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Leseprobe - Windsor Verlag

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Meinem Mann,<br />

dem Fels in der Brandung,<br />

der mir Halt gegeben hat.<br />

Meinem Sohn,<br />

der mir eine emotionale Stütze war<br />

in dieser schweren Zeit.<br />

Er hat mir unendlich geholfen.<br />

Der Friedrich-Husemann-Klinik,<br />

in der ich im Laufe der Behandlung<br />

zum Schreiben von Gedichten ermutigt wurde,<br />

was – im Nachhinein betrachtet -<br />

sehr zu meinem Heilungsprozess beitrug.<br />

Dem Verein Grauzone e.V. in Donaueschingen,<br />

in tiefer Dankbarkeit, dass es heute eine<br />

Anlaufstelle für Kinder in tiefster Not gibt,<br />

für sexuell missbrauchte Kinder,<br />

in der Hoffnung, durch das Schreiben<br />

dieses Buches – unter einem Pseudonym -<br />

einen kleinen Beitrag leisten zu können.<br />

2


Annie Lavague<br />

Posttraumatische Gefühlswelten<br />

Ein Versuch, Ordnung in das Chaos zu bringen.<br />

3


www.windsor-verlag.com<br />

© 2013 Annie Lavague<br />

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved.<br />

Umschlaggestaltung: Julia Evseeva<br />

Buchlayout: Julia Evseeva<br />

Illustrationen: Annie Lavague<br />

Grafik: © Sergio Hayashi (fotolia.com)<br />

<strong>Verlag</strong>: <strong>Windsor</strong> <strong>Verlag</strong><br />

ISBN: 978-1-938699-88-7<br />

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist<br />

ohne Zustimmung des <strong>Verlag</strong>es und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die<br />

elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche<br />

Zugänglichmachung.<br />

4


Inhaltsverzeichnis<br />

Einleitung .................................................... 7<br />

Vergessen und verdrängt .......................... 8<br />

Der Erinnerungsprozess ........................... 9<br />

Meine Gedichte ......................................... 12<br />

Meine Bilder .............................................. 14<br />

Alles zu viel ............................................... 16<br />

Andere Form der Depression ................. 17<br />

Angsterstarrt ............................................. 18<br />

Arbeitsflüchtig .......................................... 20<br />

Angstbesetztes Leben .............................. 23<br />

Bipolar ........................................................ 24<br />

Ballon am Himmel ................................... 26<br />

Chaos ......................................................... 27<br />

Deckmantel der Verdrängung ................ 28<br />

Depression ................................................. 30<br />

Dunkel und hell ........................................ 31<br />

Durch 1000 V erschüttert ........................ 32<br />

Eifersucht ................................................... 36<br />

Einheit des Seins ....................................... 37<br />

Erstarrte Gefühle ...................................... 38<br />

Essgestört .................................................. 39<br />

Fett als Schutz ........................................... 40<br />

Feuer und Eis ............................................ 41<br />

Französisch-Slawisch ............................... 43<br />

Ganz allein ................................................ 44<br />

Gedanken der Kindheit ........................... 45<br />

Gefangen im Spinnennetz der Angst .... 46<br />

(Den Eltern) Geopferte Kindheit ............ 47<br />

Gequälte Seele ........................................... 48<br />

Gottvertrauen ............................................ 49<br />

Hilferuf ...................................................... 50<br />

Hoffnung ................................................... 51<br />

Immer noch allein .................................... 52<br />

Innere Stärke ............................................. 53<br />

Jesus im Herzen ........................................ 54<br />

Jeweils doppelt Opfer .............................. 55<br />

Jungbrunnen der Seele ............................ 56<br />

Ketten der Vergangenheit ....................... 57<br />

Kinderaugen ............................................. 59<br />

Mein Körper .............................................. 60<br />

Kraft ........................................................... 61<br />

Krankheit als Weg .................................... 62<br />

Liebe dich selbst ....................................... 63<br />

Mangelndes Vertrauen ............................ 64<br />

Manie ......................................................... 66<br />

Maske des Lächelns ................................. 67<br />

Mutter ........................................................ 68<br />

Mutterglück ............................................... 69<br />

5


Nachwehen ............................................... 70<br />

Probleme beim Verzeihen ....................... 71<br />

Qi Gong ..................................................... 72<br />

Roboter ...................................................... 73<br />

Ruhe ........................................................... 75<br />

Schamgefühle ............................................ 76<br />

Schatten und Licht ................................... 79<br />

Schmarotzergedanken ............................. 80<br />

Schmerz ..................................................... 81<br />

Schmerz der Kindheit .............................. 82<br />

Schuldgefühle ........................................... 84<br />

Seelenmord ............................................... 85<br />

Seelenschmerz .......................................... 86<br />

Der Seelenvogel ........................................ 87<br />

Seelisch krank ........................................... 88<br />

Sehnsucht .................................................. 89<br />

Sehnsüchte der Seele ............................... 90<br />

Spirale der Depression ............................ 91<br />

Tränen der Heilung ................................. 93<br />

Trauer um das tote Kind in mir ............. 94<br />

Traumatische Kindheit ............................ 97<br />

Trostlose Familie ...................................... 98<br />

Ungelebte Kindheit .................................. 99<br />

Ungeweinte Tränen ............................... 100<br />

Vergessen ................................................. 101<br />

Vergewaltigter Engel ............................. 102<br />

Wahn-Sinn ............................................... 103<br />

Warum .................................................... 105<br />

Was wäre, wenn … ................................ 106<br />

Weg der Liebe ......................................... 107<br />

Wege aus dem Sumpf<br />

sexuellen Missbrauchs ........................... 109<br />

Wo warst du .......................................... 110<br />

Zwischen allen Stühlen ......................... 112<br />

Epilog ....................................................... 114<br />

6


Einleitung<br />

„Wir sind Analphabeten, wenn es um Gefühle geht. Und das ist eine traurige Tatsache, nicht<br />

nur, was dich und mich betrifft, sondern praktisch alle Menschen sind es. Wir lernen alles über<br />

Ackerbau in Rhodesien und den Körper und die Wurzel aus Pi oder wie das heißt, aber kein Wort<br />

über die Seele. Wir sind BODENLOS UND UNGEHEUER UNWISSEND, WENN ES UM<br />

UNS SELBST UND UM ANDERE GEHT. Heutzutage sagt man leichthin, man soll die Kinder<br />

zu Menschlichkeit und Verständnis und Toleranz und Gleichheit, oder wie die Modewörter<br />

sonst noch heißen mögen, erziehen. Aber niemand kommt auf die Idee, dass wir ZUERST ET-<br />

WAS ÜBER UNS SELBST UND UNSERE GEFÜHLE LERNEN MÜSSEN. ÜBER UNSERE<br />

EIGENE FURCHT UND EINSAMKEIT UND UNSEREN ZORN (…) Wie soll man jemals<br />

andere verstehen, wenn man nichts über sich selbst weiß“<br />

(Ingmar Bergmann) (Hervorhebungen durch die Autorin)<br />

Dieses Zitat trifft im Grunde genommen auf Jeden zu. In noch viel stärkerem Maße jedoch<br />

auf Menschen, die ein wie auch immer geartetes Trauma erlitten haben, etwas so Schlimmes,<br />

dass sie innerlich erstarrten, erfroren …<br />

7


Vergessen und verdrängt<br />

Nach außen hin hatte ich wohl eine tolle Kindheit. Nach außen hin schien alles perfekt.<br />

Und doch …<br />

… ich konnte mich an nichts mehr erinnern. Für mich war meine Kindheit und die Zeit der<br />

Pubertät ein riesiges schwarzes Loch.<br />

Ich konnte mich einfach an nichts mehr erinnern. Und das machte mir Angst, große Angst.<br />

Bewusst wurde mir das erst, als mein Sohn etwa drei Jahre alt war und doch hat es schon<br />

in der Schwangerschaft angefangen. Da hat das SCHWARZE LOCH zum ersten Mal seine<br />

Sogwirkung entfaltet.<br />

In den beiden letzten Schwangerschaftsmonaten litt ich unter schlimmen Depressionen.<br />

Jede Nacht schreckte ich gegen 1 Uhr aus dem Schlaf auf und war der Überzeugung, etwas<br />

ganz Wichtiges vergessen zu haben.<br />

Damals dachte ich, es hätte mit den Vorbereitungen auf unser Kind zu tun und dass noch<br />

irgendetwas an Babyausstattung fehlte.<br />

Heute weiß ich: Bereits da begann das jahrelang Verdrängte langsam an die Oberfläche zu<br />

drängen, von ganz tief unten. Ich hatte vergessen, ich hatte verdrängt, was man mir in der<br />

Kindheit alles Schreckliches angetan hatte.<br />

Ich hatte es verdrängen müssen, um zu überleben. Damals musste ich schweigen, um zu<br />

überleben. Jetzt muss ich das Schweigen brechen, um endlich wirklich LEBEN zu können,<br />

denn Überleben bedeutet Kämpfen, Wachsamkeit, Angespanntheit und Kontrolle über alles<br />

und jeden, vor allem über mich selbst.<br />

8


Der Erinnerungsprozess<br />

Der schmerzhafte Prozess des Erinnerns war ein unendlich langer:<br />

Sieben Jahre lang litt ich unter schweren SCHLAFSTÖRUNGEN, noch vor meiner Schwangerschaft.<br />

Diese Schlafstörungen waren wohl bereits ein Symptom meiner manisch-depressiven<br />

Erkrankung, die erst sehr viel später diagnostiziert wurde. Vor allem aber waren sie<br />

wohl auf die ANGST zurückzuführen, diese riesige Angst, die mich seit meiner Kindheit<br />

begleitete, Angst davor, dass etwas Schreckliches passieren würde, wenn ich mein Schweigen<br />

breche, Angst davor, das Schreckliche, Verdrängte wieder hochkommen zu lassen und<br />

es mir anzusehen.<br />

Die Grundangst war, glaube ich, ES NICHT ZU SCHAFFEN.<br />

Jetzt, da ich all die schrecklichen Ereignisse in meiner Kindheit in einem langen Prozess<br />

erinnert habe, kann ich diese Grundangst nur allzu gut verstehen – die ANGST DES KLEI-<br />

NEN KINDES VON DAMALS.<br />

Erst verlor ich das Urvertrauen zu meinem Vater, als er mich im Alter von drei Jahren<br />

sexuell missbrauchte. Selbst wenn dieser Übergriff nur einmalig erfolgte und im Vergleich<br />

zu allem, was noch folgen sollte „harmlos“ war: Vor da an war ICH der Sündenbock in der<br />

Familie und sollte es bleiben. Das Gefühl, immer an allem schuld zu sein, verfolgt mich<br />

bis heute. Diese Missbrauchssituation fand statt, als meine Mutter zur Entbindung meines<br />

kleinen Bruders im Krankenhaus war. Immer habe ich mich gefragt, warum ich ein so zwiespältiges<br />

Verhältnis zu meinem jüngeren Bruder habe.<br />

Durch diesen Umstand wird es mir klar: So klein ich war, hat ein Teil von mir wohl meinem<br />

jüngeren Bruder die Schuld gegeben für das, was passiert war. Immerhin hatte mein<br />

Vater ja so eine immense Schuld auf mich abgewälzt. Da habe ich wohl einen Teil davon<br />

9


abgegeben.<br />

Zu den bislang erinnerten Fakten und deren Chronologie:<br />

Missbraucht wurde ich von drei Tätern: von meinem Vater (im Alter von drei Jahren), von<br />

einem Mieter in unserem Haus (im Alter von sieben Jahren) und von meinem Onkel (über<br />

einen Zeitraum von zehn Jahren – ab drei Jahre bis sechzehn Jahre, mit etwa drei Jahren<br />

Pause). Erinnert habe ich die Taten jedoch nicht in chronologischer Reihenfolge.<br />

Als erstes konnte ich mich an den Missbrauch durch einen Mieter bei uns im Haus erinnern<br />

– wahrscheinlich, weil es sich hier um einen Fremden handelte und es insofern nicht<br />

so fundamental am Urvertrauen rüttelte. Schlimm war jedoch, dass der Missbrauch (er dauerte<br />

einen ganzen Sommer lang) nach dem Umzug in unser neues Haus stattfand. Da hatte<br />

ich gerade die Hoffnung, dass ich endlich erlöst wäre, aber es ging weiter … Danach kam<br />

die Erinnerung an den Missbrauch durch meinen Vater im Alter von drei Jahren. Und zuletzt<br />

die schmerzhafteste Erinnerung an den langjährigen Missbrauch durch meinen Onkel,<br />

einen Onkel, den ich sehr mochte und zu dem ich jahrelang zum Babysitten ging. Als ich<br />

drei Jahre war, lebten wir noch mit diesem Onkel unter einem Dach. Der Missbrauch hatte<br />

damals schon begonnen. Als wir in unser neues Haus zogen, dachte ich, alles wäre endlich<br />

vorbei. Dann wurde ich von unserem Mieter missbraucht. Als das nach dessen Auszug vorbei<br />

war, musste ich zu meinem Onkel zum Babysitten und alles fing wieder an…<br />

Der Erinnerungsprozess fand in kleinen, gerade noch „verdaubaren“ Einheiten statt – in<br />

Form von GEDICHTEN, in denen ich mir jeweils ein schmerzhaftes Detail von der Seele<br />

schreiben und es so vorerst ablegen konnte.<br />

Ich bin froh, dass ich keine Flashbacks (plötzliches Erinnern in Form von Bildern) hatte.<br />

Die hätte ich nicht verkraftet.<br />

Sehr, sehr vieles habe ich auch somatisch, körperlich verarbeitet. Ich glaube, immer, wenn<br />

es der Seele zu viel wurde, hat mein Körper übernommen, was nicht gerade eben angenehmer<br />

war: eine schwangerschaftsbedingte Gelbsucht hätte mich fast das Leben gekostet,<br />

starke Nierenschmerzen und immer, immer wieder Unterleibsinfekte.<br />

10


Wie oft habe ich das als ungerecht empfunden: nicht nur als Kind musste ich so entsetzlich<br />

leiden, sondern jetzt noch, als Erwachsene, holte mich immer wieder alles ein und ich musste<br />

noch einmal durch den ganzen Schmerz hindurch.<br />

Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen, denn das ganze Ausmaß des sexuellen Missbrauchs<br />

in der Kindheit habe ich zwar erinnert und in Form von Gedichten festgehalten –<br />

verarbeitet ist das alles jedoch noch nicht.<br />

Ich habe mir meine eigene Therapie verordnet: ich werde noch ein letztes Mal alles aufschreiben,<br />

mir noch ein letztes Mall alles von der Seele schreiben, meine Gedichte noch einmal<br />

sortieren und integrieren, in der Hoffnung danach vielleicht, hoffentlich alles ablegen<br />

und befreiter leben zu können.<br />

Mir ist bewusst, dass diese letzte Arbeit nochmals sehr schmerzhaft wird, aber ich hoffe,<br />

mich nach jeder geschriebenen Zeile und Seite etwas befreiter zu fühlen.<br />

Die Arbeit an diesem Buch habe ich streng strukturiert: Geschrieben habe ich jeweils morgens<br />

ab 7 Uhr, maximal eine Stunde lang. Dabei hörte ich mir Meditationsmusik ein. Nach<br />

dem Schreiben machte ich jeweils etwa zehn Minuten Qi Gong (dabei entstand auch das<br />

Gedicht über Qi Gong). Und danach ging ich dann duschen. Alles also nach einem strengen<br />

Ritual: Schreiben, Qi Gong, um mich seelisch wieder ins Gleichgewicht zu bringen und danach<br />

ein Reinigungsritual, um wieder fit für den Alltag zu sein.<br />

Es wird Zeit, sie endlich zu sprengen, die Ketten meiner Vergangenheit, eine nach der anderen,<br />

nicht nur für mich, sondern auch für meinen Mann und für meinen Sohn, die mit mir<br />

zusammen eine schwere Zeit durchlebt haben, die mir bei schwersten Depressionen und<br />

noch schlimmeren manischen Phasen zur Seite gestanden haben.<br />

11


Meine Gedichte<br />

In der Friedrich-Husemann-Klinik in Buchenbach, in der ich mich 1999 einem dreimonatigen<br />

Aufenthalt unterziehen musste, fing ich an, Gedichte zu schreiben. Oft konnte ich gerade<br />

dann, wenn ich besonders verzweifelt war, zum Stift greifen und festhalten, was mich<br />

bedrückte.<br />

Zu meinem Erstaunen brachte mir jedes Gedicht neue Erkenntnisse.<br />

Am Anfang stand meist der Schmerz, in der Mitte eine neue Erkenntnis und am Ende einer<br />

positiver Ausblick.<br />

Das Schreiben fing durch die tiefe Sehnsucht nach meinem Sohn an, den ich unendlich<br />

vermisste. Seinen vierten Geburtstag konnte ich nicht mit ihm feiern … das tat so unendlich<br />

weh! Und endlich konnten Tränen fließen, die wie alle anderen Gefühle, so lange eingefroren<br />

gewesen waren.<br />

Von den Ärzten wurde ich dazu ermutigt, diesen Weg weiterzugehen. In einem Gedicht<br />

würde ich meine Gedanken und Gefühle VER-DICHT-EN, also in komprimierte Form darstellen.<br />

Und da nahezu all meine Gedichte mit einem positiven Gedanken endeten, dienten<br />

sie mir dazu, Schmerz zu transformieren.<br />

Ich kritzelte so ein Gedicht immer in kürzester Zeit hin und ließ es immer bis zum nächsten<br />

Tag „ruhen“. Sehr oft war ich dann verblüfft, was ich da geschrieben hatte. Und jedes<br />

einzelne Gedicht gab mir wieder Kraft und Zuversicht.<br />

Bei allen Gedichten, die ich in Buchenbach geschrieben habe, steht dies dabei.<br />

So habe ich im Verlaufe von sieben Jahren, also auch nach meinem Klinikaufenthalt, un-<br />

12


zählige Gedichte geschrieben. Manche spät abends, wenn ich nicht schlafen konnte. Andere<br />

bei Konzertbesuchen. Als ich bemerkt hatte, dass sich meine Seele durch die Musik öffnete,<br />

nahm ich zu Konzerten immer einen Notizblock mit, um gleich alles festzuhalten, was mir<br />

dabei in den Sinn kam. Auch die Konzerte stehen bei den betreffenden Gedichten dabei.<br />

Lange machte ich mir Gedanken darüber, wie ich diese zahlreichen Gedichte sortieren<br />

sollte. Ich hätte sie zum Beispiel nach Themenkreisen sortieren können: Gefühle, Gedanken,<br />

körperliche Auswirkungen, meine Krankheit, Erinnerungen an die Taten, meine Mutter…<br />

Und dann fiel mir das Zitat von Ingmar Bergmann wieder ein, dass wir „… Analphabeten<br />

(sind), wenn es um Gefühle geht….“. Was liegt also näher, um Ordnung in das Chaos zu bringen,<br />

als die Gedichte ganz neutral zu sortieren, ganz einfach in alphabetischer Reihenfolge.<br />

Ich stelle mir vor, dass meine Gedichte, von Ihrer ursprünglichen Schwere befreit, in die<br />

Welt hinaus flattern – quasi auf Schmetterlingsflügeln - und sich heilsam und wohltuend<br />

auf die Seele von Betroffenen setzen.<br />

13


Meine Bilder<br />

Schon als Kind habe ich gerne gemalt. Ich hatte überhaupt viele kreative Hobbys: Klavierspielen,<br />

Brandmalerei, Ölmalerei und Hinterglasmalerei. Diese vielen Hobbys haben<br />

mir sicherlich dabei geholfen, meine gesunden Anteile zu bewahren und vielleicht sogar<br />

auszubauen.<br />

Während des Verarbeitungsprozesses habe ich zwar primär Gedichte geschrieben. Ab<br />

und zu habe ich jedoch auch Bilder gemalt. Sehr einfache Bilder. Ich glaube, der Teil in mir,<br />

der geschrieben und gemalt hat, war das verletzte Kind in mir. Daher wirken die Bilder<br />

auch wie Kinderbilder. Zum Glück sind sie nicht in düsteren Farben gemalt, sondern im<br />

Allgemeinen sehr farbenfroh.<br />

Für den Gedichtteil habe ich zur Auflockerung eine kleine Auswahl meiner Bilder „eingestreut“.<br />

Zwei davon habe ich wirklich als Kind gemalt, zwei Ölbilder: den Flötenspieler und<br />

das nächtliche Kirchenbild.<br />

Die Thematik ist schwer genug. Da möchte ich sie Ihnen, liebe LeserInnen, wenigstens<br />

etwas aufgelockert präsentieren.<br />

14


Alles zu viel<br />

Wieder einmal dieses Gefühl,<br />

es nicht zu schaffen,<br />

dass alles zu viel ist.<br />

Doch dieses Mal sind es nicht Berge,<br />

die ich vor mir sehe.<br />

Es ist, als würde ich untergehen und<br />

das Wasser schwappt über mir zusammen.<br />

Da werde ich wohl kurz untertauchen<br />

und mich frei schwimmen,<br />

um danach wieder erfrischt an die Arbeit zu gehen.<br />

Wer weiß, vielleicht stoße ich bei meinem<br />

Tauchgang ja auf eine Perle.<br />

4. Oktober 2008<br />

16


Andere Form der Depression<br />

Früher sah man sie mir stärker an.<br />

In mir war nur Leere oder hoffnungsloses Chaos.<br />

Ich konnte das in mir nicht definieren oder benennen.<br />

Jetzt kann ich darüber reden und darstellen und benennen,<br />

was in mir ist:<br />

Wut<br />

Tränen<br />

Angst … Angst … Angst<br />

Wovor<br />

Ich weiß es nicht.<br />

Aber sie ist so groß, dass ich<br />

hohe Mauern errichtet habe<br />

um die Wut und die Tränen.<br />

Sie sind eingezäunt, eingesperrt<br />

und ich erhalte die Schutzwälle<br />

mit aller Kraft aufrecht,<br />

indem ich mit einem Lächeln<br />

über all das spreche.<br />

14. Mai 2001<br />

17

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