Institut für Psychologie - Universität Potsdam
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<strong>Institut</strong> <strong>für</strong> <strong>Psychologie</strong><br />
Abteilung Sozialpsychologie<br />
Prof. Dr. Barbara Krahé<br />
Dr. Ingrid Möller<br />
Dipl.-Psych. Anja Berger<br />
November 2006<br />
Vorbemerkung<br />
Aktuelle Forschungsprojekte zum Thema "Mediengewalt":<br />
Fragestellungen, Methode und Ergebnisse *<br />
Die Frage, ob der Konsum von Mediengewalt in Film, Fernsehen oder interaktiven<br />
Computerspielen die Gewaltbereitschaft erhöht, ist in der Öffentlichkeit heftig umstritten und<br />
wird nicht immer sachlich diskutiert. Bevor wir die Zielsetzungen und Ergebnisse unserer Studien<br />
zusammenfassen, soll deshalb hier das Grundverständnis umrissen werden, das unseren Arbeiten<br />
zugrunde liegt.<br />
• Niemand, der sich wissenschaftlich mit dem Thema auseinandersetzt, würde behaupten, das<br />
der Konsum von Mediengewalt immer und unweigerlich zu gewalttätigem Verhalten führt.<br />
Vielmehr sind sich die Forscher/innen einig, dass Mediengewalt nur einer von vielen<br />
Faktoren ist, die zur Gewaltbereitschaft beitragen können.<br />
• Zum Vergleich: Es würde auch niemand behaupten, dass jeder, der raucht, an Lungenkrebs<br />
stirbt oder jeder, der betrunken Auto fährt, einen schweren Verkehrsunfall verursacht.<br />
Rauchen erhöht aber das Risiko <strong>für</strong> Lungenkrebs, und Trunkenheit am Steuer ist eine häufige<br />
Ursache schwerer Unfälle. Deshalb werden in unserer Gesellschaft Maßnahmen ergriffen, das<br />
Risiko zu senken, etwa über das Verbot von Tabakwerbung oder die Einführung und<br />
Überwachung von Promillegrenzen.<br />
• Analog zu diesen Beispielen geht es bei der Debatte um Mediengewalt zunächst einmal um<br />
die Frage: Wie hoch ist das Risiko, dass Menschen durch den intensiven Konsum von<br />
Mediengewalt gewaltbereiter werden? Im nächsten Schritt ist dann zu entscheiden, ob es<br />
angezeigt erscheint, Maßnahmen zur Senkung des Risikos zu ergreifen. Das Wissen um<br />
Maßnahmen, die erfolgversprechend sein können, setzt wiederum voraus, dass man genauer<br />
* Ansprechpartnerin <strong>für</strong> weitere Auskünfte: Dr. Ingrid Möller, <strong>Universität</strong> <strong>Potsdam</strong>, <strong>Institut</strong> <strong>für</strong> <strong>Psychologie</strong>,<br />
Karl-Liebknecht-Str. 24-25, 14476 Golm, Tel: 0331-9772822 oder 9772878, Email: Ingrid.Moeller@unipotsdam.de.
Sozialpsychologie <strong>Potsdam</strong> – Forschungsprojekte zur Mediengewalt 2<br />
weiß, auf welche Weise Mediengewalt die Nutzer beeinflussen und ihre Gewaltbereitschaft<br />
erhöhen kann.<br />
Fragestellungen<br />
US-amerikanische Meta-Analysen zeigen, dass der Konsum von Spielen mit hohem Gewaltgehalt<br />
mit erhöhter Aggression verbunden ist. 1 Der Effekt konnte dabei sowohl <strong>für</strong> Erwachsene als<br />
auch <strong>für</strong> Kinder und Jugendliche nachgewiesen werden. Experimente, in denen Teilnehmer, die<br />
ein gewalthaltiges Spiel spielten, mit Teilnehmern verglichen wurden, die ein gewaltfreies Spiel<br />
spielten, konnten zeigen, dass das Spielen gewalthaltiger Videospiele zumindest kurzfristig<br />
aggressives Verhalten sowie aggressive Gedanken und Gefühle im Spieler begünstigen bzw.<br />
erhöhen. Auch Befragungen von Vielspielern und Wenigspielern konnten diesen Zusammenhang<br />
bestätigen.<br />
Unsere Studien zielen darauf ab, einige bislang nicht hinreichend geklärte Fragen über den<br />
Zusammenhang von Mediengewalt und Aggression genauer zu untersuchen. Insbesondere geht<br />
es um folgende Fragestellungen:<br />
• Wovon hängt es ab, ob sich Personen besonders zu gewalthaltigen Spielen hingezogen<br />
fühlen? Mehrere mögliche Variablen sind hier zu betrachten:<br />
o Geschlecht: In sehr vielen Studien in verschiedenen Ländern zeigte sich, dass Jungen und<br />
Männer von Videospielen allgemein und von gewalthaltigen Spielen im Besonderen viel<br />
stärker angezogen werden als Mädchen und Frauen. Auch in unseren Studien zeigte sich<br />
bei der Teilnehmeranzahl ein deutlicher Geschlechtsunterschied. Nur 4% aller<br />
teilnehmenden Personen an unseren Online-Studien waren Mädchen und junge Frauen.<br />
o Geschlechterrollen-Selbstkonzept: Hierbei geht es darum, wie sehr sich eine Person mit<br />
dem ihrem Geschlecht entsprechenden (typisch männlichen oder typisch weiblichen)<br />
Rollenbild identifiziert. Wir vermuten, dass Spielerinnen, die sich selbst nicht nur mit<br />
typisch weiblichen, sondern zusätzlich auch mit typisch männlichen Eigenschaften<br />
beschreiben, verstärkt Gewaltspiele nutzen. Umgekehrt gingen wir davon aus, dass<br />
männliche Spieler, die sich sowohl männliche als auch weibliche Eigenschaften<br />
zuschreiben, diese Art von Spielen weniger spielen.<br />
1 Forschungsarbeiten, die eine Vielzahl von Studien unterschiedlicher Forscher aus verschiedenen Ländern<br />
zusammenfassen und somit besser abschätzen können, ob überhaupt ein Zusammenhang zwischen Mediengewalt<br />
und Aggression besteht und wenn ja, wie stark dieser Zusammenhang ausgeprägt ist. Unter "Aggression" bzw.<br />
"aggressivem Verhalten" verstehen wir im folgenden Verhaltensweisen, die mit der Absicht ausgeführt werden, eine<br />
andere Person zu schädigen.
Sozialpsychologie <strong>Potsdam</strong> – Forschungsprojekte zur Mediengewalt 3<br />
o Bedürfnis nach Kick und Abenteuer ("Sensation Seeking"): Wir vermuten, dass Personen,<br />
die einen besonders hohen Wunsch nach aufregenden Situationen im Sinne des „Sensation<br />
Seeking“ haben, sich bevorzugt mit Actionspielen beschäftigen und entsprechend auch<br />
Spiele wählen, in denen Kämpfe etc. zu den vordringlichen Spielaufgaben zählen (und die<br />
somit auch einen höheren Gewaltanteil aufweisen als z.B. Simulationen, Rennspiele oder<br />
klassische Adventures).<br />
o Erhöhte Aggressionsneigung: Eine weitere Möglichkeit wäre anzunehmen, dass gerade<br />
Menschen, die schnell und häufig „ausrasten“, also eine hohe Aggressionsneigung haben,<br />
eine besondere Vorliebe <strong>für</strong> das Ausagieren von Aggression in der virtuellen Welt der<br />
Computerspiele haben. Damit wäre es nicht (nur) so, dass Gewaltspiele aggressiv machten,<br />
sondern auch (oder vielmehr) so, dass besonders aggressive Menschen sich auch stärker zu<br />
derartigen Gewaltinhalten hingezogen fühlen.<br />
• Wie stark ist der Zusammenhang zwischen der Nutzung gewalthaltiger Computerspiele und<br />
der Aggressionsbereitschaft? Da die Gewaltspiele, die in unseren Studien näher betrachtet<br />
worden sind, v.a. körperliche Formen aggressiven Verhaltens darstellen und den Spieler<br />
entsprechend im virtuellen Raum ausführen lassen, ist anzunehmen, dass es am ehesten einen<br />
Effekt auf körperliche Aggressionsformen im alltäglichen Erleben und Verhalten der<br />
Spieler/innen geben sollte. Daher wurden die Vorhersagen entsprechend auf diese Form<br />
aggressiven Verhaltens beschränkt und auch die Ergebnisdarstellung bezieht sich nur auf<br />
diesen Teilaspekt.<br />
• Sind bestimmte Spieler „anfälliger“ <strong>für</strong> die aggressionsfördernde Wirkung von Mediengewalt<br />
und an welchen Risikomerkmalen erkennt man sie?<br />
o Geschlecht: Anzunehmen ist, dass der Zusammenhang zwischen Gewaltmedienkonsum<br />
und Aggression <strong>für</strong> Jungen und Männer stärker ausgeprägt ist (aber sie nutzen diese<br />
Inhalte eben auch häufiger).<br />
o Aggressivität: Wenn Personen ohnehin bereits eine erhöhte Aggressionsbereitschaft<br />
mitbringen, sollte diese durch den Konsum von Mediengewalt stärker erhöht werden als<br />
dies bei Personen mit niedriger Aggressionsbereitschaft der Fall ist.<br />
• Auf welchem Wege, d.h. über welche vermittelnden Prozesse, wirkt sich der Konsum<br />
gewalthaltiger Medien aus?<br />
o Leichtere Abrufbarkeit aggressiver Gedanken: Ausgehend von aktuellen theoretischen<br />
Modellen der Aggressions- und Medienwirkungsforschung ist anzunehmen, dass der<br />
schon der kurzfristige Konsum gewalthaltiger Computer- und Videospiele zur leichteren<br />
Abrufbarkeit feindseliger Gedanken und der wiederholte und langfristige Konsum zu einer<br />
Verstärkung aggressionsbezogener Denkstrukturen führt. Je öfter man sich mit
Sozialpsychologie <strong>Potsdam</strong> – Forschungsprojekte zur Mediengewalt 4<br />
aggressiven Gedankeninhalten beschäftigt, desto leichter können sie aufgerufen werden<br />
und desto eher bestimmen sie die Wahrnehmung und Interpretation von Situationen.<br />
Hierzu gehört auch, dass man Aggression eher als „normale“ oder „angemessene“<br />
Reaktion in einer Situation betrachtet.<br />
o Feindselige Weltsicht: Außerdem begünstigt die leichte Abrufbarkeit aggressiver<br />
Gedankeninhalte die Bildung einer Wahrnehmungsverzerrung, die sich darin äußert, dass<br />
eine Person vor allem in mehrdeutigen Situationen ihren Mitmenschen (vorschnell)<br />
feindselige Absichten unterstellt. Wenn es etwa darum geht einzuschätzen, ob das<br />
Verhalten einer anderen Person, das uns stört, Ausdruck einer feindlichen Absicht oder<br />
vielmehr bloße Ungeschicklichkeit ist, neigen Menschen, die schnell auf aggressive<br />
Denkmuster zugreifen, verstärkt zu der Deutung, dass es sich um eine feindliche Absicht<br />
handelt.<br />
o Abstumpfung gegenüber dem Leid von Opfern: Parallel zur Debatte um die direkte<br />
Wirkung auf die Aggressionsneigung der Spieler wird oft diskutiert, dass das Spielen von<br />
Gewaltspielen das Mitgefühl mit Opfern von (fiktiven und realen) Gewalttaten reduziert,<br />
dass die Spieler also „abstumpfen“. Deshalb haben wir nicht nur die Aggressivität<br />
untersucht, sondern auch die Fähigkeit, Mitgefühl mit den Opfern realer Gewalt zu<br />
empfinden. Dabei nehmen wir an, dass Vielspieler von gewalthaltigen Computerspielen<br />
weniger Mitgefühl mit einem Gewaltopfer empfinden als Menschen, die sich nur wenig<br />
mit gewalthaltigen Spielen beschäftigen.<br />
• Wie wirkt sich das regelmäßige Spielen von gewalthaltigen Computer- und Videospielen<br />
langfristig auf die Aggressionsbereitschaft von v.a. Kindern und Jugendlichen aus?<br />
o Führt das Spielen von Gewaltspielen über die Zeit zu einer erhöhten Aggressionsneigung<br />
oder führt umgekehrt eine schon bestehende hohe Aggressionsbereitschaft dazu, dass<br />
gerade die gewalthaltigen Spiele als besonders attraktiv angesehen und somit verstärkt<br />
genutzt werden?<br />
Methode<br />
Um diese Fragestellungen zu untersuchen, führten wir eine Serie von Studien durch, an denen<br />
insgesamt über 3,300 Befragte teilnahmen. Eine wesentliche Rolle spielte die Erfassung der<br />
Nutzung von Spielen mit unterschiedlich gewalthaltigem Inhalt. Hierzu wurden den<br />
Teilnehmer/innen Listen mit aktuellen Computer- und Videospielen vorgegeben, die zuvor von<br />
Experten im Hinblick auf ihren Gewaltgehalt eingestuft worden waren. Als Experten<br />
unterstützten uns Journalisten von Computerzeitschriften sowie Medienwissenschaftler mit<br />
Forschungsschwerpunkt im Bereich der elektronischen Spiele. Selbstverständlich verfügen auch
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Spieler/innen, die sich nur in der Freizeit mit Bildschirmspielen beschäftigen über viel Wissen<br />
und Können in diesem Bereich. Deshalb ließen wir in einer weiteren Studie den Gewaltgehalt<br />
von Spielen auch von den Befragten selbst einschätzen. Die Maße der allgemeinen<br />
Aggressionsneigung, des Geschlechtsrollenselbstkonzepts sowie der Abenteuersuche ("Sensation<br />
Seeking") wurde durch Selbsteinschätzung der Teilnehmer/innen erfasst. In den Studien kamen<br />
verschiedene Methoden zum Einsatz:<br />
• Online-Befragungen über das Internet, mit deren Hilfe eine große Zahl von Spiele-Nutzern<br />
erreicht werden konnten; insgesamt nahmen hieran ca. 3000 Spieler/innen im Alter zwischen<br />
12 und 40 Jahren aus Deutschland, Österreich und der deutschsprachigen Schweiz teil.<br />
• Schriftliche Befragungen von Schüler/innen der 7. und 8. Klassen im Papier- und Bleistift-<br />
Format im "Querschnitt", d.h. in einer einmaligen Befragung;<br />
• Schriftliche Befragung von Schüler/innen derselben Klassenstufen im „Längsschnitt“, d.h.<br />
mit dreimaliger Befragung (zum Beginn und Ende eines Schuljahres und danach nach 2.5<br />
Jahren). Dadurch war es möglich, Aussagen über die langfristige Wirkung des Spielens von<br />
Gewaltspielen zu treffen und die beiden möglichen Wirkrichtungen (Gewaltspiele erhöhen<br />
Aggression vs. erhöhte Aggressionsneigung führt zur Beschäftigung mit Gewaltspielen)<br />
gegeneinander zu testen.<br />
• Interviews mit Spieler/innen, die besonders intensiv Videospiele nutzen (sowohl online als<br />
auch im persönlichen Kontakt), um in künftigen Umfragen die Spielgewohnheiten der<br />
Teilnehmer noch konkreter und besser erfragen zu können.<br />
• Experimentaluntersuchungen im Labor, in denen Spieler/innen ein gewaltfreies oder<br />
gewalthaltiges Computerspiel spielten und danach .in Bezug auf die Geschwindigkeit der<br />
Abrufbarkeit aggressiver Gedankeninhalte und das Ausmaß von aggressiven Gefühlen<br />
miteinander verglichen wurden.<br />
Ergebnisse<br />
Zusammengefasst ergaben sich aus unseren bisherigen Studien folgende Ergebnisse:<br />
• Die in der internationalen Literatur immer wieder berichteten Geschlechtsunterschiede in der<br />
Nutzung und Vorliebe von Bildschirmspielen allgemein und Gewaltspielen im Besonderen<br />
konnten auch in unseren Studien nachgewiesen werden: Jungen/Männer beschäftigen sich<br />
mit dem Medium der elektronischen Spiele weitaus häufiger als Mädchen/Frauen und zeigen<br />
außerdem eine größere Vorliebe <strong>für</strong> gewalthaltige Inhalte.
Sozialpsychologie <strong>Potsdam</strong> – Forschungsprojekte zur Mediengewalt 6<br />
• Sowohl Jungen/Männer als auch Mädchen/Frauen mit einer großen Vorliebe <strong>für</strong> aufregende,<br />
spannende und ungewisse Situationen (sogenannte "Sensation Seeker") spielen eher<br />
Gewaltspiele als Personen mit einem geringen Wunsch, solche Situationen zu erleben.<br />
• Mädchen und Frauen mit einem eher maskulinen Selbstbild (die sich eher männliche<br />
Eigenschaften zuschreiben), sind ebenfalls verstärkt unter den Spielerinnen zu finden, die<br />
Gewaltspiele nutzen. Für Jungen und Männer fand sich kein Zusammenhang zwischen den<br />
Spielkonsum und der Selbstbeschreibung anhand männlicher oder weiblicher Eigenschaften.<br />
• Kurzfristig erhöht das Spielen eines gewalthaltigen Computerspiels die Abrufbarkeit<br />
feindseliger Gedanken, selbst das Anschauen eines Trailers <strong>für</strong> derartige Spiele begünstigt<br />
eine feindselig-getönte Situationswahrnehmung. Zusätzlich können durch das Spielen eines<br />
Gewaltspiels Ärger-Gefühle hervorgerufen werden – auch dann, wenn der Spieler durch das<br />
Spiel nicht frustriert wurde (wenn er/sie also im Spiel gewonnen hat).<br />
• Spieler/innen, die häufig und gerne Gewaltspiele nutzen, zeigen eine höhere Bereitschaft, in<br />
Konfliktsituationen aggressiv zu reagieren, Dabei spielt die Tendenz eine Rolle, anderen in<br />
uneindeutigen Situationen feindselige Absichten zu unterstellen und daher sozusagen<br />
„prophylaktisch“ aggressiv zu handeln.<br />
• Insbesondere <strong>für</strong> Jungen/Männer besteht ein Zusammenhang zwischen dem Konsum von<br />
Gewaltspielen und der Aggressivität als Persönlichkeitseigenschaft, wobei aus den einmaligen<br />
Online-Umfragen keine Schlussfolgerungen über die Richtung dieses Zusammenhangs<br />
gezogen werden können. Unsere Längsschnittstudie zeigte jedoch, dass die Höhe des<br />
regelmäßigen Konsums von Gewaltspielen zum Zeitpunkt der ersten Befragung die<br />
Aggressionsbereitschaft der Spieler 2.5 Jahre später mitbestimmte (neben anderen Faktoren).<br />
Das heißt: je mehr Gewaltspiele ein Jugendlicher über Monate und Jahre hinweg spielt, desto<br />
eher handelt er in bestimmten Situationen aggressiv. Der umgekehrte<br />
Wirkungszusammenhang, dass besonders aggressive Jugendliche sich zu Gewaltspielen<br />
hingezogen fühlten, ließ sich nur mittelfristig <strong>für</strong> einen Zeitraum von 6 Monaten bestätigen.<br />
Eine Wechselwirkung zwischen Medienkonsum und Aggressionsbereitschaft ist also<br />
erkennbar, die Wirkung des Medieninhalts auf das Verhalten einer Person erweist sich über<br />
einen längeren Zeitraum jedoch als stabiler und stärker.<br />
• Zwischen dem Spielen von Gewaltspielen und der Fähigkeit, Mitleid mit anderen zu<br />
empfinden besteht ein negativer Zusammenhang, d.h., Personen, die sich viel mit<br />
Gewaltspielen beschäftigen bzw. viel Gewaltsendungen im Fernsehen schauen, empfinden<br />
weniger Mitleid mit anderen Menschen in Notsituationen als Personen, die zwar viel<br />
Computerspiele insgesamt spielen, aber Spiele-Genres bevorzugen, in denen wenig Gewalt<br />
vorkommt.
Fazit<br />
Sozialpsychologie <strong>Potsdam</strong> – Forschungsprojekte zur Mediengewalt 7<br />
Die These der aggressionsfördernden Wirkung des Konsums von Mediengewalt konnte durch<br />
die Befragungsdaten weitgehend gestützt und somit empirisch abgesichert werden. Die Stärke des<br />
Zusammenhangs (ausgedrückt über die Höhe der statistisch errechneten Koeffizienten) ist als<br />
eher schwach einzustufen, aber bei der sehr großen Zahl von Nutzern sind auch schwache<br />
Effekte praktisch bedeutsam. Zum einen zeigen die Befunde, dass auch der Konsum<br />
gewalthaltiger Bildschirmspiele aggressive Gedankeninhalte hervorrufen kann – und zwar<br />
zusätzlich zu den Effekten stabiler Persönlichkeitsmerkmale wie der Aggressivität. Zum anderen<br />
zeigen die Ergebnisse aber auch, dass es sich bei der Gewalt in elektronischen Spielen nur um<br />
einen von vielen Faktoren handelt, die aggressives Verhalten bedingen. Zu beachten ist aber<br />
auch, dass es sich bei den Computerspielen um nur einen Teilaspekt der Mediengewalt handelt,<br />
der Menschen heutzutage ausgesetzt sind. Bezieht man die Effekte der Gewalt in Film und<br />
Fernsehen mit ein, so ist Mediengewalt fast allgegenwärtig. Dabei ist davon auszugehen (und<br />
kann auch durch unsere Befunde und Studien anderer Forscher/innen gestützt werden), dass<br />
Inhaltspräferenzen über verschiedene Medien hinweg stabil sind, d.h. Menschen, die<br />
gewalthaltige Computerspiele attraktiv finden, auch mit Vorliebe Gewaltinhalte in anderen<br />
Medien konsumieren. Sicherlich ist auch die Möglichkeit zu berücksichtigen, dass es <strong>für</strong> einen<br />
geübten Spieler vielleicht etwas anderes bedeutet, ein gewalthaltiges Spiel zu spielen als <strong>für</strong> einen<br />
Laien. Inwieweit ein intensiver oder gar professioneller Spieler mögliche Gewaltszenen in einem<br />
Spiel sogar ausblenden kann und will, weil es ihm oder ihr mehr um Strategienanwendung,<br />
Geschwindigkeit, Punkte und Statistiken geht als um das Gewalthandeln der Figuren auf dem<br />
Bildschirm, muss noch genauer untersucht werden.<br />
Weiterführende Literatur<br />
Anderson, C. A., Berkowitz, L., Donnerstein, E., Huesmann, L. R., Johnson, J. D., Linz, D.,<br />
Malamuth, N. M., & Wartella, E. (2003). The influence of media violence on youth.<br />
Psychological Science in the Public Interest, 4, 81-110.<br />
Bushman, B. J., & Huesmann, L. R. (2006). Short-term and long-term effects of violent media on<br />
aggression in children and adults. Archives of Pediatrics and Adolescent Medicine, 160, 348-352.<br />
Gentile, D.A. (Ed.). (2003). Media violence and children. A complete guide for parents and professionals.<br />
Westport, CT: Praeger Publishers.<br />
Kirsh, S. J. (2006). Children, adolescents, and media violence. Thousand Oaks, CA: Sage.
Sozialpsychologie <strong>Potsdam</strong> – Forschungsprojekte zur Mediengewalt 8<br />
Krahé, B., & Möller, I. (2004). Playing violent electronic games, hostile attribution bias, and<br />
aggression-related norms in German adolescents. Journal of Adolescence, 27, 53-69.<br />
Möller, I. (2006). Mediengewalt und Aggression: Eine längsschnittliche Betrachtung der Kausalzusammenhänge<br />
am Beispiel des Konsums gewalthaltiger Bildschirmspiele. Phil. Diss. <strong>Potsdam</strong> ( Als download<br />
abrufbar unter: http://opus.kobv.de/ubp/volltexte/2006/773/).