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Grundeinkommen – Bedingung der Möglichkeit von ... - Streifzüge

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10 ERICH RIBOLITS,GRUNDEINKOMMEN<br />

zum Thema <strong>von</strong> Bildung gemacht, son<strong>der</strong>n<br />

systematisch ausgeblendet wird,gerät<br />

das,was zwar weiterhin Bildung heißt,zur<br />

bloßen Legitimation bürgerlicher Vormachtstellung<br />

und wirkt letztlich entmündigend.<br />

Erst in den 1960er Jahren wurde <strong>der</strong><br />

politische Anspruch <strong>der</strong> Bildungsidee<br />

wie<strong>der</strong> verstärkt eingefor<strong>der</strong>t.Von einer<br />

Reihe namhafter Vertreter <strong>der</strong> Bildungswissenschaft<br />

wurde die zur pädagogischen<br />

Pathosformel geronnene Phrase<br />

vom mündigen Menschen in die gesellschaftspolitische<br />

Pflicht genommen und<br />

<strong>der</strong> gebildete Mensch als jemand definiert,<br />

<strong>der</strong> gesellschaftliche Domestizierung<br />

radikal hinterfragt und im Bewusstsein<br />

seiner potentiellen Freiheit <strong>der</strong>en gesellschaftliche<br />

Umsetzung einfor<strong>der</strong>t.Bildung<br />

zielt in diesem Sinn auf den Menschen,<br />

<strong>der</strong> sich nicht mit <strong>der</strong> individuellen<br />

Veredelung seiner selbst <strong>–</strong> unbeschadet<br />

<strong>von</strong> gesellschaftlichen Rahmenbedingungen<br />

<strong>–</strong> begnügt, son<strong>der</strong>n sich dem<br />

allumfassenden Verwertungsdiktat <strong>der</strong><br />

bürgerlichen Gesellschaft selbstbewusst<br />

entgegenstellt.<br />

Dieses Aufflackern des an Emanzipation<br />

und (politischer) Mündigkeit orientierten<br />

Bildungsbegriffs war allerdings<br />

bloß ein vorübergehendes Phänomen.<br />

Heute ist Bildung sowohl in ihrer theoretischen<br />

Rezeption als auch in ihrer praktischen<br />

Umsetzung weitgehend dem Status<br />

quo untergeordnet; sie gilt fast ausschließlich<br />

als eine Funktion ökonomischer<br />

Prozesse.Verstanden wird darunter<br />

ein Lernen,das den Einzelnen für ökonomische<br />

Prozesse brauchbar macht und ihn<br />

befähigt seine Konkurrenten kraft beson<strong>der</strong>er<br />

Verwertbarkeit auszustechen.Sie soll<br />

helfen für seine Arbeitskraft einen hohen<br />

Marktwert zu erzielen und <strong>der</strong> Attraktivität<br />

des jeweiligen Wirtschaftsstandortes<br />

zuzuarbeiten.Von einer Bildung, die an<br />

<strong>der</strong> Würde des Menschen orientiert ist<br />

und ihn in die Lage versetzt,über den Tellerrand<br />

des Status quo hinauszublicken<br />

und <strong>Bedingung</strong>en des Lebens einzufor<strong>der</strong>n,die<br />

das jeweils mögliche Höchstmaß<br />

an Freiheit für alle ermöglichen, ist kaum<br />

mehr je die Rede.<br />

Bildung gilt heute als ein Element des<br />

allgemeinen Kampfes jede/r gegen jede/n<br />

<strong>–</strong> eines Kampfes, in dem <strong>der</strong> Erfolg des<br />

einen nur zu haben ist, um den Preis <strong>der</strong><br />

Nie<strong>der</strong>lage des an<strong>der</strong>en.Der Erfolg in diesem<br />

zum Wettbewerb schöngeredeten<br />

Krieg mit ökonomischen Mitteln bemisst<br />

sich einzig und allein an <strong>der</strong> Zahl <strong>der</strong> aus<br />

dem Feld geschlagenen Konkurrent/innen.<br />

In diesem Konkurrenzkampf<br />

kommt es überhaupt nicht darauf an, was<br />

jemand macht, son<strong>der</strong>n nur darauf, wie<br />

gut sich das, was er macht, als Ware am<br />

Markt verkaufen lässt. Und im Gegensatz<br />

zur weit verbreiteten Vorstellung setzen<br />

sich dabei auch nicht die Besten durch,<br />

son<strong>der</strong>n die Skrupellosesten, nämlich<br />

jene,die die „Künste <strong>der</strong> Marktbeeinflussung“<br />

am kaltblütigsten einzusetzen bereit<br />

sind.<br />

Aufbauend auf diese kurze Revue <strong>der</strong><br />

Bildungsgeschichte ließe sich also durchaus<br />

<strong>der</strong> Schluss ziehen,dass die For<strong>der</strong>ung<br />

nach einer materiellen Grundsicherung<br />

für alle einen engen Konnex zu emanzipatorischen<br />

Bildungsvorstellungen hat.<br />

Zum einen <strong>–</strong> so könnte man meinen <strong>–</strong><br />

wird damit <strong>der</strong> unerbittliche und allgegenwärtige<br />

Zwang, die eigene Haut zum<br />

Arbeitsmarkt tragen zu müssen,gemil<strong>der</strong>t<br />

und damit ein gewisses Maß an gesellschaftlicher<br />

Freiheit verwirklicht. Zum<br />

an<strong>der</strong>en suggeriert die Idee, dass dadurch<br />

auch das Lernen zumindest zum Teil wie<strong>der</strong><br />

<strong>von</strong> seiner Anbindung an die Verwertbarkeitsprämisse<br />

befreit würde; es bestünde<br />

quasi die Chance, die gewonnene<br />

Freiheit dafür zu nützen, Lernen zumindest<br />

fallweise wie<strong>der</strong> unter dem Anspruch<br />

einer Bildung stattfinden zu lassen,die zur<br />

Transformation <strong>der</strong> gesellschaftlichen Zustände<br />

in Richtung <strong>von</strong> mehr Humanität<br />

beiträgt.<br />

Sich mit <strong>der</strong> kapitalistischen<br />

Verwertungsprämisse arrangieren?<br />

Wie schon eingangs erwähnt, verbinden<br />

in diesem Sinn viele Befürworter mit dem<br />

<strong>Grundeinkommen</strong> auch die Hoffnung,<br />

dass seine Einführung nachhaltige Verän<strong>der</strong>ungen<br />

des politisch-ökonomischen<br />

Systems initiieren würde.Auf das <strong>Grundeinkommen</strong><br />

gestützt <strong>–</strong> so die Erwartung <strong>–</strong><br />

könnten sich Subkulturen eines Lebens<br />

jenseits <strong>der</strong> Verwertung in Arbeit und<br />

Konsum entwickeln;Enklaven und Keimzellen<br />

des guten Lebens,aus denen heraus<br />

es gelingen könnte, die aktuellen gesellschaftlichen<br />

Prämissen zu konterkarieren<br />

und letztendlich zu kippen.Diese Vorstellung<br />

wird <strong>von</strong> einer, m.E. äußerst hinterfragenswerten<br />

Annahme getragen: dass es<br />

möglich sei, die Welt mit dem Geld <strong>der</strong>er<br />

zu verän<strong>der</strong>n, die daran interessiert sind,<br />

dass sie so wie bisher weiterfunktioniert.<br />

Die For<strong>der</strong>ung nach einem <strong>Grundeinkommen</strong><br />

fußt letztendlich auf <strong>der</strong> Hoffnung,<br />

sich mit <strong>der</strong> kapitalistischen Verwertungsprämisse<br />

arrangieren zu können.<br />

Die <strong>Grundeinkommen</strong>sbefürworter nehmen<br />

zwar zur Kenntnis, dass dem Kapi-<br />

talismus seine Verwertungspotenz für<br />

menschliche Arbeitskraft <strong>der</strong>zeit in rasch<br />

anwachsendem Maß abhanden kommt<br />

und es deshalb heute ziemlich sinnlos ist,<br />

um neue Arbeitsplätze zu betteln.Allerdings<br />

wird <strong>von</strong> ihnen die weit verbreitete<br />

Illusion <strong>der</strong> ewig weitergehenden Verwertung<br />

menschlicher Arbeitskraft durch<br />

die Vorstellung ersetzt, dass <strong>der</strong> Kapitalismus<br />

ja auch noch recht gut auf seinem<br />

zweiten Verwertungsbein <strong>–</strong> <strong>der</strong> Verwertung<br />

<strong>der</strong> Menschen als Konsumenten <strong>–</strong><br />

weiter durch die Welt humpeln könne.<br />

Das Geld dafür müsste man den potenziellen<br />

Konsument/innen nur zustecken,<br />

indem man es vorher vom vorgeblich im<br />

Überfluss vorhandenen Reichtum abgezweigt<br />

hat.<br />

In dieser Argumentation werden zwei<br />

Reichtumsdimensionen kapitalistischer<br />

Gesellschaften vermengt,die tatsächlich in<br />

keiner direkten Beziehung stehen <strong>–</strong> <strong>der</strong><br />

Überfluss an Gebrauchswerten und <strong>der</strong><br />

Reichtum an Geld. Während <strong>der</strong> Gebrauchswertreichtum<br />

dem historischen<br />

Stand <strong>der</strong> Produktivkraftentwicklung geschuldet<br />

ist,steht und fällt <strong>der</strong> Überfluss an<br />

Geldvermögen <strong>–</strong> <strong>von</strong> dem die Befürworter<br />

des <strong>Grundeinkommen</strong>s gerne etwas<br />

abzweigen möchten <strong>–</strong> mit dem auf <strong>der</strong><br />

Verwertung <strong>von</strong> allem und jedem/je<strong>der</strong><br />

beruhenden ökonomischen System. Das<br />

vorhandene Geldvermögen ist nicht ein<br />

Korrelat des Reichtums an Gebrauchswerten,<br />

son<strong>der</strong>n bloß eines <strong>der</strong> aktuellen<br />

Verwertungssituation. Wird diese allerdings<br />

unterlaufen <strong>–</strong> indem zum Beispiel<br />

Menschen,<strong>der</strong>en Arbeitskraft unverwertbar<br />

geworden ist, qua <strong>Grundeinkommen</strong><br />

ermöglicht wird, trotzdem am sachlichen<br />

Reichtum mitzunaschen <strong>–</strong>, verflüchtigt<br />

sich <strong>der</strong> Geldreichtum in einer ähnlichen<br />

Form, wie im Märchen die Goldstücke<br />

beim Verlassen des magischen Raums zu<br />

wertlosen Rossknödeln werden.<br />

Somit kann die <strong>Grundeinkommen</strong>sfor<strong>der</strong>ung<br />

gar nicht quer zum geltenden<br />

politisch-ökonomischen Status quo stehen.<br />

Sie befindet sich in einem geradezu<br />

fatalen Konsens mit jener Ökonomie,<br />

<strong>der</strong>en Grundprämisse die Verwandlung<br />

<strong>von</strong> Geld in mehr Geld ist <strong>–</strong> ja sie setzt<br />

sogar <strong>der</strong>en prinzipielles „gutes“ Weiterfunktionieren<br />

voraus. Denn jenes Geld,<br />

mit dem das gefor<strong>der</strong>te <strong>Grundeinkommen</strong><br />

finanziert werden soll, könnte ja nur<br />

hereinkommen, indem <strong>von</strong> den Löhnen<br />

und Profiten, die in gelingenden Verwertungsprozessen<br />

lukriert werden,ein wenig<br />

abgezweigt würde.Die Befürworter eines<br />

<strong>Grundeinkommen</strong>s gehen somit <strong>–</strong> meist<br />

wohl ohne sich dessen bewusst zu sein und<br />

<strong>Streifzüge</strong> Nr. 38/November 2006

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