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Das Blättchen, 2/2012. - Verlag für Berlin und Brandenburg

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Aber diese Feinheiten schienen am Ende nicht mehr zu interessieren. Die Fraktionen der<br />

Christdemokraten <strong>und</strong> der FDP erwirkten am 19. Januar eine Aktuelle St<strong>und</strong>e im B<strong>und</strong>estag, um<br />

auch diese Gelegenheit zu nutzen, die Linke wieder einmal übler Umtriebe zu verdächtigen.<br />

Aber wahrscheinlich ist es viel ernster. Es geht nicht nur gegen die Linke. Es geht gegen die<br />

Friedensbewegung, gegen die Idee, dass Frieden eine Alternative zur derzeitigen imperialistischen<br />

Politik des Westens ist. Wahrscheinlich wissen die Regierenden besser als wir, wie nahe<br />

der nächste Krieg bereits ist. Nur soll den Kritikern vorher das Maul gestopft werden.<br />

Die Transzendenz des Präsidenten<br />

von Thomas M. Wandel<br />

Ein B<strong>und</strong>espräsident zerfällt <strong>für</strong> gewöhnlich in zwei Teile: den natürlichen Körper <strong>und</strong> den politischen.<br />

Insofern steht er in der Tradition der Königshäuser des Mittelalters.<br />

Ernst Kantorowicz zitiert in seinem Werk „Die zwei Körper des Königs“ dazu englische Kronjuristen,<br />

die im 15. Jahrh<strong>und</strong>ert feststellten: „Denn der König hat in sich zwei Körper, nämlich den<br />

natürlichen (body natural) <strong>und</strong> den politischen (body politic). Sein natürlicher Körper ist <strong>für</strong> sich betrachtet<br />

ein sterblicher Körper, der allen Anfechtungen ausgesetzt ist, die sich aus der Natur oder Unfällen<br />

ergeben, dem Schwachsinn der frühen Kindheit oder des Alters <strong>und</strong> ähnlichen Defekten, die in<br />

den natürlichen Körpern anderer Menschen vorkommen. Dagegen ist der politische Körper ein Körper,<br />

den man nicht sehen oder anfassen kann. Er besteht aus Politik <strong>und</strong> Regierung, er ist <strong>für</strong> die<br />

Lenkung des Volks <strong>und</strong> das öffentliche Wohl da. Dieser Körper ist völlig frei von Kindheit <strong>und</strong> Alter,<br />

ebenso von den anderen Mängeln <strong>und</strong> Schwächen, denen der natürliche Körper unterliegt. Aus diesem<br />

Gr<strong>und</strong>e kann nichts, was der König in seiner politischen Leiblichkeit tut, durch einen Defekt<br />

seines natürlichen Leibs ungültig gemacht oder verhindert werden.“<br />

Damit wäre das ganze öffentliche Salbadere um die „Beschädigung des Amtes des B<strong>und</strong>espräsidenten“<br />

durch den Noch-Bewohner von Schloss Bellevue mit einem Schlussstrich zu beenden.<br />

Denn ganz gleich, was ein Christian Wulff, angetrieben von „ähnlichen Defekten, die in<br />

den natürlichen Körpern anderer Menschen vorkommen“, auch getan haben mag, kann er doch<br />

den „politischen Körper“ – sprich „das Amt“ – „durch einen Defekt seines natürlichen Leibs“ in<br />

keinster Weise beschädigen.<br />

Abgesehen davon, dass dem politischen Körper „B<strong>und</strong>espräsident“ durch die vielzitierten<br />

Väter des Gr<strong>und</strong>gesetzes, zu denen auch drei Mütter gehörten, die Potenz zur Regierung entzogen<br />

wurde, soll er nach innen <strong>und</strong> außen die B<strong>und</strong>esrepublik repräsentieren <strong>und</strong> in seiner vorgeblichen<br />

parteipolitischen Neutralität „<strong>für</strong> die Lenkung des Volkes <strong>und</strong> das öffentliche Wohl<br />

da“ sein, um die alten Engländer es noch einmal auf den Punkt bringen zu lassen. Der B<strong>und</strong>espräsident<br />

ist also des Deutschen König. Im echten Republikaner muss sich sofort die Frage<br />

auftun: Was aber will eine Republik mit einem König, der sich B<strong>und</strong>espräsident nennt? Die<br />

nicht aussterbenden deutschen Royalisten werden rufen: Eben, das sagen wir ja auch! Lasst ihn<br />

uns durch einen richtigen König ersetzen!<br />

Lassen wir die Republikaner <strong>und</strong> die Royalisten ihren Streit allein ausfechten –stellen wir die<br />

Frage gr<strong>und</strong>sätzlicher. Im Mittelalter bedurfte es schon deshalb des zweigeteilten Königs, weil<br />

nur seinem politischen Körper die Weihen der Transzendenz, des Überirdischen, des Göttlichen,<br />

gehörten. Welch natürlicher Schweineh<strong>und</strong> er im Einzelnen auch gewesen sein mag – sein politisches<br />

Handeln hatte die Legitimation des Göttlichen. Damit aber war nicht nur sein politisches<br />

Handeln legitimiert, sondern das ganze, ohne Religion nicht vorstellbare, mittelalterliche Gesellschaftsgefüge,<br />

damit auch dessen Machtstrukturen.<br />

Nun ist im Laufe der Jahrh<strong>und</strong>erte währenden Entwicklung des Kapitalismus die Transzendenz<br />

vom König auf das alles durchdringende Medium Geld übergegangen <strong>und</strong> die Religion verdientermaßen<br />

eher ins Private abgewandert (was noch nichts über die völlig unrepublikanische Position der<br />

Kirchen in Deutschland sagt). Die Legitimation all dessen, was in Deutschland <strong>und</strong> allerorten geschieht,<br />

erteilt einzig <strong>und</strong> allein das Medium Geld als Erscheinungsform des Wertes. <strong>Das</strong> steht zwar<br />

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