Peter Vonnahme - IALANA
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Quo vadis NATO<br />
Herausforderungen für Demokratie und Recht<br />
26. – 28. April in Bremen<br />
Arbeitsgruppe VII („Medien als Kriegspartei und das Recht“)<br />
Rapporteur: <strong>Peter</strong> <strong>Vonnahme</strong><br />
Richter am Bayer. Verwaltungsgerichtshof i.R.<br />
Krieg ist die eine Seite, die Berichterstattung über ihn ist die andere.<br />
Wie groß die Differenz zwischen beiden ist, lässt sich für den normalen Mediennutzer nur<br />
erahnen. Deshalb bemühte sich die Arbeitsgruppe „Medien als Kriegspartei und das<br />
Recht“ ein realistisches Bild der alltäglichen und absichtsvollen Desinformation über<br />
Kriegsszenarien herauszuarbeiten. Die Kongressveranstalter hatten zu diesem Zweck ein<br />
treffliches Expertenteam eingeladen: den Politikwissenschaftler Prof. Jörg Becker, den<br />
Historiker und Zeitwissenschaftler Dr. Kurt Gritsch, den Theologen und Medienforscher<br />
<strong>Peter</strong> Bürger, die Publizistin Dr. Sabine Kebir sowie die Staats- und Völkerrechtlerin Prof.<br />
Martina Haedrich.<br />
Die im Tagungsprogramm vorgesehene Zeit von zwei Stunden erwies sich angesichts der<br />
Wissensfülle der fünf Referenten als zu knapp bemessen, um das komplexe Thema<br />
angemessen auszuleuchten. Der Moderator der Arbeitsgruppe Marcus Klöckner<br />
(Journalist und Medienkritiker) hatte deshalb von Anfang an die undankbare Aufgabe, die<br />
Referenten auf das ihnen zugedachte Zeitpensum hinzuweisen und die Notwendigkeit von<br />
Kürzungen anzumahnen. Dem Auditorium blieb somit manch kluger Gedanke aus den<br />
vorab ausgearbeiteten Positionspapieren der Referenten vorenthalten. Im Interesse einer<br />
umfassenden Dokumentation des Gedachten werden deshalb die Positionspapiere<br />
diesem Bericht im vollen Wortlaut angefügt.<br />
Eine abschließende Diskussion, die dem vorgetragenen reichen Gedankengut wirklich<br />
gerecht geworden wäre, unterblieb aus Zeitgründen.<br />
Heutzutage ist Kriegsberichterstattung zumeist propagandistische Medienarbeit. Diese<br />
Erkenntnis ist mittlerweile so selbstverständlich in unserem Bewusstsein verankert, dass<br />
sie in keinem Referat einer besonderen Erwähnung für Wert befunden wurde. Gegenstand<br />
der Erörterungen waren somit allein Umfang, Zielrichtung, Methodik und Form der<br />
medialen Verfälschungen.<br />
Angesichts des unausgesprochenen Konsenses bezüglich der Gegenwart war der Hinweis<br />
von Kurt Gritsch überraschend, dass es gesteuerte Kriegsberichterstattung bereits in der<br />
Antike gegeben habe (z.B. bei den Feldzügen Alexanders des Großen, bei der christlichen<br />
Berichterstattung über die Kreuzzüge nach Palästina mit erfundenen oder übertriebenen<br />
Darstellungen muslimischer Gräueltaten).<br />
Eine bis dahin nicht gekannte Ausweitung habe das System der instrumentalisierten<br />
Kriegsberichterstattung im Nationalsozialismus gefunden. Für die Fronberichterstattung<br />
durch elf spezialisierte Propagandakompanien seien nicht weniger als 2.244 Militärs<br />
rekrutiert worden.<br />
Der von den Amerikanern vor allem im Irakkrieg (2003) entwickelte und perfektionierte<br />
„embedded journalism“ stehe somit in einer jahrhundertealten Tradition.<br />
Der sog. CNN-Effekt, d.h. Dauer-live-Reportagen von Kriegsschauplätzen gepaart mit der<br />
Spannung des unmittelbaren Kriegsgeschehens ohne kompetente Interpretation und<br />
Hintergrundberichterstattung, erzeuge beim Zuschauer neben Unterhaltung emotionale<br />
Betroffenheit und Empörung („Emotainment“). Hieraus erwachse Parteinahme zugunsten
der eigenen Streitkräfte.<br />
Jörg Becker betonte in seinem Vortrag, dass die Produktionsmittel sowohl der Medien- als<br />
auch der Kriegstechnologie einem dauernden historischen Wandel unterworfen seien. Im<br />
neoliberalen Wirtschaftssystem von Deregulierung und Privatisierung werde das<br />
öffentliche Gut Journalismus zunehmend durch kommerziell arbeitende Public-Relations-<br />
Agenturen ersetzt. Diese Agenturen seien flexibel: Sowohl Kriegsmarketing als auch das<br />
genaue Gegenteil – sozialer Protest gegen den Krieg – würden marktgerecht angeboten<br />
und an den Meistbietenden verkauft. Bei den Agenturen könne man gewissermaßen<br />
Feindbilder bestellen und dadurch gezielt positive Kriegsstimmung erzeugen. So entstehe<br />
für den Medienkonsumenten eine neue Situation: Feindbildproduktion stehe gegen<br />
differenzierte Wahrnehmung. Deshalb sei heute nicht mehr allein der Inhalt einer<br />
Mediennachricht von Bedeutung. Vielmehr seien auch die gesellschaftlichen Bedingungen<br />
der Medienproduktion und die politisch-ökonomischen Interessen des<br />
Medienunternehmers analytisch zu bewerten.<br />
Auf die Frage, wie der kollektive Ausfall des gesamten Mediensystems zu erklären sei,<br />
meinte Becker, dies sei die Folge des neoliberalen Konzentrationsprozesses in der<br />
Presselandschaft. Dies führe zu einem Verlust an Pluralität. Außerdem spiele für<br />
Redakteure die Gefahr des Arbeitsplatzverlustes und der Druck seitens der<br />
Anzeigeredaktionen eine Rolle (Stichwort: „vorweggenommener Gehorsam“). *<br />
<strong>Peter</strong> Bürger referierte zum Thema „Pentagon und institutionalisierte Kriegs- und<br />
Spielfilmproduktion“. Anhand eines Spielfilmausschnitts verdeutlichte er, wie der Film als<br />
unterhaltsame „Bildermaschine für den Krieg“ wirkt und wie hierdurch Identifikation<br />
zugunsten einer Konfliktpartei erzeugt werden kann („Militainment“). Bürger sieht eine<br />
„institutionalisierte Kooperation von Hollywood und Pentagon“. Das öffentliche<br />
Bewusstsein für diese Steuerungsmöglichkeit sei noch gering ausgeprägt.<br />
Da Kriege im Geist der Menschen entstünden, müsse auch der Frieden im Geist der<br />
Menschen verankert werden. Die real existierende Kultur werde jedoch durch eine<br />
Hegemonie des „massenkulturellen Krieges“ und durch einen „Kult der Waffe“ geprägt.<br />
Diese Massenkultur schaffe Feindbilder, Bedrohungsszenarien und erzeuge überdies ein<br />
positives Militärimage (z. B. Technikfaszination, gesellschaftlicher Aufstiegsmöglichkeiten,<br />
Heldenkult). Außerdem breche die massenmediale Propaganda eine Lanze für ein<br />
vermeintliches Recht auf Angriffshandlungen an jedem Ort des Globus und schaffe<br />
Akzeptanz für Technologien des modernen Krieges. Im Zuge des Neoliberalismus würden<br />
wenige Medienkonzerne das maßgebliche Sortiment der Unterhaltungsindustrie<br />
bestimmen. Das Gegenkonzept einer „Kultur des Friedens“ erschöpfe sich keineswegs mit<br />
dem Genre des sog. Antikriegsfilms.<br />
Die Missachtung rechtsstaatlicher Verfahren sowie die willkürliche Begründung neuer<br />
Rechtsnormen in großen Unterhaltungsproduktionen fordere auch die Rechtswissenschaft<br />
heraus. Anknüpfend an die UN-Charta von 1945 müsse ein „Eros des Völkerrechts“<br />
wachsen.<br />
* zu der Frage übersandte Marcus Klöckner nachträglich eine Stellungnahme; sie ist den „Anlagen“ am Ende<br />
der Referate beigefügt.<br />
Anschließend untersuchte Sabine Kebir am Beispiel des Afghanistankriegs, wie deutsche<br />
Zeitungen („Bild“, ZEIT“ und „taz“) Kriegsszenarien medial bearbeitet haben. Hierbei stehe<br />
der Verleger zunächst vor der Frage, ob er sein Blatt danach ausrichtet, was sich am<br />
Markt am besten verkauft (konkret: eine Haltung für oder gegen den Krieg). Häufig<br />
versuchen Zeitungen jedoch, ihre Leserschaft in eine bestimmte Richtung zu lenken.<br />
„Bild“ habe sich nach dem Großereignis 9-11 für die zweite Variante entschieden. Dabei<br />
habe die Zeitung – im Gegensatz zur Bundesregierung - von Anfang an von „Krieg“<br />
gesprochen. Insofern habe „Bild“ weniger gelogen als die Regierungsbulletins und die
meisten anderen Medien. Weiter sei den Lesern suggeriert worden, dass auch<br />
Deutschland Verantwortung für die Anschläge trage. Hieran sei die Frage geknüpft<br />
worden, ob Deutschland jetzt in den Krieg ziehen müsse. Außerdem sei nicht nur<br />
Afghanistan, sondern auch der Irak als Kriegsziel ins Visier genommen worden.<br />
Diskussionen über Menschen- oder Völkerrecht hätten in der Bildzeitung nicht einmal<br />
ansatzweise stattgefunden. Grundtenor sei frühzeitig gewesen, dass zum Krieg und auch<br />
zur Beteiligung Deutschlands keine Alternativen bestünden.<br />
Im Gegensatz dazu habe die taz mit Rücksicht auf die vorwiegend pazifistisch eingestellte<br />
Leserschaft zunächst eine kriegsskeptische Position eingenommen. Dies sei jedoch zum<br />
Drahtseilakt geworden, als erkennbar geworden sei, dass die GRÜNEN eine deutsche<br />
Kriegsbeteiligung befürworten. Hieraus habe sich eine Doppelstrategie entwickelt,<br />
einerseits empörte Leserbriefe der Kriegsgegner, andererseits realpolitische Positionen.<br />
Die taz trage somit Mitverantwortung für die Umkehrung von Werten der „alten BRD“ wie<br />
dem Grundsatz, dass Deutschland nie wieder Krieg führen dürfe.<br />
Die Eigentümlichkeit der ZEIT bestehe darin, dass bis 2010 pro-kriegerische Beiträge (und<br />
scharfe Kriegskommentare von Josef Joffe) überwogen hätten. Mit sich ankündigender<br />
Abzugsperspektive habe es dann auch vermehrt realistische Reportagen und Analysen<br />
gegeben. Völker- und Menschenrechtsfragen seien – wenn überhaupt - tendenziös<br />
prowestlich gewichtet gewesen.<br />
Abschließend referierte Martina Haedrich zum Thema „Medien als Kriegspartei“ und<br />
widmete sich hierbei insbesondere dem Verbot der Kriegspropaganda in Art. 26 GG<br />
[„Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche<br />
Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges<br />
vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.“]. Zwar sei hier die<br />
Kriegspropaganda nicht ausdrücklich genannt, sie werde von der Norm jedoch erfasst. Der<br />
Begriff der Störung nach Art. 26 GG umfasse neben der eigentlichen Kriegspropaganda<br />
auch das Entfachen nationalen, rassischen oder religiösen Hasses. Das BVerfG habe sich<br />
bisher einer materiellrechtlichen Bewertung enthalten. Martina Haedrich wies auf das<br />
besondere Spannungsverhältnis hin, in dem das Verbot der Kriegspropaganda zum Recht<br />
auf Meinungsfreiheit steht. Abschließend betonte sie, dass Kriegspropaganda kein bloßer<br />
historischer Tatbestand sei, sondern auch ein Thema der Gegenwart. Wörtlich: „Dies zeigt<br />
sich in der aktuellen, mit humanistischer Rhetorik verbrämten Propaganda für militärische<br />
Interventionen.“<br />
Wie bereits oben angedeutet, war aus Zeitgründen eine angemessene<br />
Abschlussdiskussion nicht mehr möglich. Bemerkenswert ist jedoch die lapidare Äußerung<br />
eines jungen Kongressteilnehmers im Anschluss an die negativen Einschätzungen der<br />
Medien durch die Referenten. Er sagte schnörkellos: „Die Presse muss sterben“ und auf<br />
verwunderte Nachfragen aus dem Zuhörerkreis: „Was bringt sie denn Es stimmt ohnehin<br />
nichts…“<br />
Der junge Mann war mutmaßlich ein Vertreter der „Generation Internet“.<br />
Seine provokante Unmutsäußerung war zumindest für den Rapporteur Anlass zu einem<br />
vertieften Nachdenken.<br />
Dabei ergab sich u.a. folgender zusätzlicher Befund: Gute Medienarbeit zeigt sich nicht<br />
nur an der sachlichen Richtigkeit der veröffentlichten Meldungen, sondern auch an deren<br />
angemessenen Gewichtung. Das gilt selbstredend auch für die Kriegsberichterstattung<br />
und zwar sowohl für Berichte über „klassische Kriege“ als auch für Berichte über den sog.<br />
„war on terror“. Hieraus folgt, dass nicht nur über vermeintliche Erfolge, sondern auch über<br />
Opferzahlen der Kriege korrekt berichtet werden muss. Es wirft ein fahles Licht auf die<br />
Werthaltigkeit von Medienarbeit, wenn sie Verluste der einen („eigenen“) Kriegspartei mit
seitenlangen Berichten und Betroffenheitskommentaren würdigt, über den sehr viel<br />
höheren Blutzoll der zum Kriegsschauplatz gewordenen Länder aber nur sporadisch,<br />
teilnahmslos gar mit geschönten Zahlen berichtet. Das Unbehagen an derartigen<br />
Fehlgewichtungen spiegelt sich schlaglichtartig in einem Blogbeitrag wider, der mich kurz<br />
vor der Abreise zum <strong>IALANA</strong>-Kongress erreichte:<br />
„Alle Nachrichtenkanäle sind voll von der Berichterstattung über das Attentat von gestern [Boston-<br />
Marathon]. Es ist tragisch und schrecklich, dass so etwas bei einer Sportveranstaltung geschehen<br />
kann. Darüber muß berichtet werden.<br />
Eine Studie der IPPNW (International Physicians for the Prevention of Nuclear War) kommt zu dem<br />
Ergebnis, daß seit dem Beginn des „Krieges gegen den Terror“ etwa 1.7 Millionen Zivilisten getötet<br />
wurden, über 1.5 Millionen im Irak, 100.000 in Afghanistan, 63.000 in Pakistan. Es waren Menschen,<br />
die keine Schuld an den Attentaten vom 11. September 2001 hatten. Von einer objektiven und<br />
kontinuierlichen Berichterstattung über Kriege kann keine Rede sein. ...“<br />
Vielleicht sollte man deshalb den Spontaneinwurf des jungen Kongressteilnehmers nicht<br />
vorschnell abtun. Denn er legte die Hand in eine offene Wunde. Das zumindest hat die<br />
Arbeitsgruppe deutlich gemacht.<br />
PV<br />
(abgeschlossen 11.5.2013)