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ReNé JacoBs - Innsbrucker Festwochen der Alten Musik

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Belshazzar ƒ Geistliche Oper Belshazzar ƒ Geistliche Oper<br />

zum versiegen bringen, das Gottesvolk befreien und die Gottesstadt<br />

– Jerusalem – wie<strong>der</strong> aufbauen.<br />

Gobryas (bab. Ugbaru, altpersisch Gaubaruva) ist eine historische<br />

Figur, die auch aus babylonischen Quellen bekannt ist. In seiner ersten<br />

Arie beklagt er den Tod seines Sohnes, den Belsazar aus Neid ermor-<br />

det habe (dies Motiv entnimmt Jennens Xenophon), in seiner zweiten<br />

vergleicht er die Betrunkenen beim Fest des Sesach mit monströsen<br />

Tieren. Dieses Fest steht für die kommende Nacht an: Trunkenheit ist<br />

dann religiöse Pflicht. So wird <strong>der</strong> Plan gefasst, den Euphrat umzulen-<br />

ken (wie es bei Herodot steht) und auf dem trockenen Flussbett in die<br />

Stadt einzudringen, <strong>der</strong>en eiserne Tore in <strong>der</strong> Festnacht nicht bewacht<br />

sein werden. Kyros beschließt das Gespräch mit einem Gebet an den<br />

Grossen Gott, <strong>der</strong> ihm diesen Plan eingegeben hat, ganz im Stil <strong>der</strong> Arie<br />

<strong>der</strong> Nitocris, die ja auch ein Gebet an denselben Gott darstellt. Beide<br />

sind im den Zuhörer auf einen Zusammenhang aufmerksam machen:<br />

Nitocris und Kyros sind zwei gleichen Takt und Tempo – ¾, Largo – und<br />

beginnen auftaktig mit einer sehr ähnlichen aufsteigenden und wie<strong>der</strong><br />

abfallenden Figur. Dieser Anklang soll auf einen Zusammenhang auf-<br />

merksam machen: beides sind heidnische Figuren, die von <strong>der</strong> Größe<br />

des jüdischen Gottes erfasst sind: Kyros, den sich Gott zum Werkzeug<br />

erwählt hat, um sein Volk aus <strong>der</strong> babylonischen Gefangenschaft zu<br />

befreien, und Nitocris, die sich von Daniel zum wahren Gott hat bekeh-<br />

ren lassen. Beide antworten auf diesen Anruf in <strong>der</strong> gleichen Weise.<br />

Die dritte Szene spielt in Daniels Haus. Daniel liest im Beisein einer<br />

Gruppe jüdischer Landsleute in den Propheten Jeremia und Jesaja und<br />

preist die Wahrheit <strong>der</strong> Bibel. Dann liest er ihnen den Anfang des 45.<br />

Kap. des Jesaja vor. Jennens übernimmt diesen Text ziemlich wörtlich<br />

und hängt dann noch die Verse an, die bei Jesaja das Ende des 44.<br />

Kap. bilden: „Der zu Kyrus sagt: Mein Hirt – alles, was ich will, wird<br />

er vollenden!, <strong>der</strong> zu Jerusalem sagt: Du wirst wie<strong>der</strong> aufgebaut wer-<br />

den!, und zum Tempel: Du wirst wie<strong>der</strong> dastehen.“ Händel komponiert<br />

dieses Zitat im Stile Purcells: über einem sich ständig wie<strong>der</strong>holenden<br />

„ground“ bewegen sich in freier Variation die an<strong>der</strong>en Instrumente und<br />

die Singstimme. Jesaja lässt Gott Kyros als den „Gesalbten“, also<br />

Messias verkünden und sagen: „Ich bin <strong>der</strong> Herr, und sonst niemand;<br />

außer mir gibt es keinen Gott.“ Monotheismus und Weltgeschichte<br />

gehören zusammen: es gibt nur einen Gott, und er ist <strong>der</strong> Gott des<br />

Kyros wie des Jesaja, <strong>der</strong> Gott Daniels, <strong>der</strong> Belsazar stürzen wird. Die<br />

vierte Szene dieses überlangen ersten Akts spielt in Belsazars Palast.<br />

Belsazar und Nitocris verhandeln über das anstehende Fest. Belsazar<br />

fasst den Gedanken, die jüdischen Kultgefäße zu verwenden. Nitocris<br />

und <strong>der</strong> Chor <strong>der</strong> Juden versuchen vergeblich, ihn von diesem Plan<br />

abzubringen.<br />

Die erste Szene des II. Akts versetzt uns wie<strong>der</strong> in das Lager des<br />

Kyros vor <strong>der</strong> Stadt. Inzwischen ist <strong>der</strong> Euphrat gesunken und die Perser<br />

machen sich auf, in die Stadt einzudringen. Die zweite Szene führt<br />

dann die Handlung auf den dramatischen Höhepunkt und umfasst nicht<br />

weniger als 11 Nummern. Die Babylonier singen ein Trinklied, Belsazar<br />

stimmt ein und lässt sich dann im folgenden Rezitativ zur Lästerung des<br />

jüdischen Gottes hinreißen. Darauf erscheint die Schrift an <strong>der</strong> Wand, zu<br />

seinem und zu des Chores Entsetzen. Den Akt des Schreibens gestaltet<br />

Händel durch staccato und pianissimo gespielte Figuren <strong>der</strong> unisono<br />

geführten Violinen. In <strong>der</strong> ersten dieser Figuren tastet sich die Phrase<br />

in repetierten Achteln chromatisch nach oben. Es ist eine Figur ohne<br />

erkennbaren melodischen Sinn, was die Rätselhaftigkeit des Vorgangs<br />

und die Unverständlichkeit <strong>der</strong> Schrift ausdrücken soll. Auch die pianis-<br />

simo gesungene Reaktion des Chores malt das Entsetzen, das allen in<br />

die Glie<strong>der</strong> gefahren ist. Noch zweimal meldet sich die geheimnisvolle<br />

Geigenschrift, tastend, staccato, pianissimo. Belsazar lässt die Weisen<br />

herbeirufen, <strong>der</strong>en Ankunft Händel mit dem von Telemann übernom-<br />

menen Postillion-Allegro darstellt. Aber auch sie können die Schrift<br />

nicht deuten. Schließlich wird Daniel gerufen. Der kann die Schrift nicht<br />

nur lesen, son<strong>der</strong>n auch deuten: mene mene teqel u-pharsin ist eine<br />

Aneinan<strong>der</strong>reihung von Gewichtmaßen für Gold und Silber. Mene kennen<br />

wir als „Mine“, teqel ist in <strong>der</strong> Form „schekel“ bekannt und pharsin ist<br />

Plural von ph’res, was wohl eine halbe Mine bezeichnet. Händel lässt<br />

Daniel die Rätselworte Adagio und mit stark gelängter erster Silbe<br />

lesen. Die Deutung erfolgt dann Allegro mo<strong>der</strong>ato in einem pathetischen<br />

Accompagnato: Gezählt, die Tage des Reichs, gewogen und zu leicht<br />

befunden: Belsazar, aufgeteilt: das Reich unter die Me<strong>der</strong> und Perser.<br />

Nitocris beschwört den Sohn in einem wun<strong>der</strong>schönen Siciliano, zu<br />

bereuen und den Gott, den er gelästert hat, um Vergebung zu bitten.<br />

Szenenwechsel: Kyros, Gobryas, die Perser. Kyros singt ein feierliches<br />

Dankgebet, die Perser beglückwünschen ihn militärisch mit Pauken und<br />

Trompeten.<br />

Der dritte Akt beginnt wie <strong>der</strong> erste mit einem großen Monolog, einem<br />

Arioso <strong>der</strong> Nitocris, die von Schmerz und Hoffnung zerrissen ist. Ein<br />

Bote bringt die Nachricht, dass die Perser in den Palast eingedrungen<br />

sind. Der Chor <strong>der</strong> Juden kommentiert die Nachricht mit einem Vers aus<br />

Jesaja 46,1 „Bel bricht zusammen, Nebo ist gefallen“, ähnlich Jeremia<br />

50.2: „Babel ist genommen, Bel ist zuschanden, Merodach ist zer-<br />

schmettert.“ In <strong>der</strong> 2. Szene sehen wir Belsazar sich Mut antrinken zum<br />

hoffnungslosen Wi<strong>der</strong>stand. Der Kampf wird instrumental dargestellt<br />

als „martial symphony“ und ist bald vorüber. Die Schlussszene beginnt<br />

mit einem wun<strong>der</strong>vollen Dankgebet des Gobryas und endet mit dem<br />

allgemeinen Dankgebet von Chor und Solisten, in einem himmlischen<br />

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