historischen Hintergr<strong>und</strong> 5<br />
Exkurs 1: Schlaglicht auf die Geschichte die Gedenkens seit dem 19. Jahrh<strong>und</strong>ert 7<br />
Exkurs 2: „Konkurrenz der Opfer“ 9<br />
2. Authentische Orte in Verden: Erinnerungsorte als Denkorte im öffentlichen Raum in der<br />
Stadt-Bildung 10<br />
2.1 Denkmale, Mahnmale in Vergangenheit <strong>und</strong> Gegenwart 11<br />
2.2 Denkorte – Denkanstöße in die Zukunft 12<br />
2.3 Konkret: Mahnmal, Ausstellungen, Denkorte 14<br />
2.3.1 Mahnmal „Abgebrannter Waggon“ 15<br />
2.3.2 Ausstellung im Sachsenhain 16<br />
2.3.3 Zentraler Denkort: „Rekrutierung <strong>und</strong> Deportation“ 17<br />
2.3.4 Denkorte in der Stadt Verden 18<br />
2.3.5 Erweiterung im Landkreis 20<br />
3. Vorschläge für Gestaltung <strong>und</strong> Inhalte der Informationsstelen 21<br />
3.1 Ein biografischer Ort 23<br />
3.2 Ein ehemaliges KZ 24<br />
2
Vorwort<br />
Die menschenverachtende Politik des Nationalsozialismus mit ihren unendlichen<br />
Menschenrechtsverletzungen kann als zentrale Negativreferenz eines gemeinsamen<br />
europäischen Gedächtnisses – <strong>und</strong> damit auch in Stadt <strong>und</strong> Landkreis Verden – bezeichnet<br />
werden. 1 Bemühungen gegen den „medialen Overkill“ zum Nationalsozialismus (Filme,<br />
Dokumentationen, Romane etc.) stoßen immer wieder auf Distanz („nicht schon wieder“,<br />
„das hab´ ich doch alles schon im Fernsehen gesehen“), aber sie zielen darauf, „den<br />
Holocaust“ als Erinnerungsort zum Nachdenken über die Menschenrechte <strong>und</strong> die Folgen<br />
ihrer Missachtung zu etablieren. In Ländern wie Schweden oder den USA, wo es überwiegend<br />
weder personelle noch örtliche Bezüge zu den Verbrechen gibt, wird in Projekten <strong>und</strong> Museen<br />
sogar „Authenzität“ nachgestellt. 2 Dagegen sind in Deutschland flächendeckend – <strong>und</strong> nicht<br />
nur in den großen, inzwischen etablierten KZ-Gedenkstätten – authentische Orte der<br />
Verfolgung <strong>und</strong> der Täter vorhanden. Seit den späten 1970er Jahren durch die Gründung der<br />
Geschichtswerkstätten mit Unterstützung von schulischen <strong>und</strong> kirchlichen<br />
Geschichtsprojekten <strong>und</strong> – initiativen 3 sind nach <strong>und</strong> nach die Orte der Verbrechen, die<br />
Namen der Opfer – sofern die Quellen es zulassen – <strong>und</strong> die Biografien der Täter recherchiert<br />
worden. Verden ist in diesem Zusammenhang hervorragend aufgestellt 4 <strong>und</strong> möchte dies nun<br />
öffentlich darstellen. Gleichwohl wird – wie in jeder Demokratie – ein solches Vorhaben<br />
kontrovers diskutiert.<br />
"Die Gegenwart ist im Verhältnis zur Vergangenheit Zukunft, ebenso wie die Gegenwart der<br />
Zukunft gegenüber Vergangenheit ist. Darum, wer die Gegenwart kennt, kann auch die<br />
Vergangenheit erkennen. Wer die Vergangenheit kennt, vermag auch die Zukunft zu<br />
erkennen." (Le Buwei, chinesischer Philosoph 300 v. Chr.)<br />
Der Satz aus der chinesischen Philosophie verweist auf die Nachteile der<br />
„Schlussstrichmentalität“ („Belasten Sie nicht die jungen Menschen mit der Vergangenheit,“<br />
Leserbrief 16.11.07 in der VAZ) <strong>und</strong> auf das Missverständnis zur Auseinandersetzung mit<br />
dem Nationalsozialismus, wonach diese – <strong>und</strong> damit letztendlich auch die<br />
1<br />
Jens Kroh: Transnationale Erinnerung. Der Holocaust im Fokus geschichtspolitischer Initiativen, Frankfurt/M.<br />
2008.<br />
2<br />
United States Holocaust Memorial Museum in Washington, Institut for Levande Historie in Stockholm.<br />
3<br />
Detlef Garbe: Seismographen der Vergangenheitsbewältigung: Regionalbewußtsein <strong>und</strong> Erinnerungsorte der<br />
NS-Verbrechen am Beispiel des ehemaligen KZ Neuengamme, in: Habbo Knoch (Hg.): Das Erbe der Provinz.<br />
Heimatkultur <strong>und</strong> Geschichtspolitik nach 1945, Göttingen 2001, S. 218-232.<br />
4<br />
stellvertretend sei hier lediglich verwiesen auf: Joachim Woock: Zwangsarbeit ausländischer Arbeitsräfte im<br />
Regionalbereich Verden/Aller (1939-1945), Diss. Hannover 2004.<br />
3
Auseinandersetzung mit den Menschenrechten – für die Zukunft der nachwachsenden<br />
Generationen keine Relevanz habe. Die Kritiker in den Leserbriefen der VAZ im<br />
November/Dezember 2007 zielen darauf ab, nationalsozialistische Verbrechen vor Ort nicht<br />
zu thematisieren <strong>und</strong> dass authentische Orte, die es überall im Deutschen Reich <strong>und</strong> den<br />
ehemals besetzten Gebieten gibt, unsichtbar bleiben oder wieder unsichtbar (gemacht)<br />
werden. Sie stellen sich – bewusst oder unbewusst – gegen die seit dem 19. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
wechselnden „Epochen des Gedenkens“ über die Vergangenheit, denn niemand stellt andere<br />
Denkmäler in Frage. Sie widersetzen sich lediglich der Verarbeitung der NS-Verbrechen, die<br />
im Zentrum der heutigen Epoche der Gedenkkultur stehen. 5<br />
Ein verbreitetes bürgerschaftliches Engagement aus Historikern, Pädagogen <strong>und</strong> Politikern<br />
sorgt dafür, Wissen zu Tage zu fördern <strong>und</strong> weiterzugeben, was in den familiären<br />
Zusammenhängen beschwiegen oder mythologisiert wird. Die Erlebnisse von<br />
Gewaltherrschaft, KZ <strong>und</strong> Krieg werden in den nächsten Generationen sowohl durch Erzählen<br />
als auch durch Schweigen weiter verarbeitet, das gilt nicht nur – wie am weitesten verbreitet<br />
angenommen – für die Opfer, sondern auch für die Zuschauer <strong>und</strong> Täter. 6 In Verden sind<br />
durch Schulprojekte <strong>und</strong> Einzelinitiativen Verbrechens- <strong>und</strong> Leidensorte, zahlreiche<br />
Widerstandskämpfer, Opfer <strong>und</strong> Täter bekannt. Nun ist es notwendig, die verschiedenen<br />
authentischen Orte der NS-Verbrechen <strong>und</strong> ihrer Folgen konzeptionell zusammenzufassen, als<br />
öffentliche Orte, als Denkorte, erkennbar zu machen <strong>und</strong> vertiefende Informationen für<br />
Projektarbeit bereit zu stellen. Anwohner <strong>und</strong> Besucher werden mit dargebotenen<br />
Informationen dort abgeholt, wo sie die Geschichten aus dem familiären Umfeld oder aus<br />
Stadtführungen ergänzen.<br />
Zur Kennzeichnung der Orte eignen sich Informationsstelen, die sich durch ihre einheitliche<br />
Gestaltung <strong>und</strong> ihr Design von anderen Tafeln im öffentlichen Raum unterscheiden (siehe<br />
dazu im Detail 2.3.4). Es bedarf einer kurzen Kontextualisierung, wobei klar herausgestellt<br />
werden muss, dass keine Einzelquelle (Dokument, Zeitzeugenbericht, Foto etc.) eine<br />
feststehende Wahrheit bedeutet, dass Kontroversen <strong>und</strong> unterschiedliche Sichtweisen von<br />
5 Pierre Nora: Gedächtniskonjunktur, in: Transit 22 (2002), S. 18-31, hier S. 23.<br />
6 Aus diesem Gr<strong>und</strong>e wurde das Thema „Zweite Generation“ auch in die neuen Ausstellungen in der Hamburger<br />
KZ-Gedenkstätte Neuengamme aufgenommen: KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Hg.): Die Ausstellung, Bremen<br />
2005, hier: „Zeitspuren. Das KZ Neuengamme 1938-1945 <strong>und</strong> seine Nachgeschichte“ <strong>und</strong> „Dienststelle KZ<br />
Neuengamme: Die Lager-SS“. Eindrücklich hat dieses Phänomen in ihrer neuesten Veröffentlichung verarbeitet:<br />
Christina von Braun: Stille Post. Eine andere Familiengeschichte, Berlin 2007.<br />
4
Sachverhalten/Ereignissen <strong>und</strong> Quellen die Multiperspektivität einer demokratisch verfassten<br />
Gesellschaft ausmachen. 7<br />
Zu bedenken ist, wenn wir die Menschen in der Verdener Ortsgeschichte abholen: Ein<br />
Großteil der heutigen Bevölkerung hat ihre Wurzeln nicht in der Stadt bzw. im Landkreis,<br />
sondern in den ehemaligen deutschen Ostgebieten, im heutigen Russland (Oblast Leningrad,<br />
früher Ostpreußen), Polen oder Tschechien. Sie kamen erst nach 1945 hierher <strong>und</strong> mussten<br />
sich eine komplett neue Existenz aufbauen. Allerdings wuchsen die Kinder <strong>und</strong> Enkel hier<br />
auf, für die diese Stadt <strong>und</strong> ihre Umgebung ihre Alltagswelt wurde.<br />
1. Zum konkreten historischen Hintergr<strong>und</strong><br />
Stadt <strong>und</strong> Landkreis Verden waren im Nationalsozialismus „ganz normal“: Die kleine<br />
Gestapoaußenstelle der Staatspolizeistelle Bremen verfolgte die politischen Gegner, auch die<br />
Menschen, die zu Gegnern erklärt oder von Nachbarn denunziert wurden. Die Kripo verfolgte<br />
die „Berufsverbrecher“, die „Zigeuner“, die „Asozialen“, die Staatenlosen, ab 1939 die<br />
Zwangsarbeiter <strong>und</strong> Kriegsgefangenen, was für viele von ihnen zur Verbringung ins KZ<br />
führte <strong>und</strong> den Tod bedeutete. Die Gerichte sprachen Recht nach den nationalsozialistischen<br />
Verordnungen <strong>und</strong> neuen Gesetzen. Die jüdischen Mitbürger waren von der Rassenpolitik<br />
betroffen, ihre Geschäfte wurden zerstört, sie wurden mit den Nürnberger Gesetzen 1935 <strong>und</strong><br />
ihren Folgen zu Menschen 2. Klasse, wenn sie nicht emigrierten, kamen sie in<br />
Konzentrations- <strong>und</strong> Vernichtungslager. Im Verlaufe des Krieges profitierten Betriebe,<br />
Landwirtschaft <strong>und</strong> Haushalte vom Einsatz von Zwangsarbeitern <strong>und</strong> Kriegsgefangenen, in<br />
den letzten Kriegsmonaten befanden sich sogar zwei Außenlager des KZ-Komplexes<br />
Neuengamme im Landkreis.<br />
Verden hat darüber hinaus eine Besonderheit zu bedenken: In Dauelsen vor den Toren der<br />
Stadt befand sich eines der Mythenprojekte von Reichsführer-SS <strong>und</strong> Chef der deutschen<br />
Polizei Heinrich Himmler, der Sachsenhain. 1934-1936 SS-Kultstätte – vom<br />
Reichsarbeitsdienst <strong>und</strong> örtlichen Baufirmen unter Mithilfe lokaler Handwerksbetriebe –<br />
1934-1936 errichtet, verlor er jedoch danach wieder an Bedeutung. Getragen wurde der<br />
Sachsenhain von der SS <strong>und</strong> der Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe e.V., eine<br />
7 Thorsten Heese: Vergangenheit „begreifen“. Die gegenständliche Quelle im Geschichtsunterricht, Bad<br />
Schwalbach/Ts 2008 (Reihe: Methoden historischen Lernens).<br />
5
1936 gegründete pseudowissenschaftliche „Forschungseinrichtung”, die die Rassentheorie<br />
von der Überlegenheit der nordischen Rasse durch archäologische, anthropologische <strong>und</strong><br />
historische Forschungen untermauern sollte. 8 In den Jahren 1934-36 statteten Höhere SS-<br />
Führer ihre Besuche ab, die Karriere im KZ- <strong>und</strong> Vernichtungssystem machten. 9<br />
Abb. 1: Seite aus dem Dienstalbum des KZ-Kommandanten Karl Koch. Das Original befindet sich im<br />
Sonderarchiv Moskau. Von dort sind für eine Publikation die Rechte einzuholen.<br />
Dieser Ort <strong>und</strong> die heutige Präsenz von Neonazis im Landkreis im Umfeld des „Heisenhofs“<br />
in Dörverden, aber auch der mutmaßlich neonazistische Hintergr<strong>und</strong> des Anschlags auf den<br />
Eisenbahnwaggon (Mahnmal Zwangsarbeit) mit einer Ausstellung zur Zwangsarbeit in<br />
Verden am 26. Januar 2007 10 , machen Verden <strong>und</strong> den Landkreis zu einem besonders<br />
sensiblen Ort der Erinnerungskultur im lokalen <strong>und</strong> regionalen Politikfeld. Eine einheitliche<br />
Sichtbarmachung <strong>und</strong> organisierte Betreuung von Orten der Opfer <strong>und</strong> der Täter mit<br />
8<br />
Michael Kater: Das „Ahnenerbe“ der SS 1935-1945. Ein Beitrag zur Kulturpolitik des Dritten Reiches,<br />
München 2006.<br />
9<br />
Neben Heinrich Himmler beispielsweise der Inspekteur der Konzentrationslager Theodor Eicke, der damalige<br />
Esterweger Kommandant Karl Koch, der später die KZs Sachsenhausen, Buchenwald <strong>und</strong> Majdanek leitete oder<br />
der damalige Kommandant von Dachau Hans Loritz, der zuvor für das KZ Esterwegen <strong>und</strong> ab 1936 für das KZ<br />
Sachsenhausen die Verantwortung trug. Vgl. dazu: Christl Wickert: Die Formierung der SS in den frühen<br />
Konzentrationslagern 1933-1937, in: Günter Morsch (Hg.): Von der Sachsenburg nach Sachsenhausen. Bilder<br />
aus dem Fotoalbum eines KZ-Kommandanten, Berlin 2007, S. 195-201, hier S. 200.<br />
10<br />
Joachim Woock: Mahnmal Zwangsarbeit auf dem Gelände der Berufsbildenden Schulen, in: Stiftung<br />
Topographie des Terrors (Hg.): Gedenkstättenr<strong>und</strong>brief Nr. 136, 2007, S. 3-10.<br />
6
Informationstafeln soll die Einwohner <strong>und</strong> Gäste auch im Vorbeigehen aufmerksam machen,<br />
wenn sie es wollen, <strong>und</strong> so ein Zeichen gegen die Neonazis setzen.<br />
Exkurs 1: Schlaglicht auf die Geschichte des Gedenkens seit dem 19. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
Kriegerdenkmäler wurden seit Mitte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts in Städten <strong>und</strong> Gemeinden errichtet,<br />
manchmal direkt in Kirchen platziert, um der Kriegstoten aus den jeweiligen Orten zu<br />
gedenken. 11 Auf Familiengräbern finden sich ebenfalls die Namen <strong>und</strong> Lebensdaten von<br />
Gefallenen unabhängig davon, ob sie am Ort ihres Todes ein Grab gef<strong>und</strong>en haben oder nicht.<br />
Seit 1952 wird der Volkstrauertag zwei Sonntage vor dem 1. Advent in Erinnerung an alle<br />
Opfer von Krieg <strong>und</strong> Gewaltherrschaft begangen. 12 Er ging auf eine Initiative des<br />
Volksb<strong>und</strong>es deutscher Kriegsgräberfürsorge im Jahr 1919 zurück. 13 Inzwischen – nach fast<br />
65 Jahren Frieden in Mitteleuropa – sind die Veranstaltungen, an denen sich überwiegend<br />
ältere Menschen <strong>und</strong> die Vertreter der politischen Parteien beteiligen, oft Rituale geworden,<br />
die – wie in Verden 2008 – nur durch die Beiträge einzelner Jugendlicher aufgelockert<br />
werden. Seit der Wende 1989 fällt in den Neuen B<strong>und</strong>esländern auf, dass selbst in kleinen<br />
Dörfern die vernachlässigten Denkmäler für die Gefallenen der beiden Weltkriege restauriert<br />
oder sogar wiedererrichtet wurden. 14 Es entspricht ganz offensichtlich auch noch nach<br />
Jahrzehnten dem Bedürfnis der Überlebenden <strong>und</strong> Angehörigen der Gefallenen, ihnen einen<br />
Ort der Erinnerung zu geben. 15<br />
Dagegen haben die Opfer der NS-Vernichtungspolitik meist kein Grab, keinen Namen<br />
<strong>und</strong> damit keinen Ort, der konkret an sie, an ihre Misshandlungen, ihr Leiden <strong>und</strong> ihr Sterben<br />
11 Während sie in fast allen europäischen Ländern bis in die 1930er Jahre hinein von Stolz <strong>und</strong> Wehrwillen, oft<br />
sogar Revancheabsichten ausdrücken, mahnen heutzutage Kriegerdenkmaler zu Frieden <strong>und</strong> Respekt vor den<br />
Menschenrechten <strong>und</strong> sind oft ein Ort des Gedenkens an alle Opfer von Krieg <strong>und</strong> Gewaltherrschaft (siehe Neue<br />
Wache in Berlin. vgl.: Meinhold Lurz: Kriegerdenkmäler in Deutschland, 6 Bände, Heidelberg 1985–1987;<br />
Reinhart Koselleck, Michael Jeismann (Hg.): Der politische Totenkult. Kriegerdenkmäler in der Moderne,<br />
München 1994.<br />
12 Nicht zu verwechseln – wie oft in der Presse, so auch im November 2008 in der Verdener Aller-Zeitung – mit<br />
dem Totensonntag, der dem Volkstrauertag folgt, dem evangelischen Gedenktag an die Verstorbenen, wie dies<br />
durch die Katholiken am 1.11. jeden Jahres geschieht.<br />
13 Thomas Peter Petersen: Der Volkstrauertag – seine Geschichte <strong>und</strong> Entwicklung. Eine wissenschaftliche<br />
Betrachtung, Bad Kleinen 1998 (Eigenverlag).<br />
14 Peter Franz: Martialische Idole. Die Sprache der Kriegerdenkmäler in Thüringen. Eine landesweite<br />
Darstellung des Bestands <strong>und</strong> eine kritische Analyse ihrer ikonografischen <strong>und</strong> verbalen Botschaften, Jena 2001.<br />
15 Reinhart Koselleck: Kriegerdenkmale als Identitätsstiftungen der Überlebenden. In: Odo Marquart, Karl-Heinz<br />
Stierle (Hg.): Identität, Politik, Hermeneutik, München 1979.<br />
7
erinnert. Von Millionen wissen wir nicht einmal, wo sie ermordet wurden, weil die Nazis vor<br />
Kriegsende noch einen Großteil der Belege ihrer Verbrechen vernichteten.<br />
In Verden finden sich Denkmäler <strong>und</strong> Gräber unterschiedlicher Provenienz: neben drei<br />
Kriegerdenkmälern (1870/71er Krieg, Erster <strong>und</strong> Zweiter Weltkrieg) sind es die<br />
Zwangsarbeitergräber auf dem Domfriedhof, die Verzeichnung der in Theresienstadt<br />
verstorbenen deportierten Jüdin Bertha Lehmann auf dem Familiengrabstein auf dem<br />
Jüdischen Friedhof <strong>und</strong> das "Mahnmal für die jüdischen Opfer in Verden aus der Zeit der NS-<br />
Gewaltherrschaft" etc., die die Namen von Opfern bewahren. Diese Grab- <strong>und</strong> Gedenkstätten<br />
werden inzwischen mehr oder weniger gut gepflegt. Sie erinnern an Menschen mit ihren<br />
Lebensdaten, die sonst längst vergessen wären. Sie geben vor allem den Verfolgten ihre<br />
Menschenwürde zurück, die zur Ermordung/Vernichtung vorgesehen waren.<br />
Abb. 2: Domfriedhof Abb. 3: Jüdischer Friedhof<br />
(beide Fotos: Christl Wickert, 5.11.2008)<br />
Diese Orte des (Nach)Denkens über/an die Vergangenheit weisen dann in die Zukunft, wenn<br />
man sie als Denkanstöße über die Folgen von Missachtung, Rassismus/Fremdenfeindlichkeit<br />
<strong>und</strong> Verletzung der Menschenrechte betrachtet <strong>und</strong> dies in die Auseinandersetzung <strong>und</strong> das<br />
Engagement in unserer demokratischen Gr<strong>und</strong>ordnung mit Jugendlichen <strong>und</strong> Erwachsenen<br />
einbezieht. 16<br />
16 Zu den politischen Konflikten um das Gedenken an den Nationalsozialismus, vgl: Peter Reichel,<br />
Vergangenheitsbewältigung in Deutschland. Die Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur von 1945 bis heute,<br />
München 2001.<br />
8
Exkurs 2: „Konkurrenz der Opfer“ (Michel Chaumont) 17<br />
Selbst die Leserbriefflut um ein geplantes „neues Mahnmal“ in der Verdener Aller-Zeitung im<br />
November/Dezember 2007, die von abwehrenden Stimmen geprägt war, verrät – vermutlich<br />
mehr als die Schreiber es eigentlich beabsichtigten – das Bedürfnis der Vergewisserung der<br />
Erlebnisse der Vergangenheit. Wiederholt werden eigene Erfahrungen berichtet, die auf<br />
Krieg, Kriegsgefangenschaft, Flucht <strong>und</strong> Vertreibung verweisen. Dass hier wiederum neue<br />
Mythen aufgebaut <strong>und</strong> mit Schuldzuweisungen gearbeitet wird, verweist auf die<br />
Notwendigkeit des „Nicht-Vergessens“ durch die Etablierung von Lernanstößen <strong>und</strong><br />
Denkorten in der Nachbarschaft, begleitet von Schulen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Organisationen<br />
wie Kirchen, Parteien, Gewerkschaften, Bildungsträgern <strong>und</strong> andere Organisationen.<br />
Die auffallende Referenz in den Leserbriefen auf Flucht <strong>und</strong> Vertreibung beschweigt die<br />
Erfahrungen der Deprivation am Ende der Flucht. Flüchtlinge <strong>und</strong> Vertriebene waren nach<br />
1945 für Einheimische nicht nur Fremde, sondern auch unerwünschte Konkurrenten um<br />
knappe Ressourcen. Für sie folgte dem Schock ihrer brutalen Vertreibung der Schock ihrer<br />
Diskriminierung. Kritische Reflexionen über diese "menschlichen Erniedrigungen" <strong>und</strong> den<br />
"ganze[n] Komplex mangelnder gesellschaftlicher Aufnahme <strong>und</strong> Anerkennung", wie sie die<br />
Evangelische Kirche in ihrer Ostdenkschrift 1965 18 anstellte, blieben selten <strong>und</strong> folgenlos. In<br />
beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften wurde diese Konflikterfahrung beschwiegen oder<br />
geschichtsklitternd überformt. 19 Eine angemessene Auseinandersetzung mit der<br />
Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten, die in den 1950er <strong>und</strong> frühen 1960er Jahren nicht<br />
geleistet wurde (werden konnte), hätte auch Flucht <strong>und</strong> Vertreibung als eine Folge des NS-<br />
Terrors in den besetzten Ländern erkennen <strong>und</strong> die Abwehrreaktionen der Einheimischen<br />
vielleicht abmildern können. Statt dessen lebten die Familien der Vertriebenen/Flüchtlinge<br />
zunächst in Parallelwelten 20 <strong>und</strong> integrierten sich erst in der 2. Generation, die nun mit zu den<br />
Gewinnern des Wirtschaftsw<strong>und</strong>ers gehörte. Sichtbares Zeichen in der Verdener<br />
Öffentlichkeit ist noch heute das „Vertriebenendenkmal“ (in manchen Publikationen auch<br />
Vertriebenenmahnmal genannt) im Bürgerpark, an dem nach wie vor Veranstaltungen mit<br />
17 Jean-Michel Chaumont: Die Konkurrenz der Opfer. Genozid, Identität <strong>und</strong> Anerkennung, Lüneburg 2001. Der<br />
Autor bezog seine Abhandlung auf die Konkurrenz der Opfer des Stalinismus zu denen des Nationalsozialismus.<br />
Er arbeitete heraus, dass die Verletzung von Menschenrechten unabhängig vom politischen System <strong>und</strong> den<br />
sonstigen jeweiligen Umständen, unter denen sie geschehen sind, nicht gegeneinander konkurrieren.<br />
18 Rat der EKD (Hg.): Die Lage der Vertriebenen <strong>und</strong> das Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen östlichen<br />
Nachbarn, 1. Oktober 1965, vgl. dazu: http://www.ekd.de/presse/pm168_2005_ekd_poer_ostdenkschrift.html.<br />
19 Andreas Kossert: Kalte Heimat. Die Geschichte der deutschen Vertriebenen nach 1945, München 2008.<br />
20 Wolfgang Meinicke: Zur Integration der Umsiedler in die Gesellschaft 1945-1952, in: Zeitschrift für<br />
Geschichtswissenschaft 36 (1988), S. 867-878.<br />
9
Reden <strong>und</strong> Musikbeiträgen anlässlich von Vertriebenentreffen stattfinden. Als Backstein-<br />
Monument des Kalten Krieges bedarf es jedoch einer Erklärung/historischen Kommentierung<br />
für nachfolgende Generationen (siehe unter 2.3.4.).<br />
Abb. 4: Im Bürgerpark. (Foto: Christl Wickert, 5.11.2008)<br />
2. Authentische Orte in Verden: Erinnerungsorte als Denkorte im öffentlichen Raum in<br />
der Stadt-Bildung<br />
Die Orte der nationalsozialistischen Verbrechen, Gräber, Leidensorte, Lagerorte,<br />
Polizeistationen <strong>und</strong> Gerichte sowie Opfer <strong>und</strong> Täter <strong>und</strong> auch nationalsozialistische Kultorte<br />
wie der Sachsenhain <strong>und</strong> die vorhanden Denkmäler haben im alltäglichen Leben kaum eine<br />
Bedeutung. Gleichwohl sind <strong>und</strong> bleiben sie – nach dem französischen Historiker Pierre Nora<br />
– als Orte des kollektiven Gedächtnisses <strong>und</strong> Denkens mit mehr oder weniger aufgeladenen<br />
Erinnerungen bestehen <strong>und</strong> tragen bewusst <strong>und</strong> unbewusst zur Identitätsstiftung bei. 21 Wenn<br />
wir dies ignorieren, gerät die notwendige Vergangenheitsbewältigung, die jede Generation<br />
neu zu leisten hat, in Vergessenheit, vernebelt den Blick für die Gegenwart <strong>und</strong> verbaut somit<br />
auch die Zukunft. Das gilt in besonderer Weise für Deutschland <strong>und</strong> die beiden Diktaturen des<br />
vergangenen Jahrh<strong>und</strong>erts <strong>und</strong> deren Folgen. Auf Verden <strong>und</strong> das bürgerschaftliche<br />
Engagement, unterstützt von der Politik, gegen ein Bildungszentrum der Neonazis im<br />
„Heisenhof“ oder in der Stadthalle übertragen, funktioniert derzeit (noch) der Blick auf die<br />
Vergangenheit. Die Selbstverpflichtung der Deutschen, sich mit den 1933-1945 begangenen<br />
Verbrechen an der Menschheit ehrlich auseinander zu setzen, muss Skepsis aushalten <strong>und</strong> ihr<br />
Anliegen in der Gesellschaft verteidigen; nicht zuletzt dies hat – auch bei den 1989/1990<br />
international formulierten Ängsten vor einem wiedervereinigten Deutschland – zur<br />
Normalisierung des Verhältnisses zwischen Deutschland <strong>und</strong> der Weltgemeinschaft<br />
21 Pierre Nora: Geschichte <strong>und</strong> Gedächtnis, Frankfurt/M. 1990.<br />
10
eigetragen. Verden ist eine deutsche <strong>und</strong> gleichzeitig europäische Stadt, die sich den<br />
Gr<strong>und</strong>sätzen der Europäischen Union <strong>und</strong> der Verteidigung von Menschenrechten <strong>und</strong><br />
Demokratie verpflichtet fühlt. In diesem Sinne ist eine der Zukunftsaufgaben auf dem Gebiet<br />
der Kultur- <strong>und</strong> Geschichtspolitik, Denkanstöße dort zu setzen, wo die Menschen leben <strong>und</strong><br />
ihren Alltag verbringen.<br />
Es bleibt eine öffentliche Aufgabe, die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus<br />
auch für die Zukunft zu sichern, denn fast 65 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges<br />
sterben die Zeugen aus; es bleiben – neben den schwer zugänglichen wenigen historischen<br />
Quellen – nur noch die Orte <strong>und</strong> die Namen, die zum Denken, Bedenken <strong>und</strong> Nachdenken<br />
anregen können <strong>und</strong> Teil der öffentlichen Stadt-Bildung (Stadtführungen) werden sollten. Das<br />
Projekt „Stolpersteine“ des Kölner Bildhauers Gunter Demnig markiert derartige Orte in<br />
Erinnerung an die Opfer der NS-Zeit, indem er vor ihrem letzten Wohnort Gedenktafeln aus<br />
Messing ins Trottoir verlegt. Auch in Verden wurden bereits 44 Stolpersteine verlegt. 22<br />
Die Informationen auf Stolpersteinen, an geplanten Denkorten <strong>und</strong> in historischen<br />
Ausstellungen können allerdings nicht die Frage beantworten, warum einzelne Täter<br />
Menschen drangsalierten, misshandelten <strong>und</strong> ermordeten. Die Frage nach dem Warum drückt,<br />
wie Jean-Michel Chaumont formuliert, „eine Sinnerwartung“ aus, die tatsächlich nicht zu<br />
erfüllen ist <strong>und</strong> die sich dann immer wieder geltend macht, wenn eine (neue) Erklärung<br />
gegeben wird. 23 Jede Ausstellung, jede Informationssammlung kann nur informieren <strong>und</strong> zum<br />
Nachdenken anregen.<br />
2.1 Denkmale, Mahnmale in Vergangenheit <strong>und</strong> Gegenwart<br />
Denkmale sind bedeutende künstlerische Gestaltungen wie das Stelenfeld von Peter Eisenman<br />
in Berlin, historische Bauten wie die Wartburg ebenso wie das Hermannsdenkmal im<br />
Teutoburger Wald (das mit dem Sieg über die Römer <strong>und</strong> den damit verb<strong>und</strong>enen Mythen um<br />
den Cherusker Hermann konnotiert ist), Standbilder ehemaliger Herrscher <strong>und</strong> Grabmäler,<br />
aber auch Orte des Gedenkens an Gefallene. Mahnmale, wie sie in der DDR verbreitet<br />
22 VAZ 10.4.2008. Die restlichen 13 Stolpersteine werden am 24.4.2009 verlegt.<br />
23 Jean-Michel Chaumont, S. 269.<br />
11
waren 24 , sind eine Sonderform der Denkmale. Sie sollen primär Betroffenheit erzeugen <strong>und</strong><br />
Mahnung für künftige Generationen in Bezug auf historische Verbrechen sein. Die Ruine der<br />
Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche im Westteil Berlins ist seit 1945 bis heute eines der<br />
wenigen gelungenen Beispiele für ein Mahnmal gegen Krieg <strong>und</strong> Zerstörung - mitten in einer<br />
Konsumgegend. Mahnen ist jedoch mit dem imaginären „pädagogischen Zeigefinger“<br />
verb<strong>und</strong>en, das bedeutete in der DDR insbesondere den Hinweis auf die „richtige politische<br />
Linie“. 25 Heutzutage ist Mahnen nicht direkt mit Nachdenken über Geschichte im Sinne von<br />
Pluralität in einer demokratisch verfassten Gesellschaft verb<strong>und</strong>en, sondern entweder mit<br />
aktueller Gefahrenprävention wie Neonazismus <strong>und</strong> Verbrechen oder aber mit<br />
Denkvorschriften in Diktaturen. 26<br />
2.2 Denkorte – Denkanstöße in die Zukunft<br />
In der Stadt <strong>und</strong> im Landkreis Verden gibt es in Erinnerung an die Missachtung der<br />
Menschenrechte unter der NS-Diktatur <strong>und</strong> ihre Folgen Orte mit positiven <strong>und</strong> negativen<br />
Konnotationen. Die Gesamtdimension der NS-Verbrechen aus politischen, rassischen <strong>und</strong><br />
ideologischen Begründungszusammenhängen spiegelt sich hier auf der Mikroebene<br />
wider <strong>und</strong> kann so nachvollzogen werden. Die Bedeutung der Mitverantwortung der<br />
Zuschauer <strong>und</strong> der Zuarbeiter vor Ort lässt sich darstellen <strong>und</strong> verweist auf die Respektierung<br />
der demokratischen Gr<strong>und</strong>rechte <strong>und</strong> deren aktive Verteidigung gegen politischen <strong>und</strong><br />
religiösen Fanatismus in allen gesellschaftlichen Zusammenhängen.<br />
Denkorte informieren, wenn sich ein Fußgänger die Zeit nimmt oder bei mehrmaligem<br />
Vorbeigehen immer wieder einmal angebotene Informationen aufnimmt. Denkorte müssen in<br />
die Gesellschaft integriert werden, sie sollten – nicht nur angesichts leerer öffentlicher Kassen<br />
– von Initiativen betreut werden, um sie vor Zerstörung durch die Witterung aber auch bei<br />
24<br />
Die Gedenkstätten Buchenwald, Ravensbrück <strong>und</strong> Sachsenhausen waren „Nationale Mahn- <strong>und</strong><br />
Gedenkstätten“. Seit den 1990er Jahren sind Gedenkstätten dagegen in ihrem Selbstverständnis Museen <strong>und</strong><br />
Bildungszentren an Orten des Gedenkens an die dort begangenen Massenverbrechen <strong>und</strong> ihre Opfer. Die deshalb<br />
notwendigen Umgestaltungen erfolgten in den vergangenen zehn Jahren noch in Zusammenarbeit mit den letzten<br />
Überlebenden.<br />
25<br />
Jürgen Danyel (Hg.), Die geteilte Vergangenheit. Der Umgang mit Nationalsozialismus <strong>und</strong> Widerstand in den<br />
beiden deutschen Staaten, Berlin 1995.<br />
26<br />
Verwiesen sei an dieser Stelle auf das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin, das in der<br />
allgemeinen Sprache, auch in der Presse bislang immer noch als „Holocaust-Mahnmal“ benannt wird, aber in<br />
seiner Selbstdefinition <strong>und</strong> Aufgabenbestimmung ein Denk- <strong>und</strong> Informationsort (die Ausstellung steht im Ort<br />
der Information) ist. Auch der Waggon mit der Zwangsarbeiterausstellung auf dem Gelände der Berufsbildenden<br />
Schulen in Dauelsen wird in der Verdener Presse wiederholt als „Holocaust-Mahnmal“ bezeichnet.<br />
12
mutwilligen Eingriffen zu sichern: Neben Schulprojekten 27 sollten auch außerschulische<br />
Bildungsträger (KVHS, LEB/Ländliche Erwachsenenbildung, Evangelischer Jugendhof) <strong>und</strong><br />
Vereine (wie Ortsgruppen einzelner Vertriebenverbände) sowie die Gewerkschaften, die<br />
demokratischen Parteien <strong>und</strong> die Kirchengemeinden (z.B. im Rahmen des Konfirmanden- <strong>und</strong><br />
Firmungsunterrichtes) eine Patenschaft für einzelne Orte übernehmen. 28 Im Rahmen der<br />
regelmäßigen Pflege (Säubern, Laubbeseitigung etc.) erfolgt eine inhaltliche Beschäftigung<br />
mit dem jeweiligen Ort mit Bezügen zu heutigen politischen Auseinandersetzungen. Aus dem<br />
bereits recherchierten Quellenf<strong>und</strong>us erfolgt nach dem Vorbild der Unterrichtsmaterialien zur<br />
Zwangsarbeit von Joachim Woock eine kleine Zusammenstellung von Materialien für die<br />
Projektarbeit. Die aktuellen Bezüge werden dann jeweils vom Verantwortlichen/Betreuer der<br />
Gruppe hergestellt, das können aktuelle Berichte aus der Tagespresse, Dokumentationen aus<br />
dem Fernsehen oder der Besuch einer bestimmten Veranstaltung sein. Als Beispiele aktueller<br />
Bezüge sind denkbar:<br />
- Ort der zerstörten Synagoge – Religiöse Toleranz, religiöser Fanatismus;<br />
- Sachsenhain – Geschichtsverfälschung durch politische Instrumentalisierung;<br />
- Uphusen – Holocaust-Leugner oder/<strong>und</strong> Menschenwürde;<br />
- Gräber von Zwangsarbeiterkindern – Kinderrechte, Kindesmisshandlung <strong>und</strong> -vernachlässigung;<br />
- Haus von General von Seydlitz – Brüche im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert, Verrat <strong>und</strong>/oder Widerstand;<br />
- Verschleppung der Sinti <strong>und</strong> Roma – Toleranz für andere Lebenszusammenhänge/Kulturen;<br />
- etc.<br />
Fragen nach den Personen der Täter sollte in Informationstexten/Ausstellungen nachgegangen<br />
werden. Dabei gilt es zu bedenken: diese Auseinandersetzung kann Empathie, zumindest ein<br />
„Verstehen“ der Akteure erzeugen. Hier gilt, wie Christopher Browning bemerkt, dass<br />
Erklären nicht „Entschuldigen“ <strong>und</strong> Verstehen nicht „Vergeben“ bedeutet. Denn „wenn man<br />
unrechtes Verhalten erklärt, muss man es noch lange nicht entschuldigen, <strong>und</strong> wenn man es<br />
versteht, muss man den Tätern noch lange nicht vergeben. Ohne den Versuch, die Täter in<br />
menschlicher Hinsicht zu verstehen, wäre [ ...] jede historische Untersuchung [unmöglich],<br />
die sich mit den Holocaust-Verbrechern befasst“ 29 .<br />
27<br />
Bestimmte Klassenstufen aller Schulen sollten sich im Rahmen eines Geschichtsprojektes mit einem zuvor<br />
festgelegten Gedenkort beschäftigen.<br />
28<br />
Die Verfasserin betreute im Schuljahr 2000/2001 die Abschlussklasse der Realschule Curslack in Hamburg-<br />
Vierlande, die sich mit dem Weg der Häftlinge des KZ Neuengamme durch den Ort <strong>und</strong> ihre Leiden auseinander<br />
setzte. Die Klasse erhielt dafür den „Bertini-Preis für junge Menschen mit Zivilcourage gegen Vergessen für ein<br />
gleichberechtigtes Miteinander“, der seit 1997 jeweils am 27. Januar in Hamburg vergeben wird. Im Rahmen<br />
ihrer Schulabschlussfeier wurden fünf ausgewählte Orte mit Informationstafeln, die jeweils auch historische<br />
Fotos/Dokumente enthalten, mit Zuschüssen der Ortsverwaltung <strong>und</strong> der Kulturbehörde markiert, deren Pflege<br />
seither zweimal jährlich von der jeweiligen Abschlussklasse geleistet wird.<br />
29<br />
Christopher Browning: Ganz normale Männer. Das Reserve-Polizeibataillon 101 <strong>und</strong> die „Endlösung“ in Polen,<br />
Hamburg 1993, S. 17.<br />
13
2.3 Konkret: Mahnmal, Ausstellungen, Denkorte<br />
Denkorte sind Orte kurzer, prägnanter Informationen, Orte der Anregung zum Nachdenken,<br />
die sich an die Bürger richten, die verweilen <strong>und</strong> lesen, an Vorbeieilende, die sich nur einen<br />
kurzen Blick Zeit nehmen oder an Gruppen unter Anleitung eines Stadtführers oder<br />
Projektleiters. Denkorte bezeichnen Ereignisse (siehe Denkort Zerstörung der Synagoge<br />
Halberstadt), Leidensorte (wie der Denkort Bunker Valentin in Bremen-Farge), Gräber <strong>und</strong><br />
Friedhöfe, aber auch Täterorte (wie die Topographie des Terrors, der Ort des ehemaligen<br />
Geheimen Staatspolizeiamtes in Berlin). Denkorte erhalten erst durch das Erzählen ihrer<br />
Geschichte <strong>und</strong> ggf. ein Foto eines oder mehrer betroffener <strong>und</strong> agierender Menschen (je nach<br />
dem: Opfer <strong>und</strong> Täter) ihre Plastizität. Dies gilt vor allem dann, wenn die<br />
Ereignisse/Erlebnisse 65 Jahre <strong>und</strong> länger zurückliegen. Verlorene Informationen, Relikte,<br />
Dokumente <strong>und</strong> Fotos dürfen jedoch nicht nachgebildet, sondern sollten als Lücken<br />
gekennzeichnet werden. 30<br />
An ausgewählten Orten empfehlen sich kleinere Ausstellungen zu ausgewählten Themen mit<br />
ausführlicheren Information: Dies sollte in Verden im Sachsenhain zur SS <strong>und</strong> dem kleinen<br />
Außenlager des KZ Neuengamme <strong>und</strong> im neu aufzustellenden Reichsbahnwaggon zum<br />
Zwangsarbeitseinsatz in Verden geschehen. Der niedergebrannte Waggon auf dem Gelände<br />
der Berufsbildenden Schulen in Dauelsen ist ob des Brandanschlags, der sich mutmaßlich<br />
gegen den Inhalt der dort gezeigten Informationen richtete, als ein Mahnmal gegen<br />
Neonazismus <strong>und</strong> Geschichtsrevisionismus/Holocaustleugnung zu bezeichnen <strong>und</strong> sollte<br />
deshalb in seiner heutigen Form, versehen mit einer entsprechenden Informationsstele<br />
erhalten bleiben.<br />
Ausstellungen, die didaktisch aufbereitet mit zusätzlichem Material die Möglichkeit der<br />
Projektarbeit vor Ort bieten, kommen dem Informationsbedürfnis ausgewählter Gruppen <strong>und</strong><br />
Einzelbesucher entgegen. Salomon Korn, Mitglied des Zentralrats der Juden in Deutschland,<br />
betonte im Mai 2005 anlässlich der Eröffnung des Denkmals für die ermordeten Juden<br />
Europas, dass ihm der Ort der Information (unter dem Stelenfeld) mit seiner vergleichsweise<br />
kleinen Ausstellung mehr mitteilte, als die oberirdische künstlerische Gestaltung. Auf die hier<br />
30 Für ein nicht vorhandenes Foto eines Zwangsarbeiters, dessen Schicksal Erwähnung findet, sollte statt des<br />
Fotos ein umrandete Freifläche auf die Lücke hinweisen. Siehe entsprechende Gestaltung der Biografieordner in<br />
der Ausstellung „Dienststelle KZ Neuengamme: Die Lager-SS“ in Hamburg.<br />
14
geplanten Denkorte in Verden übertragen heißt das: Heute ist eigentlich nichts mehr direkt<br />
davon zu sehen, was sich in der NS-Zeit zugetragen hat, aber eine Informationsstele, wie auch<br />
eine Ausstellung, kann einen Ort zum Sprechen bringen <strong>und</strong> Menschen zum Nachdenken<br />
anregen. Sie sollten überall nach dem gleichen Konzept <strong>und</strong> im wiedererkennbaren Design<br />
gestaltet sein.<br />
2.3.1 Mahnmal „Abgebrannter Waggon“<br />
Die am Vorabend des 27. Januar 2007 zerstörte Ausstellung zur Zwangsarbeit im Landkreis<br />
Verden, war aus verschiedenen Schülerprojekten der Berufsbildenden Schulen<br />
hervorgegangenen. 31 Dass es sich mutmaßlich um eine Attacke mit neonazistischem<br />
Hintergr<strong>und</strong> handelte, ist leider bislang nicht aufgeklärt worden. Eine schnelle Aufklärung<br />
<strong>und</strong> gerichtliche Aufarbeitung, wie beispielsweise bei dem neonazistischen Brandanschlag auf<br />
die „Jüdische Baracken“ in der Gedenkstätte Sachsenhausen im September 1992, hätte – nicht<br />
nur für die Brandstifter – ein sichtbares Zeichen gegen Neonazismus setzen können. In<br />
Ermangelung dessen besteht die Notwendigkeit, am Ort des Anschlags auf dieses Ereignis<br />
<strong>und</strong> den mutmaßlichen Hintergr<strong>und</strong> hinzuweisen. Der Reichsbahngüterwaggon bleibt als<br />
Brandruine erhalten, er wird allenfalls gegen grobe Witterungseinwirkungen gesichert.<br />
Abb. 5: Das Mahnmal. (Foto: Christl Wickert, 5.11.2008)<br />
31 Frank Aures: Schlafende H<strong>und</strong>e wecken, in : Ute Frevert (Hg.): Geschichte bewegt. Über Spurensucher <strong>und</strong><br />
die Macht der Vergangenheit, Hamburg 2006, S. 81-93; Joachim Woock: Schulprojekt „Zwangsarbeit im<br />
Regionalgebiet Verden während des Zweiten Weltkrieges“, in: 125 Jahre Berufsschule in Verden 1831-2006,<br />
Oldenburg 2006, S. 37-43; Karin Haist: Schülerwettbewerb Deutsche Geschichte der Körber-Stiftung um den<br />
Preis des B<strong>und</strong>espräsidenten, in: ebd., S. 45/46; Sonja Ruf/Tillmann Stottele: Kein Herbst ohne Blätter.<br />
Jugendaktionen gegen Umweltzerstörung, Stuttgart 1990.<br />
15
2.3.2 Ausstellung im Außengelände des Sachsenhain<br />
Entlang des Findlungsr<strong>und</strong>weges informieren am Evangelischen Jugendhof in Dauelsen<br />
derzeit acht Tafeln im Stil der verbreiteten Naturschutzinformationen über die Geschichte des<br />
Geländes von 1934 bis heute. Darin wird auch die Geschichte des SS-Ortes nicht<br />
verschwiegen. Nachteile der R<strong>und</strong>tafeln sind, neben der Gestaltung, der inzwischen überholte<br />
Stand zur Geschichte des Sachsenhains vor 1945 <strong>und</strong> vor allen Dingen die Vermischung der<br />
Geschichte des Jugendhofes mit der Entstehungsgeschichte des Geländes. Dabei geht die<br />
Chance verloren, die inzwischen fast 60 Jahre währende erfolgreiche Geschichte<br />
evangelischer Jugendbildungsarbeit am Ort deutlicher herauszustellen.<br />
Abb. 6: Beispiel für die Vermischung der Geschichte des Sachsenhains vor <strong>und</strong> nach 1945.<br />
(Foto: Christl Wickert, 5.11.2008)<br />
Es empfiehlt sich eine Trennung der beiden Themen:<br />
1) Darstellung des Jugendhofes in der Nähe des Empfangsbereichs am<br />
Parkplatz/Haltestelle mit nur zwei Sätzen Hinweis, dass das Gelände nach einem<br />
Konzept der SS vom Reichsarbeitsdienst <strong>und</strong> örtlichen Baufirmen 1934-1936 errichtet<br />
wurde. Die Gestaltung muss sich deutlich von dem weiteren Informationsbereich zum<br />
SS-Ort unterscheiden.<br />
2) Freiluftausstellung zur Geschichte des Sachsenhains 1934-1945, incl. Außenlager KZ<br />
Neuengamme, die sich in Design <strong>und</strong> Gestaltung an den Denkorten in der Stadt<br />
orientieren sollte: Zu begrüßen wäre eine Dekonstruktion des halbr<strong>und</strong>en<br />
16
Findlingsplatzes vor den Gebäuden des Jugendhofs durch Wegnahme zweier<br />
Findlinge im linken Bereich, zwischen denen 8-10 Themenstelen platziert werden. Die<br />
Stelen geben lediglich den Weg zum R<strong>und</strong>weg nach links frei. Der Platz bliebe zu ¾<br />
weiterhin als Spielort für die Besucher des Jugendhofes erhalten. Schwerpunkte<br />
sollten sein: Organisation <strong>und</strong> Selbstverständnis der SS / Heinrich Himmler; Mythos<br />
Sachsenhain als Beispiel für Geschichtsverfälschung <strong>und</strong> Instrumentalisierung von<br />
Geschichte; Baugeschichte, Geschichte der einzelnen Häuser; Nutzung durch die SS:<br />
Besucher 1934-1936, mutmaßliche Nutzung 1936-1945; SS-Führer vor Ort; das<br />
Außenlager 1945 (diese Stele bewusst mit vielen Leerstellen, die die Wissenslücken<br />
zeigen); Nachnutzung nach der Befreiung bis zur Übernahme durch die Ev. Kirche<br />
(ebenfalls mit Leerstellen).<br />
Abb. 7: Spielplatz im Sachsenhain; rechts des Bildrandes könnte eine Dekonstruktion des zentralen<br />
Platzes durch eine Ausstellung ansetzen. (Foto: Christl Wickert, 5.11.2008)<br />
2.3.2 Zentraler Denkort: Ausstellung zum Zwangsarbeitseinsatz „Rekrutierung <strong>und</strong><br />
Deportation“<br />
Die Überlegung, die Ausstellung zum Zwangsarbeitseinsatz in einem anderen<br />
Reichsbahngüterwaggon in die Stadt zu verlegen, birgt drei Vorteile: 1) in einer inhaltlichen<br />
Bestimmung des neuen Standortes, 2) für eine bessere Sicherung vor Anschlägen <strong>und</strong> 3)<br />
durch eine Integration in die Selbstdarstellung der Stadt <strong>und</strong> ihrer Geschichte.<br />
Als Standort bietet sich die Nachbarschaft des Bahnhofes nicht nur wegen der zentralen Lage<br />
<strong>und</strong> in direkter Nähe zur Stadthalle an, die durch Bürgerengagement mit Unterstützung der<br />
Stadt 2004 vor dem Verkauf an den Anwalt Rieger bewahrt werden konnte. Vom Bahnhof<br />
wurden die Verdener Juden deportiert, hier kamen die Zwangsarbeiter 1940-1945 an <strong>und</strong><br />
mussten weiter zum Arbeitsamt <strong>und</strong> durch die Stadt zu den Lagern <strong>und</strong> Arbeitseinsatzorten<br />
laufen. Im April 1945 war Verden im Rahmen der von der SS sog. „Evakuierung“ von<br />
17
Zwangsarbeitern <strong>und</strong> KZ-Häftlingen (in den Erinnerungen der Überlebenden oft<br />
Todesmärsche genannt) eine Durchgangsstation aus dem nordwestdeutschen Raum. Die Züge<br />
führten in das Sterbelager nach Bergen-Belsen, andere auf Umwegen nach Sandbostel.<br />
Die Ausstellung selbst bedarf lediglich einer leichten Ergänzung durch eine Außenstele mit<br />
einen Verweis auf den Brandanschlag vom 26. Januar 2007. Ebenfalls vor dem Waggon ist<br />
die Aufstellung eines Planes zu empfehlen, auf dem alle Lager <strong>und</strong> Arbeitseinsatzorte von<br />
Zwangsarbeitern, Kriegsgefangenen <strong>und</strong> Militärinternierten sowie KZ-Häftlingen markiert<br />
sind. Der Waggon <strong>und</strong> sein Umfeld benötigen nach den bisherigen Erfahrungen eine<br />
Sicherung gegen Vandalismus <strong>und</strong> Zerstörung. Das könnte ein Pavillon mit möglichst einer<br />
Glaswand sein, die den Blick auf den Waggon freigibt. Die Außenstele nach Design <strong>und</strong><br />
Konzept der Denkorte zur Wiedererkennung markiert den Eingang. Zur Übersicht für<br />
Interessierte sollten an einer Außenwand zwei bzw. drei zusätzliche – im Design den<br />
Informationstafeln an den Denkorten ähnliche – Schaukästen angebracht werden: 1)<br />
Topographie der Verdener Stolpersteine, 2) Topographie der Verdener Denkorte, <strong>und</strong> ggf. 3)<br />
Dokumentation von bürgerschaftlichem Engagement gegen die Aktivitäten der Neonazis mit<br />
der Möglichkeit, hier jeweils aktuelle Artikel/Flugblätter auszuhängen.<br />
Für den Ort selbst ist ein passender Name zu finden: Zentraler Denkort oder Denkortezentrum<br />
(nicht zu empfehlen ist der Begriff „Zentrale“, das hat Konnotationen zu Begriffen wie<br />
„Zentrale des Terrors“ oder „Zentrale der NSDAP“ etc.) oder ..... . Der Waggon mit<br />
Ausstellung sollte integraler Bestandteil der Stadtführungen sein <strong>und</strong> als Ort für die<br />
Gedenkfeiern am Holocaust-Gedenktag am 27. Januar genutzt werden. Am Volkstrauertag, zu<br />
dem traditionellerweise Veranstaltungen an den Kriegerdenkmälern stattfinden, sollte hier<br />
ebenfalls ein Kranz niedergelegt werden.<br />
2.3.3 Denkorte in der Stadt<br />
Denkorte sind die ausdrückliche Ergänzung der Stolpersteine, die an den Wohnorten<br />
Deportierter nur deren Namen <strong>und</strong> Lebensdaten dokumentieren. Man kann hier BE-DENKEN<br />
ebenso wie NACH-DENKEN <strong>und</strong> GE-DENKEN.<br />
Denkorte könnten in der Stadt <strong>und</strong> später im Landkreis durch Informationsstelen<br />
gekennzeichnet werden. Wichtig sind hier kurze Informationen, die zum Lesen keine lange<br />
18
Verweildauer benötigen <strong>und</strong> die wiedererkennbare Gestaltung, die es auch eiligen Fußgängern<br />
erlaubt, nach mehrmaligem Passieren Inhalte aufzunehmen.<br />
Stelen, heute vielfach ein Element der Gartengestaltung <strong>und</strong> Informationstafeln an<br />
Bushaltestellen, bezeichneten bereits in der griechischen Antike freistehende Pfeiler,<br />
Grabmale, Inschriften- <strong>und</strong> Grenzsteine. Die Gestaltung der Stelen sollte sich deutlich von<br />
sonstigen Informationstafeln wie an archäologischen F<strong>und</strong>orten oder Tafeln für berühmte<br />
ehemalige Bewohner bestimmter Häuser unterscheiden. Die Informationsstelen enthalten<br />
kurze Texte, sind ggf. mit bis zu zwei Abbildungen, wie Foto oder Dokument zu ergänzen<br />
<strong>und</strong> nehmen immer einen Bezug zu einem konkreten Menschen <strong>und</strong> sein Schicksal (je<br />
nachdem Opfer oder Täter).<br />
Es wird unterschieden zwischen [1] Biografischen Orten (Wohn-, Verhaftungs- oder Haftorte<br />
von Widerstandskämpfern aus SPD <strong>und</strong> KPD, Wohnort General von Seydlitz etc.), [2] Orten<br />
der Zerstörung, [3] Orten der Täter, [4] Orten der Verfolgung wie Lager oder Arbeitsplätze<br />
von Kriegsgefangenen, Zwangsarbeitern <strong>und</strong> KZ-Häftlingen, [5] Grabstätten <strong>und</strong> [6] bereits<br />
vorhandenen Denkmälern mit Bezug auf den NS <strong>und</strong> seine Folgen:<br />
- [1] Widerstandskämpfer (auf die politische Ausgewogenheit achten),<br />
- [2] Standort der ehemaligen Synagoge; ggf. Standort des ehemaligen<br />
„Zigeuner“-Rastplatzes,<br />
- [3] Polizeistation oder Gestapostation, Gericht/Sondergericht, Haftort/<br />
Gefängnis, NSDAP-Kreisleitung oder NSDAP-Parteiheim, Haus der SA, SS-<br />
Standarte (es sind gezielt Orte mit herausragender Bedeutung auszuwählen)<br />
- [4] Arbeitsamt als erste Anlaufstelle für die ankommenden Zwangsarbeiter,<br />
Zwangsarbeitersammelstelle, Zwangsarbeitseinsatzorte (die verschiedenen<br />
Gruppen, die in Verden waren, jeweils mitbedenken), KZ-Außenlager<br />
- [5] Grabstätten: Jüdischer Friedhof, Gräberfeld auf dem Domfriedhof<br />
- [6] "Mahnmal für die jüdischen Opfer in Verden aus der Zeit der NS-<br />
Gewaltherrschaft" mit den Namen der Namen der Opfer hinterm Rathaus;<br />
„Vertriebenendenkmal“ im Bürgerpark<br />
Eine Besonderheit stellt der Standort, der Bau <strong>und</strong> die Aussage des „Vertriebenendenkmals“<br />
im Bürgerpark dar: Es erinnert an das Schicksal der Flüchtlinge <strong>und</strong> Vertrieben, eine direkte<br />
Folge des NS-Terrorregimes <strong>und</strong> der Feldzüge im Zweiten Weltkrieg. Das Denkmal nimmt<br />
die Regionen auf, aus denen es Menschen nach Verden „verschlagen“ hat. Es sollte als<br />
19
Denkort einbezogen <strong>und</strong> kommentiert werden, um die Parkbesucher zu informieren: Der Text<br />
sollte die Schwierigkeiten der Integration der Vertriebenen ansprechen, den Bildhauer<br />
benennen sowie die dort genannten Regionen erklären, insbesondere gilt dies für<br />
Brandenburg, denn unter den B<strong>und</strong>esländern existiert heute wieder ein Land mit dem gleichen<br />
Namen. 32 Das heutige Brandenburg (bis 1989 als Bezirke Cottbus, Frankfurt/Oder <strong>und</strong><br />
Bezirk Potsdam sowie Teil der Bezirke Schwerin <strong>und</strong> Neubrandenburg Teil der DDR)<br />
umfasst lediglich die Gebiete der alten preußischen Kernprovinz westlich der Oder.<br />
2.3.4 Erweiterung im Landkreis<br />
Verden <strong>und</strong> seine umliegenden Gemeinden haben eine gemeinsame Geschichte, die sich auch<br />
in Denkorten darstellen ließe. Dazu sind u.a. zu zählen das ehemalige Wohnhaus von Cato<br />
Bontjes-van-Beeck in Fischerhude, die 1943 wegen Vorbereitung zum Hochverrat<br />
hingerichtet wurde oder das KZ-Außenlager Uphusen, der Platz der ehemaligen Synagoge<br />
<strong>und</strong> der jüdische Friedhof in Achim, Gräberfelder <strong>und</strong> Gedenksteine z.B. in Langwedel <strong>und</strong><br />
Dörverden, der Zwangsarbeitereinsatz bei der Schießpulverfabrik Eibia in Dörverden etc. Da<br />
letzteres sich genau gegenüber dem Privatgelände von Rieger befindet, sollte hier<br />
schnellstmöglich ein sichtbares Zeichen mit einer Stele gesetzt werden, das die derzeitige<br />
Gedenktafel ergänzt.<br />
32 Christopher Clark: Preußen. Aufstieg <strong>und</strong> Niedergang 1600-1947, München 2007: Die Geografische<br />
Ausdehnung der preußischen Kernprovinz Brandenburg änderte sich seit ihrer Gründung 1815 bis zur Auflösung<br />
des Landes Preußen 1947 auf Beschluss der Alliierten mehrfach: Sie umfasste zunächst die Mark Brandenburg,<br />
die Neumark östlich der Oder <strong>und</strong> die Niederlausitz; Ausgliederung Berlins 1881 sowie weiterer umliegender<br />
Gemeinden mit der Gründung Groß-Berlins 1920; 1938 kamen mit der Auflösung der Provinz Posen-<br />
Westpreußen weitere Landkreise hinzu (Schwerin/Warthe, Meseritz <strong>und</strong> Bomst), gleichzeitig kamen die<br />
Landkreise Friedeberg <strong>und</strong> Arnswalde zu Pommern. 1939 Umbenennung in Mark Brandenburg. Bis 1933 gab es<br />
einen für Berlin <strong>und</strong> Brandenburg gemeinsamen Oberpräsidenten, dessen Sitz wie auch die Provinzialverwaltung<br />
bis 1945 in Berlin waren. Auch im Wehrkreis III <strong>und</strong> unter dem Höheren SS- <strong>und</strong> Polizeiführer waren sie<br />
zusammengelegt.<br />
20
Abb. 8: Gedenktafel gegenüber dem „Heisenhof“, die<br />
durch eine Denkort-Stele ergänzt werden sollte.<br />
(Foto: Christl Wickert, 5.11.2008)<br />
3. Vorschläge für Gestaltung <strong>und</strong> Inhalte der Informationsstelen<br />
Informationsstelen sind Teil der Gestaltung einzelner Orte auch in großen Gedenkstätten wie<br />
in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Hier wurde bei der Neugestaltung 2005 entschieden,<br />
jeweils nur ein historisches Foto abzubilden, da die Informationstexte in vier Sprachen<br />
(Deutsch, Englisch, Französisch, Russisch) aufgeführt werden sollten.<br />
In der Stadt <strong>und</strong> im Landkreis Verden ist keine Mehrsprachigkeit nötig. Allenfalls kann<br />
überlegt werden, die Haupttexte in Kurzform auf Englisch aufzuführen.<br />
Abb. 9: Beispiel 1 aus Neuengamme: Schautafel am Mauerrest des ehemaligen Gefängnisses, das bis 2006 auf<br />
den Tongruben stand. (Foto: Andreas Ehresmann, 2007)<br />
Abb. 10: Beispiel 2 aus Neuengamme: Informationsstele (aus Edelstahl mit Schriftbild <strong>und</strong> Foto eingebrannt) am<br />
ehemaligen Kommandantenhaus. (Foto: Christl Wickert, November 2007)<br />
21
Eine vergleichbare Ausfertigung von ca. 2 m Höhe mit bis zu drei Fotos oder Dokumenten bei<br />
maximal 1800 Zeichen Text hat einen Produktionspreis, incl. Gestaltungsentwurf, von ca.<br />
3000 € (incl. F<strong>und</strong>ament). Denkbar könnte auch sein, dass ein Berufsbildungsprojekt, eine<br />
Arbeitsbeschaffungsmaßnahme oder eine Klasse der BBS Verden die Arbeiten übernimmt 33 :<br />
in diesem Fall werden vermutlich lediglich Material- <strong>und</strong> sonstige Zusatzkosten von ca.<br />
600-800 € anfallen. Darüber hinaus ist ein Lektorat der Texte aus einer Hand zu empfehlen,<br />
da von mehreren Autoren erfahrungsgemäß oft unterschiedliche Begriffe für gleiche<br />
historische Sachverhalte gewählt werden. 34<br />
Die beiden folgenden Beispiele sind lediglich als Vorlage zum besseren Verständnis gewählt.<br />
Die Haupttexte (zentrale Informationen) sollten nie mit 1945 enden, verweisen sie doch auf<br />
das der Verfolgung oder den Verbrechen folgende (Nicht)Gedenken oder (Über)Leben, der<br />
(nicht) erfolgten Wiedergutmachung oder der (nicht) erfolgten juristischen Ahndung <strong>und</strong><br />
geben damit Schlaglichter auf den Umgang von Gesetzgebung, Gesellschaft <strong>und</strong> Justiz in der<br />
Nachkriegszeit.<br />
33 Siehe das Beispiel der Herstellung von Gedenktafeln für Bergen-Belsen durch die Metallklasse der<br />
Berufsbildenden Schulen Verden: VAZ 18.11.2009.<br />
34 Sollte dies nicht von einem Mitglied des Vereins geleistet werden können, kämen noch einmal geschätzte<br />
Unkosten von ca. 1000 € hinzu.<br />
22
3.1. Ein biografischer Ort: Beispiel für ein Schild in Erinnerung an eine Person (vor dem<br />
ehemaligen Wohnhaus)<br />
***<br />
(Titel:) Widerstand gegen die Diktatur<br />
(Haupttext:)<br />
Cato Bontjes van Beek (14.11.1920-5.8.1943) wurde am 20.9.1942 zusammen mit<br />
ihrem Vater verhaftet <strong>und</strong> vom Reichskriegsgericht wegen “Vorbereitung zum<br />
Hochverrat” zum Tode verurteilt <strong>und</strong> hingerichtet.<br />
Ihre Kindheit <strong>und</strong> Jugend verbrachte sie in der Künstlerkolonie<br />
Worpswede/Fischerhude. Bereits Mitte der 1930er Jahre hatte sie in Bremen Kontakt<br />
zum Widerstand. Seit 1940 lebte sie bei ihrem Vater in Berlin, über den sie Kontakt<br />
zu Widerstandskreisen erhielt, in denen junge Kommunisten, Sozialdemokraten,<br />
Intellektuelle <strong>und</strong> Mitglieder der „Bekennenden Kirche“ verkehrten. Die Gestapo<br />
beobachtete <strong>und</strong> verfolgte die Aktivitäten unter dem Begriff „Rote Kapelle“. Von den<br />
Verhaftungen 1942 waren ebenso viele Frauen wie Männer betroffen. Nach<br />
Kriegsende führte ihre Mutter einen jahrelangen Kampf um die Annullierung des<br />
Urteils <strong>und</strong> die Rehabilitierung ihrer Tochter. (865 Zeichen)<br />
Erkennungsdienstfoto der Gestapo 1942 (hier aus Internet, aber über Hans Coppi<br />
direkt zu bekommen)<br />
Zitat aus Hermann Vinkes Buch „Ich habe nicht um mein Leben gebettelt.“/ca.<br />
400 Zeichen<br />
Heute erinnert im Landkreis Verden ein Cato Bontjes van Beek-Weg an der<br />
Liebfrauenkirche in Fischerhude an die Verfechterin von Meinungsfreiheit <strong>und</strong><br />
Demokratie. Das Archimer Cato Bontjes van Beek-Gymnasium trägt seit 1991 ihren<br />
Namen. (234 Zeichen)<br />
***<br />
23
3.2. Beispiel für ein Schild am Gelände des Außenlagers Uphusen:<br />
***<br />
(Titel:) „In Auschwitz gab es keine Gaskammern“ (Holocaustleugner)<br />
(Haupttext:)<br />
Rüstungsministerium <strong>und</strong> die Industrie forderten ab 1942 KZ-Häftlinge als<br />
Arbeitskräfte. Bei Produktionsstätten <strong>und</strong> Baustellen entstanden zahlreiche Lager,<br />
die meisten 1944/45. Die seit 7. Februar 1945 in zwei Steinbaracken im Außenlager<br />
Uphusen untergebrachten 100 ungarischen Jüdinnen waren bei der Firma Rodiek in<br />
der Betonherstellung <strong>und</strong> in Uesen bei der Fertigung von Behelfsheimen für die<br />
Firma Diedrich Rohlfs tätig. Sie waren im Mai 1944 verhaftet, nach Auschwitz<br />
transportiert worden <strong>und</strong> der Vernichtung in den Gaskammern durch die Selektion für<br />
den Arbeitseinsatz entgangen. Am 4. April 1945 ließ die SS das Lager räumen. Über<br />
Verden kamen sie ins Sterbelager Bergen-Belsen, wo viele von ihnen noch kurz vor<br />
<strong>und</strong> nach der Befreiung starben. Seit 1991 erinnert eine Tafel auf Initiative der<br />
Geschichtswerkstatt Achim an die Leiden der Häftlinge. (852 Zeichen)<br />
Scan, 2 Seiten verkleinert: Aktenvermerk über die Verlegung aus Obernheide nach<br />
Uphusen aus dem Staatsarchiv Bremen (Bestand 9, S9-17, Ordner 66)<br />
(Beispielzitat einer Überlebenden)<br />
„Wir haben sehr schwer gearbeitet. Rodieck war eine Fabrik für Fertigteile von<br />
Häusern für Ausgebombte. Zuerst mussten wir Balken schleppen von einem Ende<br />
der Fabrik zum anderen. Später wurden wir an eine Maschine gestellt. Dann kam ich<br />
in den Hauptsaal. Dort waren Kreissägen. Da hat man Holz zugeschnitten von ganz<br />
großen Brettern.“ (334 Zeichen)<br />
Scan: Foto zur Beispielbiografie Bsp. Aus dem www gegriffen<br />
(Beispielbiografie)<br />
Ella Kozlowski, geb. Herszberg<br />
* 9.3.1920 (Berlin), lebt in Israel<br />
1934 Auswanderung nach Polen; 1939 Getto Zduńska Wola; August 1942 Getto<br />
Lodz; Auschwitz-Birkenau; 29.8.1944 bis April 1945 KZ Neuengamme, Bremer AL<br />
Hindenburgkaserne <strong>und</strong> Obernheide; 15.4.1945 Befreiung im KZ Bergen-Belsen;<br />
Rekonvaleszenz in Schweden; 1948 Rückkehr nach Polen; 1956 Auswanderung<br />
nach Israel; Anwaltssekretärin. (392 Zeichen)<br />
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