12.11.2012 Aufrufe

Das Blättchen, 2/2012. - Verlag für Berlin und Brandenburg

Das Blättchen, 2/2012. - Verlag für Berlin und Brandenburg

Das Blättchen, 2/2012. - Verlag für Berlin und Brandenburg

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Die Welt der theoretischen Ökonomen<br />

6<br />

von Werner Richter<br />

Verzweifelt hatte ich an dieser Stelle schon vor Jahren nach den großen Ökonomen gerufen,<br />

die ihr bisheriges Leben der „Kapital“-Forschung gewidmet hatten, immer einen gescheiten<br />

Eindruck zu hinterlassen bemüht waren <strong>und</strong> bei schlechter Laune ihrem Unmut gegen Marx<br />

freien Lauf ließen, denn der hatte nicht all ihre Fragen schon beantwortet. Ein richtiger Marxkenner<br />

ist dessen Interpret, aber nicht Verbesserer. Naive Fragen von Studenten nach der Marxschen<br />

Aktualität, noch schlimmer deren Infragestellung, boten dann ein weites Feld <strong>für</strong> arrogante<br />

Attacken gegen die Dummheit des Fragenden. Die tatsächlich klugen Professoren<br />

verwiesen auf die Aktualität der Marxschen Methodologie als einzig gültiges Erbe.<br />

Mein Ruf blieb hier ungehört, auch von den namentlich Genannten, mein Glaube an die Kraft<br />

der ökonomisch Vernünftigen drohte zu zerbrechen. Bis auf Heerke Hummels geld- <strong>und</strong> werttheoretische<br />

Abhandlungen, die auch nicht zu viel Echo hervorriefen, kam mir nichts zu Gesicht,<br />

das bei Marx anknüpfend, dessen Methodik anwendend einer ökonomischen Basisanalyse<br />

zustrebte. Nun mag sein, <strong>und</strong> ich weiß inzwischen, dass mein Überblick sehr begrenzt ist, aber<br />

in der Öffentlichkeit kommen derartige Überlegungen nicht vor, dort spielen nur Hayek-Priester,<br />

bestenfalls sie tolerierende, aber öffentlich nicht widersprechende Antipoden mit. Zum Teil<br />

ist das zu verstehen, stehen doch persönliche Perspektiven zur Disposition. Gustav Horn hier<br />

bei uns oder Norman Finkelstein (Politologe) in den USA, nur zwei Beispiele von recht vielen,<br />

sind jedem, der abhängig operiert, Warnung genug, wie Unbequeme aus dem Weg geräumt werden.<br />

Meine Hoffnung war, einige Unabhängige zu erreichen, die nichts zu verlieren haben.<br />

Diese zusammengebracht könnte ein ständiges Forum der Weiterarbeit an wissenschaftlicher<br />

ökonomischer Theorie ergeben, denn, was an „marxistischen“ Theorien im linken oder auch<br />

bürgerlichen Ökonomenlager durch die Literatur geistert kann flacher nicht geboten werden.<br />

Akrobatien gleich werden zumeist Kategorien <strong>und</strong> Begriffe beliebig jongliert, dass einem<br />

schwindlig wird, Marx, obwohl fleißig zitiert, entfleucht im Nebel.<br />

Marx sei Dank spülte mir der Zufall ein Buch auf den Tisch, das mir den Atem stocken ließ.<br />

Tatsächlich gingen meine stillen Gebete in seinen Gehörgang, ein Mensch, mit f<strong>und</strong>iertem Wissen<br />

ausgestattet, hatte meinem Wunsch entsprochen. Wer dieser Mensch auch sei, egal, mit Gründlichkeit<br />

<strong>und</strong> Engelsgeduld zerpflückt er alle umhergeisternden relevanten Theorien über Wert, Gebrauchswert,<br />

Warengesellschaft, Geld, Kapital in ihre Bestandteile, immer wieder auf die Marxsche<br />

Theorie zurückgreifend, dabei diese durchaus Marx folgend immer wieder prüfend, <strong>und</strong> an deren<br />

unstrittigen Theoremen messend <strong>und</strong> ordnet sie ein. Eine Meisterleistung, ohne Frage, die genau das<br />

trifft, was mir fehlte. Ich ziehe still den Hut vor dieser vermuteten Lebensleistung.<br />

Ich lese <strong>und</strong> fühle mich in die Studienzeit versetzt, an die Aha-Erlebnisse beim „Kapital“-Lesen,<br />

die Seminare, Vorlesungen <strong>und</strong> Diskussionen mit Kommilitonen <strong>und</strong> Professoren. Ich muss<br />

auflachen ob der geradezu stoisch erbarmungslosen Wiederholungen der Gesamtheit eines Zusammenhanges<br />

nahezu vom Urschleim an, auf das ja kein Irrtum darüber aufkomme, was untrennbar<br />

zusammengehört. Und da fällt mich wie Schuppen aus den Haaren die Rückerinnerung<br />

an, diese Marxschen Sätze, auf die der Autor immer wieder zurückführt, kennst du, hast du gelesen,<br />

blieben dir ewig schleierhaft, hast du dank deiner anerzogenen <strong>und</strong> geförderten Denkweise<br />

als nebensächlich liegen gelassen. Ich fragte mich zwar, warum Marx die schrieb, aber da<br />

sie nicht als Gegenstand der „marxistischen“ Wirtschaftstheorie in die Diskussion eingingen,<br />

wurden sie letztlich eingespart. Dieses diffuse Verlustgefühl hatte ein jeder, der die Politische<br />

Ökonomie nicht als bloßen Lernstoff, sondern als Aufforderung zum Denken <strong>und</strong> Erkennen annahm.<br />

Derer gab es nicht allzu viele, aber es gab sie. Nicht, dass die Erkenntnis über die Mängel<br />

<strong>und</strong> unzulässigen Vereinfachungen der Politischen Ökonomie des Sozialismus, die eine Abkehr<br />

von Marx bewirkten, schlagartig eingeht, aber eine Ahnung davon schon. Dieses gewaltige<br />

Denksystem überfordert mich im Augenblick. <strong>Das</strong> braucht noch intensives längeres Nachdenken<br />

<strong>und</strong> wiederholtes Lesen. Dieser Autor, vielleicht bin ich anderen gegenüber ungerecht, die<br />

mögen mir verzeihen, erweist sich mir als bisher einziger, der sich des Marxschen Denkniveaus<br />

gewachsen zeigt, er ist ihm ebenbürtig. Er liefert zumindest den Beginn der Vollendung der

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!