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kann sich in der Schweiz auch ein Sozialhilfeempfänger<br />
Gemüse leisten. Es<br />
sind hier vor allem die Einsamen, Unglücklichen,<br />
vom Leben Gebeutelten.<br />
Oberflächlich betrachtet ist Florian<br />
ein normaler Junge. Er geht gern fischen,<br />
spielt E-Gitarre, ist im Schützenverein.<br />
Und dafür, dass er behauptet,<br />
Mädchen seien für ihn noch kein Thema,<br />
hängen ganz schön viele Poster mit<br />
Bikini-Girls in seinem Zimmer. Doch<br />
der Rucksack an Problemen, mit denen<br />
er fertig werden muss, ist für sein Alter<br />
gewaltig. Flos Probleme sind grösstenteils<br />
die Probleme seiner Mutter.<br />
Conny will nicht ins Detail gehen,<br />
lässt aber durchblicken, dass ihr schon<br />
in der Kindheit Dinge angetan wurden,<br />
«die man trotz aller Therapie niemals<br />
vergisst». Die Zeit heilt eben nicht alle<br />
Wunden. Manche erträgt man nur mit<br />
einem dicken Schutzpanzer zwischen<br />
sich und der Welt. Ihr Vater, den sie<br />
trotz seiner Alkoholsucht sehr liebte,<br />
starb mit 49 Jahren an einem Herzinfarkt.<br />
Ein Jahr später lernte sie Flos Vater<br />
kennen, ein liebenswerter Mann,<br />
Die kontrollierten Werte<br />
der Schweiz.<br />
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Zusammenreissen<br />
können sich nur<br />
jene, die das Privileg<br />
hatten zu lernen,<br />
wie das geht<br />
aber suchtkrank, auch er. «Ist es nicht<br />
entsetzlich, wie sich die Geschichte<br />
wiederholt?», sagt Conny.<br />
Als sie es nicht mehr ertrug, wie ihr<br />
Mann sich und seine Familie zerstörte,<br />
war Flo 15 Monate alt. Ein Jahr lang<br />
nahm er nach der Trennung sein Besuchsrecht<br />
wahr, dann brach er den<br />
Kontakt ab. Vier Jahre später starb er<br />
unerwartet. Bald darauf fing das bei Flo<br />
an mit dem Dickwerden.<br />
Eigentlich möchte Conny nichts<br />
lieber als arbeiten. Doch seit ihrem<br />
16. Lebensjahr hat sie Ohnmachtsanfälle.<br />
Ihre Ausbildung zur Krankenschwester<br />
musste sie deswegen abbrechen.<br />
Zwei-, dreimal pro Woche kippt<br />
sie um, wo immer sie gerade ist. Irgendjemand<br />
ru� dann einen Krankenwagen.<br />
Und Flo, der es von Geburt an nicht anders<br />
kennt, sorgt wieder einmal für sich<br />
selbst oder übernachtet, wenn es länger<br />
dauert, bei seinem Gotti.<br />
Wer ist schuld daran, dass Flo so<br />
dick ist? «Ich», sagt Conny. «Ich mache<br />
mir grosse Vorwürfe. Ich bin ein<br />
schlechtes Vorbild.» Warum kann sie<br />
sich denn nicht einfach zusammenreissen?<br />
So wie die Schlanken, die nur ein<br />
Reiheli Schokolade essen statt die<br />
ganze Tafel? Weil sich nur derjenige<br />
«zusammenreissen» kann, der das<br />
Privileg hatte zu lernen, wie das geht,<br />
sagt der deutsche Hirnforscher Gerald<br />
Hüther, der in Göttingen untersucht,<br />
warum manche Menschen nicht anders<br />
können, als sich krank zu essen. «Wie<br />
sehr wir unser Verhalten steuern können,<br />
hängt wesentlich davon ab, wie<br />
stark wir dazu im Lauf des Lebens ermutigt<br />
worden sind. Wie viel Unterstützung<br />
und wie viel Erfolg wir dabei<br />
hatten.» Solche Erfahrungen waren in<br />
Connys Leben bisher rar.<br />
Im April 2011 fährt sie mit Flo zum<br />
ersten «<strong>Food</strong> 4 <strong>Teens</strong>»-Tre�en nach<br />
Wohlen AG. Alle zwölf Jugendlichen,<br />
die ins Programm aufgenommen wor-<br />
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den sind, haben mindestens einen Elternteil<br />
dabei, denn Übergewicht ist<br />
ein Phänomen, das immer die ganze<br />
Familie betri�, selbst wenn nicht alle<br />
dick sind. Viel beschä�igte Akademiker-Eltern<br />
neigen dazu, das Problem<br />
delegieren zu wollen, sagt Ewa Jönsson,<br />
Ernährungswissenscha�erin bei<br />
«<strong>Food</strong> 4 <strong>Teens</strong>». «Sie wünschen sich,<br />
dass ihre Kinder per Knopfdruck und<br />
ohne grossen Aufwand schlank gemacht<br />
werden.» Aber so funktioniert das nicht.<br />
Abnehmen ist harte Arbeit, für alle Beteiligten.<br />
Während der neunmonatigen<br />
Intensivphase opfern Flo und Conny<br />
jeden zweiten Mittwochnachmittag für<br />
ihr neues, leichteres Leben.<br />
Die guten Vorahnungen bewahrheiten<br />
sich. Sauce ist tatsächlich erlaubt.<br />
Und die Ernährungswissenscha�erin<br />
aus Schweden erweist sich als sinnesfreudige<br />
Köchin mit einer Schwäche für<br />
Schweizer Pommes Chips. Das Einkau-<br />
fen und Kochen mit ihr ist eine O�enbarung.<br />
Ein Liter Eistee – 500 Kalorien,<br />
so viel wie zwei Frühstücke! Die angeblich<br />
so gesunden Müesliriegel – nichts<br />
als mit Glukosesirup zusammengepappter<br />
Mist! Flo streicht ab sofort die Energy<br />
Drinks. Conny kocht jetzt nach dem<br />
Modell «Powerteller»: die Häl�e des<br />
Tellers Gemüse und Salat, ein Viertel Eiweiss<br />
und ein Viertel Kohlehydrate.<br />
Sie sind nicht wie andere Familien,<br />
bei denen es gar keine Tischkultur mehr<br />
gibt, weil sich jeder aus dem Kühlschrank<br />
bedient. Sie stopfen auch nicht<br />
vor dem Fernseher Tiefkkühlpizzas in<br />
sich hinein. Gemeinsame Mahlzeiten<br />
waren Conny immer wichtig. «Wir haben<br />
doch nur noch uns», sagt sie. Ihr<br />
Problem ist die Menge. 80 Gramm<br />
Die angeblich so<br />
gesunden Müesliriegel:<br />
Nichts als mit Glukosesirupzusammengepappter<br />
Mist!<br />
Teigwaren und 100 Gramm Fleisch, wie<br />
empfohlen, das ist etwa die Häl�e dessen,<br />
was sich Conny und Flo früher auf<br />
den Teller häu�en, «und wenns fein war,<br />
haben wir nachgeschöp�».<br />
Flo, bekennender «Blattsalat-Hasser»,<br />
trägt die Schrumpfportionen mit<br />
Fassung. «Ich würde schon manchmal<br />
gern mehr essen», sagt er, «aber ich bleibe<br />
hart.» Einmal sündigt er mit einem<br />
Steak. Die kalorienarmen Trutenschnitzel<br />
kann er einfach nicht mehr sehen.<br />
Conny spielt mit, denn schwach werden<br />
ist immer noch besser als ganz aufgeben.<br />
Sie einigt sich mit ihm auf Pferdefleisch,<br />
das hat «sozusagen null Fett». Mit<br />
leuchtenden Augen erzählt Flo von diesem<br />
«400-Gramm-Flärre, der über den<br />
Tellerrand lampte». Allen anderen Versuchungen<br />
hält er tapfer stand.<br />
Er trägt jetzt ein kleines Gerät am<br />
Gürtel, das seine Schritte zählt. 10 000<br />
am Tag sollten es sein, sagt Bewegungstrainerin<br />
Margrit Seiler. Das klingt nach<br />
viel, kommt aber mit dem Schulweg und<br />
ein bisschen Velofahren ganz ohne Parforceleistungen<br />
zustande. Flo scha� die