Artikel hier lesen - Die faire Milch
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Soziale <strong>Milch</strong><br />
Im landwirtschaftlichen Betrieb des Regens Wagner Holzhausen<br />
sind sechs geistig behinderte Menschen angestellt. Junglandwirt<br />
Andi Hölzle kennt einige Vorzüge gegenüber seinen nichtbehinderten<br />
Kollegen.<br />
Fotos: J. Davids<br />
Andi lenkt den roten Hoftrac auf<br />
den Außenfuttertisch des neu<br />
gebauten <strong>Milch</strong>viehstalls und<br />
streckt den Kopf aus dem linken Fenster.<br />
Ein kurzer, lebhafter Blick, ein paar<br />
gekonnte Handgriffe an den Bedienelementen<br />
seines Gefährts, so positioniert<br />
er die mit Stroh gefüllte Schaufel über<br />
der Kälberbox. Dort steht Bettina mit<br />
ihrer Gabel bereit, in Sicherheitsschuhen<br />
und kurzer Hose. Andi hilft ihr, die Einstreu<br />
zu verteilen. <strong>Die</strong> beiden albern<br />
etwas herum, sie gibt ihm einen freundlichen<br />
Klaps auf den Oberarm. Seit zwei<br />
Jahren arbeitet er mit ihr zusammen,<br />
<strong>hier</strong> auf dem Hof des Regens Wagner<br />
Holzhausen – einer Einrichtung für<br />
Menschen mit Behinderung.<br />
Zum landwirtschaftlichen Betrieb<br />
des so genannten Magnusheims gehören<br />
unter anderem 140 <strong>Milch</strong>kühe, 160<br />
Stück Jungvieh und 152 ha Grünlandund<br />
Ackerfläche. Außer Andi, seinem<br />
Chef, zwei Teilzeitangestellten, einem<br />
Lehrling und einem Praktikanten arbeiten<br />
<strong>hier</strong> sechs Menschen mit geistiger<br />
Behinderung. „Meine Mädels“, grinst
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Andi arbeitet seit zwei Jahren in der Landwirtdlz<br />
next September 2013<br />
Bettina und Angelika (vorne) kennen alle <strong>Milch</strong>kühe mit Transpondernummer und Namen.<br />
der lustige Allgäuer. Jede von ihnen hat<br />
feste Aufgaben. Welche das sind,<br />
bestimmt die Werkstätte für behinderte<br />
Menschen in Absprache mit der landwirtschaftlichen<br />
Gruppenleitung des<br />
Magnusheims. Bettina kümmert sich<br />
VITA & BETRIEB<br />
Andreas Hölzle<br />
Der 24-jährige Landwirtschaftsmeister<br />
Andreas Hölzle arbeitet<br />
seit 2011 im landwirtschaftlichen<br />
Betrieb des Regens Wagner in Holzhausen<br />
im Ostallgäu. Dazu gehören<br />
140 <strong>Milch</strong>kühe und 160 Stück<br />
Jungvieh, 400 Legehennen sowie<br />
acht Mastschweine. Auf einer Fläche<br />
von 152 ha baut Andi mit dem<br />
Betriebsleiter, zwei Teilzeitangestellten,<br />
einem Lehrling und einem<br />
Praktikanten 25 ha Kleegras, 17 ha<br />
Getreide, 7 ha Silomais und<br />
7 ha Feldgemüse an. <strong>Die</strong> restlichen<br />
96 ha nutzen sie als Grünland, unter<br />
anderem als Weide und Mähweide.Im<br />
landwirtschaftlichen Betrieb<br />
sind sechs Menschen mit geistiger<br />
Behinderung angestellt, von denen<br />
jeder feste Aufgabe übernimmt.<br />
zum Beispiel um die Kälber, treibt die<br />
Kühe in den Melkroboter und lässt die<br />
Tiere auf die Weide. Außerdem kontrolliert<br />
sie die Einstreu in den Kälberboxen.<br />
Obwohl die behinderten Menschen<br />
selbstständig arbeiten, ist es anders als<br />
im herkömmlichen Betrieb. „Wir müssen<br />
schon überprüfen, ob sie die Arbeiten<br />
wirklich alle erledigen“, verrät Andi.<br />
Mit der Zeit hat er gelernt, wer welche<br />
Aufgaben öfter vergisst. Dann macht er<br />
die jeweilige Person darauf aufmerksam:<br />
„Sie sind für bestimmte Sachen zuständig<br />
und können sich ohne Probleme<br />
darum kümmern. Ich darf nicht zu<br />
nachsichtig sein.“ Generell müsse er<br />
manche mehr kontrollieren, anderen<br />
weniger – wie im normalen Arbeitsleben<br />
auch. Trotzdem gibt es einen entscheidenden<br />
Unterschied, betont der Landwirtschaftsmeister:<br />
„Im Gegensatz zu<br />
den nichtbehinderten Kollegen können<br />
die Mädels nichts dafür, wenn sie etwas<br />
vergessen oder etwas danebengeht.“<br />
Darauf ist er eingestellt und reagiert<br />
humorvoll und gelassen, wann immer<br />
etwas nicht ganz rund läuft.<br />
Fliegende Mistgabeln<br />
Andi und Bettina haben die Kälberbox<br />
fertig eingestreut. Er schwingt sich auf<br />
den Traktor und fährt zum alten Stallgebäude,<br />
der für das Jungvieh genutzt<br />
wird. Er will nachsehen, was Angelika,<br />
eine weitere seiner Schützlinge, schon<br />
erledigt hat. <strong>Die</strong> fällt ihm zur Begrüßung<br />
sofort um den Hals. Der 24-Jährige<br />
ist das gewöhnt: „Es ist wichtig, sie<br />
immer zu unterstützen und ihnen das<br />
Gefühl zu geben, dass ich sie mag und<br />
immer für sie da bin.“ Und wenn Angelika<br />
eine Umarmung möchte, dann<br />
bekommt sie die. „Manchmal schmeißt<br />
sie aber auch mit Mistgabeln nach mir“,<br />
schmunzelt Andi und fährt sich mit der<br />
Hand durch seine wilden, lockigen<br />
Haare.<br />
Solche Stimmungsschwankungen seien<br />
normal, persönlich dürfe man die<br />
nicht nehmen. „Sie sind eben, wie sie<br />
sind“, zuckt er mit den Schultern. Seine<br />
Devise: Mit Humor funktioniert der Alltag<br />
mit ihnen am besten. Der Landwirt<br />
und seine Mädels lachen viel, machen<br />
Witze und haben Spaß. „Manchmal<br />
nervt er, aber er hilft mir immer und ist<br />
immer für mich da“, strahlt Angelika,<br />
strafft die Träger ihrer grünen Latzhose<br />
und geht wieder an die Arbeit.<br />
Lustige Motivation<br />
Mit seiner lustig-lockeren Art motiviert<br />
er nicht nur die behinderten Menschen,<br />
sondern auch sich selbst. Für eine gelungene<br />
Zusammenarbeit mit ihnen braucht<br />
er gute Nerven. Einmal seien zum Bei-
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schaft des Regens Wagner Holzhausen.<br />
Andi und ein Praktikant (hinten) sowie sein Chef (rechts) betreuen die behinderten Kolleginnen.<br />
spiel 200 Eier auf den Boden gefallen.<br />
Andi nahm es gelassen: „Dann gab’s halt<br />
Rührei.“ Er weiß, dass so etwas nicht mit<br />
Absicht passiert, und es bringe nichts,<br />
sich darüber zu ärgern: „Meine Mädels<br />
geben alle ihr Bestes.“<br />
Deshalb muss er toleranter sein als<br />
bei seinen anderen Mitarbeitern – und<br />
flexibler. Wenn die behinderten Kolleginnen<br />
eine Arbeit nicht schaffen, weil<br />
die Zeit nicht mehr reicht, dann macht<br />
Andi es fertig. Wenn sie etwas kaputt<br />
machen, repariert Andi es. Wenn sie<br />
schlecht drauf sind, hört Andi ihnen zu<br />
und motiviert sie wieder. „Manchmal<br />
erinnern sie ein bisschen an Kinder“,<br />
fasst der Landwirt zusammen. Und<br />
genau das liebt er an der Arbeit mit<br />
ihnen. Unkompliziert und ehrlich, ohne<br />
Zickereien und Intrigen. „Wenn sie dir<br />
etwas zu sagen haben, verpacken sie das<br />
nicht schön – sie hauen’s dir voll vor den<br />
Latz“, lacht er.<br />
Das gewisse Etwas<br />
Angelika steht plötzlich neben ihm und<br />
schaut ihn an. Er weiß genau, was sie<br />
will, und schmunzelt: „Na komm schon,<br />
dann fahren wir eben zum <strong>Milch</strong>viehstall.“<br />
Er nimmt sie mit auf den<br />
Traktor und macht sich auf den Weg.<br />
Den Umgang mit geistig behinderten<br />
Menschen kennt Andi von seinem Lehrbetrieb.<br />
Dort hat er mit Schülern einer<br />
Sonderschule zusammengearbeitet, die<br />
auf dem Hof ein Praktikum machten.<br />
Das habe schon immer einfach funktioniert,<br />
Probleme hatte er damit noch nie.<br />
Auf seine jetzige Arbeitsstelle im Betrieb<br />
des Magnusheims ist der junge Landwirt<br />
zufällig gestoßen. Eine spezielle Ausbildung<br />
hat er nicht gebraucht: „Wir<br />
betreuen sie nur während der Arbeit. Ich<br />
bin in erster Linie dafür verantwortlich,<br />
dass sie ihre Aufgaben erledigen“,<br />
erklärt er.<br />
Trotzdem muss Andi einige Voraussetzungen<br />
erfüllen. Geduld, Toleranz<br />
und Flexibilität sind die Schlüsselwörter.<br />
„Es geht viel daneben und dann muss ich<br />
mir überlegen, wie ich’s wieder hinkriege“,<br />
schildert der Landwirtschaftsmeister<br />
seinen Alltag. Gleichzeitig müssen<br />
er und seine nichtbehinderten<br />
Kollegen darauf achten, dass der Betrieb<br />
wirtschaftlich bleibt: „Wir haben zwar<br />
nicht diesen Leistungsdruck wie normale<br />
landwirtschaftliche Betriebe, aber<br />
tragen müssen wir uns schon selbst.“ Es<br />
sei eine Gradwanderung zwischen den<br />
sozialen Bedürfnissen der behinderten<br />
Menschen und der Wirtschaftlichkeit<br />
des Betriebs. Da müsse man einfach der<br />
Typ dafür sein, meint Andi. „Das kann<br />
man nicht lernen. Das hat man, oder hat<br />
man nicht.“<br />
(Kein) Gesprächsbedarf<br />
Er hat es und er braucht es auch. Zum<br />
Beispiel, um seine Mädels in ihre Grenzen<br />
zu weisen. „Sie wissen ja, dass sie<br />
behindert sind und nutzen das teilweise<br />
auch aus“, erzählt Andi aus Erfahrung.<br />
Wenn sie zum Beispiel keine Lust zum<br />
Arbeiten haben, sagt er, behaupteten sie,<br />
sie müssen unbedingt mit ihm reden. Er<br />
muss erkennen, wann wirklich Gesprächsbedarf<br />
besteht oder wann es eine<br />
Ausrede ist. In dem Fall heißt es konsequent<br />
sein und sie zur Arbeit motivieren.<br />
Er macht das mit Humor und Menschenkenntnis.<br />
Weil er die behinderten<br />
Kolleginnen gut kennt, weiß er genau,<br />
wie er sie zum Lachen bringt und wie<br />
streng er sein darf. „In Watte packen<br />
darf ich keine von ihnen.“<br />
Zurück beim <strong>Milch</strong>viehstall treibt<br />
Bettina gerade die Kühe auf die Weide.<br />
Angelika eilt ihr sofort zu Hilfe. „Du<br />
hast da Kuhscheiße am Bein“, klärt sie<br />
ihre Kollegin auf. Das stört allerdings<br />
keine von beiden und sie machen sich<br />
auf die Suche nach Angie mit der Nummer<br />
866. Wie alle 140 <strong>Milch</strong>kühe kennen<br />
sie ihre Lieblingskuh mit Ziffern<br />
und Namen. Darauf kann sich Andi verlassen.<br />
Und während er Bettina und<br />
Angelika bei der Arbeit zusieht, fasst er<br />
zusammen: „Sie sind behindert, nicht<br />
blöd.“ <br />
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