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Hotel Komplex.<br />
Bob Dylan. Stanley Kubrick.<br />
Tennessee Williams. Arthur Miller.<br />
Charles Bukowski. Sid Vicious.<br />
Edith Piaf.<br />
Nein, hier geht es nicht darum,<br />
in letztendlich nichts sagendes<br />
Name-dropping in popkultu-<br />
reller Ikonografie-Paraphrasierung<br />
zu verfallen. Allerdings kommt<br />
man um die Erwähnung des ein<br />
oder anderen berühmten Gastes<br />
auch nicht herum, wenn man wie<br />
Autor ED HAMILTON es sich zur<br />
Aufgabe gemacht hat, dem New<br />
Yorker CHELSEA HOTEL ein<br />
Denkmal in Buchform zu setzen.<br />
Seit mittlerweile 125 Jahren<br />
ist das Chelsea die historische<br />
Herberge für Künstler<br />
an der 222 West, Ecke 23te Straße<br />
im Big Apple. Und das mit unbefristeter<br />
Check-Out-Zeit, denn<br />
abgesehen von neugierigen<br />
Traum-Trieb-Touristen leben<br />
die meisten hier nicht für<br />
bestimmte Zeit, sondern auf<br />
Dauer. Im Miet-Apartment.<br />
Nach Lindenberg-Art. Bislang.<br />
Autor Ed Hamilton gehört<br />
seit über einem dutzend<br />
Jahren zu jener speziellen<br />
Spezies der Dauermieter<br />
und begann vor knapp drei<br />
Jahren angesichts eines<br />
Hotelbrandes der unauslöschlichen<br />
Bedeutung des<br />
Bruchbudenbaus als Brutstättenbau<br />
für die BOHEME<br />
ganzer Dekaden einen Blog<br />
(www.hotelchelseablog.<br />
com) ins Leben zu rufen, aus<br />
dem das Buch „Legends<br />
Of The Chelsea Hotel“ resultiert.<br />
Eine Ansammlung<br />
amüsant-artefaktischer Anekdoten,<br />
erlebt irgendwo<br />
zwischen Non- und Fiktionalität<br />
des MÖRTEL-MYTHOS.<br />
„Ich bin kein Historiker und<br />
das Buch ist sicherlich keine<br />
Geschichtsschreibung. Deshalb<br />
nimmt der Titel ja auch bewusst<br />
Bezug auf den Legenden-Charakter.<br />
Aber diese Legende haben<br />
ihr Eigenleben entwickelt und so<br />
viele andere Künstler beeinflusst,“<br />
so der Autor, „Ich dachte auch immer,<br />
dass Jack Kerouac hier sein<br />
berühmtes ‚On The Road‘ verfasst<br />
hätte, aber meine Recherche ergab,<br />
dass er nur einmal hier in den<br />
50ies übernachtet hat.“ So verwebt<br />
Hamilton mit dem begnadeten<br />
Blick nachbarschaftlicher Nähe<br />
die Schrullen und Schrägseiten seiner<br />
tatsächlichen Mitbewohner zur<br />
mythischen Meta-Muse. Und hat<br />
dabei retrospektiv glatt so einen<br />
schönen Schwank wie diesen vergessen:<br />
„Wo ich es gerade sehe –<br />
eines der Bilder bei uns hier im Flur<br />
hat eine schöne Geschichte, die<br />
mir eine alte Hotelbewohnerin mal<br />
erzählt hat. Der Maler lebte hier mit<br />
Frau und Kind in den 70ern. Bis<br />
dahin ganz normal. Eines Tages<br />
entschloss sich der Mann allerdings,<br />
das Malen aufzugeben und<br />
Ed Hamilton. | Text. Frank Thießies<br />
stattdessen WEISSE MÄUSE zu<br />
züchten. Er hat dann in seinem<br />
ganzen Apartment verteilt Käfige<br />
gebaut, die alle über ein Rohrsystem<br />
miteinander verbunden waren.<br />
Das ging ein paar Jahre so, bis er<br />
sich entschied, in seine italienische<br />
Heimat zurückzuziehen<br />
und Mönch zu werden.<br />
Vor dem Verlassen seiner<br />
Familie ließ er aber noch alle<br />
Mäuse frei, die sich dann mit<br />
der Hotel-eigenen Maus-Bevölkerung<br />
vermehrten. Jahre<br />
danach konnte man im Chelsea<br />
immer noch weiße Mäuse<br />
sehen...“ Anscheinend auch<br />
ohne die obligatorischen allabendlichen<br />
fünf Six-Packs.<br />
Womit wir bei genau dem<br />
entscheidenden Punkt wären,<br />
der den leckeren Jubiläums-Jahrgang<br />
zum Einundeinviertel-Jahrhundertlichen<br />
schmälert, beziehungsweise<br />
ausschließt. Mittlerweile<br />
ist der langjährige Manager<br />
Stanley Bard von seinen Mitanteilhabern<br />
gechasst sowie<br />
das Chelsea Hotel Teil der BD<br />
Hotel Management Company<br />
worden, welche nicht nur<br />
neue Langzeitbewohner ablehnt,<br />
sondern Alteingesessene<br />
des architektonischen Anthropomorphismus<br />
sukzessive vor<br />
die Tür zusetzten plant. Doch bis<br />
zur vollständigen KAPITULATION<br />
vor dem Kurzurlauber-Kommerz<br />
wird gesammelklagt und zusammengetragen.<br />
Nicht nur, was die<br />
lebendigen Legenden-Erinnerungen<br />
im Web-Blog angeht. Schließlich<br />
geht es hier um weit mehr als<br />
nur um Eds Block.<br />
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