Super! – Vom Fluch ein Held zu sein… Reader - Paulus-Akademie
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<strong>Super</strong>! – <strong>Vom</strong> <strong>Fluch</strong> <strong>ein</strong> <strong>Held</strong> <strong>zu</strong> s<strong>ein</strong>… <strong>Reader</strong><br />
Filme<br />
2 DareDevil<br />
3 Hero<br />
4 NacHtgestalteN<br />
5 Zum WeiNeN komiscH<br />
aNDreas DreseN im Porträt<br />
6 cHickeN ruN - HeNNeN reNNeN<br />
7 es gibt Nur eiNeN Jimmy grimble<br />
8 Die geHeimNisvolle miNuscH<br />
9 HoDDer rettet Die Welt<br />
10 tHe migHty – gemeiNsam siND sie stark<br />
11 my Name is Joe<br />
12 sHrek – Der tollküHNe HelD<br />
13 sPiDer maN<br />
14 sPiDer-maN 2<br />
15 tiger uND DragoN<br />
16 Die uNglaublicHeN<br />
18 WolkeN ZieHeN vorüber<br />
19 X-meN 2<br />
Tour d‘Horizon<br />
20 HelDeNHaft geNügt NicHt – suPer müsst iHr seiN<br />
22 Die leerstelle<br />
27 grössteNteils tot, ist scHoN fast lebeNDig<br />
Jesus als super<strong>Held</strong><br />
29 HeiDNiscHer blutrauscH<br />
30 Die letZte versucHuNg<br />
30 blutig uND DocH blutleer<br />
32 Das 11. gebot: Du sollst keiNe Jesusfilme macHeN<br />
34 filme voN a - Z<br />
HttP://tHomas.biNotto.cH<br />
DoWNloaD Des vollrstäNDigeN reaDers als PDf-Datei:<br />
HttP://tHomas.biNotto.cH/DoWNloaD/suPerHelDeN.PDf
<strong>Super</strong>! – <strong>Vom</strong> <strong>Fluch</strong> <strong>ein</strong> <strong>Held</strong> <strong>zu</strong> s<strong>ein</strong>… <strong>Reader</strong><br />
daredevil<br />
(USA 2002)<br />
Länge: 103 Minuten<br />
Regie: Mark Steven Johnson; Buch: Mark Steven Johnson,<br />
Brian Helgeland nach den Comics von Stan Lee und<br />
Frank Miller; Kamera: Ericson Core; Musik: Graeme Revell;<br />
Schnitt: Dennis Virkler, Armen Minasian; Darsteller:<br />
Ben Affleck (Matt Murdock/Daredevil), Jennifer Garner<br />
(Elektra Natchios), Colin Farrell (Bullseye), Michael<br />
Clarke Duncan (Kingpin/Fisk), Jon Favreau (Franklin<br />
Nelson), Scott Terra (Young Matt Murdock), Ellen Pompeo<br />
(Karen Page), Joe Pantoliano (Ben Urich), Leland Orser<br />
(Wesley), u.a.<br />
Hollywood sch<strong>ein</strong>t s<strong>ein</strong>e Hauptinspiration im<br />
Augenblick hauptsächlich aus Comics <strong>zu</strong> beziehen.<br />
Nicht nur Independent-Filme („From Hell“ fd 35 306;<br />
„Road to Perdition“, fd 35 578) oder die Klassiker<br />
aus dem Hause DC (<strong>Super</strong>man, Batman) bestimmen<br />
Boxoffice und Kritikerlisten. Die Abräumer schlechthin<br />
sind die lange verschmähten Comics des großen DC-<br />
Konkurrenten Marvel. Nach „X-Men“ (fd 34 428)<br />
und „Spider-Man“ (fd 35 439) soll nun „Daredevil“<br />
das Übel der Welt auf s<strong>ein</strong>e unverwechselbare Art<br />
bekämpfen.<br />
Schon als kl<strong>ein</strong>er Junge hat Matt Murdock verstanden,<br />
dass die Fäuste <strong>ein</strong> probates Mittel der Problemlösung<br />
s<strong>ein</strong> können. Allerdings lernte der Junge von s<strong>ein</strong>em<br />
Vater nicht nur die Kunst des K.o-Schlags, sondern<br />
auch die dunkle Seite des Lebens kennen, dass<br />
nämlich Macht nicht durch Argumente, sondern<br />
durch Korruption und Maschinenpistole erhalten<br />
wird. Der Schock, dass s<strong>ein</strong> Vater dieses schmutzige<br />
Spiel mitspielt, trieb den Recht und Gerechtigkeit<br />
liebenden Jungen <strong>zu</strong> <strong>ein</strong>er Kurzschlusshandlung. Wut<br />
und Unachtsamkeit führten <strong>zu</strong> <strong>ein</strong>em Unfall, bei dem<br />
biochemische Abfällen s<strong>ein</strong> Augenlicht zerstörten.<br />
Doch die undefinierbaren Ingredienzien veränderten<br />
das Leben Murdocks noch auf <strong>ein</strong>e andere Weise.<br />
Ausgestattet mit <strong>ein</strong>em übermenschlichen Gehörsinn<br />
und der Fähigkeit, Schwingungen wahr<strong>zu</strong>nehmen,<br />
schwor er, fortan dem Recht <strong>zu</strong>r Geltung <strong>zu</strong> verhelfen;<br />
wenn es s<strong>ein</strong> muss, auch jenseits der Gesetze. Jahre<br />
später erstreitet Matt tagsüber als erfolgreicher Anwalt<br />
auch für Arme Gerechtigkeit. Unterliegt er trotz<br />
<strong>ein</strong>deutiger Indizien oder wittert er Betrug, schreitet<br />
er als kampfgestählter Maskenträger <strong>zu</strong>r Tat und tilgt<br />
„das Ungeziefer“ mit weniger subtilen Methoden. Die<br />
Stadt kennt den ehrfürchtig bewunderten Rächer als<br />
Daredevil. Die Unterwelt, allen voran der zwielichtige<br />
Geschäftsmann Fisk, setzt alles daran, den in rotem<br />
Leder gekleideten Unbekannten <strong>zu</strong> bekämpfen.<br />
Da<strong>zu</strong> heuert er den Killer Bullseye an, der noch bei<br />
jedem Job ins Schwarze traf. Um den bislang nur<br />
als Silhouette oder aber durch s<strong>ein</strong> <strong>ein</strong>prägsames<br />
Monogramm gesichteten Daredevil aus der Reserve<br />
<strong>zu</strong> locken, richtet Bullseye den bei Fisks in Ungnade<br />
gefallenen, in der Stadt allerdings hoch angesehenen<br />
Natchios auf offener Straße mit den Waffen des<br />
Gegners hin. Damit landet Bullseye <strong>ein</strong>en doppelten<br />
Coup, hat Matt sich doch gerade unsterblich in<br />
Natchios Tochter Elektra verliebt.<br />
Neben ihrer Profession, das Recht in die eigenen<br />
Hände <strong>zu</strong> nehmen, ist den Comicfiguren Stan<br />
Lees vor allem <strong>ein</strong>es gem<strong>ein</strong>: das mysteriöse<br />
Zusammenspiel unglücklicher Zufälle, aus dem– quasi<br />
als Nebenprodukt – <strong>ein</strong>e <strong>Super</strong>heldenkraft entsteht.<br />
So färbt Wut den mutierten Hulk grün und gibt<br />
ihm titanische Kräfte; <strong>ein</strong> Spinnenbiss verwandelt<br />
den Jungen von Nebenan in Spider-Man; <strong>ein</strong><br />
chemischer Cocktail „kreiert“ den blinden Daredevil.<br />
Als Ausgangspunkt für <strong>ein</strong> filmisches Drama sind<br />
diese Figuren daher dankbarere <strong>Held</strong>en als die eher<br />
<strong>ein</strong>dimensionalen Kollegen <strong>Super</strong>man oder Batman,<br />
die von Geburt an <strong>zu</strong> <strong>Held</strong>en erkoren sind. Lees<br />
Charaktere lassen sich durch ihre innere Zerrissenheit,<br />
gepaart mit dem Drang, Gutes <strong>zu</strong> tun, wunderbar<br />
für konfliktreiche Geschichten <strong>ein</strong>spannen. Im<br />
Falle von „Spider-Man“ ist das dank des Darstellers<br />
Tobey Maguire und <strong>ein</strong>es nuancierten Drehbuches<br />
nahe<strong>zu</strong> perfekt gelungen. Ganz im Gegensatz <strong>zu</strong><br />
„Daredevil“, der in allen Bereichen herb enttäuscht.<br />
Dabei hätte die Ausgangslage nicht besser s<strong>ein</strong><br />
können: Der in der Vorlage immer wieder beschworene<br />
Gewissenskampf zwischen s<strong>ein</strong>em Rechtsbewußts<strong>ein</strong><br />
und der Selbstjustiz birgt ebenso viel filmisches<br />
Potential wie die Problematik des „<strong>Super</strong>helden<br />
wider Willens“. In „Daredevil“ schrumpfen diese<br />
Konflikte jedoch <strong>zu</strong>r bloßen Staffage, um möglichst<br />
schnell <strong>zu</strong>m eigentlichen Zentrum des Films <strong>zu</strong><br />
gelangen: dem Kampfspektakel. Doch auch darin<br />
aber wird die Regie der Vorlage nicht gerecht, biedert<br />
sie sich doch den Special-Effect-Akrobatiken von<br />
„Spider-Man“ an. Daredevil dagegen kann überhaupt<br />
nicht durch die Lüfte fliegen, weil er dafür k<strong>ein</strong>e<br />
„genetischen“ Fähigkeiten hat. S<strong>ein</strong>e Motivation für<br />
aberwitzige Stunts resultiert vielmehr aus <strong>ein</strong>er mit<br />
Lebensmüdigkeit gepaarten Furchtlosigkeit. Doch<br />
auch diese wichtige (pessimistische) Komponente<br />
verschenkt der Film auf sträfliche Weise. Und<br />
schließlich ist Ben Affleck, <strong>ein</strong> viel <strong>zu</strong> verkrampft<br />
wirkender, mehr um s<strong>ein</strong> cooles Image bemühter<br />
Hauptdarsteller, <strong>ein</strong>e herbe Fehlbeset<strong>zu</strong>ng.<br />
Jörg Gerle (film-dienst Nr. 6/2003)
<strong>Super</strong>! – <strong>Vom</strong> <strong>Fluch</strong> <strong>ein</strong> <strong>Held</strong> <strong>zu</strong> s<strong>ein</strong>… <strong>Reader</strong><br />
Ein Junge verliert bei <strong>ein</strong>em Unfall mit biochemischem<br />
Abfall s<strong>ein</strong> Augenlicht, erlangt dafür aber, quasi im<br />
Gegen<strong>zu</strong>g, <strong>ein</strong> übermenschliches Gehör sowie <strong>ein</strong>en<br />
ausgeprägten Sinn für Echolot. Jahre später verschaffen<br />
ihm diese „<strong>Super</strong>kräfte“ die Möglichkeit, Verbrecher<br />
auf „außergerichtliche“ Weise <strong>zu</strong> richten, wenn er sie<br />
als Anwalt nicht hinter Schloss und Riegel <strong>zu</strong> bringen<br />
vermag. Der mit Blick auf andere Comic-Adaptionen<br />
realisierte Fantasyfilm thematisiert durchaus die in der<br />
pessimistischen Comicvorlage vorhandenen menschlichmoralischen<br />
Dimensionen, verschenkt sie aber <strong>zu</strong>gunsten<br />
der eher uninspirierten Kampfakrobatik.<br />
Hero<br />
YING XIONG (Hongkong/China 2002)<br />
Länge: 99 Minuten<br />
Regie: Zhang Yimou; Buch: Li Feng, Zhang Yimou, Wang<br />
Bin; Kamera: Christopher Doyle; Musik: Tan Dun; Schnitt:<br />
Zhai Ru, Angie Lam; Darsteller: Jet Li (Unbekannter),<br />
Tony Leung (Broken Sword), Maggie Cheung (Flying<br />
Snow), Zhang Ziyi (Moon), Chen Dao Ming (König),<br />
Donnie Yen (Snow), u.a.<br />
Schwarz, in China k<strong>ein</strong>eswegs die Farbe der Trauer,<br />
steht am Anfang und am Ende. Dazwischen erstrahlt<br />
die L<strong>ein</strong>wand in Rot, Blau, Weiß und Jadegrün, man<br />
begegnet fünf Schwertkämpfern und <strong>ein</strong>em Fürsten,<br />
<strong>Held</strong>en allesamt, wie es der Titel in Aussicht stellt.<br />
In jeder anderen Hinsicht aber strotzt Zhang Yimous<br />
neuer Film nur so von Unerwartetem. Er entfesselt<br />
<strong>ein</strong> filmisches Feuerwerk an Überraschungen, <strong>ein</strong>e<br />
Bilderorgie voller filmischer Einfälle, Witz und<br />
Stilisierungswille. Selten ist <strong>ein</strong> Film dem Ideal der<br />
„r<strong>ein</strong>en“ Bewegung so nahe gekommen wie „Hero“, <strong>ein</strong><br />
märchenhaftes Drama, das pathetisch und sinnlich,<br />
leidenschaftlich und geheimnisvoll <strong>zu</strong>gleich ist. Es<br />
beginnt mit <strong>ein</strong>er alten Legende. Sie führt <strong>zu</strong>rück<br />
ins dritte Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung,<br />
in die „Epoche der sieben kämpfenden Reiche“ (ca.<br />
230-221 v.Chr.), kurz vor der Einigung Chinas unter<br />
König Chin Shi Huang Di, dem legendären Herrscher<br />
von Qin, der mit dem Bau der chinesischen Mauer<br />
begann. Doch auch wenn Zhang s<strong>ein</strong>e Geschichte <strong>zu</strong><br />
<strong>ein</strong>em sehr exakten historischen Zeitpunkt ansiedelt,<br />
ist der Stoff nicht historisch verbürgt, sondern <strong>ein</strong>e<br />
von vielen Legenden. Chen Kaiges „Der Kaiser und<br />
s<strong>ein</strong>e Attentäter“ (fd 34 005) hatte 1998 <strong>ein</strong>e ähnliche<br />
Sage aufgegriffen. Auf bei „Hero“ geht es um den<br />
Versuch mutiger Attentäter, den Tyrannen <strong>zu</strong> töten.<br />
Diese tragen so poetische Namen wie „Broken Sword“<br />
oder „Flying Snow“ und sind <strong>zu</strong> allem bereit. Im<br />
Unterschied <strong>zu</strong> Chen versucht Zhang jedoch nicht, das<br />
Verhalten der Attentäter politisch oder psychologisch<br />
<strong>zu</strong> motivieren. Vielmehr befreit er s<strong>ein</strong>e Geschichte<br />
vom historischen Ballast, indem er den Stoff inhaltlich<br />
wie formal ins Zeichenhafte transformiert und die<br />
Figuren symbolisch umreißt. „Hero“ ist deshalb <strong>ein</strong>e<br />
zeitlose Parabel über den Einzelnen und die Macht,<br />
über Liebe und Verrat, darüber, was man sich selbst,<br />
den anderen und dem Staat schuldig ist.<br />
Die Handlungsstruktur ist von kristallklarer<br />
Einfachheit: Ein namenloser <strong>Held</strong> kommt an<br />
den Hof von Qin und erklärt, dass er die drei<br />
gefährlichsten F<strong>ein</strong>de des Herrschers getötet<br />
habe. Als Beweis zeigt er deren Waffen vor. Nun<br />
möchte er die vom König ausgesetzte Belohnung<br />
in Empfang nehmen, <strong>zu</strong> der auch die Gunst gehört,<br />
sich dem Regenten bis auf zehn Schritte nähern <strong>zu</strong><br />
dürfen. Dieser verlangt aber <strong>zu</strong>nächst <strong>ein</strong>e genaue<br />
Schilderung, wie der Unbekannte die legendären<br />
Kämpfer besiegt habe. In drei großen, immer wieder<br />
durch Dialogpassagen zwischen König und dem<br />
Unbekannten unterbrochenen Rückblenden stellen<br />
diese Erzählungen die eigentliche Handlung des<br />
Films dar. Indem die Geschichte in vier, mit<strong>ein</strong>ander<br />
verschachtelten, <strong>zu</strong>gleich <strong>ein</strong>ander fortführenden<br />
und ergänzenden, kaleidoskopartig gebrochenen, sich<br />
kritisierenden und gelegentlich auch aufhebenden<br />
Varianten <strong>ein</strong> und desselben Geschehens erzählt wird,<br />
erinnert „Hero“ stark an Kurosawas „Rashomon“ (fd<br />
1875). Hier wie dort geht es um die Einsicht, dass<br />
„Wahrheit“ relativ und perspektivenabhängig ist.<br />
„Hero“ führt die Aporien jeder Geschichtsschreibung<br />
vor Augen, indem er immer neue Versionen <strong>ein</strong>es<br />
Geschehens anbietet, und die damit die Wahrheit, die<br />
er erst gerade schuf, sogleich wieder zerstört.<br />
Auch stilistisch erinnert „Hero“ in vielem<br />
an Kurosawa. Vielleicht liegt dies neben der<br />
formalisierten Erzählweise auch am Set- und Kostüm-<br />
Design von Emi Wada, die 1985 für „Ran“ (fd 25 529)<br />
<strong>ein</strong>en „Oscar“ gewann. Doch auch die bildgewaltig<br />
choreographierten Massenszenen erinnern an<br />
Kurosawas Spätwerk. Das Faszinierendste aber sind<br />
Zhangs Inszenierung der Martial-Arts-Kämpfe und<br />
s<strong>ein</strong> Einsatz der Farben. Auch Zhang betritt mit<br />
diesem Werk Neuland. Viele Inszenierungsformen und<br />
Gesten werden ausprobiert, ohne freilich ausgereizt<br />
<strong>zu</strong> werden. Technisch absolut auf der Höhe der<br />
Zeit, sind die Kämpfe von <strong>ein</strong>er Leichtigkeit, die<br />
Menschen und mit ihnen den Film fliegen lässt.<br />
Zärtlich kreist Christopher Doyles Kamera um die<br />
Gesichter der Darsteller, Maggie Cheung und Tony<br />
Leung, Jet Li und Zhang Ziyi, und fängt <strong>ein</strong> Zucken<br />
der Mundwinkel ebenso <strong>ein</strong> wie <strong>ein</strong>e <strong>ein</strong>same Träne,<br />
die die Wange hinunterrinnt. Jede Episode erhält
<strong>Super</strong>! – <strong>Vom</strong> <strong>Fluch</strong> <strong>ein</strong> <strong>Held</strong> <strong>zu</strong> s<strong>ein</strong>… <strong>Reader</strong><br />
durch <strong>ein</strong>e dominante Farbe ihren emotionalen<br />
Grundton – grob skizziert: Rot für die Leidenschaft<br />
der Liebe, Blau für romantische Entsagung, Weiß, in<br />
China Farbe des Todes, für das Opfer. Nur Gelb fehlt<br />
bezeichnenderweise nahe<strong>zu</strong> vollständig. Es steht in<br />
China für die Macht des Kaisers. Wenn man Zhangs<br />
Farbdramaturgie ernst nimmt, schränkt dies den<br />
Vorwurf <strong>ein</strong>, der Regisseur habe mit „Hero“ s<strong>ein</strong>en<br />
Kotau vor den Pekinger Machthabern vollzogen.<br />
Im Gegenteil: Man kann „Hero“ durchaus als Fabel<br />
über Widerstand und Selbstbehauptung lesen, als<br />
Darstellung <strong>ein</strong>es Machthabers, der das Gesetz über<br />
die eigene Souveränität stellt, sich wissentlich in<br />
Gefahr begibt, überzeugen will, nicht überreden oder<br />
<strong>ein</strong>schüchtern. So bleibt die Botschaft des Films,<br />
der schon jetzt der erfolgreichste der chinesischen<br />
Filmgeschichte ist und in Zhangs Heimat für<br />
handfesten politischen Streit sorgte, gewollt<br />
ambivalent: Sie kann fatalistisch wie optimistisch<br />
verstanden werden, als verstecktes Plädoyer für<br />
Widerstand wie als Anbiederung. Unübersehbar ist<br />
freilich der Versuch, mit filmischen Mitteln <strong>ein</strong>en<br />
ästhetischen Zivilisationsmythos <strong>zu</strong> begründen, <strong>ein</strong>e<br />
Poesie des höheren Zwecks, der auf Konzentration<br />
und der Schönheit von Gesten beruht. Wenn „Hero“<br />
argumentiert, dass die gute Handlung auch schön<br />
sei, und dabei auf die Attraktivität der Eindeutigkeit<br />
setzt, ist dies <strong>ein</strong>e konservative Botschaft, die<br />
durchaus nicht im Widerspruch <strong>zu</strong> europäischen Kultur<br />
steht.<br />
Vor allem anderen aber will „Hero“ <strong>ein</strong>e handwerklich<br />
brillant erzählte elegische <strong>Held</strong>ensage aus mythischvorgeschichtlicher<br />
Zeit s<strong>ein</strong>, <strong>ein</strong> essentiell<br />
romantisches Luftballett, das bei aller Opulenz und<br />
Inszenierungskunst <strong>ein</strong>er archaischer Einfachheit<br />
huldigt. In s<strong>ein</strong>er pathetischen, wohldosierten<br />
Übertreibung ist der Film trotzdem in jedem Moment<br />
<strong>ein</strong>e große Oper und <strong>ein</strong>er der Höhepunkte des<br />
Martial-Arts-Genres. Zhang „malt“ mit Menschen auf<br />
der L<strong>ein</strong>wand, wobei er auf die Logik ebensowenig<br />
Rücksicht nimmt wie auf die Schwerkraft, indem er<br />
Traum, Gefühl und Bewegung <strong>zu</strong> <strong>ein</strong>em <strong>ein</strong>zigartigen,<br />
zeitlosen Zauber verschmilzt.<br />
Rüdiger Suchsland (film-dienst Nr. 12/2003)<br />
Am Hof des Königs von Qin schildert <strong>ein</strong> namenloser<br />
Krieger, wie er die drei gefährlichsten F<strong>ein</strong>de des<br />
Herrschers getötet hat. Eine handwerklich brillante<br />
<strong>Held</strong>ensaga aus der Zeit der chinesischen Reichsgründung<br />
im 3. Jahrhundert v. Chr., deren opulent-opernhafte,<br />
fotografisch berauschende Inszenierung <strong>ein</strong>en Höhepunkt<br />
des Martial-Arts-Genres markiert: <strong>ein</strong>e traumhafte<br />
Bilderorgie voller suggestiver filmischer Einfälle, Witz und<br />
Stilisierungen. Die Botschaft der Geschichte ist insofern<br />
strittig, als die Fabel sowohl als Kotau vor den derzeitigen<br />
Machthabern als auch als Plädoyer für Widerstand und<br />
Selbstbehauptung gelesen werden kann.<br />
nacHTgesTalTen<br />
(Deutschland 1999)<br />
Länge: 103 Minuten<br />
Regie: Andreas Dresen; Buch: Andreas Dresen; Kamera:<br />
Andreas Höfer; Musik: Cathrin Pfeifer, Rainer Rohloff;<br />
Schnitt: Monika Schindler; Darsteller: Meriam Abbas<br />
(Hanna), Dominique Horwitz (Victor), Oliver Bäßler<br />
(Jochen), Susanne Bormann (Patty), Michael Gwisdek<br />
(Peschke), Ricardo Valentim (Feliz), Imogen Kogge<br />
(Rita), Horst Krause (Taxifahrer), u.a.<br />
Wann saß man <strong>zu</strong>letzt in <strong>ein</strong>em deutschen Film,<br />
dessen Ende man gerne hinausgezögert hätte,<br />
weil man von s<strong>ein</strong>en Gesichtern und Geschichten<br />
nicht lassen will? Dabei ist Andreas Dresens<br />
Außenseiterdrama alles andere als „schön“ oder<br />
gefällige Kinokost. Hundert Minuten lang streunt<br />
er mit grobkörnigen, kontrastreichen Bildern durch<br />
<strong>ein</strong>e regnerische Berliner Nacht, in der sich (fast) nur<br />
solche Gestalten herumtreiben, die die bürgerliche<br />
Welt höchst ungern <strong>zu</strong>r Kenntnis nimmt: Obdachlose,<br />
Junkies, <strong>ein</strong>same Freier und verwahrloste Straßenkids,<br />
die mit ihrem Das<strong>ein</strong> wenig an<strong>zu</strong>fangen wissen.<br />
Doch inmitten dieser tristen Ödnis entdeckt die<br />
Kamera Menschen, die <strong>ein</strong>em nahegehen, Figuren,<br />
deren Schicksale berühren. Unmerklich zieht es<br />
<strong>ein</strong>en an die <strong>zu</strong>gigen Plätze, in Hinterzimmer und<br />
Abfertigungshallen, unmerklich läßt man sich <strong>ein</strong><br />
auf die ständigen Streitereien, die kl<strong>ein</strong>en großen<br />
Nöten und die Versuche, aus bedrängten Situationen<br />
kurzfristige (Aus-)Wege <strong>zu</strong> finden, die sich schon<br />
wenig später als Sackgassen erweisen. Das Geheimnis<br />
dieser unspektakulären Großstadtsplitter muß man<br />
in ihrer Intensität suchen, die sich – mehr noch als<br />
den Schauspielern und der (Hand-)Kamera – <strong>ein</strong>er<br />
ausgesprochen mutigen Inszenierung verdankt: Statt<br />
„bigger than life“ wagt es Dresen, auf den Spuren des<br />
Neorealimus dem Menschlich-All<strong>zu</strong>menschlichen selbst<br />
<strong>ein</strong>e paar Augenblicke und Wahrheiten ab<strong>zu</strong>gewinnen,<br />
die in k<strong>ein</strong>em Hochglanzprodukt <strong>zu</strong> finden sind.<br />
Eine fiktive Klammer <strong>ein</strong>t die lose verwobenen<br />
Geschichten und Episoden: Der Papst besucht<br />
Berlin. Hanna und Victor, <strong>ein</strong> junges Paar ohne<br />
festen Wohnsitz, würde der Ausnahme<strong>zu</strong>stand kaum<br />
tangieren, wenn ihnen nicht <strong>ein</strong> Unbekannter 100<br />
Mark geschenkt hätte, Geld, mit dem sie endlich
<strong>Super</strong>! – <strong>Vom</strong> <strong>Fluch</strong> <strong>ein</strong> <strong>Held</strong> <strong>zu</strong> s<strong>ein</strong>… <strong>Reader</strong><br />
<strong>ein</strong>mal <strong>ein</strong>e Nacht in <strong>ein</strong>em Hotel verbringen wollen.<br />
Angesichts des Pilgeransturm aber entwickelt sich<br />
ihre Suche nach Bett und Dusche <strong>zu</strong> <strong>ein</strong>er Odyssee,<br />
bei der schnell die Nerven bloßliegen. Auch den<br />
gutmütigen Bauernburschen aus Neubrandenburg<br />
zieht es aus anderen als frommen Gründen in die<br />
Stadt: Er sehnt sich nach Liebe, und sei es für Geld.<br />
Daß er ausgerechnet auf dem Babystrich landet<br />
und an die blutjunge Patty gerät, weckt allerdings<br />
weniger die Lust als s<strong>ein</strong> weiches Herz. Peschke, <strong>ein</strong><br />
älterer Angestellter, der es nicht bis in die Chefetage<br />
geschafft hat, soll <strong>ein</strong>e japanische Geschäftspartnerin<br />
vom Flughafen abholen. Statt ihrer stößt er auf<br />
<strong>ein</strong>en kl<strong>ein</strong>en Jungen aus Nigeria, der offensichtlich<br />
nach Deutschland <strong>ein</strong>geschleust werden soll. Zuerst<br />
bezichtigt er ihn, s<strong>ein</strong>e verlorene Brieftasche geklaut<br />
<strong>zu</strong> haben, nimmt sich dann aber widerstrebend des<br />
stummen Knaben an und versucht, ihn <strong>zu</strong> der Adresse<br />
<strong>zu</strong> bringen, die das Kind in Händen hält. Eine Reihe<br />
weiterer kl<strong>ein</strong>er Schicksale und Begegnungen am<br />
Rande ist in diese drei Hauptstränge geflochten,<br />
die allesamt <strong>ein</strong>es <strong>ein</strong>t: K<strong>ein</strong>e der Figuren ist im<br />
herkömmlichen Sinne „kinotauglich“, weil ihnen der<br />
Geruch des Alltäglichen an den Kleidern haftet und<br />
ihre Erlebnisse während dieser Nacht kaum Aufsehen<br />
erregen. Zwar wird Peschke vor <strong>ein</strong>er Kreuzberger<br />
Kneipe s<strong>ein</strong> schmucker BMW geklaut, der am Ende<br />
an der Ostsee in Flammen aufgeht, wird das „Landei“<br />
in <strong>ein</strong>em besetzten Haus <strong>zu</strong>sammengeschlagen<br />
oder eskaliert das permanente Hickhack zwischen<br />
dem Obdachlosenpaar in aller Drastik. Doch<br />
selbst in solchen Situationen wahrt Dresen den<br />
„dokumentarischen“ Duktus <strong>ein</strong>er ungeglätteten<br />
Annäherung an die Wirklichkeit, ohne in die Klischees<br />
von Penner-Romantik oder der Sozialanklage <strong>zu</strong><br />
verfallen.<br />
Der Film ist in sich so gebrochen wie s<strong>ein</strong>e<br />
„Nachtgestalten“, die sich mit Widersprüchen,<br />
Kompromissen und vielen Niederlagen durch ihr<br />
bescheidenes Leben schlagen, neben dem ungestillten<br />
Verlangen nach dem eigenen Glück aber gelegentlich<br />
auch kl<strong>ein</strong>e Geste für andere übrig haben. Diese<br />
gegen den glatten Strich des Identischen gebürstete<br />
Haltung, die jede der Figuren liebend gerne <strong>zu</strong>gunsten<br />
der Insignien des Bürgerlichen <strong>ein</strong>tauschen würde,<br />
verleiht Dresen <strong>ein</strong>e ihnen verwandte Sensibilität:<br />
Ohne sich im Elend <strong>zu</strong> suhlen oder die soziale Misere<br />
schlicht aus<strong>zu</strong>blenden, hält er die Augen offen<br />
und kann der Nacht Töne und Farben abgewinnen,<br />
die meist unsichtbar bleiben. Man kann an dem<br />
gewagten Streif<strong>zu</strong>g viele Kl<strong>ein</strong>igkeiten kritisieren oder<br />
überhaupt k<strong>ein</strong>en Zugang <strong>zu</strong> ihm finden; wer sich<br />
jedoch vom rauhen Charme <strong>ein</strong>er ungeschminkten<br />
(Großstadt-)„Normalität“ verführen läßt, wird mehr<br />
und Spannenderes über die Welt erfahren als in vielen<br />
sorgfältig konstruierten Sozial- und Psychodramen.<br />
So ist es nicht nur der mit <strong>ein</strong>em „Silbernen<br />
Bären“ honorierten Spielfreude Michael Gwisdeks<br />
<strong>zu</strong> verdanken, daß s<strong>ein</strong> gescheiterter Möchtegern-<br />
Yuppie bei aller Arroganz auch grundsympathische<br />
Charakterzüge an den Tag legt, sondern vor allem<br />
der genauen Figurenzeichnung, die s<strong>ein</strong>en latenten,<br />
hemdsärmeligen Rassismus als weitverbreitetes<br />
Ressentiment <strong>zu</strong> erkennen gibt, bei dem sich so<br />
mancher Zuschauer ertappt fühlen dürfte. Bei allem<br />
lakonischen Dialogwitz, der an die „Dogma ‘95“-<br />
Gruppe erinnernden Kamera- und Lichtgestaltung<br />
sowie der „Short Cuts“-Dramaturgie vermag es Dresen<br />
mit bewundernswertem Geschick, <strong>ein</strong>e „authentische“<br />
Atmosphäre <strong>zu</strong> erzeugen, die von Einsamkeit und<br />
Erniedrigung in <strong>ein</strong>er Sprache handelt, die aus den<br />
porträtierten Milieus erwächst. Auch die Hoffnung,<br />
die in allen Figuren <strong>ein</strong> karges, aber widerständiges<br />
Das<strong>ein</strong> führt, findet darin ihren jeweils angemessenen<br />
Ausdruck – und sei es in den pausenlos übertragenen<br />
Ansprachen Karol Wojtilas, dessen Botschaft der Liebe<br />
nicht etwa ironisch oder hämisch durch Baracken und<br />
Unterschlüpfe hallt, sondern als christlich-utopischer<br />
Anspruch <strong>ein</strong>en weiten Horizont markiert.<br />
Josef Lederle (film-dienst Nr. 16/1999)<br />
In der Nacht, in der der Papst <strong>zu</strong> <strong>ein</strong>em (fiktiven) Besuch<br />
in Berlin weilt, findet <strong>ein</strong>e Handvoll Menschen k<strong>ein</strong>e Ruhe:<br />
<strong>ein</strong> Stadtstreicher-Paar, <strong>ein</strong> junger Bauer vom Land, <strong>ein</strong><br />
Angestellter, der <strong>ein</strong>em afrikanischen Jungen begegnet.<br />
Alle sind auf der Suche nach Wärme, Geborgenheit und<br />
bescheidenem Glück, das sich in ihrem mühsamen Leben<br />
nur selten finden lässt. Die lose verwobenen Geschichten<br />
entwickeln <strong>ein</strong> tiefes Gespür für die Not und leben vom<br />
aufrichtigen Interesse an den Figuren. Ein mutiger Film<br />
voller Intensität und Lebendigkeit, der <strong>ein</strong>e ungeglättete<br />
Annäherung an die Wirklichkeit wagt und <strong>ein</strong> nüchternes<br />
Bild häufig übersehener Randbereiche der deutschen<br />
Wirklichkeit zeichnet.<br />
<strong>zu</strong>m W<strong>ein</strong>en komiscH<br />
aNDreas DreseN im Porträt<br />
„Diese Arbeit macht <strong>ein</strong>fach irren Spass!“ – Darf so<br />
etwas <strong>ein</strong> Filmemacher aus Deutschland bekennen?<br />
Ausgerechnet aus dem Land, wo der fatale Hang <strong>zu</strong>m<br />
Meisterwerk gepflegt wird; wo man an der Kunst<br />
leidet; wo man Filme nicht machen will sondern<br />
muss; wo ständig das innere Genie <strong>zu</strong>m Durchbruch<br />
nervt. Zugegeben, solche Zuspit<strong>zu</strong>ng ist pure Polemik,
<strong>Super</strong>! – <strong>Vom</strong> <strong>Fluch</strong> <strong>ein</strong> <strong>Held</strong> <strong>zu</strong> s<strong>ein</strong>… <strong>Reader</strong><br />
und Andreas Dresen relativiert sie auch sogleich.<br />
Er empfindet sich nicht als Exot in der deutschen<br />
Kinolandschaft. Inzwischen gehört er dort sogar <strong>zu</strong><br />
den wichtigen und erfolgreichen Filmemachern. Einer,<br />
der da<strong>zu</strong> beiträgt, dass wir uns plötzlich wieder auf<br />
deutsches Kino freuen.<br />
Allerdings, noch Ende der 90er Jahre als er<br />
„Nachtgestalten“ plante, war kaum jemand bereit,<br />
in <strong>ein</strong>en „schmutzigen, kl<strong>ein</strong>en Film“ über Verlierer<br />
und Randständige <strong>zu</strong> investieren. Damals waren<br />
Schenkelklopfer-Lustspiele angesagt, zwar auch nicht<br />
gerade auf Meisterwerkstatus getrimmt, aber dennoch<br />
meilenweit von Dresens Ansprüchen entfernt, die<br />
er mit charmanter Tiefstapelei vertritt: „Im Kino<br />
gem<strong>ein</strong>sam <strong>zu</strong> lachen, das ist fast schon <strong>ein</strong>e Therapie<br />
gegen Einsamkeit, weil man dadurch mit wildfremden<br />
Menschen gem<strong>ein</strong>same Erfahrungen teilt. Aber in<br />
<strong>ein</strong>er guten Komödie muss man natürlich auch w<strong>ein</strong>en<br />
können.“<br />
Dresen hat nichts dagegen, wenn man s<strong>ein</strong>e Filme<br />
als Komödien bezeichnet, solange man damit nicht<br />
Oberflächlichkeit sondern die Art und Weise m<strong>ein</strong>t,<br />
wie sie mit Drama und Tragik umgehen. „Wenn ich<br />
mehrere Jahre m<strong>ein</strong>er Lebenszeit für <strong>ein</strong>en Film<br />
<strong>ein</strong>setze, dann muss es um etwas gehen, das mich<br />
existentiell beschäftigt.“<br />
Die Themen in Dresens Filmen sind deshalb<br />
alles andere als leichtgewichtig sondern<br />
gesellschaftspolitisch brisant. Aber eben, Komödie<br />
ist für Dresen k<strong>ein</strong>e Frage des Inhalts sondern der<br />
Form. „Bei ‚Willenbrock’ haben wir oft ganz gezielt<br />
die Pointe gesucht, um das Drama <strong>zu</strong> brechen.<br />
Wenn er nach <strong>ein</strong>em brutalen Überfall plötzlich<br />
im Pyjama verstört vor <strong>ein</strong>er p<strong>ein</strong>lich berührten<br />
Hochzeitsgesellschaft steht, dann ist das zwar<br />
gezielt witzig – gleichzeitig aber auch mit Hintersinn<br />
inszeniert.“ Tatsächlich war Willenbrock bis <strong>zu</strong> diesem<br />
Augenblick <strong>ein</strong>er, der sich über die Not anderer k<strong>ein</strong>e<br />
Gedanken gemacht hat. Jetzt steckt er selbst in <strong>ein</strong>er<br />
Notlage und steht Menschen gegenüber, die sich nun<br />
ihrerseits nichts dabei denken.<br />
Dresens Humor hat etwas unerwartet Subversives.<br />
Wenn er das Absurde und das Tragische mischt, <strong>ein</strong>e<br />
unterhaltsame Geschichte mit ernstem Anliegen<br />
erzählt, das Kino nicht „als moralische Anstalt“,<br />
sondern als „Ort des sinnlichen Mitfühlens“ versteht,<br />
dann werden daraus sozialkritische Tragikomödien,<br />
und es überrascht deshalb nicht, dass Dresen gerade<br />
Ken Loach und Mike Leigh <strong>zu</strong> s<strong>ein</strong>en wichtigsten<br />
Vorbildern zählt.<br />
Auch in s<strong>ein</strong>em jüngsten Film „Willenbrock“, den er<br />
<strong>zu</strong>r Schweizer Premiere nach Zürich begleitet, ist er<br />
dieser Spur treu geblieben. Selbst wenn er formal<br />
andere, technisch aufwändigere Wege gegangen ist<br />
als in s<strong>ein</strong>em Erfolgsfilm „Halbe Treppe“, so bleibt das<br />
Wesentliche unverändert: „Selbst <strong>zu</strong> <strong>ein</strong>em bigotten<br />
Typen wie dem Autohändler Willenbrock, der doch<br />
über weite Strecken <strong>ein</strong> ziemlicher Schw<strong>ein</strong>ehund ist,<br />
muss ich <strong>ein</strong>e Zuneigung entwickeln. Ich kann nicht<br />
Filme über Personen machen, die ich nicht mag, die<br />
mir vollständig fremd bleiben.“<br />
Dasselbe gilt auch für jene Menschen, mit denen<br />
Dresen s<strong>ein</strong>e Filme dreht. „Ich bin <strong>ein</strong>e Art<br />
Familienregisseur und arbeite immer wieder mit<br />
denselben Freunden <strong>zu</strong>sammen. „Willenbrock“<br />
habe ich praktisch mit der gleichen Crew gemacht<br />
wie „Halbe Treppe“. Für mich ist es entscheidend,<br />
in <strong>ein</strong>em Ensemble arbeiten <strong>zu</strong> dürfen, wo Fehler<br />
erlaubt sind, weil man sich gegenseitig vertraut. Es<br />
macht <strong>ein</strong>en irren Spass, gem<strong>ein</strong>sam mit Leuten, die<br />
man mag, Geschichten <strong>zu</strong> erzählen, das ist wie <strong>ein</strong>e<br />
Abenteuerexkursion. Und wenn sich diese Spielfreude<br />
dann auch noch auf die Zuschauer überträgt, ist das<br />
<strong>ein</strong> wunderbares Gefühl.“<br />
Ist Andreas Dresen <strong>ein</strong> Glückskind des deutschen<br />
Films? „Ich bewege mich oft am Rande der<br />
Überforderung, bin viel unsicherer als das vielleicht<br />
sch<strong>ein</strong>t und habe m<strong>ein</strong>e Krisen. Oft fühle ich mich wie<br />
<strong>ein</strong>er, der vorausgeht, obwohl er selbst den Weg nicht<br />
kennt.“<br />
Kann man als Filmemacher wirklich so liebenswürdig,<br />
unkompliziert und offen s<strong>ein</strong>? Man ist geneigt,<br />
Dresen mehr als nur schöne Worte <strong>zu</strong><strong>zu</strong>trauen, so<br />
ungekünstelt und doch differenziert redet er über<br />
sich und s<strong>ein</strong>e Filme, so selbstironisch und doch<br />
selbstbewusst.<br />
Wenn Andreas Dresen <strong>ein</strong> Glückskind ist, dann wohl<br />
<strong>ein</strong>es aus <strong>ein</strong>er guten Komödie: Lachen und W<strong>ein</strong>en<br />
nahe <strong>zu</strong>sammen. Uns sympathisch, weil in dieser<br />
Sympathie das Mitleid noch nicht vom jovialen<br />
Schulterklopfen verdrängt wurde.<br />
Als Regisseur würde Andreas Dresen spätestens<br />
jetzt dem drohenden Pathos mit <strong>ein</strong>er Pointe den<br />
Garaus machen: „Ich hasse Szenen im Auto. Es<br />
ist <strong>ein</strong> furchtbarer Drehort. Zwischen mir und<br />
den Schauspielern <strong>ein</strong>e blöde Fensterscheibe, drei<br />
Funkgeräte um den Hals, und ich frier mir draussen<br />
bei hundert Sachen den Arsch ab.“<br />
Thomas Binotto (Neue Zürcher Zeitung vom 7. April<br />
2005)<br />
cHicken run - Hennen rennen<br />
Vergessen wir <strong>ein</strong>mal, was man in Drehbuchlehrgängen<br />
als Erstes lernt: dass <strong>ein</strong>e gute Idee noch lange
<strong>Super</strong>! – <strong>Vom</strong> <strong>Fluch</strong> <strong>ein</strong> <strong>Held</strong> <strong>zu</strong> s<strong>ein</strong>… <strong>Reader</strong><br />
k<strong>ein</strong> tragfähiger Filmstoff ist und nicht vorschnell<br />
mit der mühseligen Arbeit des Drehbuchschreibens<br />
verwechselt werden darf. Denn es gibt sie durchaus,<br />
diese kl<strong>ein</strong>en Ideen, die durch Studioflure geflüstert,<br />
umworben und teuer gehandelt werden. Als Nick<br />
Park und Peter Lord gegenüber Steven Spielberg von<br />
<strong>ein</strong>em Gefangenen-Ausbruchsfilm wie „Gesprengte<br />
Ketten“ (fd 12 205) schwärmten, der auf <strong>ein</strong>em<br />
Hühnerhof spielen sollte, war dieser nicht mehr <strong>zu</strong><br />
halten. „Wunderbar“, soll er, laut Lord, geantwortet<br />
haben: „Ich habe <strong>zu</strong>hause 300 Hühner, und m<strong>ein</strong><br />
Lieblingsfilm ist „Gesprengte Ketten“. Gewiss, wer wie<br />
Park und Lord mit den Plastilin-Animationen „Wallace<br />
& Gromit“ (fd 31 035) drei „Oscars“ in Folge gewonnen<br />
und die erfolgreichsten Kurzfilme seit Charles Chaplin<br />
produziert hat, dem stehen in Hollywood ohnehin<br />
alle Türen offen. Aber es ist etwas Verführerisches<br />
an diesem Gefängnisfilm, der in den USA schon<br />
Monate im Voraus mit riesigen Hühnerkonterfeis und<br />
dem Slogan „A few good hen“ angekündigt wurde.<br />
Man möchte <strong>ein</strong>fach sehen, wie es diese <strong>Fluch</strong>t<br />
bewerkstelligen mag, dieses fluguntüchtige Federvieh.<br />
Zunächst erfährt man, was nur noch gestandene<br />
Macho-Hähne ignorieren können: dass Eierlegen<br />
nämlich <strong>ein</strong>e sensible Angelegenheit ist und das<br />
vegetative Nervensystem <strong>ein</strong>er Henne schon <strong>ein</strong>mal<br />
für zyklische Unregelmäßigkeiten verantwortlich ist.<br />
Die despotische Farmerin Mrs. Tweedy, ganz und gar<br />
dem Klischee der Aufseherin <strong>ein</strong>es Frauengefängnis-<br />
Filmes nachempfunden, hat dafür allerdings wenig<br />
Verständnis. Wer nicht genug legt, dem droht<br />
das Ende in Pastetenform. Besonders greifbar<br />
ist dieses Schicksal für die schon mit mehreren<br />
<strong>Fluch</strong>tversuchen unangenehm aufgefallene Ginger.<br />
Und gewiss werden die Strafmaßnahmen nicht<br />
immer nur in <strong>ein</strong>em Aufenthalt im „Loch“ bestehen<br />
- man weiß „Vogelmann aus Alcatraz“ was damit<br />
gem<strong>ein</strong>t ist. Hoffnung kommt in Gestalt <strong>ein</strong>es<br />
aus dem Zirkus entwichenen „Flughahns“ namens<br />
Rocky. Dem charismatischen Burschen gelingt es<br />
schnell, die Hennen in s<strong>ein</strong>en Bann <strong>zu</strong> schlagen,<br />
und man verspricht sich viel von s<strong>ein</strong>en charmanten<br />
Flugstunden. Doch die Zeit drängt: <strong>ein</strong>e neumodische<br />
Pastetenmaschine harrt ihrer vernichtenden Aufgabe.<br />
Als jedoch <strong>ein</strong> altes Zirkusplakat Rockys Flugnummer<br />
als Trick entlarvt, ist es mit dem Optimismus vorbei.<br />
Ginger aber hat <strong>ein</strong>en anderen Plan: Unter Mithilfe<br />
von <strong>ein</strong> paar Ratten, die <strong>ein</strong>en schwunghaften<br />
Schwarzmarkt mit Eiern betreiben, macht sie sich an<br />
<strong>ein</strong> Unterfangen, das man von Vögeln eigentlich nicht<br />
erwartet: den Bau <strong>ein</strong>es Flugzeugs.<br />
So ist das mit den guten Ideen: sie halten <strong>ein</strong>e<br />
gewisse Zeit gefangen und beschäftigen unsere<br />
Vorstellungskraft. Doch je besser sie sind, desto<br />
weniger lassen sie sich durch die Kunst <strong>ein</strong>es<br />
Drehbuchautors steigern. Das muss auch Karey<br />
Kirkpatrick, Trickfilm erfahren unter anderem durch<br />
„Bernard und Bianca im Känguruhland“ (fd 29 253),<br />
am eigenen Leibe spüren. Aber glücklicherweise<br />
haben Drehbuchlehrer eben nicht immer Recht, und<br />
gute Geschichten sind eben auch nicht immer alles<br />
im Kino. Die Trickfilme des englischen Aardman-<br />
Studios können all<strong>ein</strong> durch die schier unglaubliche<br />
Beherrschung der Plastilin-Animation in Verbindung<br />
mit jenem typisch britischem „social touch“ für sich<br />
<strong>ein</strong>nehmen. Es ist herrlich, welches Typenensemble<br />
hier geschaffen wurde: die etwas <strong>zu</strong> missionarische<br />
Ginger, die opportunistische Rekord-Eierlegerin<br />
Bunty, die sich wohl auch durch <strong>ein</strong>en sozialistischen<br />
LPG-Orden noch motivieren ließe; oder das naive<br />
Dummchen Babs, <strong>ein</strong> ganz und gar sonniges<br />
Hühnchengemüt. Wie bei „Wallace und Gromit“ werden<br />
Genrekonventionen liebevoll herbeizitiert und durch<br />
<strong>ein</strong>e aufmerksam kommentierende Filmmusik vom<br />
Traditionalismus <strong>ein</strong>es englischen Bläserver<strong>ein</strong>s weiter<br />
pointiert. Wer von <strong>ein</strong>em großen Spielfilm auch <strong>ein</strong>e<br />
gewisse dramatische Tiefe erwartet, wird allerdings<br />
enttäuscht. Park und Lord drehten schlicht <strong>ein</strong>en<br />
weiteren Kurzfilm - allerdings mit zwei<strong>ein</strong>halbfacher<br />
Länge. Und <strong>ein</strong> paar be<strong>ein</strong>druckenden Massenszenen,<br />
wie sie die Animationsgeschichte in dieser Technik<br />
noch nicht gesehen hat. So treten nicht weniger als<br />
150 Hühner <strong>zu</strong>m Morgenappell an und lassen alle<br />
Tragik des klassischen Lagerfilms spüren. Zweifellos<br />
sind Nick Parks frühere Arbeiten erzählerisch<br />
konzentrierter, aber viel wichtiger ist doch, dass man<br />
der Versuchung widerstand, sich den verm<strong>ein</strong>tlichen<br />
Geschmackskonventionen des langen Trickfilms<br />
<strong>zu</strong> beugen und die eigene Integrität wahrte. Ein<br />
kitschiges Musical wäre mit dem sozial-ironischen<br />
Realismus von Aardman wahrlich nicht <strong>zu</strong> ver<strong>ein</strong>baren.<br />
Daniel Kothenschulte (film-dienst Nr. 16/2000)<br />
es gibT nur <strong>ein</strong>en Jimmy grimble<br />
Manchester: So manche Assoziation fällt <strong>ein</strong>em <strong>zu</strong>m<br />
geschichtsträchtigen Handels- und Kulturzentrum<br />
des englischen Nordwestens <strong>ein</strong>, vor allem aber<br />
<strong>ein</strong>e – Fußball. Der ewige Kampf zwischen den<br />
großen Ver<strong>ein</strong>en Manchester United und Manchester<br />
City zerreißt Familien und Freundschaften, sorgt<br />
für brisante soziale Konflikte, ebenso aber auch<br />
für heißblütig ausgelebte Passionen, wie man sie<br />
im unwirtlichen Norden Europas nicht unbedingt
<strong>Super</strong>! – <strong>Vom</strong> <strong>Fluch</strong> <strong>ein</strong> <strong>Held</strong> <strong>zu</strong> s<strong>ein</strong>… <strong>Reader</strong><br />
vermutet. Mitten im sozialen Brennpunkt der Krisen<br />
geschüttelten Metropole lebt und leidet der 15-jährige<br />
Jimmy Grimble, <strong>ein</strong> alles andere als hübscher Junge,<br />
kl<strong>ein</strong>er als s<strong>ein</strong>e Mitschüler, mit großen, abstehenden<br />
Ohren und dem starken Hang <strong>zu</strong> Selbstzweifeln<br />
und Minderwertigkeitsgefühlen. Nichts sch<strong>ein</strong>t ihn<br />
aus s<strong>ein</strong>er Verliererrolle retten <strong>zu</strong> können; s<strong>ein</strong>e<br />
all<strong>ein</strong>erziehende Mutter bringt wieder <strong>ein</strong>mal <strong>ein</strong>en<br />
neuen Freund mit nach Hause, der sich als Ersatzvater<br />
aufspielt, in der Schule wird er verlacht, verfolgt<br />
und gedemütigt, und in s<strong>ein</strong>em Lieblingssport<br />
Fußball wird der junge Manchester-City-Anhänger<br />
regelrecht überrannt. Nur wenn er all<strong>ein</strong> in den<br />
abruchreifen Straßen vor sich hindribbelt, geschieht<br />
etwas gerade<strong>zu</strong> Magisches: Jimmy überwindet s<strong>ein</strong>e<br />
Hemmungen und Ängste, es gelingen ihm technische<br />
Kabinettstückchen und Ball-Finessen, die <strong>ein</strong>en<br />
Michael Owen oder David Beckham erblassen ließen.<br />
Als die Schulmeisterschaften im Fußball anstehen,<br />
wird Jimmy vom Sportlehrer als Ersatzspieler<br />
nominiert; etwa <strong>zu</strong>r selben Zeit flüchtet Jimmy<br />
wieder <strong>ein</strong>mal vor s<strong>ein</strong>en Drangsalierern und wird von<br />
<strong>ein</strong>er rätselhaften alten Frau gerettet, die in <strong>ein</strong>em<br />
Kellerloch haust und ganz in ihren Erinnerungen lebt.<br />
Die Alte schenkt ihm <strong>ein</strong> Paar alter Fußballstiefel<br />
– sind es Zauberschuhe? Jimmy zweifelt, doch als<br />
er im ersten Meisterschaftsspiel, das eher <strong>ein</strong>er<br />
Prügelorgie im Matsch gleicht, <strong>ein</strong>gewechselt wird<br />
und <strong>ein</strong> sagenhaftes Tor schießt, ändert sich alles:<br />
Jimmy bekommt sich in den Griff, genießt Erfolg und<br />
Anerkennung; die Dinge entgleiten ihm <strong>ein</strong>fach nicht<br />
mehr. Und das alles wegen magischer Fußballschuhe?<br />
Es gibt in der Tat nur <strong>ein</strong>en Jimmy Grimble – wie<br />
jeder junge Mensch früher oder später s<strong>ein</strong>e eigene<br />
Individualität mit allen Stärken und Schwächen<br />
erkennen und anerkennen lernen muss, um <strong>zu</strong><br />
s<strong>ein</strong>em Selbstwertgewühl <strong>zu</strong> finden. Regisseur John<br />
Hay entwickelt <strong>ein</strong>en phasenweise mitreißenden<br />
Jugendfilm zwischen realistischer Alltagsbeschreibung<br />
und märchenhafter Überhöhung, in dem gewiss<br />
vieles holzschnittartig und auch plakativ bleibt.<br />
Da geht es wieder <strong>ein</strong>mal um den Sieg im Sport<br />
als mythisches Szenario für Selbstüberwindung<br />
und Charakterstärkung, das sich natürlich erst<br />
in allerletzter Sekunde entscheidet; da sind die<br />
Erwachsenen ordentlich, fast klischeehaft aufgeteilt<br />
in Jimmys „F<strong>ein</strong>de“ und Be<strong>zu</strong>gspersonen, da wird<br />
die Märchenfabel um die rätselhafte Alte mit <strong>ein</strong>em<br />
Anstrich Charles Dickens dekoriert, was ebenso wenig<br />
originell ersch<strong>ein</strong>en mag wie die beschwörenden<br />
Appelle, dass Jimmy endlich lernen müsse, an sich<br />
selbst <strong>zu</strong> glauben. Und doch: Dies ist <strong>ein</strong> höchst<br />
lebendiger, fesselnder und anrührender Film für<br />
Jugendliche und nicht für Filmkritiker oder sonstige<br />
besserwisserische Erwachsene, und Jugendliche werden<br />
thematisch verwandte Märchen und Erzählungen<br />
ihrer Kindheit ebenso wenig vergessen haben wie<br />
sie sich angesichts ähnlicher Ängste und Sorgen,<br />
Tagträume und (Glücks-)Fantasien problemos mit<br />
Jimmy anfreunden werden. Die Sorgfalt und der große<br />
Aufwand der Inszenierung sind für <strong>ein</strong>en Jugendfilm<br />
gerade<strong>zu</strong> vorbildlich, vor allem der pointierte Einsatz<br />
von Pop- und Rock-Songs, die Jimmys Leiden und<br />
Leidenschaften kommentieren (u.a. singen Echo and<br />
the Bunnymen „Nothing Lasts Forever“); sie bringen<br />
<strong>zu</strong>dem die notwendige Distanz, aber auch Komik ins<br />
Spiel, was Jimmys Lehr- und Fußballjahre bei aller<br />
Tristesse auch unterhaltsam und witzig macht. Dass<br />
der Junge <strong>zu</strong>gleich als auktorialer Erzähler fungiert<br />
und als s<strong>ein</strong> eigener Off-Kommentator mit trockenem<br />
Witz quasi retrospektiv „neben sich tritt“, erhöht<br />
den Reiz <strong>zu</strong>sätzlich. Am Ende gibt es <strong>ein</strong> dickes,<br />
prachtvolles Happy End, an dem neben Trainer,<br />
Ersatzvater und Mutter vor allem Jimmy Grimble selbst<br />
gearbeitet hat, um <strong>zu</strong> verstehen, dass der „Zauber“<br />
nicht in s<strong>ein</strong>en Schuhen, sondern in ihm selbst steckt.<br />
„Fußball ist halt nicht alles im Leben“, sagt er – um<br />
spitzbübisch direkt in die Kamera <strong>zu</strong> blicken und diese<br />
Weisheit sofort <strong>zu</strong> relativieren: „War ja nur Spaß!“<br />
Im englischen Original vermittelt sich die stark auf<br />
den Reiz des „Mancunian accent“ setzende Fabel weit<br />
authentischer und noch amüsanter; aber auch die<br />
deutsche Fassung wird Jugendlichen viel Vergnügen<br />
bereiten. Ein Trauerspiel, dass für solche Geschichten<br />
k<strong>ein</strong> Platz im deutschen Kino ist.<br />
Horst Peter Koll (film-dienst Nr. 12/2002)<br />
die geHeimnisvolle minuscH<br />
Tibbe ist <strong>ein</strong> aufstrebender Nachwuchsjournalist<br />
in der niederländischen Kl<strong>ein</strong>stadt Killendoorn.<br />
S<strong>ein</strong>e Leidenschaft gilt vor allem Katzen, was s<strong>ein</strong>e<br />
Meldungen und Artikel <strong>zu</strong>m Leidwesen der strengen<br />
Zeitungschefin mehr prägt als wirkliche Sensationen.<br />
Doch was soll man auch an „heißen Storys“ in der<br />
Provinz finden – <strong>zu</strong>mal, wenn man wie Tibbe eher<br />
sanft, schüchtern, fast ängstlich ist? Vielleicht gibt<br />
jene junge Frau ja <strong>ein</strong>e Geschichte ab, die Tibbe <strong>ein</strong>es<br />
Tages hoch in <strong>ein</strong>em Baum sitzen sieht, wohin sie<br />
aus Angst vor <strong>ein</strong>em Hund flüchtete. Doch als Tibbe<br />
endlich s<strong>ein</strong> Tonband aktiviert hat, ist die rätselhafte<br />
Dame längst verschwunden. Mitten in der Nacht aber<br />
steht sie wieder vor ihm – behende sprang sie über<br />
die Dächer der Stadt, um durchs Fenster <strong>zu</strong> steigen.
<strong>Super</strong>! – <strong>Vom</strong> <strong>Fluch</strong> <strong>ein</strong> <strong>Held</strong> <strong>zu</strong> s<strong>ein</strong>… <strong>Reader</strong><br />
Tibbe ist verwirrt und neugierig, ahnt jedoch nicht<br />
im Geringsten etwas vom Geheimnis der jungen<br />
Frau, die sich als Minusch vorstellt. Der Zuschauer<br />
aber weiß bereits mehr als Tibbe: Zu Beginn des<br />
Films raste nämlich <strong>ein</strong> geheimnisvoller Kl<strong>ein</strong>laster<br />
durch die Straßen, beladen mit Giftfässern, die mit<br />
dem harmlosen Motiv <strong>ein</strong>er Blume falsch ettikettiert<br />
wurden; <strong>ein</strong>es der Fässer rollte in die Vorgärten der<br />
Stadt, und <strong>ein</strong>e Katze namens Minusch schleckte an<br />
der auslaufenden Flüssigkeit...<br />
Die Abenteuer der Katze Minusch, die sich in <strong>ein</strong>e<br />
junge Frau verwandelt und mit der ihr fremden und<br />
rätselhaften Welt der Menschen konfrontiert wird,<br />
sind seit 30 Jahren <strong>ein</strong> Kinderbuchklassiker von<br />
Anna Maria Geertruida Schmidt (1911-1995), der<br />
niederländischen Astrid Lindgren. Bereits 1998 wurde,<br />
nachdem sich die skeptische Autorin <strong>zu</strong> Lebzeiten<br />
lange gegen Verfilmungen ihrer Bücher gewehrt hatte,<br />
ihr anderer „Klassiker“ „Abeltje, der fliegende Liftboy“<br />
(Regie: Ben Sombogaart) verfilmt: <strong>ein</strong>e vor Fantasie,<br />
unterspieltem Witz und viel Fabulierlust überbordende<br />
„Reisegeschichte“, die trotz zahlloser Trickeffekte<br />
auf wohltuende Weise nie der Effektmaschinerie<br />
Marke Hollywood erlag und <strong>ein</strong>en ganz eigenen, fast<br />
getragenen erzählerischen Rhythmus fand. Genau dies<br />
gilt auch für „Die geheimnisvolle Minusch“, <strong>ein</strong>er von<br />
sanftem Witz, viel Spielfreude und vor allem <strong>ein</strong>em<br />
handwerklich hoch professionellen Standard geprägte<br />
Märchenfantasie, die sich ganz nebenbei auch noch<br />
<strong>zu</strong>r modernen Fabel über Umwelt- und Tierschutz<br />
weitet. Auch wenn die Szenen mit den perfekt<br />
trainierten, durch Computertricks „lippensynchron“<br />
sprechenden Katzen <strong>ein</strong>en hohen Attraktionswert<br />
haben, nehmen sie bezeichnenderweise nur fünf<br />
Minuten der gesamten Filmlänge aus, sodass sich<br />
die Handlung stets gegenüber den Effekten <strong>zu</strong><br />
behaupten weiß und sich die klug gesetzten Akzente<br />
<strong>zu</strong> Themen wie Freundschaft und Selbstbewussts<strong>ein</strong>,<br />
Zivilcourage und Kritikfähigkeit jederzeit vermitteln.<br />
Fern der bombastischen Hektik <strong>ein</strong>es Films wie<br />
„Cats & Dogs – Wie Hund und Katz“ (fd 34 975) lebt<br />
„Die geheimnisvolle Minusch“ deshalb vorrangig<br />
von den reichen zwischenmenschlichen Akzenten:<br />
die „Katzen-Dame“ im eleganten Kostüm mag<br />
gelegentlich ängstlich und verwirrt durch die Welt<br />
der Menschen schleichen, hat dafür aber viel Charme<br />
und Beharrlichkeit und folgt ganz anderen Werten<br />
als die gedankenlosen Menschen; Minusch sorgt sich<br />
um die kl<strong>ein</strong>e Dinge des Das<strong>ein</strong>s, die <strong>ein</strong> geld- und<br />
machtgieriger Profiteur wie der Deodorant-Hersteller<br />
Ellemeet <strong>ein</strong>fach hinwegfegen will, wobei ihm die<br />
obrigkeitsgläubigen, devoten Mitbürger kritiklos <strong>zu</strong><br />
erliegen drohen. Der verträumte Tibbe und das noch<br />
nicht „verblendete“ Mädchen Bibi werden indes <strong>zu</strong><br />
Minuschs beherzten Verbündeten, um im solidarischen<br />
Kampf mit den Katzen der Stadt dem Bösewicht das<br />
Handwerk <strong>zu</strong> legen und den Kl<strong>ein</strong>bürgern doch noch<br />
die Augen <strong>zu</strong> öffnen.<br />
Dieses schöne Anliegen, sich <strong>ein</strong> Leben ohne<br />
Freundschaft und Herzenswärme nicht vorstellen <strong>zu</strong><br />
wollen, verbindet „Die geheimnisvolle Minusch“ im<br />
Übrigen deutlich mit <strong>ein</strong>em großen europäischen<br />
Kino-Vorbild: Wenn mit augenzwinkernder,<br />
lebenskluger Ironie das materialistische Leben<br />
konterkariert wird, dann könnte eigentlich jeden<br />
Moment auch <strong>ein</strong> älterer Herr mit Trenchcoat,<br />
Stockschirm und Pfeife freundlich lächelnd durch<br />
die beschaulichen Straßen der niederländischen<br />
Provinzstadt streifen – Monsieur Hulot lässt grüßen.<br />
Horst Peter Koll (film-dienst Nr. 16/2002)<br />
Hodder reTTeT die WelT<br />
So wie der Zuschauer verdutzt guckt, wenn im<br />
Titelvorspann <strong>ein</strong> Auto in den nächtlichen Himmel<br />
abhebt, so ungläubig schaut der neunjährige Hodder<br />
auf die kl<strong>ein</strong>e Fee, die über s<strong>ein</strong>em Bett schwebt und<br />
ihm offenbart, dass er auserwählt ist, um die Welt<br />
<strong>zu</strong> retten. Dabei hat er eigentlich genug damit <strong>zu</strong><br />
tun, im Alltag <strong>zu</strong>recht<strong>zu</strong>kommen: Seit s<strong>ein</strong>e Mutter<br />
gestorben ist, lebt Hodder mit s<strong>ein</strong>em Vater all<strong>ein</strong>, der<br />
s<strong>ein</strong> Geld als Plakatkleber verdient. In der Schule ist<br />
der Junge der Sündenbock, leidet vor allem unter den<br />
Hänseleien von Alex und Filip. Trotzdem fragt er die<br />
beiden, ob sie an s<strong>ein</strong>er Mission teilnehmen wollen.<br />
Doch genauso wenig wie s<strong>ein</strong>e Klassenlehrerin Asta,<br />
die Hodder so gerne mit s<strong>ein</strong>em Vater verkuppeln<br />
möchte, glauben sie ihm s<strong>ein</strong>e Geschichte. Die<br />
Fee aber wiederholt den Auftrag. Und als ihm die<br />
Bäckerin den Rat gibt, kl<strong>ein</strong> an<strong>zu</strong>fangen, sucht sich<br />
Hodder die kl<strong>ein</strong>ste bewohnte Insel der Welt für s<strong>ein</strong>e<br />
Rettungsmission aus. Er kündigt den Einwohnern<br />
von Guambilua s<strong>ein</strong> Kommen an und findet in der<br />
geheimnisvollen Nachbarin Lola, die ähnlich wie s<strong>ein</strong><br />
Vater <strong>ein</strong>em Nachtjob nach<strong>zu</strong>gehen sch<strong>ein</strong>t, und dem<br />
stabreimenden Boxchampion Big Mac Johnson, der ihn<br />
jeden Morgen von der Cornflakes-Packung anlächelt,<br />
sogar potenzielle Expeditionsteilnehmer.<br />
In der Schule überstürzen sich mittlerweile die<br />
Ereignisse: Filip droht Hodder Prügel an, weil er<br />
glaubt, dass dieser die Trennung s<strong>ein</strong>er Eltern<br />
herumgetratscht hat, und Alex verweigert Hodder<br />
am letzten Schultag den Zutritt <strong>zu</strong>r Klasse, weil er
<strong>Super</strong>! – <strong>Vom</strong> <strong>Fluch</strong> <strong>ein</strong> <strong>Held</strong> <strong>zu</strong> s<strong>ein</strong>… <strong>Reader</strong><br />
dessen Abschiedsgeschenk für Asta für stillos hält.<br />
Verzweifelt läuft Hodder <strong>zu</strong>m Kai. Gerade als er s<strong>ein</strong>en<br />
Fuß ins Wasser setzen will, reißt in Filip <strong>zu</strong>rück, der<br />
inzwischen s<strong>ein</strong>e Seelenverwandtschaft mit Hodder<br />
entdeckt hat. Auch in Sachen Weltrettung hat sich<br />
etwas getan: Am Abend steht <strong>ein</strong> Afrikaner vor s<strong>ein</strong>er<br />
Wohnung und lädt Hodder nach Guambilua <strong>ein</strong>, Big<br />
Mag Johnson schaut vorbei und Lola entschließt sich,<br />
doch lieber <strong>zu</strong>m Nachtisch herauf<strong>zu</strong>kommen als mit<br />
dem Boxer weg<strong>zu</strong>fahren.<br />
Gibt es den dichtenden Boxer wirklich oder ist er nur<br />
das von der Cornflakes-Reklame heruntergestiegene<br />
Wunschbild Hodders? Was hat es mit dem<br />
Guambiluaner auf sich, der bei Hodders verhindertem<br />
Sprung ins Wasser im Hintergrund auf <strong>ein</strong>er Bank<br />
saß? Und trägt die Fee nicht die Züge von Hodders<br />
verstorbener Mutter? Immer wieder verwischen<br />
sich die Grenzen zwischen Fantasie und Realität:<br />
Welche Figur ist echt, welche existiert nur im Kopf<br />
des Neunjährigen? S<strong>ein</strong>e überbordende Fantasie<br />
ist es letztendlich aber auch, die ihm hilft, s<strong>ein</strong>e<br />
Alltagsprobleme <strong>zu</strong> lösen und s<strong>ein</strong>e Außenseiterrolle<br />
<strong>zu</strong> überwinden.<br />
Henrik Ruben Genz hat diesen, nach <strong>ein</strong>em mit dem<br />
Deutschen Jugendliteraturpreis 2000 ausgezeichneten<br />
Roman von Bjarne Reuter entstandenen Film<br />
mit stilsicherer Hand inszeniert. Er bricht den<br />
ernsten Hintergrund der Vorlage immer wieder mit<br />
unaufdringlichem Humor und poetischen Momenten<br />
auf: etwa wenn Hodders Klassenkameradin ihrer<br />
Brotbox isländische Spezialitäten wie geräuchertes<br />
Schafshirn oder rohe Nieren entnimmt oder wenn<br />
Hodder der Lehrerin den Namen ihres Lieblingsparfüm<br />
(„Harem Dreams“) entlockt; berührend auch der<br />
liebevolle Umgang zwischen Hodder und s<strong>ein</strong>em<br />
Vater. Mit psychologischem Fingerspitzengefühl<br />
werden Themen wie Scheidung, Außenseitertum und<br />
Einsamkeit integriert, ohne die junge Zielgruppe<br />
<strong>zu</strong> überfordern. In lustigen Szenen geraten die<br />
Personen nie an den Rand der Lächerlichkeit, in<br />
ernsten Momenten nie an den von Klischees. Das<br />
Timing stimmt, die Stimmungen sind auf den Punkt<br />
hin inszeniert und werden von <strong>ein</strong>er schnörkellosen<br />
Bildgestaltung, <strong>ein</strong>em flüssigen Schnitt und <strong>ein</strong>em<br />
sparsam-unaufdringlich <strong>ein</strong>gesetzten Soundtrack<br />
kongenial unterstützt. Vor allem aber sind es die<br />
präzis geführten kl<strong>ein</strong>en und großen Darsteller,<br />
die ihre Rollen so lebensnah wirken lassen,<br />
dass selbst die fantastischen Momente nicht als<br />
Drehbuchkonstruktion, sondern eher wie kl<strong>ein</strong>e<br />
<strong>Fluch</strong>ten aus der Realität wahrgenommen werden.<br />
Rolf-Ruediger Hamacher (film-dienst Nr. 2/2004)<br />
THe migHTy – gem<strong>ein</strong>sam sind sie sTark<br />
Gesellschaftliche Außenseiter können sowohl allseits<br />
Geächtete s<strong>ein</strong> als auch <strong>Super</strong>helden – und manchmal<br />
beides gleichzeitig, wie die <strong>Held</strong>en in „The Mighty“.<br />
Schon auf den ersten Blick sind sie Außenseiter, weil<br />
sie nicht aussehen wie die anderen. Da ist <strong>zu</strong>nächst<br />
der 13jährige Kevin, <strong>ein</strong> sehr großer, dicklicher Junge,<br />
der regelmäßig von den anderen Jungen gehänselt<br />
wird. Zwar treten diese möglichst in Gruppen auf,<br />
weil Kevin ihnen auch <strong>ein</strong> wenig unheimlich ist;<br />
<strong>zu</strong>r Wehr aber setzt er sich nie, lieber schweigt er.<br />
Und da ist Maxwell, s<strong>ein</strong> neuer Mitschüler, der in<br />
das Haus gleich neben Kevin zieht und unter <strong>ein</strong>er<br />
schlimmen Rückgratverkrümmung leidet. Zuerst<br />
beäugt ihn Kevin wie alle anderen, mit mißtrauischem<br />
Staunen, aber schnell lernt er, daß Maxwells Stellung<br />
als Außenseiter ihn <strong>zu</strong> <strong>ein</strong>em besonderen Menschen<br />
gemacht hat: <strong>ein</strong> angehender Intellektueller, der<br />
aus s<strong>ein</strong>er Auffassungsgabe k<strong>ein</strong> Hehl macht, den<br />
Demütigungen mit sarkastisch-treffendem Witz<br />
begegnet und <strong>zu</strong>dem über <strong>ein</strong>e Fantasie verfügt, die<br />
stärker ist als alles, was die Jungen im Alltag umgibt.<br />
Nicht lange, und die beiden finden <strong>zu</strong><strong>ein</strong>ander und<br />
bilden <strong>ein</strong> Team, das sich Respekt verschafft – genauer<br />
gesagt: sie werden im Wortsinn <strong>zu</strong> Roß und Reiter, der<br />
<strong>ein</strong>e auf den Schultern des anderen, in <strong>ein</strong>er Welt aus<br />
Rittern, Prinzessinnen und Drachen, in der die Gang<br />
von Halbwüchsigen sich nicht recht behaupten kann,<br />
ja, vor der das schnöde Das<strong>ein</strong> der Mitmenschen <strong>zu</strong><br />
prosaischem Mittelmaß schrumpft.<br />
Doch es sind nicht nur die Gleichaltrigen, gegen<br />
die sich die beiden <strong>zu</strong>r Wehr setzen müssen. Kevin<br />
lebt bei s<strong>ein</strong>en Großeltern (wunderbar grantig: Gena<br />
Rowlands und Harry Dean Stanton), seit s<strong>ein</strong>e Mutter<br />
getötet worden ist und s<strong>ein</strong> Vater deswegen im<br />
Gefängnis sitzt. Die zahlreichen Briefe, in denen er<br />
s<strong>ein</strong>e Unschuld beteuert, werden penibel abgefangen,<br />
der Vater als der Teufel persönlich behandelt, dessen<br />
Namen nicht <strong>ein</strong>mal ausgesprochen werden darf.<br />
Maxwell dagegen ist nur die Mutter geblieben, die<br />
sich weniger wie <strong>ein</strong>e Amme denn als <strong>ein</strong>e große<br />
Freundin um ihren Sohn kümmert – Sharon Stone<br />
erinnert in dieser Rolle <strong>ein</strong> wenig an Cher als Mutter<br />
des entstellten Jungen in „Die Maske“(fd 25 162). Die<br />
<strong>ein</strong>fachen, düsteren Vorstadt-Reihenhäuser, die sie<br />
bewohnen, machen deutlich, daß <strong>zu</strong>r menschlichen<br />
Ausgren<strong>zu</strong>ng auch <strong>ein</strong>e soziale gehört, bei der es um<br />
Klassen<strong>zu</strong>gehörigkeit geht. Das Drama beginnt, als<br />
sich herausstellt, daß der Vater vorzeitig entlassen<br />
0
<strong>Super</strong>! – <strong>Vom</strong> <strong>Fluch</strong> <strong>ein</strong> <strong>Held</strong> <strong>zu</strong> s<strong>ein</strong>… <strong>Reader</strong><br />
wird. Obwohl es ihm verboten ist, sich dem Haus der<br />
Familie <strong>zu</strong> nähern, greift er sich sogleich den Jungen<br />
und entführt ihn in die Wohnung <strong>ein</strong>es alten Kumpels.<br />
So trifft Kevin jenes Alkoholiker-Pärchen wieder,<br />
dem er kurz <strong>zu</strong>vor <strong>ein</strong>e Brieftasche <strong>zu</strong>rückgebracht<br />
hat, welche die Jungen-Gang gestohlen hatte: „Akte<br />
X“-Star Gillian Anderson und Rocksänger Meat Loaf<br />
in tragikomischen Karikaturen <strong>ein</strong>er dem Post-Easy-<br />
Rider-Frust verfallenen Generation.<br />
Auch Peter Chelsoms dritter Film handelt davon,<br />
jemand anders <strong>zu</strong> s<strong>ein</strong>, ganz in die Identität<br />
derjenigen <strong>zu</strong> schlüpfen, die man am meisten<br />
bewundert. „Hear My Song“ (fd 29 772) handelte<br />
von <strong>ein</strong>em falschen Opernsänger, „Funny Bones“<br />
(fd 31 368) von <strong>ein</strong>em Komiker im Schatten <strong>ein</strong>es<br />
erfolgreichen Vaters, und „The Mighty“ erzählt<br />
von zwei Jungen, denen ihre mittelalterliche<br />
Vorstellungswelt <strong>zu</strong> jenem Selbstvertrauen verhilft,<br />
das ihnen <strong>ein</strong> Überleben erst ermöglicht. Erneut<br />
mischt Chelsom auf ebenso ungewöhnliche wie<br />
behutsame Weise Elemente der Komödie, des<br />
Melodrams und des Kriminalfilms und bringt darin<br />
mühelos sowohl poetische als auch gewalttätige,<br />
witzige ebenso wie bittere Szenen unter. Natürlich<br />
muß <strong>ein</strong>e Geschichte wie diese, die <strong>ein</strong>em Kinderbuch<br />
von Rodman Philbrick entstammt, als Plädoyer<br />
gewürdigt werden: für <strong>ein</strong>en größtmöglichen Respekt<br />
vor sich selbst und vor anderen, für die Fantasie<br />
als nutzbringende Lebenshilfe, sowie dafür, <strong>ein</strong><br />
Außenseiterdas<strong>ein</strong> als Chance <strong>zu</strong>r Identitätsfindung <strong>zu</strong><br />
begreifen. Aber Peter Chelsom ist Profi und zeitgemäß<br />
genug, diesen Aspekt nur als Subtext mitlesen <strong>zu</strong><br />
lassen innerhalb <strong>ein</strong>es wunderschönen, ebenso<br />
komischen wie berührenden Films.<br />
Oliver Rahayel (film-dienst Nr. 9/1999)<br />
my name is Joe<br />
„M<strong>ein</strong> Name ist Joe! Ich bin Alkoholiker!“ Joe<br />
Kavanagh wird nicht müde, diese Worte <strong>zu</strong><br />
wiederholen. Er gibt sie nicht zerknirscht von sich,<br />
sondern durchaus selbstbewußt, schließlich ist er seit<br />
fast <strong>ein</strong>em Jahr „trocken“, und das Bekenntnis <strong>zu</strong>r<br />
Krankheit gehört <strong>zu</strong>r Therapie. Joe steht wieder mit<br />
beiden B<strong>ein</strong>en im Leben, <strong>zu</strong>mindest soweit, wie es<br />
<strong>ein</strong>e Existenz im Glasgower Arbeiter- und Arbeitslosen-<br />
Vorort Ruchill <strong>zu</strong>läßt, dessen Bewohner weitgehend<br />
von der Sozialhilfe leben. Die <strong>ein</strong>zige <strong>Fluch</strong>t vor<br />
dem tristen Alltag stellen Training und Spiele <strong>ein</strong>er<br />
hoffnungslos überforderten Fußball-Truppe dar, die<br />
sich immerhin den Luxus leistet, in den Trikots der<br />
deutschen Weltmeisterschaftsmannschaft von 1974<br />
<strong>zu</strong> spielen. Joes Leben indes ist im Lot, und als<br />
er die Sozialarbeiterin Sarah kennenlernt, die die<br />
Familie von Liam – <strong>ein</strong>em s<strong>ein</strong>er Spieler, dessen Frau<br />
heroinsüchtig ist – , betreut, ist durchaus Platz für<br />
Hoffnung in s<strong>ein</strong>em Leben. Behutsam, respektvoll und<br />
zärtlich nähern sich die beiden an und offenbaren<br />
sich <strong>ein</strong>ander. Sie hat Angst, <strong>ein</strong>mal mehr in <strong>ein</strong>er<br />
Partnerschaft enttäuscht <strong>zu</strong> werden, er öffnet s<strong>ein</strong><br />
Herz, schildert ihr die Stationen des Alkoholismus<br />
und gesteht s<strong>ein</strong>e größte Sünde und Last: Er hat s<strong>ein</strong>e<br />
ehemalige Geliebte im Rausch geschlagen.<br />
Für beide gibt es <strong>ein</strong>en Hoffnungsschimmer am<br />
Horizont, doch dann holt sie <strong>ein</strong> äußerst schmutziger<br />
Alltag <strong>ein</strong>. Liams Frau Sabine, die dem gem<strong>ein</strong>samen<br />
Sohn eigentlich <strong>ein</strong>e gute Mutter s<strong>ein</strong> will, steht<br />
wegen ihrer Sucht bei <strong>ein</strong>em Lokal-Paten in der<br />
Kreide. Ihre vertuschte Gelegenheitsprostitution<br />
reicht weder, um die Schulden <strong>zu</strong> tilgen, noch um<br />
den täglichen Heroinbedarf <strong>zu</strong> decken. Jetzt soll<br />
Liam, der kl<strong>ein</strong>e, antriebsschwache Mittelstürmer,<br />
bluten. Man droht, ihm die B<strong>ein</strong>e <strong>zu</strong> brechen, und<br />
als er angstschlotternd in der Kneipe des Gangsters<br />
sitzt, übernimmt Joe die Schuld des Freundes <strong>zu</strong><br />
<strong>ein</strong>em viel <strong>zu</strong> hohen Preis. In die Enge getrieben<br />
und mit sichtlich sadistischer Lust, den ehemaligen<br />
Kumpel und Saufkumpan auf den Knien <strong>zu</strong> sehen,<br />
verpflichtet der Glasgower Arbeiter-Pate Joe für zwei<br />
Drogen-Kurierdienste aus dem Norden des Landes;<br />
damit soll Liams Schuld beglichen s<strong>ein</strong>. Doch bereits<br />
der erste Handel bleibt Sarah nicht verborgen. Sie,<br />
die täglich mit den Resultaten solcher Geschäfte<br />
konfrontiert wird und gegen sie ankämpft, wendet<br />
sich ab. Joe dreht durch, mischt die Gangster-Clique<br />
auf und greift <strong>zu</strong>r Flasche. Ein verhängnisvoller<br />
Abend, denn nun soll Liam s<strong>ein</strong>e Schulden bezahlen.<br />
Da von dem hoffnungslos betrunkenen Joe, den er<br />
als letzte Rettung <strong>ein</strong>mal mehr aufsucht, k<strong>ein</strong>e Hilfe<br />
<strong>zu</strong> erwarten ist, nimmt sich der junge Mann in Joes<br />
Wohnung das Leben. Beim Begräbnis ist trügerische<br />
Ruhe <strong>ein</strong>gekehrt. Auch Sarah ist vor Ort und nähert<br />
sich zaghaft. Ist <strong>ein</strong>e Zukunft möglich?<br />
Nach den Großproduktionen „Land and Freedom“<br />
(fd 31 553) und „Carla’s Song“ (fd 32 739), die sich<br />
mit dem Scheitern der sozialistischen Internationale<br />
aus<strong>ein</strong>andersetzten und sich am Ende dieses<br />
Jahrhunderts wie <strong>ein</strong> Abgesang auf linke politische<br />
Utopien ausnahmen, hat sich Ken Loach mit „My<br />
Name is Joe“ wieder auf s<strong>ein</strong> ureigenes cineastisches<br />
Terrain besonnen: das Los kl<strong>ein</strong>er Leute, die trotz aller<br />
Rück- und Nackenschläge nicht aufgegeben haben,<br />
dem Schicksal Paroli <strong>zu</strong> bieten. Dabei versteht Loach<br />
Schicksal gewiß nicht als etwas Naturgegebenes,
<strong>Super</strong>! – <strong>Vom</strong> <strong>Fluch</strong> <strong>ein</strong> <strong>Held</strong> <strong>zu</strong> s<strong>ein</strong>… <strong>Reader</strong><br />
sondern als Ausdruck real existierender sozialer<br />
Verhältnisse, die nicht nur seit der Regierung Thatcher<br />
tief im britischen Wirtschaftssystem verwurzelt sind.<br />
Loach kreidet die desolate Situation s<strong>ein</strong>er „working<br />
class heroes“ nicht ausschließlich den ökonomischen<br />
Verhältnissen an, sondern nimmt sie durchaus in<br />
die Eigenverantwortung, läßt die Wechselwirkung<br />
von sozialen Lebensumständen und persönlicher<br />
Lebensgestaltung aber nie außer acht. Wie schon in<br />
„Riff-Raff“ (fd 29 305), „Raining Stones“ (fd 30 689)<br />
oder „Ladybird, Ladybird“ (fd 30 831) ist es nicht der<br />
„große Wurf“, sondern das kl<strong>ein</strong>e Glück der <strong>ein</strong>fachen<br />
Leute, das Loach anmahnt. Mit dem Engagement<br />
<strong>ein</strong>es Streetworkers listet er die vielen Stolperst<strong>ein</strong>e<br />
auf, die diesem Glücksideal im Wege liegen, und<br />
beschreibt Systeme, die auf unerbittlichen Rang- und<br />
Hackordnungen aufgebaut sind. Entweder man gibt<br />
den eigenen Druck nach unten weiter, wird wie in „My<br />
Name is Joe“ kriminell und/oder Dealer, oder man hält<br />
ihm nicht stand und sucht s<strong>ein</strong> verm<strong>ein</strong>tliches Heil<br />
in der Sucht. Nicht daß Loach dies gutheißen würde,<br />
aber er signalisiert Verständnis für die Menschen, die<br />
sich nicht mehr <strong>zu</strong> helfen wissen.<br />
Vor diesem Hintergrund ist Joe schon so etwas<br />
wie <strong>ein</strong>e „Lichtgestalt“. Nicht nur, daß er sich<br />
an den eigenen Haaren aus s<strong>ein</strong>em Sucht-Sumpf<br />
herausgezogen hat; er ist auch Integrationsfigur<br />
für die arbeitslosen Heranwachsenden im Viertel;<br />
Freundschaft bedeutet ihm so viel, daß er das eigene<br />
Glück aufs Spiel setzt. Trotz vieler Rückschläge hat er<br />
den Mut und die Kraft <strong>zu</strong>m Träumen nicht verloren,<br />
auch wenn er weiß, daß es genau diese Träume s<strong>ein</strong><br />
können, deren Zerplatzen den labilen Ist-Zustand<br />
gefährden. Diese Grundkonstellation, verdichtet<br />
durch die äußerst sympathische Darstellung von Peter<br />
Mullan, ist es, die den Zuschauer <strong>zu</strong>r Part<strong>ein</strong>ahme<br />
zwingt. Man ahnt das böse Ende, den neuerlichen<br />
Absturz, kann es aber nicht verhindern und empfindet<br />
unendliches Mitleid. Doch ganz integer ist auch Joe<br />
nicht. Einmal auf die schiefe Bahn gezwungen, ist<br />
er durchaus bereit, die kl<strong>ein</strong>en Geldgeschenke s<strong>ein</strong>es<br />
Auftraggebers an<strong>zu</strong>nehmen, und als er ganz am Ende<br />
ist – an jenem Punkt, <strong>ein</strong> Jahr, bevor der Film beginnt<br />
– , fällt alles Liebenswerte von ihm ab. Angesichts<br />
des eigenen Elends und Scheiterns hat er k<strong>ein</strong> Herz<br />
mehr für das Scheitern und Elend anderer und spricht<br />
Liam und s<strong>ein</strong>er Familie, auch dem geliebten kl<strong>ein</strong>en<br />
Sohn, die Existenzberechtigung ab. Mehr noch als Joes<br />
Rückfall ist es diese abgrundtiefe Hoffnungslosigkeit,<br />
die den Blick vom persönlichen Schicksal auf die<br />
gesellschaftlichen Umstände <strong>zu</strong>rücklenkt. Warum<br />
Mitleid haben in <strong>ein</strong>er Welt ohne Mitleid?<br />
Inszenatorisch ist Ken Loach <strong>ein</strong> kl<strong>ein</strong>es Meisterwerk<br />
gelungen. Was wie <strong>ein</strong>e Komödie der kl<strong>ein</strong>en Leute<br />
beginnt – rauh zwar, dem Milieu angepaßt, aber<br />
freundlich und in hellen Farben –, wird in Inhalt,<br />
Aussage und Farbgestaltung <strong>zu</strong>nehmend düsterer.<br />
Dabei gleitet der Film sanft auf die Tragödie <strong>zu</strong>, die<br />
auch durch Thriller-Elemente transportiert wird.<br />
Die Welt ist dabei eben nicht in Gut und Böse, in<br />
Schwarz und Weiß aufgeteilt, sondern besteht aus<br />
vielen Zwischen- und Grautönen, die die Orientierung<br />
erschweren. Solche filmische Atmosphäre findet<br />
kameratechnisch ihre Entsprechung: Bleibt die Kamera<br />
über weite Strecken in der Halbdistanz und wirkt<br />
dadurch dokumentarisch, so sucht sie <strong>zu</strong>m Ende hin<br />
immer mehr die Großaufnahme, um vom Allgem<strong>ein</strong>en<br />
aufs Einzelne <strong>zu</strong> lenken und somit das Allgem<strong>ein</strong>e <strong>zu</strong><br />
verdeutlichen. Virtuos verbindet Loach Zärtliches und<br />
Schroffes, Sanftes und Rauhes und macht über den<br />
düsteren Tag hinaus Hoffung. S<strong>ein</strong> Film ist getragen<br />
von der Liebe <strong>zu</strong> den Menschen und von der Idee<br />
sozialer Gerechtigkeit, auch wenn der Weg <strong>zu</strong> ihrer<br />
Verwirklichung noch weit ist.<br />
Hans Messias (film-dienst Nr. 1/1999)<br />
sHrek – der TollküHne <strong>Held</strong><br />
Co-Produzent John H. Williams nennt s<strong>ein</strong> Werk<br />
ikonoklastisch, was sicher <strong>ein</strong> wenig hoch gegriffen<br />
ist. Aber noch nie wurde so respektlos mit dem<br />
abendländischen Erbe der Märchen umgegangen wie<br />
im neuesten Produkt aus dem Hause DreamWorks.<br />
Dabei ist „Shrek“, entstanden nach <strong>ein</strong>em Kinderbuch<br />
von William Steig, selbst <strong>ein</strong> Märchen: <strong>ein</strong>e Art Meta-<br />
Märchen, das sich all die anderen Geschichten von<br />
Feen und sprechenden Tieren <strong>zu</strong>nutze und sie auch<br />
<strong>ein</strong> wenig lächerlich macht. Schamlos könnte man das<br />
nennen, doch vorrangiges Ziel der Produzenten schien<br />
es <strong>zu</strong> s<strong>ein</strong>, das fast monopolistische Zugriffsrecht<br />
des Disney-Konzerns auf die Märchen ins Visier<br />
<strong>zu</strong> nehmen. DreamWorks hatte Disney bereits mit<br />
„Antz“ (fd 33 404) auf dessen ureigenem Gebiet der<br />
Animation den Kampf angesagt. Wie „Shrek“ nun mit<br />
der süßen, heilen Welt der Micky-Maus-Erben umgeht,<br />
gehört <strong>zu</strong> den unterhaltsamsten Momenten in dem<br />
ohnehin höchst vergnüglichen Film.<br />
„Home, Sweet Home“ heißt für den Oger mit Namen<br />
Shrek, morgens erst <strong>ein</strong>mal <strong>ein</strong>e Dusche mit Schlamm<br />
<strong>zu</strong> nehmen und sich die Zähne mit ausgepressten<br />
Raupen <strong>zu</strong> putzen. Ein Oger ist <strong>ein</strong> dicklicher, grüner,<br />
bärenstarker, grimmiger Einzelgänger mit seltsamen<br />
trichterförmigen Ohren auf dem kahlen Schädel, und
<strong>Super</strong>! – <strong>Vom</strong> <strong>Fluch</strong> <strong>ein</strong> <strong>Held</strong> <strong>zu</strong> s<strong>ein</strong>… <strong>Reader</strong><br />
nichts ist ihm wichtiger als s<strong>ein</strong>e häusliche Ruhe<br />
im tiefen Moor. Damit ist es vorbei, als der eitle<br />
Fürst Farquaad alle Märchenfiguren, die in s<strong>ein</strong>em<br />
Reich leben, <strong>ein</strong>fangen und im Moor <strong>zu</strong>sammen<br />
treiben lässt. Farquaad, <strong>ein</strong> recht kl<strong>ein</strong> geratener<br />
Gernegroß, will das Märchen-Monopol an sich reißen<br />
und damit die Rechte an allem Spielzeug, das sich<br />
damit verkaufen lässt – das Schloss voller Puppen<br />
sieht aus wie das Merchandising <strong>ein</strong>es großen,<br />
auf Familienfilme spezialisierten US-Filmstudios.<br />
Doch all die drei Schw<strong>ein</strong>chen, sieben Zwerge und<br />
Artverwandte können aus dem Auffanglager fliehen<br />
und landen in Shreks Haus und Garten, was diesen<br />
wenig erfreut. Der Fürst hat sich derweil aus drei<br />
ledigen Märchenmädchen Prinzessin Fiona als Braut<br />
ausgesucht und beauftragt nun, feige wie er ist, Shrek<br />
damit, den Drachen, der sie bewacht, <strong>zu</strong> erlegen und<br />
das Mädchen her<strong>zu</strong>bringen. Im Gegen<strong>zu</strong>g will der<br />
Fürst für Ruhe im Oger-Heim sorgen. Zuvor hat sich<br />
der (sehr viel) sprechende Esel Donkey an Shreks<br />
Fersen geheftet, und <strong>zu</strong>sammen machen sich beide<br />
auf, das Abenteuer <strong>zu</strong> bestehen, in dessen Verlauf sich<br />
Shrek in Fiona und der (weibliche) Drache in Donkey<br />
verliebt.<br />
Der r<strong>ein</strong> digital erzeugte Trickfilm zeigt sich auf<br />
der Höhe des technisch Machbaren, auch wenn<br />
dies bekanntlich nur <strong>ein</strong> kurzlebiger Gipfel ist:<br />
die Körperoberflächen etwa sind achtmal f<strong>ein</strong>er<br />
strukturiert als noch bei „Antz“; besonders angesichts<br />
der Tatsache, dass hier erstmals Menschen (neben<br />
menschenartige Wesen) <strong>zu</strong> Hauptfiguren <strong>ein</strong>es<br />
computeranimierten Trickfilms werden, sind Plastizität<br />
und mimische Ausdrucksfähigkeit der Figuren<br />
bestechend, was sich umgekehrt wohl auch auf ihre<br />
differenzierte charakterliche Zeichnung ausgewirkt<br />
hat. Anders als im herkömmlichen Märchen, das<br />
zwangsläufig aus Stereotypen besteht, läuft vieles<br />
nicht nach Wunsch. Fiona <strong>zu</strong>m Beispiel ist fest davon<br />
überzeugt, dass ihr Retter Shrek auch ihr Prinz s<strong>ein</strong><br />
muss und nicht nur der Handlanger <strong>ein</strong>es feigen<br />
Fürsten. Die Muster <strong>ein</strong>er idealisierten Welt, wie<br />
sie Disney stets beschwört, stimmen nicht mit der<br />
Wirklichkeit über<strong>ein</strong> – dies ist <strong>ein</strong>e der charmant<br />
vermittelten Botschaften des Films. Selbst Kinder,<br />
die an Adventure-Spielen geschult sind, werden vom<br />
Tempo des Films nicht enttäuscht, aber sie werden<br />
<strong>zu</strong>gleich Augen machen, weil ihre schematische<br />
Playstation-Welt plötzlich ins Wanken gerät. Bewusst<br />
nimmt der Film die notorische Niedlichkeit von<br />
Disneys Kinderfilmen aufs Korn. Als etwa Fiona<br />
mit <strong>ein</strong>em Vogel um die Wette zirpt, gelingen ihr<br />
derart hohe Töne, dass der Vogel zerplatzt. Damit<br />
nicht genug: Das arme Tier hatte <strong>zu</strong>vor Eier gelegt,<br />
die Fiona nun <strong>zu</strong>m Frühstück verarbeitet. Zu <strong>ein</strong>er<br />
zeitgenössischen Parodie gehört auch <strong>ein</strong> wenig<br />
verwurstete Filmgeschichte: Mal steht Shrek wie<br />
<strong>ein</strong>st Bruce Willis all<strong>ein</strong> dem F<strong>ein</strong>d im verwunschenen<br />
Schloss gegenüber, mal hat er es wie Indiana Jones<br />
mit unglaublichen Gefahren <strong>zu</strong> tun. Andrew Adamson,<br />
der aus dem Bereich visuelle Effekte kommt, und<br />
Vicky Jenson, <strong>ein</strong>e Trickfilmzeichnerin, geben hier<br />
ihr Regiedebüt, das sich mühelos zwischen Tempo<br />
und Gefühl, Massenszenen und beschaulichen<br />
Momenten bewegt. Auch wenn man sich den <strong>ein</strong>en<br />
oder anderen Fäkalscherz hätte sparen können:<br />
„Shrek“ ist Familienunterhaltung auf der Höhe der<br />
Zeit, spannend und romantisch, ironisch und frech.<br />
Dass Shrek von Mike Myers und Fiona von Cameron<br />
Diaz gesprochen werden, ist im Original weniger<br />
bemerkenswert als Eddie Murphys Stimme für den Esel,<br />
der auch im Charakter deutlich an Murphys Alter Ego,<br />
den vorlauten Schnellsprecher, angelehnt ist. In der<br />
deutschen Version kommen u.a. Sascha Hehn, Esther<br />
Schw<strong>ein</strong>s und Rufus Beck <strong>zu</strong> Wort.<br />
Oliver Rahayel (film-dienst Nr. 14/2001)<br />
spider man<br />
Sam Raimi gelang s<strong>ein</strong>e beste Comic-Adaption bereits<br />
1989. Auch wenn es <strong>zu</strong> s<strong>ein</strong>em Horror-Thriller<br />
„Darkman“ (fd 28 633) k<strong>ein</strong>e gezeichnete Vorlage gab,<br />
stellte die expressive Form des Films das perfekte<br />
Äquivalent <strong>zu</strong> <strong>ein</strong>em Comic-Strip dar. Insofern war<br />
Raimi die Idealbeset<strong>zu</strong>ng für den Regiestuhl bei dem<br />
ambitionierten „Spider-Man“-Projekt. Im Gegensatz<br />
<strong>zu</strong> vielen anderen Filmemachern der Gegenwart, die<br />
optischen Overkill als blossen Selbstzweck betreiben,<br />
hat Raimi s<strong>ein</strong>en Stilwillen stets in den Dienst der<br />
Geschichte gestellt. In Filmen wie „Aus Liebe <strong>zu</strong>m<br />
Spiel“ (fd 34 248) und „Ein <strong>ein</strong>facher Plan“ (fd 33<br />
550) hat er der Lust an der extravaganten Form sogar<br />
in solchem Masse entsagt, dass die effektive, aber<br />
unspektakuläre Inszenierung nicht auf Anhieb als s<strong>ein</strong><br />
Werk <strong>zu</strong> erkennen war. Wer nun erwartet hat, dass<br />
er „Spider-Man“ <strong>zu</strong>m Anlass nehmen würde, erneut<br />
<strong>ein</strong>en bunten Bilderrausch <strong>zu</strong> entfesseln, sieht sich<br />
enttäuscht. Denn der Akzent der Films liegt weniger<br />
auf den Schauwerten als auf dem Kern der Geschichte:<br />
dem Erwachsenwerden <strong>ein</strong>es jungen <strong>Held</strong>en.<br />
Peter Parker lebt seit dem Tod s<strong>ein</strong>er Eltern bei s<strong>ein</strong>em<br />
Onkel und s<strong>ein</strong>er Tante, die ihn liebevoll aufgezogen<br />
haben. Dennoch fristet er <strong>ein</strong> freudloses Das<strong>ein</strong> als<br />
wissbegieriger Aussenseiter an <strong>ein</strong>er New Yorker High<br />
School. Den <strong>ein</strong>zigen Lichtblick in s<strong>ein</strong>em grauen<br />
Alltag stellt die hübsche Mary Jane dar, die zwar im
<strong>Super</strong>! – <strong>Vom</strong> <strong>Fluch</strong> <strong>ein</strong> <strong>Held</strong> <strong>zu</strong> s<strong>ein</strong>… <strong>Reader</strong><br />
Nachbarhaus wohnt, aber für <strong>ein</strong>en unsch<strong>ein</strong>baren<br />
Jungen wie Peter unerreichbar sch<strong>ein</strong>t. Bis er <strong>ein</strong>es<br />
Tages bei <strong>ein</strong>em Schulausflug in <strong>ein</strong> Naturkunde-<br />
Museum von <strong>ein</strong>er genetisch veränderten Spinne<br />
gebissen wird. Über Nacht gehen deren Eigenschaften<br />
auf Peter über, der s<strong>ein</strong>e neu gewonnenen Fähigkeiten<br />
<strong>zu</strong>nächst <strong>zu</strong>r eigenen Belustigung und Bereicherung<br />
nutzt: Er erklimmt senkrechte Fassaden und schwingt<br />
sich an extrem belastungsfähigen Webfäden durch<br />
die Strassenschluchten der Stadt. Er nimmt sogar an<br />
<strong>ein</strong>em Wrestling-Match teil, um mit dem Preisgeld <strong>ein</strong><br />
Auto <strong>zu</strong> kaufen, das er als das sicherste Mittel ansieht,<br />
Mary Janes Herz <strong>zu</strong> erobern. Doch mit dem Tod s<strong>ein</strong>es<br />
Onkels kommt die Einsicht, dass dessen Mahnung<br />
„Grosse Macht bringt grosse Verantwortung mit sich!“<br />
prophetischen Charakter hatte. Peter akzeptiert s<strong>ein</strong>e<br />
Rolle als Spider-Man und nimmt den Kampf gegen das<br />
Böse in Gestalt des grünen Kobolds auf.<br />
„Spider-Man“ ist der erste Film in der Geschichte des<br />
Kinos, der an <strong>ein</strong>em <strong>ein</strong>zigen Wochenende in den USA<br />
über 100 Mio. Dollar <strong>ein</strong>spielte. Dieses sensationelle<br />
Ergebnis ist auf <strong>ein</strong>e Vielzahl von Faktoren<br />
<strong>zu</strong>rück<strong>zu</strong>führen: Der spektakuläre Trailer, die breite<br />
Distribution mit über 7.000 Kopien und die 50 Mio.<br />
Dollar teure Marketing-Kampagne haben ihren Teil<br />
da<strong>zu</strong> beigetragen. Doch darüber hinaus hat „Spider-<br />
Man“ dem US-Publikum gegeben, wonach es offenbar<br />
verlangte: die Reanimation <strong>ein</strong>es amerikanischen<br />
Prototypen. Spider-Man ist k<strong>ein</strong> <strong>Super</strong>held, der sich<br />
s<strong>ein</strong>er Überlegenheit sicher s<strong>ein</strong> kann. Er stammt<br />
nicht wie <strong>Super</strong>man von <strong>ein</strong>em anderen Planeten, ist<br />
auch k<strong>ein</strong> aristokratischer Edelmann wie Batman, der<br />
in der Fantasiestadt Gotham City den Kampf gegen<br />
das Böse als Freizeitsport betreibt. Peter Parker ist im<br />
Wesentlichen <strong>ein</strong> Alltagsmensch, der abrupt s<strong>ein</strong>em<br />
Alltag entrissen und im Hier und Jetzt vor Aufgaben<br />
ungeahnten Ausmasses gestellt wird. Dennoch bleibt<br />
er im Kern der jugendliche Underdog, der s<strong>ein</strong>en<br />
Platz in der Welt erst erkämpfen muss und mitunter<br />
auch Fehler macht, aus denen er allerdings <strong>zu</strong> lernen<br />
bereit ist. Dass er dabei stets den Glauben an die<br />
Formbarkeit des eigenen Schicksals bewahrt, macht<br />
ihn <strong>zu</strong>m essenziell amerikanischen <strong>Held</strong>en in der<br />
Tradition von Jay Gatsby und Rocky Balboa. Diese<br />
Affirmation des eigenen Nationalcharakters kam in<br />
den USA genau <strong>zu</strong>m richtigen Zeitpunkt: Nach der<br />
Tragödie von New York wollte Amerika daran erinnert<br />
werden, dass die Quintessenz der eigenen Geschichte<br />
nicht die Arroganz der <strong>Super</strong>macht ist, sondern<br />
das bedingungslose Vertrauen in die Macht des<br />
Individuums.<br />
Leider geht die Idee Spider-Man <strong>ein</strong> wenig in der<br />
konkreten Realität des Films verloren. Der dramatische<br />
Zusammenhang der eigentlichen Geschichte muss<br />
immer wieder hinter Konzessionen an die Erwartungen<br />
der Comic-Leser <strong>zu</strong>rückstehen: Die Seitenstränge<br />
um die Schizophrenie des grünen Kobolds und<br />
Parkers Nebenjob als Zeitungsfotograf reduzieren<br />
sich auf blosse Plot-Gimmicks, die vom Kern der<br />
Story ablenken. Dies gilt auch für die beiden grossen<br />
Actionsequenzen des Films, die zwar in <strong>ein</strong>em derart<br />
teuren Sommer-Blockbuster nicht fehlen dürfen,<br />
aber deutlich den Erzählfluss be<strong>ein</strong>trächtigen. Die<br />
Hoffnungen ruhen daher auf „Spider-Man 2“, der<br />
bereits für Sommer 2004 angekündigt ist. Vielleicht<br />
erhält Raimi dann die Chance, s<strong>ein</strong>e Vision des<br />
amerikanischsten aller Comic-<strong>Held</strong>en konsequenter<br />
um<strong>zu</strong>setzen.<br />
René Classen (film-dienst Nr. 12/2002)<br />
spider-man 2<br />
Als „Spider-Man“ (fd 35 439) in die Kinos kam,<br />
befanden sich die USA im Zustand des Schocks.<br />
Die Wunden, die der 11. September 2001 im<br />
amerikanischen Selbstverständnis hinterlassen<br />
hatte, waren noch frisch. Der Optimismus von Sam<br />
Raimis Comic- Adaption, s<strong>ein</strong> bedingungsloser Glaube<br />
an die Grundwerte der Nation, waren in dieser<br />
Situation hoch willkommen. Die Geschichte des<br />
Durchschnittsmenschen Peter Parker, der durch den<br />
Biss <strong>ein</strong>er Spinne paranormale Fähigkeiten entwickelt,<br />
die er <strong>zu</strong>m Wohle der Allgem<strong>ein</strong>heit benützt, setzte<br />
die Überzeugungen <strong>ein</strong>es Benjamin Franklin ins<br />
Recht: dass es jeder Mensch weit bringen kann,<br />
wenn er nur hart arbeitet und nie den Glauben an<br />
sich selbst verliert. Genau das passiert Peter Parker<br />
jedoch in der Fortset<strong>zu</strong>ng. Er hadert mit s<strong>ein</strong>em<br />
Schicksal und zweifelt, ob er weiterhin als Spider-Man<br />
die Welt retten will. Auf diese Weise spiegelt auch<br />
„Spider-Man 2“ die aktuelle Befindlichkeit in den<br />
USA. Der Krieg gegen den Terror hat s<strong>ein</strong>e moralische<br />
Rechtfertigung verloren, und die Lage im Irak droht<br />
<strong>zu</strong>m zweiten Vietnam <strong>zu</strong> eskalieren, weshalb sich die<br />
Amerikaner derzeit ebenfalls die Frage stellen, ob sie<br />
der ethischen Verpflichtung, die sowohl ihr kulturelles<br />
Erbe als auch ihre militärische Macht mit sich bringen,<br />
weiterhin gerecht werden wollen.<br />
Peter Parker empfindet s<strong>ein</strong>e <strong>Held</strong>enrolle <strong>zu</strong>nehmend<br />
als Last, die ihn daran hindert, s<strong>ein</strong> eigentliches<br />
Leben <strong>zu</strong> führen. S<strong>ein</strong>e permanenten Rettungstaten<br />
lassen ihm kaum Zeit für s<strong>ein</strong> Physik-Studium. Selbst<br />
s<strong>ein</strong>en Nebenjob als Pizza-Bote verliert er, da er<br />
regelmäßig <strong>zu</strong> spät ausliefert. Erst recht unerträglich<br />
ist es für Peter, dass er s<strong>ein</strong>er Jugendliebe Mary Jane<br />
nicht s<strong>ein</strong>e Gefühle offenbaren kann; <strong>zu</strong> groß ist
<strong>Super</strong>! – <strong>Vom</strong> <strong>Fluch</strong> <strong>ein</strong> <strong>Held</strong> <strong>zu</strong> s<strong>ein</strong>… <strong>Reader</strong><br />
s<strong>ein</strong>e Angst, dass sie an s<strong>ein</strong>er Seite ins Visier s<strong>ein</strong>er<br />
F<strong>ein</strong>de geraten könnte. Mary Jane hat unterdessen<br />
aufgehört, auf ihn <strong>zu</strong> warten, und sich <strong>ein</strong>em anderen<br />
Mann <strong>zu</strong>gewandt. Im Grunde hat Peter damit schon<br />
ausreichend Probleme; da es sich bei „Spider-Man 2“<br />
aber um <strong>ein</strong> Produkt für den US-Kino-Sommer handelt,<br />
bedarf es obendr<strong>ein</strong> <strong>ein</strong>es Erz-Schurken, der Anlass<br />
für diverse Actionszenen liefert: Doktor Octavius ist<br />
<strong>zu</strong> Beginn <strong>ein</strong> liebenswürdiger Wissenschaftler, der an<br />
<strong>ein</strong>er neuartigen Methode der Energieerzeugung durch<br />
Kernfusion arbeitet. Doch der erste Probelauf mit der<br />
neuen Technologie gerät außer Kontrolle und Octavius<br />
unter den Einfluss der mechanischen Arme, die er<br />
sich <strong>zu</strong>r Durchführung des Experiments umgeschnallt<br />
hatte, und deren künstliche Intelligenz nun Kontrolle<br />
über s<strong>ein</strong> Bewussts<strong>ein</strong> erlangen.<br />
Das entscheidende Duell ficht nicht Peter Parker gegen<br />
„Doc Ock“ aus, sondern das erwachsene Drama im<br />
Kern des Films gegen die unvermeidlichen Gimmicks<br />
<strong>ein</strong>er Comic-Adaption. Hatte im ersten Film der Comic<br />
noch knapp gesiegt, gelingt Raimi in „Spider-Man<br />
2“ das Kunststück, die seelischen Konflikte s<strong>ein</strong>es<br />
<strong>Held</strong>en konsequent in den Vordergrund <strong>zu</strong> stellen.<br />
Statt sich dem Diktat des digitalen Einheitskinos<br />
<strong>zu</strong> ergeben, verschreibt er sich noch radikaler der<br />
klassischen Kunst des Erzählens. Der Film hat kaum<br />
weniger CGI-Effekte als „Van Helsing“ (fd 36 487)<br />
oder „The Day After Tomorrow“ (fd 36 507), doch<br />
stehen die Artefakte aus dem Computer nicht im<br />
Zentrum der Aufmerksamkeit, sondern im Dienst der<br />
Story – und die dreht sich weniger um den Kampf<br />
des <strong>Held</strong>en gegen das Böse als um Spider-Mans<br />
Kampf für s<strong>ein</strong> wahres Ich, denn Peter Parker hat<br />
s<strong>ein</strong>en Platz in der Welt noch längst nicht gefunden.<br />
In <strong>ein</strong>er der Schlüsselszenen steht er vor s<strong>ein</strong>em<br />
offenen Kleiderschrank und sieht s<strong>ein</strong> <strong>Held</strong>enkostüm<br />
neben s<strong>ein</strong>em <strong>ein</strong>zigen Jackett hängen. Spider-Man<br />
und Peter Parker sind für ihn separate Identitäten,<br />
die er <strong>zu</strong>sammen mit der Garderobe wechselt;<br />
beide <strong>zu</strong> integrieren, ersch<strong>ein</strong>t ihm unmöglich.<br />
Doch s<strong>ein</strong>e geheime Existenz ist zermürbend, da<br />
sie ihm unermüdlichen Einsatz abverlangt, aber<br />
kaum Anerkennung <strong>ein</strong>bringt. Umso verlockender<br />
ersch<strong>ein</strong>t es ihm, sich als Peter Parker in den Alltag<br />
<strong>zu</strong>rück<strong>zu</strong>ziehen und endlich wieder Zeit <strong>zu</strong> haben,<br />
– für s<strong>ein</strong> Studium, s<strong>ein</strong>e Tante May und vor allem für<br />
Mary Jane, die s<strong>ein</strong>en permanenten Zeitmangel als<br />
Zurückweisung interpretiert. Peters Zweifel an s<strong>ein</strong>er<br />
Berufung werden schließlich so groß, dass er s<strong>ein</strong>e<br />
Fähigkeiten <strong>ein</strong>büßt und s<strong>ein</strong> Kostüm in die Mülltonne<br />
wirft. Erst als er bei <strong>ein</strong>em Versuch, Menschenleben<br />
<strong>zu</strong> retten, mangels s<strong>ein</strong>er Spinnenkräfte teilweise<br />
versagt, sieht er <strong>ein</strong>, dass Spider-Man <strong>ein</strong> Teil von<br />
ihm ist, den er weder leugnen kann noch darf. So ist<br />
es nur konsequent, dass während des Showdowns mit<br />
„Doc Ock“ s<strong>ein</strong> Kostüm <strong>zu</strong>nehmend in Fetzen geht, bis<br />
die Maske komplett fällt.<br />
Sam Raimi macht k<strong>ein</strong>en Hehl aus den tragischen<br />
Elementen, die „Spider-Man 2“ durchziehen,<br />
vermeidet aber Pathos und Verzagtheit, um die letzte<br />
Versuchung Peter Parkers mit Humor und Leichtigkeit<br />
<strong>zu</strong> inszenieren. Das Seelendrama des <strong>Super</strong>helden<br />
dient ihm nicht als Selbstzweck, sondern als Anlass,<br />
den ur-amerikanischen Glauben an das Individuum,<br />
s<strong>ein</strong>e Stärke und Integrität, <strong>zu</strong> zelebrieren. Vor diesem<br />
Hintergrund sind sowohl das mehrfach verwendete<br />
Motiv der Sonnen durchfluteten Straßenschluchten<br />
Manhattans als auch die omnipräsenten US-Flaggen<br />
in Tante Mays kl<strong>ein</strong>er Siedlung nicht als blinder<br />
Patriotismus <strong>zu</strong> verstehen. Sie sind vielmehr Embleme<br />
<strong>ein</strong>es nationalen Mythos, der für Raimi s<strong>ein</strong>e<br />
moralischen Implikationen noch nicht verloren hat.<br />
René Classen (film-dienst Nr. 14/2004)<br />
Tiger und dragon<br />
Längst gehört das chinesische Kung-Fu-Kino <strong>zu</strong><br />
<strong>ein</strong>er vergangenen Epoche. Als sich <strong>zu</strong> Beginn<br />
der 80er-Jahre in Hongkong die Tore des riesigen<br />
Studiogeländes der mächtigen Shaw Bros. schlossen,<br />
um alsbald kl<strong>ein</strong>en, unabhängigen Produzenten<br />
das Feld <strong>zu</strong> überlassen, da wiederholte sich, was<br />
in Hollywood zwei Jahrzehnte <strong>zu</strong>vor geschehen<br />
war: Mit dem Ende des Studiosystems ging<br />
<strong>ein</strong>e grundlegende Wandlung <strong>ein</strong>her, die <strong>ein</strong>er<br />
unverhofften künstlerischen Erneuerung gleichkam.<br />
Nichts war mehr wie vorher, und die klassischen<br />
Genres überlebten nur in Zitatform. Doch so, wie<br />
der Spätwestern s<strong>ein</strong>e klassischen Vorläufer noch<br />
<strong>ein</strong>mal in pathetische Höhen trieb, bemächtigten<br />
sich Martial-Arts-Zauberer wie King Hu und Tsui<br />
Hark ihres Lieblingsgenres und transformierten es<br />
<strong>zu</strong> nie gekannter Größe. „Ein Hauch von Zen“ (fd<br />
23 417) machte auch im Westen jedem klar, mit<br />
welcher Kunstform man es beim verm<strong>ein</strong>tlichen<br />
Kampfsportkino <strong>zu</strong> tun hatte. Jetzt ist auch dieser<br />
Genreableger wieder Geschichte, und mit dem Abstand<br />
<strong>ein</strong>er weiteren halben Generation erfährt nun auch<br />
das Kino King Hus s<strong>ein</strong> Revival aus zweiter Hand. Ang<br />
Lee (geb. 1954) nähert sich in „Tiger and Dragon“ den<br />
<strong>Held</strong>en s<strong>ein</strong>er Kindheit wie sich Sergio Leone <strong>ein</strong>st<br />
dem Western näherte: mit <strong>ein</strong>er Liebeserklärung, die<br />
das Objekt der Verehrung verschlingt und, gänzlich<br />
verwandelt, wieder <strong>zu</strong>m Vorsch<strong>ein</strong> bringt. Obwohl<br />
Lee s<strong>ein</strong>e ersten Filme in Taiwan drehte, lernte er
<strong>Super</strong>! – <strong>Vom</strong> <strong>Fluch</strong> <strong>ein</strong> <strong>Held</strong> <strong>zu</strong> s<strong>ein</strong>… <strong>Reader</strong><br />
s<strong>ein</strong> Handwerk in den USA. Hollywood hat längst<br />
das Faszinosum des Hongkonger Actionkinos für<br />
s<strong>ein</strong>e Zwecke adaptiert; nicht von ungefähr ist mit<br />
Martial-Arts-Regisseur Yuen Wo-ping, <strong>ein</strong>er der<br />
Hauptverantwortlichen des Kultfilms „Matrix“ (fd 33<br />
720), mit von der Partie, während das Drehbuch durch<br />
die Hände des Hollywood-Routiniers James Shamus<br />
ging. Das Ergebnis unterzieht s<strong>ein</strong>e Referenzen <strong>ein</strong>er<br />
so gründlichen Schönheitskur, dass es am Ende kaum<br />
mehr mit ihnen gem<strong>ein</strong> hat als Disneys „Mulan“ (fd<br />
33 412) mit chinesischem Kino. Aber wer wollte das<br />
ernstlich bedauern? Lees Film erinnert daran, was<br />
<strong>ein</strong>e chinesische Kochlehrerin <strong>ein</strong>mal sagte: dass man<br />
in China eben nie so gut essen könne wie in <strong>ein</strong>em<br />
deutschen China-Restaurant. Hier gäbe es nun <strong>ein</strong>mal<br />
die besseren Zutaten.<br />
Wer nie der Handlung chinesischer Actiondramen<br />
folgen konnte, braucht sich k<strong>ein</strong>e Sorgen mehr <strong>zu</strong><br />
machen: Das Drehbuch folgt der klaren Struktur<br />
des Hollywood-Kinos. Mui Bai, <strong>ein</strong> in die Jahre<br />
gekommener Wutan-Krieger, hat s<strong>ein</strong> Schwert in<br />
die Obhut s<strong>ein</strong>er unausgesprochenen Liebe Shu Lien<br />
gegeben, selbst <strong>ein</strong>e versierte Kämpferin. Streng<br />
bewacht, wird es dennoch gestohlen: Mit der Diebin<br />
Jen liefert sich Mui Bai <strong>ein</strong> grandioses Duell in<br />
den zarten Baumkronen <strong>ein</strong>es Bambuswaldes. Die<br />
ungestüme junge Kriegerin ist die Schülerin <strong>ein</strong>er<br />
Erzf<strong>ein</strong>din Mui Bais, doch mehr als alles andere steht<br />
sie für <strong>ein</strong>en von allen Traditionen befreiten modernen<br />
Lebensstil. Ihre Unabhängigkeit ist auch Shu Lien <strong>ein</strong><br />
Dorn im Auge, dennoch auch <strong>ein</strong>e Mahnung an die<br />
Freiheit, die sie sich selbst stets versagt hat. Noch<br />
da<strong>zu</strong> lässt Jen ihre Hochzeit platzen und flüchtet<br />
<strong>zu</strong> ihrem Geliebten in die Wüste. Aber kann sich<br />
<strong>ein</strong>e hoch begabte Kämpferin aller Verantwortung<br />
entziehen?<br />
Man muss schon <strong>ein</strong> hart gesottener Purist des alten<br />
Hongkong-Kinos s<strong>ein</strong>, um sich der Leichtigkeit, ja<br />
Zärtlichkeit dieser Annäherung <strong>zu</strong> verschließen. Der<br />
leise Kampf in den Baumwipfeln gehört schon jetzt<br />
<strong>zu</strong> den klassischen Augenblicken des Genres: Nicht<br />
anders als Gene Kelleys Tanz durch die Pfützen, Fred<br />
Astaires Aneignung der Zimmerdecke oder Mary<br />
Poppins’ Dachfirst-Eroberung träumt auch Ang Lee den<br />
schönsten aller Kinoträume - k<strong>ein</strong>e andere Kunst kann<br />
de Betrachter derart entfesseln und an die Freiheit<br />
des Traumtänzers glauben lassen. Ang Lee ist an die<br />
asiatischen Wurzeln <strong>zu</strong>rückgekehrt und beliefert die<br />
Filmkultur in den so genannten entwickelten Ländern<br />
mit „Frischem, Neuem und Aufregendem. In China<br />
haben wir <strong>zu</strong>m ersten Mal die Möglichkeit, Kunstfilme<br />
<strong>zu</strong> machen, und im Westen herrscht diese Neugier. Ich<br />
hoffe nur, dass dies k<strong>ein</strong>e flüchtige Mode ist“. Selbst<br />
wenn es nur <strong>ein</strong>e Mode wäre, so hätte sie nun ihren<br />
zeitlosen Klassiker hervorgebracht!<br />
Daniel Kothenschulte (film-dienst Nr. 1/2001)<br />
die unglaublicHen<br />
Für <strong>ein</strong>en Winter ohne 007 sind „The Incredibles“<br />
mehr als <strong>ein</strong> Trostpflästerchen. Damit ist schon fast<br />
alles über die Qualität aber auch über die Problematik<br />
des jüngsten Pixar-Streichs gesagt.<br />
Die Qualität fusst in erster Linie auf der Story – wie<br />
immer wenn John Lasseter am Werk ist.<br />
Die Ausgangslage ist diesmal schlicht hinreissend: Da<br />
werden alle <strong>Super</strong>helden aus dem Verkehr gezogen,<br />
weil sich die Menschen, denen sie immerhin das Leben<br />
gerettet haben, über die Wehwehchen beklagen,<br />
die sie in Folge lebensrettender Sofortmassnahmen<br />
erleiden. Und wer leidet, der befiehlt bekanntlich<br />
Schmerzensgeld, also werden für Schürfungen,<br />
Schleudertraumas und missratene Suizidversuche<br />
Klagen gegen die <strong>Super</strong>helden erhoben. Schliesslich<br />
wird es schlicht <strong>zu</strong> teuer, Menschen <strong>zu</strong> retten.<br />
<strong>Super</strong>helden werden <strong>zu</strong>m nicht mehr versicherbaren<br />
Risiko und müssen deshalb von der Bildfläche<br />
verschwinden.<br />
Bob Parr wird von diesem Bann besonders hart<br />
getroffen: Einst Mr. Incredible implodiert er nun in<br />
<strong>ein</strong> Grossraumbüro gequetscht vor sich hin. S<strong>ein</strong>e Frau<br />
Helen darf nicht mehr Elastigirl s<strong>ein</strong> und auch die<br />
superbegabte Jungmannschaft wird <strong>zu</strong>rechtgestutzt:<br />
K<strong>ein</strong>e Schutzfelder von Tochter Violet, k<strong>ein</strong>e rasenden<br />
Aktionen von Dashiell und ob Baby tatsächlich so<br />
ganz freiwillig nichts kann?<br />
Aus <strong>Super</strong>helden sind Normalos geworden und folglich<br />
geht Bob mit s<strong>ein</strong>em alten Kumpel Lucius Best,<br />
Frozone a. D., <strong>ein</strong>mal in der Woche <strong>zu</strong>m Bowling.<br />
Behaupten sie wenigstens – und sitzen dann im Auto<br />
in dunklen Gassen wehmütig den Polizeirundfunk<br />
abhörend. Dann und wann können sie nicht mehr an<br />
sich halten, ziehen den Wollstrumpf über den Kopf<br />
und greifen als Verbrecher für die gute Sache <strong>ein</strong><br />
wenig <strong>ein</strong>.<br />
Bis sich <strong>ein</strong>es Tages das FBI bei Bob meldet und<br />
ihn als Topagent in geheimer Mission anheuert, so<br />
geheim, dass nicht <strong>ein</strong>mal Elastigirl <strong>ein</strong>geweiht wird.<br />
Zu spät erst merkt Bob, dass ihm und allen anderen<br />
<strong>Super</strong>helden <strong>ein</strong>mal mehr übel mitgespielt wird, ja<br />
dass nun die endgültige Vernichtung droht. Ein Glück,<br />
wer in solchen Momenten auf <strong>ein</strong>e vielseitig begabte<br />
Familie zählen kann.<br />
„The Incredibles“ ist <strong>ein</strong> unglaublich rasanter<br />
Zeichentrickspass geworden, <strong>ein</strong>e der amüsantesten<br />
Bond-Parodien, die es je gab. So überbordend von
<strong>Super</strong>! – <strong>Vom</strong> <strong>Fluch</strong> <strong>ein</strong> <strong>Held</strong> <strong>zu</strong> s<strong>ein</strong>… <strong>Reader</strong><br />
Ideen, dass er auch etwas <strong>zu</strong> lang geraten ist. Nur,<br />
darüber mag man sich nicht beklagen.<br />
Problematischer ist ausgerechnet jene Entwicklung,<br />
die Pixar nach wie vor anführt: Die technische<br />
Vervollkommnung des digitalen Animationsfilms.<br />
Während sich „Spiderman 2“ durch s<strong>ein</strong>e digitalen<br />
Spezialeffekte faktisch als Animationsfilm entpuppt,<br />
wird man bei „The Incredibles“ unsicher, ob das<br />
noch Zeichentrick ist. Während „Spiderman 2“ sich<br />
ungeniert im Feld der Animation austobt und all jene<br />
unmöglichen Bewegung in Raum und Zeit ermöglicht,<br />
die bis anhin <strong>ein</strong>e Domäne des Zeichentricks waren,<br />
so tut „The Incredibles“ genau das Umgekehrte.<br />
Während sich im herkömmlichen Zeichentrickfilm die<br />
Action im Tableau abspielt und der Bildausschnitt<br />
relativ starr bleibt, wird hier gleichsam <strong>ein</strong>e „Kamera“<br />
animiert und auf atemberaubende Raumerkundungen<br />
geschickt. Zwar werden Set und Figuren nach wie vor<br />
stilisiert, aber an den klassischen Zeichentrickfilm<br />
erinnert eigentlich nur noch der Vorfilm. Wer immer<br />
schon behauptet hat, im Grunde sei James Bond <strong>ein</strong><br />
Comic-<strong>Held</strong>, der fühlt sich durch „The Incredibles“<br />
bestätigt – und damit wird auch deutlich, dass „The<br />
Incredibles“ mit s<strong>ein</strong>er Rasanz und Parodierlust nur<br />
bedingt <strong>ein</strong> Kinderfilm ist. Nicht dass er Kindern<br />
k<strong>ein</strong>en Spass bereiten oder gar schaden wird – aber<br />
<strong>ein</strong> wahrer Genuss dürfte er, wie schon „Shrek 2“, vor<br />
allem für Erwachsene s<strong>ein</strong>. Bei allem Vergnügen wird<br />
man allerdings dennoch von Nostalgie und Wehmut<br />
gestreift, weil man sich vor<strong>zu</strong>stellen beginnt, wie die<br />
technische Entwicklung Action- und Animationsfilm<br />
<strong>zu</strong>sammenführen und damit gleich zwei Genres <strong>zu</strong>m<br />
Verschwinden bringen könnte.<br />
Thomas Binotto (filmbulletin 8.04)<br />
Wer den Unterschied zwischen der europäischen<br />
und der amerikanischen Moderne verstehen will,<br />
braucht nur die Adaptionen des Nietzscheanischen<br />
Übermenschen <strong>zu</strong> vergleichen. Während in der alten<br />
Welt realitätsstiftende Ideologien der Unterwerfung<br />
daraus wurden, schlüpfte der amerikanische<br />
Übermensch ins Kostüm <strong>ein</strong>es fiktiven <strong>Super</strong>helden:<br />
der Comicfigur <strong>Super</strong>man. Aus s<strong>ein</strong>er Rippe entsprang<br />
<strong>ein</strong> Geschlecht, das als Apotheose des freundlichen<br />
Schutzmanns von nebenan gar nicht anders kann als<br />
Gutes tun. Danach dauerte es bald fünfzig Jahre, bis<br />
der Gedanke, dass all die „Captain Americas“ nicht<br />
nur des Menschen Helfer sind, sondern auch s<strong>ein</strong>e<br />
schlimmste Kränkung, ins Bewussts<strong>ein</strong> der Comicwelt<br />
<strong>ein</strong>ging: „Der Mensch ist etwas, das überwunden<br />
werden soll“, sprach Nietzsches Zarathustra, „was habt<br />
ihr getan, um ihn <strong>zu</strong> überwinden?“<br />
Zu Beginn von „Die Unglaublichen“ geschieht etwas<br />
wirklich ungeheuerliches: Die Menschen von New York<br />
werden ihrer Retter überdrüssig und zwingen sie ins<br />
Exil <strong>ein</strong>er normalen Existenz. Ähnliches passiert auch<br />
in den beiden „X-Men“-Filmen (fd 34 428; fd 35 940),<br />
in denen die <strong>Super</strong>kräfte <strong>ein</strong> gesellschaftliches Stigma<br />
sind. Doch „Die Unglaublichen“ ist <strong>ein</strong> Animationsfilm<br />
aus dem Hause Pixar und für <strong>ein</strong> kindliches Publikum<br />
gemacht. Tatsächlich ist das von Brad Bird inszenierte<br />
Epos <strong>ein</strong> Kompendium der jüngsten Welle von Comic-<br />
Verfilmungen, in dem die Ecken und Kanten der<br />
<strong>Super</strong>heldensagas sorgsam abgeschliffen wurden und<br />
doch genug Material für <strong>ein</strong>e reflexive Innenschau<br />
geblieben ist. Eine derart ins eigene Genre verguckte<br />
Kinderfabel hat man seit langer Zeit nicht mehr<br />
gesehen.<br />
Was geschieht nun mit <strong>ein</strong>em <strong>Super</strong>helden im<br />
unfreiwilligen Ruhestand? Er wird entweder fett und<br />
depressiv wie Bob Parr aka Mr. Incredible oder geht<br />
wie Mrs. Incredible ganz in ihrer neuen Rolle als<br />
Hausfrau und Mutter auf. Während Helen Parr ihr<br />
früheres Leben als beliebig dehnbares Elasti-Girl bei<br />
der Bändigung <strong>ein</strong>er gleichfalls mit <strong>Super</strong>talenten<br />
gesegneten Kinderschar immer noch von Nutzen ist,<br />
sind die kolossalen Kräfte des Hausherrn in <strong>ein</strong>em<br />
grauen Bürowürfel offenkundig verschwendet. Als<br />
<strong>ein</strong>zige Freude sind Bob die Treffen mit dem alten<br />
Kampfgefährten Frozone geblieben, bei denen die<br />
außer Gefecht gesetzten Streiter für Gerechtigkeit<br />
schwermütig den Polizeifunk abhören, um dann<br />
heimlich, still und leise <strong>ein</strong> oder zwei Menschenleben<br />
vor <strong>ein</strong>em traurigen Schicksal <strong>zu</strong> bewahren. Eine<br />
mysteriöse Botschaft lässt Mr. Incredible dann jedoch<br />
aus der Asche s<strong>ein</strong>es bürgerlichen Lebens steigen: Er<br />
wird <strong>zu</strong> <strong>ein</strong>em Spezialauftrag in die karibische See<br />
gerufen, besiegt <strong>ein</strong>en außer Kontrolle geratenen<br />
Kampfroboter – und ist damit schon in die Falle<br />
getappt. S<strong>ein</strong> anonymer Auftraggeber plant nämlich<br />
die Ermordung sämtlicher <strong>Super</strong>helden, um die<br />
Menschheit anschließend selbst vor s<strong>ein</strong>en eigenen<br />
Kreationen retten <strong>zu</strong> können.<br />
Mit „Die Unglaublichen“ hat Pixar <strong>zu</strong>m ersten Mal<br />
<strong>ein</strong>e Produktion herausgebracht, die nicht von Anfang<br />
an im eigenen Haus entwickelt wurde. Drehbuch<br />
und Regie stammen von Brad Bird, der sich s<strong>ein</strong>e<br />
Meriten bei der „Simpsons“-Serie erworben hat und<br />
für Warner Bros. den wundervollen Zeichentrickfilm<br />
„Der Gigant aus dem All“ (fd 34 011) insze-nierte.<br />
Offenbar war Bird schon lange mit s<strong>ein</strong>er Idee<br />
schwanger gegangen, bevor er in Pixar den passenden<br />
Partner fand: Regisseur und Studio stehen für <strong>ein</strong>e<br />
Form der Unterhaltung, die das kindliche Klientel<br />
bedient, ohne das erwachsene Publikum <strong>zu</strong> verprellen<br />
– und umgekehrt. Auch „Die Unglaublichen“ ver<strong>ein</strong>t<br />
über weite Strecken das beste aus den Kunstwelten
<strong>Super</strong>! – <strong>Vom</strong> <strong>Fluch</strong> <strong>ein</strong> <strong>Held</strong> <strong>zu</strong> s<strong>ein</strong>… <strong>Reader</strong><br />
von Real- und Animationsfilm. Handlung und Set-<br />
Design brauchen den Vergleich mit dem avancierten<br />
Actionkino nicht <strong>zu</strong> scheuen und haben an Rasanz<br />
und Einfallsreichtum die Nase vorn. So sticht die<br />
unterirdische Schurkenwelt die <strong>ein</strong>es jeden Bond-Films<br />
aus, und was die Langb<strong>ein</strong>igkeit weiblicher Figuren<br />
betrifft, haben die Animateure un<strong>ein</strong>holbare Maßstäbe<br />
gesetzt.<br />
Enttäuscht wird hingegen, wer sich nach der<br />
Exposition <strong>ein</strong>e <strong>ein</strong>gehende Erkundung des<br />
<strong>Super</strong>heldenphänomens erwartet hatte. Obwohl in<br />
„Die Unglaublichen“ beständig auf die Andersartigkeit<br />
der Parrs verwiesen wird, will Brad Bird partout k<strong>ein</strong><br />
Interesse an den Beweggründen der undankbaren<br />
New Yorker zeigen. Stattdessen menschelt es bei<br />
<strong>Super</strong>manns gehörig: Die Welt können sie nur<br />
gem<strong>ein</strong>sam retten, und so obsiegt, nachdem auch die<br />
Nachkommen ihr Scherfl<strong>ein</strong> <strong>zu</strong>m Gelingen beigetragen<br />
haben, vor allem der Familiensinn. Das ist nicht<br />
wenig, doch wäre die Botschaft überzeugender<br />
gewesen, wenn die gewöhnliche Menschheit mehr als<br />
nur staunendes Publikum gewesen wäre – und die Welt<br />
mehr als <strong>ein</strong> zerfurchtes Spielfeld für <strong>Super</strong>helden und<br />
<strong>Super</strong>schurken.<br />
Michael Kohler (film-dienst Nr. 25/2004)<br />
Wolken zieHen vorüber<br />
Wer sagts denn, er kann es doch noch. Nach zwei<br />
eher belanglosen Filmen um die Klamauktruppe<br />
Leningrad Cowboys hat Aki Kaurismäki nach 1992<br />
(„Das Leben der Boheme“, fd 29 437) endlich wieder<br />
<strong>ein</strong>en „richtigen“ Spielfilm realisiert. Und schon<br />
nach den ersten Bildern weiß man wieder, was s<strong>ein</strong>e<br />
früheren Filme so brillant und liebenswert machte.<br />
Die Geschichte von „Wolken ziehen vorüber“ - der<br />
Titel stammt aus <strong>ein</strong>em Schlager, der im Film von<br />
<strong>ein</strong>er Männer-Combo dargeboten wird - ließe sich<br />
in <strong>ein</strong>em Satz erzählen: Zwei Menschen verlieren<br />
ihre Jobs und versuchen, gem<strong>ein</strong>sam ihr Schicksal<br />
<strong>zu</strong> meistern. Etwas ausführlicher: Ilona arbeitet<br />
als Oberkellnerin im Restaurant „Dubrovnik“, das<br />
schon bessere Tage gesehen hat. Als die Besitzerin<br />
das Lokal schließlich verkaufen muß, wird Ilona<br />
entlassen. Ihr Mann Lauri ist seit kurzem ebenfalls<br />
ohne Arbeit. Der Straßenbahnfahrer wurde <strong>ein</strong><br />
Opfer der Rationalisierung bei den städtischen<br />
Verkehrsbetrieben. Und so bringen Ilona und Lauri<br />
ihre Tage mit Arbeitssuche <strong>zu</strong>: frustrierende Bittgänge,<br />
von denen sie abends erschöpft in ihre karge Wohnung<br />
<strong>zu</strong>rückkommen. Langsam, aber sicher geht ihnen das<br />
Geld aus. Zumal da auch noch die Ratenzahlungen<br />
fürs Mobiliar und den neuen Fernseher sind. Daß Lauri<br />
obendr<strong>ein</strong> <strong>zu</strong> stolz ist, Arbeitslosenunterstüt<strong>zu</strong>ng <strong>zu</strong><br />
beantragen, macht die Sache nicht besser. Dann trifft<br />
Ilona <strong>ein</strong>es Tages <strong>ein</strong>en früheren Arbeitskollegen, der<br />
ihr vorschlägt, doch selbst <strong>ein</strong> Restaurant <strong>zu</strong> eröffnen.<br />
Ja, warum eigentlich nicht? Wäre nur noch das kl<strong>ein</strong>e<br />
Problem, daß so .etwas ohne Eigenkaptial so <strong>ein</strong>e<br />
Sache ist.<br />
Viele Qualitäten, ;die Kaurismäki hier demonstriert,<br />
kennt man aus s<strong>ein</strong>en früheren Filmen: den<br />
Minimalismus, die knappen, lakonischen Dialoge<br />
- |diesmal dürften sie im Drehbuch auf drei DIN-A-<br />
4-Seiten gepaßt haben -, s<strong>ein</strong> untrügliches Gespür<br />
für Situationskomik der leisen Art und natürlich<br />
diese wunderbaren Schauspieler. Kari Väänänen war<br />
wie auch Kati Outinen schon in <strong>ein</strong>er ganzen Reihe<br />
von Filmen Kaurismäkis mit von der Partie. Kati<br />
Outinen lieferte vor allem als „Das Mädchen aus der<br />
Streichholzfabrik“ (fd 28 531) <strong>ein</strong>e schauspielerische<br />
Glanzleistung. Über diese Qualitäten hinaus ist es<br />
jedoch frappierend, mit welcher Souveränität und<br />
Leichtigkeit Kaurismäki inzwischen s<strong>ein</strong>e formalen<br />
Mittel handhabt. Wo er früher <strong>ein</strong>en inszenatorischen<br />
Gag noch mehrfach strapazierte, reicht ihm inzwischen<br />
der <strong>ein</strong>malige Einsatz. Als beispielsweise der<br />
cholerische Koch des „Dubrovnik“ wieder <strong>ein</strong>mal wild<br />
mit dem Messer fuchtelnd s<strong>ein</strong>e Mitarbeiter bedroht,<br />
verschwindet er, gefolgt von <strong>ein</strong>em Kellner, rechts aus<br />
dem Bild. Man hört Kampfgeräusche aus dem Off, und<br />
schließlich kommt der Kellner mit blutender Hand<br />
wieder ins Bild <strong>zu</strong>rück. Eine andere Szene:<br />
Während so ziemlich alle Figuren in banger Erwartung<br />
der Eröffnung von Ilonas neuem Restaurant<br />
entgegenfiebern, tauchen zwei Klempner auf, die nur<br />
schweigend tun, was Klempner nun <strong>ein</strong>mal tun, aber<br />
aussehen wie Pat und Patachon.<br />
Mit solchen Mitteln gelingt Kaurismäki <strong>ein</strong><br />
bewundernswerter Balanceakt zwischen<br />
herzzerreißendem Drama und Komödie, ohne das <strong>ein</strong>e<br />
durch das andere <strong>zu</strong> nivellieren. Da gibt es Szenen,<br />
die <strong>zu</strong>m Traurigsten seit Charlie Chaplins „Goldrausch“<br />
gehören. Viel <strong>zu</strong> lachen hatten die Figuren in<br />
Kaurismäkis Filmen ja noch nie, aber wenn hier der<br />
Hund von Ilona und Lauri schon nicht besonders<br />
glücklich dr<strong>ein</strong>schaut, ist er doch gegen Herrchen und<br />
Frauchen gerade<strong>zu</strong> <strong>ein</strong> Ausbund an Lebensfreude. In<br />
<strong>ein</strong>er anderen Sequenz begibt sich Ilona auf <strong>ein</strong> Job-<br />
Inserat hin <strong>zu</strong> der angegebenen Adresse. Doch sie ist<br />
<strong>zu</strong> früh, das Büro noch geschlossen. So setzt sie sich<br />
auf die Treppe und schläft <strong>ein</strong>. Als sie erwacht, sieht<br />
sie ihre Mitbewerber über sie hinwegsteigen. Der Job
<strong>Super</strong>! – <strong>Vom</strong> <strong>Fluch</strong> <strong>ein</strong> <strong>Held</strong> <strong>zu</strong> s<strong>ein</strong>… <strong>Reader</strong><br />
ist natürlich längst weg. Wie Kaurismäki und s<strong>ein</strong><br />
Kameramann Timo Salminen es fertigbringen, trotz<br />
extremer Stilisierung - jede Einstellung ist in ihrer<br />
detailbesessenen Ausstattung und ihren häßlichschönen<br />
Pastellfarben <strong>ein</strong> kl<strong>ein</strong>es Kunstwerk für sich<br />
- <strong>ein</strong>e Atmosphäre der Wärme und des Mitleidens<br />
her<strong>zu</strong>stellen und dabei nicht <strong>ein</strong>mal auch nur in die<br />
Nähe billiger Sentimentalität <strong>zu</strong> geraten, ist wahrlich<br />
meisterlich. So sitzt man gegen Ende des Films im<br />
Kino und hofft inständig, daß am Tag der Restaurant-<br />
Eröffnung, als die Angestellten mit traurigen Mienen<br />
im leeren Lokal sehnsüchtig auf die Eingangstür<br />
blicken, doch endlich <strong>ein</strong> hungriger Gast (oder besser<br />
noch: <strong>ein</strong> ganzer Reisebus) vorfahren möge. Aber <strong>zu</strong>m<br />
Glück ist Aki Kaurismäki k<strong>ein</strong> Unmensch.<br />
R<strong>ein</strong>hard Lüke (film-dienst Nr. 11/1996)<br />
X-Men 2<br />
Eine Gruppe Touristen besichtigt die Gemächer des<br />
US-Präsidenten im Weißen Haus. Vor <strong>ein</strong>er Büste des<br />
Sklavenbefreiers Lincoln bleibt die Führerin stehen<br />
und erinnert an die berühmten Sätze aus dessen<br />
Antrittsrede: „We are not enemies, but friends.“<br />
Damals gärte es bereits, kurz darauf begann der<br />
Bürgerkrieg. Präzise setzt Bryan Singer hier das erste<br />
Zeichen aus dem politischen Symbolarsenal, mit dem<br />
er gleich <strong>zu</strong> Beginn politisches Terrain markiert. Kurz<br />
darauf sieht man schwarze Wolken im Weißen Haus.<br />
Ein Dämon mit Teufelsfratze hat sich <strong>ein</strong>geschlichen,<br />
der nach s<strong>ein</strong>er Entdeckung nicht <strong>zu</strong> fassen ist.<br />
Zum musikalischen Prunk des „Dies Irae“-Chors aus<br />
Mozarts „Requiem“ wechselt er rasant s<strong>ein</strong>en Ort<br />
im Raum, wobei er das Tempo in unberechenbarem<br />
Wechselschritt forciert oder verlangsamt, bis er das<br />
Ziel s<strong>ein</strong>es Mordanschlags sch<strong>ein</strong>bar erreicht. Mit<br />
bislang ungesehenen Bildern für das Böse überrascht<br />
Singer in dieser Eröffnungssequenz, auch wenn<br />
sich der flinke Dämon bald als „Nightcrawler“ und<br />
damit als <strong>ein</strong>er von vielen „guten“ Mutanten dieses<br />
Fantasy-Abenteuers entpuppt. Wie schon <strong>zu</strong>m<br />
Auftakt von „X-Men“ (fd 34 428), als Singer nicht<br />
davor <strong>zu</strong>rückschreckte, <strong>ein</strong>en Unterhaltungsfilm in<br />
<strong>ein</strong>em deutschen KZ beginnen <strong>zu</strong> lassen, verblüfft<br />
er erneut. Nicht um Effekthascherei ist es ihm dabei<br />
<strong>zu</strong> tun; der Tag des Zorns gilt hier der wachsenden<br />
F<strong>ein</strong>dschaft zwischen Menschen und Mutanten, die die<br />
Ausgangssituation der Geschichte prägt.<br />
Unter den <strong>Super</strong>helden-Comics ist „X-Men“ aus<br />
dem Hause Marvel <strong>ein</strong>er der originellsten, was<br />
nicht all<strong>ein</strong> daran liegt, dass die <strong>Held</strong>en mit weit<br />
ungewöhnlicheren Fähigkeiten ausgestattet sind<br />
als die Kraftprotze <strong>Super</strong>man, Hulk oder Batman.<br />
„X-Men“ handelt vielmehr von Schwäche, weil<br />
jede Überlegenheit <strong>zu</strong>gleich neue Verletzlichkeit<br />
bedeutet. Die <strong>Held</strong>en bleiben human. Nicht weniger<br />
wichtig: Es sind ihrer viele. „X-Men“ entwirft <strong>ein</strong><br />
Universum der Pluralität und Unterschiedlichkeit,<br />
jede Figur ist unverwechselbares Individuum. Es gibt<br />
nicht den Einen, der alle anderen in den Schatten<br />
stellt. Singer hat dies in s<strong>ein</strong>em Ensemblefilm<br />
beibehalten und ihn mit halbwegs „gleichrangigen“<br />
Stars besetzt (was auch dem Marketing dient, da der<br />
Film Stars für jeden Geschmack sowie für jedes Alter<br />
und Geschlecht zeigt); die im Zentrum stehenden<br />
Wolverine und Rogue werden mit Hugh Jackman und<br />
Anna Paquin von Nachwuchsstars gespielt, während<br />
die bekannteren Halle Berry und Famke Janssen<br />
eher am Rand stehen. Die Gegenspieler „Professor<br />
X“ und „Magneto“ werden mit Patrick Stewart und<br />
Ian McKellen von zwei bedeutenden Theaterstars<br />
verkörpert – auch wenn diese sich weit weniger<br />
glanzvolle Rededuelle liefern als im ersten Teil. Die<br />
Handlung kreist um das Komplott des fanatischen<br />
Mutantenhassers Stryker, der an der Regierung<br />
vorbei <strong>ein</strong>en Überfall auf die Mutantenschule<br />
von Professor X plant und mit Hilfe von dessen<br />
telepathischer Maschine „Cerebro“ alle Mutanten<br />
umbringen will. Während dies <strong>ein</strong>ige der Mutanten<br />
verhindern wollen, verkompliziert sich die Lage, als<br />
Magneto, der Gegenspieler aus dem ersten Teil, aus<br />
dem Hochsicherheitstrakt ausbricht. Aufgrund s<strong>ein</strong>er<br />
Vergangenheit als KZ-Insasse <strong>ein</strong>e traumatisierte,<br />
von antisemitischen Klischees nicht freie Figur, sieht<br />
Magneto in den Mutanten <strong>ein</strong>e Art Übermenschen,<br />
<strong>ein</strong>e höhere Stufe der Evolution, die über das<br />
Schicksal der Welt bestimmen sollen.<br />
Das Sequel ist überzeugender als s<strong>ein</strong> Vorgänger und<br />
funktioniert tadellos als unterhaltsames Stück Kino.<br />
Computertricks und Animationen sind auf höchstem<br />
technischen Stand und werden so ökonomisch<br />
<strong>ein</strong>gesetzt, dass Figuren und Story nicht überwältigt<br />
werden. Die geradlinig erzählte Handlung mutet k<strong>ein</strong>e<br />
übermäßigen Sprünge oder Unwahrsch<strong>ein</strong>lichkeiten<br />
<strong>zu</strong>, sondern bleibt konzentriert, fast bescheiden. Im<br />
Pop-Gewand geht es allerdings in differenzierter Form<br />
durchaus um mehr: Auch die heldenhaften Mutanten<br />
sind k<strong>ein</strong>eswegs frei von Angst. So verkörpert<br />
die Figur der Rogue „nur“ <strong>ein</strong>e extreme Form von<br />
Pubertätskrise – das Fremdwerden des eigenen<br />
Körpers, die als Belastung empfundene Entdeckung<br />
der Sexualität, die <strong>Fluch</strong>t von Zuhause im ersten<br />
Teil, die sich nun im gestörten Elternverhältnis ihres<br />
potenziellen Geliebten Iceman spiegelt. Entgegen<br />
manch neuer These, nach der Familien wieder als
<strong>Super</strong>! – <strong>Vom</strong> <strong>Fluch</strong> <strong>ein</strong> <strong>Held</strong> <strong>zu</strong> s<strong>ein</strong>… <strong>Reader</strong><br />
Hort des Rück<strong>zu</strong>gs und der Freiheit gesehen werden,<br />
zeigt Singer sie als konformistische Sphäre, da<br />
Icemans Eltern mit der Besonderheit ihres Kindes<br />
nicht klar kommen. Auch sonst erlebt man zerrissene<br />
Charaktere: Professor X ist an den Rollstuhl gefesselt,<br />
die ehemalige Menschenrechtsaktivistin Jean Grey<br />
leidet unter ihren telepathischen Fähigkeiten,<br />
Wolverine wird von Gedächtnisverlust gequält,<br />
aber in Albträumen von s<strong>ein</strong>er schrecklichen<br />
Vergangenheit heimgesucht. Auch andere Figuren sind<br />
Prototypen postmoderner Individualität – geprägt<br />
von <strong>ein</strong>em melancholischen, schwachen Selbstbild,<br />
der Unsicherheit über die eigene Identität und<br />
Vergangenheit, der Last des Zuviel-Wissens, dem<br />
Verlust des Vertrauens in die Welt und der Idee<br />
verbindlicher Wahrheiten. Allenfalls sozialen Gruppen<br />
gilt k<strong>ein</strong>e Skepsis, wobei es sich dabei allenfalls um<br />
Patchwork-Familien handelt, <strong>ein</strong>e Gesellschaft der<br />
Individuen. Offenkundig spielt das Außenseitertum<br />
der Mutanten auf Formen des Anderss<strong>ein</strong>s in der<br />
Gegenwart an. Der Gegenspieler Stryker wird<br />
ebenfalls sozial und psychologisch, aber auch<br />
politisch charakterisiert: <strong>ein</strong> Militärwissenschaftler<br />
und Vietnam-Veteran, dem jede Gewalt recht ist<br />
– der Idealtyp der politisch Rechten, der überall<br />
„Krieg“ sieht und <strong>ein</strong>e Privatarmee kommandiert.<br />
So stehen die Toleranten gegen die Intoleranten,<br />
<strong>ein</strong>e positiv verstandene Heterogenität gegen den<br />
falschen Traum <strong>ein</strong>er homogenen Gem<strong>ein</strong>schaft ohne<br />
Unterschiede. Der Wunsch nach Dauer und Sicherheit<br />
wird als potenziell terroristisch gezeichnet, als<br />
Gefahr für alternative Lebensstile und die Freiheit der<br />
Andersdenkenden.<br />
Man kann den Film kaum ohne Bezüge <strong>zu</strong> aktuellen<br />
Gen- und Bioethik-Diskursen sehen; <strong>zu</strong> all dem hat<br />
„X-Men 2“ etwas <strong>zu</strong> sagen. Es handelt sich um <strong>ein</strong>e<br />
liberale Mythologie, die – getreu der Hegelschen<br />
Maxime, man müsse „die Ideen ästhetisch machen“<br />
– mit den Mitteln der Populärkultur <strong>ein</strong>e Geschichte<br />
über Toleranz und Fanatismus, den Umgang mit<br />
Außenseitern und der offenen Identität des<br />
modernen Menschen erzählt. Figuren wie Geschichte<br />
merkt man dabei ihre ursprüngliche Herkunft aus<br />
der Bürgerrechtsbewegung der 1960er-Jahre an;<br />
<strong>ein</strong>e optimistische Einschät<strong>zu</strong>ng von Wandel und<br />
Fortschritt <strong>zu</strong>m Besseren prägt alles. Es ist deshalb<br />
k<strong>ein</strong> Zufall, dass der finale paradiesische Ort der<br />
Geborgenheit <strong>ein</strong>e Schule ist und die Mutanten, wenn<br />
sie nicht gerade die Welt retten, als Lehrer arbeiten.<br />
Von der Esoterik anderer <strong>Super</strong>helden-Stories ist „X-<br />
Men 2“ weitgehend frei; letztlich ist es immer der<br />
Kopf, der entscheidet: der freie Wille des Einzelnen.<br />
Rüdiger Suchsland (film-dienst Nr. 9/2003)<br />
<strong>Held</strong>enHaFT genügT nicHT – super müssT iHr s<strong>ein</strong><br />
„Das aller merkwürdigste an ihr war, dass sie so stark<br />
war. Sie war so furchtbar stark, dass es auf der ganzen<br />
Welt k<strong>ein</strong>en Polizisten gab, der so stark war wie sie.<br />
Sie konnte <strong>ein</strong> ganzes Pferd hochheben, wenn sie<br />
wollte. Und das wollte sie.“<br />
Wer an <strong>Super</strong>helden denkt, der denkt <strong>zu</strong>nächst an<br />
<strong>Super</strong>man, Batman und Spider-Man, als Nostalgiker<br />
Umständen an Tarzan und James Bond, als<br />
Bildungsbürger vielleicht sogar an Herkules, Siegfried<br />
oder Artus – aber an Pippi Langstrumpf? Dabei treffen<br />
auf Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz<br />
Efraimstochter Langstrumpf zwei der wichtigsten<br />
<strong>Super</strong>helden-Merkmale <strong>zu</strong>: Übermenschliche Kräfte<br />
und abrundtiefe Einsamkeit. Pippis Abenteuer sind<br />
spektakuläre Späße, aber gleichzeitig von tiefer<br />
Melancholie und sogar Trauer durchzogen.<br />
Wer wünschte sich nicht, derart außergewöhnlich<br />
wie Pippi <strong>zu</strong> s<strong>ein</strong> – und wer fürchtete sich nicht<br />
vor dieser Einsamkeit? <strong>Super</strong>kräfte und Einsamkeit,<br />
sie werden von Astrid Lindgren nicht <strong>zu</strong>fällig<br />
neben<strong>ein</strong>ander gestellt. Wer sich von s<strong>ein</strong>er Umgebung<br />
durch außergewöhnliche Fähigkeiten abhebt, wird<br />
zwangsläufig <strong>zu</strong>m Außenseiter. Als äußeres Zeichen<br />
dafür gehört Elternlosigkeit <strong>zu</strong>r Biografie praktisch<br />
aller <strong>Super</strong>helden. Tarzan, <strong>Super</strong>man, Batman,<br />
Harry Potter – jeder von ihnen hat s<strong>ein</strong>e Eltern<br />
früh verloren. Ihr Waisentum steht für existentielle<br />
Einsamkeit und für den Zwang, sich nur auf sich selbst<br />
verlassen <strong>zu</strong> können.<br />
<strong>Vom</strong> <strong>Fluch</strong>, <strong>ein</strong> <strong>Held</strong> <strong>zu</strong> s<strong>ein</strong><br />
Als Spider-Man ist er <strong>ein</strong> <strong>Super</strong>held – als Peter Parker<br />
dagegen schüchtern, ungeschickt und unsch<strong>ein</strong>bar.<br />
Dennoch möchte er von Mary Jane gerade nicht als<br />
Spider-Man geliebt werden. Peter empfindet s<strong>ein</strong><br />
Spinnendas<strong>ein</strong> als Belastung, als <strong>Fluch</strong>, als <strong>ein</strong>e<br />
Deformation, was s<strong>ein</strong>e Mutation ja tatsächlich auch<br />
ist. S<strong>ein</strong> Doppelleben führt er letztlich nicht <strong>zu</strong>m<br />
Schutz des <strong>Super</strong>helden sondern <strong>zu</strong>m Schutz des<br />
Möchtegern-Normalbürgers. Wenn er sich Mary Jane<br />
offenbart, dann fällt paradoxerweise die Maske „Peter<br />
Parker“ und dahinter wird die <strong>ein</strong>same Seele Spider-<br />
0
<strong>Super</strong>! – <strong>Vom</strong> <strong>Fluch</strong> <strong>ein</strong> <strong>Held</strong> <strong>zu</strong> s<strong>ein</strong>… <strong>Reader</strong><br />
Man sichtbar.<br />
Stan Lee, der Schöpfer Spider-Mans und vieler anderer<br />
Marvel-<strong>Held</strong>en, ist von dieser Zwiespältigkeit der<br />
<strong>Super</strong>helden sichtlich fasziniert. Bei ihm geraten<br />
<strong>Held</strong>en und Schurken in <strong>ein</strong>e schicksalhafte<br />
Beziehung. Eigentlich sollten Norman Osborn und<br />
Otto Octavius genauso <strong>Held</strong>en s<strong>ein</strong> wie Peter Parker,<br />
aber durch <strong>ein</strong>en unkontrollierten Evolutionssprung<br />
wurden aus ihnen Monster: der Grüne Kobold und Doc<br />
Ock.<br />
In Stan Lees Universum ist die Zivilisationskritik<br />
letztlich stärker als jeder Fortschrittsoptimismus. Ob<br />
Spider-Man, Hulk oder Daredevil – alle verdanken sie<br />
ihre <strong>Super</strong>kräfte <strong>ein</strong>er Technik, die ausser Kontrolle<br />
gerät. Sie sind deshalb <strong>zu</strong>nächst und immer wieder<br />
Opfer. Von den Schurken trennt sie letztlich nur,<br />
dass sie auf den sterbenden Onkel Ben hören, der<br />
Peter Parker ermahnt: „Aus grosser Kraft, folgt grosse<br />
Verantwortung.“ Weil sie diesem Motto folgen, sind sie<br />
<strong>Held</strong>en – weil sie diesem Motto folgen, sind sie <strong>ein</strong>sam<br />
– und weil sie diesem Motto folgen, ist das Ertragen<br />
von Einsamkeit <strong>ein</strong> Kennzeichen ihres <strong>Held</strong>entums.<br />
Besonders schwer hat es Bruce Banner getroffen: S<strong>ein</strong>e<br />
Mutation ist Folge der wissenschaftlichen Versuche<br />
s<strong>ein</strong>es Vaters. Während Bruce normalerweise <strong>ein</strong><br />
ruhiger, ausgeglichener junger Mann ist, verwandelt er<br />
sich im Zorn in Hulk, das unkontrollierbare Monster.<br />
Für ihn sind s<strong>ein</strong>e <strong>Super</strong>kräfte definitiv <strong>ein</strong> <strong>Fluch</strong>, den<br />
er nicht abschütteln sondern bestenfalls bändigen<br />
und kanalisieren kann. Er ist der gute Geist der stets<br />
vern<strong>ein</strong>t, den vom Schurken <strong>ein</strong>zig unterscheidet, dass<br />
er s<strong>ein</strong>e Zerstörungswut für die gute Sache <strong>ein</strong>setzt.<br />
Hier ließe sich <strong>ein</strong>e reizvolle Seitenlinie in der<br />
<strong>Super</strong>helden-Genealogie auftun <strong>zu</strong> Li Mu Bai. Für den<br />
grossen Schwertkämpfer aus „Tiger & Dragon“ gilt<br />
Onkel Bens Weisheit genauso wie für s<strong>ein</strong>e westlichen<br />
<strong>Super</strong>helden-Kollegen. Genau wie diese, leidet er unter<br />
s<strong>ein</strong>er Gabe und s<strong>ein</strong>er Bestimmung, genau wie diese<br />
wird er in die Isolation gezwungen, genau wie diese<br />
kann er sich von männlichen Verhaltensmustern lösen<br />
– <strong>Super</strong>helden w<strong>ein</strong>en nicht.<br />
Dass zwei so grundverschiedene Filme wie „Hulk“ und<br />
„Tiger & Dragon“ von demselben Regisseur stammen<br />
sollen, das ist durch diese Folie betrachtet nicht mehr<br />
abwegig. „Hulk“ liest sich wie die rabiat-triviale US-<br />
Variation auf jenes Motiv, dem Ang Lee in „Tiger &<br />
Dragon“ bereits <strong>ein</strong>e poetisch-tänzerische Gestalt<br />
verliehen hat.<br />
Fliegen als Ur-Sehnsucht<br />
Derzeit vergeht kaum <strong>ein</strong> Monat ohne neue<br />
<strong>Super</strong>heldengeschichte im Kino. „Elektra“, „Batman<br />
Begins“ und „The Fantastic Four“ sind nur <strong>ein</strong> paar<br />
Beispiele aus dem laufenden Kinojahr.<br />
Oberflächlich betrachtet hegt das Kino seit jeher <strong>ein</strong>e<br />
tiefe Affinität <strong>zu</strong> <strong>Super</strong>helden. Sie sind gewissermaßen<br />
die Versuchkaninchen im Tricklabor. Das Kino kann<br />
und soll Illusionen vermitteln, wir erwarten gerade<strong>zu</strong>,<br />
dass physikalische Gesetze gebrochen und neu<br />
geschrieben werden. Das beginnt bereits im Zeitalter<br />
des Slapsticks, wo man über Felsklippen stürzen,<br />
aufstehen und munter weiter rennen kann. Lange vor<br />
den Marvel-<strong>Held</strong>en hat sich Harold Lloyd die Skyline<br />
Manhattans <strong>zu</strong>m Spielplatz gewählt.<br />
Besonders die Aufhebung der Schwerkraft übt auf<br />
uns <strong>ein</strong>e mythische Anziehungskraft aus. Und im<br />
Laufe der Jahrzehnte hat das Tricklabor immer<br />
raffiniertere Flugsimulatoren hervorgebracht. <strong>Vom</strong><br />
nervösen Zappeln bei George Méliès bis <strong>zu</strong> den<br />
<strong>Super</strong>man-Verfilmungen, die zwischen 1978 und<br />
1986 entstanden, ist viel passiert. Und doch segelt<br />
<strong>Super</strong>man heute wie <strong>ein</strong>e lahme Ente über die<br />
L<strong>ein</strong>wand. Jetzt ist es Spider-Man, der dank der<br />
Verschmel<strong>zu</strong>ng von Animations- und Realfilm die<br />
Illusion vom freien Flug vermittelt. Aber selbst wenn<br />
dies momentan das höchste der Gefühle s<strong>ein</strong> mag, ist<br />
voraus<strong>zu</strong>sehen, dass im Laufe der Jahre auch diese<br />
Bilder bleischwer werden, weil das Tricklabor uns<br />
ständig von neuem überrascht.<br />
So fremd der Körper<br />
Neben dem Spektakel an sich, durch das allerdings<br />
bereits die tiefer liegende Sehnsucht des Menschen<br />
nach Unsterblichkeit schimmert, neben ihrem<br />
Schauwert bieten sich <strong>Super</strong>helden auch als Alter-<br />
Ego für Pubertierende an. Das Erwachsen-werden<br />
empfinden Jugendliche körperlich als eigentliche<br />
Mutation. Der Körper verändert sich, verhält sich<br />
unerwartet, wird als fremd oder sogar abstoßend<br />
wahrgenommen. Erst allmählich gewinnt man die<br />
Kontrolle über ihn <strong>zu</strong>rück und muss sich wieder neu<br />
mit ihm anfreunden. Genauso geht es Spider-Man<br />
– und die X-Men lernen im Internat nichts anderes,<br />
als den eigenen Körper und s<strong>ein</strong>e neuen Fähigkeiten<br />
<strong>zu</strong> beherrschen und als Teil ihrer eigenen Identität <strong>zu</strong><br />
akzeptieren.<br />
Genauso werden <strong>Super</strong>helden in ihrer Einsamkeit <strong>zu</strong>r<br />
Projektionsfläche für Heranwachsende. Sie können so<br />
vieles – aber ihre Umwelt traut ihnen nichts <strong>zu</strong> oder<br />
missversteht sie. Sie fühlen sich deshalb abgelehnt<br />
und isoliert.<br />
Selbst die physischen und psychischen Schwankungen,<br />
wie sie Heranwachsende durchleiden, werden in <strong>ein</strong>em<br />
<strong>Held</strong>en wie Spider-Man gespiegelt. Das kann so weit<br />
gehen, dass er s<strong>ein</strong>er <strong>Super</strong>kräfte beraubt wird.<br />
Und schließlich stehen die <strong>Super</strong>helden in ihrem<br />
unbedingten Kampf für Gerechtigkeit und Wahrheit<br />
stellvertretend für jugendliche Aufbruchstimmung, für
<strong>Super</strong>! – <strong>Vom</strong> <strong>Fluch</strong> <strong>ein</strong> <strong>Held</strong> <strong>zu</strong> s<strong>ein</strong>… <strong>Reader</strong><br />
den unverbrauchten Glauben daran, dass dieser Planet<br />
<strong>ein</strong> besserer Planet s<strong>ein</strong> könnte.<br />
Achtung Glückszwang!<br />
Damit ließen sich <strong>Super</strong>helden als<br />
Identifikationsfiguren für Pubertierende kategorisieren<br />
und die entsprechenden Filme als Jugendfilme<br />
schubladisieren. Tatsächlich drücken sie aber indirekt<br />
<strong>ein</strong> gesamtgesellschaftliches Phänomen und Dilemma<br />
aus. Spider-Man, Daredevil und Batman sind Gehetzte<br />
der Leistungsgesellschaft – Schwäche verboten!<br />
Genau unter derselben Unerbittlichkeit leiden<br />
immer mehr Menschen an ihrem Arbeitsplatz. Eine<br />
Arbeit gut <strong>zu</strong> tun, bedeutet Stagnation; mit <strong>ein</strong>em<br />
Arbeitsplatz <strong>zu</strong>frieden <strong>zu</strong> s<strong>ein</strong>, heißt ohne Visionen<br />
dahin dümpeln; das Wort „genug“ sch<strong>ein</strong>t aus dem<br />
Sprachgebrauch der Erfolgreichen gestrichen, um<br />
es mit Michael Moore <strong>zu</strong> sagen. Überforderung wird<br />
institutionalisiert, das Doppelleben auch – selbst im<br />
Privaten. Glück ist, wenn der Sex immer besser wird,<br />
wenn die Beziehung dauernd unter Hochspannung<br />
steht, wenn mühelos zwischen perfekter Berufsfrau/<br />
mann und Familienfrau/mann hin und her teleportiert<br />
wird. Für all dies, ist man/frau selbst verantwortlich,<br />
k<strong>ein</strong> Gott und k<strong>ein</strong> Schicksal, das <strong>ein</strong>en entlastet.<br />
<strong>Super</strong>heldentum ist nicht nur <strong>ein</strong> unschuldiges<br />
Kinovergnügen, Eskapismus auf Zeit, sondern realer<br />
Anspruch an unseren Alltag geworden. Notfalls werden<br />
<strong>Super</strong>helden gemacht und Hoffnungsträger so weit<br />
das Auge reicht. Wie in „Chicken Run“ aus <strong>ein</strong>em<br />
eitlen Gockel <strong>ein</strong> Heilsbringer wird, das ist schreiend<br />
komisch und gleichzeitig haarscharf der Wirklichkeit<br />
nachempfunden. Vor diesem Hintergrund kann es<br />
dann auch nicht mehr überraschen, dass Mel Gibson<br />
– die Stimme des Gockels – s<strong>ein</strong>en Jesus offen als<br />
<strong>Super</strong>helden deklariert und auch so inszeniert. Wenn<br />
Christen rennen.<br />
Anti-<strong>Super</strong>helden<br />
Was bei Spider-Man hin und wieder durchschimmert,<br />
das kommt in den Filmen von Ken Loach, Aki<br />
Kaurismäki oder Andreas Dresen erst richtig <strong>zu</strong> s<strong>ein</strong>em<br />
Recht: Das Anti-<strong>Super</strong>heldentum. Auch hierfür gibt<br />
es <strong>ein</strong>e lange Kinotradition mit Namen wie Charles<br />
Chaplin, Vittorio de Sica oder Frank Capra. Sie sind<br />
und waren die Antwort auf die Leistungsgesellschaft,<br />
auf den Gesundheits- und Jugendlichkeitswahn, auf<br />
das, was man <strong>zu</strong>sammengefasst Glückszwang nennen<br />
muss. Joe ist Alkoholiker, Ilona und Lauri arbeitslos,<br />
Peschke läuft dem Erfolg hinterher. Auch sie könnten<br />
Slapstick-Figuren s<strong>ein</strong>, weil sie so oft umfallen<br />
und doch immer wieder aufstehen und sich nicht<br />
unterkriegen lassen. Vielleicht stammt von hier auch<br />
die unverwüstlich-leise Komik, die sie trotz allem<br />
ausstrahlen, das Lachen, <strong>zu</strong> dem sie uns entgegen<br />
unserer Erschütterung immer wieder zwingen. Nicht<br />
wenige unter ihnen sind geheime Verwandte Peter<br />
Parkers. Sie wollen k<strong>ein</strong>e <strong>Held</strong>en s<strong>ein</strong> und werden doch<br />
da<strong>zu</strong> gezwungen. Peschke in „Nachtestalten“ will dem<br />
Kind, das er auf dem Flughafen aufliest, gar nicht<br />
helfen – aber s<strong>ein</strong>er Bestimmung entgeht er nicht. In<br />
„König der Fischer“ unternimmt Jack alles, um <strong>ein</strong><br />
selbstmitleidiger Saftsack <strong>zu</strong> bleiben – und hangelt<br />
sich irgendwann dann doch <strong>zu</strong>m Heiligen Gral durch.<br />
Das Zauberwort für diese Art von <strong>Held</strong>entum heißt<br />
Solidarität, altmodisch auch Nächstenliebe genannt.<br />
„Aus vielfältiger Schwäche, wächst grosse Stärke,<br />
wenn sie treu <strong>zu</strong>sammenhält.“ würde Onkel Ben da<strong>zu</strong><br />
vielleicht sagen. Das haben sich die Versager in „The<br />
Full Monty“ und „Brassed Off“ genauso <strong>zu</strong> Herzen<br />
genommen wie die <strong>Super</strong>helden in „X-Men“.<br />
Zum Schluss noch dies: Wer an weiteren Enthüllungen<br />
über das geheime Doppelleben zwischen<br />
Jammergestalt des Alltags und Lichtfigur des<br />
Abenteuers interessiert ist, und wer das magische<br />
Dreieck „Männerphantasie – <strong>Super</strong>heldentum – Kino“<br />
knacken möchte, der sollte sich an Philippe de Brocas<br />
„Le magnifique“* mit Jean-Paul Belmondo halten.<br />
Kaum anderswo wird sich Mann derart entlarvt fühlen<br />
– ohne dass das dem Vergnügen abträglich wäre.<br />
Thomas Binotto (film-dienst 14/2005)<br />
*„Le magnifique“ ist auf <strong>ein</strong>er französichen DVD<br />
erhältlich – welche erfreulicherweise auch über die<br />
deutsche Sprachversion verfügt. (Studio Canal Video)<br />
die leersTelle<br />
aNmerkuNgeN Zur verfilmuNg<br />
voN „Der Herr Der riNge“<br />
Mit der Comicfigur „Tim“ <strong>ein</strong> Referat über den „Herrn<br />
der Ringe“ <strong>zu</strong> beginnen, mag auf den ersten Blick<br />
abwegig wirken. Aber wie kaum <strong>ein</strong>e andere Figur der<br />
Populärkultur verkörpert „Tim“ exemplarisch das, was<br />
unter „Leerstelle“ in diesem Zusammenhang – unter<br />
anderem – <strong>zu</strong> verstehen ist:<br />
Tim, der unerschrockene Reporter aus der Feder des<br />
Belgiers Hergé, sieht nicht nur wie <strong>ein</strong>e staunendfrohnaturige<br />
Null aus, er ist auch tatsächlich <strong>ein</strong><br />
Nichts: Tim altert nie, kennt weder Herkunft noch<br />
Zukunft, frönt k<strong>ein</strong>em Laster, nicht <strong>ein</strong>mal der Ehe,<br />
ist von Beruf Reporter, aber von <strong>ein</strong>er Redaktion,<br />
auf der er s<strong>ein</strong>e Beiträge abliefert, ist nie auch<br />
nur das geringste <strong>zu</strong> sehen. Außer <strong>ein</strong>em gewissen
<strong>Super</strong>! – <strong>Vom</strong> <strong>Fluch</strong> <strong>ein</strong> <strong>Held</strong> <strong>zu</strong> s<strong>ein</strong>… <strong>Reader</strong><br />
Maß an Gewitztheit ist er biederster Durchschnitt.<br />
Aber gerade dank dieser Farblosigkeit kann Tim als<br />
blanke L<strong>ein</strong>wand dienen, als r<strong>ein</strong>e Projektionsfläche<br />
– ausschließlich da<strong>zu</strong> da, Abenteuer <strong>zu</strong> erleben,<br />
mit Bedacht konturlos gezeichnet, damit sich jeder<br />
von uns in s<strong>ein</strong>e Haut versetzen und an s<strong>ein</strong>e Stelle<br />
treten kann.<br />
Das <strong>ein</strong>zige Außergewöhnliche an Tim ist s<strong>ein</strong>e<br />
Entourage: Ein fluchender und saufender Kapitän,<br />
<strong>ein</strong> vertrottelt-genialischer Erfinder, zwei unfähige<br />
Detektive, <strong>ein</strong>e kreischende Sängerin, sogar s<strong>ein</strong><br />
Hund Struppi ist abgründiger als Tim. Der rasende<br />
Reporter ist <strong>ein</strong>e Leerstelle, nur da<strong>zu</strong> da, uns den<br />
Platz für atemberaubende Abenteuer frei<strong>zu</strong>halten.<br />
Frodo Beutlin ist genau wie Tim <strong>ein</strong>e Leerstelle,<br />
sogar die alles entscheidende im „Herr der Ringe“:<br />
Frodo hat k<strong>ein</strong>en Beruf, Frauen spielen in s<strong>ein</strong>em<br />
Leben k<strong>ein</strong>e Rolle, von s<strong>ein</strong>em Vater heisst es, „<strong>ein</strong><br />
grundanständiger Hobbit war er, der Herr Drogo<br />
Beutlin; über den gab es nie viel <strong>zu</strong> reden.“ (Tolkien,<br />
38) 1 Nicht <strong>ein</strong>mal als Dichter wie s<strong>ein</strong> Onkel Bilbo tut<br />
sich Frodo hervor. „Er spürte nur selten <strong>ein</strong>en Drang,<br />
Lieder und Reime <strong>zu</strong> machen; und auch in Bruchtal<br />
hatte er nur <strong>zu</strong>gehört und nicht selber gesungen,<br />
obwohl er vieles auswendig kannte, das andere<br />
gedichtet hatten.“ (Tolkien, 386)<br />
Als Frodo knapp dem Tod entronnen in Bruchtal<br />
<strong>zu</strong>r Genesung liegt, m<strong>ein</strong>t er verwundert: „Es ist<br />
doch wunderbar, dass große Herren wie Elrond und<br />
Glorfindel, um von Streicher gar nicht <strong>zu</strong> reden,<br />
m<strong>ein</strong>etwegen solche Umstände machen und mich<br />
so freundlich aufnehmen.“ Worauf ihm Gandalf<br />
freundlich vor Augen führt, dass das Besondere an<br />
ihm all<strong>ein</strong> s<strong>ein</strong>e Funktion sei, nicht s<strong>ein</strong>e Person.<br />
Gandalf antwortet: „Na, dafür haben sie allerlei<br />
Gründe.“ […] „Ein guter Grund bin ich. Ein zweiter<br />
ist der Ring: du bist der Ringträger. Und du bist<br />
Bilbos, des Ringfinders, Erbe.“ (Tolkien, 248) Nicht<br />
Frodo ist außergewöhnlich, sondern s<strong>ein</strong> Auftrag, und<br />
nicht <strong>ein</strong>mal den hat er selbst gewählt, vielmehr hat<br />
dieser ihn erwählt.<br />
Auch Frodo wird damit <strong>zu</strong>r L<strong>ein</strong>wand, auf der sich das<br />
Drama abspielt. Dank dieser Leerstelle kann unser<br />
Ego erst richtig in das Epos <strong>ein</strong>tauchen und darin<br />
jenen Raum finden, den schließlich wir, nicht etwa<br />
der Autor, mit Fantasie ausfüllen.<br />
Und genau wie Tim ist auch Frodo von schillernden<br />
Figuren umgeben: Gandalf, Aragorn, Gimli, Legolas,<br />
Gollum, ja selbst Sam sind als Personen interessanter.<br />
Gerade deshalb war die Beset<strong>zu</strong>ng Frodos in Peter<br />
Jacksons Verfilmung von herausragender Bedeutung.<br />
Mit Elijah Wood hat er genau jenes Milchgesicht mit<br />
den großen, staunenden Augen gefunden, das uns<br />
auch im Film den Platz frei hält. Frodo darf sich unter<br />
k<strong>ein</strong>en Umständen in den Vordergrund spielen, weil<br />
sonst für uns Zuschauer in der Ringgem<strong>ein</strong>schaft k<strong>ein</strong><br />
Platz bliebe.<br />
Die Leerstelle spielt im „Herr der Ringe“ – und<br />
notabene in jedem gelungenen Fantasy-Roman<br />
– <strong>ein</strong>e entscheidende Rolle. Erst sie erlaubt es den<br />
Lesern, die eigene Fantasie in Gang <strong>zu</strong> setzen und<br />
aus<strong>zu</strong>schöpfen. Fantasie realisiert sich letztlich erst<br />
in unseren Köpfen – falls es der Fantasy gelingt, die<br />
nötigen Anreize dafür <strong>zu</strong> schaffen.<br />
Dialoge von shakespearscher Eleganz und<br />
Differenziertheit wird man dagegen vergeblich<br />
suchen, raffiniert gestaffelte Seelenlandschaften<br />
gehören nicht in die Fantasy-Literatur. Damit steht<br />
Tolkien, durchaus mit Absicht, ganz in der Tradition<br />
grosser Mythen- und Märchenerzählungen. Auch dort<br />
sind Dialoge und Psychologisierung Fremdkörper, und<br />
die Selbstinterpretation bedeutet den Tod jeglicher<br />
Poesie.<br />
Exakt an der Leerstelle scheitern aber die meisten<br />
Fantasy-Verfilmungen. Die Versuchung, genau das auf<br />
die L<strong>ein</strong>wand <strong>zu</strong> bringen, was im Roman dem Leser<br />
überlassen wird, ist in der Illusionsmaschine „Kino“<br />
groß. Wenn man ihr verfällt, geschieht zwangsläufig,<br />
was nicht geschehen darf, dass sich nämlich die<br />
Fantasie auf der L<strong>ein</strong>wand und nicht in unseren<br />
Köpfen breit macht.<br />
Ein Beispiel dafür sind die – durchaus<br />
unterhaltsamen – Harry Potter-Verfilmungen, wo<br />
jeder Quadratzentimeter L<strong>ein</strong>wand mit Fantasy<br />
<strong>zu</strong>gekleistert wird – so<strong>zu</strong>sagen <strong>ein</strong> gigantisches<br />
Panini-Klebealbum. 2<br />
Bereits die unzähligen Versuche, Tolkiens Epos<br />
mit unbewegten Bildern <strong>zu</strong> illustrieren, legen in<br />
erster Linie dafür Zeugnis ab, wie schnell man<br />
dabei in die Kitsch-Falle tappt. Ausgerechnet<br />
der Amateurmaler Tolkien hat die <strong>ein</strong>zigen<br />
überzeugenden Illustrationen <strong>zu</strong> s<strong>ein</strong>em eigenen<br />
Werk geschaffen. In ihrer Ungelenkheit und in ihrem<br />
Dilettantismus strahlen sie den Charme des Naiven<br />
aus und verweigern sich so jedem klebrigen Bombast.<br />
Vor allem aber versuchen sie gar nicht erst, die<br />
Fantasie in Bildern fest<strong>zu</strong>halten und ihr damit Zügel<br />
an<strong>zu</strong>legen. Sie respektieren – schon wieder – die<br />
Leerstelle.<br />
Peter Jackson ist es allen Fallstricken <strong>zu</strong>m Trotz<br />
gelungen, <strong>ein</strong>en opulenten, ausufernden und<br />
bildgewaltigen Fantasy-Film <strong>zu</strong> gestalten, der die<br />
Leerstellen dennoch nicht erschlägt sondern virtuos<br />
damit spielt. Und das betrifft längst nicht nur Frodo.<br />
Der Erfolg s<strong>ein</strong>er Verfilmung lässt leicht vergessen,<br />
dass Jackson damit <strong>ein</strong> gewaltiges Risiko
<strong>Super</strong>! – <strong>Vom</strong> <strong>Fluch</strong> <strong>ein</strong> <strong>Held</strong> <strong>zu</strong> s<strong>ein</strong>… <strong>Reader</strong><br />
<strong>ein</strong>gegangen ist, denn Literaturverfilmungen haben<br />
es grundsätzlich schwer. Entgegen der gängigen<br />
Vorstellung scheitern sie aber in den meisten<br />
Fällen am Publikum und nicht am Regisseur,<br />
weil die Zuschauer nicht bereit sind, ihre eigene<br />
Bildphantasie, die sie beim Lesen der Vorlage<br />
entwickelt haben, <strong>zu</strong> vergessen oder <strong>zu</strong>mindest<br />
relativieren <strong>zu</strong> lassen und sich den Visionen der<br />
Filmemacher verweigern. Je bekannter und je kultiger<br />
<strong>ein</strong>e Vorlage, desto schwieriger wird die Aufgabe<br />
– in dieser Beziehung stellt „Herr der Ringe“ <strong>ein</strong>e<br />
maximale Herausforderung dar.<br />
Dennoch hat es Jackson gewagt, s<strong>ein</strong>e Vision und<br />
nicht <strong>ein</strong>e <strong>zu</strong> Tode „gesneakte“ 3 Vision auf der Basis<br />
des durchschnittlichsten gem<strong>ein</strong>samen Nenners<br />
vor<strong>zu</strong>legen. Die Stärken von Jacksons visuellem<br />
Konzept liegen in s<strong>ein</strong>er Unbedingtheit und<br />
Konsequenz, in der ausserordentlich durchdachten<br />
Bildkadrierung beispielsweise. Nichts wirkt <strong>zu</strong>fällig<br />
oder beliebig. Wo er die Kamera hinstellt, wie er den<br />
Ausschnitt wählt – alles zeugt von <strong>ein</strong>er starken<br />
Vision und anders als in der Panini-Fantasy setzt er<br />
in s<strong>ein</strong>en Bilder ganz klare Zentren, er staffelt die<br />
Szenerie, fokussiert den Blick und führt damit die<br />
Zuschauer. Ebenso bewusst gestaltet Jackson den<br />
Rhythmus, <strong>zu</strong>nächst ebenfalls durch Bildausschnitte,<br />
durch den Wechsel von Totalen und Nahaufnahmen,<br />
dann aber auch durch langsame, fast schon<br />
meditative Szenen im Wechsel mit rasanten Action-<br />
Sequenzen. Für diese Rhythmuswechsel greift er auch<br />
beherzt in die Dramaturgie des Buches <strong>ein</strong> – <strong>zu</strong>m<br />
Vorteil des Films, dessen zweiter Teil ohne diese<br />
Rhythmisierung nicht erträglich wäre.<br />
Meisterhaft ist auch die Qualität der Tricktechnik.<br />
Während digital erzeugte Bilder und Figuren<br />
normalerweise <strong>ein</strong>en Eindruck von schwebender<br />
Körperlosigkeit vermitteln und gerade dadurch<br />
unwirklich ersch<strong>ein</strong>en 4 , erhalten sie in „Herr der<br />
Ringe“ Gewicht, Bodenhaftung und Wucht. Gollum<br />
ist die erste digital erzeugte Figur, die wirklich <strong>zu</strong>m<br />
Charakter wird und Empathie weckt.<br />
Dass die Filmtechnik selbst Leerstellen ermöglicht<br />
oder auch verhindert, darauf weist der Regisseur<br />
Tom Tykwer im Zusammenhang mit digitalen<br />
Aufnahmetechniken hin: „Ich bin überzeugt, dass<br />
die digitale Technik nie dieselbe Ausstrahlung haben<br />
wird wie der analoge Film. Im Film wird das Bild<br />
24 Mal pro Sekunde transportiert – dazwischen ist<br />
es schwarz. Ich glaube irgendwie fest daran, dass<br />
dieses Schwarz der <strong>Fluch</strong>tpunkt unserer Fantasie ist,<br />
wo wir uns aufhalten und selbst <strong>ein</strong> Teil des Films<br />
werden können. Das ist natürlich <strong>ein</strong>e theoretische<br />
Vorstellung, aber mir kommt es so vor, als wäre die<br />
Botschaft des digitalen Films: Du darfst <strong>zu</strong>sehen, aber<br />
du darfst nicht selbst <strong>ein</strong> Teil davon werden, weil für<br />
dich k<strong>ein</strong> Platz mehr frei ist.“ 5<br />
Obwohl durch die Fortschritte in der Tricktechnik<br />
die Verwirklichung von Jacksons-Visionen erst<br />
möglich wurde, sind die Ansprüche an den Umgang<br />
mit Leerstellen unabhängig davon die selben<br />
geblieben wie seit jeher: Filme sind gezwungen, mit<br />
Auslassungen <strong>zu</strong> arbeiten. Es bleibt ihnen schlicht<br />
nicht die Zeit für ausufernde Verästelungen und<br />
locker gestreuten Andeutungen – von beidem gibt<br />
es im „Herr der Ringe“ ja reichlich. Mit anderen<br />
Worten: Ein Film erreicht Verdichtung nur durch<br />
Auslassung. Er kürzt, fasst <strong>zu</strong>sammen, liebt aus purer<br />
Zeitökonomie das Pars pro Toto. Dass er dadurch<br />
nicht zwangsläufig löchriger wird, lässt sich sehr<br />
schön an der längeren DVD-Version des ersten Teils<br />
– „Die Gefährten“ – zeigen. Diese geizt zwar nicht<br />
mit schönen Bildern und mit hilfreichen Erklärungen,<br />
erreicht aber nie die Intensität der Kinoversion,<br />
und das eben genau deshalb, weil sie Leerstellen<br />
<strong>zu</strong> stopfen und die Auslassung didaktisch <strong>zu</strong><br />
überbrücken versucht. 6<br />
Schon Tolkien arbeitet virtuos mit Leerstellen, die<br />
immer das Gefühl vermitteln, hinter der effektiv<br />
erzählten Geschichte stecke noch viel mehr, all<br />
jene Details und Ereignisse, die nicht geschildert<br />
würden, seien unsichtbar präsent. Erst durch diese<br />
Auslassungen erhält der Stoff s<strong>ein</strong> Gewicht. Hübsches<br />
Beispiel dafür sind alle jene erfundenen Redensarten<br />
und Sprichwörter, die <strong>ein</strong>e jahrhundertelange<br />
Tradition suggerieren, von der wir im Grunde gar<br />
nichts erfahren.<br />
Jackson hat sich ebenso konsequent auf die<br />
Stimmung s<strong>ein</strong>es Films konzentriert, auf den<br />
Reichtum im nahe<strong>zu</strong> unsichtbaren Detail, die<br />
Raffinesse in der Kürzestszene. Mit Dialog und<br />
Handlung geht er oft sehr frei um, tut aber<br />
alles, um die Stimmung <strong>ein</strong>es gewaltigen Mythos<br />
auf<strong>zu</strong>bauen. Da<strong>zu</strong> trägt übrigens ganz wesentlich<br />
die Filmmusik von Howard Shore bei. Mit ihren<br />
Leitmotiven schafft sie in Sekundenbruchteilen<br />
<strong>ein</strong>en „Stimmungsteppich“. S<strong>ein</strong>e Musik würde<br />
in der Konzerthalle zwar bestimmt arg klischiert<br />
wirken, Wagner für die Massen gewissermaßen, aber<br />
gerade das Klischee verschafft uns Leerstellen, weil<br />
es die Vorstellungskraft nicht absorbiert und als<br />
blitzschnelle Orientierungshilfe funktioniert.<br />
Peter Jackson wird den ganzen „Herrn der Ringe“ in<br />
neun Stunden komprimieren. Das ist ohne massive<br />
Kür<strong>zu</strong>ngen nicht möglich. Gleichzeitig gibt es in<br />
Tolkiens Vorlage Szenen, die nur angedeutet werden<br />
und ohne <strong>ein</strong>e ausmalende Interpretation nicht<br />
auf die L<strong>ein</strong>wand übertragbar sind. Beispielsweise
<strong>Super</strong>! – <strong>Vom</strong> <strong>Fluch</strong> <strong>ein</strong> <strong>Held</strong> <strong>zu</strong> s<strong>ein</strong>… <strong>Reader</strong><br />
der Kampf zwischen Gandalf und Saruman: Dieser<br />
Zweikampf steht so nicht in der Vorlage. Gandalf<br />
berichtet im Rat von Elrond lapidar: „Sie ergriffen<br />
mich und brachten mich hoch auf die Zinne des<br />
Turms, dorthin, wo Saruman die Sterne <strong>zu</strong> betrachten<br />
pflegte.“ (Tolkien, 286) Jackson macht aus diesem<br />
Moment, in dem Gandalf den Verrat Sarumans<br />
entdeckt, bewusst <strong>ein</strong>e spektakuläre Action-<br />
Sequenz. Aber bezeichnenderweise auch noch mehr.<br />
Gleichzeitig dient die Szene nämlich da<strong>zu</strong>, uns<br />
klar<strong>zu</strong>machen, dass es sich hier um zwei mächtige<br />
Zauberer handelt, dass der alte Mann, der s<strong>ein</strong>en<br />
Spaß an kindischen Feuerwerken hat, auch gefährlich<br />
s<strong>ein</strong> kann, dass mit Zauberei nicht bloss <strong>ein</strong> paar<br />
gesunde Heilkräutersalben gem<strong>ein</strong>t sind. Und wenn<br />
Gandalf auf der Zinne Isengaards angekommen ist,<br />
kann Jackson <strong>zu</strong>dem nahtlos in die Demonstration<br />
dessen übergehen, was Saruman teuflisch plant.<br />
Ähnlich verdichtet Jackson auch die Beratung bei<br />
Elrond. Dass es <strong>zu</strong> <strong>ein</strong>em heftigen Streit kommt,<br />
wird bei Tolkien nicht explizit erwähnt. Und schon<br />
gar nicht schildert er, wie sich die Streitenden im<br />
Ring spiegeln. Auch dieses Bild hat Jackson für den<br />
Film erfunden – lieber möchte man allerdings sagen<br />
– gefunden. Und er erreicht damit, ohne dass er<br />
didaktisch belehrend oder ausufernd wird, dass die<br />
zerstörerische Macht des Ringes alles durchdringt – es<br />
wird klar, dass er es ist, der Zwietracht sät.<br />
Damit kommen wir <strong>zu</strong> jener Leerstelle, die zwischen<br />
jeder literarischen Vorlage und ihrer Verfilmung steht<br />
und absolut fundamental ist: Die Leerstelle zwischen<br />
Wort und Bild. Allen Versuchen der Linguistik und<br />
Philosophie <strong>zu</strong>m Trotz, kann jener Moment, in dem<br />
aus <strong>ein</strong>em Wort <strong>ein</strong> Bild wird, nie restlos erklärt<br />
werden, es bleibt immer <strong>ein</strong>e geheimnisvolle Lücke,<br />
<strong>ein</strong>e Leerstelle.<br />
Sie ist unter anderem dafür verantwortlich, dass wir<br />
uns so ausgiebig darüber streiten können, wie denn<br />
der „Herr der Ringe“ bebildert werden könnte. Die<br />
Nazgûl, die Ringgeister beispielsweise. Wie sollen<br />
sie aussehen? Jacksons „schwarzen Reiter“ sind<br />
körperlos und doch tonnenschwer – das Paradox <strong>ein</strong>es<br />
verkörperten Nichts. (Erreicht wurde dieser Eindruck<br />
durch <strong>ein</strong>en relativ simplen Theatertrick, indem die<br />
Darsteller der Reiter über hundert Kilogramm schwere<br />
Gewänder tragen mussten.) So überzeugend für den<br />
<strong>ein</strong>en diese Brücke vom Wort <strong>zu</strong>m Bild gebaut s<strong>ein</strong><br />
mag, dem anderen geht sie ins Leere und folglich<br />
lässt sich auch darüber stundenlang streiten. Sogar<br />
ob die Beschreibung der Film-Nazgûl nachvollzogen<br />
wird, bleibt ungewiss, denn vom Bild <strong>zu</strong>m Wort<br />
besteht selbstverständlich <strong>ein</strong>e ebenso hartnäckige<br />
Leerstelle.<br />
Und nicht <strong>zu</strong>letzt wegen s<strong>ein</strong>en vielen Leerstellen,<br />
die unzählige Fragen offen- und damit endlose<br />
Diskussionen <strong>zu</strong>lassen, ist „Der Herr der Ringe“ <strong>zu</strong>m<br />
Kultbuch geworden.<br />
Eine Reihe von Beispielen soll Jacksons kongeniale<br />
Überset<strong>zu</strong>ngsarbeit illustrieren:<br />
„Bilbo nahm den Umschlag aus der Tasche, aber<br />
gerade, als er ihn an die Uhr lehnen wollte, <strong>zu</strong>ckte<br />
s<strong>ein</strong>e Hand <strong>zu</strong>rück, und das Päckchen fiel <strong>zu</strong> Boden.<br />
Bevor er es aufheben konnte, hatte der Zauberer sich<br />
schon gebückt, es genommen und an s<strong>ein</strong>en Platz<br />
gelegt.“ (Tolkien, 52) steht bei Tolkien, als Bilbo<br />
sich vom Ring trennen soll. Jackson zeigt in <strong>ein</strong>er<br />
extrem kurzen Szene, die dennoch besser als jeder<br />
Dialog funktioniert, wie sehr der Ring <strong>ein</strong> Eigenleben<br />
führt: Er fällt <strong>zu</strong> Boden und bleibt ohne jede Rotation<br />
liegen. Etwas, was k<strong>ein</strong> normaler Ring tut.<br />
Oder Legolas als Bogenschütze. Viele Kinogänger<br />
haben über s<strong>ein</strong>e „völlig unrealistische<br />
Bogentechnik“ geschimpft (wobei natürlich Realistik<br />
als Massstab für <strong>ein</strong>en Fantasy-Film an sich <strong>ein</strong>e<br />
bizarre Forderung ist). Aber auch hier trifft Jackson<br />
genau das, was Tolkien nur in <strong>ein</strong>em Nebensatz<br />
andeutet. „…und schneller, als man sehen konnte,<br />
hatte er den Bogen gespannt und den Pfeil auf der<br />
Sehne.“ (Tolkien, 460)<br />
Im Elfenwald werden wir für <strong>ein</strong>en Moment von<br />
betörendem Schwindel erfasst, nur weil die Kamera<br />
sich abwärts bewegt, während die Gefährten <strong>ein</strong>e<br />
zauberhafte Wendeltreppe aufsteigen.<br />
Als Frodo die herannahende Gefahr durch <strong>ein</strong>en<br />
schwarzen Reiter spürt, dehnt sich der Waldweg in<br />
<strong>ein</strong>em halluzinatorischen Vertigo-Effekt 7 aus.<br />
Oder der Strudel, in dem Frodo jeweils versinkt,<br />
wenn er den Ring überstreift: Er ist derart suggestiv<br />
und furcht<strong>ein</strong>flößend, dass sich die Magie des Rings<br />
tatsächlich in den Zuschauerraum aus<strong>zu</strong>dehnen<br />
sch<strong>ein</strong>t.<br />
Im Grunde greift Jackson <strong>zu</strong> dem, was bereits<br />
Tolkiens Rezept war: Er lässt dem Eskapismus freien<br />
Lauf, versetzt die Zuschauer in <strong>ein</strong>en Rausch<strong>zu</strong>stand<br />
und zwingt sie gerade<strong>zu</strong>, s<strong>ein</strong>er urgewaltigen und<br />
stets vorantreibenden Geschichte <strong>zu</strong> folgen. „Herr<br />
der Ringe“ muss man – ob als Buch oder als Film<br />
– verschlingen und sich verschlingen lassen, anders<br />
funktioniert das Fantasy-Genre nicht.<br />
Dennoch lässt auch die Verfilmung jenen Freiraum<br />
– sprich, jene Leerstellen – <strong>zu</strong>, in denen sich die<br />
je eigene Fantasie entfalten kann. Das <strong>zu</strong> wagen<br />
ist riskanter als es beim fertigen Film ersch<strong>ein</strong>t,<br />
zeigt sich aber dennoch als <strong>ein</strong>zig gangbarer Weg.<br />
Immer dann, wenn Jackson s<strong>ein</strong>er Bildsprache<br />
nicht vertraut, wenn er geschwätzig wird, weicht<br />
er vom „rechten Pfad“ ab. Beispielsweise in den
<strong>Super</strong>! – <strong>Vom</strong> <strong>Fluch</strong> <strong>ein</strong> <strong>Held</strong> <strong>zu</strong> s<strong>ein</strong>… <strong>Reader</strong><br />
Liebesszenen zwischen Aragorn und Arwen, die in<br />
ihrer konventionellen Romantik abfallen – Romantic<br />
Hotels <strong>ein</strong>gerichtet von Laura Ashley.<br />
Auch für Jackson gilt also: „Herr der Ringe“ ist<br />
letztlich <strong>ein</strong> Stoff und k<strong>ein</strong> Drama. Darf er aber<br />
derart frei damit umgehen, sich den Stoff <strong>ein</strong>fach<br />
aneignen und eigenständig ausgestalten? Christopher<br />
Tolkien jedenfalls sch<strong>ein</strong>t darüber nicht gerade<br />
erfreut <strong>zu</strong> s<strong>ein</strong>, und es ist an<strong>zu</strong>nehmen, dass auch<br />
J. R. R. Tolkien selbst „nicht amüsiert“ wäre. Oft<br />
genug hat er betont, dass er <strong>ein</strong>e Verfilmung des<br />
Buches für unmöglich halte, und hat damit selbst am<br />
Mythos der Unverfilmbarkeit mitgebastelt. Dennoch<br />
hat ausgerechnet Tolkien selbst Jackson das beste<br />
Argument geliefert, denn auch der Künstler kann als<br />
Leerstelle gesehen werden. Immer wieder hat Tolkien<br />
erzählt, wie ihn der Satz „In <strong>ein</strong>er Höhle in der Erde,<br />
da lebte <strong>ein</strong> Hobbit“ förmlich angesprungen habe<br />
– was soviel bedeutet wie: In <strong>ein</strong>er Leerstelle hockte<br />
<strong>ein</strong> Mythos, der nur darauf wartete uns <strong>zu</strong> überfallen.<br />
Ein Bild, das Jackson übrigens aufnimmt, wenn er<br />
s<strong>ein</strong>en Film mit <strong>ein</strong>er schwarzen L<strong>ein</strong>wand beginnen<br />
lässt und <strong>ein</strong>e Erzählstimme aus dem Off aus den<br />
Anfängen des Mythos <strong>zu</strong> berichten beginnt.<br />
Auch in s<strong>ein</strong>er Einführung <strong>zu</strong>m „Herrn der Ringe“<br />
erweckt Tolkien gezielt den Eindruck, dieser Mythos<br />
sei nicht s<strong>ein</strong>e Erfindung gewesen, sondern habe<br />
schon existiert, bevor er ihn entdeckt habe. Tolkien<br />
war gewissermassen nur das Gefäss, in dem sich<br />
die Geschichte sammeln konnte – der Künstler als<br />
Leerstelle.<br />
Dass der „Herr der Ringe“ nicht erfunden, sondern<br />
entdeckt wurde, macht <strong>ein</strong>en wesentlichen Reiz des<br />
Buches aus, es ist aber auch <strong>ein</strong> Indiz dafür, dass<br />
dieser Stoff nicht Tolkien gehört. „Als die Geschichte<br />
wuchs, schlug sie Wurzeln (in die Vergangenheit)<br />
und verzweigte sich in unerwartete Richtungen…“<br />
schreibt Tolkien – und irgendwann erreichte das<br />
Geäst Peter Jackson, <strong>ein</strong>e Art neuseeländischen<br />
Hobbit, der sich des Stoffs bemächtigt und ihn als<br />
eigenständiger und im wahren Sinne visionärer<br />
Künstler visualisiert hat. So bahnbrechend für das<br />
Fantasy-Genre s<strong>ein</strong>e Verfilmung aber auch s<strong>ein</strong> mag,<br />
damit ist der Stoff noch lange nicht in s<strong>ein</strong>en Besitz<br />
übergegangen – nicht <strong>ein</strong>mal die Verfilmung und<br />
ihre Interpretation gehört mehr Jackson all<strong>ein</strong>. Ob<br />
ihm unser Stochern in den Leerstellen genehm ist<br />
oder nicht, es kümmert uns wenig, denn dieser Stoff<br />
gehört uns allen…<br />
Thomas Binotto (Inklings – Jahrbuch für Literatur und<br />
Ästhetik 2003 (S. 164-173)<br />
1 Da der Autor sich dem Thema als Filmpublizist und nicht<br />
als Literaturwissenschaftler nähert, erlaubt er sich, die<br />
Passagen aus „The Lord of the Rings“ in der hier<strong>zu</strong>lande<br />
gängigen deutschen Überset<strong>zu</strong>ng <strong>zu</strong> zitieren.<br />
Tolkien, John R. R. Der Herr der Ringe. Stuttgart: Klett<br />
Cotta, 2000. (Überset<strong>zu</strong>ng: Wolfgang Krege)<br />
2 Die italienische Firma „Panini SpA“ produziert<br />
Sammelalben, die sich besonders vor jeder Fußball-WM<br />
oder EM großer Beliebtheit erfreuen. Ziel der Sammler<br />
ist es, sämtliche Lücken im Album mit hunderten von<br />
Klebebildchen <strong>zu</strong> füllen.<br />
3 Sneak-Preview nennt man die Testvorführungen<br />
<strong>ein</strong>es Filmes vor <strong>ein</strong>em Publikum, das über k<strong>ein</strong>e<br />
Vorinformationen verfügt und anschließend an die<br />
Vorführung auf Auswertungskarten s<strong>ein</strong>e M<strong>ein</strong>ung festhält.<br />
Anhand solcher Testvorführungen wird <strong>ein</strong> Film in der<br />
Postproduktion optimiert, um schließlich s<strong>ein</strong> Zielpublikum<br />
optimal <strong>zu</strong> erreichen.<br />
4 Beispielsweise in den Star Wars-Folgen „Episode 1: The<br />
Phantom Menace“ und „Episode 2: Attack of the Clones“.<br />
5 Unveröffentlichte Passage aus dem Gespräch zwischen Tom<br />
Tykwer und Michael Ballhaus, welches unter dem Titel „Das<br />
fliegende Auge – Michael Ballhaus, Director of Photography“<br />
erschienen ist. Berlin, Berlin-Verlag 2002.<br />
6 Ein Meister der Leerstelle war Alfred Hitchcock, der<br />
dafür sogar <strong>ein</strong>en eigentlichen Fachbegriff prägte, den<br />
„MacGuffin“. Der MacGuffin ist der Grund, der die Handlung<br />
in Gang setzt, der aber letztlich völlig unerheblich ist, <strong>ein</strong><br />
r<strong>ein</strong>er Vorwand ohne tiefere Bedeutung. Im Spionagefilm<br />
beispielsweise ist der MacGuffin normalerweise <strong>ein</strong>e<br />
Erfindung, die ihrem Besitzer ungeheure Macht verspricht<br />
und deshalb von aller Welt gejagt wird. Hitchcock vertrat<br />
die Theorie – die er in s<strong>ein</strong>en Filmen höchst überzeugend<br />
umsetzte – dass der MacGuffin möglichst wenig Raum<br />
<strong>ein</strong>nehmen sollte. Je gewichtiger er sei, desto schwerfälliger<br />
werde die Handlung. S<strong>ein</strong>en schlankesten MacGuffin erfand<br />
Hitchcock für „North by Northwest“ (Der unsichtbare<br />
Dritte), wo Cary Grant auf die Frage, was eigentlich der<br />
Grund dafür sei, dass er quer durch den amerikanischen<br />
Kontinent gejagt werde, die lapidare Antwort erhielt:<br />
„Sagen wir, es geht um Import/Export.“ Im legendären<br />
Gespräch mit François Truffaut erzählt Hitchcock: „Woher<br />
der Begriff des MacGuffin kommt? Der Name erinnert an<br />
Schottland, und da kann man sich folgende Unterhaltung<br />
zwischen zwei Männern in der Eisenbahn vorstellen. Der<br />
<strong>ein</strong>e sagt <strong>zu</strong>m anderen: ‚Was ist das für <strong>ein</strong> Paket, das Sie<br />
da ins Gepäcknetz gelegt haben?’ Der andere: ‚Ach, das, das<br />
ist <strong>ein</strong> MacGuffin.’ Darauf der erste: ‚Und was ist das, <strong>ein</strong><br />
MacGuffin?’ Der andere: ‚Oh, das ist <strong>ein</strong> Apparat, um in den<br />
Bergen von Adirondak Löwen <strong>zu</strong> fangen.’ Der erste: ‚Aber es<br />
gibt doch überhaupt k<strong>ein</strong>e Löwen in den Adirondaks.’ Darauf<br />
der andere: ‚Ach, na dann ist es auch k<strong>ein</strong> MacGuffin.’<br />
Diese Geschichte zeigt Ihnen die Lerre, die Nichtigkeit<br />
des MacGuffin.“ – Bemerkung am Rande: Wenngleich für<br />
unzählige „Herr der Ringe“-Fans <strong>ein</strong> Sakrileg, so wäre es<br />
zweifellos dennoch <strong>ein</strong>en Versuch wert, den Ring, um den<br />
sich alles dreht, als MacGuffin <strong>zu</strong> interpretieren. (Zitiert<br />
nach: Truffaut, François: Mr. Hitchcock, wie haben Sie das
<strong>Super</strong>! – <strong>Vom</strong> <strong>Fluch</strong> <strong>ein</strong> <strong>Held</strong> <strong>zu</strong> s<strong>ein</strong>… <strong>Reader</strong><br />
gemacht? München: Heyne, 1984. Seite 125f)<br />
7 Der Vertigo-Effekt wird dadurch bewirkt, dass die<br />
Kamera gleichzeitig <strong>zu</strong>rückfährt und heranzoomt. Der<br />
Bildausschnitt bleibt derselbe, wird aber verdichtet und übt<br />
deshalb <strong>ein</strong>e eigenartige Sogwirkung aus. Benannt nach<br />
„Vertigo“, wo der Effekt von Alfred Hitchcock erstmals<br />
<strong>ein</strong>gesetzt wurde.<br />
grössTenTeils ToT, isT scHon FasT lebendig<br />
James Bond, der Übervater aller Action-<br />
<strong>Held</strong>en, übersteht jede auch noch so<br />
lebensbedrohende Situation – meist ohne<br />
die geringste Schramme. Aus diesem<br />
unverwüstlichen Stoff sind die <strong>Held</strong>en des<br />
Action-Kinos gemacht – die nimmermüden<br />
Stehaufmännchen unserer Tage.<br />
„Opa, Opa, Moment, warte! Was hat Fezzik gem<strong>ein</strong>t<br />
mit ‚er ist tot‘. Ich m<strong>ein</strong>e, er hat doch nicht gem<strong>ein</strong>t<br />
‚tot‘. Westley tut doch nur so, oder?“<br />
Die Ungläubigkeit des Enkels in „The Princess<br />
Bride“ (1987) ist nicht nur jene des naiven Kindes.<br />
Dass der grosse <strong>Held</strong> Westley nach all den bereits<br />
überstandenen Gefahren schliesslich doch vom<br />
F<strong>ein</strong>d getötet wird, dass wollen auch wir erwachsene<br />
Zuschauer nicht glauben.<br />
Was Autor William Goldmann und Regisseur Rob<br />
R<strong>ein</strong>er in ihrer hinreissenden Märchenparodie<br />
satirisch überspitzt formulieren, ist <strong>ein</strong> Hauptmotiv<br />
jahrhundertealter Erzähltradition: Je grösser der <strong>Held</strong>,<br />
desto unsterblicher.<br />
Das gilt für die griechische und römische Mythologie<br />
genauso, wie für die mittelalterlichen <strong>Held</strong>enepen und<br />
Heiligenlegenden und die gesamte Märchenliteratur.<br />
In der Tafelrunde von König Artus, um <strong>ein</strong><br />
wirkungsmächtiges Beispiel <strong>zu</strong> nennen, ist das<br />
Streben nach Unsterblichkeit <strong>ein</strong> zentrales Thema.<br />
Und Parzival, Mitglied eben dieser Tafelrunde, ist<br />
die vielleicht vollkommenste Verkörperung des<br />
strahlenden <strong>Held</strong>en. S<strong>ein</strong> Lebensweg führt ihn, allen<br />
Umwegen <strong>zu</strong>m Trotz, schliesslich <strong>zu</strong>m Heiligen Gral<br />
– für Unsterblichkeit das Symbol schlechthin. S<strong>ein</strong>e<br />
„aventüre“ ist damit mehr als blosses Abenteuer,<br />
ist Zeichen für die fundamentale Suche nach dem<br />
Lebenssinn. Ein Weg, der immer wieder von Wundern<br />
bestimmt wird und an dessen Ende das Urwunder<br />
schlechthin, das ewige Leben, steht.<br />
Auferweckungswunder sind in mittelalterlichen<br />
Erzählungen immer auch <strong>ein</strong> Zeichen für<br />
<strong>Held</strong>entum und Auserwähltheit. Das gilt für<br />
den Gralskönig Amfortas, der dank Parzival von<br />
s<strong>ein</strong>en unterträglichen Qualen erlöst wird, für die<br />
Siebenschläfer, die der Legende nach aus <strong>ein</strong>em fast<br />
zweihundertjährigen Schlaf unversehrt erwachen,<br />
aber auch für Felix und Regula, die nach ihrer<br />
Enthauptung mit dem Kopf unter dem Arm noch<br />
<strong>ein</strong>ige hundert Meter weit gehen.<br />
Das Wunder der Unsterblichkeit findet sich aber<br />
nicht nur in alten Legenden und Sagen – wo es ja<br />
niemanden überrascht – es gehört ebenso <strong>zu</strong>m festen<br />
Repertoire der <strong>Held</strong>enverehrung im Action-Kino.<br />
Wenn schon vom Gral die Rede war, dann fällt<br />
naheliegenderweise das dritte Indiana-Jones<br />
Abenteuer, „Indiana Jones and the Last Crusade“<br />
(1988), <strong>ein</strong>. Dort stehen die Abenteuerer am Ende<br />
ihrer Jagd dem letzten Gralsritter gegenüber, und<br />
dieser hat wunderbarerweise mehrer Jahrhunderte<br />
überlebt.<br />
Aber auch in jüngster Vergangenheit geschehen<br />
in mittelalterlich angehauchten Abenteuerfilmen<br />
Erweckungswunder.<br />
Überdeutlich ist dies in „Dragonheart“ (1996), <strong>ein</strong>em<br />
sonst belanglosen Fantasy-Spektakel, der Fall: der<br />
tödlich verwundete Prinz wird dank dem halben<br />
Herzen <strong>ein</strong>es Drachens gerettet. Eine Szene, die<br />
sich in der Bildgestaltung offensichtlich an alten<br />
Pietà-Darstellungen orientiert. Als sich der Prinz im<br />
Verlaufe der Erzählung dann doch als übler Bursche<br />
entpuppt, kommt das finale Auferstehungswunder<br />
dem eigentlichen <strong>Held</strong>en der Geschichte, <strong>ein</strong>em<br />
Drachen, <strong>zu</strong>. Er opfert s<strong>ein</strong> irdisches Leben und erhält<br />
dafür im Gegen<strong>zu</strong>g Unsterblichkeit.<br />
In <strong>ein</strong>er süsslichen, fast schon nazarenischen<br />
Verklärungsszene, steigt s<strong>ein</strong>e Seele <strong>zu</strong>m Himmel auf,<br />
wo sie als leuchtender Stern verewigt wird – <strong>ein</strong>e<br />
ungenierte Plünderung christlicher Ikonographie von<br />
Grablegung, Auferstehung bis <strong>zu</strong>r Himmelfahrt.<br />
Und auch im bereits zitierten „The Princess Bride“<br />
geschieht schliesslich das so sehnlichst erhoffte<br />
Erweckungswunder. Allerdings wird es, da es sich ja<br />
um <strong>ein</strong>e Parodie handelt, ironisch gebrochen. Was<br />
jedoch das Motiv des unsterblichen <strong>Held</strong>en erst recht<br />
herausstreicht. Wundermaxe, der das Unglaubliche<br />
möglich machen soll, klärt über die subtilen Grade des<br />
Tot-s<strong>ein</strong>s auf: „Es verhält sich nämlich so, dass euer
<strong>Super</strong>! – <strong>Vom</strong> <strong>Fluch</strong> <strong>ein</strong> <strong>Held</strong> <strong>zu</strong> s<strong>ein</strong>… <strong>Reader</strong><br />
Freund hier nur <strong>zu</strong>m grössten Teil tot ist. Es besteht<br />
<strong>ein</strong> grosser Unterschied zwischen <strong>zu</strong>m grössten Teil<br />
tot und ganz tot. Zum grössten Teil tot ist schon<br />
b<strong>ein</strong>ahe lebendig.“<br />
Mit dieser „differenzierten“ Sicht machen sich<br />
R<strong>ein</strong>er/Goldmann nicht nur über die Märchen sondern<br />
auch über die gängigen Abenteuer- und Action-<br />
Filme lustig. Denn die Action-<strong>Held</strong>en des Kinos sind<br />
allen drohenden Gefahren <strong>zu</strong>m Trotz höchstens <strong>zu</strong>m<br />
grössten Teil tot<strong>zu</strong>kriegen.<br />
Nur, gerade dieses ungeschriebene Gesetz führt das<br />
Spannungskino seit jeher in <strong>ein</strong> Dilemma: Wenn der<br />
<strong>Held</strong> per definitionem unsterblich ist, wo bleibt da die<br />
Spannung?<br />
Schon Alfred Hitchcock hat sich darüber geärgert,<br />
dass der Star <strong>ein</strong>es Films nicht vorzeitig abtreten<br />
darf. Ist es in „North by Northwest“ (1959) noch <strong>ein</strong><br />
fingiertes Attentat auf Cary Grant, mit dem er den<br />
Zuschauer schockt, so geht Hitchcock in „Psycho“<br />
(1960) <strong>ein</strong>en Schritt weiter und opfert s<strong>ein</strong>en Star<br />
Janet Leigh bereits nach <strong>ein</strong>em Drittel des Films.<br />
– Von nun an muss der Zuschauer damit rechnen, dass<br />
es jeden treffen kann.<br />
Dieses Unterlaufen der Zuschauererwartungen haben<br />
in jüngster Zeit die Macher von „Executive Decision“<br />
(1995) nachgeahmt. Auch dort verschwindet der nach<br />
Papierform unverletzliche Steven Seagal bereits nach<br />
kurzer Zeit von der L<strong>ein</strong>wand. Und Wes Craven lässt<br />
Drew Barrymore, das Aushängeschild s<strong>ein</strong>es jüngsten<br />
Schockers „Scream“ (1997), bereits nach acht Minuten<br />
massakrieren.<br />
Dennoch, diese Beispiele sind Ausnahmen. Im<br />
Regelfall sind Action-<strong>Held</strong>en unsterblich. So wie der<br />
zählebigste aller Über-<strong>Held</strong>en, James Bond.<br />
Aber gerade bei James Bond wird ebenfalls<br />
offensichtlich, wie langweilig unverletzliche,<br />
<strong>ein</strong>dimensionale <strong>Held</strong>en auf Dauer s<strong>ein</strong> können.<br />
Einen Weg aus diesem Dilemma sieht der<br />
durchschnittliche Action-Film darin, s<strong>ein</strong>e <strong>Held</strong>en in<br />
noch extremere Situationen <strong>zu</strong> befördern und die <strong>zu</strong><br />
bekämpfende Bedrohung immer noch bombastischer<br />
aus<strong>zu</strong>malen. An der Unsterblichkeit des <strong>Held</strong>en wird<br />
damit jedoch in k<strong>ein</strong>er Art und Weise gerüttelt – die<br />
Auferweckungswunder werden nur dementsprechend<br />
spektakulärer.<br />
So wird der Kugelhagel immer dichter – trifft aber<br />
genau so wenig wie eh und je.<br />
Die Feuerwalze ist inzwischen fester Bestandteil des<br />
Action-Kinos geworden („True Lies“ (1993), „The<br />
Rock“ (1996), „The Long Kiss Goodnight“ (1996))<br />
– die <strong>Held</strong>en gehen daraus genauso unversehrt hervor,<br />
wie die hebräischen Jünglinge aus dem Feuerofen<br />
Nebukadnezars.<br />
Auch die Urgewalt des Wassers kann solche <strong>Held</strong>en nur<br />
vorübergehend aus dem Gleichgewicht bringen. Ob <strong>ein</strong><br />
Sprung von der Staumauer („The Fugitive“, 1993), die<br />
wilde Fahrt durch <strong>ein</strong>en unterirdischen Fluss („Broken<br />
Arrow“, 1995) oder der gleich mehrfach erzwungene<br />
Sprung in tödlich kaltes Wasser („The Long Kiss<br />
Goodnight“, 1996), immer gelingt es den <strong>Held</strong>en mit<br />
<strong>ein</strong>em tiefen Atem<strong>zu</strong>g – eigentliches Sinnbild der<br />
Wiedergeburt – ins Leben <strong>zu</strong>rück<strong>zu</strong>kehren.<br />
Und während vor wenigen Jahren das Blut der<br />
<strong>Held</strong>en nur spärlich floss, so verlieren sie heute ihren<br />
kostbaren Lebenssaft gleich literweise, ohne dadurch<br />
auch nur das geringste ihrer Potenz <strong>ein</strong><strong>zu</strong>büssen.<br />
Diese ins gigantische gesteigerten und oftmals ins<br />
Lächerliche überkippenden Erweckungswunder haben<br />
<strong>zu</strong>nächst wie angedeutet <strong>ein</strong>en erzähltechnischen<br />
Hintergrund. Sie sollen Nervenkitzel garantieren und<br />
dem Zuschauer mit aller Macht suggerieren, dass der<br />
<strong>Held</strong> tatsächlich bedroht sei.<br />
Zusätzlich schwingt hier aber genau wie in den alten<br />
Legenden der Glaube daran mit, dass Unsterblichkeit<br />
auch <strong>ein</strong> Zeichen für Auserwähltheit und R<strong>ein</strong>heit sei.<br />
Wenn Harrison Ford in „The Fugitive“ (1993) von<br />
der Staumauer springt und den nach menschlichem<br />
Ermessen tödlichen Sprung überlebt, dann sind für<br />
den Zuschauer – und auch für s<strong>ein</strong>en Gegenspieler<br />
Tommy Lee Jones – die letzten Zweifel ausgeräumt:<br />
dieser Mann ist unschuldig, <strong>ein</strong> wahrer <strong>Held</strong>.<br />
Wenn <strong>ein</strong>e Atombombe derart folgenlos detoniert<br />
wie in „True Lies“ (1993), dann deshalb, weil Arnold<br />
Schwarzenegger <strong>ein</strong>e Erlösergestalt ist, die selbst<br />
tödlichen Fall-Out von uns fernhalten kann.<br />
Sogar dann, wenn <strong>ein</strong> <strong>Held</strong> ausnahmsweise<br />
geopfert wird, bleiben für das sequel-sichernde<br />
Auferweckungswunder immer noch genügend<br />
Möglichkeiten, wie „Alien 4“ demnächst beweisen<br />
wird.<br />
Dennoch, allen kraftmeierischen und spektakulärem<br />
Erweckungswundern <strong>zu</strong>m Trotz macht sich im Action-<br />
Kino <strong>zu</strong>sehends lärmende Leere breit. Langsam aber<br />
sicher geht auch die letzte „Restspannung“ flöten,<br />
hat doch inzwischen jeder noch so naive Zuschauer<br />
begriffen, dass die neuen <strong>Held</strong>en nur gewalttätiger<br />
aber nicht weniger unsterblich als die alten sind. Sie<br />
unterscheiden sich lediglich darin, dass sie „Parzival<br />
auf Schienen“ verkörpern – <strong>Held</strong>en in voller Fahrt<br />
aber ohne die geringste Entgleisungsgefahr. Und man<br />
denkt wehmütig an den schmalbrüstigen Parzival und<br />
dessen Leben-sinn-aventüre voll subtiler Spannung<br />
<strong>zu</strong>rück.<br />
Das haben inzwischen auch die Autoren von Action-
<strong>Super</strong>! – <strong>Vom</strong> <strong>Fluch</strong> <strong>ein</strong> <strong>Held</strong> <strong>zu</strong> s<strong>ein</strong>… <strong>Reader</strong><br />
Filmen gemerkt und begonnen, nach Auswegen aus<br />
dieser Einbahnstrasse <strong>zu</strong> suchen. Beispielsweise<br />
dadurch, dass die <strong>Held</strong>en zwar nach wie vor<br />
unsterblich aber auch unvollkommen sind. Damit<br />
wieder jene elementare Spannung gewonnen werde,<br />
die dadurch entsteht, dass man unvollkommenen<br />
<strong>Held</strong>en eher <strong>ein</strong> Scheitern <strong>zu</strong>traut.<br />
Zwei solche, wenngleich eher misslungene Versuche,<br />
vielschichtige Action-<strong>Held</strong>en auf<strong>zu</strong>bauen, sind<br />
„Ransom“ (1997) oder „The Long Kiss Goodnight“. Mel<br />
Gibson und Geena Davis verkörpern <strong>Held</strong>en, die nicht<br />
mehr als makellose Erlösergestalten ersch<strong>ein</strong>en.<br />
Auf faszinierende und raffinierte Weise ist es<br />
John Woo gelungen, das Klischee vom r<strong>ein</strong>en und<br />
unsterblichen <strong>Held</strong>en <strong>zu</strong> durchbrechen. In „Face/<br />
Off“ (1997) geschehen zwar ebenfalls und gleich<br />
reihenweise Erweckungswunder: beide Hauptfiguren<br />
erwachen je <strong>ein</strong>mal aus dem Koma, die <strong>Fluch</strong>t aus dem<br />
Hochsicherheitsgefängnis wird als Auferstehung <strong>zu</strong>m<br />
Licht inszeniert, es gibt ebenso <strong>ein</strong>e Wiedergeburt<br />
aus dem Wasser wie den Sprung durch die Feuerwalze.<br />
Und die Schlussszene wird gar überdeutlich als<br />
Auferstehungwunder inszeniert: das Gesicht des<br />
<strong>Held</strong>en taucht unversehrt aus dem gleissenden Licht<br />
auf.<br />
Dennoch gelingt John Woo, wie in „The Killer“ (1989),<br />
neben der atemberaubenden Materialschlacht <strong>ein</strong><br />
fast poetisches Kammerspiel. Dadurch nämlich, dass<br />
<strong>Held</strong> und Bösewicht Gesicht und Rolle vertauschen,<br />
wird der Zuschauer aus s<strong>ein</strong>er Fixierung auf den<br />
<strong>Held</strong>en gerissen. Woo geht sogar soweit, auch dem<br />
Bösewicht <strong>ein</strong> Auferstehungswunder <strong>zu</strong> gönnen:<br />
S<strong>ein</strong> Kind wird dem <strong>Held</strong>en gewissermassen als<br />
Kuckucksei ins Familiennest gelegt. Damit geschieht<br />
in zweifacher Hinsicht <strong>ein</strong>e Wiedererweckung, denn<br />
<strong>ein</strong>erseits wird das <strong>zu</strong> Beginn getötete Kind des<br />
<strong>Held</strong>en „ersetzt“ – andererseits bleibt der bezwungene<br />
F<strong>ein</strong>d gegenwärtig und damit das wiederhergestellte<br />
Glück ambivalent. Eine raffinierte Relativierung des<br />
herkömmlichen Schemas von Gut und Böse – auch mit<br />
Hilfe origineller Erweckungswunder.<br />
Nur, auch für John Woos <strong>Held</strong>en bedeuten Wunder<br />
lediglich die Möglichkeit, ihr gewalttätiges Werk für<br />
die gute Sache <strong>zu</strong>m blutigen Ende <strong>zu</strong> führen. Als<br />
Zeichen, als Wink des Schicksals, werden sie nicht<br />
verstanden.<br />
Auf überraschende Weise anders verhält es sich<br />
dagegen in „Pulp Fiction“ (1993). Auch dort geschieht<br />
das Wunderbare, gehen Kugeln durch die beiden Killer<br />
Vincent und Jules hindurch ohne den geringsten<br />
Schaden an<strong>zu</strong>richten. Während jedoch Jules dieses<br />
Wunder als Zeichen auffasst und aus dem Gewerbe<br />
aussteigt, sieht Vincent dafür k<strong>ein</strong>erlei Veranlassung<br />
– und geht schliesslich drauf.<br />
Jules: „Mann, sieh dir diesen riesen Ballermann<br />
an – ne Monsterkanone. Wir sollten mausetot s<strong>ein</strong>,<br />
Mann.“ – Vincent: „Ich weiss, wir hatten Glück.“ –<br />
„N<strong>ein</strong>, n<strong>ein</strong>, das hat mit Glück nichts <strong>zu</strong> tun.“ – „Na,<br />
vielleicht.“ – „Das war göttliche Vorsehung. Weisst du,<br />
was göttliche Vorsehung ist?“ – „Ich glaube schon:<br />
Gott persönlich ist aus dem Himmel herabgestiegen<br />
und hat die Kugeln aufgehalten.“ – „Das ist richtig,<br />
das ist genau das, was es bedeutet: Gott persönlich ist<br />
aus dem Himmel herabgestiegen und hat die Kugeln<br />
aufgehalten.“ – „Ich denke, wir sollten langsam gehen<br />
Jules.“<br />
„Tu das nicht, puste den Mistkerl nicht weg. Was hier<br />
gerade passiert ist, war <strong>ein</strong> verdammtes Wunder.“<br />
– „Krieg dich wieder <strong>ein</strong> Jules, so was passiert.“<br />
– „Falsch, falsch, so was passiert nicht <strong>ein</strong>fach!“ –<br />
„Möchtest du diese theologische Diskussion im Wagen<br />
fortsetzen oder im Gefängnis mit den Bullen?“ – „Wir<br />
sollten verdammt noch mal tot s<strong>ein</strong>, m<strong>ein</strong> Freund.<br />
Was hier geschehen ist, ist <strong>ein</strong> Wunder, und ich<br />
verlange, dass du‘s anerkennst.“ – „Ja, in Ordnung, es<br />
war <strong>ein</strong> Wunder, können wir jetzt gehn...“<br />
Thomas Binotto (ZOOM 10/1997)<br />
HeidniscHer bluTrauscH<br />
Lange wurde über den Jesusfilm des<br />
amerikanischen <strong>Super</strong>stars Mel Gibson<br />
debattiert – lange bevor überhaupt Bilder<br />
davon <strong>zu</strong> sehen waren. Jetzt läuft der Film<br />
in den Schweizer Kinos – die Debatte geht<br />
weiter…<br />
Spätestens wenn Jesus vor Pilatus steht und<br />
beharrlich schweigt, wird s<strong>ein</strong>e Mission offenbar:<br />
Er ist hier, um <strong>zu</strong> leiden und <strong>zu</strong> sterben. Oder wie<br />
es auf Devotionalien steht, welche Mel Gibsons<br />
Produktionsfirma verkauft: „Dying was his reason for<br />
living.“ (Sterben war s<strong>ein</strong> Grund <strong>zu</strong> leben.) Damit<br />
wird der Inhalt und die Botschaft von „The Passion<br />
of Christ“ exakt <strong>zu</strong>sammengefasst. Und nachdem der<br />
Körper von Jesus zwei Stunden lang gemartert wurde,<br />
wundert es auch nicht mehr, dass dieselbe Firma „The<br />
Passion Nail“, <strong>ein</strong>en Passionsnagel am Lederbändchen,<br />
vertreibt, ja diesen sogar als Warenzeichen hat<br />
schützen lassen. Der Nagel wird <strong>zu</strong>m Emblem <strong>ein</strong>er<br />
Gem<strong>ein</strong>de, die nicht an Ostern glaubt – der die Passion<br />
alles ist.
<strong>Super</strong>! – <strong>Vom</strong> <strong>Fluch</strong> <strong>ein</strong> <strong>Held</strong> <strong>zu</strong> s<strong>ein</strong>… <strong>Reader</strong><br />
Gibsons Anspruch, die letzten zwölf Stunden im<br />
Leben Jesu biblisch und historisch korrekt auf die<br />
L<strong>ein</strong>wand gebracht <strong>zu</strong> haben, ist derart lachhaft, dass<br />
es sich kaum lohnt, darauf ernsthaft <strong>ein</strong><strong>zu</strong>gehen.<br />
Selbstverständlich hält er sich nur oberflächlich<br />
betrachtet an die Evangelien. S<strong>ein</strong> Film strotzt vor<br />
Erfindungen, unter denen das Witzchen mit Jesus<br />
als Konstrukteur <strong>ein</strong>es neumodischen hochb<strong>ein</strong>igen<br />
Tisches, noch das harmloseste ist. Das Vorhaben,<br />
aus den knappen und mit Details <strong>zu</strong>rückhaltenden<br />
biblischen Quellen <strong>ein</strong>en absolut quellentreuen<br />
zweistündigen Film <strong>zu</strong> machen, ist im Übrigen von<br />
vorneher<strong>ein</strong> <strong>zu</strong>m Scheitern verurteilt und war noch<br />
nie <strong>ein</strong> Garant für gelungene Jesusfilme.<br />
Formal arbeitet Gibson mit den kruden Mitteln des<br />
Action- und Horrorfilms. Da<strong>zu</strong> gehört die endlose<br />
An<strong>ein</strong>anderreihung von Showdowns, unterbrochen<br />
von nichtssagenden und banalen Rückblenden,<br />
die lediglich da<strong>zu</strong> dienen, <strong>ein</strong>e Atempause vor der<br />
nächsten Kampfszene <strong>zu</strong> gewähren. Da<strong>zu</strong> gehören<br />
optisch effektvoll aber ohne dramaturgische<br />
Logik <strong>ein</strong>gesetzte Zeitlupenaufnahmen. Da<strong>zu</strong><br />
gehört <strong>ein</strong>e klebrig pompöse Tonspur. Da<strong>zu</strong> gehört<br />
<strong>ein</strong> unbekümmerter Rassismus, der sich mehr<br />
gewohnheitsmässig als gezielt an Juden und Schwulen<br />
vergeht. Da<strong>zu</strong> gehören billige Schockeffekte. Da<strong>zu</strong><br />
gehören perfekt ausgeleuchte Folterszenen, in denen<br />
die Blutströme ästhetisch arrangiert werden. Und<br />
da<strong>zu</strong> gehört natürlich <strong>ein</strong> <strong>Held</strong>, der immer wieder<br />
aufsteht. Nachdem sich der moderne Action-Film<br />
ausgiebig im Fundus christlicher Ikonographie bedient<br />
hat, um s<strong>ein</strong>e <strong>Held</strong>en <strong>zu</strong> glorifizieren, tut Gibson<br />
nun das Umgekehrte: Er greift auf s<strong>ein</strong>e Erfahrungen<br />
im Action-Genre <strong>zu</strong>rück und bastelt damit <strong>ein</strong>en<br />
Prügelfilm für fromme Sadisten.<br />
Das bizarrste an Gibsons Film ist aber das Jesusbild,<br />
das er propagiert – es ist von r<strong>ein</strong>stem Materialismus.<br />
Dieser Jesus ist nur Körper – und sonst gar nichts.<br />
K<strong>ein</strong> Reich Gottes, das er verkündet, k<strong>ein</strong>e Erlösung,<br />
für die er leidet, und schon gar k<strong>ein</strong>e frohe Botschaft.<br />
Dieser Jesus hat nur <strong>ein</strong>en Auftrag: S<strong>ein</strong> Blut <strong>zu</strong><br />
vergiessen – und nach jeder Demütigung, jeder<br />
Geisselung, jeder Tortur wieder auf<strong>zu</strong>stehen, um<br />
auf dem Weg <strong>zu</strong>r nächsten Qual weiter<strong>zu</strong>stolpern.<br />
In s<strong>ein</strong>em Leidensdrang wirkt er nicht mehr als<br />
Opfer sondern als <strong>ein</strong> von Hybris getriebener,<br />
unbarmherziger, verstockt aggressiver Fanatiker, der<br />
s<strong>ein</strong>e Widersacher dadurch in die Knie zwingt, dass er<br />
mehr Leiden aushält, als sie ihm <strong>zu</strong>fügen können. Er<br />
blutet, also ist er!<br />
Es ist deshalb nur konsequent, dass Gibson bei<br />
der Darstellung der Auferstehung buchstäblich die<br />
Luft ausgeht. Und so gefühllos grimmig wie s<strong>ein</strong><br />
Auferstandener aus dem Bild schreitet, wäre man<br />
nicht überrascht, ihn in <strong>ein</strong>er Fortset<strong>zu</strong>ng <strong>zu</strong> sehen,<br />
die dann wohl den Titel „The Holy Revenge“ tragen<br />
müsste.<br />
Man kann <strong>zu</strong> Recht <strong>ein</strong>wenden, dass die Passion all<strong>zu</strong><br />
oft verharmlost und als p<strong>ein</strong>liche Zwischenstation auf<br />
dem Weg <strong>zu</strong>r Auferstehung gezeigt wird. Aber nur<br />
wer Gift mit Gegengift bekämpfen will, kann Gibsons<br />
Jesus-Film als akzeptable Antwort auf <strong>ein</strong> all<strong>zu</strong><br />
blutleeres Jesusbild propagieren. Gibsons Passion ist<br />
letztlich nichts weiter als <strong>ein</strong> grausames heidnisches<br />
Opferritual, das sich vollends als solches <strong>zu</strong> erkennen<br />
gibt, wenn der römische Soldat Jesus in die Seite<br />
sticht und er daraufhin <strong>zu</strong>sammen mit Maria förmlich<br />
von <strong>ein</strong>er segnenden Blutdusche getränkt wird. Wer<br />
ernsthaft glaubt, solche Drastik und Brutalität all<strong>ein</strong>e<br />
genügten schon, um Mitleid, Erschütterung und<br />
Umkehr <strong>zu</strong> wecken, der verleugnet damit letztlich die<br />
Passionberichte selbst, so wie sie in den Evangelien<br />
stehen, denn diese haben es mit <strong>ein</strong>em Minimum<br />
an Details geschafft, viel mehr als nur <strong>ein</strong> paar<br />
Kinotränen in Bewegung <strong>zu</strong> setzen.<br />
„The Passion of Christ“ – das ist k<strong>ein</strong> Jesusfilm<br />
sondern <strong>ein</strong>e obszöne Karikatur dessen, woran<br />
Christen glauben.<br />
Thomas Binotto (forum 7/2004)<br />
die leTzTe versucHung<br />
Blutig und doch blutleer: Mel Gibsons Bibelfilm<br />
„Die Passion Christi“ ist <strong>ein</strong> geschmäcklerisch<br />
konfektioniertes Schaustück<br />
Mel Gibson hat s<strong>ein</strong>e eigene Art, mit dem Schrecken<br />
um<strong>zu</strong>gehen. „Krieg ist schrecklich“, sagt er. „Im<br />
zweiten Weltkrieg wurden zehn Millionen Menschen<br />
umgebracht. Einige von ihnen waren Juden in<br />
Konzentrationslagern.“ Zusehends unwirsch<br />
antwortet er Interviewern, die ihm <strong>ein</strong>e Chance<br />
geben wollen, auf Distanz <strong>zu</strong> jenem hartnäckigen<br />
Antisemitismusvorwurf <strong>zu</strong> gehen, der s<strong>ein</strong>em Film<br />
Die Passion Christi vorauseilte, als ihn noch k<strong>ein</strong>er<br />
gesehen hatte. Und der nicht verstummen will,<br />
auch wenn inzwischen in den USA Kinokarten im<br />
Wert von 213 Millionen Dollar verkauft worden sind.<br />
Mel Gibsons Beharren, k<strong>ein</strong> klares Wort <strong>zu</strong> sagen,<br />
das ihn von jenem notorischem Holocaustleugner<br />
namens Hutton Gibson absetzen könnte, der s<strong>ein</strong><br />
Vater ist und in Australien seit zwanzig Jahren <strong>ein</strong>e<br />
fundamentalistische Glaubenspostille herausgibt,<br />
0
<strong>Super</strong>! – <strong>Vom</strong> <strong>Fluch</strong> <strong>ein</strong> <strong>Held</strong> <strong>zu</strong> s<strong>ein</strong>… <strong>Reader</strong><br />
hat inzwischen Riefenstahleske Dimensionen<br />
angenommen. „Ich habe auch Schindlers Liste<br />
gesehen, und weiß, was die Deutschen gemacht<br />
haben“, sagt er dann, als sei Spielbergs Werk die<br />
<strong>ein</strong>zige <strong>zu</strong>gängliche Quelle über den Holocaust.<br />
Trotzdem habe der Film niemanden da<strong>zu</strong> gebracht,<br />
die Deutschen <strong>zu</strong> hassen, so wie auch s<strong>ein</strong> Film<br />
niemanden da<strong>zu</strong> bringen werde die Juden <strong>zu</strong> hassen.<br />
Die Juden wohl nicht, aber vielleicht Mel Gibson.<br />
Eine Art Ethno-Pop-Sinfonik<br />
Gern hätte man alle Taktlosigkeiten überhört, die<br />
Gibson der unbefangenen Sicht auf s<strong>ein</strong>en Film<br />
selbst in den Weg gelegt hat. Wie den Ruf nach den<br />
aufgespießten „Eiern“ des (jüdischen) New York<br />
Times-Kolumnisten Frank Rich, den er mitsamt<br />
Hund umbringen wollte (den Hund nahm er, um<br />
<strong>ein</strong>e Entschuldigung gebeten, später wieder <strong>zu</strong>rück).<br />
Aber man ist ja leider nicht taub. Wäre man das,<br />
vielleicht käme man tatsächlich dorthin, Die Passion<br />
Christi so <strong>zu</strong> sehen, wie es uns die Kritiker der Welt,<br />
die missmutigen wie die gewogenen, seit den ersten<br />
Vorführungen glauben machen wollen: als Darstellung<br />
der Martern Christi in nie da gewesenem Realismus.<br />
Doch allem Realismus oder auch nur Naturalismus legt<br />
Gibson selbst das Handwerk.<br />
Die Folter- und Hinrichtungsszenen gibt es nur<br />
ge<strong>zu</strong>ckert mit <strong>ein</strong>schmeichelnder Filmmusik, <strong>ein</strong>er<br />
Art rhythmisierter Ethnopop-Sinfonik. John Debny<br />
hat sie komponiert, <strong>ein</strong> versierter Spezialist für<br />
Trickfilmmusiken, <strong>zu</strong>letzt war von ihm Looney Tunes<br />
<strong>zu</strong> hören. Die Wahl kommt nicht von ungefähr: Wie<br />
im klassischen Cartoon machen die punktuellen<br />
Töne Gewaltexzesse leichter erträglich. Und dies auf<br />
<strong>ein</strong>e Weise, die den Zuschauern kaum bewusst wird.<br />
Selbst die Geschmacks-Alarmglocken, die schlechter<br />
Filmmusik oft ihre Wirkung vereitelt, setzen viel aus.<br />
Wäre es Gibson um pure Direktheit gegangen oder<br />
gar um <strong>ein</strong>e veristische Darstellung der historischen<br />
Umstände - er hätte von Pasolinis Erstem Evangelium<br />
Matthäus-Film, der durch s<strong>ein</strong>e „arme“ Ästhetik<br />
Wunder wirkte, nicht nur den Drehort im italienischen<br />
Matera abgeschaut, sondern den maßvollen Umgang<br />
mit Filmmusik.<br />
Doch auch die Bilder geben selbst gestandenen<br />
Kritikern das Gefühl des „Niegesehenen“: Es<br />
seien „nicht die über alle Gesetze der Physik<br />
triumphierenden Spezialeffekte wie Saurier“, wie<br />
es <strong>ein</strong>e Sonntagszeitung formulierte. Nun, zwanzig<br />
Special-effect-Designer haben an diesem Film<br />
gearbeitet. Wenn es ihrem Berufsethos entspricht,<br />
ihre Arbeit im Verborgenen <strong>zu</strong> leisten, wäre es doch<br />
unredlich, ihre Leistungen hier nicht <strong>zu</strong> würdigen. Sie<br />
beginnen in den malerischen Nachtszenen im Garten<br />
Gethsemane am Filmanfang, über die seltsamerweise<br />
nie <strong>zu</strong> lesen ist. Digitale Geister huschen da unbiblisch<br />
und geschmacksverirrt zwischen den Büschen umher.<br />
Die technische Bildfabrikation reicht bis <strong>zu</strong>m vulgären<br />
Surrealismus <strong>ein</strong>er gewaltigen göttlichen Träne, die<br />
vom Himmel fällt und in der sich die Welt spiegelt.<br />
Dazwischen findet der Hauptteil statt: Unendliche<br />
Geißelungen, denen wie in Edgar Allan Poes Grube mit<br />
dem Pendel <strong>ein</strong>e Inspektion des Werkzeugs vorausgeht.<br />
Gibson hat sie genau beschrieben gefunden in <strong>ein</strong>em<br />
Text des Medizinhistorikers William D. Edwards, dessen<br />
Eingabe im Internet <strong>ein</strong>en <strong>zu</strong> allen Sorten Hardcore-<br />
Katholiken lenkt: „On the Phyhsical Death of Jesus<br />
Christ“. Jeder Peitschenhieb wird mitgezählt, es ist wie<br />
<strong>ein</strong>e Lat<strong>ein</strong>stunde in der Sesamstraße. Aber hat man<br />
dergleichen nie gesehen?<br />
Die Filmgeschichte kennt Vorbilder. Die drei Teile<br />
von George Romeros Zombie-Zyklus dürften Gibson<br />
bekannt s<strong>ein</strong>. Nach Spielbergs Saving Private Ryan<br />
ist s<strong>ein</strong> Film der zweite große Hollywoodfilm, der die<br />
Illusionstechniken des Splatterkinos in <strong>ein</strong>en seriösen<br />
Kontext stellt. Bei Spielberg war es die Umwidmung<br />
als filmisches Kriegerdenkmal, die für die nötigen<br />
Weihen sorgte und die Kontextverschiebung als<br />
Gewinn erleben ließ. Wie auch immer man <strong>zu</strong> den<br />
ausladenden Gewaltszenen steht (k<strong>ein</strong>e erreicht für<br />
sich genommen die Intensität von Buñuels und Dalís<br />
Andalusischem Hund von 1929), es ist <strong>ein</strong> Phänomen,<br />
wie sie plötzlich von Menschen ertragen werden, die<br />
sich nicht <strong>ein</strong>mal in die Nähe <strong>ein</strong>er gewöhnlichen<br />
Videothek wagen. Wie ist dies möglich? Sind wir<br />
tatsächlich von fundamentalistischen Christen<br />
umgeben, die sich plötzlich reif fühlen, dem ganzen<br />
Leiden Jesu durch tapfere Ansicht teilhaftig <strong>zu</strong><br />
werden? Woher kommt plötzlich diese Stärke, von<br />
Geist und Gesäß?<br />
Aus den Zimmermannsjahren<br />
Wieder gibt das Filmhandwerk selbst die Antwort.<br />
Gibson macht die Gewaltszenen konsumierbar,<br />
indem er sie subtil musikalisch vertonen lässt,<br />
mit wabernden Surroundgeräuschen unterlegt und<br />
mundgerecht portioniert. Immer wieder schneidet er<br />
(nichtbiblische) Parallelszenen aus Jesu Kindheit oder<br />
Zimmermannsjahren <strong>ein</strong>. Oder er schwenkt um <strong>zu</strong>r<br />
treuen Maria Magdalena, deren Verkörperung durch<br />
Monica Belucci nur <strong>ein</strong> Mosaikst<strong>ein</strong> ist im Konzept<br />
visueller Opulenz. Selbst die Bilder des Fleisches,<br />
über das sich immer weitere Kerben und Risse legen,
<strong>Super</strong>! – <strong>Vom</strong> <strong>Fluch</strong> <strong>ein</strong> <strong>Held</strong> <strong>zu</strong> s<strong>ein</strong>… <strong>Reader</strong><br />
entwickeln <strong>ein</strong>en eigenen, kunsthandwerklichen<br />
Reiz. Der braun-rötliche Grundton der L<strong>ein</strong>wand, die<br />
immer neuen Linien verselbstständigen sich von ihrer<br />
Entsprechung in der Wirklichkeit.<br />
Denn, noch <strong>ein</strong>mal: Dies ist k<strong>ein</strong> Film, der durch<br />
<strong>ein</strong>e karge, harte Ästhetik berühren möchte. Es ist<br />
<strong>ein</strong> geschmäcklerisch konfektioniertes Schaustück,<br />
das sich wie der am wenigsten interessante Teil<br />
der reichen Geschichte von Bibelfilmen <strong>ein</strong>zig der<br />
Illustration verschrieben hat. Das <strong>ein</strong>zige, was diese<br />
Filmerfahrung wirklich neuartig machen könnte,<br />
ist die Abwesenheit jeden Mehrwerts außerhalb des<br />
Illustrativen. Viel muss man ja nicht erwarten. Doch es<br />
gibt k<strong>ein</strong>e piktoralistische Fotokunst wie in DeMilles<br />
König der Könige, es gibt k<strong>ein</strong> schickes Devotionalien-<br />
Camp mit erotischer Konnotation wie in Scoreses Die<br />
letzte Versuchung Christi und k<strong>ein</strong>e Hitsongs wie in<br />
Jesus Christ <strong>Super</strong>star. Diese Passion ist <strong>ein</strong> Nichts<br />
von <strong>ein</strong>em Film. Ohne den Namen des Regisseurs und<br />
die Medienpräsenz wäre sie <strong>ein</strong>e Kandidatin für die<br />
Videothek um die Ecke. S<strong>ein</strong>e L<strong>ein</strong>wandpräsenz wollen<br />
wir ihr gönnen. Denn in den Videoladen setzt s<strong>ein</strong><br />
Zielpublikum ja k<strong>ein</strong>en Fuß.<br />
Daniel Kothenschulte (Frankfurter Rundschau vom 17.<br />
März 2004)<br />
URL: http://www.fr-aktuell.de/ressorts/kultur_und_<br />
medien/feuilleton/?cnt=405590<br />
das 11. geboT:<br />
du sollsT k<strong>ein</strong>e JesusFilme macHen<br />
Der deutsche Autor Hans Conrad Zander hat das<br />
beliebte Schlagwort <br />
abgeändert in: -- Nach dem<br />
Genuss von fast jedem Jesusfilm pflichte ich ihm aus<br />
tiefstem Herzen bei.<br />
, so lautet<br />
deshalb von nun an das 11. Gebot -- und ich bin s<strong>ein</strong><br />
Prophet. Weil aber heut<strong>zu</strong>tage göttliche Autorität<br />
all<strong>ein</strong> nicht mehr ausreicht, sehe ich mich gezwungen,<br />
dieses Gebot nicht nur <strong>zu</strong> verkünden, sondern auch<br />
<strong>zu</strong> begründen. Ich werde die Gelegenheit benutzen,<br />
um im gleichen Atem<strong>zu</strong>g -- in guter theologischer<br />
Tradition -- auf <strong>ein</strong> paar Hintertürchen hin<strong>zu</strong>weisen,<br />
die uns dieses Gebot offen lässt.<br />
Subgebot Nr. 1:<br />
Du sollst k<strong>ein</strong>e Jesusfilme machen, weil das absolut<br />
Gute absolut langweilig ist<br />
Grund für die gepflegte Langeweile, welche die<br />
meisten Jesusfilme verbreiten, ist <strong>zu</strong>nächst <strong>ein</strong>mal <strong>ein</strong><br />
dramaturgisches Dilemma: Jesus ist -- wenigstens für<br />
<strong>ein</strong>en glaubwürdigen Filmhelden -- schlicht <strong>zu</strong> gut.<br />
Im klassischen Jesusfilm ist der Kampf mit dem<br />
Bösen längst ausgefochten. Und weil auch das Ende<br />
allseits bekannt ist, sind selbst in dieser Beziehung<br />
enge Grenzen gesetzt. Die Versuchung Jesu durch den<br />
Teufel, sie verkümmert gerade<strong>zu</strong> <strong>zu</strong>m Sch<strong>ein</strong>gefecht.<br />
Mit Jesus tut sich die Filmkunst ähnlich schwer<br />
wie mit dem Paradies -- das absolut Gute und die<br />
absolute Glückseligkeit lassen sich nicht darstellen,<br />
und wenn man es dennoch versucht, dann wird es<br />
unweigerlich kitschig, banal und lächerlich. Das hat<br />
im übrigen bereits Dante erkannt und <strong>zu</strong>gegeben, dass<br />
die Darstellung der Hölle viel leichter sei, als die des<br />
Himmels.<br />
Subgebot Nr. 2:<br />
Du sollst k<strong>ein</strong>e Jesusfilme machen, weil Matthäus nicht<br />
Charles Dickens ist und da Vinci unfehlbar<br />
Die Evangelien bieten zwar <strong>ein</strong>en starken Plot,<br />
aber die Story ist voller Löcher, Details erfährt man<br />
kaum, und die psychologische Motivation bleibt<br />
erst recht im Dunkeln. Mit Charles Dickens als<br />
Redaktor wäre das alles ganz anders gekommen. Er<br />
beschreibt Handlungen, Figuren und Motivationen<br />
derart detailversessen, dass man eigentlich nur noch<br />
hingehen und nach dieser Vorlage filmen muss.<br />
Apropos Löcher in der Story: Man könnte m<strong>ein</strong>en, dass<br />
gerade damit mehr Freiheiten für unterschiedliche<br />
Interpretation blieben. Weit gefehlt! Was die Bibel<br />
angeht, so sind die Erwartungen noch rigoroser als<br />
bei Literaturverfilmungen. Polemisch ausgedrückt:<br />
Im Laufe der Jahrhunderte haben es die Christen<br />
geschafft, aus <strong>ein</strong>em Minimum an Quellen <strong>ein</strong><br />
Maximum an Gewissheit heraus<strong>zu</strong>holen. Für<br />
Spekulationen bleibt da k<strong>ein</strong> Platz mehr.<br />
Am ehesten genügt man deshalb dem unfehlbaren<br />
Geschmack des Publikums, wenn man sich eng an<br />
die christliche Ikonographie hält. So wie da Vinci das<br />
Abendmahl gemalt hat, so muss es gewesen s<strong>ein</strong>, und<br />
deshalb rüttelt daran auch Hollywood nicht.<br />
Subgebot Nr. 3:<br />
Du sollst k<strong>ein</strong>e Jesusfilme machen, weil du gezwungen<br />
s<strong>ein</strong> könntest, Jesus <strong>zu</strong> zeigen<br />
Damals, als ich den Religionsunterricht besucht habe,<br />
bestand kaum <strong>ein</strong>e Möglichkeit, dem Jesusfilm von<br />
Franco Zeffirelli <strong>zu</strong> entrinnen. Aber dieser wasserstoffblauäugige,<br />
sanft-fanatische, aseptisch-asketische<br />
Jesus war mir schlicht <strong>zu</strong>wider und m<strong>ein</strong>e Antipathie<br />
wuchs von Wunder <strong>zu</strong> Wunder.<br />
Und doch habe ich diesem Kinoschock <strong>ein</strong>e tiefe
<strong>Super</strong>! – <strong>Vom</strong> <strong>Fluch</strong> <strong>ein</strong> <strong>Held</strong> <strong>zu</strong> s<strong>ein</strong>… <strong>Reader</strong><br />
Einsicht <strong>zu</strong> verdanken: Jesus wird im Film wie in<br />
k<strong>ein</strong>em anderen Medium <strong>zu</strong> <strong>ein</strong>er lebendigen Figur, <strong>zu</strong><br />
<strong>ein</strong>em Menschen, der mir sympathisch ist oder eben<br />
auch nicht. Dadurch wird spürbar, was es bedeutet,<br />
wenn plötzlich <strong>ein</strong> Verwandter, <strong>ein</strong> Nachbar, <strong>ein</strong><br />
Freund aufsteht und behauptet, er sei der Messias.<br />
Und so ist es ganz sicher <strong>ein</strong> Glück, dass es <strong>zu</strong> Jesu<br />
Zeiten noch k<strong>ein</strong>e Videokameras gab; man stelle sich<br />
vor: -- Ein Dogmafilm s<strong>ein</strong>es Jüngers<br />
Johannes.<br />
Weshalb mühen sich dennoch immer wieder<br />
Filmemacher mit Jesus ab, wo das Resultat doch eh<br />
nur misslungene und langweilige Filme s<strong>ein</strong> können?<br />
Wegen der Hintertürchen, die uns das 11. Gebot offen<br />
lässt!<br />
Hintertür Nr. 1:<br />
Jesusfilme werden spannend, wenn man sich am<br />
Evangelium vergreift<br />
Als Martin Scorsese <br />
drehte, stand für ihn die Frage <br />
im Zentrum. Was wäre, wenn Jesus nur Mensch<br />
gewesen wäre, wenn er der Versuchung nachgegeben,<br />
wenn Ostern nicht stattgefunden hätte? Scorsese<br />
wagte <strong>ein</strong>en Blick auf den , den vorösterlichen<br />
Jesus <strong>zu</strong> werfen -- und erntete dafür<br />
heftigste Schimpftiraden empörter Christen, die in<br />
ihrer Glaubenserstarrtheit nicht begriffen, dass sie<br />
Zeuge <strong>ein</strong>es höchst ernsthaften Glaubensexperimentes<br />
wurden.<br />
In stiess den frommen<br />
Kritikern die Bergpredigtszene besonders sauer auf,<br />
ausgerechnet <strong>ein</strong>e der tiefsinnigsten Szenen des Films.<br />
Gerade die Christen von heute befinden sich nämlich<br />
in der gleichen Lage wie die Zuhörer auf den billigen<br />
Plätzen und ringen genauso um das Verständnis<br />
dessen, was Jesus wohl gem<strong>ein</strong>t hat.<br />
Das jüngste Beispiel <strong>ein</strong>es unbotmässigen Jesusfilms<br />
läuft jetzt im Kino an. Und auch enthält,<br />
neben Kalauern, geschmacklichen Entgleisungen und<br />
Längen mit <strong>ein</strong>igen treffsicheren satirischen Spitzen.<br />
(Vgl. Kritik in dieser Ausgabe)<br />
Hintertür Nr. 2:<br />
Jesusfilme werden spannend, wenn man den <br />
Jesus zeigt<br />
wurde im Gegensatz <strong>zu</strong>m<br />
fast gleichzeitig entstandenen Scorsese-Film<br />
mit <strong>ein</strong>helliger Begeisterung gefeiert. Einer der<br />
Hauptgründe liegt sicher darin, dass Arcand s<strong>ein</strong>e<br />
Jesusinterpretation nicht an Jesus selbst, sondern<br />
an <strong>ein</strong>em Jesus, <strong>ein</strong>em Stellvertreter<br />
festgemacht hat. Jesus selbst wurde nicht in<br />
Frage gestellt, und damit war s<strong>ein</strong> Film selbst für<br />
Fundamentalisten geniessbar.<br />
Was den Skandalfilmen bei ihrem Frontalangriff auf‘s<br />
Haupttor nur selten gelingt, transportieren diese<br />
Filme durch die Hintertür und unterwandern damit<br />
unsere Vor<strong>ein</strong>genommenheit mit List -- beispielsweise<br />
in der subtilsten Umkehrung aller Jesusgeschichten<br />
-- im von Luis Buñuel.<br />
Hintertür Nr. 3:<br />
Jesusfilme werden spannend, wenn Jesus nicht auftritt<br />
Ausgerechnet in ist <strong>ein</strong>es der<br />
<strong>ein</strong>drücklichsten Jesusporträts gelungen. Mehrmals<br />
kreuzen sich die Wege von Ben Hur und Jesus, aber<br />
nie kriegt man das Gesicht des Messias <strong>zu</strong> sehen -- <strong>ein</strong><br />
Jesusporträt, aufgezeichnet in s<strong>ein</strong>er Wirkung.<br />
Man mag <strong>ein</strong>wenden, dass Filme, in denen Jesus selbst<br />
nicht auftritt, eigentlich k<strong>ein</strong>e Jesusfilme mehr seien.<br />
Wenn man jedoch die Präsenz Jesu nicht auf s<strong>ein</strong>e<br />
bildhafte Anwesenheit reduziert, dann gehören gerade<br />
sie <strong>zu</strong> den <strong>ein</strong>drücklichsten der Gattung.<br />
Gerade in diesen Jesusfilmen zeigt sich,<br />
dass man <strong>ein</strong>em Thema oft näher kommt, wenn man<br />
es nicht 1:1 ab<strong>zu</strong>bilden versucht. Je realistischer und<br />
bibeltreuer <strong>ein</strong> Jesusfilm dagegen <strong>zu</strong> s<strong>ein</strong> versucht,<br />
desto heftiger muss er scheitern.<br />
Dank der Hintertürchen gibt es sie also doch, die<br />
spannenden und sehenswerten Jesusfilme. Allerdings,<br />
wer <strong>ein</strong> treuer Anhänger da Vincis ist, der wird damit<br />
rechnen müssen, hin und wieder in s<strong>ein</strong>em Glauben an<br />
s<strong>ein</strong>e wahren Bilder erschüttert <strong>zu</strong> werden. Aber wenn<br />
Filme aufregend und intelligent gegen das 11. Gebot<br />
verstossen, dann habe selbst ich, als s<strong>ein</strong> Prophet,<br />
m<strong>ein</strong>e Freude daran.<br />
Thomas Binotto (FILM 4/2000)
<strong>Super</strong>! – <strong>Vom</strong> <strong>Fluch</strong> <strong>ein</strong> <strong>Held</strong> <strong>zu</strong> s<strong>ein</strong>… <strong>Reader</strong><br />
Filme von a-z<br />
A Beautiful Mind*<br />
Abenteuer in Rio (J)<br />
Air Force One<br />
Amy und die Wildgänse* (K)<br />
Asterix (K)<br />
Barbarella<br />
Batman<br />
Brassed off - Mit Pauken und Trompeten*<br />
Brüder Löwenherz, Die* (K)<br />
Central Station*<br />
Chicken Run - Hennen rennen* (K)<br />
Club der toten Dichter, Der* (J)<br />
Daredevil (J)<br />
Das Sams (K)<br />
Der grosse Blonde mit dem schwarzen Schuh (J)<br />
Der Sch<strong>ein</strong>-Heilige<br />
Die Braut des Prinzen (J)<br />
Die Fahrten des Odysseus (J)<br />
Die glorreichen Sieben (J)<br />
Die Monster AG (K)<br />
Drei Engel für Charlie (J)<br />
Ein Mann geht durch die Wand (K)<br />
Elling*<br />
Entfesselte <strong>Held</strong>en<br />
Erin Brockovich* (J)<br />
Es gibt nur <strong>ein</strong>en Jimmy Grimble* (K)<br />
Fahrraddiebe*<br />
Fantomas (J)<br />
Faust – Ein deutsches Volksmärchen<br />
Fearless - Jenseits der Angst*<br />
Gattaca (J)<br />
Geheimnisvolle Minusch, Die* (K)<br />
Halbe Treppe*<br />
Harry Potter und der St<strong>ein</strong> der Weisen* (K)<br />
Heil dem siegreichen <strong>Held</strong>en<br />
Hercules (K)<br />
Hero (J)<br />
Herr der Ringe, Der - Die Gefährten* (J)<br />
Herr der Ringe, Der - Die Rückkehr des Königs* (J)<br />
Herr der Ringe, Der - Die zwei Türme* (J)<br />
Hier ist John Doe<br />
Hodder rettet die Welt* (K)<br />
Hook (K)<br />
Hulk (J)<br />
Hund, der „Herr Bozzi“ hieß, Der* (K)<br />
Italienisch für Anfänger*<br />
Kick it like Beckham* (K)<br />
Kletter Ida* (K)<br />
König der Fischer*<br />
Le magnifique<br />
Leben ist schön, Das*<br />
Long Walk Home<br />
Lügen und Geheimnisse*<br />
Matilda (J)<br />
Matrix* (J)<br />
Mighty - Gem<strong>ein</strong>sam sind sie stark* (K)<br />
Mulan (K)<br />
My Name Is Joe*<br />
Nachtgestalten*<br />
Nazarin<br />
Ocean’s Eleven (J)<br />
Pippi Langstrumpf (K)<br />
Prinz Eisenherz (J)<br />
Pünktchen und Anton* (K)<br />
Rio Bravo (J)<br />
Ronja Räubertochter* (K)<br />
Seabiscuit (K)<br />
Shallow Hall<br />
Shrek* (K)<br />
Skagerrak<br />
Small Soldiers (J)<br />
Space Cowboys (J)<br />
Spiderman 1 & 2 (J)<br />
Star Wars (J)<br />
<strong>Super</strong>man (J)<br />
Tarzan, der Affenmensch (J)<br />
Terminator 1 & 2<br />
The Big Lebowski<br />
The Purple Rose of Cairo<br />
Tiger & Dragon* (J)<br />
Toy Story I & II (K)<br />
True Lies<br />
Truman Show, Die* (J)<br />
Unglaublichen, Die (K)<br />
Whale Rider* (K)<br />
Wolken ziehen vorüber*<br />
X-Men 1 & 2 (J)<br />
K Filme, die sich bereits für Kinder eignen.<br />
J Filme, die sich von ihrer Thematik und Machart<br />
besonders für Jugendliche eignen.<br />
* Diese Filme sind im Katalog der<br />
Medienverleihstellen enthalten.