Wolfgang Herrndorf Tschick - Fuxx-online.de
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<strong>Wolfgang</strong> <strong>Herrndorf</strong><br />
<strong>Tschick</strong><br />
Roman<br />
Mutter im Entzug, Vater mit junger Geliebter auf Geschäftsreise. Und Maik allein zu<br />
Hause, in <strong>de</strong>r elterlichen Villa. Es ist <strong>de</strong>r erste Tag <strong>de</strong>r Sommerferien. Mit <strong>Tschick</strong>, einem<br />
Deutschrussen aus <strong>de</strong>n Hellersdorfer Asi-Hochhäusern, kreuzt Maik in einem gestohlenen<br />
Lada bei <strong>de</strong>r Geburtstagsfete von Tatjana auf, in die er unsterblich verliebt ist. Danach<br />
rasen sie durch die sonnenglühen<strong>de</strong> <strong>de</strong>utsche Provinz, immer weiter Richtung Südosten,<br />
in die Walachei, wo <strong>Tschick</strong>s Vater wohnt …<br />
<strong>Wolfgang</strong> <strong>Herrndorf</strong>, 1965 in Hamburg geboren, hat Malerei studiert und unter an<strong>de</strong>rem<br />
für die Titanic gezeichnet. 2002 erschien sein Debütroman In Plüschgewittern, für <strong>de</strong>n ihn<br />
Joachim Lottmann zum «Altmeister <strong>de</strong>r Popliteratur» kürte. Im Jahr 2008 wur<strong>de</strong> er für<br />
Diesseits <strong>de</strong>s Van-Allen- Gürtels mit <strong>de</strong>m Deutschen Erzählerpreis ausgezeichnet.<br />
<strong>Wolfgang</strong> <strong>Herrndorf</strong><br />
<strong>Tschick</strong><br />
Roman<br />
Originalausgabe<br />
256 Seiten. Gebun<strong>de</strong>n<br />
€ (D) 16,95/ € (AT) 17,50/ sFr 25,90<br />
ISBN: 978-3-87134-710-8<br />
Erstverkaufstag: 17.09.2010<br />
Für weitere Informationen und Kontakt:<br />
Nora Gottschalk ▪ Rowohlt Verlage ▪ Presseabteilung<br />
Telefon: 040 / 72 72-359 ▪ Fax: -395 ▪ E-Mail: nora.gottschalk@rowohlt.<strong>de</strong>
Buchkritik: <strong>Wolfgang</strong> <strong>Herrndorf</strong>: <strong>Tschick</strong> - Kultur - Tagesspiegel<br />
http://www.tagesspiegel.<strong>de</strong>/kultur/wolfgang-herrndorf-tschick/1956422.htmlview=pr...<br />
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18.10.2010<br />
http://www.tagesspiegel.<strong>de</strong>/kultur/wolfgang-herrndorf-tschick/1956422.html<br />
13.10.2010 21:43 Uhr | Von Gerrit Bartels<br />
Buchkritik<br />
<strong>Wolfgang</strong> <strong>Herrndorf</strong>: <strong>Tschick</strong><br />
Endkomischer Roadroman: "<strong>Tschick</strong>" von <strong>Wolfgang</strong> <strong>Herrndorf</strong> setzt genau<br />
das um, was <strong>de</strong>r Autor vom Schreiben erwartet. "Es muss einen packen",<br />
meint er.<br />
Hand aufs Herz: Wann haben Sie das letzte Mal Worte wie „vollgeschifft“, „endgestört“,<br />
„endbescheuert“, „Dackelgesicht“ o<strong>de</strong>r „Arsch offen“ in einem literarischen Text gelesen<br />
Und sich dabei köstlich amüsiert, gera<strong>de</strong>zu kaputtgelacht, nicht allein <strong>de</strong>r Wortwahl<br />
wegen, son<strong>de</strong>rn weil dieser Text zu<strong>de</strong>m voller großartiger Situationskomik steckt Schon<br />
lange nicht mehr, gar noch nie<br />
Dann sollten Sie sich sofort <strong>Wolfgang</strong> <strong>Herrndorf</strong>s Roman „<strong>Tschick</strong>“ besorgen, <strong>de</strong>r von<br />
Anfang bis En<strong>de</strong> ein großer literarischer Spaß ist. <strong>Herrndorf</strong> erzählt darin, wie zwei<br />
Achtklässler sich in <strong>de</strong>n ersten Tagen <strong>de</strong>r Sommerferien mit einem gestohlenen blauen<br />
Lada auf <strong>de</strong>m Weg in die Walachei machen, die eben nicht nur ein Wort ist, wie <strong>de</strong>r eine<br />
<strong>de</strong>nkt, und von ihm aus auch „Jottweh<strong>de</strong>h“ o<strong>de</strong>r „Dingenskirchen“ heißen könnte, son<strong>de</strong>rn<br />
die real existieren<strong>de</strong> Walachei in Rumänien. Dort kommt <strong>de</strong>r Großvater <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren <strong>de</strong>r<br />
bei<strong>de</strong>n Jungen her, <strong>de</strong>r <strong>Herrndorf</strong>s Roman seinen Titel gegeben hat: <strong>Tschick</strong>, <strong>de</strong>r<br />
eigentlich Andrej Tschischaroff heißt, ein Russland<strong>de</strong>utscher aus Rostow, <strong>de</strong>r seine<br />
Familie überall in Osteuropa sitzen hat und nun als Spätaussiedler in einem Hellersdorfer<br />
Plattenbauviertel wohnt.<br />
In <strong>de</strong>r Schule lernt <strong>Tschick</strong> Maik Klingenberg kennen, <strong>Herrndorf</strong>s Ich-Erzähler, auch<br />
„Maiki“ o<strong>de</strong>r „Psycho“ genannt. Maik gilt trotz seines Spitznamens als langweilig, hat<br />
keine Freun<strong>de</strong> in seiner Klasse und stammt aus einem zwar gutbürgerlichen,<br />
wohlsituierten, aber kaputten Haushalt. Die Mutter macht regelmäßig in einer von ihr<br />
„Beautyfarm“ genannten Klinik Alkoholentzugskuren, <strong>de</strong>r Vater geht in diesem Sommer<br />
mit seiner jungen Geliebten Mona auf Geschäftsreise. Was liegt da für Maik Klingenberg<br />
näher, als sich <strong>Tschick</strong> anzuschließen Was näher, als erst bei einer Klassenparty, auf <strong>de</strong>r<br />
sie bei<strong>de</strong> nicht eingela<strong>de</strong>n sind, einen großen Auftritt hinzulegen (mit Lada, Kickstart, 180<br />
-Grad-Volldrehung, versteht sich) und sich danach auf <strong>de</strong>n Weg durch die ost<strong>de</strong>utsche<br />
Provinz in die Walachei zu machen Dass sie dort nie ankommen, weiß man schon zu<br />
Beginn, da <strong>de</strong>r Roman einsetzt und Maik in einer Klinik von einem Arzt nach seinen<br />
Verletzungen befragt wird. Die Reise hat es aber auch so in sich, <strong>de</strong>nn was Maik und
Buchkritik: <strong>Wolfgang</strong> <strong>Herrndorf</strong>: <strong>Tschick</strong> - Kultur - Tagesspiegel<br />
http://www.tagesspiegel.<strong>de</strong>/kultur/wolfgang-herrndorf-tschick/1956422.htmlview=pr...<br />
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18.10.2010<br />
<strong>Tschick</strong> erleben, ist komisch, skurril und aufregend genug. Auf Müllkippen suchen sie<br />
nach Schläuchen, um sich Benzin zu besorgen; sie sind bei einer netten Familie zum Essen<br />
und müssen ein Wissensquiz für <strong>de</strong>n größten Nachtisch absolvieren. O<strong>de</strong>r sie kommen<br />
einer min<strong>de</strong>stens zweihun<strong>de</strong>rt Kilo schweren Sprachtherapeutin ins Gehege.<br />
„<strong>Tschick</strong>“ ist Jugendroman und Roadmovie zugleich, er erinnert mal an Thomas Klupps<br />
Roman „Paradiso“ (nur dass Maik und <strong>Tschick</strong> viel sympathischer sind als Klupps Held),<br />
mal an Jonathan Safran Foers „Alles ist erleuchtet“ (nur ohne historische<br />
Übercodierungen).<br />
Am erstaunlichsten ist, wie <strong>Wolfgang</strong> <strong>Herrndorf</strong> seinen Hel<strong>de</strong>n aufs Maul zu schauen<br />
vermag, wie er ihre Sprache spricht: eben die von zwei pubertieren<strong>de</strong>n Jugendlichen, siehe<br />
oben, ohne dass es je aufdringlich o<strong>de</strong>r peinlich wird. Da stimmen die Dialoge, da ist Maik<br />
<strong>de</strong>r überzeugend junge Erzähler, <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Autor mit seinem Wissen- und<br />
Erfahrungsvorsprung nie in die Quere kommt. „Authentisch“ wäre das richtige Wort,<br />
wür<strong>de</strong> es nicht ver<strong>de</strong>cken, dass <strong>Herrndorf</strong> ein großer Stilist ist und ein blen<strong>de</strong>nd<br />
aufgelegter Stoffgestalter sowieso.<br />
Bewiesen hat das <strong>de</strong>r 1965 in Hamburg geborene und schwer kranke, in Berlin leben<strong>de</strong><br />
Autor schon mit seinen vorherigen Büchern „In Plüschgewittern“, einer Art verspätetem<br />
Pop-Roman, und <strong>de</strong>r Erzählungssammlung „Diesseits <strong>de</strong>s Van-Allen-Gürtels“. Darin ließ<br />
er seine leicht angeknacksten, zumeist unbeteiligt und empfindungslos wirken<strong>de</strong>n Hel<strong>de</strong>n<br />
entwe<strong>de</strong>r in Berlin o<strong>de</strong>r im Bran<strong>de</strong>nburger Umland umherirren, immer auf <strong>de</strong>r Suche<br />
nach, ja: nach eigentlich gar nichts, son<strong>de</strong>rn einfach so.<br />
Maiki und <strong>Tschick</strong> passen gut in diese Hel<strong>de</strong>nreihe. Allerdings läuft in „<strong>Tschick</strong>“ bei allem<br />
Witz, all <strong>de</strong>n komischen Dialogen und herrlichen Szenen stets eine zweite Tonspur mit.<br />
Darauf erklingen Lie<strong>de</strong>r von Einsamkeit, Außenseitertum, Freundschaft, erster Liebe, und<br />
da zeigt sich <strong>Herrndorf</strong>s Einfühlungsvermögen genauso gut.<br />
Mit „<strong>Tschick</strong>“ hat <strong>Herrndorf</strong> perfekt umgesetzt, was er vor Jahren einmal über sein<br />
Schreiben gesagt hat: „Ich möchte die Bücher schreiben, die ich selber gerne lese, im<br />
Grun<strong>de</strong> ist das Unterhaltungsliteratur. Vladimir Nabokov hat einmal gesagt, gute Literatur<br />
erkenne man daran, dass es einem kalt <strong>de</strong>n Rücken runterläuft. So muss es sein! Der<br />
ganze Mist, <strong>de</strong>n Literaturkritiker schreiben, so Nabokov, könne man vergessen, es komme<br />
nur darauf an, dass es einen erwischt, kalt erwischt. Genau, so ist das.“<br />
<strong>Wolfgang</strong><br />
<strong>Herrndorf</strong>: <strong>Tschick</strong>.<br />
Roman. Rowohlt<br />
Verlag, Reinbek 2010.
Presseabteilung<br />
Datum:<br />
13/14.11.2010<br />
Abenteuerreise ins eigene Leben<br />
Zwei Vierzehnjährige und ein Sommer: <strong>Wolfgang</strong> <strong>Herrndorf</strong>s großartiger<br />
Roman „<strong>Tschick</strong>“<br />
Von Ulrich Rü<strong>de</strong>nauer<br />
Vierzehnjährige Jungs sind nicht zu benei<strong>de</strong>n. Die Schule ist ein Ort grenzenloser Fadheit. Das<br />
Alter gebietet Coolness, dabei hat man schon genug damit zu tun, aus <strong>de</strong>m Kin<strong>de</strong>rkörper<br />
herauszuwachsen. Fantasien von unerreichbaren Mädchen sprießen wie Pickel. Wenn <strong>de</strong>r Vater<br />
zwar nett ist, aber ein bisschen überfor<strong>de</strong>rt, und die Mutter je<strong>de</strong>s Jahr eine „Schönheitsfarm“<br />
besucht – das innerfamiliäre Co<strong>de</strong>wort für eine Alkoholentzugsklinik –, dann hat man das große<br />
Los gezogen.<br />
So einer ist Maik Klingenberg, von <strong>de</strong>n Schulkamera<strong>de</strong>n kaum beachtet, schon gar nicht von<br />
Tatjana, <strong>de</strong>m schönsten Mädchen <strong>de</strong>r Klasse. Sie veranstaltet an ihrem 14. Geburtstag eine<br />
Riesenfeier – Maik ist natürlich nicht eingela<strong>de</strong>n. Auch <strong>de</strong>r neue Mitschüler, ein Russland<strong>de</strong>utscher,<br />
„<strong>Tschick</strong>“ genannt, steht ohne Einladung da. Ihm scheint das allerdings wenig auszumachen.<br />
<strong>Tschick</strong> ist tatsächlich cool. Meistens kommt er zu spät zum Unterricht, und dann nicht selten mit<br />
einer Fahne, die man 100 Meter gegen <strong>de</strong>n Wind riechen kann. Er kokettiert mit angeblichen<br />
Verbindungen zur Russenmafia, was ihm auf gewisse Weise Unangreifbarkeit beschert. Maik und<br />
<strong>Tschick</strong> – zwei Jungs in Pubertätsnöten, die das beste aus ihrem Außenseitertum machen wollen.<br />
Je<strong>de</strong>nfalls in diesem Sommer.<br />
„<strong>Tschick</strong>“ heißt <strong>Wolfgang</strong> <strong>Herrndorf</strong>s großartiger Roman, <strong>de</strong>r richtig in Fahrt kommt, als seine<br />
bei<strong>de</strong>n Hel<strong>de</strong>n in einem geklauten Lada von Berlin aus Richtung Walachei aufbrechen und durch<br />
<strong>de</strong>n Osten Deutschlands fahren wie Huckleberry Finn einst durch <strong>de</strong>n Sü<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r USA. Es ist eine<br />
Abenteuerreise ins eigene Leben: Da brechen zwei auf, weil sie ahnen, dass es so etwas wie Glück<br />
o<strong>de</strong>r Freiheit geben könnte und tun das, obwohl es gegen alle Regeln verstößt und gefährlich ist.<br />
Wie <strong>Herrndorf</strong> das erzählt, mit einer Sprache, die sich keinem Jugendslang anbie<strong>de</strong>rt und doch ganz<br />
nah dran zu sein scheint am Denken und Fühlen seiner Hel<strong>de</strong>n, mit schnod<strong>de</strong>riger Kunstsprache,<br />
nach <strong>de</strong>r man süchtig wer<strong>de</strong>n kann, das ist brillant.<br />
Fremd und ungesehen<br />
Und was er erzählt, ist es ebenfalls: Auf ihrer romantischen Irrfahrt durch <strong>de</strong>n Osten kommen Maik<br />
und <strong>Tschick</strong> in absur<strong>de</strong>ste Situationen, treffen die merkwürdigsten Menschen und fin<strong>de</strong>n sich in<br />
unwirklichsten Landschaften wie<strong>de</strong>r. Natürlich gibt es das alles. Aber <strong>Herrndorf</strong>, <strong>de</strong>r schon mit „In<br />
Plüschgewittern“ und „Diesseits <strong>de</strong>s Van-Allen-Gürtels“ glänzte und viel zu wenig Beachtung<br />
gefun<strong>de</strong>n hat, erschafft es durch die Augen seiner Figuren ganz neu, macht es immer ein bisschen<br />
fremd und ungesehen: eine Müll<strong>de</strong>ponie, auf <strong>de</strong>r Maik und <strong>Tschick</strong> ein nerviges und zugleich<br />
feenhaftes Mädchen über <strong>de</strong>n Weg läuft; ein verlassenes Dorf im Braunkohlerevier; Wäl<strong>de</strong>r, die aus<br />
Grimmschen Märchen in die Gegenwart versetzt sind.<br />
1/2
Presseabteilung<br />
Datum:<br />
13/14.11.2010<br />
Das ist lustig, charmant und anrührend, manchmal zum Brüllen komisch, weil es die Wi<strong>de</strong>rsprüche<br />
<strong>de</strong>s Jungseins so wun<strong>de</strong>rbar durchspielt. Gleichwohl steckt immer etwas Melancholisches in dieser<br />
Deutschlandreise: Denn es ist natürlich ein Rite <strong>de</strong> Passage, eine Verwandlung geht mit <strong>de</strong>n Hel<strong>de</strong>n<br />
vor sich. Man kann das Erwachsenwer<strong>de</strong>n nennen, aber das klänge zu banal. Die Hel<strong>de</strong>n lernen,<br />
dass sie für sich und einan<strong>de</strong>r einstehen müssen – und dass es Verbun<strong>de</strong>nheit und sogar Liebe geben<br />
kann, die nichts mit <strong>de</strong>m Second-Hand-Gefühl von Vorabendserien zu tun hat. Und das wichtigste<br />
und nie<strong>de</strong>rschmetterndste: Sie erfahren, dass alles endlich ist, dass auch dieser Sommer vorbeigehen<br />
wird.<br />
Einmal begegnen sie einer Seniorenreisegruppe, und Maik fragt sich, warum aus allen Leuten<br />
„beige Rentner“ wer<strong>de</strong>n. „Ein paar wer<strong>de</strong>n auch damals schon ö<strong>de</strong> und hässlich gewesen sein. Aber<br />
auch die Ö<strong>de</strong>n und Hässlichen haben mit ihrem Leben wahrscheinlich mal was vorgehabt, die<br />
hatten sicher auch Pläne für die Zukunft. Und auch die ganz Normalen hatten Pläne für die Zukunft,<br />
und was garantiert nicht in diesen Plänen stand, war, sich in beige Rentner zu verwan<strong>de</strong>ln.“ Immer<br />
wie<strong>de</strong>r, ganz behutsam erzählt, gelangen die Figuren an solche Punkte, an <strong>de</strong>nen ein Stoppschild<br />
steht – wo das Verständnis aufhört, weil es um Unaussprechliches geht, um die Einsamkeit und um<br />
<strong>de</strong>n Tod. Und darum, wie man trotz<strong>de</strong>m sein Leben in die Hand nehmen kann.<br />
Lei<strong>de</strong>r en<strong>de</strong>t dieser Roman. Wenn man mit <strong>Herrndorf</strong>s Hel<strong>de</strong>n einmal im klapprigen Lada<br />
aufgebrochen ist, möchte man am liebsten immer weiterfahren.<br />
<strong>Wolfgang</strong> <strong>Herrndorf</strong>: <strong>Tschick</strong>. Roman. Rowohlt Berlin. 254 Seiten. 16,95 Euro.<br />
2/2
Presseabteilung<br />
Deutschlandradio Kultur<br />
Datum:<br />
29.09.2010<br />
Deutschlandradio Kultur<br />
Radiofeuilleton/Kritik<br />
29.09.10 – 14.33 Uhr<br />
Rezensent: Jörg Magenau<br />
Bei einer bestimmten Sorte Bücher schreiben Rezensenten so verlässlich wie einfallslos: Salinger,<br />
Fänger im Roggen, Hol<strong>de</strong>n Caulfield. Das wie<strong>de</strong>rholt sich bei allen Romanen <strong>de</strong>r Marke<br />
jugendlicher Außenseiter und immer dann, wenn coole Jungen vorkommen, die emotional ein<br />
wenig vernachlässigt sind, so dass wir Leser sie umso mehr lieben müssen aus Grün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r<br />
Wie<strong>de</strong>rgutmachung. Lassen wir das also mit <strong>de</strong>m „Fänger im Roggen“, auch wenn’s nicht falsch<br />
wäre, und schreiben statt<strong>de</strong>ssen: <strong>Herrndorf</strong>, <strong>Tschick</strong>, Maik Klingenburg. Das sollte reichen für die<br />
Zukunft, zumal schon bei <strong>Herrndorf</strong>s Debüt „In Plüschgewittern“ (2002) mächtig herumgesalingert<br />
wor<strong>de</strong>n ist.<br />
Maik ist Vierzehn und stammt, wie <strong>de</strong>r Name schon sagt, aus Berlin Marzahn. In seiner Klasse<br />
hieß er vorübergehend „Psycho“, weil er in einem Aufsatz über seine Mutter <strong>de</strong>ren wie<strong>de</strong>rholte<br />
Ausflüge in die „Beautyfarm“ schil<strong>de</strong>rte, die in Wirklichkeit Entziehungskuren sind. Da er aber in<br />
<strong>de</strong>r Schule als eher langweilig gilt o<strong>de</strong>r sich zumin<strong>de</strong>st so fühlt, blieb auch <strong>de</strong>r Spitzname nicht an<br />
ihm haften. Erst als <strong>de</strong>r Russe „<strong>Tschick</strong>“ in <strong>de</strong>r Klasse auftaucht – mit Alkoholfahne und<br />
<strong>de</strong>monstrativem Desinteresse – verän<strong>de</strong>rt sich die Ausgangslage. <strong>Tschick</strong> steht zu Ferienbeginn in<br />
einem gestohlenen Lada bei Maik vor <strong>de</strong>r Tür, um ihn aus seiner Einsamkeit zu erlösen. Denn die<br />
Mutter ist mal wie<strong>de</strong>r auf Beauty, <strong>de</strong>r Vater mit einer „Assistentin“ auf „Geschäftsreise“. Da ist es<br />
doch nur recht und billig, wenn die bei<strong>de</strong>n sich nun auch aufmachen: erst zu <strong>de</strong>r schönen Tatjana,<br />
in die Maik sinnlos verliebt ist und die ausgerechnet ihn nicht zu ihrem Geburtstagsfest eingela<strong>de</strong>n<br />
hat, und dann ab in die Walachei, <strong>de</strong>nn die gibt es, wie <strong>Tschick</strong> versichert, im Unterschied zu<br />
Pampa und Jottwe<strong>de</strong> wirklich, irgendwo im Südosten.<br />
Was folgt, ist eine Road-Novel, die so grotesk, traurig, dramatisch und <strong>de</strong>rmaßen komisch ist, dass<br />
man vor Lachen oft gar nicht weiterlesen kann, aber doch unbedingt muss – weil spannend ist es<br />
auch. Den Film, <strong>de</strong>r ganz bestimmt bald daraus wer<strong>de</strong>n wird, sieht man schon vor sich, lei<strong>de</strong>r,<br />
<strong>de</strong>nn einen Film braucht es bei einem so grandiosen, bildhaften, temporeichen Roman nun wirklich<br />
nicht. Ein Film könnte <strong>de</strong>n eigentlichen Clou auch gar nicht transportieren: Das ist die<br />
Erzählperspektive Maiks, <strong>de</strong>r die Dinge mit <strong>de</strong>n Augen eines Vierzehnjährigen wahrnimmt und<br />
eben nicht alles wirklich versteht.<br />
Die Mondlandschaft <strong>de</strong>s Tagebaus beispielsweise sieht noch einmal ganz an<strong>de</strong>rs aus, wenn man<br />
gar nicht weiß, was das ist. Dann ist die Welt hier einfach zu En<strong>de</strong>. Diese Welt ist von seltsamen<br />
Menschen bevölkert: Dem Schützen Fricke, <strong>de</strong>r sich in einem verlassenen Dorf am Tagebaurand<br />
verbarrikadiert, <strong>de</strong>m Mädchen Isa, die auf einer Müllkippe herumklettert o<strong>de</strong>r einer freundlichen<br />
und überraschend gebil<strong>de</strong>ten Deppen-Familie, bei <strong>de</strong>r es Risi-Pisi zum Mittagessen gibt.<br />
Überhaupt ist das die eigentlich Lehre, die Maik absolviert: Überall, in Schule, Fernsehen und<br />
Elternhaus, hat man ihm eingetrichtert, die Menschen seien böse und er dürfe nieman<strong>de</strong>m trauen.<br />
Jetzt lernt er zusammen mit <strong>Tschick</strong> nur freundliche Gestalten kennen. Die Zeit, in <strong>de</strong>r man ihn für<br />
einen Langweiler halten konnte, ist je<strong>de</strong>nfalls ein für alle mal vorbei.<br />
<strong>Herrndorf</strong> macht nicht <strong>de</strong>n Fehler, sich einem überflotten Jugendslang anzubie<strong>de</strong>rn. Ihm genügen<br />
An<strong>de</strong>utungen und ein paar wie<strong>de</strong>rkehren<strong>de</strong> Ausdrücke wie „Alter Finne!“ o<strong>de</strong>r „endbescheuert“.<br />
Maik ist nicht nur als Aufsatzschreiber äußerst eloquent. Und doch ist er durch und durch ein<br />
Vierzehnjähriger, so lebendig, ahnungslos und lebensklug, dass man ihn nicht wie<strong>de</strong>r vergessen<br />
möchte. „<strong>Tschick</strong>“ ist ein schöner, trauriger Abenteuerroman aus <strong>de</strong>m rätselhaften <strong>de</strong>utschen<br />
Osten, <strong>de</strong>r nur einen Nachteil hat: Dass er viel zu schnell zu En<strong>de</strong> geht. Aber so ist das eben mit<br />
verbotenen Reisen im gestohlenen Wagen.<br />
Jörg Magenau<br />
1/1
Presseabteilung<br />
Radio Dreyeckland<br />
Datum:<br />
18.11.2010<br />
„<strong>Tschick</strong>“ <strong>Wolfgang</strong> <strong>Herrndorf</strong><br />
Rezensentin: Sigrid Weber<br />
Wenn man keinen Spitznamen hat, kann es zwei Grün<strong>de</strong> dafür geben: Entwe<strong>de</strong>r man hat keine Freun<strong>de</strong><br />
o<strong>de</strong>r man ist langweilig. So sieht das zumin<strong>de</strong>st Maik Klingenberg, vierzehnjähriger Schüler eines<br />
Gymnasiums in Berlin-Marzahn. In seinem Fall, so fürchtet er, trifft lei<strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>s zu. Die Dinge verän<strong>de</strong>rn<br />
sich für ihn erst, als <strong>de</strong>r aus Russland kommen<strong>de</strong> <strong>Tschick</strong> in <strong>de</strong>r Klasse aufkreuzt. In vier Jahren hat er es<br />
von <strong>de</strong>r För<strong>de</strong>rschule bis aufs Gymnasium geschafft. Mit seinen assigen Klamotten, gelegentlichen<br />
Alkoholfahnen und Russenmafia-Image kann aber auch er nicht punkten. So verwun<strong>de</strong>rt es nicht, dass er<br />
und Maik quasi die einzigen aus <strong>de</strong>r Klasse sind, die keine Einladung zu Tatjanas Geburtstagsparty<br />
bekommen haben, die zu Beginn <strong>de</strong>r Sommerferien steigen wird.<br />
Für Maik ist das die größtmögliche Katastrophe, <strong>de</strong>nn er ist unsterblich in Tatjana verliebt. Deshalb kommt<br />
es ihm gera<strong>de</strong> recht, dass sich seine Mutter mal wie<strong>de</strong>r „auf Beautyfarm“ (familiärer Jargon für<br />
Entziehungskur) verabschie<strong>de</strong>t und sein Vater mit Assistentin auf „Geschäftsreise“ geht. Am Pool <strong>de</strong>r<br />
elterlichen Villa ge<strong>de</strong>nkt er, seine Wun<strong>de</strong>n zu lecken. Doch daraus wird nichts. Denn schon bald steht<br />
<strong>Tschick</strong> mit einem geklauten blauen Lada in <strong>de</strong>r Hofeinfahrt und reißt ihn aus seinem Blues: Warum nicht<br />
Urlaub machen „wie ganz normale Leute“ Nach einer Stippvisite bei Tatjanas Party brechen die bei<strong>de</strong>n<br />
schließlich mit <strong>de</strong>m Lada gen Südosten auf, in die Walachei, zu <strong>Tschick</strong>s Großvater.<br />
Was nun folgt, ist eine grandiose Roadnovel, gleichermaßen spritzig, witzig, grotesk und melancholisch<br />
erzählt. Ohne Karte fahren die bei<strong>de</strong>n einfach drauf los und lassen sich treiben von ihren Begegnungen. Von<br />
einer weltfrem<strong>de</strong>n Familie mit Superhirnen wer<strong>de</strong>n sie zu Risi Pisi eingela<strong>de</strong>n, auf einer Müllkippe treffen sie<br />
das Mädchen Isa, das mit einem Holzkästchen auf Wan<strong>de</strong>rschaft ist, und in einem verlassenen Dorf am<br />
Tagebaurand weiß <strong>de</strong>r Schütze Fricke zu erzählen, dass alles sinnlos ist, auch die Liebe. Nicht böse<br />
Menschen, vor <strong>de</strong>nen man sich in Acht nehmen muss, bevölkern die Welt, wie man Maik jahrelang<br />
eingebleut hat, son<strong>de</strong>rn allerhand seltsame.<br />
<strong>Wolfgang</strong> <strong>Herrndorf</strong> erzählt seine Geschichte ganz aus <strong>de</strong>r Perspektive von Maik, mit allem Wissen und<br />
Unwissen eines Vierzehnjährigen. Da steht man zum Beispiel plötzlich mit <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Jungs vor einer<br />
Mondlandschaft, die natürlich ganz an<strong>de</strong>rs betrachtet wird, wenn man nicht weiß, dass es sich um die<br />
Hinterlassenschaften <strong>de</strong>s Tagebaus han<strong>de</strong>lt. Nie stellt sich <strong>Herrndorf</strong> dabei über seine Hel<strong>de</strong>n. Deshalb liebt<br />
man auch Dialoge wie <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n: „’Das Buch hieß, glaube ich, Der Seebär. O<strong>de</strong>r Der Seewolf.' – ,Du<br />
meinst Steppenwolf. Da geht es auch um Drogen. So was liest mein Bru<strong>de</strong>r.' – ,Steppenwolf ist zufällig eine<br />
Band', sagte ich.“ Auch in <strong>de</strong>r Sprache trifft <strong>Herrndorf</strong> <strong>de</strong>n richtigen Ton zwischen altersgerechter Pose, Witz<br />
und Empfindsamkeit, und Jugendslang wie „alter Finne“ o<strong>de</strong>r „endbescheuert“ taucht sparsam, aber an <strong>de</strong>n<br />
richtigen Stellen auf.<br />
„<strong>Tschick</strong>“ ist ein rasanter Abenteuerroman, eine Hymne auf die Freundschaft, die Liebe und das Leben, in<br />
<strong>de</strong>r bei allem Witz auch immer ein trauriger Unterton mitschwingt. Genial geschrieben mit einer Zärtlichkeit,<br />
die manchmal fast wehtut. Ein tolles Buch, das man getrost auch schon Vierzehnjährigen in die Hand geben<br />
kann. Scha<strong>de</strong> nur, dass es so schnell ausgelesen ist. Aber Maik und <strong>Tschick</strong> vergisst man nicht.<br />
<strong>Wolfgang</strong> <strong>Herrndorf</strong>: <strong>Tschick</strong>, Rowohlt, Berlin 2010, 254 Seiten<br />
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