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Stephan Schlak: Ernst Jüngers letzte Worte

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Letzte <strong>Worte</strong>Steph a n <strong>Schlak</strong><strong>Ernst</strong> Jüngers <strong>letzte</strong> <strong>Worte</strong>I.<strong>Ernst</strong> Jünger war ein Virtuose des Überlebens. An vorderster Frontüberlebte er vielfach verwundet die Materialschlachten und«Stahlgewitter» des Ersten Weltkrieges. Unversehrt ging er aus derBürgerkriegslandschaft der Zwischenkriegsjahre hervor. Im DrittenReich überwinterte der Einzelgänger zwischen allen Klippenauf gefährlichem, literarischem Posten. Jünger entkam der Todeszonedes frühen 20. Jahrhunderts. Aber der Tod blieb sein Begleiter.Zwei Söhne und seine erste Frau Gretha mußte er im Laufeseines Lebens beerdigen. Jünger wurde darüber immer älter. AmEnde des Jahrtausends schien der <strong>letzte</strong> große Ordensträger desKaisers aus der bundesrepublikanischen Zeit gefallen zu sein.Geburtstag um Geburtstag verstrich. Fast schien es so, als wollte<strong>Ernst</strong> Jünger über den Tod das <strong>letzte</strong> Wort behalten.Als die Jahrhundertgestalt im Februar 1998 im KreiskrankenhausRiedlingen dann doch starb, war es ein eher leiser Abgang –ohne eine <strong>letzte</strong> Flaschenpost oder Maxime für die Nachwelt.Seine Arbeit am Tagebuch hatte er schon zwei Jahre zuvor eingestellt.Mit hundert Jahren hatte Jünger seinen Füllfederhalterzugeschraubt: Vom 17. März 1996 datiert der <strong>letzte</strong> Eintrag inseinen verstreuten Tagebuch-Notaten Siebzig verweht V. Es ist keinbewußter markanter Abschluß, sondern die Eintragungen laufenfast beiläufig aus, mit einem «Vorfrühlingstag» im Garten, einem«Schlachtfest» im Wilflinger «Löwen» und «unruhigen Träumen»in der Nacht. «Vielleicht macht mich meine intensive Dostojewski-Lektüre für solche Erscheinungen anfällig.» Als das abenteuerliche


Letzte <strong>Worte</strong>Herz zwei Jahre später zu seiner endgültig «<strong>letzte</strong>n Expedition»aufbricht, scheint es der Nachwelt eine <strong>letzte</strong> Nachricht zu verweigern.Diese Leerstelle verblüfft, hatte Jünger doch seit demKrieg die ganze zweite Hälfte seines Lebens <strong>letzte</strong> <strong>Worte</strong> bedeutender,aber auch namenloser Verstorbener gesammelt.Im Schatten der vielen Toten des Krieges, aber in der Mitteseines eigenen Lebens beginnt Jünger in den fünfziger Jahren dieSammlung. Zwar rebellierte er in seinen Schriften zeitlebens gegendie rational geordnete Apothekerwelt seines Vaters. Aber alsSammler von Käfern, Sanduhren oder eben <strong>letzte</strong>n <strong>Worte</strong>n legteer selbst Systematik und erstaunliche Pedanterie an den Tag. Eigenshatte er sich Postkarten drucken lassen, auf deren Rückseite dieSparten «Autor», «Letztes Wort» und «Quelle» schon vorab tabellarischeingefügt waren. Vorgedruckt adressiert waren die Todesbotschaftenan – «<strong>Ernst</strong> Jünger / Wilhelm Hauff-Str. 18 / Ravensburg.»Die Fundstellen sollten ihm als Todesbotschaften ins Haus flattern.Die meisten Karten beschriftete Jünger selbst – bisweilen ergänzteer die Sammlung aber auch um ein <strong>letzte</strong>s Wort, das ihmvon seinen Sekretären Armin Mohler und Albert von Schirndingoder Freunden zugesteckt wurde, die er mit den vorgedrucktenKarten versorgt hatte. Unmengen von <strong>letzte</strong>n <strong>Worte</strong>n hat Jüngerdurch alle Zeiten und Räume, von Sokrates bis Oscar Wilde, mitden Jahren aufgespießt, in alphabetische Ordnung gebracht, ohneRücksicht auf den Rang oder seine Wertschätzung der Toten. Blättertman sich im Marbacher Literaturarchiv, wo die Hunderte vonSentenzen in vier Karteischubern aufbewahrt sind, nach der Artdes Daumenkinos durch die Sammlung, so folgen auf eine vergesseneHamburger Kiezgröße, den Einbrecherkönig «Hannack», dersich auf dem Schafott noch einmal Luft macht («Wat dann sinmut, mut sin.»), der Feldherr Hannibal («Ich will den Römern dieFurcht vor einem alten Manne nehmen.»), gleich darauf der NobelpreisträgerGerhart Hauptmann, der in seinem Haus in Agnetendorfstirbt, kurz vor der angekündigten Vertreibung aus seinerschlesischen Heimat («Bin ich noch in meinem Hause?»).Der Tod ist der große Gleichmacher. Was durch Jahrhundertegetrennt war, durch ideologische Lager oder intellektuelle Sphären,folgt hier aufeinander. Der berühmte Mathematiker Thomas Fantetde Lagny, der am Projekt der Verzifferung festhält und auch in


<strong>Stephan</strong> <strong>Schlak</strong>: <strong>Ernst</strong> Jüngers <strong>letzte</strong> <strong>Worte</strong>1 <strong>Ernst</strong> Jünger: Letzte <strong>Worte</strong>.Fragment, in: ders.:Sämtliche Werke, Band 22,Stuttgart 2003, S. 721–727.der Todesstunde unermüdlich weiter die «Quadratzahl von 12»ausrechnet («Unverzüglich antwortet der Sterbende: 144»), stehtneben dem Philosophen Thomas Hobbes, der in der Entscheidungsstundedas alte rationale Marschgepäck über Bord wirft.«Ich bin daran, einen Sprung ins Finstere zu tun.» Der KritikerAlfred Kerr, der auch auf dem Totenbett nicht aufhören möchtezu spötteln über den «skandalös harmlosen» Hermann Hesse(«Na, du weißt doch...der naturalistische Schweizer mit dem Nobelpreis»),wird ein paar Karten weiter abgelöst von dem HumoristenKarl Valentin, der die Schrecksekunde des Todes weglacht.«Da habe ich ein Leben lang Angst vor dem Sterben gehabt, undjetzt das.» Ein aufgeregtes Geplapper ist im unmittelbaren Vorlaufenauf den Tod versammelt – wild ausschlagend zwischen Erhabenheit,Trivialität und <strong>letzte</strong>n, trotzigen Triumphgesten.Der Tod schafft unheimliche Nachbarschaften. Hier habenauch die Nazi-Größen Heinrich Himmler und Hermann Göring(«Ich werde nichts verschweigen») oder die besiegten Generäledes Dritten Reiches Keitel und Jodl ihren <strong>letzte</strong>n Auftritt. Nocheinmal stimmen sie ihre Durchhalteparolen an, bringen auf denTrümmern des Reiches Volk und Führer einen Toast oder sinnenden Tag der finalen Abrechnung herbei. Haßerfüllt ruft der alteNazi-«Stürmer» Julius Streicher von seiner Henkerstätte den amerikanischenSoldaten zu: «Auch euch werden die Bolschewikeneines schönen Tages aufhängen. Auf Wiedersehen!» Daneben tretendie Kinoheroen der neuen Zeit, deren Gedanken auch in derTodesstunde – wie die «Quelle» Paris-Presse am 17. November 1957mitteilte – von der Wahl des richtigen drinks okkupiert werden. «Jen‘aurais jamais dû remplacer le whisky par du martini.» JüngersPostkartensammlung <strong>letzte</strong>r <strong>Worte</strong> ist ebenso kulturhistorischesVarieté wie Schreckenskabinett. Die Poesie, das Dritte Reich undHollywood überlagern sich.II.«Man tut einen großen Gang quer durch die Jahrtausende, wennman das <strong>letzte</strong> Wort zur Richtschnur nimmt», notiert Jünger am8. Februar 1961 in einem «Fragment» über seine Sammlung, das inden <strong>letzte</strong>n Supplement-Band seiner Sämtlichen Werke aufgenommenwurde. 1 Wie ein <strong>letzte</strong>s Wort bricht diese essayistische An-


Letzte <strong>Worte</strong>näherung nach ein paar Seiten ab – genau in dem Moment, als erankündigt, deren eigentliche «Ähnlichkeit» und «Identität» darzulegen.Das «Fragment» folgt der inneren Logik der Sammlung, dieauf der Privilegierung des unbeabsichtigten, gesprochenen <strong>Worte</strong>svor der durchreflektierten, geschriebenen <strong>letzte</strong>n Abschiedszeileaufbaut. «Je stärker und ungebrochener das Bewußtsein, destofragwürdiger, dürftiger wird, was der Gedanke und was die Spracheder Majestät des Todes entgegenzusetzen hat.» Im Idealfallsetzt die Berührung mit der «Elementarzone» des Todes den «Sinnder durchlebten Existenz» frei – wie bei dem alten ReichskanzlerBismarck, der auf dem Totenbett mit der «Staatsraison» noch einmalsein Prinzip politischen Handelns aufgerufen haben soll. Aberauch dem subtilen Sentenzenjäger Jünger entgeht nicht, daß derTod in der Regel nicht Aphorismen und <strong>letzte</strong> Geistesblitze zaubert– «weit häufiger begegnen wir indessen der trivialen, dernichtssagenden oder der ganz und gar verworrenen Äußerung. Esgibt kaum einen Gemeinplatz, mit dem sich nicht schon einMensch verabschiedete. Es gibt auch keinen Irrtum, keine Ungereimtheit,ja keine Bösartigkeit, auf der er nicht beharrt.»Das <strong>letzte</strong> Wort ist angesiedelt in einer Grauzone zwischenWirklichkeit und Legende. Nirgendwo wird so viel retuschiertwie im Schatten des Todes. Auch wer dem Tod ein ungeschminktesWort aus vollem ehrlichem Herzen entgegenschleudert, verfügtnicht mehr souverän über das <strong>letzte</strong> Wort, das ganz in dasBelieben der Nachwelt gestellt ist. Es ist der Auftritt der Witwenund Eckermänner, die mit dem <strong>letzte</strong>n Wort ihre ganz eigene«Todespolitik» (Stefan Breuer) betreiben. Meist ist dessen genaueÜberlieferungslage fraglich, die Quellen trübe. Wer allein auf «Genauigkeit»gepolt ist, weiß Jünger, den wird das <strong>letzte</strong> Wort kaumbefriedigen. «Als Quelle im Sinne historischer Genauigkeit bleibtdas Letzte Wort immer suspekt.»Jünger eskamotiert das <strong>letzte</strong> Wort in das Reich der Anekdote.Aber gerade das mindert seinen Rang nicht. «Trotz aller Kritik ander Überlieferung ist zu vermuten, daß sich unter der Wirrnis anLetzten <strong>Worte</strong>n ein Fundus verbirgt.» Der besondere Reiz derSammlung liegt darin, daß Jünger in ihr noch einmal die großeideengeschichtliche Querelle des 19. Jahrhunderts zwischen Dichtungund Wahrheit, Geschichtsschreibung und Geschichtswissen-


<strong>Stephan</strong> <strong>Schlak</strong>: <strong>Ernst</strong> Jüngers <strong>letzte</strong> <strong>Worte</strong>2 Armin Mohler: RavensburgerTagebuch. MeineJahre mit <strong>Ernst</strong> Jünger,Wien/Leipzig 1999, S. 75.schaft nachstellt. Wer hat das <strong>letzte</strong> Wort? Der alte Krieger Jüngerbetreibt mit seiner Sammlung ein raffiniertes Maskenspiel.Unter der historisch-kritischen Postkartenoberfläche mit seinenRubriken «Quelle» und «Autor» bricht er die Lanze für die poetischeWahrheit – «das Wort läßt sich auch dahin ausdeuten, daßdie gute Erfindung die bloße Wirklichkeit übersteigt.» Jünger isthier in seinem Fragment schon Anfang der sechziger Jahre – langeJahrzehnte, bevor der linguistic turn über französische und amerikanischestrukturalistische Umwege die deutschen Historikerereilte – ganz Avantgarde der Metahistory. «In jeder großen Geschichtsschreibungwird man daher ein dichterisches Elementaufspüren.» Die Ausnahmesituation des <strong>letzte</strong>n <strong>Worte</strong>s enthülltfür Jünger ein überhistorisches Gesetz – den «Vorrang» des Dichtersvor dem Historiker. «Wo nach dem schönen Wort von LéonBloy das Leben in die Substanz der Geschichte eingeht, genügtGenauigkeit nicht mehr. Sie dient als Mittel unter Mitteln aufdem historischen Wege und wird von seinem Ende wie ein Wanderstabbeiseite gestellt.» Die Krücke des Positivismus – sie verliertwie das Vetorecht der Quelle im Extremfall des Todes an Bedeutung.Das <strong>letzte</strong> Wort behält die Dichtung.III.Im Frühjahr 1950 probt <strong>Ernst</strong> Jünger nach den RavensburgerNotaten seines Sekretärs Armin Mohler schon einmal den Abgang.Nach einer durchzechten Nacht im Ravensburger Hotel«Hildenbrand» mit den Freunden Gerhard Nebel, Erhard Kästnerund <strong>Ernst</strong> Klett wird zu früher Morgenstunde der <strong>Ernst</strong>fall des<strong>letzte</strong>n <strong>Worte</strong>s durchgespielt. Mohler möchte seinen Chef auf einmilitärisches Wort aus der Befehlswelt des «Arbeiters» verpflichten:«Melde mich zur Stelle!» Jünger zieht eine schlichtere Verhaltenslehrevor: «Bitte vorbeitreten zu dürfen!» 2 Als <strong>letzte</strong>s Wortscheint die bürgerliche Welt zu siegen, der Jünger doch noch inseiner aktiv nihilistischen Mobilmachungsphase der zwanzigerJahre in scharf geschliffenen, apodiktischen Sätzen unaufhörlichden Totenschein ausgestellt hatte. Hier will allem Anschein nachkein soldatischer Typus mehr in das Massenheer des Todes einrücken,sondern ein bürgerliches Individuum höflich in die Sterbensgesellschaftaufgenommen werden. Aber was für das <strong>letzte</strong> Wort


Letzte <strong>Worte</strong>gilt, gilt auch für den Probelauf nach durchzechter Stunde – dieÜberlieferungslage ist fraglich. Mehr als ein weiterer untrüglicherBeleg für Jüngers bürgerliche Kehre, ist das angedichtete <strong>letzte</strong>Wort ein Zeichen für die «Todespolitik», die seit jeher mit ihm betriebenwird. Es fügt sich nahtlos ein in die politische Schlachtordnungseines Sekretärs «Arminius» Mohler, der seinen Chefnach dem Kriege verdächtigte, sich den bürgerlichen Nachkriegssittender Bundesrepublik allzu sehr auszuliefern.Welches <strong>letzte</strong> Wort würde Jünger wählen? Schon zu Lebzeitenwurde darüber gerätselt. Fünf Jahre vor seinem Tod schien ihmdie Entscheidung aus dem Mund genommen worden zu sein. «Eingroßer Deutscher liegt im Sterben...» posaunte die Berliner BILDam 25. August 1993 exklusiv das baldige Ableben der «umstrittenen,aber fast genialen» Jahrhundertfigur heraus. Jünger ließ dieFalschmeldung über Mittelsmänner am Telefon korrigieren. «Vondenen muß ich mich ja nicht gerade beerdigen lassen.» Die Absagean den Massenboulevard hätte gut in seine «Sammlung gepaßt»,schreibt der Philosoph Hans Blumenberg. Tatsächlich war Jünger1993 durch einen Zeckenbiß erkrankt, der aber auch ganz eigeneJahrhundert-Phantasien freisetzte. Blumenberg kolportiert in einerGlosse die unter Jünger-Verehrern kursierende Geschichte desZeckenbisses: «Nicht beim Waldgang hatte die Zecke den Uraltenangefallen, wie man erwartet hätte, sondern aus dem häuslichenGewahrsam auch lebender Bestände der subtilen Jagd hatte ihn,wohl der Mumifizierung gewärtig, die Vergeltung so vieler Opfererreicht.» 3 Eine unglaubliche Geschichte – der alte StoßtruppführerJünger, heimtückisch an der Zeitmauer zu einem neuenJahrtausend von der entomologischen Heimatfront zur Streckegebracht.Jüngers Tod fünf Jahre später im Kreiskrankenhaus Riedlingenwar weitaus banaler. Ein <strong>letzte</strong>s Wort ist nicht überliefert. Ausgerechnetder Stilist und unermüdliche Arbeiter an seinem Nachruhmhat keine aller<strong>letzte</strong> Spur hinterlassen. In seinem Fragmentschreibt er 1961, daß das <strong>letzte</strong> Wort weniger gesprochen als«verliehen» wird. In der Todesstunde stand ihm seine zweite EhefrauLiselotte, eine alte Marbacher Cotta-Archivarin, bei. Aber das«Stierlein» schweigt. Mit <strong>Ernst</strong> Jüngers Tod triumphiert das Archivüber die Legende.3 Hans Blumenberg: Der Mannvom Mond. Über <strong>Ernst</strong> Jünger,Frankfurt/Main 2007, S.150.10

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