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ich werde bei dieser präsentation weitgehend abwesend sein - N/K

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em Maße Hir die Fotografie, weil es Hir ihr<br />

Bestätigungsvermögen (»Es-ist-so gewesen«)<br />

in den anderen Künsten kein Äquivalent<br />

gibt - am ehesten noch im Haiku.<br />

Hier schließt s<strong>ich</strong> der in der Vorlesung beschriebene<br />

Kreis. Denn die Nähe zwischen<br />

Foto und Haiku hätte s<strong>ich</strong> in dem abschliessenden<br />

Seminar wohl in der - <strong>bei</strong>den gemeinsamen<br />

- Abgeschlossenheit gegen die<br />

Macht des Kommentars gezeigt. Was Barthes<br />

über die prinzipielle Unübersetzbarkeit<br />

der fotografischen Botschaft sagt (s.o.), sollte<br />

auch Hir das Haiku gelten: »<strong>ich</strong> verstehe unter<br />

.Wirkl<strong>ich</strong>keitseffekt< das Verlöschen der<br />

Sprache zugunsten einer Realitätsgewißheit:<br />

Die Sprache zieht s<strong>ich</strong> zurück. verbirgt<br />

s<strong>ich</strong> und verschwindet, so daß nur noch das<br />

Gesagte nackt übrigbleibt«_" Der Kommentar<br />

kann dieses Gesagte bestenfalls wiederholen<br />

und verdoppeln, es aber n<strong>ich</strong>t auslegen<br />

oder deuten. Dazu abschlil'f~end noch<br />

einmal zwei Passagen aus dem Re<strong>ich</strong> der Zei ­<br />

chen: »[...] die Wege der Interpretation können<br />

den Haiku mithin nur verfehlen, denn<br />

die Lesear<strong>bei</strong>t, die mit ihm verbunden ist,<br />

liegt darin, die Sprache in der Schwebe zu<br />

halten, und n<strong>ich</strong>t darin, sie zu provozieren<br />

[...]«.4\ Das Haiku »tritt in jenen Schwebezustand<br />

des Sinns ein, der uns äußerst befremdl<strong>ich</strong><br />

ist, weil er die gebräuchl<strong>ich</strong>ste<br />

Übung unserer Sprache, den Kommentar,<br />

unmögl<strong>ich</strong> macht. Was soll man dazu sagen:<br />

Frühlingsbrise.<br />

Der Fahnnann kaut auf <strong>sein</strong>em PfeifcheII.<br />

oder dazu:<br />

Vollmond.<br />

Und auf der Matte<br />

Der Schatten der Kiefer.<br />

oder dazu:<br />

1m Haus des Fisches<br />

Der GenlCh von getrocknetem ~isch<br />

Und die Hitze.,,46<br />

Diese Frage - was soll man dazu sagen -<br />

stellte s<strong>ich</strong> Barthes auch in der Betrachtung<br />

bestimmter Fotografien. Im Journal Mr Trauer<br />

notiert er über die verstörendste von allen:<br />

»Foto aus dem Wintergarten: bestürzt versuche<br />

<strong>ich</strong>, den oflens<strong>ich</strong>tl<strong>ich</strong>en Sinn auszusprechen.<br />

(Foto: Unvermögen, das Offens<strong>ich</strong>tl<strong>ich</strong>e<br />

zu sagen. Geburt der Uteratur)«.~l<br />

Ein mögl<strong>ich</strong>er Weg, dem .Offens<strong>ich</strong>tl<strong>ich</strong>en<<br />

der Fotografie zu begegnen, wäre demnach<br />

ihre Ergänzung oder Weiterfuhrung durch<br />

literarische Texte. Für <strong>sein</strong> Seminar hat Barthes<br />

einen anderen Weg gewählt. Was ihm<br />

offenbar vorschwebte, war eine Inszenie·<br />

rung der Wirkl<strong>ich</strong>keitseffekte der Fotografien<br />

Nadars, und das bedeutete zugle<strong>ich</strong>: eine<br />

Inszenierung ihrer Unübersetzbarkeit.<br />

Im Unterschied zum früheren Text über die<br />

»Botschaft ohne Code« wollte Barthes diese<br />

Unübersetzbarkeit der Fotografie diesmal<br />

aber n<strong>ich</strong>t theoretisch begründen, sondern<br />

sie zeigen und mit den an der Wand des Vorlesungssaals<br />

zitternden L<strong>ich</strong>tbildern jenen<br />

"Schwebezustand des Sinns« her<strong>bei</strong>führen,<br />

den auch die Lektüre des Haiku bewirkt. Das<br />

Ziel der Veranstaltung war, »eine Intoxikation<br />

hervorzurufen. eine Faszination. eine<br />

dem Bild eigentüml<strong>ich</strong>e Wirkung« ..u Die<br />

Bruchstückhaftigkeit der Notizen, die im<br />

Verlauf des Seminars "<strong>bei</strong>seite gesprochen«<br />

<strong>werde</strong>n sollten. ist insofern n<strong>ich</strong>t einfach defizitär<br />

oder der Vorläufigkeit und Unabgeschlossenheit<br />

dieses Projekts geschuldet.<br />

Manche Notiz liest s<strong>ich</strong> in ihrer Fragmentarität<br />

und Zuspitzung <strong>bei</strong>nahe wie ein Haikuetwa<br />

wenn Barthes in der Beschreibung der<br />

ausufernden Diners und Empfange der Madame<br />

Lydie Aubermon de Nerville (Abb. 2)<br />

hinzufügt: »Silbernes Glöckchen, um <strong>bei</strong><br />

den allgemeinen Tischunterhaltungen wieder<br />

die Aufmerksamkeit auf den Redner zu<br />

lenken.«4'<br />

Barthes' letztes Wort zur Fotografie sollte<br />

offenbar ein Versuch zur Deplatzierung des<br />

Kommentars <strong>sein</strong>, keine Lehrveranstaltung,<br />

sondern eine" Vorftihrung« - "la presentation",<br />

wie es im französischen Original<br />

heißt. so Von hier aus hätte Barthes jederzeit<br />

in die Sprache und den gelehrten Kommentar<br />

zurück gefunden, n<strong>ich</strong>t aber noch einen<br />

wei teren Schritt in R<strong>ich</strong>tung Unkommentierbarkeit:<br />

viel weniger als in den erhaltenen<br />

Notizen lässt s<strong>ich</strong> im Rahmen eines Seminars<br />

kaum noch sagen - es sei denn man<br />

wolle <strong>sein</strong>e Zuhörer durch beharrl<strong>ich</strong>es und<br />

aufdringl<strong>ich</strong>es Schweigen behelligen. Barthes<br />

hingegen gestalte! <strong>sein</strong>en Text, selbst<br />

wenn von »Faszination« oder »intoxikation«<br />

die Rede ist, so lakonisch wie mögl<strong>ich</strong> und<br />

entgeht damit der Gefahr, die allen Versu·<br />

ehen, n<strong>ich</strong>t zu sprech~n, unauswe<strong>ich</strong>l<strong>ich</strong><br />

I<br />

28<br />

FOTOGESCHICHTE 114/2009

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