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Der Zufall – ein Helfer und kein Störenfried<br />

Warum die Wissenschaft stochastische<br />

Mo<strong>de</strong>lle braucht<br />

Götz Kersting<br />

Der Zufall hat in <strong>de</strong>n Wissenschaften weithin<br />

einen zweifelhaften Ruf. Für die Philosophie<br />

hat Hegel festgestellt: „Die philosophische<br />

Betrachtung hat keine an<strong>de</strong>re Absicht,<br />

als das Zufällige zu entfernen“ (Die Vernunft<br />

in <strong>de</strong>r Geschichte, 1822) – und ähnlich <strong>de</strong>nkt<br />

man auch in an<strong>de</strong>ren Wissenschaften. Die<br />

Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen <strong>de</strong>r Physik mit <strong>de</strong>m<br />

Zufall sind verschlungen und bis heute von<br />

Kontroversen begleitet. Was die Biologie<br />

betrifft, so herrscht noch einiger Argwohn<br />

gegenüber <strong>de</strong>n mo<strong>de</strong>rnen Evolutionstheorien,<br />

die sich entschei<strong>de</strong>nd auf <strong>de</strong>n Zufall<br />

stützen. Und dass <strong>de</strong>rartige Theorien unvereinbar<br />

sind mit <strong>de</strong>r Vorstellung von einer<br />

göttlichen Schöpfung <strong>de</strong>r Welt, gilt unter<br />

manchen ihrer Gegner wie Befürworter als<br />

ausgemacht.<br />

Die Skepsis rührt zu einem gewichtigen Teil<br />

daher, dass <strong>de</strong>r Zufall kaum als ein eigenständiges<br />

Konzept wahrgenommen wird, son<strong>de</strong>rn<br />

nur als Gegensatz zum Geregelten, Geordneten,<br />

also als ein Störenfried. Des Zufalls „blin<strong>de</strong>s“<br />

Wirken scheint sich schlecht damit zu<br />

vertragen, dass sich das unserem Verständnis<br />

zugängliche Geschehen in <strong>de</strong>r Welt <strong>de</strong>terministisch<br />

vollzieht. So gilt als vorbildlich für die<br />

Wissenschaften, wie es Kepler verstand, das<br />

Zufällige in <strong>de</strong>n Planetenbewegungen, wie<br />

man das am Himmel beobachtet, auf einfache<br />

Gesetzmäßigkeiten zurückzuführen und<br />

damit zu eliminieren. Dem fühlt sich auch<br />

die mo<strong>de</strong>rne Chaostheorie verpflichtet, und<br />

man hat sich noch nicht überall damit abgefun<strong>de</strong>n,<br />

dass man manchmal – nicht nur in<br />

<strong>de</strong>r Quantentheorie – ohne <strong>de</strong>n Zufall nicht<br />

auskommt.<br />

„Der Zufall ist zu etwas in <strong>de</strong>r Lage, was man<br />

gewöhnlich nur <strong>de</strong>terministischen Handlungsvorschriften<br />

zutraut.“<br />

Aber wie begrün<strong>de</strong>t sind solche Vorbehalte<br />

Es erweist sich nämlich, dass <strong>de</strong>r Zufall oft gar<br />

nicht als Störenfried in Erscheinung tritt, son<strong>de</strong>rn<br />

vielmehr als Helfer wirkt, <strong>de</strong>m erstaunliche<br />

Dinge gelingen. Dem wollen wir in drei<br />

Beispielen nachgehen. Im ersten Beispiel zeigt<br />

sich, dass bestimmte Aufgabenstellungen<br />

besser gelöst wer<strong>de</strong>n können, wenn man <strong>de</strong>n<br />

Zufall zu Hilfe nimmt. Es geht um das Auflösen<br />

von Warteschlangen beim Hin- und Herschicken<br />

von Paketen in komplexen Netzwerken,<br />

konkret gesprochen von Datenpaketen<br />

im Computer. Wie sich herausstellt, vermei<strong>de</strong>t<br />

man Warteschlangen am zuverlässigsten,<br />

wenn man die Routen für die Pakete in geeigneter<br />

Weise zufällig wählt. Hier ist <strong>de</strong>r Zufall<br />

zu etwas in <strong>de</strong>r Lage, was man gewöhnlich<br />

nur <strong>de</strong>terministischen Handlungsvorschriften<br />

zutraut. In <strong>de</strong>r Informatik macht man sich<br />

diese Qualität <strong>de</strong>s Zufalls inzwischen häufig<br />

zunutze und entwirft randomisierte Algorithmen<br />

für verschie<strong>de</strong>nste Zwecke.<br />

„Kausales Denken geht ein Bündnis mit <strong>de</strong>m<br />

Zufall ein.“<br />

Im zweiten Beispiel geht es um ein Problem<br />

aus <strong>de</strong>r Statistik. Wie bei vielen an<strong>de</strong>ren<br />

statistischen Problemen will man feststellen,<br />

ob sich in einem Datensatz ein ursächlicher<br />

Zusammenhang auf<strong>de</strong>cken lässt. Häufig<br />

ist das aber nicht direkt zu klären: Einerseits<br />

fin<strong>de</strong>t sich in <strong>de</strong>n Daten Variabilität, an<strong>de</strong>rerseits<br />

bereitet es Schwierigkeiten, mögliche<br />

Wirkungszusammenhänge explizit zu benennen.<br />

Deswegen dreht man <strong>de</strong>n Spieß um und<br />

befasst sich mit <strong>de</strong>r Frage, ob die Daten rein<br />

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