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Vielfältiges Sehen. Franz Kafka und der Kubismus in Prag (PDF)

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Denkbild<br />

wenig mit Troddeln o<strong>der</strong> knopfartigen Behängen von gleicher<br />

Farbe versehen; sie ist immer ohne Hut, ihr stumpf-blondes Haar<br />

ist glatt <strong>und</strong> nicht unordentlich, aber sehr locker gehalten. [...]<br />

Den E<strong>in</strong>druck, den ihre Hand auf mich macht, kann ich nur wie<strong>der</strong>geben,<br />

wenn ich sage, daß ich noch ke<strong>in</strong>e Hand gesehen habe,<br />

bei <strong>der</strong> die e<strong>in</strong>zelnen F<strong>in</strong>ger <strong>der</strong>art scharf von e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> abgegrenzt<br />

wären, wie bei <strong>der</strong> ihren; [...]. Diese kle<strong>in</strong>e Frau nun ist mit mir<br />

sehr unzufrieden, immer hat sie etwas an mir auszusetzen, immer<br />

geschieht ihr Unrecht von mir, ich ärgere sie auf Schritt<br />

<strong>und</strong> Tritt; wenn man das Leben <strong>in</strong> allerkle<strong>in</strong>ste Teile teilen könnte,<br />

wäre gewiß jedes Teilchen me<strong>in</strong>es Lebens für sie e<strong>in</strong> Ärgernis.»<br />

(1, 253)<br />

Gegenstand <strong>und</strong> Beobachterstatus ähneln dem Fahrgast-Text aus<br />

<strong>der</strong> Betrachtung. In beiden Stücken wird die Frau durch die Darstellung<br />

von Teilen ihres Körpers <strong>und</strong> ihrer Kleidung vergegenwärtigt.<br />

Im Gegensatz zum ersten Text aber kennt <strong>der</strong> Betrachter des zweiten<br />

die Frau, so dass er e<strong>in</strong> berichtendes Resümee zieht. <strong>Kafka</strong><br />

verfährt also zunächst analytisch, <strong>in</strong> dem er das Objekt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e<br />

Teile zerlegt, <strong>und</strong> ergänzt die Sehakte dann um e<strong>in</strong>en Bericht. Beschreibung<br />

<strong>und</strong> Erzählung werden nebene<strong>in</strong>an<strong>der</strong> gestellt, können<br />

aber erst <strong>in</strong> <strong>der</strong> Phantasie des Betrachters zu e<strong>in</strong>er Synthese<br />

werden.<br />

In dem anfangs erwähnten Bericht von Friedrich Feigl über se<strong>in</strong>e<br />

Gespräche mit <strong>Kafka</strong> heißt es <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne: «E<strong>in</strong>mal versuchten<br />

wir die Elemente <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen Künste zu analysieren; es<br />

war etwa fünf Jahre vor se<strong>in</strong>em Tode. Wir kamen dabei zu dem<br />

Schluß, daß das Wesenselement <strong>der</strong> Malerei <strong>der</strong> Raum sei, während<br />

es für die Musik <strong>und</strong> für die Dichtung die Kausalität sei,<br />

entsprechend den Gr<strong>und</strong>elementen <strong>der</strong> S<strong>in</strong>neswahrnehmung:<br />

räumlichem, zeitlichem <strong>und</strong> Kausalgefühl. Mir wurde damals<br />

zum ersten Male klar, daß <strong>Kafka</strong>s Art zu schreiben e<strong>in</strong>e neue<br />

Kausalität, e<strong>in</strong>en neuen Kausalzusammenhang darstellte. Er kam<br />

jedoch nie wie<strong>der</strong> darauf zu sprechen.» 41<br />

98<br />

41 Feigl: <strong>Kafka</strong> <strong>und</strong> die Kunst,<br />

S. 149.<br />

Bildnachweis:<br />

Abb. 1: Wolfgang Rothe: <strong>Kafka</strong><br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Kunst, Stuttgart/Zürich:<br />

Belser 1979, S. 52. – Abb. 2: Die<br />

Aktion, Heft 7/8 von 1918. –<br />

Abb. 3: Antikvariátu Prošek, Auktion<br />

55. <strong>Prag</strong> 2003, Nr. 128a. –<br />

Abb. 4: Michael Bregant u. a.: Das<br />

kubistische <strong>Prag</strong> 1909–1925, <strong>Prag</strong>:<br />

Galerie <strong>und</strong> Verlag Mitteleuropa<br />

1996, S. 27. – Abb. 5: Ebd., S. 61.<br />

– Abb. 6: Ebd., S. 106.

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