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Flyer zur Tagung - Theologischen Fakultät der Ernst-Moritz-Arndt ...

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Im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t, dem so genannten „Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

<strong>der</strong> Vereine“, formierten sich die unterschiedlichen<br />

kirchlichen Richtungen in bis dahin unbekannter<br />

Weise in Gesellschaften und Gemeinschaften. An<br />

die aufklärerischen Sozietäten des 18. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

wie auch an inner- und außerkirchliche pietistische<br />

Gruppierungen anknüpfend, verbanden sich nun<br />

eine Vielzahl von theologisch und religionspraktisch<br />

höchst unterschiedlichen Strömungen zu agilen<br />

Zweckgemeinschaften, um neben „gewöhnlicher“<br />

kirchlicher Praxis gemeinsam spezifische Anliegen<br />

zu verwirklichen. Waren es im 18. Jahrhun<strong>der</strong>t häufig<br />

patriotisch gesinnte Vereinigungen, so organisierten<br />

sich seit dem ausgehenden 18. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

und dann vor allem in <strong>der</strong> ersten Hälfte des 19.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts zunächst solche religiösen Richtungen<br />

in Gruppen, die den so genannten Erweckungsbewegungen<br />

angehörten und, pietistische wie aufklärerische<br />

Traditionen aufnehmend, sich sowohl in<br />

praktischer wie theoretischer Hinsicht einer Neuformulierung<br />

vornehmlich des evangelischen Christentums<br />

verschrieben.<br />

Diese sich lokal und inhaltlich durchaus unterscheidenden<br />

international vernetzten religiösen Erneuerungsbewegungen<br />

verband zentral <strong>der</strong> Wille, in<br />

Zeiten wi<strong>der</strong>streiten<strong>der</strong> ideologischer Deutungsund<br />

Sinngebungssysteme dem Christentum in individueller<br />

wie gesellschaftlicher Hinsicht wie<strong>der</strong><br />

mehr Plausibilität und Geltung zu verschaffen. In<br />

Reaktion auf die vorwiegend als religionsfeindlich<br />

denunzierte Aufklärung ging es den Erweckten, die<br />

nicht selten selbst Kin<strong>der</strong> <strong>der</strong> Aufklärung waren, um<br />

nichts weniger als um die Überwindung <strong>der</strong> Aufklärung<br />

und um eine Rechristianisierung <strong>der</strong> Gesellschaft.<br />

O<strong>der</strong>, um einen alten terminus technicus zu<br />

verwenden, man zielte auf „Innere Mission“. Diese<br />

setzte – häufig getragen von einer akuten und dynamischen<br />

Reich-Gottes-Erwartung – mannigfache<br />

missionarische und evangelisatorische Initiativen<br />

mit <strong>der</strong> erklärten Absicht frei, die einzelnen Menschen<br />

sowie die Gesellschaft zu einem spezifisch<br />

verstandenen Christentum zu führen. Die in diesem<br />

Zusammenhang entstandenen pädagogischen, missionarischen<br />

und diakonischen Einrichtungen, die<br />

schon von den Zeitgenossen als „Reich-Gottes-<br />

Werke“ bezeichnet werden konnten, etablierten<br />

neue Formen von Religiosität und führten zu einer<br />

massiven Ausdifferenzierung respektive Pluralisierung<br />

des Christentums. Damit einher gingen häufig<br />

Konzentrationen und Elementarisierungen <strong>der</strong><br />

christlichen Lehrinhalte. Darüber hinaus beför<strong>der</strong>ten<br />

die Erweckungsbewegungen einen eschatologisch<br />

basierten Normierungs- und Disziplinierungsprozess,<br />

<strong>der</strong> zweifelsohne zu den prägenden und innovativen<br />

Faktoren bei <strong>der</strong> Formierung mo<strong>der</strong>ner Gesellschaften<br />

zählt. Dieser mo<strong>der</strong>nitätsproduktive<br />

Charakter <strong>der</strong> Erweckungsbewegungen wird allerdings<br />

in <strong>der</strong> Forschung kontrovers beurteilt. Jenseits<br />

<strong>der</strong> die historische Darstellung lange prägenden<br />

identitätsstiftenden Selbstinszenierung werden die<br />

Erweckungsbewegungen erst allmählich als wesentlicher<br />

Faktor <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>nisierung des neuzeitlichen<br />

Christentums erkennbar. In <strong>der</strong> internationalen historischen<br />

Forschung fanden die Erweckungsbewegungen<br />

in den letzten Jahrzehnten durchaus wachsende<br />

Aufmerksamkeit, aber es fehlen weiterhin<br />

übergreifende Darstellungen und v.a.<br />

prosopographische Untersuchungen, die jenseits <strong>der</strong><br />

traditionellen Biographieschreibung nach personellen<br />

Strukturen und Netzwerken dieser wichtigen<br />

religiösen Erneuerungsbewegungen fragen. So wissen<br />

wir beispielsweise noch viel zu wenig über das<br />

Verhältnis von Freimaurerei und Erweckungsbewegungen.<br />

Der weitergehenden Klärung bedürfen auch die<br />

grundsätzlichen Fragen nach <strong>der</strong> inneren Kohärenz<br />

und Periodisierung <strong>der</strong> deutschsprachigen Erweckungsbewegungen<br />

sowie nach ihrem beson<strong>der</strong>en<br />

theologischen und frömmigkeitspraktischen Profil<br />

im internationalen Vergleich. Inwieweit handelt es<br />

sich bei <strong>der</strong> Annahme einer essentiellen Gemeinsamkeit<br />

zwischen den verschiedenen erwecklichen<br />

Gruppierungen in <strong>der</strong> ersten Hälfte des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

um ein retrospektives historiographisches<br />

Konstrukt, das zu verwerfen ist, und inwieweit beruht<br />

diese Annahme auf Identitätsbildungsprozessen,<br />

die sich im Denken, Schreiben und Handeln <strong>der</strong><br />

historischen Akteure selbst nachweisen lassen Was<br />

lassen sich aus <strong>der</strong> Untersuchung solcher Prozesse<br />

<strong>der</strong> Vergemeinschaftung zwischen unterschiedlichen<br />

erwecklichen Kreisen und Zentren für Rückschlüsse<br />

auf die Problematik <strong>der</strong> Periodisierung <strong>der</strong><br />

deutschsprachigen Erweckungsbewegungen etwa<br />

mit Blick auf Kontinuitäten und Diskontinuitäten<br />

<strong>zur</strong> Gemeinschafts-und Pfingstbewegung ziehen<br />

Welche Rolle spielten bei solchen Identitätsbildungsprozessen<br />

die kommunikativen Netzwerke<br />

<strong>der</strong> Verbände und die pietistischen „Lesegemeinschaften“,<br />

die durch Lektüre massenhaft verbreiteter<br />

Textmedien wie z.B. pietistischer Zeitschriften gestiftet<br />

wurden Was verband (sowohl auf organisatorisch-assoziativer,<br />

medialer wie auch auf theologisch-frömmigkeitspraktischer<br />

Ebene) die deutschsprachigen<br />

Erweckungsbewegungen dabei mit an<strong>der</strong>en<br />

Frömmigkeitsbewegungen des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

in Europa und Nordamerika wie etwa dem<br />

Réveil und dem sogenannten Second Great<br />

Awakening, und was trennte sie von diesen

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