17.01.2015 Aufrufe

Artikel hier lesen - Die faire Milch

Artikel hier lesen - Die faire Milch

Artikel hier lesen - Die faire Milch

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

15<br />

Soziale <strong>Milch</strong><br />

Im landwirtschaftlichen Betrieb des Regens Wagner Holzhausen<br />

sind sechs geistig behinderte Menschen angestellt. Junglandwirt<br />

Andi Hölzle kennt einige Vorzüge gegenüber seinen nichtbehinderten<br />

Kollegen.<br />

Fotos: J. Davids<br />

Andi lenkt den roten Hoftrac auf<br />

den Außenfuttertisch des neu<br />

gebauten <strong>Milch</strong>viehstalls und<br />

streckt den Kopf aus dem linken Fenster.<br />

Ein kurzer, lebhafter Blick, ein paar<br />

gekonnte Handgriffe an den Bedienelementen<br />

seines Gefährts, so positioniert<br />

er die mit Stroh gefüllte Schaufel über<br />

der Kälberbox. Dort steht Bettina mit<br />

ihrer Gabel bereit, in Sicherheitsschuhen<br />

und kurzer Hose. Andi hilft ihr, die Einstreu<br />

zu verteilen. <strong>Die</strong> beiden albern<br />

etwas herum, sie gibt ihm einen freundlichen<br />

Klaps auf den Oberarm. Seit zwei<br />

Jahren arbeitet er mit ihr zusammen,<br />

<strong>hier</strong> auf dem Hof des Regens Wagner<br />

Holzhausen – einer Einrichtung für<br />

Menschen mit Behinderung.<br />

Zum landwirtschaftlichen Betrieb<br />

des so genannten Magnusheims gehören<br />

unter anderem 140 <strong>Milch</strong>kühe, 160<br />

Stück Jungvieh und 152 ha Grünlandund<br />

Ackerfläche. Außer Andi, seinem<br />

Chef, zwei Teilzeitangestellten, einem<br />

Lehrling und einem Praktikanten arbeiten<br />

<strong>hier</strong> sechs Menschen mit geistiger<br />

Behinderung. „Meine Mädels“, grinst


16<br />

Andi arbeitet seit zwei Jahren in der Landwirtdlz<br />

next September 2013<br />

Bettina und Angelika (vorne) kennen alle <strong>Milch</strong>kühe mit Transpondernummer und Namen.<br />

der lustige Allgäuer. Jede von ihnen hat<br />

feste Aufgaben. Welche das sind,<br />

bestimmt die Werkstätte für behinderte<br />

Menschen in Absprache mit der landwirtschaftlichen<br />

Gruppenleitung des<br />

Magnusheims. Bettina kümmert sich<br />

VITA & BETRIEB<br />

Andreas Hölzle<br />

Der 24-jährige Landwirtschaftsmeister<br />

Andreas Hölzle arbeitet<br />

seit 2011 im landwirtschaftlichen<br />

Betrieb des Regens Wagner in Holzhausen<br />

im Ostallgäu. Dazu gehören<br />

140 <strong>Milch</strong>kühe und 160 Stück<br />

Jungvieh, 400 Legehennen sowie<br />

acht Mastschweine. Auf einer Fläche<br />

von 152 ha baut Andi mit dem<br />

Betriebsleiter, zwei Teilzeitangestellten,<br />

einem Lehrling und einem<br />

Praktikanten 25 ha Kleegras, 17 ha<br />

Getreide, 7 ha Silomais und<br />

7 ha Feldgemüse an. <strong>Die</strong> restlichen<br />

96 ha nutzen sie als Grünland, unter<br />

anderem als Weide und Mähweide.Im<br />

landwirtschaftlichen Betrieb<br />

sind sechs Menschen mit geistiger<br />

Behinderung angestellt, von denen<br />

jeder feste Aufgabe übernimmt.<br />

zum Beispiel um die Kälber, treibt die<br />

Kühe in den Melkroboter und lässt die<br />

Tiere auf die Weide. Außerdem kontrolliert<br />

sie die Einstreu in den Kälberboxen.<br />

Obwohl die behinderten Menschen<br />

selbstständig arbeiten, ist es anders als<br />

im herkömmlichen Betrieb. „Wir müssen<br />

schon überprüfen, ob sie die Arbeiten<br />

wirklich alle erledigen“, verrät Andi.<br />

Mit der Zeit hat er gelernt, wer welche<br />

Aufgaben öfter vergisst. Dann macht er<br />

die jeweilige Person darauf aufmerksam:<br />

„Sie sind für bestimmte Sachen zuständig<br />

und können sich ohne Probleme<br />

darum kümmern. Ich darf nicht zu<br />

nachsichtig sein.“ Generell müsse er<br />

manche mehr kontrollieren, anderen<br />

weniger – wie im normalen Arbeitsleben<br />

auch. Trotzdem gibt es einen entscheidenden<br />

Unterschied, betont der Landwirtschaftsmeister:<br />

„Im Gegensatz zu<br />

den nichtbehinderten Kollegen können<br />

die Mädels nichts dafür, wenn sie etwas<br />

vergessen oder etwas danebengeht.“<br />

Darauf ist er eingestellt und reagiert<br />

humorvoll und gelassen, wann immer<br />

etwas nicht ganz rund läuft.<br />

Fliegende Mistgabeln<br />

Andi und Bettina haben die Kälberbox<br />

fertig eingestreut. Er schwingt sich auf<br />

den Traktor und fährt zum alten Stallgebäude,<br />

der für das Jungvieh genutzt<br />

wird. Er will nachsehen, was Angelika,<br />

eine weitere seiner Schützlinge, schon<br />

erledigt hat. <strong>Die</strong> fällt ihm zur Begrüßung<br />

sofort um den Hals. Der 24-Jährige<br />

ist das gewöhnt: „Es ist wichtig, sie<br />

immer zu unterstützen und ihnen das<br />

Gefühl zu geben, dass ich sie mag und<br />

immer für sie da bin.“ Und wenn Angelika<br />

eine Umarmung möchte, dann<br />

bekommt sie die. „Manchmal schmeißt<br />

sie aber auch mit Mistgabeln nach mir“,<br />

schmunzelt Andi und fährt sich mit der<br />

Hand durch seine wilden, lockigen<br />

Haare.<br />

Solche Stimmungsschwankungen seien<br />

normal, persönlich dürfe man die<br />

nicht nehmen. „Sie sind eben, wie sie<br />

sind“, zuckt er mit den Schultern. Seine<br />

Devise: Mit Humor funktioniert der Alltag<br />

mit ihnen am besten. Der Landwirt<br />

und seine Mädels lachen viel, machen<br />

Witze und haben Spaß. „Manchmal<br />

nervt er, aber er hilft mir immer und ist<br />

immer für mich da“, strahlt Angelika,<br />

strafft die Träger ihrer grünen Latzhose<br />

und geht wieder an die Arbeit.<br />

Lustige Motivation<br />

Mit seiner lustig-lockeren Art motiviert<br />

er nicht nur die behinderten Menschen,<br />

sondern auch sich selbst. Für eine gelungene<br />

Zusammenarbeit mit ihnen braucht<br />

er gute Nerven. Einmal seien zum Bei-


17<br />

schaft des Regens Wagner Holzhausen.<br />

Andi und ein Praktikant (hinten) sowie sein Chef (rechts) betreuen die behinderten Kolleginnen.<br />

spiel 200 Eier auf den Boden gefallen.<br />

Andi nahm es gelassen: „Dann gab’s halt<br />

Rührei.“ Er weiß, dass so etwas nicht mit<br />

Absicht passiert, und es bringe nichts,<br />

sich darüber zu ärgern: „Meine Mädels<br />

geben alle ihr Bestes.“<br />

Deshalb muss er toleranter sein als<br />

bei seinen anderen Mitarbeitern – und<br />

flexibler. Wenn die behinderten Kolleginnen<br />

eine Arbeit nicht schaffen, weil<br />

die Zeit nicht mehr reicht, dann macht<br />

Andi es fertig. Wenn sie etwas kaputt<br />

machen, repariert Andi es. Wenn sie<br />

schlecht drauf sind, hört Andi ihnen zu<br />

und motiviert sie wieder. „Manchmal<br />

erinnern sie ein bisschen an Kinder“,<br />

fasst der Landwirt zusammen. Und<br />

genau das liebt er an der Arbeit mit<br />

ihnen. Unkompliziert und ehrlich, ohne<br />

Zickereien und Intrigen. „Wenn sie dir<br />

etwas zu sagen haben, verpacken sie das<br />

nicht schön – sie hauen’s dir voll vor den<br />

Latz“, lacht er.<br />

Das gewisse Etwas<br />

Angelika steht plötzlich neben ihm und<br />

schaut ihn an. Er weiß genau, was sie<br />

will, und schmunzelt: „Na komm schon,<br />

dann fahren wir eben zum <strong>Milch</strong>viehstall.“<br />

Er nimmt sie mit auf den<br />

Traktor und macht sich auf den Weg.<br />

Den Umgang mit geistig behinderten<br />

Menschen kennt Andi von seinem Lehrbetrieb.<br />

Dort hat er mit Schülern einer<br />

Sonderschule zusammengearbeitet, die<br />

auf dem Hof ein Praktikum machten.<br />

Das habe schon immer einfach funktioniert,<br />

Probleme hatte er damit noch nie.<br />

Auf seine jetzige Arbeitsstelle im Betrieb<br />

des Magnusheims ist der junge Landwirt<br />

zufällig gestoßen. Eine spezielle Ausbildung<br />

hat er nicht gebraucht: „Wir<br />

betreuen sie nur während der Arbeit. Ich<br />

bin in erster Linie dafür verantwortlich,<br />

dass sie ihre Aufgaben erledigen“,<br />

erklärt er.<br />

Trotzdem muss Andi einige Voraussetzungen<br />

erfüllen. Geduld, Toleranz<br />

und Flexibilität sind die Schlüsselwörter.<br />

„Es geht viel daneben und dann muss ich<br />

mir überlegen, wie ich’s wieder hinkriege“,<br />

schildert der Landwirtschaftsmeister<br />

seinen Alltag. Gleichzeitig müssen<br />

er und seine nichtbehinderten<br />

Kollegen darauf achten, dass der Betrieb<br />

wirtschaftlich bleibt: „Wir haben zwar<br />

nicht diesen Leistungsdruck wie normale<br />

landwirtschaftliche Betriebe, aber<br />

tragen müssen wir uns schon selbst.“ Es<br />

sei eine Gradwanderung zwischen den<br />

sozialen Bedürfnissen der behinderten<br />

Menschen und der Wirtschaftlichkeit<br />

des Betriebs. Da müsse man einfach der<br />

Typ dafür sein, meint Andi. „Das kann<br />

man nicht lernen. Das hat man, oder hat<br />

man nicht.“<br />

(Kein) Gesprächsbedarf<br />

Er hat es und er braucht es auch. Zum<br />

Beispiel, um seine Mädels in ihre Grenzen<br />

zu weisen. „Sie wissen ja, dass sie<br />

behindert sind und nutzen das teilweise<br />

auch aus“, erzählt Andi aus Erfahrung.<br />

Wenn sie zum Beispiel keine Lust zum<br />

Arbeiten haben, sagt er, behaupteten sie,<br />

sie müssen unbedingt mit ihm reden. Er<br />

muss erkennen, wann wirklich Gesprächsbedarf<br />

besteht oder wann es eine<br />

Ausrede ist. In dem Fall heißt es konsequent<br />

sein und sie zur Arbeit motivieren.<br />

Er macht das mit Humor und Menschenkenntnis.<br />

Weil er die behinderten<br />

Kolleginnen gut kennt, weiß er genau,<br />

wie er sie zum Lachen bringt und wie<br />

streng er sein darf. „In Watte packen<br />

darf ich keine von ihnen.“<br />

Zurück beim <strong>Milch</strong>viehstall treibt<br />

Bettina gerade die Kühe auf die Weide.<br />

Angelika eilt ihr sofort zu Hilfe. „Du<br />

hast da Kuhscheiße am Bein“, klärt sie<br />

ihre Kollegin auf. Das stört allerdings<br />

keine von beiden und sie machen sich<br />

auf die Suche nach Angie mit der Nummer<br />

866. Wie alle 140 <strong>Milch</strong>kühe kennen<br />

sie ihre Lieblingskuh mit Ziffern<br />

und Namen. Darauf kann sich Andi verlassen.<br />

Und während er Bettina und<br />

Angelika bei der Arbeit zusieht, fasst er<br />

zusammen: „Sie sind behindert, nicht<br />

blöd.“ <br />

dg

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!