Jean Gebser: Vom spielenden Gelingen - projektart-berne.de
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RUNDBRIEF FPV 75 / Johanni 2008 7<br />
Form <strong>de</strong>r abstrakten Mitteilung, wie sie<br />
heute gang und gäbe ist, erleichtert, hat<br />
sie in <strong>de</strong>n Stand einer anzustreben<strong>de</strong>n<br />
und erreichbaren Objektivierung erhoben:<br />
eine weitgehend falsche Einstellung<br />
gelehrtenhafter Art, sich über die<br />
Grundgegebenheiten <strong>de</strong>s alltäglichen<br />
Lebens zu stellen, in <strong>de</strong>ren Meisterung<br />
die Bewährung <strong>de</strong>s einzelnen liegt.<br />
Wir kommen <strong>de</strong>m Konkreten bereits<br />
näher, wenn wir sagen: Verzicht auf Hoffnung<br />
ist gleichbe<strong>de</strong>utend mit <strong>de</strong>r Akzentuierung<br />
<strong>de</strong>s Lebens, wie es von Stun<strong>de</strong> zu<br />
Stun<strong>de</strong> ist. Verzicht auf Hoffnung ist also<br />
volle Annahme <strong>de</strong>s Alltags. Was in ihm<br />
verbesserungswert ist, das kann sich nur<br />
über die saubere Erfüllung, über die geglückte<br />
Meisterung <strong>de</strong>r sogenannt kleinen<br />
Aufgaben <strong>de</strong>s Alltags vollziehen. Von dort<br />
wirkt es aus <strong>de</strong>m Kleinsten ins sogenannt<br />
Grosse weiter. Die Voraussetzung dafür<br />
ist freilich, dass nicht nur das Alltägliche<br />
gemeistert wer<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn auch, wovon<br />
nie gesprochen wird, das Allnächtliche.<br />
Der falsch gelebte Tag bringt die falsch<br />
gelebte Nacht. Was uns nicht spielend,<br />
son<strong>de</strong>rn auf die falsche Weise gelang,<br />
macht uns krank. Der fieberhaften Zielverfolgung,<br />
an welcher <strong>de</strong>r Tag krankt,<br />
folgt die Schlaflosigkeit <strong>de</strong>r kranken<br />
Nacht. Und die kranke Nacht bringt <strong>de</strong>n<br />
schlechten Tag. Solche Nächte sind ein<br />
Teil <strong>de</strong>r ruhelosen Dunkelheit im Rücken<br />
jener, die blind und rücksichtslos auf ein<br />
Ziel hin vorwärtseilen. Sie hetzen durchs<br />
Leben, ameisenmässig betriebsam o<strong>de</strong>r<br />
kalt <strong>de</strong>n eigenen Vorteil wahrend, durch<br />
welchen sie ihren Wünschen, Hoffnungen<br />
o<strong>de</strong>r Zielen näherkommen wollen. Dass<br />
hinter diesem Gebaren die Angst lauert,<br />
die <strong>de</strong>m Mangel an innerstem Vertrauen<br />
entspringt, wissen sie nicht; genausowenig<br />
wissen ja diejenigen, die allnächtlich<br />
<strong>de</strong>n Schlaf nicht fin<strong>de</strong>n können, dass<br />
ihre Schlaflosigkeit angstgeboren ist: sie<br />
ist wie Sucht nach Erfolg, To<strong>de</strong>sangst.<br />
Schlaflosigkeit, die dann <strong>de</strong>n Schlaf zu<br />
erzwingen sucht, ist Mangel an Vertrauen<br />
darauf, dass, schloss man erst einmal die<br />
Augen, man morgens nicht wie<strong>de</strong>r erwachen<br />
könnte. Und Erfolgssucht ist gleichermassen<br />
Flucht vor <strong>de</strong>m To<strong>de</strong>, wobei<br />
man hofft, <strong>de</strong>n Tod mit <strong>de</strong>m erzwungenen<br />
Resultat übertölpeln zu können.<br />
Wenn hier von <strong>de</strong>r Notwendigkeit<br />
gesprochen wird, dass uns spielend<br />
gelingen sollte, was wir selbst im Alltäglichsten<br />
zu tun haben, so geschieht es,<br />
weil dieser Hinweis zweckfrei ist, uns<br />
aber an alle die Verschüttungen erinnern<br />
kann, von <strong>de</strong>nen unser innerstes Wesen<br />
überlagert wor<strong>de</strong>n ist, seit<strong>de</strong>m wir zwar<br />
die Ichfindung geleistet haben, aber die<br />
Ichfreiheit, nämlich die Selbstbefreiung<br />
aus <strong>de</strong>m Ich, nicht zu vollziehen vermochten.<br />
Und wenn hier von <strong>de</strong>r hin<strong>de</strong>rlichen<br />
Sucht gesprochen wird, so geschieht es,<br />
um darauf hinzuweisen, dass es nicht so<br />
sehr auf das Suchen ankomme, son<strong>de</strong>rn<br />
auf das spielen<strong>de</strong> <strong>Gelingen</strong>, das Fin<strong>de</strong>n.<br />
Je<strong>de</strong> Sucht sucht. Die Zeiten <strong>de</strong>r Troubadours,<br />
das heisst (wörtlich übersetzt)<br />
die Zeiten <strong>de</strong>r «Fin<strong>de</strong>r», scheinen vorüber<br />
zu sein.<br />
In diesem Zusammenhang ist noch ein<br />
weiterer Hinweis nötig. Er betrifft die<br />
spielerische Form <strong>de</strong>r Lebensmeisterung.<br />
Sie hat Gemeinsamkeiten mit <strong>de</strong>r<br />
erzwingen<strong>de</strong>n Form, die statt Einfühlung<br />
die aggressive Frontalhaltung zur<br />
Welt bevorzugt und damit die Welt<br />
ausschliesslich als Gegenüber nimmt,<br />
obwohl die wirkliche Welt eine Welt<br />
ohne Gegenüber ist.<br />
Die spielerische Form und ihre zerstören<strong>de</strong><br />
Wirkung lässt sich am Hasar<strong>de</strong>ur<br />
und am Don Juan am <strong>de</strong>utlichsten aufweisen.<br />
Der Hasar<strong>de</strong>ur will «spielend»<br />
gewinnen, das aber heisst für ihn: müheund<br />
verantwortungslos ans Ziel gelangen.<br />
Er ist <strong>de</strong>m Spiel verfallen, ist süchtig und<br />
angstgetrieben, hofft auf die grosse Chance,<br />
die das Schicksal ihm zuspielen soll: Er<br />
betrügt sich, da er vom Schicksal erwartet,<br />
was zu leisten er selber nicht fähig ist.<br />
Auch im Don Juan ist es die Sucht, die<br />
ihn treibt, und es ist seine Unfähigkeit zu<br />
lieben. Die sinnlos gehäuften flüchtigen<br />
Begegnungen dienen ja nur dazu, die<br />
Liebeswirklichkeit zu verneinen. Hinter<br />
<strong>de</strong>r Tatsache, dass ihm die Verführung<br />
immer wie<strong>de</strong>r, gleichsam «spielend»<br />
gelingt, verbirgt sich angstgeborene<br />
Selbstzerstörung. Die Folgen <strong>de</strong>s erzwungenen<br />
<strong>Gelingen</strong>s, die bereits erwähnt<br />
wur<strong>de</strong>n, wer<strong>de</strong>n hier über<strong>de</strong>utlich: Die<br />
Handlungen nehmen zwanghaften Wie<strong>de</strong>rholungscharakter<br />
an, wer<strong>de</strong>n damit<br />
sinnlos und en<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Zerstörung.<br />
Bei<strong>de</strong>, <strong>de</strong>r Hasar<strong>de</strong>ur und Don Juan, sind<br />
die Negation <strong>de</strong>s <strong>spielen<strong>de</strong>n</strong> <strong>Gelingen</strong>s:<br />
Sie betrügen sich um die Arbeit an sich<br />
selber, sind die verführten Verführer, sie<br />
sind we<strong>de</strong>r im Einklang mit sich selber<br />
noch mit <strong>de</strong>r Welt. Aber nur <strong>de</strong>mjenigen,<br />
<strong>de</strong>r durch hartnäckige Arbeit dahin reift,<br />
dass er im Einklang steht mit <strong>de</strong>m, was er<br />
tut, <strong>de</strong>r also nichts vergewaltigt noch erzwingt,<br />
<strong>de</strong>r sich von <strong>de</strong>m verfälschen<strong>de</strong>n<br />
Verstricktsein im eigenen Ich befreite,<br />
<strong>de</strong>m fallen die Dinge und Geschehnisse<br />
zu, weil er von ihnen we<strong>de</strong>r getrennt<br />
noch mit ihnen verschmolzen ist; <strong>de</strong>nn<br />
er hat die Ich-Welt-Spannung aufgehoben<br />
und überwun<strong>de</strong>n, er hat <strong>de</strong>n Subjekt-<br />
Objekt-Gegensatz, das Gegenübersein,<br />
in das Miteinan<strong>de</strong>r verwan<strong>de</strong>lt. Gut ist,<br />
wenn einem dies schon im Leben spielend<br />
gelingt, wenn es nicht erst vom To<strong>de</strong><br />
erzwungen wer<strong>de</strong>n muss.<br />
Abdruck aus:<br />
<strong>Jean</strong> <strong>Gebser</strong>, Gesamtausgabe Band VI<br />
Novalis Verlag, Schaffhausen 1977<br />
mit freundlicher Genehmigung <strong>de</strong>s Verlages.<br />
Immer muss man zueinan<strong>de</strong>r reifen,<br />
alle schnellen Dinge sind Verrat,<br />
Nur wer warten kann, wird es begreifen:<br />
Nur <strong>de</strong>m Warten<strong>de</strong>n erblüht die Saat.<br />
Warten, das ist: Säen und dann Pflegen,<br />
ist gestaltend in <strong>de</strong>n Worten warten,<br />
han<strong>de</strong>lnd still sein und umhegen,<br />
erst <strong>de</strong>n Keim und dann <strong>de</strong>n Garten.<br />
<strong>Jean</strong> <strong>Gebser</strong>