Dokument 1.pdf - Opus
Dokument 1.pdf - Opus
Dokument 1.pdf - Opus
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
11 Wie möchten wir gelebt haben<br />
rizont für die Suchbewegung der nächsten ein, zwei Jahrzehnte. Denn das gute<br />
Leben offeriert die globalisierte Wachstumswirtschaft nicht – sie zerstört es.<br />
Ohne diese in der Zukunft lokalisierte Frage nach dem guten Leben fehlt<br />
jeder Entscheidung in der Gegenwart der Bezugspunkt – genau deshalb können<br />
Politiker unwidersprochen behaupten, diese oder jene Entscheidung sei «alternativlos»,<br />
obwohl doch das Suchen und Abwägen von Alternativen das zentrale<br />
Wesensmerkmal von Demokratie ist. Erst wenn ich weiß, wohin ein Weg führen<br />
soll, kann ich über die Richtung befinden, die einzuschlagen ist. Darum, aber<br />
auch um den Zukunftsverhinderern des «business as usual» ein Konzept entgegenzustellen,<br />
muss die Zukunft wieder eine Kategorie des Politischen werden.<br />
Das kann nicht die des 20. Jahrhunderts sein. Die Menschheitsbeglückungsutopien<br />
vom Typ Faschismus und Kommunismus haben in aller Eindringlichkeit<br />
vor Augen geführt, dass Totalitarismen immer tödlich enden; die Suchbewegung<br />
des 21. Jahrhunderts muss vielmehr auf Reversibilität, Fehlerfreundlichkeit,<br />
Kleinräumigkeit und Achtsamkeit bedacht sein.<br />
Ihr Utopisches ist kleinteilig, nicht großräumig, aber gerade darum kann<br />
es, wie viele unmittelbar wirklichkeitsverändernde Praxisprojekte zeigen,<br />
sofort in Wirklichkeit transformiert werden. Da gerade die reichen und freien<br />
Gesellschaften ihren Mitgliedern außerordentlich große Handlungsspielräume<br />
offerieren, braucht dieser Typ Utopie keine Vorbedingungen, er erfordert<br />
keinerlei Wartezeit darauf, bis irgendwo ein transnationales Abkommen<br />
geschlossen oder eine globale Klimaschutzbehörde eingerichtet ist. Das geht<br />
einfach so, mit einem ganz anderen Begriff von Fortschritt, einem, der den<br />
Rückbau von Großkategorien und Großstrategien immer schon mitdenkt, weil<br />
er sich an Kleinteiligkeit orientiert.<br />
Nicht nur in den reichen Gesellschaften finden sich zahlreiche Unternehmen,<br />
Initiativen und Projekte, die Teile der Wirklichkeit verändern und<br />
damit den Vorteil der Anschaulichkeit haben: Eine autofreie Stadt wie Hasselt<br />
erzählt genauso eine Geschichte über die Möglichkeit einer anderen Praxis von<br />
Mobilität wie der in eine Fußgängerzone verwandelte Broadway in New York.<br />
Ein Textilunternehmen, das «cradle to cradle» produziert, dokumentiert das<br />
Existieren anderer Möglichkeiten ebenso wie Grameen Shakti, die flächendeckende<br />
Installierung von Solarenergiepanels auf der Basis von Mikrokrediten in<br />
Bangladesch – ein Projekt, das soziale, ökonomische und ökologische Vorteile<br />
kombiniert. Was aber allen Projekten und Initiativen dieser Art einstweilen fehlt,<br />
ist eine umschließende politische Programmatik, die deutlich macht, dass man<br />
es hier mit einem Gegenentwurf zum Dystopia der Wachstumsgesellschaften zu<br />
tun hat. Alle Projekte bilden schon Zukunft, aber eben nicht als bloße Entwürfe,<br />
sondern als gelebte Beispiele. Das politische Problem dieser gelebten Zukunft<br />
ist einstweilen ihre Partikularität, ihre Kleinteiligkeit, die sie als gesellschaftliche<br />
Gegenkraft bislang so unscheinbar macht.<br />
Das ist übrigens der Unterschied zum «Apollo»-Projekt der Nachhaltigkeit,<br />
über das gelegentlich nachgedacht wird: ein Projekt der Umsteuerung, das mit<br />
derselben Emphase und Emotion von der Zivilgesellschaft getragen wird, wie<br />
41