Anja Witzens Blocos afro und Afoxés – - Cibera

Arbeitshefte des Lateinamerika-Zentrums
ISSN-Nr. 0939-3293 75
2002
Anja Witzens
Blocos afro und Afoxés –
afro-brasilianische Identität im Karneval von Salvador
Lateinamerika-Zentrum

”É como se todos os santos, todos os orixás estivessem ali, no meio do povo, assumindo
o carnaval com toda sua força.”
(Gilberto Gil, in Morales 1988:264)
”Se revoluções foram feitas semeando idéias e práticas, os blocos negros e afoxés
constituem uma revolução cultural, social e política, por uma nova sociedade, solidária,
humana e essencialmente anti-racista.”
Ethnologie
(Ilê Aiyê 1989:42)
I

Blocos afro und Afoxés -
afro-brasilianische Identität im Karneval von Salvador
Hausarbeit
zur Erlangung des Magistergrades
der
Philosophischen Fakultät
zu Münster, Westfalen
vorgelegt von
Anja Witzens
aus Essen
2000
II

Inhaltsverzeichnis
I. Vorwort.............................................................................................................................................1
II. Einleitung ........................................................................................................................................2
III. Geschichte und kultureller Kontext afrikanischer Phänomene in Brasilien.............................6
1. Kolonialgeschichtlicher Kontext .............................................................................................6
1.1 Der Sklavenhandel....................................................................................................... 6
1.2 Zur Gesellschaftsordnung in Brasilien vor und nach der Abolition ........................... 10
2. Religiöser Kontext.................................................................................................................13
2.1 Die Missionierung ..................................................................................................... 13
2.2 Die Entstehung afro-brasilianischer Kulte ................................................................. 15
2.3 Die Transformation der Yoruba-Religion zum Candomblé / Synkretismus................ 17
2.4 Der Candomblé.......................................................................................................... 19
2.4.1 Die Götterwelt im Candomblé .......................................................................19
2.4.2 Hierarchische Strukturen und Positionen im Candomblé................................22
3. Afrikanische Einflüsse in Brasilien.......................................................................................25
4. Die Entwicklung des Karnevals ............................................................................................28
4.1 In Portugal.................................................................................................................. 28
4.2 In Brasilien................................................................................................................ 30
4.2.1 Die Entwicklung des Karnevals in Bahia ......................................................34
4.2.2 Der Karneval in Rio und Recife.....................................................................38
IV. Der Karneval in Salvador ..........................................................................................................41
1. Die Struktur des Karnevals....................................................................................................41
1.1 Ablauf........................................................................................................................ 41
1.2 Organisation............................................................................................................... 44
1.3 Der Wettbewerb ........................................................................................................ 45
1.4 Die Kategorien der Karnevalsgruppen....................................................................... 46
1.5 Karneval außerhalb der Karnevalszeit....................................................................... 47
1.5.1 Der 'Nach-Karneval': die Micareta................................................................47
1.5.2 Andere Feste .................................................................................................48
2. Schwarze Karnevalsgruppen.................................................................................................49
2.1 Afoxés........................................................................................................................ 49
2.1.1 Entstehung und Entwicklung ..........................................................................49
2.1.2 Aufbau der Umzüge........................................................................................53
2.1.3 Organisation / Finanzierung ...........................................................................56
2.1.4 Inhalte / Bezug zum Candomblé .....................................................................58
2.1.5 Zur Musik ......................................................................................................60
2.1.6 Der Tanz .......................................................................................................62
2.1.7 Die Kostüme ..................................................................................................64
2.1.8 Sozialer und religiöser Einsatz ......................................................................65
III

2.2 Blocos afro ................................................................................................................ 67
2.2.1 Zur Entwicklung der Blocos afro / ”de índio a negro” ..................................67
2.2.2 Die Umzüge....................................................................................................70
2.2.3 Organisation / Finanzierung ...........................................................................73
2.2.4 Zielsetzung / Ausrichtung der Blocos afro .....................................................75
2.2.5 Zur Musik ......................................................................................................76
2.2.6 Der Tanz ........................................................................................................82
2.2.7 Die Kostüme ..................................................................................................84
2.2.8 Soziales und politisches Engagement ............................................................87
V. Afro-brasilianische Identität - Karneval als sozio-politischer und religiöser Raum.................90
1. Schwarz-Sein als Identitätsmerkmal......................................................................................90
1.1 Das Bild vom Schwarzen im Wandel ........................................................................ 90
1.2 Zu den Begriffen 'Rasse' und 'Rassismus'................................................................... 92
1.3 ‚Rassendemokratie‘ und ethnische Identität .............................................................. 94
1.4 Von ‚branqueamento‘ zu ‚negritude‘.......................................................................... 98
1.5 Die brasilianische Schwarzenbewegung - 'o movimento da consciência negra' ...... 102
2. Der Karneval heute / Professionalisierung des Karnevals ..................................................106
2.1 Afoxés - die Candomblés der Straße ...................................................................... 106
2.2 Blocos afro als schwarze Bewegung ...................................................................... 108
2.3 Karneval als Kontra-Kultur?.................................................................................... 109
VI. Zusammenfassung und Schluß ..................................................................................................112
VII. Glossar......................................................................................................................................114
VIII. Quellenverweise .....................................................................................................................119
1. Bibliographie............................................................................................................. 119
2. Weiterführende Literatur............................................................................................ 128
3. Weitere Quellen......................................................................................................... 129
4. Abbildungsverzeichnis............................................................................................... 131
IX. Anhang
IV

I. Vorwort
Der Karneval von Salvador hat mich fasziniert, seit ich ihn bei meinem ersten
Brasilienaufenthalt im Februar 1994 miterlebte. Besonders überraschte mich die
Verschiedenheit von dem, was ich erwartet hatte - ich kannte bisher nur den deutschen
Karneval und Bilder aus Rio. Nachdem ich eine Woche lang beinahe Tag und Nacht
zwischen tausenden von Menschen getanzt und gefeiert hatte, stand für mich fest, daß ich
dieses Erlebnis noch einmal wiederholen wollte. Und so erlebte ich den Karneval in
Salvador 1996 zum zweiten Mal. Inzwischen hatte ich begonnen, mich intensiver mit dem
Land und seiner Kultur auseinanderzusetzen. Dies geschah nicht nur durch die
Mitgliedschaft in einer Samba-Gruppe in Münster, in der ich die Möglichkeit hatte, die
brasilianische Musik aktiv zu erleben, sondern ebenso durch mein Ethnologie-Studium
und die Beschäftigung mit Themen, die Brasilien sowohl am Rande als auch konkret
betrafen. Es warfen sich für mich Fragen bezüglich der ethnologischen wie auch der
historischen und theoretischen Struktur des Landes auf. Der besondere
Interessensschwerpunkt lag dabei auf Salvador, wo die afrikanischen Einflüsse das
tägliche Bild bestimmen. Der Karneval als Ereignis, das mich sowohl emotionell sehr
ansprach als auch so verschieden von den allgemeinen stereotypen Vorstellungen
bezüglich Brasiliens war, stand für mich bald als Thema weiterer Forschungen fest. Als
Weg zu der Umsetzung meiner Fragen sah ich den lebendigen Kontakt mit der
brasilianischen Kultur und Musik, und so entschied ich mich zu einem weiteren,
ausgedehnten Aufenthalt in Brasilien. 1998/99 absolvierte ich ein Praktikum bei der
Fundação Pierre Verger, der Stiftung eines französischen Ethnologen und Fotografen, der
seit 1946 in Salvador ansässig und zu einem großen Kenner der afrikanischen und afro-
amerikanischen Kulturen und Religionen geworden war. Von diesem insgesamt
fünfmonatigen Aufenthalt in Brasilien (Ende Oktober 1998 bis Ende März 1999)
verbrachte ich vier Monate in Salvador und konnte während dieser Zeit meine bis dahin
nur grundlegenden Sprachkenntnisse vertiefen. Die Literatursuche sowohl in der
Fundação als auch in anderen afro-brasilianischen Instituten und die Kontaktaufnahme mit
einigen Karnevalsgruppen mit anschließenden Interviews leiteten die Materialsammlung
zu dem Thema dieser Magisterarbeit ein. Während des Karnevals konnte ich eine
fotografische Dokumentation erstellen (siehe Anhang). Unter den zahlreichen Bekannten
und Freunden, die ich in Brasilien gewonnen habe, danke ich vor allem Angela Lühning,
1

einer deutschen Ethnologin, die als Projektleiterin ehrenamtlich in der Fundação arbeitet
und mir bei meinen Recherchen und während meines gesamten Aufenthaltes in Brasilien
sehr geholfen hat. Ebenso danke ich meinen Eltern für ihre Unterstützung, Prof. Dr.
Annemarie Fiedermutz für die intensive Betreuung meiner Arbeit, sowie meinen Freunden
in Münster für ihre zahlreichen Ratschläge und Anregungen.
II. Einleitung
Salvador da Bahia de Todos os Santos (Karte 1), wie der vollständige Name Salvadors
lautet, ist die Stadt Brasiliens, die mit über 80% den größten
schwarzen 1 Bevölkerungsanteil aufweist. Die während der Kolonialzeit nach Salvador
verschleppten Sklaven brachten verschiedene Phänomene ihrer Kulturen mit und prägten
dadurch das heutige Bild der Stadt. Besonders der Karneval als größtes Ereignis des
Jahres bringt diese Phänomene deutlich zum Vorschein. Zudem ist in den letzten
Jahrzehnten in Brasilien eine schwarze Bewegung entstanden, die entgegen der
zunehmenden kulturellen Globalisierung eine eigene ethnische Identität entwickelt und
erhalten hat.
Ziel dieser Studie ist es, herauszuarbeiten, welche Rolle der Karneval bei der Bildung
und Entwicklung dieser afro-brasilianischen Identität gespielt hat und noch spielt und
inwieweit sich diese Identität (im Karneval) ausdrückt. In den letzten Jahrzehnten sind
dabei zwei Arten von Karnevalsgruppen in den Vordergrund getreten: die Blocos afro
und die Afoxés 2 . Mit ihrer bewußten Anlehnung an afrikanische Vorbilder und dem
öffentlichen Bekenntis dieser Haltung hat sich innerhalb der Gruppen die Entwicklung hin
zu einer afro-brasilianischen Identität vollzogen. Doch welche Bedingungen liegen dieser
Identitätsbildung zugrunde und was für eine Stellung nehmen die afrikanisch geprägten
1 Im Portugiesischen wird für 'schwarz' vor allem das Wort negro verwendet (positive Konnotation),
oder auch preto (eher negativ) (siehe Kapitel V.1.3). Da diese Unterscheidung im Deutschen nicht
gemacht wird, werden die Begriffe 'schwarz' und 'weiß' hier im Sinne von 'afrikanischer'
beziehungsweise 'europäischer Herkunft' verwendet.
2 Anmerkung zur Schreibweise: Portugiesische und afrikanische 'emische' Ausdrücke werden in der
Regel im Original verwendet und kursiv geschrieben. Diese Begriffe werden im Text und
zusammenfassend im Glossar erklärt. Namen sowie Bezeichnungen, die im Verlauf dieser Arbeit von
größerer Wichtigkeit sind und daher in den deutschen Sprachgebrauch übernommen wurden (zum
Beispiel Bloco afro, Afoxé, Orixá), werden ebenso wie Begriffe, die bereits in der deutschen
Verwendung üblich sind (Candomblé, Maracatu) groß und nicht kursiv geschrieben; auch sie werden
im Glossar erklärt.
2

Karnevalsgruppen innerhalb der brasilianischen Gesellschaft ein?
Die Blocos afro wählen besonders für ihr Äußeres afrikanische Motive als Vorbild,
grenzen sich so bewußt von der weißen Bevölkerung ab und wollen damit und durch ihre
politisch angereicherten Liedtexte ihre weitgehend benachteiligte Stellung innerhalb der
Gesellschaft verändern. Die Afoxés dagegen orientieren sich mit ihren Inhalten und Ideen
vornehmlich an den afro-brasilianischen Religionen, vor allem dem Candomblé (siehe
Kapitel IV.2.1.4). Dieser vor allem in dem Bundesstaat Bahia (siehe Karte 2) verbreitete
Kult ist nach jahrelanger Repression und Verfolgung inzwischen sogar von der
katholischen Kirche anerkannt, dient vielen Brasilianern als Anlaufstelle und Ratgeber
und ist ein selbstverständlicher Teil des baianischen 3 Alltags geworden.
Einführend werden im ersten Teil dieser Arbeit die historischen Bedingungen dargestellt,
unter denen die afrikanischen Kulturphänomene nach Brasilien gelangten, sowie die
dadurch entstandenen gesellschaftlichen Strukturen (Kapitel III.1). Mit der Sklaverei war
auch die Missionierung der Afrikaner verbunden, was zur Folge hatte, daß Elemente der
afrikanischen Religionen sich mit solchen des Katholizismus und auch indianischen
Glaubensvorstellungen verbanden, wodurch vielfältige Kultformen entstanden (Kapitel
III.2.1-3). Eine davon ist der Candomblé, der noch immer deutliche Strukturen
afrikanischer Religionen, vor allem der Yoruba in Nigeria, aufweist. Da sich diese in
vielfältiger Weise in den Afoxés wiederspiegeln, werde ich im Folgenden auf den
Candomblé näher eingehen (Kapitel III.2.4). Die Religion spielt auch bei der Entwicklung
des heutigen Karnevals eine Rolle, denn die portugiesische Karnevalsform des Entrudo,
ein Ereignis mit derben Späßen, bei dem sich die Menschen gegenseitig mit Wasser und
ähnlichem bewarfen (siehe Kapitel III.4.1) verband sich mit Formen katholischer
Prozessionen. Die Entwicklung der Feiern verlief in verschiedenen Bereichen Brasiliens
jedoch nicht uniform, weshalb ich jene Bahias von denen der anderen brasilianischen
Karnevalsmetropolen, Rio de Janeiro und Recife, abgrenzen werde (Kapitel III.4.2). Im
weiteren Verlauf der Arbeit (Kapitel IV.1) werde ich näher auf die organisatorische
Struktur des Karnevals von Salvador eingehen, auch um den Umfang und die Bedeutung
des Festes deutlich zu machen, ebenso wie die Einbindung der afrikanisch determinierten
Karnevalsgruppen. Diese werde ich im Folgenden (Kapitel IV.2) detailliert darstellen
und dabei besonders die afrikanischen Elemente in der Musik, dem Tanz un den
Kostümen herausarbeiten. Wie und woraus sich dabei die afro-brasilianische Identität
konstruiert, werde ich anhand der Vorstellungen bezüglich des 'Schwarz-Seins' darlegen
3

(Kapitel V.1), angefangen mit der Geschichte der Rassenvorstellungen bis hin zur
aktuellen Schwarzenbewegung in Brasilien. Schließlich folgt in Kapitel V.2 eine
Darstellung, wie sich die Identität in den Karnevalsgruppen wiederspiegelt, sowie ein
Ausblick auf die momentanen Entwicklungstendenzen des Karnevals (Kapitel V.2.3).
Als Quellen dienten mir neben eigenen Beobachtungen und geführten Interviews
überwiegend Literatur und Zeitschriften aus Brasilien, vor allem aus Salvador, wo die
Quellenlage bezüglich der afro-brasilianischen Geschichte und des Karnevals recht gut
ist. Hierbei überwiegen die Studien aus dem Bereich der Soziologie vor denen auf
ethnologischem Gebiet. Zu den Standardwerken über die afro-brasilianische Kultur
gehören vor allem die - zum Teil übersetzten - Werke von Arthur Ramos (1935, 1946 4 ),
Roger Bastide (1958, 1971), Edison Carneiro (1991 5 ) und Pierre Verger (1968, 1981).
Ramos (1903-1949) war Arzt und Psychologe sowie Professor für Anthropologie und
Ethnologie an der Universität von Rio de Janeiro. Als Schüler von Nina Rodrigues
vertrat er den kulturellen Determinismus und analysierte die afro-brasilianische Kultur
mit biologischen oder psychologischen Methoden. Der französische Ethnologe Bastide
dagegen versuchte in seinen Untersuchungen, Kultur und Gesellschaft zu verbinden und
interpretierte den Candomblé als einen religiösen Überbau, der sich von dem sozialen
Unterbau gelöst und verselbständigt hatte (1971: 219). Carneiro (1912-1972), Jurist und
Journalist, interessierte sich vor allem für die populären Kulte afrikanischer Herkunft und
war als Verteidiger der afro-brasilianischen Kultur auch politisch aktiv. Der französische
Ethnologe und Fotograf Verger (1902-1996) arbeitete lange und intensiv mit Bastide
zusammen und betont die Reinheit der afrikanischen Phänomene in den baianischen nagô-
Kulten. Sein Werk über den Sklavenhandel zwischen Afrika und Brasilien, ”Flux et
Reflux de la Traite des Nègres...” (1968), gilt als unumstrittener Klassiker auf diesem
Gebiet, und Verger selbst galt in Bahia als der Kenner der afro-brasilianischen Kultur,
vor allem des Candomblé, in den er initiiert war. In ihrer Studie über die Musik im
Candomblé nagô-ketu (1990) hat Angela Lühning, die als Musikethnologin in Salvador
lebt, dort geforscht und lange mit Pierre Verger zusammengearbeitet hat, den Kult und die
Musik in seinem Zusammenhang ausführlich dargelegt.
3 'baianisch' meint: aus Bahia
4 Obwohl bei der deutschen Ausgabe von ”As culturas negras no Novo Mundo” (1935) ”aus dem
wissenschaftlichen ein auch dem Laien verständliches Buch” (Ramos 1947: 17) gemacht wurde, so
ist es inhaltlich doch ebenso von großem Wert für die Auseinandersetzung mit der afrobrasilianischen
Kultur.
5 Zwei von Carneiros wichtigsten Werken - 'Religiões Negras' (1963) und 'Negros Bantos' (1937) -
wurden 1991 in einem Band zusammengefaßt.
4

Als Standardwerk über den baianischen Karneval läßt sich Antonio Risérios ”Carnaval
Ijexá” (1981) bezeichnen. Selbst Musiker und Komponist sowie Anhänger des
Candomblé beschäftigte sich Risério als erster mit dem Prozeß der 'Reafrikanisierung'
des Karnevals und deren Auswirkungen auf das soziale Leben der schwarzen
Jugendlichen Bahias, womit er zum 'Vorreiter' und sein Werk zum meistzitiertem Titel auf
diesem Gebiet wurde. Mit der Geschichte und Entwicklung des brasilianischen Karnevals
haben sich vor allem Maria Isaura Pereira de Queiroz (1986, 1987), Olga R. de Moraes
von Simson (1981) und Jônatas Conceição da Silva (1995) beschäftigt, wobei Silva
besonders die Widerstandsgeschichte der Blocos afro hervorhebt, ebenso wie
Christopher Dunn (1992). Gerade durch eine zunehmende Umstrukturierung des
Karnevals, in derem Verlauf sich die neue afro-brasilianische Identität herausbildete,
sind in den 80er und 90er Jahren mehrere Werke zu diesem Bereich erschienen. Während
die Afoxés meist lediglich im allgemeinen Rahmen des Karnevals behandelt werden -
eine Ausnahme bildet dabei zum Beispiel Anamaria Morales (1988) mit ihrem Aufsatz
über den Afoxé ‘Filhos de Gandhy’ -, ist die Literaturlage zu den Blocos afro durch deren
zumehmende Popularisierung recht umfangreich. Genannt seien hier vor allem Milton
Moura (1987, 1996), João Jorge Rodrigues (1996) und im deutschsprachigen Bereich
Christian Walger (1992, 1993).
Der österreichische Ethnologe Andreas Hofbauer (1995) hat sich intensiv mit dem
geschichtlichen Kontext sowie ethnologischen und politischen Voraussetzungen zur
Entwicklung einer afro-brasilianischen Kultur auseinandergesetzt. Er legt seinen
Schwerpunkt dabei auf die Ideengeschichte der Konstruktion von 'schwarz' und 'weiß'
sowie auf die Widerstandsgeschichte der schwarzen Bevölkerung. Diese
Widerstandsgeschichte war im 20. Jahrhundert geprägt durch die politische
Schwarzenbewegung in Brasilien, die durch Lélia Gonzalez (1985), Michael Mitchell
(1985), Silva (1988), John Burdick (1992) und besonders Clóvis Moura (1983)
dargestellt wird. Mouras ”Sociologia do Negro Brasileiro” (1988) liefert umfassende
Informationen zu den Schwarzen als soziale Kategorie, als Gruppierung, als 'Opfer' und
als Aktive in der brasilianischen Gesellschaft. Wie sich diese in Kategorien von
'schwarz' und 'weiß' aufteilt und dadurch verschiedene Identitäten mitbestimmt, hat
Sansone (1992, 1993, 1996) anhand von Beispielen zweier Regionen Bahias dargelegt.
Auch Maggie (1994) beschäftigt sich mit der Klassifikation von Rassen und deren
Bewußtsein. Wie sich daraus eine ethnische Identität konstruiert und was es bedeutet, in
Salvador schwarz zu sein, findet sich in der ausführlichen Analyse von Jeferson Bacelar,
5

”Etnicidade. Ser Negro em Salvador” (1989), sowie bei Manuela da Cunha (1986) und
Carlos Brandão (1986).
Neben diesen und anderen Quellen stütze ich mich auf vielfältige Zeitungsartikel, vor
allem der größten Tageszeitung Bahias, 'A Tarde', meine Interviews mit Verantwortlichen
von drei Afoxés (Filhos de Gandhy, Filhas d’Oxum, Korin Efan), sowie Informationen
der für den Karneval verantwortlichen Tourismusbehörde, Emtursa.
III. Geschichte und kultureller Kontext afrikanischer Phänomene in
Brasilien
1. Kolonialgeschichtlicher Kontext
1.1 Der Sklavenhandel
Am 22. April 1500 wurde Brasilien durch den portugiesischen Seefahrer Pedro Alvares
Cabral erobert und für die portugiesische Krone in Besitz genommen. Doch erst rund 35
Jahr später wurde das Land zunehmend bevölkert, und der König teilte die Ostküste 1535
in 15 erbliche capitanias 6 ein. Die Kolonie schien zunächst außer des ”Pau Brasil”, des
Brasilholzes (Rotholz), keine gewinnbringenden Rohstoffe zu besitzen. Wirtschaftlich
interessant wurde das Land erst durch den Anbau von Zuckerrohr und dessen Export,
sowie später durch die Entdeckung von Diamanten, Gold und Silber im östlichen
Brasilien. Die einheimischen Indianer schienen laut Hofbauer aufgrund ihrer eigenen
Lebensart - sie ernährten sich durch Subsistenzlandwirtschaft - für die Plantagenarbeit
ungeeignet. Daher beschlossen die Portugiesen, die bereits bestehenden
Handelsbeziehungen mit Afrika zu nutzen und von dort Sklaven nach Salvador, der 1549
gegründeten damaligen Hauptstadt und Zentrum des Sklavenhandels, zu importieren. Im
sogenannten 'Dreieckshandel' konnten an der afrikanischen Küste billige Produkte gegen
Sklaven getauscht werden, die außer ihrer Arbeitskraft auch ihre Kultur nach Brasilien
brachten. Die Afrikaner wurden dort wiederum gegen Rohstoffe getauscht, die dann in
6 Es handelt sich hierbei um ein rudimentäres Verwaltungssystem, bei dem eine Art Lehen einen
Küstenabschnitt definiert. Der ”donatário” sollte von seinem Abschnitt aus das Landesinnere
erschließen und wirtschaftlich nutzbar machen (Hofbauer 1995: 213).
6

Portugal zu Höchstpreisen verkauft wurden (Hofbauer 1995: 63,104).
Der genaue Zeitpunkt der Ankunft der ersten Afrikaner in Brasilien ist unklar. Kubik
spricht von 1538 als dem Jahr, in dem die erste Schiffsladung ankam (1991: 17), Lühning
von 1540 (1990: 4), Pinto von 1532 (1986: 9). Fest steht, daß bis zur Beendigung des
internationalen Sklavenhandels 1850/51 (vgl. S.18) mehrere Millionen Menschen nach
Brasilien verschleppt wurden - auch da variieren die Zahlen erheblich: Pinto spricht von
4,6 bis 6 Millionen, von denen etwa 25% nach Bahia gebracht wurden (1991: 17),
Wöhlcke von 2,3 bis 18 Millionen (1969: 149), Lühning zitiert Conrad mit einer Angabe
von 3.646.000 Sklaven (1990: 5), Hohenstein erwähnt 3,5 Millionen (1991: 33) und
Verger gibt für den Raum Bahia eine Zahl von 1,2 Millionen Afrikanern an (1968: 55).
Über den Sklavenhandel in Brasilien und besonders die Herkunftsgebiete der Sklaven ist
nur lückenhaftes Material vorhanden, da im Zuge der Abolition, der Abschaffung der
Sklaverei 1888, ein großer Teil der Archivdokumente durch Abolitionisten verbrannt
wurde, um das ”dunkle Kapitel” aus der Geschichte Brasiliens zu tilgen. Pierre Verger
hat jedoch aus Archivstudien in Bahia, Lissabon, Paris und London umfangreiches
Material bezüglich der Sklaverei im Bundesstaat Bahia zusammengetragen (1968, 1981).
Er stützt sich dabei auf die vier-Phasen-Unterteilung nach der Studie des baianischen
Historikers und ehemaligen Gouverneurs von Bahia, Luis Viana Filho 7 (vgl. Karte 3):
1) Etwa zwischen 1550 und 1600 wurden überwiegend Sklaven aus Westafrika von
Häfen der Guinea-Küste nach Bahia gebracht - wobei die ganze westafrikanische
Küste nördlich des Äquators als Guinea-Küste galt; gemeint sind hier besonders die
heutigen Staaten Nigeria, Togo, Ghana, Dahomey/Benin, Liberia, Elfenbeinküste und
die Kapverdischen Inseln (Hohenstein 1991: 35).
2) In der Zeit bis 1700 kamen die Sklaven überwiegend aus dem Kongo/Angola-Raum,
nämlich Kamerun, Gabun und die heutigen zentralafrikanischen Republiken (ebd.
1991: 35). Diese Phase umfaßt die erste Masseneinfuhr von Sklaven, deren Bantu-
Kultur sich weit verbreitet und sich vor allem im brasilianischen Vokabular
niedergeschlagen hat 8 (Verger 1981: 23).
3) In den weiteren 70 Jahren von 1700 bis 1770 kam der Großteil der Verschleppten von
der ”Küste von Mina”. Hiermit sind jedoch nicht unbedingt Menschen aus Ghana
gemeint, wie Verger betont, sondern Personen vom Großteil der Westküste, die Häfen
7 Luis Viana Filho 1946 - O Negro na Bahia. Rio de Janeiro.
8 Als Beispiele seien hier genannt: quilombo (Siedlung entflohener Sklaven), senzala (Sklavenhaus),
mucama (Frau, schwarze Amme), mocambo (Hütte) (Pinto 1991: 23).
7

Grand Popo, Ouidah, Jaquin und Apa umfassend (1968: 10).
4) Zwischen 1770 und 1850 wurden beim legalen wie beim illegalen Sklavenhandel
afrikanische Sklaven aus Südwestnigeria und Dahomey verschifft. Diese Afrikaner der
Nagô/Yoruba-Gruppe bestimmen bis heute das kulturelle Bild in Salvador.
Bei der regionalen Einteilung der Sklaven nach ihren Herkunftsgebieten lassen sich keine
klaren Angaben machen. Ramos unterscheidet drei Kulturregionen: 1) die sudanesische
(sie umfaßt Yoruba (Nagô, Ijêshá, Eubá/Egbá, Ketu, Ibadan, Jebu/Ijebu), Dahomey
(Gêge-Gruppe: Ewe, Fon/Efan), Fanti-Ashanti, sowie Gruppen aus Gambia, Sierra
Leone) (siehe Karte 4), 2) die islamisierte (umfaßt Guinea und die Sudanzone: Peuhl,
Mandinga, Haussa), und 3) die Region der Bantu (Angola-Kongo-Gruppe) (Ramos 1946:
148). In Brasilien geriet die Dahomey-Kultur unter den beherrschenden Einfluß der
Yoruba-Kultur und ging fast gänzlich in ihr auf. Nina Rodrigues schlug für diese
Mischform den Namen gêge-nagô vor, der sich noch heute im Candomblé Bahias findet
(auch jeje-nagô, vgl. Lühning 1990) 9 . Nagô ist zudem in Brasilien die Bezeichnung für
Afrikaner der Yoruba-Sprachgruppe, jedoch weniger die Eigenbezeichnung der
Candomblé-Mitglieder. Lühning weist auf die häufige Übersetzung von nagô als
'schmutzig' oder 'voller Läuse' hin. Diese Übersetzung resultiert aus dem Spitznamen der
Jeje für die Yoruba, die nach intertribalen Auseinandersetzungen mit schmutzigen und
zerrissenen Kleidern nach Dahomey wanderten. So meint Lühning:
” Im candomblé hat der Begriff [nagô] noch heute einen pejorativen
Beigeschmack und wird im Sinne von 'dumm' oder 'unwissend' benutzt. Die
im candomblé Initiierten bezeichnen sich deshalb selbst eher als ioruba denn
als nagô” (1990: 7).
Zur allgemeinen Unterteilung wurde der Begriff der nação (Nation) geprägt. Dieser ist
jedoch nicht unbedingt mit der Bedeutung von Nation im eigentlichen Sinne
gleichzusetzen, auch wenn die nação häufig mit der ethnischen Gruppe übereinstimmt, da
die Unterteilungen oft in und nach den Deportationshäfen gemacht wurden, ungeachtet der
eigentlichen Herkunftsgebiete der Afrikaner. Kubik spricht zudem vom der Funktion der
ethnischen Bezeichnungen als 'Handelsmarken', mit denen der brasilianische Käufer
bestimmte Qualitäten und Charaktereigenschaften assoziierte (1991: 20). So galten z.B.
die als nagô bezeichneten Afrikaner als groß, wohlgenährt, fleißig, stark und intelligent,
weshalb ihnen oft der Vorzug gegeben wurde (Ramos 1946: 149). Die Einteilung in
nações war jedoch auch für die Sklaven selbst von Bedeutung, da sie ihnen die
9 Laut Lühning gibt es den candomblé jeje, den candomblé nagô, candomblé jeje-nagô, candomblé
nagô-ketu, candomblé ketu, candomblé ijexá, sowie den candomblé angola und den candomblé
congo-angola, wodurch sich die verschiedenen Mischformen ausdrücken (1990: 9).
8

Möglichkeit gab, sich selbst zu identifizieren, sich zu treffen und in der Muttersprache zu
unterhalten, was mit zur Erhaltung ihrer Kultur beitrug. Kubik teilt die heutigen
Regionalkulturen in fünf Zonen ein: 1) in Bahia finden sich vor allem Kulturphänomene
aus Südwest-Nigeria und Dahomey/Benin, 2) in Rio de Janeiro überwiegen Elemente aus
dem Angola-Raum, 3) in Minas Gerais finden sich Spuren der Benguela-Kultur aus
Angola, 4) im Inneren Brasiliens, wie in Mato Grosso, überwiegt die Kongo-Kultur
(Kubik 1991: 44). (Zur weiteren und religiösen Bedeutung der nação siehe Kapitel
III.2.2).
Während der Nordosten bis Mitte des 18. Jahrhunderts das wirtschaftliche Zentrum und
damit den Schwerpunkt des Sklavenhandels darstellte, verlagerte sich die wirtschaftliche
Achse durch Rohstoffunde schließlich weiter nach Süden. 1763 wurde Salvador von Rio
de Janeiro als Hauptstadt Brasiliens abgelöst.
An der Entwicklung der Sklaverei im 19. Jahrhundert war England maßgeblich beteiligt.
1808 organisierte der britische Lord Stangford die Flucht der portugiesischen
Königsfamilie vor dem Einmarsch napoleonischer Truppen in Portugal nach Brasilien.
Daraufhin stimmte diese 1810 dem britischen Abkommen für Importzölle zu, wonach der
König Sklaven nur noch von der portugiesisch-afrikanischen Küste importieren und damit
allmählich die Abolition einleiten sollte. 1821 kehrte König João VI. nach Portugal
zurück und bestimmte seinen Sohn Pedro als Nachfolger. Nach dessen Weigerung,
Brasilien erneut zur Kolonie zu erklären, erhielt das Land 1822 seine Unabhängigkeit von
Portugal, dessen diplomatische Anerkennung durch die Briten an die Forderung nach der
Abolition gebunden war (Hofbauer 1995: 121). Brasilien stimmte jedoch erst 1830 dem
allgemeinen Sklavenhandelsverbot zu; der Handel wurde durch den noch vorhandenen
Bedarf weitere 20 Jahre aufrechterhalten (Pinto 1991: 17). Während des Paraguay-
Krieges 1864-1870 wurde den Sklaven bei Kriegsbeteiligung die Freiheit in Aussicht
gestellt und sie selbst durch die Regierung aufgekauft 10 (Hofbauer 1995: 123). 1871
wurde die ”Lei do Ventre Livre”, die die Freiheit aller Sklavenkinder bis zum achten
Lebensjahr bestimmte, von der brasilianischen Regierung verabschiedet. Jedoch
verzichteten die meisten Herren auf die daran gebundene Entschädigung vom Staat und
behielten die Kinder bis zum 18. Lebensjahr. Außerdem ließen sie die Sklaven nicht mehr
registrieren, so daß diese nicht mehr durch den staatlichen Fond freigekauft werden
konnten (ebd. 1995: 73). Am 13. Mai 1888 wurde die Sklaverei in Brasilien durch die
10 Die Beteiligung am Krieg bedeutete nicht unbedingt die Freiheit - ihm fielen 60-100.000
dunkelhäutige Menschen zum Opfer (Hofbauer 1995: 123).
9

”Lei Aurea” (das Goldene Gesetz) offiziell abgeschafft, was zu diesem Zeitpunkt noch
etwa eine halbe Million Menschen betraf (5,6% der Gesamtbevölkerung) (ebd. 1995:
125), von denen die meisten in Minas Gerais, Rio de Janeiro, São Paulo, Bahia und
Pernambuco lebten (Ramos 1947: 143).
1.2 Zur Gesellschaftsordnung in Brasilien vor und nach der Abolition
Während der Druck des britischen Imperiums gegen die Sklaverei Anfang des 19.
Jahrhunderts größer wurde, erhoben sich auch andere Stimmen gegen dieses System.
Vereinzelt wurde der politische Druck von außen erkannt und eine neue Epoche ohne
Sklaverei angestrebt. Der Jurist und Politiker Hipólito da Costa schlug 1811 vor,
Immigranten als billige Arbeitskräfte anzuwerben und so einen Ausgleich für die
befreiten Sklaven zu schaffen. 1823 legte José Bonifácio de Andrada e Silva ein
Emanzipationsprojekt vor, das die wesentlichen Argumente der späteren
Abolitionistenbewegung enthielt: das Sklavensystem widerspreche nicht nur der
christlichen Religion, sondern auch der menschlichen Vernunft. Zudem würden freie
Arbeitskräfte mehr Profit bringen und die Kapitalakkumulation und Mechanisierung der
Produktion verhindern (Hofbauer 1995: 71). Über der Debatte zur Abolition gewann der
Faktor 'Rasse' 11 an Bedeutung und die evolutionistische Sichtweise setzte sich durch.
1880 rief Joaquim Nabuco die ”Sociedade Brasileira Contra a Escravidão” ins Leben,
mit dem Ansatz, daß Sklaverei und Industrie sich ausschlössen. Die Sklaverei töte ”die
Ausprägung jener menschlichen Fähigkeiten ab, die für die Industrie Voraussetzung sind:
die menschliche Initiative, Erfindungsgeist, individuelle Energie”, und verhindere
notwendige Elemente für die Industrialisierung (ebd. 1995: 76). Nabuco wollte Brasilien
als 'Rassenparadies' 12 hinstellen, um Immigranten aus Europa anzulocken. Für ihn
bedeutete Europäisierung auch Modernisierung. Brasilien sei nur zu retten durch eine
”Transfusion von reinem sauerstoffreichen Blut einer freien Rasse” (ebd. 1995: 77).
Diese Ansicht schuf die Basis für die ”ideologia do branqueamento”, die Ideologie der
11 Definition nach Fleischhacker: ”Rasse, in der biologischen Systematik [...] Teilgruppe einer Art
(Spezies), die sich durch kennzeichnende Häufung und Variabilität erbbedingter Merkmale und
Merkmalskombinationen von anderen R. der gleichen Art unterscheidet” (1988: 390).
12 Dem Begriff 'Rassenparadies' liegt die Vorstellung zugrunde, daß es in Brasilien keine
Rassenvorurteile gibt und die Rassen sich durch die 'Mulattisierung' angleichen. Die als
'Rassendemokratie' bekannt gewordenen Bestrebungen basieren auf den Studien der
Kulturwissenschaftler des 19. und 20. Jahrhunderts (siehe hierzu Kapitel.V.1.3).
10

'Weiß-Werdung', wie das Bestreben genannt wurde, die Bevölkerung Brasiliens durch
weiße Einwanderer aufzubessern (siehe Kapitel V.1.3). Im 'Saraiva-Cotegipe-Gesetz'
von 1885 wurde die Befreiung aller über 60jährigen Sklaven vorgesehen, jedoch hatten
die Sklaven ohnehin eine so geringe Lebenserwartung 13 , daß das Gesetz gleichsam
unbedeutend war (ebd. 1995: 124). Zudem enthielten etwa drei Viertel aller
Sklavenfreibriefe einschränkende Klauseln, die jahrelange unbezahlte Dienste oder eine
eventuelle Wiederversklavung beinhalteten (ebd. 1995: 73). Die Schwarzen waren
jedoch nicht nur in Bezug auf ihre Freiheit von den Herren abhängig: ihre soziale Position
hing von ihrem Verhältnis zu den ehemaligen Herren ab, die gegen besondere
Hilfeleistungen die Eingliederungsprozesse und den sozialen Aufstieg der Ex-Sklaven
erleichterten. Die sozio-kulturelle Assimilierung an das weiße 'Ideal' war dabei
Voraussetzung (ebd. 1995: 118).
Die Abolition erhielt laut Fernandes
”[...] zwangsläufig den Charakter einer Auflehnung der Weißen und gegen die
auf Sklavenarbeit beruhende Gesellschaftsordnung. Diese auf Sklavenarbeit
beruhende Gesellschaftsordnung hinderte die sozio-ökonomische Entwicklung
der wohlhabenden Gebiete des Landes und stand der Ausweitung des
Kapitalismus im Wege” (1971: 86).
Die Schwarzen und Mulatten waren dabei mehr 'Objekt der Sache'.
Als 1888 die Sklaverei in Brasilien abgeschafft wurde, stand die schwarze Bevölkerung
vor dem Ungewissen. Schon in den Jahren zuvor hatte sich die Abolition abgezeichnet,
und von staatlicher Seite aus war nicht berücksichtigt worden, was aus den Afrikanern
werden sollte. In den Jahren 1871 bis 1920 kamen über 3 Millionen europäische
Einwanderer nach Brasilien, von denen etwa 60% Italiener waren, dazu vornehmlich
Portugiesen und Deutsche (Hofbauer 1995: 228) 14 . Die freigelassenen Sklaven standen
nicht nur dem Problem gegenüber, daß in Bezug auf sie kein politisches Konzept
existierte - bei der Abschaffung der Sklaverei wurde die Notwendigkeit übersehen, die
Sicherheit der Freigelassenen zu gewährleisten -, sie hatten nun auch damit zu kämpfen,
überhaupt eine Arbeit zu finden. Erst als in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts der
Immigrantenstrom zurückging, waren mehr schwarze Arbeiter gefragt, die nun
unverzichtbar für das kapitalistische System, das sich noch im Aufbau befand, wurden.
Während in der Welt der Weißen der wirtschaftliche Aufschwung und die
13
Laut Hofbauer lag die durchschnittliche Lebenserwartung der Schwarzen im Nordosten Brasiliens
noch 1988 nur bei 58,8 Jahren (1995: 228).
14
Kohlhepp spricht für den Zeitraum von 1818 bis 1994 von 5,75 Millionen Einwanderern nach
Brasilien; davon waren 31% Portugiesen, 30% Italiener, 18% Spanier, 5,4% Deutsche und 4,5%
Japaner (Kohlhepp 1994: 31).
11

gesellschaftliche Entwicklung stattfand, wurden die Schwarzen an den Rand des sozio-
ökonomischen Prozesses gedrängt. Sie mußten sich mit einfachen und groben Arbeiten
begnügen, da sie weder die nötige technische Ausbildung noch, nach Meinung der
Weißen, die Mentalität von Lohnarbeitern besaßen. Zudem wollten sie als freie Menschen
behandelt werden und selbständig bleiben. Ein Arbeitsvertrag wurde schon als
Einschränkung gesehen (Fernandes 1971: 88).
”Cardoso sensitively notes that they didn't work because first they had to
destroy themselves as things before they could rebuild themselves as men”
(Graham 1970: 453).
Für die schwarzen Frauen war es einfacher, Arbeit zu finden, da sie als Hausangestellte
arbeiten konnten; und so wurden sie zur Stütze des Haushaltes. Doch auch sie wurden
nicht von dem kollektiven Elend, das etwa drei Viertel der dunkelhäutigen Bevölkerung
erfaßte, verschont.
”Die Untätigkeit des Mannes, die zu Beginn aus der Not und als ein würdiger
Protest entstanden war, entwickelte sich erstaunlich rasch zu einer bösartigen,
soziopathischen Form der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen”
(Fernandes 1971: 90).
Durch Alleinerziehende, Alkoholismus, Prostitution, Herumstreunerei und Kriminalität
wurde das Bild des Schwarzen für die Weißen noch düsterer. Der materielle Niedergang
hatte die moralische Selbstaufgabe und Gleichgültigkeit zur Folge (Fernandes 1971: 90).
Erst in den 1920er Jahren erhoben sich allmähliche Versuche der Kritik und
Selbstverteidigung, besonders durch eine aufkommende 'schwarze Presse' (imprensa
negra). Sie lieferten die Grundlagen der schwarzen Bewegung der kommenden Jahrzehnte
(siehe Kapitel V.1.5).
2. Religiöser Kontext
2.1 Die Missionierung
Gleichzeitig mit dem ersten Generalgouverneur Brasiliens, Tomé de Souza, gelangten
1549 die ersten Jesuiten auf Geheiß des portugiesischen Königs in die Kolonie. Laut
Flasche wurden bereits ab 1532 Vikare und Kapläne entsandt, um Pfarreien zu errichten,
wobei Bahia, Rio de Janeiro und Pernambuco als erste Missionszentren gelten (1973:
30). Die Jesuiten wurden zum bestimmenden kirchlichen Faktor in Brasilien. Sie
errichteten ein Erziehungssystem und versuchten, den Afrikanern das Christentum in ihren
12

eigenen Sprachen näherzubringen, wozu sie Sprachstudien durchführten und schriftlich
anlegten (Hofbauer 1995: 111). Zudem benutzten sie Musik und Tanz zum Zwecke der
Katechese. Darüberhinaus blieb die Christianisierung meist oberflächlich. Um eine
Verbreitung der afrikanischen Glaubensvorstellungen zu verhindern, wurden meist
Massentaufen ohne nähere Unterweisung vorgenommen. Die Sklaven mußten binnen
kürzester Zeit getauft sein. Hofbauer spricht von einer sechsmonatigen Frist (1995: 112),
laut Flasche mußte die Taufe noch in Afrika vorgenommen werden, da es verboten war,
ungetaufte Afrikaner in Brasilien einzuführen (1973: 42). Außerdem waren die
Massentaufen aufgrund der hohen Anzahl von Sklaven geradezu notwendig. Der
Einfachheit halber bekam dabei oft jeder Täufling den gleichen Namen (Flasche 1973:
43). Es wurde nur darauf geachtet, daß die Sklaven sich an die 'äußerlichen' Regeln wie
den Kirchgang hielten, doch selbst das war aus Platzmangel oder Protest aus weißen
Reihen oft nicht möglich (ebd. 1973: 44). Viele Sklaven mußten und konnten so ihre
eigene Religiosität behalten, aus der sich allmählich eigene Formen afrikanischer
Christlichkeit herausbildeten (siehe hierzu Kapitel III.2.2).
So sehr sich die Jesuiten auch um die Afrikaner bemühten 15 , bezüglich der Sklaverei
kamen aus ihren Reihen kaum kritische Stimmen. Das lag einerseits daran, daß die
Geistlichen ihr Amt nur mit Genehmigung des Königs ausüben durften und dieser
teilweise deren Unterhalt bestritt. Traten die Jesuiten öffentlich gegen die Sklaverei ein,
wurden sie zurück nach Portugal geschickt (Hofbauer 1995: 63/64). Die für die
Sklavenarbeit als zu schwach angesehenen Indios dagegen ”wurden in 'reduções' 16 zur
Durchführung jesuitischer Experimente - nämlich die Verwirklichung einer 'göttlichen
Gesellschaft' auf Erden unter Leitung der [Sekte] 'companhia de Jesus' herangezogen”
(ebd. 1995: 65). Zudem verschmolz ihr Bild mit dem Mythos vom ”edlen Wilden” 17 . Für
die Afrikaner wiederum galt es aus Sicht der Jesuiten andererseits als besser, in Brasilien
Sklave, als im ”kranken, heidnischen Afrika zu ewiger Verdammnis verurteilt zu sein”
(ebd. 1995: 66). Diese Sklaven wurden mit dem gekreuzigten Christus gleichgesetzt:
nackt, hungrig und leidend (ebd. 1995: 67). Die ersten Stimmen zu Gunsten der Sklaven
ertönten erst Ende des 17. Jahrhunderts: der italienische Jesuit Andreoni (1649-1716),
15 Die Jesuiten errichteten ein Erziehungssystem für die Sklaven und bemühten sich zudem, afrikanische
Sprachen zu erlernen, um so den christlichen Glauben zu verbreiten. Auch propagierten sie die sanfte
Behandlung der Sklaven, die sie zu produktiveren Arbeitskräften werden lassen sollte (s.u.)
(Hofbauer 1995: 68, 111).
16 'redução': religiöse Einrichtung nach Art einer Sekte
17 vgl. Urs Bitterli 1976 - Die >Wilden< und die >Zivilisierten

ekannt unter dem Pseudonym Antonil, erstellte einen Maßregelungskatalog, der die
Herren aufforderte, die Sklaven angemessen zu behandeln, wodurch deren Leben
verlängert und Kosten gespart würden (in den Ordenações Filipinas von 1603 wurden
zwar Regeln bezüglich des Sklavenhandels, nicht jedoch zur Sklavenhaltung aufgeführt).
Außerdem waren die Jesuiten der Meinung, die bessere Behandlung hätte eine
besänftigende Wirkung auf das Verhalten der Sklaven und beuge so Aufständen vor (ebd.
1995: 68). Die jesuitischen Missionen sollten schließlich die Interessen Portugals
vertreten und die Sklavenbevölkerung besänftigen, weshalb sie sich für mehr Ruhepausen
und einen freien Arbeitstag (der auch die Möglichkeit zum Meßbesuch bot) einsetzten
(ebd. 1995: 69). Dadurch, daß die Jesuiten auch weltliche Macht errangen, wuchs ihr
Einfluß und die Ausdehnung der durch sie beherrschten Gebiete 18 . Dadurch kam es zu
Auseinandersetzungen mit den Siedlern und dem Staat, was durch die Zusammentragung
von Anschuldigungen 1757 zur Vertreibung und Auflösung des Jesuitenordens in Brasilien
(bis 1814) führte (Flasche 1973: 31).
2.2 Die Entstehung afro-brasilianischer Kulte
Besonders unter Haussklaven und bei den in Städten lebenden Afrikanern wuchs mit der
Zeit eine Form afrikanischer Christlichkeit, die eine 'schwarze Kirche' mit eigenen
Formen der Frömmigkeit und Religiosität herausbildete, denn die offizielle Kirche blieb
die Kirche der weißen Herren. Durch die oberflächlich-äußerliche Christianisierung
konnten sich die Afrikaner Elemente dieser für sie neuen Religion nur durch Abschauen
und Nachahmen aneignen. Es bildeten sich eigene Bruderschaften für Sklaven, in denen
die Heiligen des Katholizismus dieselben Mittlerfunktionen einnehmen konnten wie die
Funktionsgestalten des afrikanischen Polytheismus 19 .
”Heiligenbruderschaften gehören einerseits zum fundamentalen religiösen
Leben des iberischen Katholizismus, die Afrikaner bekamen sie also ständig
vorgelebt, zum anderen aber kamen ihre eigenen Clan- und Totemsysteme
diesen Gemeinschaften so nahe, daß sich hier eine ganz natürliche
Identifikation vollzog” (Flasche 1973: 88).
Ab dem 13. Jahrhundert bildeten sich in Portugal confrarias oder irmandades, Religiöse
Überseebewohner als Vorbild und Herausforderung; S.367-425).
18 Flasche erwähnt für das Jahr 1755 60 Missionsstationen in Brasilien, davon wurden 28 von Jesuiten,
15 von Kapuzinern, 12 von Karmelitern und 5 von Marcenariern geführt (1973: 32).
19 Der Glaube an mehrere Gottheiten mit bestimmten Aufgaben. Die Götter sind meist bestimmten
Elementen und Naturbereichen zugeordnet und bilden zudem eine Hierarchie (Thiel 1988b: 371).
14

Bruderschaften ”als Ausdruck einer erstarkenden Berufsgruppen-Solidarität” (Hofbauer
1995: 141), deren Hauptanliegen vor allem in finanziellem und solidarischem Beistand
lag 20 . Jede dieser Bruderschaften verehrte eine/n Schutzheilige/n, deren/dessen Feiertag
jährlich mit Prozessionen begangen wurde (ebd.). Um die afrikanischen Sklaven im 15.
Jahrhundert in die bestehende Gesellschaftsordnung einzugliedern, führten die
Portugiesen sie zunächst in die bereits existenten Bruderschaften ein, bevor, trotz der
Angst vor Kontrollverlust über die Schwarzen, eigens für diese neue Bruderschaften
gegründet wurden (Hofbauer 1995: 142). Schutzpatronin der meisten wurde Nossa
Senhora do Rosário, die noch heute in der Religiosität der meisten Afro-Brasilianer eine
bedeutende Rolle spielt 21 .
Durch die Missionare erreichte das System der Bruderschaften schließlich Brasilien. Da
die weißen Herren unter sich sein wollten, wurden direkt confrarias eigens für Schwarze
gegründet. Sie waren die einzigen legalen Organisationsformen Schwarzer und stellten
einen sozio-kulturellen Freiraum für die Sklaven oder Freigelassenen unter der
Schirmherrschaft der Kirche dar. Oft war die ethnische Zugehörigkeit von Bedeutung bei
der Aufnahme in die Bruderschaft (Hofbauer 1995: 145) - auch begründet durch die noch
immer bestehenden interethnischen Konflikte. Die Einteilung der confrarias richtet sich
jedoch dazu nach den nações, zudem waren sie nach dunkelhäutigen Afrikanern und
Mulatten getrennt (Bastide 1971: 93), wodurch das afrikanische kulturelle Erbe hier
leicht fortbestehen konnte.
”Man erlaubte die Zusammenkünfte der nações [in den confrarias], um durch
die Stärkung des Gemeinschaftsgefühls der Mitglieder intertribale und auf
ethnischen Unterschieden beruhende Gegensätze zu verstärken oder
wenigstens beizubehalten und so einen Gesamtaufstand zu verhindern”
(Lühning 1990: 8).
Laut Bastide haben gerade die Religiösen Bruderschaften das Fortbestehen der
afrikanischen Kulte ermöglicht:
”All those institutions tended to bring people from the same country together,
in one single group, thus producing a close degree of solidarity between them.
It was this that made possible the survival, on American soil, of African
patterns of culture” (Bastide 1971: 93).
So konnten sogar manche Verbindungen, die in Afrika schon verschwunden waren, in
20 Bastide bezeichnet jedoch auch die religiösen Gemeinschaften Nigerias, gebildet aus den Mitgliedern
einer lineage und anderen dazu 'Berufenen', als Bruderschaften (1971: 116).
21 Die Kirche von Nossa Senhora do Rosário dos Pretos im Zentrum des Historischen Viertels von
Salvador wurde im 18. Jahrhundert als erste Kirche für Schwarze von Mitgliedern der Bruderschaft
der Schwarzen vom Kongo und aus Angola gebaut. Wichtige afro-brasilianische Messen, wie zum
'Nationalen Tag des Schwarzen Bewußtseins' am 20. November, werden meist in dieser Kirche
abgehalten (Siehe Kapitel V.1.5).
15

Brasilien überleben. Bastide nennt als Beispiel die ”Society of Hunters”, verbunden mit
dem Kult für Oshossi, der aus der Stadt der Ketu in Afrika verschwand, während er in
den Ketu-Kulten Bahias, wie dem Candomblé 'Gantois', erhalten blieb (1971: 95).
Es gibt heute nicht nur 'die eine' afro-brasilianische Religion, die sich in den Kultgruppen
widerspiegelt. Die unterschiedlichen Ausprägungen sind gekennzeichnet durch die
vermehrte Anhängerschaft aus einer bestimmten Ethnie und damit die Aufnahme
unterschiedlicher Phänomene und Rituale dieser Gruppe. So lassen sich nach Flasche die
wichtigsten afro-brasilianischen Religionen folgenden afrikanischen Ethnien zuordnen:
Candomblé (in Bahia), Xangô (in Recife) und Batuque (in Porto Alegre) den Yoruba;
Tambour de Mina (in Maranhão) den Ewe-Fon; Candomblé de Caboclo, Catimbo und
Pagelança (in den Nordstaaten) den verschiedensten indianischen Gruppen; Macumba (in
Rio de Janeiro) und Umbanda den Bantu (Flasche 1973: 120/126). Diese Einteilung ist
nur grob getroffen, und außerdem finden sich in jeder dieser Religionen auch Einflüsse
anderer Ethnien. Ich werde mich hier auf den Candomblé konzentrieren, der in Salvador
den größten Niederschlag gefunden hat und auch im Karneval eine entscheidende Rolle
spielt.
2.3 Die Transformation der Yoruba-Religion zum Candomblé / Synkretismus
Die Religion der Yoruba beruht auf dem Pantheon der Orishas 22 , ohne jedoch ein
einheitliches Bild abzugeben. Die Kulte für die einzelnen Gottheiten variieren von Region
zu Region und in den einzelnen Ortschaften, abhängig von der Geschichte des Ortes, wo
sie als Beschützer fungieren (Verger 1981: 17). Die Orishas gelten als vergöttlichte
Ahnen einer Lineage, die eine gewisse Kontrolle über bestimmte Naturgewalten errungen
haben und dadurch mit verschiedenen Elementen und Qualitäten verbunden sind: mit
Donner, Wind, Gewässern, Metall, der Jagd, dem Gebrauch von Pflanzen, Fruchtbarkeit
oder Liebe (ebd. 1981: 18). Der Kult wird durch das älteste Oberhaupt aufrechterhalten
und geleitet und über die väterliche Seite weitergegeben (Bastide 1971: 115). Schöpfer
aller Orishas und der Welt und oberste Gottheit ist Olódùmarè 23 . Während die Orishas
22 Ich beziehe mich hier auf die Yoruba-Schreibweise, während ich in Bezug auf die Götter in Brasilien
die brasilianische Schreibweise (Orixá) gewählt habe. Auch die Schreibweise der Namen der Götter
kann variieren, obwohl die Namen meist identisch sind, je nachdem auf welches Land ich mich
beziehe (zum Beispiel Oshossi/Oxossi).
23 In vielen Quellen findet sich die Bezeichnung Olorun/Olórun/Olorum für den höchsten Gott (Bastide
1971: 117, Hohenstein 1991: 159, Ramos 1946: 150). Laut Verger rührt dieser Begriff von der
16

menschliche Charakterzüge und auch Fehler haben, ist der oberste Gott unerreichbar, steht
über Recht und Moral und wird durch keinen Kult verehrt. Er schuf die Orishas, um die
Welt zu regieren und zu überwachen, weshalb sie als Mittler zwischen den Menschen und
dem höchsten Gott gelten; die menschlichen Gebete und Opfergaben richten sich an sie
(Verger 1981: 21). In jedem Kult findet sich eine hierarchische Struktur, an deren Spitze
eine Gruppe von Priestern steht, die babalaô. Darunter ordnen sich die Leiter der
Kultgruppen der verschiedenen lineages an, babalorishas (im Fall eines Mannes) oder
iyalorishas (die weiblichen Leiter), und schließlich folgen die Kultmitglieder (Bastide
1971: 118).
Mit der Verschleppung der Sklaven nach Brasilien gingen auch die Strukturen der Kulte
verloren. Die Einteilung nach Lineages war nach deren Zerstörung nicht mehr möglich,
ebenso wie die Reduktion auf einen Orixá. Durch den Kontakt mit dem Katholizismus und
der Vermischung afrikanischer religiöser Vorstellungen fand eine Umwandlung hin zu
synkretistischen Kulten statt.
Zur Anwendung des Begriffes 'Synkretismus' finden sich kontroverse Vorstellungen
bezüglich seiner Inhalte. Definiert wird er als ”Zusammensetzung von Elementen
verschiedener Religionen zu einer neuen” (Thiel 1988c: 463), beziehungsweise als
Prozeß, bei dem ”sich zwei oder mehrere Wertesysteme (zunächst über die ”kulturellen
Zeichen”) zueinander in Beziehung setzen” (Hofbauer 1995: 195). Kubik ist der
Auffassung, daß die afro-brasilianischen Kulte nicht synkretistisch sind:
”Es sind afrikanische Religionen, die mittels der portugiesischen Sprache und
der katholischen Begriffswelt für Außenstehende in einen nicht-afrikanischen
Code übersetzt wurden; [...]” (Kubik 1991: 149).
Ebenso wie Kubik sieht Lühning statt einer Vermischung der Religionen nur eine
Umbenennung der Orixás in katholische Heilige (1990: 14). Die Bedeutung und
Charakteristika der Heiligen ähneln denen der Orixás nur oberflächlich und wurden
keineswegs übernommen. Doch macht Lühning auch auf die deutlichen Unterschiede
zwischen den afro-brasilianischen Kulten und den afrikanischen Religionen aufmerksam.
Im Candomblé findet sich eine ”räumliche Vereinigung ursprünglich getrennter regionaler
Einzelkulte in einer Kultstätte” (Lühning 1990: 15), so daß in jedem terreiro (Gelände,
Platz) mehrere Orixás parallel existieren und verehrt werden, jedoch meist räumlich
voneinander getrennt. Zudem wurden dem afrikanischen Götterpantheon der Yoruba
(nagô) weitere Götter hinzugefügt, zum Beispiel Nanã, Omolu und Oxumaré der Ewe
Vorstellung her, daß Gott im Himmel wohnt, und 'Òrun' (yoruba) wird allgemein mit 'Himmel'
übersetzt. Diese Bezeichnung wurde wahrscheinlich von christlicher Seite geprägt (Verger 1981:
17

(jeje oder gêge), was zur Bezeichnung 'candomblé jeje-nagô' führte (ebd. 1990: 15).
Noch heute vermischen sich die Traditionen untereinander, weshalb Hofbauer den Begriff
”synkretistischer Prozeß” benutzt, der erst beendet ist,
”[...] wenn die im Alltag verwendeten (gelebten) Zeichen und Bedeutungen
von den sozialen Akteuren nicht mehr als Elemente ”ursprünglich”
unterschiedlicher Sinnsysteme erkannt werden. [...] Durch einen
”Revitalisierungsprozeß”, der sozio-politisch motiviert ist und/oder durch
eine wissenschaftliche Studie ausgelöst wird, können ”verschmolzene”
Kulturelemente neuerlich getrennt werden” (Hofbauer 1995: 196).
Dieser Revitalisierungsprozeß hat in den letzten Jahrzehnten in Salvador eingesetzt,
worauf ich später noch eingehen werde (vgl. Kapitel V.2.1-V.2.3).
2.4 Der Candomblé
2.4.1 Die Götterwelt im Candomblé
Der Begriff 'Candomblé' im heutigen Brasilien bezeichnet einerseits die Religion der
Afro-Brasilianer sowie andererseits die Kultstätten und auch die Kulthandlungen. Seine
etymologische Ableitung ist nicht klar definiert. Lühning hält die Herleitung von der
Bantu-Bezeichnung ”kà-´n-dómb-íd-é kù-domb-á” für ”lobpreisen, beten, anrufen” sowie
von dem Yoruba-Terminus ”candomblé-ile” (”Tanzhaus”) für die wahrscheinlichste
(1990: 1). Hohenstein nennt die Übersetzung ”Haus der Initiation” als Ableitung von
einem Kimbundo-Wort (1991: 158).
Der Götterpantheon in Brasilien umfaßt allgemein bis zu 16 Orixás, welche mit
bestimmten Merkmalen, eigenen Gesängen, Farben, Speisen, Ritualen und Symbolen in
Verbindung gebracht werden (siehe Abb. 1). Verger bezeichnet die Eigenschaften der
Orixás als 'Archetypen', die meist mit denen der Person übereinstimmen, die für einen
Gott als filha oder filho (wörtl. 'Tochter' oder 'Sohn', gemeint sind Initiierte) ausgewählt
wird. Doch auch diese Eigenschaften sind nicht einheitlich.
”Os arquétipos de personalidade das pessoas não são tão rígidos e uniformes
[...], pois existem nuances provenientes da diversidade de ”qualidades” 24
atribuídas a cada orixá. [...] Como veremos, diz-se que há doze Xangôs, sete
Oguns, sete Iemanjás, dezesseis Oxalás (na África eles seriam cento e
cinqüenta e quatro), tendo cada um suas características particulares. Eles são,
segundo os casos, jovens ou velhos, amáveis ou ranzinzas, pacíficos ou
21). Laut Kubik bedeutet 'Ol´orun' 'Eigentümer des Himmels' (1991: 149).
24 Lühning führt diese qualidades auf eine Ableitung der verschiedenen Kulte für einen Orixá in Afrika
zurück (1990: 12).
18

guerreiros, benevolentes ou não” (Verger 1981: 34).
Zudem hat auch nicht jede Person nur einen Orixá, sondern mehrere, die sein Leben
unterschiedlich beeinflussen. Der Orixá, dem man meistens durch die Initiation geweiht
wird, heißt dono de cabeça, der zweite nennt sich ajuntó, der dritte hat keinen speziellen
Namen. Weiterhin besitzt ein Mensch meist noch einen Exu (Botschafter zwischen den
Menschen und den Orixás) und manchmal einen caboclo (eine Gottheit der brasilianisch-
indianischen Kultur 25 ) (Lühning 1990: 68).
Entsprechend ihrer Charakteristika wurden die Orixás im Zuge der Christianisierung mit
katholischen Heiligen assoziiert und mit deren Namen bezeichnet. Die folgende Tabelle
soll die Eigenheiten der wichtigsten Orixás darstellen, die Reihenfolge entspricht den
Gottheiten des Candomblé nagô-ketu nach Lühning (1990: 13):
Kath. Pendant Element/
Bedeutung
Exu Teufel Wegkreuzungen,
freie Plätze
Ogum Santo Antônio
de Pádua
Oxossi São Jorge, (São
Sebastião)
Insignie/ Symbol Tag Farben
Dreizack aus Eisen Montag schwarz, rot
Eisen, Krieg sieben
Dienstag dunkelblau,
Eiseninstrumente an
Stange (ferra-mentas),
ausgefranstes
Palmblatt (màrìwò)
grün
Wald, Mond,
Jagd
Ossaim São Benedito Kräuter, Medizin eiserne siebenspitzige
Gabel mit Vogel
Omolu/
Obaluaê
São Lázaro, São
Roque
Erde, Pocken,
Pest
Oxumarê São Bartolomeu Regenbogen,
Reichtum
Xangô São Jerônimo Donner, Blitz,
Feuer
Pfeil und Bogen Donnerstag blau-grün
19
Samstag grün, weiß
Palmzepter mit Montag braun,
Muscheln, Kalebassen
schwarz,
(xaxará)
(weiß)
Besen aus Palmfasern
(ebiri),
schmiedeeiserne
(Doppel-)Schlange
Iansã/Oiá Santa Bárbara Wind, Unwetter Krummsäbel,
Pferdehaarwedel
Oxum Nossa Senhora
das Candeais
Iemanjá Nossa Senhora
da Imaculada
Süßgewässer, Messingspiegel,
Liebe, Schönheit, Fächer (abebé)
Fruchtbarkeit
Meer,
Mutterliebe,
Dienstag gelb, grün
Doppelaxt (oxé) Mittwoch rot, weiß
Mittwoch granatrot
Samstag gold-gelb,
messing
Fächer aus weißem Samstag hellblau,
Metall, Fisch, Spiegel,
durchsichtig
25 Die caboclos gelten, ähnlich wie die eguns (siehe unten), als Geister Verstorbener, hier jedoch
reduziert auf die Geister verstorbener Indianer als ”eigentliche Brasilianer” (Becker 1995: 97).

Logunedé Erzengel
Michael
Conceição Fruchtbarkeit Säbel
Freude, Glück,
Reichtum
Krummschwert
(takará), abebé, Pfeil,
Bogen, Helm, Krone
20
Donnerstag
o. Samstag
blau-gold
Euá Santa Filomena Kampf, Tod Anker, Harpune, Lanze, Mittwoch gelb, schwarz,
Blumenstrauß
rot
Obá Santa Catarina,
Joana d'Arc
Nanã
Buruku
Wasser, Kampf,
Rebellion
Sant'Ana Sumpf, Erde,
Seen
Schwert, Schild aus
Kupfer
geschwungenes Zepter
(ebiri)
Samstag o.
Mittwoch
Montag o.
Samstag
braun, gelb,
rot
weiß,
Blautöne
Oxalá Senhor do
Bonfim
(Christus)
Himmel, Frieden Hirtenstab (paxorô) Freitag weiß
(Quellen: Verger 1981, Lühning 1990, Pinto 1991, Becker 1995)
Die Orixás in Brasilien gelten als deifizierte Vorfahren und werden wie bei den Yoruba
mit verschiedenen Naturgewalten assoziiert. Sogenannte lendas oder histórias de odu
erzählen von diesen Eigenschaften und den Verwandtschaftsstrukturen unter den Orixás.
Pinto unterscheidet dabei vier Ebenen (siehe Abb. 2): Auf erster Ebene steht
Olodumare/Olorum als höchster Gott. Darunter folgen die Orixás, an deren Spitze auf
zweiter Ebene Oxalá steht. Seine erste Frau Nanã und seine zweite Frau Yemanjá werden
als Fruchtbarkeitsgöttinnen bzw. Göttinnen der Fortpflanzung verehrt. Sie folgen auf
dritter Ebene mit den übrigen Orixás, Oxalás Kindern. Auf vierter Ebene findet sich Exu
als Vermittler zwischen der irdischen und der Orixá-Welt. Bei allen Ritualen gilt ihm das
erste Opfer (Pinto 1991: 166). Zudem gibt es eine Vielzahl von Geistwesen, wie die
eguns 26 , die als Seelen verstorbener, zur Erde zurückgekehrter Ahnen in dem
Zwischenbereich von Menschen und Orixás leben. Während diese Seelen bei
afrikanischen Geheimbünden 27 zu besonderen religiösen Anlässen 28 herabsteigen, sind die
an die eguns angebundenen Kulte in Brasilien fast verschwunden (ebd. 1991: 168) 29 .
Die hierarchische Struktur der Orixás findet sich auch bei dem Ablauf religiöser Feste
26 Die Bezeichnung egun leitet sich von egúngún oder eegun, der Yoruba-Bezeichnung für die Geister
der Verstorbenen, ab. Im Gegensatz zu Afrika schließt dieser Begriff in Brasilien nicht unbedingt
eine Verwandtschaft oder Verehrung mit ein (Becker 1995: 95). Der egun ist eine Wesenheit, die
den Orixás untergeordnet, ihnen jedoch nicht unbedingt unähnlich ist (ebd.: 96).
27 Die Yoruba verehren in dem Geheimbund 'Egungun' die Geister ihrer verstorbenen Ahnen. ”Egungun is
a secret society [in Nigeria] headed by a hereditary chief called Alagba. An Egun mask usually
represents the spirit of a particular person and it is always the priest of the Ifa oracle who will decide
which spirit must thus receive special worship” (Beier 1959: 26).
28 In Nigeria ist der egungun-Kult mit Maskentänzen verbunden, bei denen man mit den Verstorbenen in
Kontakt treten kann (Becker 1995: 95, Beier 1959: 26/27).
29 Der egun-Kult existiert heute nur noch auf der der Stadt Salvador vorgelagerten Insel Itaparica. In
einigen Candomblés, wie dem Ilê Axé Opô Afonjá, gibt es jedoch noch immer einen alleinstehenden

wieder, bei denen die cânticos, die Lieder der Gottheiten, in einer bestimmten
Reihenfolge, xirê, gesungen werden, die jedoch von terreiro zu terreiro leicht variieren
kann. Angefangen wird mit den Rhythmen der oberoi, der männlichen Orixás, gefolgt von
denen der ayabás oder iabás, der weiblichen Orixás.
2.4.2 Hierarchische Strukturen und Positionen im Candomblé
In der brasilianischen Alltagssprache wird der Kultort, meist ein Grundstück mit
mehreren Gebäuden, als terreiro oder roça (Land, Feld) bezeichnet. Soweit es die
Räumlichkeiten zulassen, hat jeder Orixá sein eigenes Haus, in dem sich seine
Kultgegenstände befinden und spezielle Rituale durchgeführt werden (Lühning 1990: 12).
Geweiht ist der terreiro meist dem Orixá seines Gründers (dono do terreiro). Wie in
Afrika folgt auch die Einteilung innerhalb des Candomblé festen hierarchischen
Strukturen, dem Prinzip der Seniorität folgend (gemeint sind hier Lebensalter und
Initiationsalter 30 ). Das Oberhaupt eines terreiro wird babalorixá genannt, wenn es sich
um einen Mann handelt, oder ialorixá bei einer Frau. Diese Personen leiten die
öffentlichen Feste und Handlungen und kümmern sich um den Ablauf der Unterweisung
der Initianten. Zudem stellen sie den Kontakt zu den Orixás her, indem sie diese durch das
ifá-Orakel oder jogo de búzios (das Kaurischnecken-Orakel) befragen. Früher gab es
auch in Brasilien die Person des babalaô zur Divination und den olosaim/babalosaim, in
dessen Aufgabenbereich das Wissen um die Anwendung von Kräutern und Pflanzen lag
(vgl. Bastide 1958: 98,99), doch fallen diese Bereiche heute den ialorixás/babalorixás
zu. In der Regel werden die Kultleiter als mãe-de-santo beziehungsweise pai-de-santo
bezeichnet (Mutter/Vater im Kult des Heiligen 31 ), als sinngemäße Übersetzung der
Yoruba-Termini. Die Initiation einer Person zur/zum filha-/filho-de-santo geschieht
meist aufgrund von persönlichen Problemen oder Schmerzen, die als Einfluß der Mächte
der Orixás eines Menschen gedeutet werden. Durch die Initiation werden die Orixás
domestiziert und die negativen Einflüsse kontrolliert (Lühning 1990: 68). Während der
Schrein, wo den eguns Opfer gebracht werden (Becker 1995: 95).
30 Der Begriff 'Initiationsalter' bezeichnet hier, nach Lühning, die Zeit, seit der jemand initiiert ist und
damit das Alter, das man als Initiierte/r hat. Das Initiationsalter spielt im Candomblé eine wichtigere
Rolle als das biologische Alter (1990: 26).
31 Lühning weist darauf hin, daß die allgemeine deutsche Übersetzung von mãe-de-santo als 'Mutter des
Heiligen' sowohl sinngemäß als auch grammatikalisch falsch ist, da sie ja nicht die Mutter des Orixá,
sondern nur in Bezug auf die von ihr initiierten filhas/filhos-de-santo die Älteste im Kult der Orixás
21

ersten sieben Jahre nach der Initiationszeit (feitura) wird die filha-de-santo iaô genannt.
Hierauf folgt die obrigação de 7 anos, eine Art Wiederholung der feitura, und die iaô
wird zur ebomin und damit quasi volljährig (ebd. 1990: 73). Nun ist sie, bei Erfüllung
einiger Voraussetzungen, dazu berechtigt, selbst zu einer mãe-de-santo zu werden, zu
initiieren und einen eigenen terreiro zu gründen (ebd. 1990: 74).
Jedes öffentliche Fest wird durch zwei Rituale eingeleitet: matança und padê. Die
matança ist die Opferung bestimmter Tiere für die Orixás, die den Kontakt zu diesen
herstellen soll, durchgeführt von dem afikodê (nur für Oxossi) oder axogum. Im weiteren
Verlauf folgt das padê (wörtl. Treffen), die Zeremonie für Exu, um den friedlichen Ablauf
des Festes zu gewährleisten. Sie besteht aus einer Opfergabe aus cachaça (Schnaps),
azeite de dendê (Palmöl) und farinha (Maniokmehl), bei der getanzt und gesungen wird
(zu diesem Ritual siehe auch Kapitel IV.2.1.4). Als Überleitung zu dem Fest wird der
Rhythmus des Orixá gespielt, dem das Fest gilt. Die wichtigsten Instrumente im
Candomblé sind die atabaques (Abb. 3), Faßtrommeln aus Holz in drei Größen (s.u.),
und die agogô (Abb. 4), eine Doppelglocke aus Metall. Lühning zufolge kommt der
Terminus 'agogô' aus dem Yoruba und bedeutet soviel wie 'Zeit' (1990: 47). Zudem wird
häufig die xequeré (Abb. 5) gespielt, eine Rassel aus einer Kalebasse, die von einem
Netz mit eingeknüpften Perlen oder Muscheln umspannt ist. Die drei atabaques heißen
rum (die größte), rumpi (die mittlere) und lê (die kleine). Sie werden mit zwei dünnen
Stöcken (agdavi) geschlagen, beziehungsweise rum mit einem Stock und einer Hand.
Während Adegbite von mehreren Trommelensembles, unimembranophon und
bimembranophon 32 , für die einzelnen Orishas der Yoruba-Religion spricht (1988: 15/16),
gelten die atabaques als Faßtrommeln aus dem Ewe/Akan-sprachigen Guinea-Raum
(Pinto 1991: 188, Kubik 1991: 158) und sind mit nur einem Fell bespannt. Auch die
Namen der drei Trommeln wurden von den Ewe übernommen (Lühning 1990: 47). Die
Instrumente markieren die Rhythmen der einzelnen Orixás, an denen sich die Tänzer
orientieren. Der Cheftrommler nennt sich alabê; ein ogã spielt eine Trommel oder die
agogô, hat aber sonst eher organisatorische Funktionen. Die meisten der Aufgaben
werden durch die Orixás bestimmt, entweder durch das jogo de búzios, oder ein
manifestierter Orixá wählt durch ein Medium während eines Festes eine Person für einen
Posten aus (ebd. 1990: 32).
In den Candomblés von Salvador findet sich eine deutliche Überzahl der Frauen im
ist (für die filhos/filhas gilt bezüglich der Übersetzung natürlich das Gleiche) (1990: 28/29).
32 mit einem bzw. zwei Fellen bespannt
22

Gegensatz zur Zahl der Männer. Lühning führt dies auf bestimmte Phänomene der nagô-
ketu Tradition zurück, da beispielsweise im Candomblé de Angola die Zahl der
initiierten Männer größer ist (ebd. 1990: 33). Hofbauer begründet die Dominanz der
Frauen mit der Islamisierungswelle des 19. Jahrhunderts in Brasilien, als die Zahl der
dunkelhäutigen Bewohner Salvadors deutlich anstieg 33 , und die ihren Höhepunkt in der
'Revolta dos Malês' 34 fand (1995: 178). Da die Frauen laut Hofbauer von den islamischen
Gebeten ausgeschlossen waren, blieben sie ihren traditionellen religiösen Vorstellungen
treu (ebd.). Frauen aus der Yorubastadt Ketu, von der Bruderschaft 'Nossa Senhora da
Boa Morte da Igreja da Barroquinha', gründeten 1830 im Zentrum von Salvador das erste
(dokumentarisch belegte) traditionelle Candomblé-Haus, die Casa Branca, die bis heute
überlebt hat - zunächst unter dem Namen 'Iyá Omi Aira Intilé', nach seiner Verlegung an
die Peripherie 35 als 'Ilê Axé Iyá Nassô'. Heute steht die Casa Branca, unter welchem
Namen sie bekannt ist, oder 'Engenho Velho' nach ihrem Standort, unter Denkmalschutz.
Durch Abspaltungen aus diesem Candomblé entstanden weitere wichtige und heute
hochgeachtete Kultstätten, wie Mitte des 19. Jahrhunderts der Iyá Omi Axé Iyamase
beziehungsweise Ilê Oxossi, bekannt als 'Gantois', oder 1910 Ilê Axé Opô Afonjá unter
der Leitung von Mãe Aninha Obabii (Hofbauer 1995: 175/248, Hohenstein 1991: 196-
198). Von 1922 bis 1986 wurde Gantois von der heute bekanntesten mãe-de-santo
geführt: Mãe Menininha. Sie starb mit 92 Jahren und erhielt eine katholische Beerdigung
mit dem Charakter eines Staatsbegräbnisses. Heute steht ihm Mãe Cleuza vor. Der Ilê
Axé Opô Afonjá wird heute von Mãe Stella geleitet, die als eine der anerkanntesten
religiösen Führungspersönlichkeiten der Afro-Brasilianer gilt (Hofbauer 1995: 248) (zur
Bedeutung dieser Kultstätten für die Afoxés siehe Kapitel IV.2.1.4).
3. Afrikanische Einflüsse in Brasilien
33 1824 betrug der Anteil der weißen Bevölkerung in Salvador 22,37%, die Schwarzen teilten sich
folgendermaßen auf: 49,4% aus der Benin-Bucht, 29,6% aus dem Angola-Kongo-Raum, 19,1%
von der Goldküste/Costa de Mina und 1,9% andere Ethnien (Hofbauer 1995: 153/238).
34 Mit 'Malê' wurden die islamisch gebildeten Schwarzen verschiedener westafrikanischer Staaten
(jedoch überwiegend Haussa) bezeichnet. Möglich ist eine etymologische Abstammung von 'Mali'
(Gerischer 1996: 100). Die 'Revolta dos Malês' (1835) war der größte von mehreren
Sklavenaufständen zwischen 1807 und 1835, bei dem ein Bahia für Afrikaner errichtet werden sollte.
Durch Verrat wurde dieser Aufstand jedoch blutig niedergeschlagen und die Köpfe der Anführer
öffentlich aufgestellt. In den Jahren danach folgte eine Repressionswelle gegen islamische Elemente
in Bahia (Hofbauer 1995: 153-156).
35 Die meisten Candomblés liegen außerhalb des Zentrums von Salvador, wohin sie im Zuge der Proteste
23

Neben den Glaubensvorstellungen der afrikanischen Kultur, der Sprache und anderen
Erscheinungen, die sich in den afro-brasilianischen Religionen widerspiegeln, haben sich
Phänomene aus Afrika in weiten Feldern des brasilianischen Lebens niedergeschlagen.
Diese Einflüsse bestimmen die afro-brasilianische Identität durch ihre Präsenz im
alltäglichen Leben ebenso wie die oben genannten Bereiche.
Im Historischen Zentrum Salvadors, dem Pelourinho (wörtl. 'Pranger', diese Bezeichnung
stammt aus der Zeit, als auf dem Largo do Pelourinho die Sklaven zur Strafe und
Abschreckung öffentlich gefoltert wurden), finden sich viele dieser Phänomene. An
Straßenecken sieht man die Stände der Baianas, der traditionell gekleideten Frauen
Bahias, die an ihren Ständen afrikanische Speisen verkaufen (Abb. 6). Bei vielen
Gerichten handelt es sich gleichzeitig um die den Orixás dargebrachten Nahrungsmittel.
So verkaufen die Baianas beispielsweise Acarajé (in Afrika àkàrà), die Opferspeise für
Iansã, die afro-brasilianische Göttin des Windes (Verger 1981: 170): fritierte Bällchen
aus gemahlenen Bohnen, Palmöl und weiteren Zutaten, die zusammen mit Caruru, einer
Masse aus gekochten Okraschoten, Krabben und Cashew-Kernen, und Vatapá, einer
Creme aus Kokosmilch, Cashews und Krabben gegessen werden. Die 'Küche der Götter'
wurde in den baianischen Alltag übernommen. Weitere Speisen afrikanischer Herkunft
sind zum Beispiel Abará (Acarajé-Teig in Bananenblätter eingewickelt und gekocht),
'cuzcuz de tapioca' (Tapioca-Mehl mit Kokosraspeln), oder Kuchen aus Maniokmehl
oder Kokos. Noch bis Anfang des 20. Jahrhunderts wurden viele Zutaten für die
baianische Küche eigens aus Afrika nach Brasilien geschifft (Ramos 1946: 157) oder
afrikanische Gerichte mit heimischen Zutaten zubereitet. Die Kleidung der Baiana ist eine
Synthese verschiedener afrikanischer Einflüsse und stellt gleichzeitig die Kleidung der
filhas-de-santo dar (siehe Abb. 7). Sie wurde schon im 19. Jahrhundert von
freigelassenen schwarzen Marktfrauen in dieser Form getragen (Lühning 1990: 48). Die
voluminöse Rockkomposition mit Lochstickerei und Spitzen wurde laut Lühning
möglicherweise von den Herrinnen übernommen und entspricht europäischen Moden
(1990: 49). Auch Rosângela Guimarães vom Afoxé Filhas d'Oxum sieht die Röcke als
Kleidungsweise der weißen Herrinnen:
”No candomblé, o nosso candomblé, se usa essas saias, eu creio, por devida
na época colonial influência da corte Francesa. Quando a corte mudou para o
Rio de Janeiro, estava muito em moda, as anquinhas, aquelas anáguas, e as
negras que acompanhavam as famílias elas usavam aqueles anáguas para
desfilar as roupas e as jóias dos patrões antigamente. Eu creio que o costume
der Weißen gegen die afro-brasilianischen Kulte verdrängt worden waren.
24

do candomblé de usar 7 anáguas vem daí” 36 .
Diégues Júnior (1977: 51) und Ramos (1946: 158) zufolge ist der Rock jedoch wie die
Tücher und Schals sudanesischer Herkunft. Die Ketten, Ringe, Armbänder und Amulette
ordnet Ramos den Yoruba zu (1946: 157), Diégues Júnior jedoch den Bantu (1977: 51).
Das um den Kopf gewickelte Tuch und die halb offenen Schuhe entsprechen der
sudanesisch-islamischen Kleidungsweise (ebd.).
Afro-brasilianische Themen finden sich auf vielen Bildern und Skulpturen in den
Galerien Salvadors und erinnern an berühmte afro-brasilianische Künstler. Genannt seien
hier Manoel da Cunha, Valentim da Fonseca e Silva, Antonio Francisco Lisboa
('Aleijadinho') oder Rafael (Diégues Júnior 1977: 24). Auch heute orientieren sich
Künstler an der afro-brasilianischen Kultur, besonders dem Candomblé, wie zum
Beispiel der argentinische Maler, Zeichner und Reliefkünstler Carybé (Hector Julio
Paride Bernabó) (Abb. 8).
Im Pelourinho sind verschiedene Musikrichtungen vertreten, von traditionellen Rhythmen
bis zu modernen Arrangements. Hier haben viele Karnevalsgruppen (Afoxés und Blocos
afro) ihren Sitz. Aus einigen Bars ertönen Reggae-Klänge und weisen auf den Einfluß aus
Jamaika hin, der sich mit der Samba zur heutigen Form des Samba-Reggae vermischt hat
(siehe Kapitel IV.2.2.5). Die Samba (oder die ältere Bezeichnung batuque 37 ) hat ihre
Ursprünge in der Kultur des Kongo-Angola-Raumes (Browning 1995: 19), viele Bantu-
Instrumente finden sich in Brasilien wieder. So kommen Trommeln mit einfacherer
Spannung ohne Schnüre oder Keile aus der Bantu-Kultur, ebenso wie die cuica (eine
Reibtrommel) oder das berimbau, ein Musikbogen, der in der Capoeira gespielt wird
(Ramos 1946: 184/185).
In einigen Straßen im Pelourinho stößt man auf 'Academias de Capoeira', dem
'heimlichen' Nationalsport Brasiliens 38 . Capoeira ist eine Art Kampftanz oder ein Kampf-
Spiel (die korrekte Terminologie lautet 'jogar capoeira', Capoeira spielen), das seine
heutige Form erst in Brasilien durch die versklavte schwarze Bevölkerung im 19.
Jahrhundert erhalten hat (Pinto 1991: 43).
”Im brasilianischen Kontext wurde ein ritualisierter Kampftanz entwickelt,
der für die Schwarzen unterschiedliche Funktionen erfüllen konnte: Er diente
zur körperlichen Ertüchtigung, zur Vorbereitung auf eine mögliche Flucht
sowie zum Erlernen von Kampftechniken” (Hofbauer 1995: 160).
36
Interview mit Rosângela Guimarães, Präsidentin des Afoxé Filhas d'Oxum, am 6.2.1999.
37
Laut Carneiro (1991: 221-224) meint 'Batuque' einen ”luta fetichista”, der eine Variation der Capoeira
darstellt (s.u.).
38
Getúlio Vargas (Präsident von 1930-45 und 1951-54) bezeichnete die Capoeira 1953 als ”einzig
wirklichen Nationalsport” (Hofbauer 1995: 163, Browning 1995: 104).
25

In den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts entstanden zwei Arten von Capoeira, 'Capoeira
de Angola' und 'Capoeira Regional'. Das Spiel wurde 1932 durch den Hafenarbeiter
Mestre Bimba als ”luta regional baiana” salonfähig gemacht, während die Gruppen
vorher als ”Mördervereine” angesehen wurden, die sich oft, mit Messern bewaffnet,
wilde Jagden durch die Stadt lieferten (Hofbauer 1995: 161). Da die 'Capoeira regional'
eine Mischung aus Capoeira mit fernöstlichen und nordamerikanischen Kampfsportarten
ist, wird er von den 'Angoleiros' und auch Wissenschaftlern wie zum Beispiel Edson
Carneiro oft nicht als Capoeira angesehen (Browning 1995: 100). Die 'Capoeira de
Angola' dagegen lehnt Kampfsporteinflüsse ab und besinnt sich auf ihre kulturelle
afrikanische Herkunft. Diese Tendenz verstärkte sich besonders in den letzten Jahrzehnten
im Zuge der Reafrikanisierungsbewegung (siehe Kapitel V.2.3) (Hofbauer 1995: 164).
Weitere 'artistische' Darbietungen finden sich auf verschiedensten Bühnen in Salvador.
Hier hat man die Möglichkeit, die Szene des afro-brasilianischen Theaters
kennenzulernen, wie zum Beispiel die 'Bando do Teatro Olodum', die der 'Grupo Cultural
Olodum' angegliedert ist (siehe Kapitel IV.2.2.8), und das 1944 durch Abdias do
Nascimento gegründete 'Teatro Experimental do Negro', das seine Blütezeit in den
1940er und 50er Jahren fand. Nascimento ist einer der bekanntesten schwarzen Aktivisten
und Mitbegründer des MNU (Movimento Negro Unificado, siehe Kapitel V.1.5). Er hatte
zum Ziel, das Theater zu nutzen, um das Schwarze Bewußtsein zu wecken (Gonzalez
1985: 132/133).
Jedoch lassen sich die afrikanischen Einflüsse nicht auf die oben genannten Bereiche
reduzieren, sie dringen in beinahe jedes Gebiet des brasilianischen Lebens ein.
4. Die Entwicklung des Karnevals
4.1 In Portugal
Der Karneval gilt als Fest, bei dem die sozialen Ordnungen umgekehrt und die Grenzen
der Gesellschaft aufgehoben werden. Bausinger versteht ihn jedoch nicht nur als ”soziale
Ventilsitte”:
”Nicht nur die sozialen Grenzen werden verwischt, sondern das bunte
Gemisch fasnachtlichen Brauchs, das Rügen und Richten, das Heischen und
Spenden, die Sprünge und Rufe, der Lärm und die Tänze - dieses Gemisch
zeigt, daß in der Fasnacht eine totalere und elementarere Entgrenzung erfahren
26

wird. [...] die Merkmale der Identität und der Einheitlichkeit des Ich-
Bewußtseins [gehen] verloren” (1964:12).
Bereits in dem Zwei-Staaten-Modell des hl. Augustinus (354-430) wird die 'verkehrte
Welt' durch Babylon versinnbildlicht. Das Modell stellt Gottesstaat und Weltstaat
gegenüber, Jerusalem und Babylon, unitas (Einheit, Ruhe, Frieden) und confusio
(Vielfalt, Gespaltenheit), Hinwendung zu Gott und Verfallenheit an den Teufel, und somit
in diesem Zusammenhang Fastenzeit und Karneval (Moser 1986: 34, 36, 39).
Die Entstehung des europäischen Karnevals ist laut Hofbauer (1995: 165) auf die Kulte
für die ägyptische Göttin Isis anläßlich der Aussaat und Ernte zurückzuführen; zudem
wurden einige Elemente der Saturnalien Roms (das auch als 'zweites Babylon' galt) und
der griechischen Dionysos-Feste übernommen, wie die Prassereien, die Verkleidungen
und die Betonung der 'fleischlichen Wünsche' (Moser 1986: 42/43). Die 'heidnischen'
Ausschreitungen mit ihren überreichen Festgelagen, sexuellen Freiheiten und der
temporären Aufhebung der sozialen Ordnung wollten die Kirchenvertreter des
Mittelalters durch die Integration dieser Traditionen in die katholischen Zeremonielle der
Prozessionen in kontrollierte Bahnen lenken. Im 15. Jahrhundert inkorporierte die
katholische Kirche den Karneval in ihren Festkalender, und Papst Paul II. unterstützte die
Umzüge, mit Kostümierungen, Musik, Tanz und dem Präsentieren von Figuren, sogar
finanziell. Während der Karneval zunächst in die Zeit von Weihnachten bis zum Fest der
Heiligen drei Könige fiel, wurde schließlich der siebte Sonntag vor Ostern als Termin
festgesetzt (Hofbauer 1995: 166). Crowley weist außerdem auf die Bedeutung der
pastoris hin, portugiesischer Feste des 16. Jahrhunderts, bei denen Schafhirten mit ihren
Herden und Könige, die Christus in Bethlehem ehren wollten, repräsentiert wurden
(Crowley 1984: 15).
Die katholischen Prozessionen der Neuzeit, besonders die Fronleichnamsprozessionen, an
denen auch die religiösen Bruderschaften teilnahmen, stellten ein turbulentes Spektakel
dar, in dem der Glaube, die Lebensfreude und auch eventuelle Kritik an der Obrigkeit
präsentiert wurden. Häufig wurden neben den Heiligenfiguren Könige und Tierfiguren
dargestellt, sowie Zigeuner, Juden, Teufel, portugiesische Persönlichkeiten, verschiedene
Berufsgruppen und griechische Götter, und der Umzug von Tanz und Musik begleitet. Da
sich die portugiesische Krone und die kirchlichen Würdenträger jedoch nicht mehr sicher
waren, ob es sich um religiöse Bekenntnisse oder gefährliche Satire handelte, wurde
1719 eine Reform erlassen, die die karnevalistischen Züge in der Prozession unterdrückte
und zu einem pompösen Zeremoniell umformte (Hofbauer 1995: 140/233, Verger 1980:
3).
27

”[...]a ordem foi introduiza nessas manifestações barulhentas, às quais faltava
o recolhimento. Foi exigido mais respeito no recinto da igreja. [...] As
procissões e as festas religiosas católicas tomaram depois da segunda metade
do século XIX um caráter de recolhimento, decente, compassado” (Verger
1980: 8).
In Portugal entwickelte sich im 16. und 17. Jahrhundert als Einleitung der Fastenzeit der
Entrudo 39 , ein Ereignis mit aggressiven und heftigen Späßen und zügellosem Charakter,
bei dem sich die Leute gegenseitig mit schmutzigem Wasser naßspritzten und mit Mehl,
Dreck oder Asche bewarfen. Viele Frauen trieben ihre Späße von den Fenstern ihrer
Häuser aus, was nicht selten auf die gleiche Art und Weise oder sogar durch das Werfen
von Steinen beantwortet wurde. Zerbrochene Scheiben, Blut und Streitigkeiten sowie
überschwemmte Straßen waren daher keine Seltenheiten (Verger 1980: 9). Besonders
aggressiv gingen die 'entrudeiros' gegenüber Fremden vor, die unter den 'Späßen' in erster
Linie zu leiden hatten. Unter den Geschlechtern wurde das Bewerfen sogar als neckische
Reverenzerweisung aufgefaßt.
1785 hatte der erste vom spanischen König für den Adel gegebene Maskenball in
Lissabon stattgefunden, und 1889 wurde der erste ”Umzug des Königs Karneval mit
seinem Gefolge” organisiert (Hofbauer 1995: 166).
Mitte des 19. Jahrhunderts verschwand der Entrudo aus den großen Städten und wurde
von neuen Bräuchen abgelöst, die nun den Namen 'Karneval' erhielten, während der
Entrudo nur in kleinen Ortschaften weiter bestand (Queiroz 1987: 718).
4.2 In Brasilien
Die ersten bekannten Quellen bezüglich des Karnevals in Brasilien sind städtische
Verordnungen aus dem Jahr 1604, die gewisse karnevalistische Aktivitäten wegen des
Schadens für die öffentliche Ordnung verbieten (Queiroz 1987: 718). Bis etwa Mitte des
19. Jahrhunderts hatte der brasilianische Karneval die gleiche Form wie der
portugiesische Entrudo, jedoch mit etwas feinerem Charakter 40 : der Dreck und die
Mehlklumpen wurden durch limões de cheiro ersetzt, kleinen Wachskugeln in der Form
von Limonen, die mit parfümiertem Wasser gefüllt waren, zudem wurden Wasserspritzen
39 Laut M.I. Perreira de Queiroz kommt der Begriff 'entrudo' von 'entrada' - Anfang, Eintritt - und
bezeichnete zunächst ein Frühlingsfest, bevor es ein Fest zur Einleitung der Fastenzeit wurde (zit. in
Gerischer 1996: 20).
40 Risério beschreibt den brasilianischen Entrudo jedoch als ”[...] uma guerra desordenada de limões de
cheiro e similares, bacias de mijo e água suja atiradas pelas janelas” (1981: 48).
28

verwendet (siehe Abb. 9). Weiterhin wurden das Wasser und die limões bevorzugt aus
Fenstern und besonders gerne gegen Fremde geworfen. Beliebtes Ziel waren jedoch auch
Sklaven, deren eher passive Rolle in diesem Spiel - sie durften die Geschosse ihrer
Herren befördern oder geeignete Ziele auskundschaften - sie zu einem attraktiven Ziel
machte. Ohnehin blieben die Weißen lieber 'unter sich':
”Na verdade, o Entrudo era uma festa que se passava entre as famílias
brancas que se conheciam umas às outras, e que mantinham relações de
amizade” (Queiroz 1987: 718).
Ebenso wurden die sozialen Klassen respektiert, es galt als ungeschriebenes Gesetz, daß
der Spaß nur innerhalb der eigenen Klasse erlaubt war (was die Attacken auf die Sklaven
ausschloß) (ebd.). Wie Simson bemerkt, unterscheidet sich dies von den Festen mit mehr
religiösem Kontext:
”[...] enquanto nas festividades profanas os papéis sociais estavam mais
patentemente marcados, [...] nas festas de largo, o caráter de congraçamento,
entre os membros das várias camadas sociais, era mais perceptível” (Simson
1981: 45).
Während die weiße Bevölkerung überwiegend in den Häusern feierte, bestimmten die
Schwarzen das Geschehen der Straße und bewarfen sich gegenseitig mit Wasser (was
ihnen durch die öffentlichen Brunnen als einzige Waffe zur Verfügung stand). Die
alltägliche Hierarchie wurde eingehalten: den Schwarzen war es bei Strafe verboten,
weiße Leute zu bewerfen, während sie selbst wiederum ein beliebtes Ziel der Weißen
waren (Fry 1988: 243). Doch die schwarze Bevölkerung beschränkte sich nicht auf die
Entrudo-Spiele, sie fanden ihre eigene Methode sich zu revanchieren: maskiert und
kostümiert imitierten sie die Weißen, ahmten deren Gesten nach, liefen so durch die
Straßen und grüßten die oberen Klassen auf ihren Balkonen (ebd. 1988: 244).
Zu Beginn bis Mitte des 19. Jahrhunderts gelangten die Regionen um die urbanen Zentren
von Rio de Janeiro und São Paulo durch die Expansion des Kaffeehandels zu gewissem
Reichtum. Dadurch änderte sich auch das kulturelle Leben der Bourgeoisie, die sich
fortan mehr an europäischen Vorbildern orientierte. So kam auch verstärkt Kritik an den
Spielen des Entrudo auf, so daß dieser 1854 verboten wurde. Trotzdem verschwand er
nicht sofort (nur der Begriff 'Entrudo'), sondern entwickelte sich abseits des entstehenden
Salon-Karnevals zu Umzügen mit Allegoriewagen und Maskeraden weiter (Diégues
Júnior 1978: 15).
Am 20. Januar 1840 organisierte eine italienische Dame in Rio einen Maskenball nach
europäischer Mode, mit solch einem Erfolg, daß er am 20. Februar des gleichen Jahres
wiederholt wurde - der 'Carnaval Veneziano' war geboren, bei dem vornehmlich zu
29

Quadrillien, Walzer, Polka oder auch Opernarien getanzt wurde, begleitet von
Militärkapellen. Während der Entrudo ein spontanes Spiel der Individuen gewesen war,
stellte der Karneval ein organisiertes Fest mit kollektivem Charakter dar (Queiroz 1987:
718).
Eine weitere Neuerung war 1856 ein den Ball begleitendes Gefolge der oberen
Klassengesellschaft. Einem historischen oder literarischen Thema unterstellt, wurde
durch besonders aufwendige Kostüme und Allegoriewagen der Reichtum dieser
Gesellschaftsschicht zur Schau gestellt. Mit mehreren Umzügen dehnte sich der Karneval
von Samstag bis Dienstag aus. Dieser fand nun gleichzeitig in den großen Sälen und auf
der Straße statt (ebd. 1987: 718/719). Der 'Große Karneval', wie der 'Carnaval
Veneziano' auch genannt wurde, erlaubte ausschließlich die Teilnahme derjenigen, die
sich die anfallenden Kosten leisten konnten.
”[...] não era permitido a negros e mulatos das camadas inferiores, e muito
menos aos escravos (enquanto os houve) percorrerem as ruas centrais das
cidades em cortejo” (Queiroz 1987: 720).
Zum Ausgleich für die unteren Schichten, die zunächst nur Zuschauer des 'Großen
Karnevals' waren, entstand Ende des 19. Jahrhunderts in den Elendsvierteln und abseits
gelegenen Straßen der sogenannte 'Kleine Karneval' mit Musik und Tänzen afrikanischer
Herkunft, der durch den räumlichen Abstand zum 'Carnaval Veneziano' nun ohne
Konkurrenz war. Die Gruppen - sie wurden batuques (später batucadas), blocos oder
cordões genannt (siehe unten) - bildeten sich spontan und nur für den Moment, oft geleitet
durch schwarze Migranten aus Bahia. Jede Gruppe hatte ein Thema, nach dem die Musik,
batuque und samba, und die Kostüme ausgerichtet wurden (Simson 1981: 47). Hieraus
entstanden unter anderem in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, obwohl sie
mehrfach verboten und polizeilich verfolgt wurden, die escolas de samba (Samba-
Schulen), die das heutige internationale Bild vom brasilianischen Karneval prägen (siehe
Kapitel III.4.2.2).
Eine weitere Quelle des Karnevals sind die ebenfalls von Portugal im 16. Jahrhundert
nach Brasilien gebrachten pastoris. Sie wurden von den Jesuiten zu Katechesezwecken
genutzt und mischten sich mit afrikanischen und indianischen Vorstellungen. Ähnlich wie
andere Prozessionen enthielten sie sakrale und profane Elemente, variierten in ihrer Form
jedoch von Ort zu Ort. Im Nordosten formten sie zwei 'Abteilungen' oder cordões 41 , den
41 cordão bedeutet ‘Schnur’ oder ‘Seil’ - die Gruppen wurden so genannt, weil sie durch ein Seil
eingegrenzt wurden, das sie vor der drängelnden Menge schützte. Diese Eingrenzung findet sich
heute genauso bei den großen blocos in Salvador. Ebenso ist cordão laut Lühning ein Begriff aus
dem Candomblé und bezeichnet eine feststehende Reihenfolge verschiedener Lieder der Orixás. Oft
30

cordão azul, und den cordão encarnado, entsprechend der Kleiderfarben der jeweiligen
pastôra, die den cordão anführten. Begleitet wurden sie wiederum von Figuren wie ”a
Borboleta [der Schmetterling], o Anjo [der Engel], Diana, o Velho [der Alte]” und
weiteren grotesken Motiven. Der Umzug wurde komplettiert durch begleitende Gesänge
und Musik von Bläsern und Trommlern (Ramos 1935: 70/71, Crowley 1984: 15/16).
Laut Ramos entwickelten sich die pastoris in Bahia zu Gruppen, die sich ranchos
('Bande', 'Trupp') oder ternos ('Trupp', 'Grüppchen' 42 ) nannten und die bestimmt wurden
durch Merkmale des afrikanischen, vor allem sudanesischen, Totemismus 43 . Der Autor
betrachtet den Gehalt der tierischen und fabulösen Elemente, die den Gruppen oft ihren
Namen geben und die Themen mitbestimmen, als gleichbedeutend mit der Idee der
Verwandtschaft und des Schutzes zwischen Totemtier und Mitgliedern des Clans.
”O totem é venerado entre os povos totêmicos da mesma forma que o animal
ou planta, símbolo do rancho merece uma distinção especial” (Ramos 1935:
77).
Ramos sieht in dieser Tendenz des Zusammenschlusses in Gruppen, nicht nur ranchos
sondern auch confrarias, einerseits das Überleben des Totemismus, andererseits eine
Abwehrhaltung gegen die Unterdrückung durch die weißen Herren (Ramos 1935: 78).
Parallel zu den ranchos entwickelten sich sogenannte reisados, aufwendig kostümierte
Gruppen, die das Fest der Heiligen drei Könige am 6. Januar feiern und einen König, eine
Königin, Krieger, verschiedene Tiere und Pflanzen repräsentieren (Crowley 1984: 16).
Sogenannte Congos, die den reisados in ihrem Aufbau sehr ähneln, sind afrikanischen
(Bantu-) Ursprungs. Sie bestehen aus einem Gefolge von König, Königin, Herzögen,
Botschaftern, Hofdamen, Soldaten und so weiter, alle in aufwendigen Kostümen. Die
afrikanischen Sklaven, besonders aus dem Kongo-Angola-Raum, versammelten sich jedes
Jahr, um einen König zu wählen. Nach der Wahl fand eine Zeremonie statt, bei der dieser
gekrönt wurde, meist am Tag des Festes für 'Nossa Senhora do Rosário' (Ramos 1935:
83). In Vermischung mit den reisados wurde dieses Fest in die Zeit des Karnevals gelegt,
und aus dem Akt des Glaubens wurde ein Fest mit eher weltlichem Charakter. Diese
Krönungszeremonie mit anschließendem Umzug wurde congada genannt. Sie waren die
Vorläufer der Maracatus , die den Karneval von Recife prägen (siehe Kapitel III.4.2.2),
werden in diesen Liedern längere Geschichten aus dem Leben der Orixás erzählt (1990: 174/175).
42 terno bedeutet im Brasilianischen auch 'Herrenanzug' - so wurden gelegentlich die Kostüme der
Teilnehmenden (zum Beispiel der 'Fantoches', siehe Kapitel III.4.2.1), aus Leinen, in Kombination
mit Gamaschen und Hüten, genannt (vgl. A Tarde 24.1.1984)
43 Definition nach Hirschberg: ”Totemismus, eine Geisteshaltung, bei der eine Einzelperson oder eine
Gruppe von Menschen dauernde Beziehungen zu Tieren, Pflanzen, Gegenständen und Erscheinungen
(den ”Totems”) unterhält, denen man sich gefühlsmäßig oder in einem mystischen oder
31

und gelten als Analogien zu den Afoxés in Salvador (Crowley 1984: 16). Die congadas
sind mit den folguedos der Bruderschaften gleichzusetzen, von denen Hofbauer spricht.
Von den confrarias wurde jedes Jahr neben verschiedenen Ämtern wie denen des
Schatzmeisters oder des Schriftführers eine Person in das Amt des Königs bzw. der
Königin gewählt. Hofbauer geht davon aus, daß es sich hierbei um eine Art
'Integrationsfigur' handelte, der besonderer Respekt entgegengebracht wurde (Hofbauer
1995: 147). Der confraria-König galt als ”Symbolfigur einer (neuen) Gruppenidentität”
und konnte ”Forderungen und Proteste kanalisieren, manchmal auch lokalen politischen
Einfluß geltend machen” (ebd. 1995: 148). Er wurde so als Mittelsmann zwischen
Schwarzen und Weißen angesehen.
4.2.1 Die Entwicklung des Karnevals in Bahia
Laut Fry fand der Übergang vom Entrudo zum Karneval in Salvador im Jahre 1879 statt
(Fry 1988: 236). Genauso wie in den anderen Städten fand sich auch hier die Einteilung
zwischen dem 'Carnaval de Salão' und dem 'Carnaval de Rua', mit der Teilnahme der
Weißen und Mittelklasse-Mulatten an ersterem und der armen Mulatten und Schwarzen an
letzterem. Der Karneval nahm nach Fry zwei Positionen an: Zivilisation (Reichtum)
versus 'Barbarei' (Armut) und somit Europa versus Afrika (1988: 252). Da die großen
Karnevalsbälle nicht für jeden zugänglich waren, begannen die Polizei und der
Zentralausschuß Gratismasken für diejenigen zu verteilen, die auf den Straßen feiern
wollten. Der 'Bando Anunciador' wurde gegründet, eine Gruppe, die durch die Straßen
zog und jeden zum Feiern aufforderte (Emtursa 1999(2): 2/3). Das Jahr 1884 gilt in Bahia
als ausschlaggebend für den Karneval: zu diesem Zeitpunkt wurde das erste Mal der
Straßen-Karneval mit seinen Umzügen der Clubs, den Allegoriewagen und vor allem der
gemischten Bevölkerung offiziell organisiert. Die Bevölkerung nahm verstärkt an den
Festivitäten teil, und der 'Carnaval de Rua' fand immer größere Zustimmung. Salvador
hatte die größte Bevölkerung Brasiliens (etwa 170.000 Einwohner), große politische
Macht und wirtschaftliches Wachstum vorzuweisen. So wurden die Öffentlichkeit und die
aufkommenden Printmedien genutzt, um diese durch verschwenderisches Feiern
darzustellen (Emtursa 1999(2): 3). Der Karnevals-Club 'Cruz Vermelha' (gegründet
1.3.1833) gehörte zu den ersten, die 1884 mit einem reich geschmückten Allegoriewagen
verwandtschaftlichen Sinne (Abstammung) verbunden glaubt” (Hirschberg 1988: 481).
32

zu einem bestimmten Thema ('Crítica ao Jogo de Loteria') durch festgelegte Straßen
fuhren. Der Erfolg war so groß, daß viele Clubs diesem Beispiel folgten. Unter anderem
wurde am 9.3.1884 der 'Clube Carnavalesco Fantoches da Euterpe' gegründet, der durch
Persönlichkeiten der oberen Gesellschaft geführt wurde. Die Konkurrenz zwischen
beiden Clubs wuchs immens und steigerte den Aufwand auf beiden Seiten. Mangels einer
richtenden Kommission wurde der Wettbewerb in den Zeitungen ausgetragen (Emtursa
1999(3): 1/2). Die Umzüge der Elite-Clubs wurden bald so berühmt, daß sie die Straße
den Schwarzen streitig machten und die kleinen Gruppen allmählich verschwanden. Der
Karneval 1888, im Jahr der Abolition, wurde einer der größten in der Geschichte 44 und
wurde bis in die 40er Jahre des 20. Jahrhunderts immer wieder aufgegriffen und
idealisiert (Fry 1988: 249).
Im Gegenzug zu den weißen Gruppen wurde 1895 der erste 'Clube Carnavalesco Negro'
gegründet, der 'Embaixada Africana', ein Jahr später gefolgt von dem Club 'Pândegos da
África' (Emtursa 1999(4): 1). Fry spricht von den Gründungsjahren 1892 und 1895 (Fry
1988: 250). Sogenannte escravos de ganho, Schwarze, die schon vor der
Sklavenbefreiung in eigener Verantwortung für ihre Herren Geld verdienten, gehörten
nach 1888 zu den wohlhabenderen Afro-Brasilianern. Sie waren es vor allem, die sich in
den schwarzen Karnevalsclubs organisierten. Von diesen wurde auf der Straße eine
Reproduktion von afrikanischen Geschehnissen dargestellt, mit einem Gefolge ähnlich der
congadas: mit Königen, Prinzen, einer Ehrengarde, weiteren Figuren und begleitet durch
eine Musikgruppe mit Blasinstrumenten und Trommeln. Sie fielen laut Oliveira durch ihre
enthusiastische Art und Lebensfreude auf, gefolgt von einem Publikum derselben Haltung
(1979: 78). Zu der gleichen Beobachtung kam Manoel Querino während des Karnevals
1897:
”O acompahamento era enorme. As africanas, principalmente, tomadas de
verdadeiro entusiasmo, cantavam e dançavam durante todo o trajeto numa
alegria indescritível” (zit. in Fry 1988: 251).
Mit traditionell afrikanischer Kleidung, Tänzen und Rhythmen der Orixás aus dem
Candomblé spricht Nina Rodrigues in diesem Zusammenhang von der Gruppe als einem
Afoxé, der als ”riesiger 'candomblé' durch die Straßen der Stadt zieht” (zit. in Hofbauer
1995: 171) 45 . Die Straßen wurden nun so energisch von den Schwarzen in Beschlag
44 Für das Jahr 1889 spricht Fry von 80.000 Besuchern aus anderen Regionen (1988: 249).
45 Die Emtursa (Empresa de Turismo de Salvador) spricht von den genannten Gruppen ebenfalls als erste
Afoxés (1999(4): 1), doch findet sich in diesem Zusammenhang sowohl bei Ramos (1935: 85) als
auch bei Oliveira (1979: 78) nur die Bezeichnung 'clubes carnavalescos negros'. Es ist daher nicht
klar, wann die Bezeichnung 'Afoxé' das erste Mal verwendet wurde. Zur Begrifflichkeit siehe auch
33

genommen (auch die zuschauende Bevölkerung war überwiegend schwarz), daß die
Weißen protestierten und kritisierende Leserbriefe in den Zeitungen veröffentlicht
wurden. Darin verurteilten die weißen Leser die schwarzen Gruppen und behaupteten, sie
hätten häßliche Masken, würden Lärm ohne Laut und Klang verursachen, und so ein
Feiern sei nicht mit ihrem Status der Zivilisation vereinbar. Ein weiteres Argument war,
die afrikanischen Gruppen würden Abscheu gegenüber dem Karneval wecken,
”[...] se a polícia não providenciar para que as nossas ruas não apresentem o
aspecto desses terreiros onde o fetichismo impera, com o seu cortejo de
ogans e a sua orquestra de canzás e pandeiros” (Jornal de Notícias, 5.2.1902,
zit. in Oliveira 1979: 78).
Vergleichend mit dem Entrudo waren die Leser der Meinung, es sei besser, ”esses
batuques e candomblés” zu verbieten. Die weiße Bevölkerung befürchtete eine
Abschreckung europäischer Besucher und die Verbreitung eines schlechten Rufes des
baianischen Karnevals (Oliviera 1979: 78). In dem Bestreben, aus Brasilien ein
zivilisiertes und modernes Land zu machen, mußten die afrikanischen Traditionen von der
Straße verschwinden. Durch motorisierte Fahrzeuge und elektrische Beleuchtung wurde
versucht, den Karneval fortschrittlich erscheinen zu lassen (Albuquerque 1996: 107,
112). Viele schwarze Gruppen, wie zum Beispiel die 'Pândegos da África', versuchten
weniger kompromittierend zu wirken, um dem großen Publikum zu gefallen, das ohne
Angst teilnehmen sollte. Einige zogen sich ganz zurück. 1905 wurde in dem Jornal de
Notícias (24.2.1905) eine Verordnung des ”Sr. Dr. Secretário de Estado, chefe de
segurança pública” veröffentlicht, die besagte, daß ”[...] nehum clube poderá apresentar-
se nas ruas da capital [da Bahia] sem a aprovação das respectivas críticas pela polícia
[...]”. Besonders verboten war unter anderem ”a exibição de costumes africanos com
batuques” (zit. in Fry 1988: 253). Obwohl in den vorherigen Leserbriefen noch teilweise
zwischen den großen Karnevals-Clubs und den kleineren, aus den Religiösen
Bruderschaften hervorgegangenen und an die Candomblés angelehnten batuques
unterschieden wurde - ”Eu não trato aqui de clubes uniformizados e obedecendo a um
ponto de vista de costumes africanos, como a Embaixada Africana, o Pândegos d'Africa,
etc. [...]” (Jornal de Notícias 12.2.1901, zit. in Fry 1988: 253) - waren von den Verboten
beide Kategorien betroffen. Jedoch ist unklar, inwieweit diese offiziellen Verbote
eingehalten wurden. Fry weist darauf hin, daß in den Zeitungen der folgenden Jahre, bis
zu Beginn des dritten Jahrzehnts, keine Angaben über auf Afrika bezogene Clubs oder
blocos gemacht werden (Fry 1988: 256).
Kapitel IV.2.1.1.
34

Dies läßt sich laut Angaben der Emtursa dadurch erklären, daß in den Jahren 1914 bis
1935 in Salvador aufgrund des Ersten Weltkrieges und seiner Folgen kein offizieller
Karneval stattfand (auch während des Zweiten Weltkrieges wurden die Feiern reduziert),
sondern nur kleinere Umzüge in den umliegenden Gebieten. Hieraus entstanden die
Micaretas, die heute den außertemporären Karneval darstellen (Emtursa 1999(1): 7)
(siehe Kapitel IV.1.5.1).
Mit der Entwicklung der Stadt veränderte sich auch das Verhalten der Bevölkerung, und
der Straßenkarnaval verdrängte den Clubkarneval, beziehungsweise die Elite zog sich in
ihre geschlossenen Clubs zurück. Mit der ideologia do branqueamento (siehe Kapitel
V.1.3) schritt die Mulattisierung voran, Hellhäutigere schlossen sich den Weißen an, die
Schwarzen blieben übrig und gruppierten sich untereinander. Eine neue Phase der
schwarzen Karnevalsgruppen entstand, die der Afoxés (Gruppen, die sich vom Inhalt und
von der Aufmachung an der afro-brasilianischen Kultur, vor allem dem Candomblé,
orientieren). 1949 wurde von Hafenarbeitern der heute älteste Afoxé gegründet, die
Filhos de Gandhy 46 .
Im gleichen Jahr erschien eine weitere Neuerung, die den heutigen Karneval entscheidend
beeinflußt hat: das trio elétrico wurde erfunden, zunächst als dupla elétrica. Osmar
Macedo, ein Mechaniker, und Adolfo Nascimento, der unter dem Namen Dodô bekannt
wurde und gelernter Radiotechniker war, hatten einen Umzug des 'Clube Carnavalesco
Misto Vassourinhas' aus Recife gesehen, die mit einem gigantischen Orchester in den
Straßen Salvadors frevo, eine schnelle Instrumentalmusik aus dem Nordosten, spielten
und einen immensen Tumult auslösten. Dodô und Osmar beschlossen: ”fazer uma bela
farra no carnaval que se aproximava” (Góes 1982: 18). Sie bauten einen alten
Personenwagen um (siehe Abb. 10), zum Transport ihrer Ausrüstung, der Anschlüsse und
den Strom für die paus elétricos, einer elektrischen Gitarre und einem Cavaquinho,
später bekannt als 'guitarra baiana' 47 . Der folgende Auftritt im Karneval 1950 hatte so
ungeahnten Erfolg - dem Wagen folgten so viele tanzende und ausgelassene Menschen,
wie es nie zuvor vorgekommen war -, daß von diesem Jahr an das trio elétrico (diesen
Namen erhielt es im Karneval 1951, als Dodô und Osmar einen befreundeten Musiker,
Temístocles Aragão, zum Mitspielen einluden) ein fester Bestandteil des baianischen
46 In der Literatur (Risério 1981, Morales 1988, Hofbauer 1995, Félix 1987, u.a.) findet sich
überwiegend die Schreibweise 'Filhos de Gandhi'. Ich beziehe mich jedoch auf die eigene
Schreibweise des Afoxé: Filhos de Gandhy.
47 Die guitarra baiana definiert Góes als ”cavaquinho elétrico com afinação de bandolim” (1982: 18).
Hiermit haben Dodô und Osmar, unabhängig von den Entwicklungen in den USA, die elektrische
35

Karnevals wurde (ebd. 1982: 19).
”[...] o trio elétrico aparece como um divisor de águas do carnaval baiano, a
partir dele surgem duas categorias para analisar esta manifestação: antigo,
anterior ao trio, e moderno, depois dele” (Góes 1982: 22).
Eine weitere Neuheit entstand, als Orlando Campos de Souza (vom Trio Tapajós, das bis
heute existiert) nach Vorbild der alten Allegoriewagen einen Lastwagen, auf dem mehrere
Musiker Platz hatten, mit mehreren Verstärkerboxen ausstattete und so die heutige Form
der trios elétrico entwarf (Félix 1993: 113) (siehe Abb. 11). Die Erfindung des trio
ermöglichte den Schritt zum carnaval da participação (Karneval der Teilnahme), dem
primären Charakteristikum des Karnevals von Salvador. Laut Risério entstand um das
trio elétrico eine Art 'freie Zone' (”território livre”), in der die sozialen Unterschiede an
Bedeutsamkeit verloren (1981: 113) - und durch seine Popularität wurde das trio zum
Merkmal des baianischen Karnevals und für die dominierenden Schichten gleichzeitig zur
Bestärkung der 'Rassendemokratie' (vgl. Kapitel V.1.3).
Im Jahr 1959 defilierte zum ersten Mal eine Person in der Rolle des 'Rei Momo' (Kömig
Momo) 48 als 'Herrscher' über den Karneval, dessen Ankunft in einem glamourösen Festakt
am Mittwoch vor Karneval gefeiert wurde, bevor ihm dann am Donnerstag der
symbolische Schlüssel der Stadt übergeben wurde (Félix 1993: 135). Der König
übernahm dadurch die 'Regierungsgewalt' über sein Reich, die 'Unordnung', und galt
somit als Symbol für eine Zeit außerhalb der eigentlichen Ordnung, für die Umkehrung
der Strukturen. Während 'Rei Momo' früher spektakulär gefeiert wurde, ist er jetzt nur
noch eine Begleiterscheinung. Doch bis heute eröffnet er den offiziellen Karneval durch
die Übernahme des Schlüssels der Stadt.
In den folgenden Jahren entstanden immer mehr Karnevalsgruppen und trios. Eine weitere
entscheidende Neuerung kam 1974 mit der Gründung des ersten Bloco afro, Ilê Aiyê, auf.
Mit diesem Schritt setzte die Reafrikanisierung im Karneval von Salvador ein, die
gleichzeitig die Intensivierung der aufkommenden Rassendiskussionen und Konflikte
einleitete. Der movimento negro hatte Einzug in den Karneval gehalten (siehe hierzu
Kapitel V.1.5, V.2.3).
Gitarre erfunden.
48 Die Person des 'Rei Momo' ist auf die antike Figur Momos zurückzuführen, dem 'Sinnbild der
Tadelsucht', der aus Ärger darüber, daß er an der Schönheit Aphrodites nichts auszusetzen fand,
geplatzt sein soll (Moser 1986: 68). Eine der Voraussetzungen bei der Wahl des 'Rei Momo' in
Brasilien ist daher auch die extreme Leibesfülle der Kandidaten.
36

4.2.2 Der Karneval in Rio und Recife
In Rio de Janeiro haben sich in den 1920er Jahren die escolas de samba 49 , die Samba-
Schulen in den Vierteln mit überwiegend schwarzer Bevölkerung gebildet. Sie galten als
”sociedades civis e recreativas sem fins lucrativos” (zivile und unterhaltende
Vereinigungen ohne lukrative Ziele) (Queiroz 1987: 721).
”Die Sambaschulen entstanden als freiwillige Assoziationen, waren Produkte
des Bedürfnisses nach Zugehörigkeit, kollektiver Identitätsfindung. Gehalten
durch Fragmente der Erinnerung an religiös fundierte Feste” (Engell 1994:
330).
1929 defilierte die erste Samba-Schule, mit dem Namen 'Deixar Falar' ('Laßt sie reden').
Ihr folgten weitere, teilweise bis heute existierende Schulen. Die Presse spendete Preise
für die gelungenste Darbietung und förderte damit den Wettbewerb zwischen den
einzelnen Schulen. 1933 wurde diese Ausscheidung erstmals in das Programm einer
Touristenorganisation aufgenommen (Pinto 1992: 19). In den 1950er und 60er Jahren
setzte sich die volle gesellschaftliche Anerkennung der Samba-Schulen durch, und sie
erhielten das Recht, ihre Umzüge auf den Hauptstraßen im Zentrum Rios durchzuführen
(ebd. 1992: 21). Die schwarze Unterschicht regierte nun für ein paar Tage im Jahr die
Stadt und stand im Rampenlicht des Erfolges. 1962 riegelte die Tourismus-Behörde zum
ersten Mal Teile der Hauptstraßen ab, errichtete Tribünen und forderte Eintrittsgelder für
die Umzüge (ebd. 1992: 22). Die Allegoriewagen wurden erhöht, erweitert und mit
Motoren versehen. Die Samba hielt Einzug in die Musikindustrie und wurde zum
kommerziellen Erfolg, ebenso wie das Tourismusgeschäft (Hofbauer 1995: 171). 1984
begann eine neue Ära mit der Fertigstellung des 'sambódromo', der von Tribünen
flankierten 'Straße des Samba', zu verstehen als eine Art Karnevalsstadion (Pinto 1992:
23). Heute ist der Karneval von Rio ein Wettkampf zwischen den Organisatoren der
Samba-Schulen. Das jährlich auch international zunehmende Interesse hat die
Eintrittspreise so immens in die Höhe getrieben, daß ein Großteil der Bevölkerung sich
die Teilnahme außerhalb des Wettbewerbs, also nur als Zuschauer, nicht mehr leisten
kann. Daher sind inzwischen wieder einige Cariocas (die Bewohner Rios) dazu
übergegangen, auf anderen Straßen kleinere Umzüge abzuhalten. Oft werden
49 Es ist umstritten, woher der Begriff escola de samba stammt. Pinto hält eine ironische Anspielung
darauf, daß den meisten Sambistas eine höhere Schulbildung verwehrt war, für möglich (Pinto 1992:
19), Tauber hält diese Begriffsgebung als Tarnung und Schutz vor polizeilichen Übergriffen für
denkbar, ebenso wie die Suche nach sozialer Anerkennung. Vielleicht war es jedoch auch nur Zufall,
weil sich in der Nähe der ersten escola de samba eine Schule befand (Tauber 1991: 178).
37

Musikanlagen auf Wagen geladen und, sie umtanzend, ziehen die Menschen durch die
Straßen.
Doch ebenso gibt es in Rio einen Karneval abseits der Straße, die Karnevalsbälle der
oberen Bevölkerungsschichten. Während 'Schönheit' hier schon immer ein wichtiger
Bestandteil war, dargestellt durch aufwendige und teure Kostüme, wurde es in den
1970er und 80er Jahren immer wichtiger, das Image der Bälle durch die Schönheit
möglichst vieler Frauen zu bestimmen. In den Zeitungen wurde bald sogar der Begriff
'plantel' benutzt (Manchete 23.2.1980, zit. in Queiroz 1986: 797), der sonst als ”conjunto
de animais de boa raça que o criador conserva para reprodução” (Gruppe reinrassiger
Tiere, die der Züchter zur Zucht hält) definiert wird (zit. in ebd.). Besonders gerne ihrer
'sinnlichen Qualitäten' gerühmt wurden Mulattinnen, die einem Ball gleichzeitig dazu
verhelfen konnten, die Vorurteilslosigkeit der Veranstalter zu bezeugen (ebd. 1986: 799)
(siehe hierzu auch Kapitel V.1.1). Bis heute umstritten ist bei den Bällen auch die
'topless'-Mode, die 1980 sogar für öffentliche Orte abseits der Strände verboten, bei den
Bällen jedoch nicht eingehalten wurde (ebd. 1986: 800). Dazu kam kurze Zeit später die
Vorliebe auf, einen Ball durch die 'Exotik' von 'enxutos' (Tra(ns)vestiten) interessant zu
machen. Diese genossen den Auftritt und Beifall, der den Karnevalsball zum Höhepunkt
im Leben eines enxuto machen konnte, während die Frauen sie als Konkurrenten ansahen
und dazu übergingen, dem 'topless' noch 'bottomless' hinzuzufügen (ebd. 1986: 804). Auch
beim Umzug im sambódromo ist immer mehr nackte Haut zu sehen, so daß die
Diskussionen um ein neuerliches, verbindliches Verbot nicht abreißen. Doch dürfte
dieses noch auf sich warten lassen, da eine der Hauptgeldquellen die Touristen sind, die,
ebenso wie viele Brasilianer, gerade dieses Bild erwarten.
”Os bailes constituem o momento em que se exibe, para nacionais e
estrangeiros, o melhor da beleza feminina do país. As revistas registram
constantemente como, ”impressionados com a beleza das mulatas, turistas e
cariocas paravam para ver o espetáculo” (Fatos e Fotos: Gente, 16.3.1981,
p.39, zit. in Queiroz 1986: 799).
In Recife beherrscht der Maracatu während des Karnevals das Bild der Stadt. Entstanden
aus den congadas zeigt er heute noch immer deutliche Strukturen dieses durch Afrika
geprägten Festes. Laut Ramos ist der Begriff 'maracatu' aus der Sprache der Tupi-
Indianer abgeleitet: maracá ist ein idiophones Instrument, catu heißt 'gut' oder 'schön'.
Demnach ist maracá-catu (Syncope: maracatu) 'ein schönes Instrument' oder, im
erweiterten Sinne, 'ein schöner Tanz' (Ramos 1935: 88). Der Maracatu besteht aus einem
Umzug mit einem Gefolge, zur Ehrung afrikanischer Könige, mit Personen, die sich wie
Könige, Königinnen, Botschafter oder auch Baianas kleiden, dazu Fahnenträger und
38

Personen, die große Schirme zum Schutz gegen die Sonne tragen (Verger 1980: 10). Ein
wichtiger Bestandteil des Gefolges ist die 'dama do passo', eine Frau, die die calunga
(bantu: 'Herr', 'großer Chef', 'Gott') trägt. Hierbei handelt es sich um eine fetischistische 50
Puppe als Repräsentant eines Gottes. Mário de Andrade hielt die calunga für eine Art
Zepter, ein Merkmal des Königs und gleichzeitig religiöses Element (zit. in Ramos 1935:
92), doch Ramos sieht darin einen Fetisch für einen Gott, beziehungsweise den Gott
selbst:
”Calunga é um deus entre os povos Bantus, o mar para os Angolacongueses.
[...] Mas, no Congo e em Angola, o fetiche ou iteque de Calunga é
uma figurinha de madeira, representando um pequeno boneco” (Ramos 1935:
92).
Diese Figur der Puppe findet sich auch bei den Afoxés (vgl. Kapitel IV.2.1.2). Ramos
weist jedoch darauf hin, daß es sich hier nicht um einen solchen Fetisch handelt:
”Há ainda a notar, que entre os Gêge-iorubanos, os orixás não devem ser
confundidos com os ídolos, esculturas de madeira, apenas usados nos
afochés ou festas profanas, embora haja, em nossos dias, uma tendência à
gradual identificação de uns aos outros” (Ramos 1935: 92,93).
Zu den berühmtesten Maracatu-Gruppen gehören zum Beispiel der 'Maracatu do Elefante'
oder der 'Cabinda Velha'. Vor dem Auszug auf die Straße findet im Sitz der
Karnevalsgesellschaft eine kurze Zeremonie statt, um sich des Schutzes der Orixás zu
versichern. Auch diese findet sich bei den Afoxés in Form des padê (siehe Kapitel
IV.2.1.4).
IV. Der Karneval in Salvador
1. Die Struktur des Karnevals
1.1 Ablauf
Der Karneval von Salvador gehört heute neben den Umzügen in Rio de Janeiro und
Recife zu den größten und bekanntesten Festen des Landes. Allein im Jahr 1999 feierten
50 Der Begriff 'Fetisch' sei hier definiert als ”ein Objekt, in dem eine unpersönliche Macht wohnt, die
man durch Geschenke und Opfer aktivieren und zum eigenen Vorteil und/oder zum Schaden anderer
verwenden kann. Das Objekt erhält seine Wertigkeit ausschließlich von der innewohnenden Kraft”
(Thiel 1988a: 152-153).
39

während des Karnevals etwa 2 Millionen Menschen täglich auf den Straßen der Stadt 51 .
Durch seine oben beschriebene Form gilt der baianische Karneval als 'carnaval da
participação' - 'Karneval der Teilnahme', womit der deutlichste Unterschied zum Rio-
Karneval als 'carnaval espetáculo' (Karnevalsspektakel) (Gomes 1989: 172)
hervorgehoben ist, bei dem man dem Geschehen eher zusieht. Während dort der Hauptteil
des Festes innerhalb des sambódromo stattfindet, zieht sich der Karneval in Salvador
über Straßen und Plätze von etwa 25 km Länge durch die Stadt, wobei 10 km allein für
die Umzüge festgelegt sind. Diese teilen sich in drei circuitos ('Routen', festgelegte
Strecken für die Umzüge) auf: den circuito Osmar (Praça Castro Alves - Campo Grande),
circuito Dodô (Barra - Ondina) (Karte 5) und circuito Batatinha (Centro Histórico).
Zudem finden unabhängige Veranstaltungen auf mehreren Bühnen in verschiedenen
Stadtvierteln statt, 1999 zum Beispiel in Itapuã, Liberdade, Ribeira, Periperi und
Cajazeiras 52 . Außerdem war eine Bühne ('Palco do Rock') am Strand von Piatã
aufgestellt, mit einem täglichen Publikum von etwa 10.000 Personen (Emtursa 1999(5):
1), und im Pelourinho fand ein tägliches Programm in drei öffentlichen Innenhöfen sowie
auf den Straßen und Plätzen des historischen Zentrums statt.
Hier, in der angrenzenden Baixa dos Sapateiros, am Campo Grande und in den
Randbezirken der Stadt fand früher das Hauptgeschehen des Straßenkarnevals statt. Oft
spielten die batucadas, cordões und maskierten Gruppen in den Morgenstunden, um am
Nachmittag dann die Umzüge der großen Clubs zu erleben, während die Karnevalsbälle
am Abend und in der Nacht stattfanden (Félix 1993: 26). Mit Beginn der großen Umzüge
wurde die Strecke vom Praça da Sé bis zum Campo Grande als Hauptstrecke genutzt
(ebd. 1993: 34). Erst in den 1980er Jahren wurde ein Teil des Karnevals nach
Barra/Ondina verlegt, um das Zentrum nach Entstehung vieler neuer blocos und trios in
den 70er Jahren zu entlasten (Moura 1996: 183).
Jedes Jahr steht der Karneval unter einem bestimmten Thema, nach dem die Dekorationen
und Feiern, ein T-Shirt als offizielles Kleidungsstück und ein spezieller bloco
ausgerichtet sind. 1997 lautete dieses Thema ”Tieta, eta carnaval porreta”, womit der
baianische Schriftsteller Jorge Amado, der die Figur der 'Tieta' geschaffen hat, geehrt
wurde. Dementsprechend gab es einen bloco 'Amados Amigos de Jorge'. Der
Schriftsteller selbst und andere namhafte Persönlichkeiten nahmen auf dem trio dieses
bloco am Karneval teil (Emtursa 1999(6): 1). 1998 wurde mit dem Thema ”Alegria,
51 Schriftliche Mitteilung der Emtursa im Dezember 1999.
52 Schriftliche Mitteilung der Emtursa im Dezember 1999.
40

Alegria, é carnaval na Bahia” der dreißigste Geburtstag der 'Tropicalismo'-Bewegung in
Bahia gefeiert, die durch Musiker wie Caetano Veloso, Gilberto Gil und Gal Costa
geprägt wurde (ebd. 1999(6): 2). Das Jahr 1999 gab den Anlaß zum Thema ”Salvador da
Bahia, Capital da Alegria”. Damit wurde der 450ste Geburtstag der Stadt Salvador, die
1549 durch Tomé de Souza gegründet wurde, gefeiert. Als Symbol des Karnevals wurde
die Figur der 'Catarina Paraguaçu' ausgewählt, eine indianische Frau, die zur Zeit der
Stadtgründung durch ihre Beziehung zu dem schiffbrüchigen Portugiesen Caramuru die
Gastfreundschaft und Freigebigkeit der Stadt geprägt haben soll (ebd. 1999(6): 4).
Verkörpert durch eine Schauspielerin war Catarina Paraguaçu eine wichtige Figur bei
vielen Festen des Jubiläumsjahres. Gleichzeitig galt sie als Symbol für die Einheit der
Kulturen und Ethnien, die die brasilianische Bevölkerung ausmachen 53 .
Der Karneval von Salvador beginnt offiziell am Donnerstag nach der Übergabe des
Schlüssels der Stadt an Rei Momo. In den darauffolgenden Tagen bestimmen die blocos
carnavalescos das Geschehen der Stadt, wobei die Zahl der Gruppen von Jahr zu Jahr
steigt. Waren es 1977 noch 116 Einheiten (Félix 1993: 18), so stieg die Zahl bis 1998
schon auf 192, und 1999 zogen insgesamt 201 Karnevalsgruppen durch die Straßen 54 .
Jährlicher Höhepunkt des Karnevals ist die Nacht von Dienstag auf Mittwoch 55 . Dann
treffen sich auf dem Praça Castro Alves mehrere blocos carnavalescos und trios
elétricos (etwa bis zu acht), um gemeinsam die beliebtesten Lieder des Karnevals zu
spielen ('o tradicional encontro dos trios'). Damit ist der Karneval offiziell beendet, doch
seit einigen Jahren schließt sich am Vormittag des Aschermittwochs ein (inzwischen
'traditioneller', wie gesagt wird) Umzug der Karnevalsgruppe Timbalada (siehe Kapitel
IV.2.2.5) (und einiger anderer Gruppen) auf der Strecke Barra/Ondina an und schließt den
Karneval erst endgültig ab.
1.2 Organisation
Organisiert wurde der Karneval zu Beginn von gewählten Gremien, bestehend aus den
Bewohnern der verschiedenen Viertel. Am 22.4.1959 wurde die 'Federação dos Clubes
53 ”[...] o nosso Carnaval homenageia a união de culturas e etnias que formam o povo brasileiro” (Antônio
Imbassahy, Präfekt von Salvador, in dem Vorwort des Karnevals-Programmes, ”Caramuru, encontre
sua Catarina”, der Stadt).
54 Schriftliche Mitteilung der Emtursa im Dezember 1999.
55 Dies wurde mir von vielen Bekannten und Einwohnern Salvadors bestätigt.
41

Carnavalescos da Bahia' (FCCB) gegründet, ein Zusammenschluß aus kleineren Clubs,
cordões, blocos, escolas de samba, batucadas und Afoxés (Félix 1993: 62). Mit der Zeit
schlossen sich auch andere Einheiten an, da die Federação den gesamten Umzug und die
Wettbewerbe organisierte und offiziell nur die angeschlossenen Gruppen teilnehmen
durften (Félix 1993: 63). Nachdem der Versuch einiger elitärer Gruppen der blocos de
trio, diese Macht an sich zu reißen, gescheitert war, gründeten sie ihre eigene
Organisation, die 'Associação de Blocos de Trio' (ABT). Diesem Beispiel folgten andere
Gruppen, woraufhin die 'Associação de Trios Independentes', die 'Associação de Blocos
de Salvador' (ABS) und die 'Associação de Blocos Alternativos' (ABA) gegründet
wurden 56 . Die Federação dos Clubes Carnavalescos blieb jedoch bis heute die einzige
offizielle Einheit, die autorisiert ist, die Wettbewerbe durchzuführen (ebd. 1993: 64).
Nach Angaben der Emtursa wurde der Karneval bisher von öffentlichen städtischen
Gewalten organisiert, zunächst von städtischen Abteilungen der 'Secretária de Educação e
Cultura' und danach von den verantwortlichen Sektionen für den Tourismus, zunächst der
Sutursa (Superintendência de Turismo da Cidade do Salvador); seit 1972 verwaltet die
Bahiatursa (offizielle Tourismusbehörde für Bahia) in Zusammenarbeit mit der Präfektur
den Karneval. Ausführendes Organ für den Karneval von Salvador ist die Emtursa
(Empresa de Turismo de Salvador), die finanziell und organisatorisch von der Bahiatursa
unterstützt wird. Sie stellt die Kosten auf, sorgt für die nötigen Verträge und Geldmittel
und kümmert sich um die Abwicklung der nötigen Zahlungen entsprechend der
Gesetzgebung. Die Kosten für den Karneval übernehmen die städtische Präfektur, die
Regierung des Staates Bahia durch die Bahiatursa sowie private Initiativen, die Anteile
an der Schirmherrschaft kaufen. Teilnehmen kann beim Karneval jede Gruppe, die
vorschriftsmäßig bei der Emtursa angemeldet und eingetragen ist. Damit verbunden ist die
Pflicht, an Stadt und Bundesstaat bestimmte Steuern und Abgaben zu leisten, zum Beispiel
für die Nutzung öffentlicher Flächen, für öffentliche Hygieneeinrichtungen und die
medizinische Versorgung. Die Gründung eines bloco carnavalesco folgt den gleichen
Normen wie jede Bürgervereinigung oder Organisation. Der Verantwortliche für den
neuen bloco definiert und legt die Kategorie seines Verbandes fest, unter der dieser dann
bei der Emtursa registriert wird 57 .
An der Koordinierung des Karnevals ist nach Félix seit 1990 ein Rat ('Conselho do
56
Félix macht keine Angaben darüber, wann genau diese Gruppen gegründet wurden oder was ihre
Aufgaben sind.
57
Mitteilung der Emtursa per e-mail an mich am 1.12.1999.
42

Carnaval') aus 23 Mitgliedern (Organisationen und Institutionen) beteiligt (1993: 23) 58 .
Nicht nur an dieser Größenordnung, sondern auch an den statistischen Zahlen läßt sich die
Bedeutung des Karnevals für die Stadt Salvador ablesen: so wurden im Jahr 1999
während der Feiern 117.543 temporäre Arbeitsplätze geschaffen (im Vorjahr waren es
134.774 Plätze) und ein Gesamtumsatz von R$ 492.612.000,00 59 (1998 waren es R$
322.300.000,00) erwirtschaftet. Innerhalb des Zeitraumes vom 6. bis zum 20. Februar
1999 kamen 800.000 Besucher nach Salvador, und durch den Tourismus wurden U$
138.000.000,00 eingenommen 60 (siehe Anhang).
1.3 Der Wettbewerb
Bereits 1949 wurde in Bahia der erste Wettbewerb der Karnevalsmusik des
Bundesstaates ausgetragen, organisiert von den lokalen Radiosendern (Félix 1993: 44).
Ab 1959 organisierte die Federação dos Clubes Carnavalescos da Bahia Wettbewerbe
innerhalb der einzelnen Karnevalskategorien. Der ”Concurso de Entidades
Carnavalescas” umfaßt heute folgende Gruppen: blocos de percussão, de travestidos,
Afoxés, Blocos afro und grupos de samba. Die blocos de trio und blocos alternativos
nehmen nicht an den Wettbewerben teil (zu den einzelnen Kategorien siehe Kapitel
IV.1.4). Prämiert werden jeweils der erste, zweite und dritte Platz. Unter anderem
werden das Thema, die Umsetzung des Themas, die Kostüme, die Musik und die Tänze
bewertet 61 - laut Edson Vergue de Assis, Präsident des Afoxé Korin Efan, sind bei der
Beurteilung der Afoxés 10 Punkte ausschlaggebend 62 . Doch auch innerhalb der Kategorien
nehmen nicht alle Gruppen an den Wettbewerben teil, wie zum Beispiel der Bloco afro
Ilê Aiyê, der sich nicht in das Schema der örtlichen Touristenbehörden einsortieren
lassen will. ”[...] o Ilê Aiyê nunca se acomodou aos planos que a Bahiatursa tinha para
58 Der Conselho do Carnaval besteht aus: Emtursa, Secretaria de Comunicação da Prefeitura, Secretaria
Municipal de saúde, Secretaria Municipal do Governo, zwei Repräsentanten des Poder Legislativo
Municipal, vier Repräsentanten der Regierung des Bundesstaates, einem Repräsentanten des Juizado
de menores, der Federação dos Clubes Carnavalescos, Associação dos Cronistas Carnavalescos,
Associação dos Barraqueiros de Festas populares, Sindicato dos Músicos, Sindicato dos Vendedores
Ambulantes e Feirantes, Associação dos blocos afros, Associação dos Afoxés, Associação dos
blocos de Percussão, Associação dos blocos de Índios und Associação dos Trios Independentes
(Félix 1993: 23/24, 285).
59 Das Verhältnis von Reais (R$) zu DM entsprach zu diesem Zeitpunkt etwa 1: 1,10.
60 Schriftliche Mitteilung der Emtursa im Dezember 1999.
61 Mitteilung der Emtursa per e-mail an mich am 1.12.1999.
62 Interview mit Edson Vergue de Assis (”Edinho de Gantois”), aktueller Präsident von Korin Efan, am
5.2.1999.
43

ele. [...] O bloco se recusou a participar do concurso” (Risério 1981: 122). Auch die
Gruppe Olodum verkündete 1987, daß sie nicht mehr am Karnevalswettbewerb
teilnehmen würde, da sie sich nicht durch eine ”comissão incompetente” beurteilen lassen
wollte:
”Daqui para a frente o Olodum não participa do concurso de carnaval, até
que se volte a ter legalidade, legitimidade, dignidade e não-ingerência
política. Daqui para a frente quem vai julgar o Olodum é o povo, o melhor
dos juízes e o mais justo, depois de Olodumaré (Deus)” (Diretoria do
Olodum, in Rodrigues 1996: 47).
1.4 Die Kategorien der Karnevalsgruppen
Crowley (1984) unterscheidet, nach Angaben der Bahiatursa, neun verschiedene
Kategorien für das Jahr 1983: Afoxés, Blocos Afro, blocos índio, blocos mit ”drum
bateria”, blocos mit trio elétrico, cordões, escolas de samba, 'Pequenos Clubes' und
'mudanças' (Crowley 1984: 20-22). Die aktuelle Einteilung der Emtursa (1999(1): 15,
1999(7): 1,2), bei der die Gruppen registriert sind, weicht von der älteren etwas ab.
Hierbei werden acht Einheiten unterschieden 63 :
1. Blocos de Trio - Karnevalseinheiten, ausgestattet mit einem trio elétrico, die zur
Musik berühmter und traditioneller Gruppen ausziehen. Die Mitglieder kleiden sich
meistens mit abadás (Gewändern mit dem Aufdruck des bloco) und Schmuck.
2. Trios Elétricos Independentes - diese trios sind an keine Karnevalseinheit gebunden
und ziehen einzeln ohne die Benutzung von cordas (Absperrungen durch ein Seil) oder
Sicherheitsleuten durch die Straßen, um die Zuschauer oder auch andere blocos zu
animieren. Sie werden von den Organisatoren des Karnevals unter Vertrag genommen,
welche die Zeiten und Orte der Darbietungen festlegen.
3. Blocos Afros - entstanden im Prozeß der Schwarzenbewegung werden diese Gruppen
überwiegend von Afro-Brasilianern gebildet. Sie ziehen mit einer bateria
(Trommelgruppe) aus und präsentieren sich mit Kleidern, Tänzen und Rhythmen, die
durch afrikanische Kulturen inspiriert wurden (siehe auch Kapitel IV.2.2.5-2.2.7).
4. Afoxés - sie sind die ältesten noch existenten Karnevalseinheiten. Ihre Herkunft und ihr
Auftreten sind direkt an den Candomblé gebunden, inklusive der von ihnen benutzen
63 Unter der Internet-Adresse http: //www.emtursa.com.br/carnaval/blocos.html sind die bei der Emtursa
registrierten Gruppen aufgelistet. Hier findet sich auch zusätzlich die Kategorie 'Blocos de
Travestidos', die jedoch bei der Beschreibung nicht näher definiert wird.
44

Instrumente: atabaques, agogôs und xequerés. Ihre Kleidung wird durch afrikanische
Vorbilder inspiriert, und sie singen und tanzen zum Rhythmus ijexá. Ihre Lieder sind
meistens in afrikanischen Sprachen und thematisieren die Orixás (siehe auch Kapitel
IV.2.1.5).
5. Blocos de Percussão - diese Gruppen präsentieren sich mit Perkussionsinstrumenten
und greifen auf die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts zurück, als die ersten batucadas
und escolas de samba entstanden. Sie ziehen mit einheitlichen Kostümen aus (vielfach
Travestie) und werden von einer banda am Boden begleitet (manchmal auch mit
Blasinstrumenten).
6. Blocos de Índio - diese blocos entstanden in den 1960er Jahren, beeinflußt durch
Wildwest-Filme aus den USA; sie haben die nordamerikanischen Indianer als
zentrales Thema (siehe Kapitel IV.2.2.1) und werden von einer bateria de percussão
(Perkussionsgruppe) begleitet.
7. Blocos Alternativos - sie eröffnen den Karneval seit 1994, bilden aber noch keine
streng festgelegte Kategorie. Die meisten ziehen an zwei Tagen auf dem circuito
Barra/Ondina aus, seit 1998 einige auch am Campo Grande.
8. Blocos Infantis - diese Kategorie wurde für diejenigen gegründet, die nicht in die 'wild
tobende' Menge der anderen blocos passen: die Kinder. Die Begleitung der Eltern ist
beim Auszug jedoch notwendig und vorgesehen.
1.5 Karneval außerhalb der Karnevalszeit
1.5.1 Der 'Nach-Karneval': die Micareta
Der Begriff 'Micareta' leitet sich von dem französischen Wort micarême ab, womit der
dritte Donnerstag der Fastenzeit bezeichnet wird. In Brasilien wandelte sich die Micareta
zu einer Feier in karnevalistischer Form zur Beendigung der Fastenzeit. Mit Entstehung
der trios elétricos, besonders nachdem das erste trio bei der Micareta in Feira de
Santana (der ältesten Micareta in Brasilien) erschien, dehnten sich die Feiern bis zu den
festas juninas (Junifeste) aus. Bezüglich dieses 'Karnevals in der Mitte des Jahres'
stellten die Präfekturen der Städte Kalender für die einzelnen trios auf, um deren
Erscheinen in möglichst vielen Städten realisieren zu können. Inzwischen hat beinahe jede
Stadt im Inneren von Bahia ihre eigene Micareta mit bis zu zehn trios. Die Kalender
45

ichten sich dabei nach den Zeitplänen der großen Karnevalsgruppen (Góes 1982: 57,58).
Heute dehnt sich der außertemporäre Karneval bis über die Grenzen von Bahia aus, und
andere große Städte des Nordostens (beispielsweise Belo Horizonte) laden die blocos
und trios für Auftritte nach der Karnevalszeit ein, wodurch es diesen möglich wird, auch
außerhalb der sonst üblichen Zeit Geld zu verdienen (Moura 1996: 186).
1.5.2 Andere Feste
Der Karneval in Brasilien ist zwar eine festgelegte Zeit, doch spielt er im Leben der
Brasilianer eine andere Rolle als zum Beispiel der Karneval in Mitteleuropa für die
dortige Bevölkerung. Das wird unter anderem dadurch deutlich, daß sich die Präsenz
verschiedener Karnevalsgruppen durch das ganze Jahr hindurch ausdehnt. Dies geschieht
nicht nur in einem ebenfalls karnevaleskem Rahmen wie bei den Micaretas, sondern
ebenso bei anderen religiösen oder profanen Festen, wie beispielsweise 'Lavagem do
Bonfim' oder 'Festa de Iemanjá' (vgl. Kapitel IV.2.1.8). Die nationale Musik des
Karnevals bestimmt in Salvador das alltägliche Leben - die lokalen und nationalen
Radiostationen senden fast ausschließlich die Musik, die den Karneval prägt, die
Gruppen geben Konzerte und treten in verschiedenen Fernsehshows auf (im Gegensatz zu
Deutschland, wo die Lieder und Musikgruppen aus den USA den Großteil der Musikszene
ausmachen), und schon Monate vor dem Karneval bemüht sich der Großteil der
Bevölkerung, die Texte der neuesten Hits und die dazugehörigen Choreographien zu
lernen, um dem carnaval da participação alle Ehre zu machen. Der Karneval ist in
Brasilien das wichtigste Ereignis des Jahres, noch vor Weihnachten oder Geburtstagen 64 .
Damit die Brasilianer nicht immer ein ganzes Jahr auf den nächsten Karneval warten
müssen, sind in den letzten Jahren andere Feste entstanden, die wie ein Karneval in
kleinerem Rahmen wirken. Im August 1992 fand zum ersten Mal die 'Caminhada Axé 65 '
statt, als 'Tag der Folklore'. Das Hauptziel hierbei war, die kulturelle Vielfältigkeit
Bahias darzustellen und folkloristische Gruppen aus den Landesinneren nach Salvador zu
holen. Der Erfolg war so groß, daß im Dezember des gleichen Jahres eine zweite
64 Dies wurde mir von vielen Brasilianern versichert und deutlich gemacht.
65 'Axé' bezeichnet die fundamentale Kraft, die den Orixás und auch verschiedenen Bereichen der Natur
(Tieren, Pflanzen, der Erde, die die Vorfahren symbolisiert) inhärent ist. Ebenso ist 'Axé' das von den
Vorfahren übernommene Wissen und somit ein Synonym für Tradition (Lühning 1990: 292). Heute
wird 'Axé' vielfach als Gruß verwendet, womit man jemandem Gutes wünscht.
46

'Caminhada' stattfand und im darauffolgenden Jahr ebenfalls zwei Termine angesetzt
wurden. In den letzten Jahren galt die 'Caminhada Axé' als offizielle Eröffnung der
Sommerzeit. Die Schauspielerin Regina Dourado, Patin des Festes im November 1998
mit etwa 2000 Teilnehmern, bezeichnete die 'Caminhada' als ”uma manifestação popular
maravilhosa de paz e de arte”. Als Teile der baianischen Kultur nehmen hier auch
Karnevalsgruppen wie zum Beispiel die Blocos afro Banda Didá und Ilê Aiyê oder der
Afoxé Filhos de Gandhy teil 66 . Im November 1998 fand in Camaçari, einem Ort etwa 55
km von Salvador entfernt, zum zweiten Mal die viertägige 'Camafolia' statt, eine Art Vor-
Karneval, der bereits als ”abertura antecipada do Carnaval da Bahia” (verfrühte
Eröffnung des Karnevals) angesehen wird. Hierbei präsentieren sich einige der aktuell
populärsten blocos de trio und Blocos afro 67 . Ebenfalls zum zweiten Mal erfolgte im
Januar 1999 die 'Farol Folia' auf der offiziellen Karnevalsstrecke in Barra/Ondina.
Gleichermaßen als Vor-Karneval mit blocos und trios gedacht, ist das Fest mit mehreren
Tausend Teilnehmern zumindest bei den Anwohnern noch umstritten, vor allem wegen
des Lärms, der mit seiner Durchführung verbunden ist 68 .
2. Schwarze Karnevalsgruppen
2.1 Afoxés
2.1.1 Entstehung und Entwicklung
Die Afoxés entstanden aus den folguedos, Bruderschaften, die an den katholischen
Prozessionen teilnahmen. Verlegt in die Zeit des Karnevals erhielten sie durch den
Zusammenfluß von sakralem und profanem Charakter eine ambivalente Dimension.
Risério zitiert Gilberto Gil:
” No dia em que era permitido a eles [os negros] se divertirem, eles se
reportavam imediatamente à cultura deles, buscando integralizar aspectos
remotos daquilo que eles viviam cotidianamente lá, na África” (in Risério
1981: 55).
Während die katholischen Prozessionen durch portugiesische Einflüsse bestimmt waren,
versuchten die Schwarzen in den Afoxés, die Traditionen der afrikanischen Religiosität
mit ihren Tänzen, Rhythmen und Liedern in der Sprache der Yoruba in den Kontext des
66 Informationen zur Caminhada Axé aus: A Tarde 29.11.1998, Seite 10.
67 A Tarde 28.11.1998, Seite 7.
47

Karnevals zu integrieren. Nicht zuletzt deshalb gelten die Afoxés heute vielfach als
ruhiger Pol inmitten der Ausgelassenheit des Festes.
”O afoxé é o anticlímax em relação à explosão de vida e violência e a todas
essas coisas que o carnaval tem hoje” (Gilberto Gil, zit. in Risério 1981: 56).
Bastide (1958) sieht den Karneval als eine Zeit der ”désacralisation du candomblé” und
der ”desafricanisation”. Da es den Sklaven nicht erlaubt war, in der Zeit der 'Semana
Santa' ihre traditionellen Feste zu feiern, wurden für diese Frist die Candomblés
geschlossen. Dies wurde eingeleitet durch ein Ritual der Vertreibung der Orixás, genannt
lorogun (Bastide 1958: 80). Damit ist die Vorstellung verbunden, daß die Orixás in den
Krieg ziehen und die Rivalitäten zwischen ihnen, beschrieben in den lendas, wieder
aufflammen. Wie beim turbulenten Karneval vor der 'Semana Santa' entsteht hier eine Zeit
des Chaos und der Konfusion, und die bestehende Ordnung wird auf den Kopf gestellt.
Durch diese parallele Bedeutung war es einfach, das Ritual mit der Zeit des Karnevals
gleichzusetzen (ebd. 1958: 81). Trotz der 'Abwesenheit' der Orixás ist es jedoch möglich,
einen Candomblé zu begehen, Bastide nennt dies einen ”candomblé pour rire”. Dieser ist
nichts weiter als ein ”candomblé sans transe et sans posession des filles par leurs
respectifs Orixá” (ebd. 1958: 83). Auch die Afoxés sind solche ”candomblés pour rire”
und folgen dem gleichen Ablauf wie ein 'normaler' Candomblé.
Der Begriff 'afoxé' ist eine Wortkreation aus dem Yoruba. Risério schlüsselt den
Terminus folgendermaßen auf:
a = prefixo nominal
fo = verbo= pronunciar, dizer
xé = realizar-se, verificar-se
Demnach lautet die Übersetzung von 'afoxé': ”a enunciação que faz (alguma coisa)
acontecer. Ou, numa tradução mais poética, a fala que faz”- ein 'Ausdruck, der etwas
bewirkt'. Eine weitere mögliche Bedeutung ist die der ”fórmula mágica” (magische
Formel) (Risério 1981: 12) 69 . Womöglich ist die Begriffsgebung auf die Liedtexte in der
Sprache der Yoruba zurückzuführen, die die Afoxés auf den Straßen singen (ebd.). Die
Afoxés tragen sowohl die cânticos auf die Straße - natürlich nur die, die auch öffentlich
gesungen werden dürfen -, als auch die Symbole der Orixás und deren Rhythmen, gespielt
auf Instrumenten identisch mit denen aus dem Candomblé. Laut Hofbauer (1995: 171) war
es für die Mitglieder eines Candomblé sogar verpflichtend, an den Afoxés teilzunehmen.
Bastide zufolge wurden die Afoxés von den ältesten und traditionellsten Candomblés aber
68 A Tarde 16.1.1999, Seite 3 / A Tarde 17.1.1999, Seite 7.
69 Eine andere Ableitung aus dem Yoruba findet sich bei Schneider (1991: 6). Er übersetzt 'afoxé' (von
'afoshe', yoruba) als: ”fortune teller; priest who can predict the future”. Jedoch finde ich die
48

nicht angenommen, da sie sie für ein Sakrileg hielten (Bastide 1958: 84). Nach Oliveira
sind Afoxés Gruppen von Personen, die im Candomblé initiiert sind und den Karneval
nutzen, um sich zu amüsieren und dabei die Lieder zu singen, die nicht den Geboten des
Kultes unterstellt sind (Oliveira 1979: 81). Doch es haben durchaus nicht alle Afoxé-
Mitglieder einen Bezug zum Candomblé, wenn auch die meisten. Tavares definiert die
früheren Afoxés folgendermaßen:
”Afoxé é um cordão organizado pelos negros da Bahia, para sair no
Carnaval. Distingue-se dos outros cordões pelas roupas dos componentes,
onde predominam o cetim e o arminho; pelo instrumental e, mais que tudo,
pela música estranha e bárbara, muito semelhante à música ritual de
macumba 70 , de ritmo contagiante, a letra em nagô” (Tavares 1948: 60).
”[...] o afoxé é uma obrigação religiosa que tem de ser cumprida” (ebd. 1948:
62).
Während die Afoxés aus der Zeit bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts sowohl von ihrer
Struktur her noch an die reisados angelehnt als auch stark an die Candomblés in Salvador
angebunden waren, haben die neueren Afoxés eine eigene Struktur und unterscheiden sich
individuell, besonders in ihrer Motivation, voneinander. So wurde der heute bekannteste
und älteste Afoxé Filhos de Gandhy am 18.2.1949 von einer Gruppe von Hafenarbeitern
zunächst als bloco oder cordão gegründet und erst durch die Tourismusbehörde Sutursa
zur besseren Einstufung als Afoxé kategorisiert (Félix 1987: 52, 58, 86 71 ). Die Motivation
des Themas des Afoxé entstand durch den Film 'Gungadin' über Gandhi, womit die Idee
geboren war, den ein Jahr zuvor ermordeten Mahatma Gandhi als Figur des Friedens zu
ehren. Erst spätere Mitglieder stellten den Bezug zum Candomblé her (Félix 1987: 61, 76,
85) 72 .
”Fundamos o Filhos de Gandhi por uma necessidade de brincar e não
esperávamos que o Gandhi se transformasse nesse Afoxé de hoje, imenso e
conhecido mundialmente” (Hermes Agostinho dos Santos (”Soldado”), in:
Félix 1987: 97).
Die Tatsache, daß bei den Filhos de Gandhy bis heute nur Männer als Mitglieder
Übersetzung von Risério hier zutreffender.
70 Macumba bezeichnet die afro-brasilianische Religion, die in der Region um Rio de Janeiro überwiegt.
In ihr findet sich ein verstärkter bantu-Einfluß. Bis heute werden die afro-brasilianischen
Kulthandlungen des Candomblé von vielen Brasilianern als 'Macumba' bezeichnet
71 Bei Félix 1987 handelt es sich um ein Buch zur Geschichte des Afoxé Filhos de Gandhy, in dem die
Gründungsmitglieder zu Wort kommen. Es wurde im Eigenverlag herausgegeben und verfügt über
keinerlei Seitenangaben. Zu besseren Zitation wurden die Seiten von mir von der ersten bedruckten
Seite an durchnumeriert.
72 Einige der Gründungsmitglieder sehen den Afoxé bis heute nicht als solchen an. So meint zum
Beispiel Domiense Amorim: ”[...] até hoje, ele [die Filhos de Gandhy] não é Afoxé porque eu,
Domiense Pereira Amorim, ex-presidente do Gandhi, registrei-o na Federação dos Clubes
Carnavalescos Filhos de Gandhi como Sociedade Recreativa e carnavalesca Filhos de Gandhi” (Félix
1987: 66).
49

zugelassen sind 73 , hat 1991 zur Gründung des Afoxé Korin Efan geführt. Die Gründer
waren Mitglieder des Afoxé Filhos de Gandhy. Bei Korin Efan dürfen Frauen und
Männer gleichermaßen Mitglieder werden, die Mehrzahl der etwa 800 Mitglieder sind
sogar Frauen. Für den Präsidenten von Korin Efan, Edson Vergue de Assis, ist ein Afoxé
insofern von einem Candomblé verschieden, daß er sich nicht auf die Wurzeln bezieht:
”O nome 'afoxé' em yoruba é brincadeira, então não pode se entrar muito
dentro das raizes, sabe, é uma coisa de carnaval, então as raizes é uma coisa
muito sigilosa” 74 .
Der ebenfalls 1991 gegründete Afoxé Filhas d'Oxum, heute mit etwa 3500 weiblichen
Mitgliedern, wurde von seiner Präsidentin Rosângela Guimarães (Abb. 12) aus
Dankbarkeit und zu Ehren des Orixá Oxum ins Leben gerufen, die ihr als Göttin der
Mutterschaft bei Problemen während der Schwangerschaft geholfen hat. Obwohl
Rosângela selbst filha-de-Iansã ist - weshalb auch dieser Orixá eine große Rolle in dem
Afoxé spielt - hat sie ein Versprechen gegeben, ihr Leben Oxum zu widmen und sie zu
ehren.
”Carnaval é importante porque é onde nos levamos à avenida todo o brilho
de Oxum, a força e a manutenção do nome dela, no que vive esse nome. É a
minha responsibilidade aqui na terra, culturar o sacerdotismo, culturar e
manter vivo e divulgar o nome de Oxum. É a minha grande missão; que não é
fácil” 75 .
Auch Guerreiro bezeichnet die Afoxés als karnevaleske Organisation, deren primäres
Anliegen es ist, den Candomblé zu verbreiten (1994: 101). Während die schwarzen
Karnevalsgruppen zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Barbarei unterdrückt und
polizeilich verfolgt wurden, erlebten die Afoxés eine Wiederauferstehung in den 70er
Jahren. Auch die Filhos de Gandhy verschwanden in den 60er Jahren aus dem Kontext
des Karnevals, wurden aber durch den Journalisten Gerson Macedo 1976 wieder ins
Leben gerufen, mit der Begründung, der Afoxé sei ein Teil der baianischen Tradition und
dürfe nicht sterben (Félix 1987: 105) 76 .
73 Der Grund für den Ausschluß der Frauen aus dem Afoxé war der, daß sie als die Ursache für Konflikte
und Streitereien unter den Männern galten (Félix 1987: 76, 82, 92, 98).
74 Interview mit Edson Vergue de Assis am 5.2.1999.
75 Interview mit Rosângela Guimarães, 6.2.1999. Sowohl Browning (1995: 130) als auch Moura (1996:
179) sehen die Filhas d'Oxum als eine Umbenennung der Filhas de Gandhy, dem 1975 gegründeten
Pendant der Filhos de Gandhy für Frauen. Dies trifft jedoch nicht zu, da die Filhas d'Oxum aus der
oben genannten Motivation heraus entstanden sind und zudem der Afoxé Filhas de Gandhy ebenfalls
noch existiert.
76 Andere Quellen besagen, daß dem Afoxé durch den damals gerade aus dem Exil zurückgekehrten
Gilberto Gil wieder auf die Beine geholfen wurde (Dunn 1992: 13, Goés 1982: 89, Risério 1981:
53). Tatsächlich nahm er 1973 deren Ijexá-Rhythmus (siehe Kapitel IV.2.1.5) in sein Repertoire auf
und unterstützte so den Afoxé (Moura 1987: 13). Zudem ist Gil eng mit den Filhos de Gandhy
50

2.1.2 Aufbau der Umzüge
Alle Gruppen haben heute festgelegte Tage im Karneval, an denen sie ausziehen. So zieht
der Afoxé Filhos de Gandhy immer Sonntags und Dienstags aus. Für die Gruppe Korin
Efan, da sie von dem 'Gandhy' kommen, gelten die gleichen Tage. Viele ihrer Mitglieder
fühlen sich noch so stark an die Filhos de Gandhy gebunden, daß sie einen Tag mit ihnen
und den anderen Tag mit Korin Efan mitlaufen 77 .
Wie schon Tavares (1948: 62) bemerkt, zieht ein Afoxé nicht als ein Candomblé an sich
auf die Straße - was ihn zum Candomblé macht, sind die Rituale und Inhalte, die ihn
umgeben.
Eine essentielle Figur der traditionellen Afoxés, die nicht in den Candomblés zu finden
ist, ist der babalôtim (von yoruba: babá: Vater + otim: 'cachaça' (Zuckerrohrschnaps) 78 =
Vater der 'cachaça') (Risério 1981: 52). Hierbei handelt es sich um eine Puppe, ähnlich
der calunga beim Maracatu. Wie oben beschrieben variieren laut Ramos beide Figuren in
ihrer Bedeutung (siehe Kapitel III.4.2.2). Tavares setzt den babalôtim jedoch mit der
calunga gleich und beschreibt ihn als
”[...] uma boneca de olhos saltados e fatais representando uma negra nagô,
com um colar de contas brancas, mas de fantasia. Na face, traz a
circunscrição dos nagôs, três cortes profundos e paralelos. [...] Babalôtin
representa os Ibeji, isto é, o orixá de Cosme e Damião no candomblé” (1948:
62).
Die Ibeji (ibi=geboren, eji=zwei) sind in Brasilien die göttlichen Zwillinge, denen die
katholischen Heiligen Cosme und Damião zugeordnet werden. Der Orixá, auch 'Orixá
kekerê' (kleine Orixás) genannt, präsentiert sich immer als Kind (Carneiro 1991: 150) 79 .
In Nigeria wird der Ibeji-Gott als kleine Holzpuppe verehrt. Stoll spricht von 'Ere Ibeji'
(Ere=Abbild, Idol) als einer geschnitzten Holzfigur, die bei den Yoruba nach dem Tod
eines Zwillings hergestellt und wie ein lebendes Kind behandelt wird (1980: 47).
”Der Ibeji-Kult [der Yoruba] manifestiert sich nicht in der Anbetung eines
Ibeji-Gottes, sondern in der Verehrung des Ere Ibeji, der symbolischen Hülle
der Seele des Verstorbenen” (ebd. 1980: 60).
verbunden und wurde 1999 zum Ehrenvorsitzenden ernannt.
77 Edson Vergue de Assis, 5.2.1999.
78 cachaça kann auch 'große Leidenschaft' oder 'Schwäche' heißen.
79 Verger weist darauf hin, daß die Ibeji fälschlicherweise mit den erê in Zusammenhang gebracht werden
(1981: 49), Kindergeistern, die die Initiierten in einer leichten Trance befallen, oft nach dem
eigentlichen Trancezustand. So meint auch Carneiro (1991: 150): ”Todas as pessoas que têm santo
têm também um erê, que pode ser de Cosme, de Damião, de Doú ou de Alabá”. Bei Doú und Alabá
handelt es sich um zwei weitere Orixá aus der Macumba in Rio. Artur Ramos (zit. in Carneiro 1991:
38) sieht Erê sogar selbst als einen Orixá, als Sohn von Xangô.
51

In einem brasilianischen Lied für die Ibeji heißt es: ”Ora vamos ver duas conchinhas do
Calunguinha [Diminuitiv von calunga, Anm. d. A.] na beira do rio” (Carneiro 1991: 81),
wodurch der Zusammenhang zwischen den Ibeji und der calunga, der Puppe, dargestellt
wird. Durch die Assoziierung mit den Ibeji wird die Bedeutung der Puppe als
Repräsentant eines Orixás deutlich.
Bastide wiederum ist der Meinung, da es sich um einen ”candomblé pour rire” handelt,
wäre die Bedeutung der Figur als Orixá-Repräsentant nicht stimmig. Er hält den
babalôtim für eine königliche Insignie:
”Nous pensons que le babalotim est de la même façon un insigne royal,
identifié par un candomblé bantou, c'est-à-dire, très corrompu, avec une des
divinités analogues des Nagôs, les ibeji, ou jumeaux sacrés. Le roi en somme
descend dans la fète, non avec une idole, mais en faisant porter, par un
membre de sa cour, l'insigne représentatif de son pouvoir politique” (Bastide
1958: 84).
Diese Bedeutung spricht Ramos der calunga absolut ab (Ramos 1935: 92) (siehe Kapitel
III.4.2.2).
Laut Tavares sieht der traditionelle Aufbau eines Afoxé-Auszugs folgendermaßen aus:
caboclos (wie Indios gekleidete Personen, oft Frauen); Obá 80 mit Gefolge; babalôtim,
getragen von einem Jungen, der ebenfalls als babalôtim bezeichnet wird; König und
Königin; porta-bandeira (Fahnenträgerin) mit Standarte; guarda branca (weiß
gekleidete Garde, leitet den Umzug); charanga (Musikgruppe bestehend aus atabaques,
agogôs, xequerés); Baianas (eine Gruppe von Frauen in der Tracht der Candomblés)
(1948: 74) 81 . Zudem erwähnen einige Autoren wie zum Beispiel Ramos (1935: 88) die
Gruppe der lanceiros (Lanzenträger), die gegenwärtig auch noch bei den Maracatus zu
finden sind.
In den heutigen Afoxés findet sich weder das Königsgefolge noch der Obá oder die
guarda branca. Einen Hinweis auf die schwindende Existenz des babalôtims findet sich
zum Beispiel bei den Filhos de Gandhy, bei welchen dieser noch als Allegorie genannt
wird:
” Sobre as alegorias, nos primeiros anos eram quase que as mesmas de hoje.
Na primeira vez em que saímos, era uma boneca de pano preta, no segundo,
80 'Obá' bezeichnet laut Bastide (1958: 251) einen König. Der Terminus wird gebraucht, um die
Gesandten Xangôs zu bezeichnen. Ramos (1935: 88) spricht bei den 'Pândegos d'África' von ”o rei
Obá Alaké”. Laut Hohenstein bezeichnet 'Obá' ebenfalls einen Posten innerhalb des Candomblé, für
zivile wie auch religiöse Funktionen (1991: 198). Diese Figur ist nicht zu verwechseln mit dem
Orixá Obá, einer der Frauen Xangôs und Konkurrentin Oxums, Göttin des Wassers, die oft
verwechselt wird mit Iansã.
81 Edison Carneiro nennt eine andere Reihenfolge als Tavares: a) Boten; b) 'guarda branca'; c) König und
Königin; d) babalôtim; e) Standarte; f) Ehrengarde; g) charanga (zit. in Risério 1981: 65).
52

fizemos o elefante, a cabra e o camelo” (Domiense Pereira Amorim, ”Domi”,
in Félix 1987: 67) 82 .
Risério behauptet sogar, daß der babalôtim bei den Filhos de Gandhy durch das Portrait
Mahatma Gandhis, das bei manchen Umzügen mitgeführt wird (siehe Abb. 13), abgelöst
wurde (Risério 1981: 52). Die Gleichstellung oder Verschmelzung der Person Gandhis
mit Oxalá als Orixá des Friedens (vgl. Abb. 14) könnte diese These untermauern, da auch
die Puppe als Repräsentant eines Gottes galt (siehe oben). Ebenfalls bei den Filhos de
Gandhy findet sich noch ein Hinweis auf die lanceiros:
”Eu era lanceiro e, logo após, passei a ser fiscal. Formamos uma equipe de
sete lanceiros” (Eduarlino Crispiniano de Souza, ”Dudu”, in Félix 1987: 72).
”Mandamos confeccionar uns fuzis e lanças de madeira. Os lanceiros eram
formados de 24 homens [...]” (Almir Fialho, ”Mica”, in Félix 1987: 105).
Die charakteristischen Allegorien des Afoxé Filhos de Gandhy sind seit dem zweiten Jahr
nach der Gründung bis heute der Elefant, das Kamel und die Ziege, in Anlehnung an
Indien (Félix 1987: 67, 105).
Desweiteren führen die Afoxés bis heute eine Standarte mit (siehe Abb. 15), und auch die
Figur des caboclo ist noch immer Teil mancher Afoxés, wie bei den Filhas de Olorum
(siehe Abb. 16).
Nach jahrelanger Abstinenz vom Karneval veränderten sich die Afoxés mit ihrer
Rückkehr Mitte der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts, als sich das politische Klima in
Brasilien wandelte und die Blocos afro entstanden. Sie formierten sich zu eher offenen
Gruppen, in denen es wichtig war, daß Schwarze sich treffen und sich amüsieren, dabei
jedoch die Traditionen bewahren konnten. Die neuen Afoxés sind eher wie andere
Karnevalsgruppen strukturiert, mit einem Präsidenten, Vizepräsidenten, Vorstand und
verschiedenen Abteilungen. Diese Abteilungen (alas) der Afoxés umfassen meist eine
Tänzergruppe, einen musikalischen Block - entweder eine charanga oder eine banda
(Musikgruppe mit zusätzlichen Instrumenten zu denen aus dem Candomblé) -, eine 'ala de
cântico', eine ala, die das Thema repräsentiert und zudem oft einige Wagen - für die
Tänzer und Musiker. Die großen Afoxés mit einigen Tausend Mitgliedern haben
außerdem meist ein oder zwei trios elétricos. Zu ihrem 50jährigen Bestehen 1999 hatten
die Filhos de Gandhy dazu einige spezielle alas, wie eine Gruppe mit 50 Signalhörnern,
die die Ankunft des 'Gandhy' ankündigten, oder eine Abteilung, die 50 Pazifisten auf
Plakaten repräsentierte. Der Auszug der Filhos de Gandhy mit seinen über 12.000
Mitgliedern gilt als großes Ereignis im Karneval, und der Afoxé selbst wird durch sein
82 Eine Unklarheit ergibt sich hierbei aus dem Umstand, daß die Figur der Puppe und damit der Bezug zu
den Königsumzügen/traditionellen Afoxés nach dem ersten Jahr verschwand, die Gruppe jedoch erst
53

äußeres Erscheinungsbild als 'weißer Teppich des Friedens' (”tapete branco de paz”)
bezeichnet 83 (siehe Abb. 17).
2.1.3 Organisation / Finanzierung
In jedem Afoxé gibt es Personen mit bestimmten Aufgabenbereichen, wie die
Durchführung von Ritualen, die Leitung der Tanz- oder der Musikgruppe oder das Singen
der cânticos. Meist haben die Menschen, die innerhalb des Candomblé mit bestimmten
cargos (Aufgaben) betraut sind, auch im Afoxé dieselben Verpflichtungen. Bei den Filhas
d'Oxum ist die Präsidentin selbst ialorixá, also Kultleiterin, und damit für die
Durchführung der Rituale zuständig. Weitere Personen, wie die alabês oder ogãs, sind
auch im Afoxé für identische Aufgabenbereiche maßgebend. Laut Rosângela Guimarães
werden die Teilnehmer des Afoxé durch Oxum ausgewählt.
”Na casa de Oxum só chega quem tem autorização, o orixá traz. As pessoas
que tem que vir, elas chegam naturalmente, chegam as vezes até do nada,
chegam sem querer e acontecem delas estarem aqui. Então a casa de Oxum é
assim uma energia dela, é ela que comanda, é ela que manda, é ela que
coloca tudo em ordem” 84 .
Die organisatorische Struktur der Afoxés ähnelt der anderer Karnevalsgruppen. So
besteht der exekutive Vorstand der Filhos de Gandhy aus 28 Personen, die alle drei Jahre
neu gewählt werden. Eine ”diretoria de apoio” verwaltet die Gruppe als Ganzes. Weitere
Aufgabenbereiche werden durch die ”diretoria social, diretoria de comunicação,
diretoria de eventos e produções, diretoria de património, diretoria de organisação e
diretoria de manutenção, diretoria de segurança, directoria de saúde” abgedeckt 85 .
Finanziert werden die Afoxés überwiegend durch Schirmherrschaften. Obwohl jedes
Mitglied eine Art Beitrag zahlt - er begleicht die Kosten für das Kostüm und schließt eine
Verwaltungsgebühr (taxa de manutenção) mit ein - und die Gruppen für verschiedene
Auftritte Gagen erhalten, müssen die meisten Kosten durch den Staat oder von privaten
Geldgebern übernommen werden 86 . Dabei soll die Teilnahme berühmter und bekannter
Persönlichkeiten bei den Afoxés das Interesse steigern und Geldgeber motivieren.
Abgesehen von ihrer ohnehin großen Popularität werden die Filhos de Gandhy
danach als Afoxé kategorisiert wurde, während sie im ersten Jahr noch als cordão galt.
83 Interview mit Tio Souza, Öffentlichkeitsarbeit des Afoxé Filhos de Gandhy, am 10.2.1999.
84 Interview mit Rosângela Guimarães, am 6.2.1999.
85 Interview mit Edson Vergue de Assis, am 5.2.1999.
86 Tio Souza, 10.2.1999.
54

eispielsweise von den international bekannten baianischen Musikern Gilberto Gil und
Carlinhos Brown unterstützt. Die Filhas d'Oxum huldigen jedes Jahr einer Schauspielerin
oder weiblichen historischen Persönlichkeit. Beim Karneval 1999 nahm daher die
schwarze brasilianische Schauspielerin Zezé Motta an dem Umzug teil. Die Afoxés
wünschen sich mehr staatliche Unterstützung, doch meistens steht der Regierung nur
wenig Geld zur Förderung der afro-brasilianischen Kultur zur Verfügung. So hatten die
Filhas d'Oxum für 1999 eine großes Projekt zum Orixá Oxum ausgearbeitet, das in der
geplanten Dimension aus Mangel an Geld scheiterte. Ein Projekt zur Geschichte und
Bedeutung des Afoxé kam ebenfalls nicht zustande, was die Präsidentin der Gruppe,
Rosângela Guimarães, mit der Abneigung gegen 'schwarze Themen' begründet:
”Infelizmente, o povo não acredita nessas coisas, existe uma certa
discriminação realmente com o candomblé. [...] é difícil, é muito difícil
divulgar a categoria negra” 87 .
2.1.4 Inhalte / Bezug zum Candomblé
Die Afoxés verstehen sich selbst als 'Candomblé der Straße', sowohl von ihrer Struktur
her als auch von den Inhalten. Die Karnevalsgruppen werden durch die Orixás gelenkt
und geleitet 88 . So ist fast jeder Afoxé auch an einen bestimmten Candomblé angegliedert,
meist begründet darin, daß sie in vielen Fällen von den babalorixás oder ialorixás, den
Leitern der Kultstätten, gegründet werden 89 . Ein Afoxé ist meist an den terreiro seines
Präsidenten oder Gründers angegliedert 90 . Auch die Filhos de Gandhy haben einen
besonderen Bezug zum Candomblé des Präsidenten, doch ”cada um [der Mitglieder] tem
a sua casa de fé, o seu terreiro de fé” 91 . Die besondere Patin der Filhos de Gandhy war
die Leiterin des Candomblé 'Gantois', Mãe Menininha. Sie wurde von den Mitgliedern
des Afoxé ausgewählt, obwohl auch sie ihre 'eigenen' mães-de-santo hatten. Doch bis
heute bleibt sie der besondere Bezug zum Candomblé und zu 'Gantois' 92 .
”Ela é a madrinha oficial do Filhos de Gandhi e continuará sendo, porque não
se batiza uma criança duas vezes” (Arivaldo Fagundes Pereira,
87 Rosângela Guimarães, 6.2.1999.
88 ”Tudo é do ritual do candomblé, o afoxé é o candomblé vivo” (Rosângela Guimarães, 6.2.1999).
89 ”[...] eles já nasceram ligados a terreiros de candomblé e dirigidos por babalorixás ou outras
personalidades do culto” (Risério 1981: 56).
90 Dies ist der Fall zum Beispiel bei den Filhas d'Oxum.
91 Tio Souza, 10.2.1999.
92 Morales (1988: 270) spricht von dem Candomblé 'Axé Opô Afonjá' als besonders mit den Filhos de
Gandhy verbunden. Dieser Bezug entstand durch die heutigen Mitglieder des Afoxé.
55

”Carequinha”, in Félix 1987: 37).
Da sich der Afoxé Korin Efan von den 'Filhos de Gandhy' abgespaltet hat, gilt auch hier
noch der besondere Bezug zu 'Gantois', der ebenfalls der terreiro des Präsidenten Edson
Vergue de Assis, genannt ”Edinho do Gantois”, ist 93 .
Einer der Afoxés ohne einen besonderen Bezug zu einer bestimmten Kultstätte ist Badauê
(yoruba: bada: ältester Sklave + auê: Gruß, Zeichen der Aufmerksamkeit). Die am 13.
Mai 1978 gegründete Gruppe galt als Innovator in der Kategorie der Afoxés, da sie sich
nicht mehr auf die traditionellen Schemata dieser Art von Karnevalsgruppen berief,
bezogen auf Musik, Kleidung und Tanz (siehe folgende Kapitel). Badauê bezogen
Reggae-Rhythmen in ihre Musik mit ein, spielten neben denen aus dem Candomblé auf
Akustik-Instrumenten, variierten in der Kleidung und gestalteten die Tänze nach modernen
Vorbildern (Risério 1981: 65). Der Musiker Gilberto Gil definierte Badauê als einen
”afoxé pop, 'progressivo'” (in ebd. 1981: 64). Doch auch hier sind die meisten Mitglieder
in einem Candomblé initiiert. Und ebenso findet vor Auszug in den Karneval eine
Opferung, das padê (siehe unten), statt. Dieses wird durchgeführt von Dona Lili, der
Leiterin einer Kultstätte aus dem Stadtteil Engenho Velho de Brotas, die als Patin für den
Afoxé fungiert (ebd. 1981: 58).
In ihrem Ablauf während des Karnevals gleichen sich die Afoxés in der Regel und folgen
den Strukturen des Candomblé. Wie bei dem afro-brasilianischen Kult wird das Fest
durch ein padê eröffnet, einer Opferung für Exu, um den friedlichen Ablauf des Karnevals
zu gewährleisten. Bei den Filhos de Gandhy geht diesem noch der osé voran, eine
Reinigung des Hauses, und der amasi, ebenfalls eine Art Reinigung mit Blättern
verschiedener Orixás und Duftwassern. Dann folgt das padê. Tio Souza (verantwortlich
für die Öffentlichkeitsarbeit der Filhos de Gandhy) sieht dessen Funktion
folgendermaßen:
”A gente tem esse ritual pedindo licença para nós saímos em actividade, para
que não há nenhum ato de violência, seja no sentido físico ou sentido moral.
Ao mesmo tempo também nós estamos pedindo paz e harmonia para toda
humanidade” 94 .
Bei Korin Efan besteht die Opferung aus weißem und rotem Maniokmehl sowie
Zuckerrohrschnaps. Dabei werden die cânticos der für den Afoxé maßgeblichen Orixás
gesungen, hier für Ogun, Logun, Ossãin, Iansã, Oxum und Oxalá 95 . In der 'casa de Oxum',
dem Sitz der Filhas d'Oxum, wird das padê nicht für Exu, sondern für Oxum gemacht:
93 Edson Vergue de Assis, 5.2.1999.
94 Interview mit Tio Souza, am 10.2.1999.
56

”Nós despachamos Oxum para que ela vai levar as influências negativas,
todas as pertubações, e que traga o melhor, traga paz, harmonia, felicidade,
alegria, que ajude como mensageira de deus. Então agente pede ela que leve
de ruim, e traga o que é de bom”.
Abschließend zum Karneval folgt bei den Filhas d'Oxum eine Opferdarbietung für den
Orixá Oxum. Diese besteht aus Blumen, Schmuck, Speisen, Bändern und weiteren Dingen,
die ihr als junger und eitler Göttin gefallen. Die Opferung findet am Aschermittwoch an
der Lagoa do Abaeté statt, einer Süßwasserlagune in Salvador, die mit Oxum in
Verbindung gebracht wird, und dient dazu, der Göttin für den Erfolg des Karnevals zu
danken 96 .
2.1.5 Zur Musik
Die Musik eines Afoxé orientiert sich stark an den Liedern und Themen des Candomblé.
Auch bei der Instrumentalisierung beschränken sich die meisten Gruppen mit ihrer
charanga auf die drei Instrumentengruppen des Kultes: atabaques, agogôs und xequerés
(siehe Kapitel III.2.4.2, Abb.en 18, 19). Korin Efan benutzen zudem die im Candomblé
nicht mehr üblichen kleinen ilú-Trommeln 97 . Um auf der Straße jedoch gegen die
Lautstärke der trios elétricos anzukommen, werden vielfach zusätzliche Instrumente
eingesetzt. So bei den Filhas d'Oxum:
”As vezes usamos instrumentos de corda só para dar harmonia, mas isso
quando tem um trio perto do outro, não ouve só o atabaque. Coloca só prá dar
harmonia e reforçar mais o som” 98 .
Zudem gibt es meist neben der charanga noch einen begleitenden Wagen, auf dem die
Hauptinstrumente elektronisch verstärkt werden.
Die Rhythmen und Lieder bringen den Glauben der Teilnehmer an die afro-
brasilianischen Götter zum Ausdruck. Bestimmend ist bei der Musik der Rhythmus ijexá.
Dieser kommt aus der gleichnamigen Stadt in Nigeria und ist der spezielle Rhythmus für
Oxum, der Göttin benannt nach dem Fluß Oxum. Jedoch tritt der ijexá als Begleitrhythmus
zu den cânticos fast aller Orixás auf (Lühning 1990: 148). Laut Lühning vermittelt er
Freude und Ausgelassenheit und ”ist ein Rhythmus zum Tanzen per se”. Die Autorin
95 Interview mit Edson Vergue de Assis, am 5.2.1999.
96 Interview mit Rosângela Guimarães, am 6.2.1999.
97 Auf dieser Trommel wurde früher (laut Lühning ”bis vor kurzem”) ein spezieller Rhythmus (ilú) für
Iansã gespielt (Lühning 1990: 145, 301). Die zweifelligen ilús werden in einem Dreierensemble
('melé', die kleinste, 'melé ancó', die mittlere, 'inhã', die größte und tiefste) noch immer in den
Xangô-Kulten von Recife gespielt (Segato 1986: 177).
57

vermutet, daß gerade diese Aspekte ”den ijexá zu dem im Karneval und in manchen
Bereichen der brasilianischen Popularmusik ('música popular brasileira', 'MPB')
verwendeten Rhythmen hat werden lassen” (1990: 220/221). So bestimmt der ijexá nicht
nur die Lieder der Afoxés, die aus dem Candomblé übernommen wurden und die jeweils
zu Beginn eines Auszugs gesungen werden, um die Orixás zu ehren. Der ijexá bestimmt
ebenso die Lieder, die in Anlehnung an das jährliche Thema komponiert werden.
Jeder Afoxé hat eigene Komponisten, doch auch von anderen Seiten werden Lieder für
die Afoxés geschrieben oder ihre Lieder von bekannten Sängern interpretiert. So nahm
Gilberto Gil 1977 das Stück 'Papai Ojô' von Arivaldo Fagundes Pereira unter dem Titel
'Patuscada de Gandhi' (Spaß des 'Gandhi') auf 99 , das inzwischen zu einer Art 'Hymne' des
Afoxé geworden ist (Félix 1987: 38):
Aonde vai papai ojô
Vou depressa por aí
Vou fazer minha folia
Com os Filhos de Gandhi
-
A nossa turma
É alinhada
Com todo brilho
Pra cair na patuscada
-
Ô mori moriô babá
Babá ou quilochê jôkô 100
58
Wohin geht Papa Ojô
Ich werde dorthin eilen
Ich werde mich amüsieren
Mit den Filhos de Gandhi
-
Unsere Gruppe
Ist aufgestellt
Mit allem Glanz
Um sich in den Spaß zu stürzen
-
Deinen Segen Vater
Ich grüße Dich, was gibt's?
Die Texte werden ebenso in portugiesisch wie auf Yoruba geschrieben. Viele Yoruba-
Ausdrücke haben keine direkte Übersetzung und werden daher in dieser Sprache
übernommen, wie zum Beispiel die Grußformeln 101 der Orixás. Laut Morales sehen die
jüngeren Mitglieder zum Beispiel der Filhos de Gandhy es als wichtig an, zumindest
einige Ausdrücke auf Yoruba zu lernen, da es eine geheimnisvolle Sprache sei, die die
Tradition geprägt habe. ”O segredo do sucesso do Gandhi talvez possa ser encontrado na
sua habilidade em falar essa última linguagem” (Morales 1988: 274).
98 Rosângela Guimarães, 6.2.1999.
99 Hierbei wurde die zweite Strophe jedoch weggelassen: Estava no mato / Estava no dendê / Estava ali /
Vê esta turma bem alinhada / É o Gandhi (Félix 1987: 38/39).
100 Die Schreibweise der Yoruba-Ausdrücke ist an den portugiesischen Sprachgebrauch angeglichen. So
findet in Félix (1987: 38) neben dieser eine andere Schreibweise des Satzes: ê mori moriô babá,
babá ô kê oxê jô kô. Übersetzt wird dies mit: a benção meu pai. Estou te saudando, o que é que há?
101 zum Beispiel: ogunhê (Ogum), okê arô (Oxossi), cauô cabiecile (Xangô), epa hei (Iansã).

Die meisten Themen für den Karneval beziehen sich auf den Candomblé. Häufige Themen
sind auch afrikanische Länder, die Sklaverei und die Befreiung der Schwarzen oder der
Afoxé selbst. Zudem werden im Karneval bekannte Lieder aus der brasilianischen
Popmusik gespielt.
”São músicas do MPB já adaptadas para que o público canta também, que
todo mundo saiba responder as cantigas, e ai agente mesmo toca. Com as
músicas do tema e as músicas do xirê do candomblé” 102 .
Crowley kritisiert den ”naive pan-africanism” vieler Afoxés und ihre unzureichenden
Kenntnisse über die afrikanische Vergangenheit, die dargebrachten Stereotypen und
Halbwahrheiten (1984: 26). Als Beispiel nennt er das Lied ”Etiópia, união das raças”
zum gleichnamigen Thema des Afoxé 'União das Raças':
O Rei Selassié assim nos falou:
”União tem na Etiópia
Todas as raças tem valor.”
Cidade capital Adis-Abeba,
Todas as raças vêm dançar.
-
Seu Ijexá,
Adis-Abeba, Harar,
Adis-Abeba.
-
[...]
[...]
Crowley kritisiert vor allem die Einreihung der Yoruba-Stadt Ijexá - obwohl hier eher
59
König Selassie sprach so zu uns:
”In Äthiopien gibt es Einigkeit
Alle Rassen sind wertvoll.”
Hauptstadt Addis-Abeba
Alle Rassen werden tanzen.
-
Dein Ijexá,
Addis Abeba, Harar,
Addis-Abeba.
der Rhythmus gemeint sein dürfte - zu den äthiopischen Städten Addis Abeba und Harar
und die angebliche Äußerung Selassies zu Rassenfragen (1984: 26). Dunn betont jedoch
die weitreichendere und eher symbolische Bedeutung der Liedtexte:
2.1.6 Der Tanz
”[...] the afoxés and blocos afro are not so much spreading misinformation
about Africa, as constructing a powerful, grass-roots discourse which
challenges traditional notions and myths of Africans and their descendents in
Brazil” (1992: 12).
Die neben der Musik-Abteilung wichtigste ala eines Afoxé ist die der Tänzer und
Tänzerinnen. Wie in der Musik werden auch hier Elemente aus dem Candomblé
übernommen. Beide Bereiche sind dabei eng miteinander verknüpft. Bei den getanzten
-

cânticos de xirê im Candomblé stellen die filhas-de-santo durch bestimmte, rituell
festgelegte Bewegungen den Orixá mit seinen Eigenschaften und seinen Symbolen dar
(Lühning 1990: 117). So wird ein Schwert zum Beispiel durch schneidende Bewegungen
mit den Armen dargestellt, und weiche, fließende Bewegungen können Wasser
symbolisieren.
Browning unterscheidet die Tänze der Afoxés insofern von denen im Candomblé, als sie
nicht den Orixá selbst darstellen, sondern nur seine Stärke und Macht.
”The afoxés take the candomblé rhythms and dances into the street at
carnaval, in a celebration of their aesthetic and political strength. [...] The
invocative dance cannot be mimetic. [...] It is not meant to be read. It is not
meant to suggest. We are the suggestion of divinity” (Browning 1995: 47, 48).
”Afoxé dances attempt actively to inscribe the stories of the orixás. But the
bodies of the dancers become inscribed into these stories” (ebd. 1995: 70).
Politische Aussagen werden in die Tänze hineininterpretiert, beziehungsweise die
Tanzformen in eine politische Aussage übersetzt:
”The afoxés invoke political significance and embody aesthetic power. (To
say that the afoxés call for social justice is to say, in the terms of the
candomblé, that they invoke Xangô)” (ebd. 1995: 70).
Neben der Anlehnung an den Candomblé und dem Ausdruck politischer Botschaften hat
der Tanz auch die Aufgabe, die Zuschauer zum Mitmachen anzuregen, sie zu begeistern
und zu fesseln. Dies ist bei den Filhas d'Oxum im besonderen die Aufgabe der 'rainha do
carnaval', der Karnevalskönigin, die jedes Jahr zusammen mit zwei Prinzessinnen neu
gewählt wird. Die 'rainha do ouro', wie die Karnevalskönigin der Filhas d'Oxum heißt,
personifiziert Oxum. Bei der Wahl sind die Hauptkriterien, neben der Schönheit der
Kandidatin, ihre Fähigkeit zu tanzen und die für den Karnevalsumzug notwendige
Kondition und Ausdauer. Die Königin muß den anderen Tänzerinnen als Vorbild dienen.
”A rainha, ela tem que dar ânimo, tem que dar estímulo, ela não pode parar
de dançar. Nem a ala de dança faz. Mas a rainha tem que dar exemplo, quem
governa não tem direito de cansar” 103 .
Ein weiteres Tanz-Element bei den Afoxés ist die Teilnahme von Capoeiristas an den
Umzügen. Viele Gruppen, wie zum Beispiel Korin Efan, haben eine eigene Capoeira-
Abteilung, die an den Karnevals-Auszügen teilnimmt 104 .
102 Rosângela Guimarães, 6.2.1999.
103 Rosângela Guimarães, 6.2.1999.
104 Edson Vergue de Assis, 5.2.1999. Capoeira-Gruppen finden sich ebenfalls in den Samba-Schulen
Rios und den Maracatus von Pernambuco (Crowley 1984: 42).
60

2.1.7 Die Kostüme
Charakteristisch für viele Afoxés sind ihre Kostüme, die in ihrer Form und Farbe relativ
konstant gehalten werden. Sie erscheinen in den Farben der Orixás, denen ein Afoxé
zugeordnet ist. So ist auch das blau-weiße Kostüm der Filhos de Gandhy seit 50 Jahren
weitgehend unverändert geblieben. Einzig wechselnd ist der jährliche Aufdruck zum
gewählten Thema. Die Farben weiß und blau repräsentieren die Orixás Oxalá und Ogum.
Oxalá ist der Gott des Friedens, der Harmonie und der Gerechtigkeit. Er wird in der
Gruppe mit Gandhi gleichgesetzt. Ogum ist der Orixá der Aktion, des Kampfes, der
offenen und direkten Wege und gilt als Symbol des Widerstandes und des Aktionsgeistes
der Mitglieder des Afoxé 105 . Das Kostüm entstand aus einem Bettlaken, das um die Taille
mit einem Seil zusammengehalten wurde, und um den Kopf gewickelte Zwiebelfasern als
eine Art Turban. Dazu wurden Holzschuhe getragen, sogenannte 'malandrinhas' 106 . Einige
Jahre später wurde das Kostüm zu seiner heutigen Form geändert:
”Da trança da cebola se transformou num turbante que é uma toalha felpuda,
jogada sobre a cabeça, depois custurada e coloca-se sobre a testa um brocho
que representa a terçeira visão. [...] Depois vem o lençol tamanho casal,
preso as laterais do lençol, em forma de uma camisa de física, sobre o corpo
passa se uma faixa, sobre a cintura carda a queda do tecido em forma de uma
batina, só que tem que dar queda. Alparcata que é o calçada tradicional agora
seguido de uma meia azul. Usamos à esquerda a faixa e à direita nos usamos
uma sacolinha a onde se conduz os pertences das pessoas” (siehe Abb. 22).
Neben diesem ”traje carnavalesco” (karnevaleske Tracht) oder ”traje folclorico”
(folklorische Tracht) wurde ein zweites Kostüm entwickelt, der ”traje social” ('soziale'
Tracht) oder ”traje número dois” (Tracht Nummer zwei) für allgemeinere Anlässe.
Hierbei wird das Laken weggelassen, und die Mitglieder tragen ein mit dem Thema des
Jahres bedrucktes T-Shirt, in die weiße Hose gesteckt; dazu wird ein weißer Gürtel
getragen 107 .
Die Filhas d'Oxum kleiden sich ebenfalls in den Farben 'ihres' Orixás: in gold und gelb.
Die einfarbigen oder mit für Oxum charakteristischen Symbolen bedruckten Tücher
werden nach afrikanischen Mustern getragen 108 (siehe Abb. 20).
”Nos usamos kangas, amarrações, como as Africanas antigamente usavam.
Nos amarramos o tomo no corpo sem costura, quer dizer algumas costuram,
105 Tio Souza, 10.2.1999.
106 Der Ausdruck kommt von dem Wort 'malandro' (Gauner) und bezieht sich darauf, daß diese Schuhe
von der Bevölkerung der unteren Schicht getragen wurde.
107 Tio Souza, 10.2.1999.
108 In der Regel beziehen sich die Afoxés auf kein bestimmtes afrikanisches Land, sondern auf
verschiedene Vorbilder.
61

outras não, assim as que são mais idosos, que querem uma coisa mais segura
pra não cair na rua, mas a moçada geralmente amarra”.
Rosângela Guimarães betont, daß die Kostüme durch Vorbilder aus Afrika inspiriert
werden 109 und nicht durch den Candomblé, da die Kleidung hier nach europäischen
Vorlagen gestaltet wurde (siehe Kapitel III.3). Der Afoxé Korin Efan orientierte sich
dagegen im Karneval 1999 zu seinem Thema 'Festa das iabás' (Fest der iabás, der
weiblichen Orixás) an der Kleidung des afro-brasilianischen Kultes (siehe Abb. 21).
Da bei den Filhas d'Oxum nur Frauen als Mitglieder zugelassen sind, besteht für Männer
die Möglichkeit, ein T-Shirt zum Thema des Jahres zu erwerben und am Umzug
teilzunehmen. Auch für Frauen, die nicht dem Afoxé angehören, besteht die Möglichkeit
der Teilnahme: für 100 R$ kann ein Kostüm als eine Art Eintrittskarte gekauft werden 110 .
Auch die Kostüme der anderen Gruppen, die fast alle von den Afoxés selbst hergestellt
werden, können käuflich erworben werden und machen so eine Teilnahme am Umzug
möglich.
Der Afoxé Badauê weicht von den üblichen Schemata ab. Zwar werden auch hier
konstant die drei Farben der Orixás Ogum, Oxum und Oxalá verwendet, blau, gelb und
weiß, doch variieren die Art und Form des Kostüms von Jahr zu Jahr (Risério 1981: 65).
2.1.8 Sozialer und religiöser Einsatz
Die Afoxés verstehen sich nicht als rein karnevalistische Gruppe. Durch ihre Bindung an
den Candomblé haben sie weite kulturelle und edukative Aufgabenbereiche. Diese
beginnen innerhalb ihrer eigenen Gruppe, durch das Unterrichten der Tänze, der Musik
und auch der geschichtlichen Traditionen. Tio Souza beschreibt die pädagogischen
Aufgaben der Filhos de Gandhy folgendermaßen:
”No Gandhy, além do seu lado carnavalesco, além do seu lado cultural nós
temos o nosso lado social, de ação social. Temos o projeto Gandhy Mirim,
que é um trabalho todo elevoltado para a formação da criança no seu contexto
cultural, religioso, sobretudo profissionalisante, a cima de tudo a formação
educational”.
Die Kinder werden in Bereichen unterrichtet, die von Informatik bis zur Yoruba-Sprache
reichen 111 .
109 Diese Vorbilder werden meist Büchern und Zeitschriften oder dem Fernsehen entnommen. Wenige
Gruppen, wie der Bloco afro Ilê Aiyê, haben die Möglichkeit, sich vor Ort in Afrika zu informieren
(siehe auch Kapitel IV.2.2.5).
110 Rosângela Guimarães, 6.2.1999.
111 Tio Souza, 10.2.1999.
62

Rosângela Guimarães sieht die Aufgaben eines Afoxé darin, daß er die afro-
brasilianische Kultur erhält:
”A nossa função é realmente preservar e divulgar a cultura de origem afrobrasileira,
então a gente faz tudo para se preserve a dança, o canto, a
endomentália, as micandas e até a propria arte botando o trançado no cabelo
na arrumação de todos, para que não se perca a caracteristica. Eu tenho muito
medo que a globalização venha destruir muita coisa” 112 .
Auch innerhalb eines Jahresablaufs beschränken sich die Aktivitäten der Afoxés nicht auf
die Periode des Karnevals. Obwohl dieses Fest für einige Gruppen das wichtigste
Ereignis des Jahres darstellt 113 , orientieren sich andere Afoxés eher an den religiösen
Inhalten und stellen die Feste der Orixás an vorrangige Stelle 114 . Besonders die Filhos de
Gandhy sind bei vielen afro-brasilianischen Feiern vertreten 115 . Die größten und
wichtigsten Feste sind hier die Waschung der Bonfim-Kirche ('Lavagem do Bonfim') im
Januar und das 'Festa de Iemanjá' am 2. Februar. Bei der lavagem werden die
Eingangsstufen der Kirche von Candomblé-Anhängerinnen gewaschen. Die Bonfim-
Kirche gilt als Kirche Oxalás, entsprechend handelt es sich bei dem Fest um eine
Reverenz-Erweisung für den Orixá. Das Wasser für die Waschung wird von den filhas-
de-santo in einer mehrstündigen Prozession von der 'Igreja da Nossa Senhora da
Conceição da Praia' in der Cidade Baixa (Unterstadt) bis in den Stadtteil Bonfim getragen
(Abb. 23). Das Fest stellt neben dem Karneval das größte Ereignis Salvadors dar 116 ,
wodurch auch der Stellenwert der afro-brasilianischen Religion im brasilianischen Leben
deutlich wird. Bei dem 'Festa de Iemanjá' werden der Göttin des Meeres von
hunderttausenden Menschen am Strand von Rio Vermelho Blumen und Geschenke
dargebracht, die in einer großen Schiffsprozession aufs Meer hinausgefahren und dort
versenkt werden (Abb. 24). Doch nicht nur die religiösen Feste werden durch die Afoxés
begleitet. Die Filhos de Gandhy bezeichnen sich als ”percurso de paz” (Friedensmarsch)
auf allen Ebenen:
”O Gandhy cumpre no seu dia à dia todas as actividades, seja ele no contexto
religioso, cultural, folclorico e cívico. Estamos sempre abre com qualquer
típo de apresentação, seja em congresso, seminares, eventos dos mais
112
Rosângela Guimarães, 6.2.1999.
113
Dies gilt zum Beispiel für die Filhos de Gandhy und Korin Efan (Tio Souza, 10.2.1999, Edson
Vergue de Assis, 5.2.1999).
114
Das wichtigste Fest für die Filhas d'Oxum ist das Fest für Oxum im Oktober. Doch auch der Karneval
nimmt einen hohen Stellenwert ein, da er es ermöglicht, die Persönlichkeit Oxums zu präsentieren
und ihren Namen zu verbreiten (Rosângela Guimarães, 6.2.1999).
115
Vgl. auch Jeane Borges - ”Atabaques tocam em Itapuã”, in: Tribuna da Bahia, 25.1.1991.
116
1999 nahmen daran etwa 400.000 weißgekleidete (weiß ist die Farbe Oxalás) Menschen teil (A
Tarde, 18.1.1999).
63

2.2 Blocos afro
diversos sentidos. Tanto faz, local, nacional com internacional” 117 .
2.2.1 Zur Entwicklung der Blocos afro / ”de índio a negro” 118
Die Blocos afro entstanden in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts, als sich das
politische Klima in Brasilien zu wandeln begann und aus den USA die Wirkungskreise
des ”black consciousness movement” bekannt wurden. Die Blocos afro boten den
Schwarzen innerhalb des Karnevals eine Möglichkeit zur Identifikation, die ihnen,
abgesehen von den religiös determinierten Afoxés, vorher nur durch die Ende der 60er
Jahre entstandenen blocos de índio gegeben war. Während dieser Jahre dominierten die
escolas de samba, transformiert aus den batuques und cordões, noch den baianischen
Karneval. Aus diesen entstanden sogenannte 'blocos de embalo' (embalo=Wiegen,
Schwingen), deren primäres Ziel es war, sich ohne den finanziellen und organisatorischen
Aufwand einer Samba-Schule im Karneval zu amüsieren (Godi 1991: 52). Diese blocos
waren folgendermaßen strukturiert:
”[...] um grande número de pessoas, geralmente do mesmo bairro, vestindo
fantasias iguais, a cantarem e sambarem músicas originais, ao som de uma
bateria típica de escola de samba” (ebd. 1991: 53).
Mit dem bloco carnavalesco Caciques do Garcia (Häuptlinge aus Garcia) als Kopie der
Karnevalsgruppe Caciques de Ramos aus Rio entstand die Assoziation mit
nordamerikanischen Indianern eher zufällig. Ein eindeutiger Bezug war erst bei dem
zweiten bloco de índio ersichtlich, den Apaches do Tororó. Diese Gruppe wurde im
Zuge der bestehenden Rivalitäten zwischen den Stadtvierteln Garcia und Tororó
gegründet, um bei dem Gruppenkontingent mitzuhalten. Bei der Namensgebung war
ausschlaggebend, einen ”nome bonito e pertencente a uma tribo indígena, considerada
forte” zu finden (ebd. 1991: 56/57). Zum ersten Mal vertraten Karnevalsgruppen eine
sozial und ethnisch bestimmte Schicht, nämlich schwarze Jugendliche der unteren
Klasse 119 . Die weitgehend arbeitslose und arme Bevölkerung der Stadtviertel schloß sich
der wachsenden Zahl dieser blocos an, zu deren Gunsten die escolas de samba in den
70er Jahren verschwanden (ebd. 1991: 53).
117 Tio Souza, 10.2.1999.
118 übernommen aus dem Titel von Godi 1991.
119 Das Alter der Gründer und Mitglieder der blocos de índio lag bei 17 bis 25 Jahren (Godi 1991: 56).
64

Mit Gründung der ersten Blocos afro Mitte der 70er Jahre gewannen afrikanische Themen
an Bedeutung und verdeutlichten sich auch in den blocos de índio. Laut Godi fand hier
eine Synkretisierung der nordamerikanischen Indianer mit der indigenen Bevölkerung
Brasiliens statt. Der Wunsch nach Rückbesinnung auf die eigenen kulturellen Wurzeln
schloß die Ansicht der brasilianischen Indianer als erste Bewohner des Landes mit ein.
Die Figur des caboclo wurde in die Karnevalseinheiten integriert, nachdem sie schon in
den congadas aufgetaucht war und bei anderen Festen als 'nationale Identität' eine
bedeutende Rolle spielte (Godi 1991: 57) 120 .
Die Kostüme und Motive der meisten blocos de índio waren jedoch durch
nordamerikanische Indianer inspiriert, die ihnen in Hollywood-Farben durch Filme von
John Ford und anderen US-amerikanischen Filmemachern in Brasilien präsentiert
wurden. Als ebenfalls marginalisierte Ethnien, Opfer des Kolonialismus und von den
Weißen Verfolgte und Unterdrückte konnten sich die Afro-Brasilianer mit den indigenen
Gruppen der USA identifizieren (Risério 1981: 67). Das rebellische und teilweise
aggressive Auftreten der blocos de índio veranlaßte die baianische Mittelschicht, eine
Parallele von den aus weißer Sicht gefürchteten Indianern des 'Wilden Westens' zu den
von ihnen selbst gefürchteten Schwarzen der proletarischen Viertel zu ziehen. Der Begriff
'índio' bekam einen besonderen Sinn im alltäglichen Vokabular: ein gebräuchlicher
Ausdruck war ”cê vai no Tororó?, cuidado, lá é terra do índio”. Dieser Hinweis, daß der
Stadtteil Tororo als 'Gebiet der Indios' gefährlich sei, wurde oft mit dem Rat verbunden,
die Autofenster zu schließen, damit man keinen Pfeil abbekäme (ebd. 1981: 68).
Dieses negative Image war mit ein Grund, weshalb Mitte der 70er Jahre die ersten
Blocos afro entstanden, mit denen den Schwarzen eine Alternative zur Teilnahme am
Karneval geboten wurde. Doch vor allem wurden die schwarzen Jugendlichen durch zwei
Pole beeinflußt: die politischen Bewegungen der Schwarzen in den USA, deren Einflüsse
sich besonders in São Paulo und Rio niederschlugen (siehe Kapitel V.1.5), und die
Ereignisse in Afrika, wo die Unabhängigkeitskämpfe mehrerer Kolonien Erfolge erzielten
und die Herrschaftsdomäne der Weißen sich auflöste. Zudem spielte der kulturelle
Widerstand in den Candomblés 121 eine Rolle, der sich auch in der Wiederauferstehung
und Neugründung vieler Afoxés verdeutlichte (Silva 1995: 108).
120 ”No candomblé de caboclo e no 2 de Julho [am 2. Juli 1823 wurde Bahia unabhängig, Anm. d. A.], o
negro buscava uma identidade 'nacional' num pais que lhe negava cidadania plena, num mundo onde
continuava estrangeiro” (Godi 1991: 57).
121 Am 15.1.1976 unterschrieb der Gouverneur von Bahia ein Dekret, das den Candomblé offiziell
anerkannte und damit von der bisherigen polizeilichen Kontrolle entband (Albenísio Fonseca (Ed.),
65

Am 1. November 1974 wurde der erste Bloco afro, Ilê Aiyê 122 , von schwarzen
Jugendlichen in Liberdade, Salvadors größtem Viertel mit überwiegend schwarzer
Bevölkerung, gegründet. Die Gruppe repräsentiert somit den Moment, in dem der
”carnaval indígena” zum ”carnaval afrobrasileira” transformierte (Risério 1981: 38). Die
Gründer kamen aus einer Gruppe, die sich ”A Zorra” nannte und Ausflüge,
beispielsweise an Strände außerhalb der Stadt, organisierte. Bei den gemeinsamen
Treffen entstand die Idee, einen Karnevals-bloco zu gründen. Der zunächst gewählte
Name 'Poder Negro' ('Black Power', schwarze Macht) wurde aber als öffentlicher
Ausdruck 'aufrührerischer Ideen' nicht von den Organisatoren des Karnevals akzeptiert
(Ilê Aiyê 1989: 36). Der Belgier Radovan B. Javice stellte der Gruppe Literatur über die
afrikanischen Kulturen zur Verfügung und lieferte den Vorschlag, die Gruppe 'Ilê Aiyê'
(übernommen aus einem Yoruba-Wörterbuch) zu nennen (Silva 1988: 280). Im Gegenzug
zu vielen weißen Karnevalsgruppen, die den Schwarzen die Teilnahme verweigerten,
war Ilê Aiyê die erste Gruppe mit ausschließlich schwarzen Mitgliedern 123 .
”To show that their project had nothing to do with nostalgia or folklore, the
directors of Ilê Aiyê established a racial policy which paralleled that of the
exclusively white trios elétrico” (Dunn 1992: 14).
Ihr erster Auftritt im Karneval 1975 löste eine Welle von Protesten in den Reihen der
weißen Bevölkerung aus, und in den Zeitungen wurde der bloco als ”Bloco do Racismo”
bezeichnet, der ein ”feio espetáculo” (häßliches Spektakel) präsentierte (A Tarde,
12.2.1975, zit. in Gomes 1989: 179).
”Além da imprópria exploração do tema e da imitação norte-americana,
revelando uma enorme falte de imaginação, uma vez que em nosso país existe
uma infinidade de motivos a serem explorados, os integrantes do 'Ilê Aiyê' -
todos de cor - chegaram até a gozação dos brancos e das demais pessoas que
observavam no palanque oficial” (ebd.).
Wie es rund 70 Jahre zuvor mit den schwarzen Karnevalsclubs geschehen war (siehe
Kapitel III.4.2.1), so wiederholten sich nun die Vorwürfe der Denunziation von weißer
Seite aus. Durch die Behandlung ausschließlich afrikanischer und afro-brasilianischer
Themen und der öffentlichen Verurteilung der bestehenden Verhältnisse widersprach der
Revista Carnaval, o guia da folia, Ano 2, No. 1, Janeiro de 1993, Seite 2).
122 Laut Risério heißt 'Ilê' 'Haus, Tempel' und 'Aiyê' bedeutet 'unsere Welt', beziehungsweise in diesem
Zusammenhang 'unsere schwarze Welt' (Risério 1981: 13). Andere Autoren (Vieira, Hamilton in: A
Tarde 24.4.1990, Caderno 2, Seite 3, Dunn 1992: 14) übersetzen 'Ilê Aiyê' mit 'house of life'
beziehungsweise 'casa da vida'. Interessant ist hier der Terminus 'ilu aiyê', der sich bei Carneiro
findet und den er mit 'terra da vida' übersetzt. Mit diesem Ausdruck bezeichneten die Sudanesen in
Bahia ihre afrikanische Heimat (1991: 23).
123 Vielfach wird der Ausschluß der Schwarzen aus den weißen blocos als Grund genannt, weshalb Ilê
Aiyê als rein schwarze Karnevalsgruppe gegründet wurde. Die prinzipielle Absicht lag jedoch darin,
die schwarze Kultur und Afrika zu ehren, was als reines Anliegen der Schwarzen galt (A Tarde,
66

loco dem herrschenden Bild der Rassendemokratie 124 (Dunn 1992: 15). Doch aus
denselben Gründen wurde er Vorbild für viele folgende blocos, die das aufkommende
schwarze Selbstbewußtsein auf die Straße trugen und öffentlich demonstrierten.
2.2.2 Die Umzüge
Das Hauptgeschehen des Karnevals findet auf den circuitos im Zentrum Salvadors statt.
Doch auch in den verschiedenen Vierteln, in denen die blocos beheimatet sind, werden
diese in hohem Maße gefeiert. Während dort noch Ende der 70er Jahre der Karneval
'heißer als im Zentrum' (”mais quente que no centro”) gefeiert wurde und die blocos nur
für die Beurteilung durch die Jury des Wettbewerbes in die Stadt zogen (Barreto 1979:
3), ist es heute eher umgekehrt. Die Blocos afro beginnen ihren Umzug in ihren
Wohnvierteln und defilieren bis zu den offiziellen Karnevalsstrecken der Stadt. Dabei
bildet die Musikgruppe, die bateria (siehe Kapitel IV.2.2.5), den Hauptteil der Gruppe,
begleitet von einem trio elétrico mit elektronisch verstärkten Instrumenten. Eine weitere
Abteilung ist die der Tänzer, oft begleitet von einem Wagen, auf dem die
Karnevalskönigin (siehe Kapitel IV.2.2.6) tanzt (siehe Abb. 25). Der am 23.3.1979
gegründete Bloco afro Malê Debalê galt dabei als erste Karnevalseinheit dieser
Kategorie, die eine solche Tanzgruppe auf die Straße brachte 125 .
Die Hundertjahrfeier der Abschaffung der Sklaverei in Brasilien 1988 war ein
Wendepunkt im Ansehen der Blocos afro. Bis dahin war der carnaval da participação
geteilt: tagsüber beherrschten die trios elétricos und die weiße Mittelschicht das
Stadtgeschehen, und erst abends bestimmten die blocos die Ereignisse im Zentrum. Zu
Beginn der 80er Jahre reagierte die kommerzielle Musikindustrie auf die aufkommende
Popularität der afrikanisch determinierten Karnevalsgruppen und nahm 1982 erstmals
Lieder von Blocos afro auf, gespielt von einem trio mit elektronisch verstärkten
Instrumenten (Moura 1987: 19). Die Popularität der trios elétricos hing im Wesentlichen
von der Popularität ihrer Lieder ab, die kommerziell aufgenommen und durch das Radio
verbreitet wurden (Gerischer 1996: 36). Dagegen wurde der Erfolg der Blocos afro bei
den wöchentlich stattfindenden öffentlichen Proben entschieden, bei denen auch die
beliebtesten Lieder für den Karneval ausgewählt wurden (Moura 1987: 18). Die blocos
5.2.1993).
124 siehe Kapitel V.1.3
67

de trio nahmen bald Stücke der Blocos afro in ihr Repertoire mit auf, da der ruhigere
Samba-Reggae (siehe Kapitel IV.2.2.5) im Gegensatz zum bisher gespielten frevo auch
weniger die Aggressionen des Publikums anheizte.
”[...] os ritmos afros, tomados de empréstimo sem aviso prévio,
representaram 90% das músicas dos blocos de trio, que compreenderam que
o samba-reggae é o único ritmo compatível com um Carnaval de massa, como
é o baiano, pois, sendo 'pianinho', não abre brechas para as violências que se
vê quando entra o ritmo trieletrizado” (Pacheco 1988: 6).
Der Karneval 1988 mit dem Thema der Hundertjahrfeier der Abschaffung der Sklaverei
galt als der Karneval der Blocos afro 126 . Doch trotz ihrer Bedeutung und ihrer
Ankündigung in den Medien (vgl. Lôbo 1988) gerieten sie und die schwarze Bevölkerung
an sich in den Hintergrund. Antônio Carlos Pacheco bezeichnet die Ereignisse als ”des-
Coordenação”, bei der es sogar möglich war, daß in einer Stadt, von deren 2 Millionen
Einwohnern 1,6 Millionen schwarz sind, zum Thema ”Bahia de Todas as Áfricas” eine
blonde Karnevalskönigin gewählt wurde (1988: 6). Zudem war der Karneval zeitlich so
schlecht organisiert, daß die Blocos afro erst in den frühen Morgenstunden vor dem
ermüdeten Publikum auftreten konnten 127 . Als einziger Bloco afro griff die 1979
gegründete Gruppe Olodum energisch durch,
”[...] dando um belíssimo espectáculo, depois de fazer calar os trios que
estavam na área. Pela primeira vez um bloco afro consegue isso” (Pacheco
1988: 6).
Olodum waren es auch, die als erster Bloco afro 1988 auf dem circuito in Barra, einem
überwiegend von wohlhabenderen Weißen bewohnten Stadtteil, in dem sich auch die
großen und teuren Touristen-Hotels befinden, spielen durften (A Tarde 17.1.1988). Heute
spielen noch immer die meisten Blocos afro nur auf dem circuito Osmar und im
Historischen Zentrum. Ausnahmen hierbei bilden einige der größten und bekanntesten
blocos wie Olodum, Ara Ketu, und Cortejo Afro, die sich mit zunehmend unpolitischen
Texten vielfach auch dem Publikum des Nobel-Viertels Barra angepaßt haben (vgl.
Gerischer 1996: 46,101-104).
Doch so verschieden die Kategorien auch sind, von ihrer Struktur her scheinen sie sich
seit einigen Jahren anzugleichen. Bereits 1978 war in den Zeitungen von der Integrierung
der trios elétricos in die blocos zu lesen (A Tarde, 28.1.1978) 128 .
125 Pressemitteilung des bloco zum Karneval 1994.
126 In dieser Kategorie hatten sich 19 Gruppen gemeldet, mehr als je zuvor und größtenteils gegründet
zwischen 1984 und 1987 (Gerischer 1996: 39).
127 Es gab zwar einen Erlaß, nach dem die blocos de trio nicht mehr nach 19.30 Uhr durch die Straßen
ziehen sollten, doch hielt sich niemand daran (vgl. Pacheco 1988: 6; A Tarde 17.1.1988: 2).
128 Barreto bezeichnete dies 1979 als ”uma página triste” des baianischen Karnevals: ”Os trios elétricos
estão se tornando propriedades de alguns blocos que, eliminando a bateria acham mais vantajosa a
68

Von den dreißig trios, die am Karneval teilnahmen, zogen nur noch sechs unabhängig von
den blocos durch die Straßen (ebd.). Und ebenso wie die trios von den großen Blocos
afro heute nicht mehr wegzudenken sind, hat sich das Element der corda durchgesetzt.
Dieses von den cordões übernommene Abgrenzungsseil bildet laut Moura einen Rahmen,
in dessem Inneren sich der bloco ungestört austoben kann, und durch das er von dem Rest
der Menge und ihrem Druck geschützt ist (1996: 176). Moura sieht zudem einen
Bedeutungswandel der corda: während sie bis in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts als
Zeichen der Zusammengehörigkeit und sichtbare Umrahmung einer kollektiven Identität
galt, funktionierte sie in den folgenden dreißig Jahren als Schutz der blocos (und vor
allem ihrer weiblichen Mitglieder) der Mittelklasse vor der 'bedrohlichen Menge' der
unteren Gesellschaftsschicht. Durch die Übernahme der corda durch die Blocos afro seit
Beginn der 80er Jahre eroberte sie sich einen Platz innerhalb dieser 'bedrohlichen
Menge', und so wurde derem Wunsch entsprochen, in der Mitte des Festes teilzunehmen.
Das anhaltende Eifern um das Recht, die Straßen zu besetzen, führte zu einer
Identifizierung der Einnahme physischen Raumes (Straße) mit der Einnahme politischen
Raumes (Moura 1996: 176).
2.2.3 Organisation / Finanzierung
Während die Blocos afro als schwarze Jugendbewegung innerhalb jeweils eines
Wohnviertels angefangen haben, stellen sie heute komplexe Organisationen dar, deren
Mitglieder aus verschiedenen Stadtteilen kommen. Noch immer bestimmen die unteren
Schichten das Bild der Teilnehmerschaften, doch differenzieren sich die Blocos afro
einerseits in große bekannte Gruppen und andererseits in kleinere blocos mit finanziellen
und organisatorischen Schwierigkeiten (Gerischer 1996: 40).
Im Gegensatz zu den Afoxés, die wie Vereine mit gewählten Ämtern strukturiert sind,
können die Blocos afro mit Unternehmen in Familienbesitz verglichen werden. Der Erfolg
eines bloco färbt auf den Präsidenten ab und verschafft ihm Ansehen und Macht, weshalb
er oft jahrelang oder auf Dauer in seinem Amt bleibt 129 .
concentração de um deles. Assim os trios tocam para poucos, deixando muitos no asfalto esperando
os poucos que restam” (1979: 3).
129 So ist Antônio Carlos dos Santos, bekannt als 'Vovô', seit Gründung von Ilê Aiyê Präsident des bloco,
genauso wie Vera Lacerda mit der Unterstützung ihrer Familie seit dem Beginn 1980 Präsidentin von
Ara Ketu ist. Und selbst die demokratisch gewählten exekutiven Direktoren von Olodum sind seit der
Umstrukturierung 1983 dieselben sieben Personen (Gerischer 1996: 42). Zur Kritik an diesen
69

Doch große Gruppen wie Olodum haben auch mit organisatorischen Schwierigkeiten zu
kämpfen. 1979 von Bewohnern des Maciel/Pelourinho gegründet, entwickelte sich
Olodum schnell von einer Karnevalsgruppe zu einem Konglomerat sozio-kultureller
Aktivitäten in einem internationalen Zusammenhang 130 . Aufgrund von organisatorischen
und finanziellen Schwierigkeiten konnte der bloco 1983 nicht am Karneval teilnehmen.
Daraufhin folgte eine komplette Umstrukturierung, und Olodum transformierten zur 'Grupo
Cultural Olodum' nach Art einer Holding-Gesellschaft 131 .
Unabhängig von seiner Größe schafft ein Bloco afro neben Prestige auch Arbeitsplätze,
sei es durch die Herstellung und den Verkauf der Kostüme und einzelner Kleidungsstücke,
die Tanz- und Trommelschulen oder den Vertrieb und die Präsentation der Musik. Aus
diesen Quellen kommt auch ein Teil des Geldes, das die Gruppe bestehen läßt. Doch der
Großteil für die Kostüme, die trios, die Sicherheitskräfte, die hygienische und ärztliche
Versorgung muß von Sponsoren, in erster Linie politischen Parteien, getragen werden -
obwohl gerade die großen Gruppen ihre finanzielle Unabhängigkeit beteuern. Mit ihrer
Popularität unterstützen die blocos ihrerseits die Wahlen und andere Kampagnen der
Politiker (Gerischer 1996: 42). Doch selbst die großen Blocos afro finden nicht immer
einen Sponsor. So mußte die 1980 entstandene Gruppe Ara Ketu (”Volk aus Ketu”) 1993
auf die Teilnahme am Karneval verzichten, da die benötigten 79.200 U$ nicht aufgebracht
werden konnten (allein die Miete des trio und die Herstellung der Kostüme hätten 50.000
U$ gekostet) 132 .
In einem Interview mit Christian Walger (1993a: 16) betonte der Direktor von Olodum,
João Jorge Rodrigues, die finanzielle Unabhängigkeit des bloco von der brasilianischen
Regierung und die daher benötigte Solidarität und Kooperation von Brasilianern und
Nicht-Brasilianern auf musikalischer, politischer und kultureller Ebene. Für den Bloco
afro spielt die große Bandbreite der Einkommensquellen eine wichtige Rolle:
”[...] o dinheiro do gueto circula apenas uma vez no gueto. O dinheiro da
sociedade circula dez vezes antes de ir para algum lugar. [...] A luta da
cultura tem que ser para trazer riquezas” (Rodrigues 1996: 138).
Dieses Streben nach Reichtum im Zusammenhang mit sozialem und politischem
Machtverhältnissen innerhalb der Blocos afro siehe auch Franco (1986). Olodum bestanden 1996
aus 7 exekutiven Direktoren, 17 administrativen Direktoren, einem Rat mit 13 Personen, 200
Männern in der banda, 9 Sängern und 3100 Mitgliedern (Rodrigues 1996: 138).
130 ”[...] um conglomerado de atividades culturais de cunho sócio-comunitário, com projeção
internacional” (Marcelo Dantas, in Rodrigues 1996: 35).
131 ”[...] essa holding tem como empresa-mãe o Grupo Cultural Olodum - entidade sem fins lucrativos -
que possui o comando, através de sua estrutura de decisão - a Diretoria Executiva. dessa entidade
central surgem duas vertentes do Olodum: a Fundação Olodum (sem fins lucrativos) e o Bloco
Olodum (empresa)” (Marcelo Dantas, in Rodrigues 1996: 36).
70

Engagement wird jedoch vielfach verurteilt 133 . Insgesamt läßt sich die Tendenz erkennen,
daß die Popularität der blocos in dem Versuch resultiert, diesen in kommerziellen Erfolg
umzusetzen. Dies hat zur Folge, daß die Gruppen sich an den Teilen der Bevölkerung
orientieren, die kaufkräftig sind: der hellhäutigen Mittelschicht, dem Barra-Publikum und
den Touristen. Und trotzdem bleiben sie mit ihren ”kulturellen und ökonomischen
Erfolgen ein Vorbild für Afro-Brasilianer, insbesondere für schwarze Jugendliche, denen
ein konkreter Weg der Ausbildung und Befähigung bis zum professionellen Erfolg
vorgelebt wird” (Gerischer 1996: 45).
2.2.4 Zielsetzung / Ausrichtung der Blocos afro
Die Blocos afro verstehen sich als Gruppen mit sozialen und politischen Zielen im Kampf
gegen die Diskriminierung der Schwarzen. Sie wollen das Leben in ihren Vierteln
verbessern, einerseits indem sie Arbeitsplätze schaffen, zum anderen auf der Ebene der
Bildung. Dies geschieht nicht nur durch den informativen Charakter der Liedtexte,
sondern ebenso durch angebotene Seminare und Unterrichtseinheiten (siehe Kapitel
IV.2.2.8). Die Blocos afro dienen als Anlaufstelle und Bezugspunkt sowie als positives
Vorbild für die schwarzen Jugendlichen. Die Musik ist ihr primäres Medium, um die pan-
afrikanischen Ideale der Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit zu verbreiten und publik
zu machen (Brito 1991: 7). So meint Vera Lacerda, Präsidentin von Ara Ketu: ”Somos
eternos lutadores. Nosso trabalho é de resistência e luta” (zit. in Barreto 1991: 3). Der
Bloco afro Olodum gilt als politischste Gruppe seiner Kategorie und als 'kultureller
Katalysator' mit der Fähigkeit, verschiedene Rassen zu vereinen 134 . Der von ehemaligen
Olodum-Mitgliedern gegründete bloco Muzenza hat sich den jamaikanischen Reggae-
Musiker Bob Marley und seine Ideale von Gleichheit und Widerstand zum Vorbild
genommen. Dies drücken die Mitglieder sowohl durch ihre Reggae-Musik als auch durch
ihr Äußeres (Haartracht, Kostüme) aus (vgl. Abb. 26).
Trotz gemeinsamer Ziele gibt es unterschiedliche Schwerpunkte in der Arbeit der blocos
- sei es die politische Richtung von Olodum, die kulturelle, afro-brasilianische
132 Pressemitteilung von Vera Lacerda, Präsidentin von Ara Ketu, vom 10.2.1993.
133 Vgl. A Tarde 4.6.1993; A Tarde 10.6.1993 zit. in Rodrigues 1996: 217-219; Gerischer 1996: 45.
1994 verstrickten sich Olodum zudem in einen Skandal, demzufolge einer der Direktoren
erwiesenermaßen mehrere Tausend US-Dollar unterschlagen hatte (Rosa 1994: 1).
134 ”Seu paradigma é pós-utópico porque não acredita numa reino de lantejoulas oba-oba estilo escola de
samba, mas na luta pela igualdade” (Giron 1990: 4).
71

Zielsetzung von Ara Ketu oder das Thema der Schwarzenbewegung und das Lob der
eigenen Rasse bei Ilê Aiyê (vgl. A Tarde 20.2.1990). Nicht nur das politische
Engagement kennzeichnet die Arbeit der Blocos afro. Wie die Afoxés haben viele
Gruppen einen aktiven Bezug zu den Candomblés der Stadt. Viele Mitglieder des bloco
Ilê Aiyê sind filhas oder filhos-de-santo oder auf andere Art mit einer Kultstätte
verbunden. Vor Antritt des Karnevals führen auch sie ein padê durch, mit dem der
offizielle Auszug der Gruppe verkündet wird. Ausgeführt wird dieser von Mãe Hilda
Santos, der Mutter des Präsidenten von Ilê Aiyê, Antônio Carlos dos Santos, genannt
'Vovô'. Sie ist ialorixá des Candomblé 'Ilê Axé Jitolu' in dem Stadtteil Curuzu, wo der
bloco seinen Sitz hat.
”[...] Mãe Hilda, ao som de músicas do bloco, deu início ao ritual em
homenagem a Oxalá, com pipocas, água e farinha. O ponto máximo foi a
soltura dos pombos por Mãe Hilda e Vovô, simbolizando a paz. Logo depois
os foguetes marcaram a saída oficial do bloco” (A Tarde, 17.1.1988).
Die Opferung bezeichnet Vovô als Verpflichtung - trennt diese jedoch strikt von dem
eigentlichen Karneval. ”Na rua é só carnaval e é só carnaval mesmo” (zit. in Risério
1982: 58).
Eine weitere Zielsetzung von Ilê Aiyê ist die Verbesserung des Ansehens schwarzer
Frauen. Die ”Mãe Preta” (schwarze Mutter), die sowohl in den Liedern besungen als
auch in kulturellen Veranstaltungen thematisiert wird, gilt als Symbol für den Protest
gegen ein paternalistisches und autoritäres System, für die Mutterschaft und Achtung der
Familie, für die afro-brasilianischen Traditionen, vor allem in der Position der mães-de-
santo, der Kultleiterinnen, sowie als Verkörperung eines neuen Schönheitsideals (Agier
1996: 197-203).
2.2.5 Zur Musik
Die Musikgruppe eines Bloco afro, die bateria, besteht aus unterschiedlichen Trommeln
und Perkussionsinstrumenten. Während die Instrumentierung der Afoxés in erster Linie
afrikanisch geprägt ist, findet sich bei den Blocos afro ein deutlicher Einfluß von
Instrumenten europäischer Traditionen, vor allem der Militärmusik. Am stärksten
vertreten sind die surdos, große zylindrische, zweifellige Baßtrommeln 135 , die mit ihrem
tiefen, dumpfen Klang ('surdo' bedeutet im Portugiesischen auch 'dumpf', 'taub') den
135 Es gibt meist drei unterschiedlich große surdos, mit Plastikfellen bespannt, die mit Gurten
72

Rhythmus der blocos bestimmen und charakterisieren (Gerischer 1996: 54) (siehe Abb.
26). Ein rhythmischer Klangteppich wird durch die caixas (port. 'Kiste') erzeugt. Hierbei
handelt es sich um zweifellige Rahmentrommeln, die der 'snare' eines Schlagzeugs
entsprechen 136 . Die repique oder repinique, eine kleinere zweifellige, zylindrische
Trommel, ist das Soloinstrument einer bateria. Da sie mit zwei vaquetas (dünnen
Holzstöcken ähnlich den agdavis) gespielt und so ein hoher, durchdringender Ton erzeugt
wird, markiert sie zudem den Anfang, den Schluß und die 'breaks' eines Stückes (ebd.
1996: 55). Weitere charakteristische Instrumente sind die timbales (zwei bis vier
einfellige Rahmentrommeln kubanischer Herkunft mit unterschiedlicher Größe und
Tonhöhe), die agogô und die timbal oder timbau 137 . Dieses zuletzt genannte Instrument
wurde von dem Perkussionisten, Komponisten und Gründer der Gruppe Timbalada,
Carlinhos Brown (Antônio Carlos Santos de Freitas), in den baianischen Karneval
integriert. Eigentlich ein Instrument aus dem Süden des Landes, das im Sitzen gespielt
wurde, hängte sich Brown die timbal mit einem Gurt um und übertrug auf sie die
Spieltechnik der atabaques aus der nação Angola, mit zwei Händen und ohne Stöcke.
Der Musiker wollte die Kraft und Ausdrucksstärke des Instrumentes demonstrieren,
ebenso wie die der Perkussion insgesamt, welche durch den Einsatz elektrischer
Instrumente in den Hintergrund gerückt war. Im Zusammenspiel von etwa 200
Perkussionisten mit noch einigen zusätzlichen Instrumenten gelang es Brown,
verschiedenste Rhythmen zu erzeugen. Diese Vielfältigkeit zeichnet bis heute die 1989
gegründete Gruppe Timbalada aus (Santana 1994: 128/129).
Die Musikrichtung, die für die Blocos afro charakteristisch ist, ist der Samba-Reggae.
Entwickelt wurde dieser von der Gruppe Olodum, beziehungsweise von dem
Perkussionisten, Komponisten und Leiter des bloco, 'Neguinho de Samba' (Antônio Luis
Alves de Souza). Hierbei wurden Elemente der Samba mit solchen der Musikrichtungen
Reggae, Funk, Merengue und Blues verbunden.
”Es ist eine Verschmelzung bahianischer Rhythmen mit der Musik, die wir
hören. [...] Es funktioniert wie bei einem Mixer. Man nimmt alle Rhythmen
und die musikalischen Erfahrungen aus aller Welt und bildet daraus eine
Synthese, erarbeitet eine neue musikalische und kulturelle Haltung” (Bira
umgehängt und mit einem oder zwei Schlegeln gespielt werden (Gerischer 1996: 54).
136 Die caixa wird mit Schlagzeug-Stöcken und nach Schlagzeug-Art gespielt. Sie ist ebenfalls mit
Plastikfellen bespannt; an ihrer Unterseite befindet sich ein Schnarrband, wodurch der Klangteppich
entsteht (Gerischer 1996: 55).
137 Die timbal ist nicht zu verwechseln mit den oben genannten timbales. Sie ist eine lange konische,
einfellige Trommel aus verleimten, gebogenen Sperrholzplatten. Zur ausführlichen Darstellung der
Instrumente und weiteren Instrumentalisierung siehe A Tarde, Caderno 2, 24.2.1994, Seite 8 und
Gerischer 1996: 54-57.
73

Reis, zit. in Walger 1993a: 14).
Mit Beginn der 90er Jahre wurde die 'neue baianische Musik' als Weltmusik ('world
music') gepriesen 138 . Dies stand im Zusammenhang mit der Übernahme des Samba-
Reggaes in das Repertoire der blocos de trio, die die neue afro-brasilianische Popmusik
als ”axé music” bekannt machten. Gefördert wurde dieser Trend vor allem von Künstlern
wie Daniela Mercury, Margareth Menezes und Gerônimo, aber auch durch blocos wie
Olodum oder Timbalada. Die ”axé music” galt als Sybbol der Globalisierung und
repräsentierte das neue internationale Bild Brasiliens, der brasilidade (Moura
1996:181/182) 139 . Der Samba-Reggae avancierte ”zu einem erfolgreichen Exportprodukt
der brasilianischen Unterhaltungsmusik” (Walger 1992: 23). Die
Grundinstrumentalisierung von Olodum blieb jedoch bis heute, zumindest im Karneval
und bei den öffentlichen Proben, reduziert auf Perkussionsinstrumente - nur bei
Studioaufnahmen und nationalen und internationalen Auftritten der Banda Olodum werden
Melodie- und Harmonieinstrumente eingesetzt (Gerischer 1996: 44). Trotz ihrer
internationalen Erfolge betont Rodrigues die Wichtigkeit, an der Heimat Bahia
festzuhalten und bloß eine universelle Sichtweise zu entwickeln 140 .
Doch auch andere Blocos afro entwickelten ihre Musik in eine 'moderne' Richtung. Die
Gruppe Ara Ketu sorgte 1990 für eine Sensation, indem sie ihre bateria als erste Gruppe
durch elektronisch verstärkte Instrumente ergänzte und damit einen Bestandteil des
”african pop” in ihre Musik aufnahm. Die Rhythmusinstrumente wurden durch Trompete,
Saxofon, Keyboard, Gitarre, Schlagzeug und E-Baß unterstützt, und die Gruppe
überschritt somit ”[...] as fronteiras e os limites tênues entre o primitivo e o
contemporâneo” (A Tarde, 20.2.1990) 141 . Ara Ketu suchen ihre Inspirationen in anderen
Rhythmen, die eine ebensolche afrikanische Tradition haben wie die baianischen Lieder,
um daraus eine neue Musik zu entwickeln. Vera Lacerda beschreibt diese als eine
Mischung aus Rhythmen des Candomblé und der Samba mit Rock, Funk, Jazz, Soca,
138 1991 nahmen Olodum an dem Stück ”The Obvious Child” auf der LP ”The Rhythm of The Saints” von
Paul Simon teil, der als 'König der Weltmusik' gefeiert wurde (A Tarde, 3.1.1991). Diese
Zusammenarbeit öffnete dem Bloco afro den Musikmarkt in den USA und Europa, und Simon
verschaffte ihnen internationale Kontakte und Aufträge.
139 Die ”axé music” ist heute die dominierende Musikrichtung der blocos de trio und dadurch des
Karnevals in Salvador.
140 ”Somos um pouco da África independente, do Caribe e dos Estados Unidos, mas muito da Bahia”
(Rodrigues, in Revista do CD, Mai 1991: 21).
141 Mit neuen Musikern an diesen Instrumenten, ”escolhidos a partir da identificação com o trabalho”
hatte der bloco eine neue Band gegründet, denn ”a música de percussão já não satisfazia plenamente
a sonoridade da banda” (Tribuna da Bahia, 15.8.1991).
74

Calypso und ”peul” (eine Art senegalesischer Hip Hop) 142 .
Auch andere Blocos afro elektrifizierten in den folgenden Jahren ihre
Instrumentalisierung, um auf dem kommerziellen Musikmarkt konkurrieren zu können. Der
Bloco afro Muzenza, gegründet 1981 von ehemaligen Olodum-Mitgliedern, folgte 1993
diesem Beispiel:
”Es ist an der Zeit, daß Muzenza eine Arbeit auf der Höhe der Zeit mit dem
Niveau von heute macht. Bloco afro heute ist nicht mehr das, was er einmal
war. Die blocos werden Unternehmen, weil der Karneval sehr kommerziell
wird” (Jorge de Santos, Vize-Präsident von Muzenza, zit. in Gerischer 1996:
48).
Die Gruppe, die sich in ihrer musikalischen Richtung am wenigsten verändert hat, ist Ilê
Aiyê. Ihr Afro-Samba unterscheidet sich laut Gerischer insofern von dem Samba-Reggae
anderer Blocos afro, als sie Samba mit dem Rhythmus ijexá mischen. ”Wie kein anderer
bloco afro fühlt sich Ilê Aiyê den afro-brasilianischen Musiktraditionen verpflichtet. Man
ist stolz darauf, den in Bahia entstandenen Samba zu spielen und nicht den kommerziell
erfolgreicheren Samba-Reggae” (Gerischer 1996: 63). Ihr Ruf, der schönste aller Blocos
afro zu sein, beschert ihm internationale Einladungen. Doch obwohl es schon
professionelle Studioaufnahmen des bloco gibt, hatten Ilê Aiyê bis 1996 noch keinen
Produzenten gefunden - und ohne kommerziellen Erfolg bleiben sie von staatlichen
Subventionen abhängig (ebd. 1996: 49).
Die Texte der Blocos afro behandeln allgemein fünf Themenfelder: die
Schwarzenbewegung und den Rassismus, afrikanische Länder und Kulturen, die afro-
brasilianischen Religionen, legendäre Helden und Ereignisse der brasilianischen
Geschichte, und Selbstdarstellungen des bloco (meist ihre politische Aussage). Im
jeweils ersten Monat nach Karneval treffen sich die Leiter eines bloco und wählen das
kommende Thema aus. Viele Blocos afro, wie Ilê Aiyê, Olodum oder Ara Ketu, wählen
jedes Jahr als Thema ein bestimmtes afrikanisches Land. Von ausgewählten Personen, oft
Historikern, Geographen oder anderen Geisteswissenschaftlern, wird dieses Thema dann
vorbereitet und auf sogenannten apostilhas dargestellt. An diesen oft mehrseitigen
Hintergrundinformationen zum Thema orientieren sich in der Regel die Komponisten der
Karnevalslieder, da sie selbst meist nur wenig Schulbildung haben. Doch trotz der
apostilhas verstricken sich die Texter oft in übertriebene Details der historischen Fakten,
so daß die Lieder wie ”aulas de História mal-assimiladas” klingen (Hagamenon Brito,
zit. in Vieira 1990: 1). Arany Santana des 'Setor de Pesquisas' (Forschungsabteilung) von
142 Pressemitteilung, 10.2.1993.
75

Ilê Aiyê meint:
”[...] o ideal seria que cada bloco promovesse seminários com a orientação
de historiadores, antropólogos, sociólogos e outros profissionais ligados às
Ciências Sociais e às artes” (zit. in Vieira 1990: 1).
Die Lieder der Blocos afro sind vielfach die einzigen Informationen, die die breite
Bevölkerung zu einem afrikanischen Land bekommt, abgesehen von der Seite, die das
Fernsehen vermittelt. Trotz häufiger Fehler und der Vermischung mit nationalen
Themen 143 bleiben die Texte ein wichtiger Identitätsfaktor für die afro-brasilianische
Bevölkerung:
”[...] o que parece predominar é o sentido de identidade étnico-racial que a
arte assume. Não importa a lógica da informação histórico-cultural na
produção artística” (Ericivaldo Veiga, zit. in Vieira 1990: 1).
In vielen Liedern wird humorvoll mit der eigenen Identität umgegangen. Ein Lied des
bloco Alabé - ”Identidade Negra” von Juracy de Jó - aus dem Karneval 1983 (zit. in
Crowley 1984: 32) parodiert zum Beispiel die Stereotype des Afrikaners als
kannibalistischer wilder Mann. Hierbei sorgen vor allem die vielen
Verkleinerungsformen für einen sarkastischen Unterton:
Identidade Negra,
Sou filho de Negra Nago.
Neguinha venha me ver
Sou um Alabé que chegou.
Neguinha, já está na hora
Vamos embora que o povo vai ter.
O Negro já foi pro mato
E ele vai pegar você.
Eu vou virar bicho de mato
Para comer você todinha.
Coma eu painho,
Coma eu mainha.
76
Schwarze Identität,
Ich bin der Sohn einer schwarzen Nagô.
Schwarzes Mädchen, komm, sieh her
Ich bin ein Alabé, der eintrifft.
Schwarzes Mädchen, es ist an der Zeit
Zu gehen und nach dem Volk zu sehen.
Der Schwarze ging bereits in den Wald
Und er wird dich fangen.
Ich werde zu einem wilden Tier
Um dich ganz und gar aufzuessen.
Ich aß Papi,
Ich aß Mami.
Auch werden in den Liedtexten die Vorurteile gegenüber Schwarzen aufgenommen, zum
Beispiel dem Schwarzen als Dieb in den Liedern ”Segure a bolsa” von Ilê Aiyê (J.
143 In dem Lied ”Novidades dos Ifás” von Afreketè (Velho Pinto) aus dem Jahr 1988 wird sowohl der
Glaube an die Anrufung der Götter mittels des Orakels als auch der Glaube an eine Zukunft mit einer
friedlichen Einigung zwischen Weißen und Schwarzen zum Ausdruck gebracht (Gerischer 1996: 95).
Zudem werden neben Zumbi und dem quilombo Palmares (siehe unten) nationale Helden,wie
Lampião und seine Frau Maria Bonita besungen (vgl. das Lied ”Revolta Olodum” von Olodum (José
Olissan und Domingos Sergio), 1989. Lampião war der Anführer einer Räuberbande, die sich in
Folge des Hungers und der Not der Landbevölkerung im Nordosten Brasiliens gegründet hatte. Er
gilt als Rebell und Aufständischer gegen die Großgrundbesitzerschicht der Region (ebd.: 100).

Pirro/Ademário, 1989) und ”Samba Rap” von Olodum (Reni Veneno, 1994) 144 .
In erster Linie klagen die Liedtexte der Blocos afro die sozialen und politischen Zustände
in Brasilien an und werten das Selbstbewußtsein der Schwarzen auf. Vielfach werden die
Konditionen in Brasilien mit der einstigen Apartheid in Südafrika verglichen 145 . Auch das
Lied ”Ilê na Intensidade” von Ilê Aiyê (Marcos, 1989) beschäftigt sich mit der
Diskriminierung der Schwarzen:
É apartheid já que vivemos em desigualidade
Temos o Ilê na intensidade
-
Ilê pode ser coisa comum
Vejo na África do Sul
Nossos irmãos penando a sofrer
Mas quem é que vai preso
É o negro
Vive sem sossêgo
É o negro
Sobre a fome e a distinção
Quase sempre sem emprego
-
Mas nós vivemos no Brasil
Fonte de cultura em comunidade
Existe outro estilo de sociedade
A nossa Bahia terra amada
Nos serve de um continente
Pois da África mãe somos descendente
77
Es ist Apartheid, denn wir leben in
Ungleichheit
Wir haben Ilê mit Intensität
-
Ilê könnte ein allgemeiner Zustand sein
Ich sehe es in Südafrika
Unsere Brüder erdulden ihr Leid
Aber wer eingesperrt wird
Ist der Schwarze
Wer ohne Ruhe lebt
Ist der Schwarze
Außer Hunger und Ausgrenzung
Fast immer ohne Arbeit
-
Aber wir leben in Brasilien
Quelle der gemeinschaftlichen Kultur
Es gibt eine andere Form von Gesellschaft
Unser Bahia, geliebtes Land
Dient uns als Kontinent
Denn wir stammen von Mutter Afrika ab
Ein weiteres Thema, mit dem sich die Blocos afro häufig befassen, ist die brasilianische
Geschichte, beziehungsweise die Geschichte des Widerstandes gegen die Sklaverei. Die
meistgenannte Person ist hierbei ”Zumbi dos Palmares”. Palmares gilt als größter
quilombo 146 in der brasilianischen Geschichte und ist gerade in jüngster Zeit zu einem der
144 CD: Olodum, Filhos de Sol (1994)
145 Die Apartheid ist Thema zum Beispiel in den Liedern ”Novidades dos Ifás” von Ilê Aiyê (Velho
Pinto), 1988 oder ”Olodum Resistência” von Olodum (Beto do Carmo u.a.), 1989 (CD: Olodum, 10
Anos).
146 1740 wurde die offizielle Definition für quilombo durch die königlichen portugiesischen Behörden
als ” Vereinigung von mindestens fünf entlaufenen Sklaven” festgelegt (Hofbauer 1995: 128). Auf
dem Höhepunkt seiner Entwicklung bestand Palmares - im Hinterland des heutigen Bundesstaates
Alagoas - aus 20-30.000 Menschen und war über ein Gebiet von etwa 27.000 km² verstreut (ebd.:
134).

edeutendsten Symbole des schwarzen Widerstandes für die Schwarze Bewegung
geworden (Hofbauer 1995: 129). Dessen Führer Ganga Zumba und sein Neffe Zumbi 147
werden besonders von den Blocos afro als Helden besungen, so in ”Sentimento de um
Povo” von Ara Ketu (Negó Dó/Négo Goia, 1988) 148 :
2.2.6 Der Tanz
Forte serémos muitos,
se unirmos as forças.
Revivermos Palmares
um anseio decisivo.
-
Zumbi não morreu não não,
foi pura ilusão.
Tua luta persiste,
chega de falsa abolição.
78
Wir werden sehr stark sein,
wenn wir unsere Kräfte einigen.
Wir werden Palmares wiedererleben,
ein entschiedenes Streben.
-
Zumbi starb nicht, nein nein,
es war reine Illusion.
Dein Kampf geht weiter,
es reicht mit der falschen Abolition 149 .
Ebenso wie bei der Musik bestimmen verschiedene Einflüsse die Tänze der Blocos afro.
Während sich die Tänze der Afoxés an die des Candomblé anlehnen, sind die der Blocos
afro eine Synthese aus den religiösen Tänzen, modernem Tanz, Ballett und Capoeira-
Schrittfolgen. Auch die Orientierung an afrikanischen Tänzen ist für die blocos von
Bedeutung. 1988 luden Ilê Aiyê sogar das senegalesische Nationalballett ein, an ihrem
Umzug im Karneval teilzunehmen (A Tarde, 15.2.1988).
Die blocos Olodum und Muzenza gelten als die Gruppen mit der besten tänzerischen
Arbeit. Das kreative Forum der heutigen Tanzformen sind hierbei die öffentlichen Proben
der blocos und auch der Karneval, bei denen die Tänzer und das Publikum sich
147 Nach mehreren gescheiterten Versuchen, Palmares einzunehmen, versuchte der damalige
Gouverneur des Bundesstaates Pernambuco mit den Palmarinos zu verhandeln. Mit Ganga Zumba
wurde er 1678 über einen 4-Punkte-Friedensvertrag einig, der den Schwarzen ein Leben auf einem
ihnen zugewiesenen Gebiet ermöglichen sollte. Der andauernde Widerstand formierte sich nun um
die Figur Zumbis. Nach dem Angriff eines militärischen Kontingentes von etwa 10.000 Mann 1694
gegen Palmares konnten Zumbi und einige andere Palmarinos fliehen. Erst am 20. November 1695
konnte Zumbi aufgrund eines Verrates in einem Hinterhalt aufgestöbert und getötet werden. Mit
seinem Tod war der Widerstand der Palmarinos endgültig gebrochen (Hofbauer 1995: 130-132).
Heute wird der 20. November als 'Dia Nacional da Consciência Negra' gefeiert.
148 CD: Ara Ketu, Contos de Benin (1988)
149 Die 'falsche Abolition' bezieht sich hier auf die vielfachen Proteste, die 1988 zur Hundertjahrfeier
der Sklavenbefreiung aufkamen, da die Schwarzen noch immer unterdrückt würden. Dem 13. Mai als
Nationalfeiertag wurde der 20. November als 'Tag des Schwarzen Bewußtseins' gegenübergestellt
(Hofbauer 1995: 204).

gegenseitig stimulieren, geleitet durch die gespielten Rhythmen. Hierbei entstehen ganz
spontan neue Bewegungen und Choreographien 150 (A Tarde, 9.2.1991). Vovô betont
jedoch die relative Unstrukturiertheit der Tänze, bei denen jeder für sich tanzt:
”Não tem esse negócio de ala, cada um dança à sua maneira. Tem gente no Ilê
que transa dança e tal, mas não há nada determinado. A dança vem do
sangue” (zit. in Risério 1982: 44).
Meist hat der Tanzstil eine deutliche Aussage und stellt einen Bezug zu den Texten und
Rhythmen her: stoßende Bewegungen mit den Armen und geschlossenen Fäusten wecken
entschlossene, kämpferische Assoziationen, dagegen stellen wiegende Bewegungen mit
dem Körper und weite, offene Bewegungen mit den Armen den Wind oder Wellen dar.
Zudem können auch hier die Tänze der Orixás nachgeahmt werden (siehe Abb. 27).
Die etwa 200 Personen umfassende Tanzgruppe von Muzenza wird durch den Tänzer
Augusto Omolu angeleitet, der auch der renommierten Ballettgruppe 'Balé Teatro Castro
Alves' angehört. Omolu betont, daß die Gruppe auch außerhalb der Proben trainiert,
”para que possam apresentar passos mais cadenciados e estudados” (zit. in A Tarde,
9.2.1991).
Wie bei den Afoxés wird von den Blocos afro jedes Jahr eine Karnevalskönigin gewählt,
zum Beispiel die 'Negra Malê' oder die 'Negra Olodum'. Die Wahl der Königin der
Gruppe Ilê Aiyê, die seit 1979 veranstaltete 'Noite da Beleza Negra' (Nacht der
schwarzen Schönheit), gilt als eines der meisterwartetsten Ereignisse während der
Karnevalssaison, an denen Persönlichkeiten wie zum Beispiel die baianischen Musiker
Caetano Veloso, Gilberto Gil oder Milton Nascimento, sowie andere Blocos afro wie
Ara Ketu teilnehmen (A Tarde 5.2.1993). Sie findet immer fünfzehn Tage vor dem
offiziellen Karneval statt. Aus etwa 20 Kandidatinnen zwischen 15 und 19 Jahren, meist
aus den ärmeren Stadtvierteln, wird die 'Deusa do Ébano' (Ebenholzgöttin) ausgewählt,
die während des Karnevals und anderen Ereignissen des Jahres, an denen der bloco
teilnimmt, die Schönheit der schwarzen baianischen Frau repräsentiert. Die
Auswahlkriterien, nach denen die Jury entscheidet, sind die Schönheit der Kandidatin, ihr
afrikanische Vorlagen stilisierendes Kostüm und der Tanz als grundlegende
Voraussetzung, die die Königin zu leisten hat (A Tarde 20.1.1989) 151 .
150 Die Art, nach Choreographien zu tanzen, ist ein eher jüngeres Phänomen, das vor allem die Tänze der
blocos de trio kennzeichnet und erst aufgrund der Popularisierung auch bei den Blocos afro in
Erscheinung getreten ist. Macalé von Ilê Aiyê betont jedoch gerade das Fehlen von Choreographien:
”O Ilê é um espetáculo, e só é um espetáculo porque é natural. Se fosse uma coisa montada, uma
coreografia, não teria a mesma força” (zit. in Risério 1982: 44).
151 Über die 'Noite da Beleza Negra' entstand 1990 der Dokumentarfilm ”Beleza Negra - Tanz der
schwarzen Schönen aus Bahia” von Juliane Schuhler, der im Bayerischen Rundfunk des deutschen
79

In den letzten Jahren ist der Samba-Reggae als 'Tanz der Straße' (dança de rua) so
populär geworden, daß er sich auch außerhalb seines festiven Rahmens einen Platz in der
brasilianischen Gesellschaft erobert hat. Die Gruppe Olodum hat ein eigenes Tanztheater,
die 'Companhia de Dança do Olodum', die mit ihren Aufführungen die schwarze Kultur
Brasiliens mit ihren Elementen Tanz, Musik und Interpretation präsentiert. Und auch
andere Tanzgruppen haben diesen Einfluß übernommen und in ihre Choreographien die
Bewegungen der Tänze der blocos integriert (vgl. A Tarde 4.12.1991). Für Personen, die
nicht an den öffentlichen Proben der blocos teilnehmen, werden Samba-Reggae-Kurse
angeboten, und ebenso nehmen Brasilianer aus dem Süden des Landes oder
nordamerikanische und europäische Touristen gerne die Möglichkeiten in Anspruch, sich
auf den baianischen Karneval tänzerisch einzustimmen.
”Nosso curso pretente tirar esse bloqueio dessas pessoas, que, com certeza,
após o término das aulas, cairão na dança direitinho como qualquer pessoa
que freqüente os ensaios de bloco” (Antônio Cozido, zit. in A Tarde,
9.2.1991).
Die steigende Popularität des Karnevals in Salvador hat die Tänze der Blocos afro vor
einigen Jahren auch nach Europa gebracht. Neben Samba wird in vielen Tanzschulen und
Kulturzentren Samba-Reggae, 'Samba Afro', 'Afro Olodum' oder 'Afro Brazilian Dance'
als ”getanzte Lebensfreude” und ”Tanzsprache mit Schönheit und Leichtigkeit”
unterrichtet 152 . Die Tänze der schwarzen Jugendkultur Bahias sind zu einem Exportartikel
und einer modischen Erscheinung der europäischen Mittelschicht geworden 153 .
2.2.7 Die Kostüme
Wie bei den Afoxés findet sich auch bei den Blocos afro häufig eine Anlehnung an die
Kleidung der Mitglieder des Candomblés beziehungsweise die Kleider der Orixás (siehe
Abb. 28, vgl. Abb. 1). In erster Linie orientieren sich ihre Kostüme jedoch an
afrikanischen Vorbildern - in der Art, wie sie getragen werden, durch die aufgedruckten
Motive, aber auch in den jährlichen Themenstellungen. Als Motive dienen zum Beispiel
originalgetreue oder stilisierte Masken, die aus Büchern oder Artikeln kopiert oder der
eigenen Phantasie entsprungen sind; sie finden sich auf den Kostümen genauso wie
Fernsehens gezeigt wurde.
152
Solche Kurse werden zum Beispiel im 'Tanzhaus NRW/die Werkstatt e.V.' in Düsseldorf angeboten
(Programmheft Januar-Juni 2000, S.50/51).
153
Die Kurspreise von bis zu 455 DM (im Tanzhaus NRW) beschränken die Teilnehmenden auch hier
auf eine bestimmte Gesellschaftsschicht.
80

eispielsweise Symbole der Orixás oder das Portrait Zumbis (vgl. Crowley 1984: 29,38-
40). Der bloco Ilê Aiyê benutzte zunächst bedruckte Tücher (cangas) in den Farben gelb
und schwarz als Kostüm, für Männer wie für Frauen. Später wurden aus solchen Stoffen
Gewänder genäht (A Tarde, 20.1.1989). Die Farben gelb und schwarz sowie weiß und
rot bestimmen die Kostüme des bloco bis heute (siehe Abb. 29). Dabei unterscheidet sich
die Tracht der Frauen von der der Männer (siehe Abb.en 29, 30). Die jährliche
Ehrerbietung an ein afrikanisches Land setzt bestimmte Forschungen voraus. Diese gehen
teilweise so weit, daß eine Delegation der Gruppe in das entsprechende Land fährt, um
sich vor Ort zu informieren. Doch die Kostüme von Ilê Aiyê stellen keine bloße Kopie
der afrikanischen Kleidung dar, sondern sind eine kreative Anlehnung an das Vorbild,
sowohl bezüglich des Stils als auch in Bezug auf die Materialien (Risério 1982: 42).
”A roupa entra na homenagem e é uma coisa feita com muito cuidado. Mas
essa homenagem não é uma coisa saudosista não, não tem nada de querer
voltar ao seio materno, à floresta africana. É só pra monstrar que quem tem
presente e futuro também tem passado” (Mário Gusmão, zit. in Risério 1982:
42).
Ein wesentlicher Bestandteil der Kostüme vieler blocos, zum Beispiel bei Ilê Aiyê (Abb.
31) und Malê Debalê (Abb. 32), ist der aufwendige Turban 154 . Laut Griebel setzte sich
dieser während der Bürgerrechtsbewegungen der 60er und 70er Jahre des 20.
Jahrhunderts in den USA als charakteristisches Symbol der afro-amerikanischen Frau
durch (1995: 222).
”[...] it was a time for espousing symbols by which identities could be
measured in terms of an ethnic beginning which was posited in Africa” (ebd.
1995: 223).
Der Turban markierte den sozialen und ökonomischen Status ebenso wie er die Ethnizität
bestärkte (ebd. 1995: 222). Auffällig ist in diesem Zusammenhang die teilweise
übertriebene Größe der Turbane bei den Kostümen der Blocos afro (siehe Abb. 29).
Ebenfalls als charakteristisch für die Blocos afro kann die Haartracht vieler Teilnehmer
bezeichnet werden: die Rastalocken oder dreadlocks 155 . Ebenso wie die Kleidung dienen
sie als Möglichkeit der schwarzen Identifikation. Während im Zuge der branqueamento-
154 Es handelt sich hierbei um ein um den Kopf gewickeltes Tuch, das Griebel (1995) als ”headwrap”
bezeichnet. Die Autorin hält einen arabischen Einfluß für möglich, begrenzt diesen aber auf den
männlichen Turban. ”[...] I believe that the headwrap did not come to Africa as a foreign introduction.
Rather, it is an indigenous African article of dress, which makes its first appearance on the West
African coast [...], and spreads from there to other African communities throughout the continent and
overseas” (1995: 214).
155 Die Zöpfe, dreadlocks, stellen in der Rastafari-Religion das primäre Zeichen der Zugehörigkeit zum
Glauben dar. Sie werden als hochgespannte Drähte gedeutet, durch die die göttliche Energie und
Inspiration empfangen wird (Gebre-Selassie 1989: 67, 71). Die dreadlocks wurden laut
Vieth/Zimmermann wahrscheinlich von Fotos äthiopischer Krieger kopiert und gelten als Symbol für
81

Ideologie (siehe Kapitel V.1.3) das Haar von vielen Schwarzen geglättet wurde,
verlegten sie sich nun darauf, bewußt das krause, natürliche Haar als Schönheitsideal zu
propagieren 156 . Die Zöpfe wurden wie der Reggae nach jamaikanischem Vorbild von der
Rastafari-Bewegung 157 übernommen. In Anbetracht ähnlicher historischer Bedingungen -
die Vergangenheit als Sklaven und der kulturelle Widerstand zum Beispiel in Form der
marroons, den Siedlungen entflohener Sklaven 158 - verlagert sich der Schwerpunkt der
Rastafari-Bewegung in Salvador weniger auf den religiösen Inhalt als auf die
gemeinsame Motivation nach der Suche einer schwarzen Identität und dem Kampf um die
Bürgerrechte.
”[...]; o movimento aparece mais como um reforço na construção de um
identidade do negro brasileiro e, ao mesmo tempo, um canal de manifestação
de uma existência oprimida vivida pelos negros” (Ericivaldo da Veiga, in
Rodrigues 1996: 91).
Nach Definition von Joanne B. Eicher und Barbara Sumberg können die Kostüme vieler
Blocos afro als ”ethnic dress” bezeichnet werden. Die Autorinnen halten bei der
Bestimmung des ”ethnic dress” vier Punkte für ausschlaggebend: 1. Der ”ethnic dress”
kann geliehene Teile aus verschiedenen Kulturen enthalten, mit denen sich die Träger
dieser Dinge identifizieren und so der Kleidung eine neue Authentizität verleihen. 2. Die
Kleidung bleibt, im Gegensatz zum ”national dress”, über längere Zeit nicht unbedingt
statisch; sie kann sich verändern. 3. Auch innerhalb eines Zeitraumes und an einem Ort
können die Kleider untereinander variieren, bedingt durch die Individualität und
Kreativität ihrer Träger. 4. Der ”ethnic dress” muß nicht täglich getragen werden, sondern
den Bund zwischen Gott und dem auserwählten schwarzen Volk (1981: 132).
156 Trotz der öffentlichen Akzeptanz des krausen Haares und der Bekräftigung dieses Schönheitsideals,
sprechen die meterlangen Regale in den Kaufhäusern mit Produkten zur Haarpflege - und zum
Glätten der Haare (!) - fast für sich. Nicht selten wurde ich während meines Aufenthaltes in Brasilien
von den Frauen um mein glattes Haar beneidet. Zu den neuesten Trends zählte auch, sich künstliche
Haare an die eigenen anknoten zu lassen, um diese zu verlängern, und um so einen 'entkrausten'
Effekt zu erzielen.
157 Die Rastafari-Bewegung entstand in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts in Anlehnung an das
politische Wirken des Nordamerikaners Marcus Garvey, der die soziale Situation der Schwarzen
verbessern wollte und sich zum Ziel setzte, diese in die afrikanische Heimat zurückzubringen
(Gebre-Selassie 1989: 38). Vielfach wurde die Bibel uminterpretiert und die Rastas als auserwähltes
Volk dargestellt, deren Erlösung prophezeit wurde. Die Rastas wenden sich von der westlichen,
weißen Welt ab, die sie für ihre Situation verantwortlich machen. So gilt Rastafari als politische
Antwort auf die sozio-ökonomische und kulturelle Situation Jamaikas (ebd.: 60). Die Musik der
Rastafarians, der Reggae, beschreibt vielfach die Armut und Not und fordert zum Aufstehen und
Kämpfen auf ('Get up, stand up' von Bob Marley). Die Identifizierung mit Afrika hat den Rastas zu
einer Identität verholfen.
158 Die marroons, von span. cimarron=unregierbar, sind ähnlich den quilombos in Brasilien.
Freigelassene und geflohene Sklaven schlossen sich im 17. und 18. Jahrhundert in den Bergen
zusammen. Ihr Erfolg wurde deutlich durch einen Vertrag mit den Briten, der ihnen ihre neue
Freiheit garantierte und quasi die Verweigerung des Anschlusses an die weiße Gesellschaft
akzeptierte (Gebre-Selassie 1989: 31, 33).
82

kann die Bekleidung für bestimmte Anlässe und Orte darstellen (1995: 303/304).
Laut McLuhan dient Kleidung als ”uma extensão da pele” (Erweiterung der Haut) (zit. in
Risério 1982: 100). Durch ihre Kostüme drücken die Mitglieder der Blocos afro ihre
Identität als Afro-Brasilianer aus und ordnen sich damit einer bestimmten Gruppe und
ihrem gemeinsamen Hintergrund zu.
”Ethnic dress indicates common or shared ways of dress that identify a group
of people who share a common background and heritage” (Eicher/Sumberg
1995: 302).
”Tratava-se de uma linguagem visível, um código socialmente significativo,
onde o pensamento grupal se cristalizou, virando gestalt, digamos assim”
(Risério 1982: 101).
Die bewußte Anlehnung der Kleider der Blocos afro an afrikanische Vorbilder verbindet
die Afro-Brasilianer auf gewisse Art und Weise mit dem afrikanischen Kontinent und
stellt somit einen Bezug zu ihrer Vergangenheit und Herkunft dar.
”Ethnic dress is best understood as those items, ensembles and modifications
of the body that capture the past of the members of a group, the items of
tradition that are worn and displayed to signify cultural heritage” (ebd.: 299).
2.2.8 Soziales und politisches Engagement
Viele blocos verstehen sich nicht mehr nur als Karnevalsverein, sondern als soziale und
kulturelle Einrichtung mit politischen Aufgaben. Hierzu zählen die Bekämpfung des
Rassismus und der Gewalt und damit die Überwindung des allgegenwärtigen
Minderwertigkeitsgefühls der Schwarzen. Seit 1983 nennt sich der Bloco afro Olodum
'Grupo Cultural Olodum'. Eines seiner Sprachrohre ist die Zeitschrift 'Jornal do Olodum',
die seit 1984 mit einer Auflage von 5000 Exemplaren alle zwei Monate erscheint und
sowohl über die eigene Arbeit, als auch über politische Kampagnen und die
Schwarzenbewegung berichtet (Walger 1992: 23). Olodum sehen die Kultur und Politik
des Landes als Synthese und Ausdruck eines neuen Bewußtseins, einer neuen
Schaffensebene.
”O Olodum é um grupo político-cultural, se expressa politicamente, mas faz
acima de tudo atividades dentro do ambiente cultural e isso foi uma forma
interessante, nova e criativa de se chegar a milhares de pessoas no país
inteiro, de passar a idéia de um grupo, de mandar a mensagem, de
conscientizar as pessoas de coisas, mesmo que a cidade não tenha mudado
como nós gostaríamos, mas, de qualquer forma as nossas idéias, o
simbolismo que nós demos às cores que usamos, a geração de uma idéia
relacionada com som; [...]” (Rodrigues 1996: 226/227).
Ein weiterer Schwerpunkt der Gruppe ist neben der politischen Arbeit die Stadtteilarbeit.
83

Ohne Zweifel hat die Präsenz Olodums im Pelourinho dazu geführt, das Historische
Zentrum kulturell zu beleben und aufzuwerten. Durch die Transformation des Viertels zu
einem der wichtigsten touristischen Orte der Stadt profitiert die Altstadtbevölkerung auch
finanziell. Eine großangelegte Restaurierungsaktion der Kolonialbauten zu Beginn der
90er Jahre des 20. Jahrhunderts und die Bestimmung des Viertels als Weltkulturerbe
durch die UNESCO, veränderte das Image des Pelourinho von einer verworfenen und
gefährlichen Gegend zu einer attraktiven Vorzeige-Altstadt 159 . Die Kehrseite bei der
Restaurierung war, daß die Regierung von Bahia zwar einen Großteil der Häuser
aufkaufte, jedoch noch 551 Bewohner zwangsenteignet werden mußten. Mit einer
geringfügigen Entschädigung, die aufgrund der damaligen Inflation einem erheblichen
Wertverlust ausgesetzt war, wurden diese Bewohner an die Peripherie umgesiedelt
(Gerischer 1996: 45). Im Zuge dieser Entwicklungen stellten sich Olodum nicht auf die
Seite der Bewohner, sondern bekamen obendrein noch zwei restaurierte Häuser von der
Stadt für ihre Projekte zur Verfügung gestellt.
In diesen Häusern befinden sich die 'Fábrica do Carnaval' (Karnevalsfabrik), in der die
Kostüme der Gruppe und T-Shirts und andere Souvenirartikel zum Verkauf in der eigenen
Boutique hergestellt werden, und die 'Escola Criativa' (Kreativschule). Die große
Anziehungskraft der Trommelgruppe Olodums machten sich die Mitglieder zunutze, um
schwarze Kinder und Jugendliche für eine pädagogische und kreative Ausbildung zu
gewinnen. So werden in der Escola Criativa neben Musik, Theater und Tanz auch
Bereiche wie Geschichte, Geographie oder Computerkenntnisse unterrichtet. Die Kurse
dienen zur Ergänzung des staatlichen Schulunterrichtes, um die Chancengleichheit zu
erhöhen und ein frühzeitiges Abbrechen der Schullaufbahn zu verhindern 160 . Als Teil der
Kreativschule wurden auch die 'Bando do Teatro Olodum' (Theatergruppe Olodum), die
Tanzgruppe und vor allem die 'Banda Mirim' als Kindertrommelgruppe ins Leben
gerufen. Die Banda Mirim bietet den Kindern außer der musikalischen Ausbildung auch
die Möglichkeit zur Professionalisierung. So veröffentlichte die Kindergruppe 1994 ihre
erste eigene Platte, zudem bietet sie die Möglichkeit der Exkursion in andere Städte und
Staaten. Außerdem ist es den Kindern unter bestimmten Umständen möglich, in die
Erwachsenengruppe umzusteigen (Brito 1991: 6).
Auch andere Gruppen haben sich der sozio-kulturellen Arbeit verpflichtet. So bietet die
'Ara Ketu Sociedade Recreativa e Cultural' verschiedene Seminare und Kurse zu den
159 Vgl. Veja, 31.3.1993, S.102-105, A Tarde, Caderno 2, 14.1.1979 und A Tarde, Caderno 2, 21.1.1979.
160 Zur Escola Criativa und ihrer Arbeit siehe die ausführlichen Darstellungen bei Walger 1993b.
84

Bereichen Kunst, Tanz und Perkussion an. Das Ziel dieser Arbeit ist, das Bildungs- und
Lebensniveau der peripheren und marginalisierten Gruppen zu verbessern 161 . Ebenfalls in
Planung waren 1991 eine Fabrik, eine Schneiderei und ein Laden zum Verkauf der
hergestellten Kostüme (ebd.). Der Bloco afro Muzenza arbeitet auf kultureller Ebene mit
Diskussionen zur afrikanischen, jamaikanischen und afro-brasilianischen Kultur. Er sieht
sich nicht als 'Gruppe zum Vergnügen', sondern will eine Vereinigung darstellen, die die
schwarze Kultur und das noch immer geringe Wissen über afrikanische Länder an die
Öffentlichkeit bringt (Vieira 1989: 5).
Die 'Associação Cultural Bloco Carnavalesco Ilê Aiyê' engagiert sich auf kultureller wie
auf politischer Ebene und legt dabei besonders Wert darauf, an die Öffentlichkeit zu
treten. So nehmen sie jedes Jahr an bestimmten öffentlichen Veranstaltungen teil, wie der
'Semana da Mãe Preta' im September (einer Woche mit Ausstellungen und Gesprächen
zur Stellung und Bedeutung der schwarzen Frau), dem 'Novembro Azeviche' (einem Fest
zum Geburtstag des bloco), dem 'Dia da Consciência Negra' am 20. November (siehe
Kapitel V.1.5), und den Gedenk-Festen 'Independência de Angola' am 15. November und
'Revolta da Chibata' am 18. November 162 .
V. Afro-brasilianische Identität - Karneval als sozio-politischer und
religiöser Raum
1. Schwarz-Sein als Identitätsmerkmal
1.1 Das Bild vom Schwarzen im Wandel
Die afro-brasilianische Identität wurde entscheidend mitbestimmt durch das eigene und
das gesellschaftliche Bild des Schwarzen. Dieses war im Laufe der Zeit einigen
Veränderungen unterworfen. Während die fremden Ethnien seit der Antike bis zu Zeiten
der frühen Entdeckungsreisen des 16. und 17. Jahrhunderts zunächst nur Verwunderung
bei den Europäern hervorriefen und versucht wurde, deren kulturelle Andersartigkeit zu
begreifen (Greenblatt 1994: 31,148), trugen die lediglich spärlichen Informationen über
161 ”melhorar o nível de informação e vida da periferia marginalizada” (Vera Lacerda, in Barreto 1991:
3)
162 A Tarde 8.11.1998, Lazer & Informação, S.4.
85

die Herkunftsländer der dunkelhäutigen Menschen dazu bei, diese zu mystifizieren.
Bereits im 12. und 13. Jahrhundert wurde die dunkle Hautfarbe als exotisch, anmutig und
verführerisch angesehen (Hofbauer 1995: 28) 163 . Im Zusammenhang mit der Konzeption
von der Existenz unterschiedlicher Menschenrassen 164 rückten die Kategorien 'weiß' und
'schwarz' in den Vordergrund. Die sich neu etablierenden Ausgrenzungskriterien der
Hautfarbe ersetzten Begriffe wie 'Maure' oder 'Mohr' durch neue Ausdrücke wie
'Mulatte'. Dieser Terminus entstand im 17. Jahrhundert über der Definitionsunsicherheit
von monogenetischen und polygenetischen Ideen. Die Ableitung vom portugiesischen oder
spanischen 'mula/mulo' (Maulesel) sollte die Unkreuzbarkeit von 'weiß' und 'schwarz'
unterstreichen und den polygenetischen Ansatz unterstützen. Aufgrund der offensichtlichen
Fehleinschätzung dieser Idee bekannte der französische Naturforscher George Leclerc de
Buffon (1707-1778) sich zu einem grundsätzlich monogenetischen Erklärungsmodell
(Hofbauer 1995: 43). Für ihn war das Klima der Hauptgrund für die Verschiedenheiten
der Menschen. Der Weiße aus dem gemäßigten Klima Südeuropas galt für ihn als
schönstes und vollkommenstes Menschenmodell. Ihm gegenüber stand der Nicht-Weiße in
seiner Unvollkommenheit und Häßlichkeit (Poliakov u.a. 1979: 80/81). Von den
physischen Merkmalen wurde auf die Psyche der Schwarzen geschlossen.
Anthropologische und biologische Methoden wie Hirnschalenvergleiche ergaben ein Bild
der Schwarzen als intellektuelle Mißbildung (ebd. 1979: 106). Mit der Veränderung der
wissenschaftlichen Strömungen wandelte sich im 19. Jahrhundert auch dieses Bild. In
Brasilien schuf die Mestizisierung 165 als Möglichkeit der Rassenaufbesserung die
Grundlagen der Vorstellung vom schönen und verführerischen Mulatten. Laut Hofbauer
galten die weißen Herrinnen auf den Pflanzungen oft als dickliche Figuren mit einer
vordergründig christlichen Moral. ”Im Vergleich zu den aufreizenden Körpern der
Sklavinnen wirkten sie [...] kühl und geradezu geschlechtslos” (Hofbauer 1995: 117).
Sexuelle Beziehungen zwischen den Sklavinnen und ihren weißen Herren waren keine
163 Im Heldenepos ”Parzival” (um 1200-1210) von Wolfram von Eschenbach wird die Bewunderung für
die Schönheit der (von ihm kreierten) Mohrenkönigin Belakane ausgedrückt. Aus dem Mittelalter
erhaltene Gemälde und Statuen zeigen dunkelhäutige Prinzen und Könige in stolzer Pose (Hofbauer
1995: 28). Ab dem 14. Jahrhundert wurden an viele mitteleuropäische Fürstenhöfe dunkelhäutige
Menschen als Pagen und Diener gebracht. Laut Hofbauer stellten sie ”in gewisser Weise lebende
kuriose 'Schauobjekte' dar” (1995: 33).
164 Ausgehend von dem geographischen Standort und mit dem Hauptaugenmerk auf der Pigmentierung
unterschied Linnaeus Mitte des 18. Jahrhunderts vier Rassen: europäische Weiße, asiatische Gelbe,
amerikanische Rote und afrikanische Schwarze. Um 1780 wurde die Menschheit durch Johann
Friedrich Blumenbach (1752-1840) in fünf Gruppen eingeteilt: Kaukasier (weiß), Mongolen (gelb),
Äthiopier (schwarz), Amerikaner (rot) und Malayen (braun) (Edwards 1969: 865).
165 Der Begriff 'Mestize' wird als Synonym der Bezeichnung 'Mulatte' verwendet und meint somit einen
86

Seltenheit. Der Mulatte galt als ”ein Subjekt, das sich in Transformation in Richtung
'weiß' befand” und wurde, besonders im Zuge der branqueamento-Ideologie (Kapitel
V.1.3), zum erstrebenswerten Ideal (Hofbauer 1995: 85). Mit der Popularität des Samba
und der Samba-Schulen in Rio wurde die 'mulata'-Sambatänzerin zu einem nationalen
Symbol der Verführung und einem Schönheitsideal. Der männliche Mulatte, in der Regel
mit afro-brasilianischen Kulturphänomenen wie der Capoeira in Verbindung gebracht,
wurde jedoch weiterhin kritisch beäugt.
”The so-called mulato-capoeirista is a figure moving between categories. He
exists at the anxious point between blacks and whites. And while that point of
contact was sexualized in the body of the mulata sambista, it is made violent
in that of the capoeirista” (Browning 1995: 96).
Erst in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts begann sich das Bild des Schwarzen,
zumindest innerhalb der schwarzen Bevölkerung, wieder zu ändern. Durch die Einflüsse
der nordamerikanischen Bürgerrechtsbewegung organisierte sich auch in Brasilien die
schwarze Bevölkerung und verbreitete ihrerseits das ”black is beautiful”-Konzept (siehe
hierzu Kapitel V.1.4). Besonders in den Blocos afro bemühte man sich, das
Schönheitsideal zu ändern und die schwarze Bevölkerung dazu zu bewegen, zu ihrer
Hautfarbe und Herkunft zu stehen. Die ethnische Identität wurde nun nicht mehr umgekehrt
und verleugnet, sondern absichtlich bestärkt, durch das Tragen afrikanischer Kleidung und
Frisuren im ”estilo bleque pau” (Stil 'black power') (Dunn 1992: 13). Durch ihren Erfolg
ist das Bestreben um die afro-brasilianische Kultur jedoch zu einer Art Modeerscheinung
geworden und wird inzwischen von den Weißen übernommen (in den Karnevalsgruppen
und auch den religiösen Kulten) und von der baianischen Regierung unterstützt, um ein
exotisches und aufregendes Bild von Bahia zu vermitteln 166 .
1.2 Zu den Begriffen 'Rasse' und 'Rassismus'
Die Klassifizierung der menschlichen Bevölkerung nach physischen und psychischen
Merkmalen und Merkmalskombinationen (Edwards 1969: 864), das heißt die 'Rasse'
wurde zum entscheidenden Kriterium bei der Abschaffung der Sklaverei und der
Neueingliederung der afrikanischen Bevölkerung in die gegebene Gesellschaftsstruktur
(siehe Kapitel III.1.2). Die Ansicht, man müsse den schwarzen Bevölkerungsanteil durch
die Zufuhr von 'weißem Blut' aufbessern, basierte auf der Vorstellung der Ungleichheit
Menschen mit einem europäischen und einem indianischen oder afrikanischen Elternteil.
166 ”in order to promote an exotic and exciting image of Bahia” (Dunn 1992: 18).
87

der Rassen. Die biologischen Sachverhalte und die physischen Merkmale eines Menschen
wurden als bestimmend angesehen. Einer der Vertreter der Polygenese 167 , die als
Erklärung für die Verschiedenheit der Rassen galt, war der französische Philosoph
Voltaire (1694-1778). Ausgehend von der menschlichen Physiognomie stellte er die
Europäer an die Spitze der kulturellen und technologischen Evolution der Menschheit
(Poliakov u.a. 1979: 82/83). Als Anhänger der Polygenese in praktischer Hinsicht,
jedoch als Vertreter der Monogenese auf theoretischer Ebene gilt der französische
Diplomat J.A. de Gobineau (1816-1882), der die Überlegenheit der 'arischen' Rasse
propagierte (ebd. 1979: 99). Gobineau sah die Rassenmischung als Möglichkeit zur
Aufbesserung und für ”Verfeinerungen in Sitten, Begriffen und Glauben, vor allem aber
Milderungen der Leidenschaften der Triebe” (zit. in Hofbauer 1995: 53). Nach einem
Aufenthalt 1869 in Brasilien war er jedoch der Ansicht:
”Kein einziger Brasilianer hat reines Blut, da die Verbindungen zwischen
Weißen, Indios und Schwarzen derart verbreitet sind, daß es unzählige
Farbnuancen gibt, die die deprimierendsten Degenerationen sowohl in den
unteren als auch in den höheren Schichten hervorrufen” (zit. in Hofbauer
1995: 54).
Mit Aufkommen des Evolutionismus nach Charles Darwin (1809-1882) im 19.
Jahrhundert und seinem Werk ”The Origin of Species” von 1859 setzte sich die Ansicht
durch, daß die kulturelle Entwicklungsgeschichte der Menschen als Evolution zu
begreifen sei (Müller 1992: 35). Die Evolutionisten stellen eine Verbindung zwischen
Rasse und Kultur her: die von einer Gruppe entwickelte Kultur sollte ein Produkt ihrer
'Rassenanlage' sein. Die unterstellte Überlegenheit der europäischen Kultur verteidigte
die Behandlung der ihnen unterworfenen Völker (Edwards 1969: 865). Zur Rechtfertigung
der Sklaverei wurde versucht, den Schwarzen eine 'natürliche Minderwertigkeit'
nachzuweisen. Für Christian Delacampagne ist der Rassismus
”diejenige Haltung, die die intellektuellen oder moralischen Merkmale einer
gegebenen Menschengruppe als direkte Folge ihrer physischen oder
biologischen Merkmale ansieht, kurz seiner Erbmasse, da es für diese
biologischen Merkmale kennzeichnend ist, daß sie vererbbar sind” (Poliakov
u.a. 1979: 27).
Die körperlichen Merkmale eines Menschen wurden mit bestimmten Eigenschaften in
Verbindung gebracht, resultierend aus dem Glauben an eine Verbindung zwischen Physis
und Moral. Die Hautfarbe galt dabei als primäres Unterscheidungsmerkmal, als
offensichtliches Kennzeichen der Unterschiedlichkeit einzelner Menschengruppen.
”A cor é sempre um componente para estigmatização, positiva ou negativa,
167 die gleichzeitige Entstehung der Menschheit an verschiedenen Orten der Erde
88

desigualidade de indivíduos e grupos, tabus e sanções, legislações, estados
afetivos, escravização e preconceitos” (Bacelar 1989: 45).
Die Wichtigkeit der Hautfarbe variiert jedoch von Situation zu Situation. So ist laut
Patrick Girard die Hautfarbe in Südamerika weniger wichtig als die soziale Stellung:
”Jeder, dem es verhältnismäßig gut geht, gilt als 'Weißer' und genießt die
damit verbundenen Vorrechte. Die Klasse und nicht die Rasse bildet die
eigentliche Kluft, die für arme und nur wenig demokratische Länder so
folgenschwer ist” (Poliakov u.a. 1979: 143).
Die Stereotypen und Vorurteile gegenüber der Hautfarbe - der Schwarze wurde als faul,
müßig und ungeeignet für regelmäßige Arbeiten angesehen - führte in Brasilien zum
sozialen Abstieg der Schwarzen. Das Ideal der Weißen - der Aufbau einer 'weißen
Nation' und damit die Verbesserung des Lebensstatus - wurde zum erstrebenswerten Ziel
aller Bevölkerungsschichten (Moura 1983: 11/12).
1.3 ‚Rassendemokratie‘ und ethnische Identität
Das Attribut 'Rasse' galt als regulierender Faktor für die Reproduktion verschiedener
sozialer Klassen, und die 'Disqualifikation' der Nicht-Weißen gereichte den Weißen zu
symbolischen und materiellen Vorteilen (Hofbauer 1995: 96). Die Klassifizierung der
Schwarzen hat laut Yvonne Maggie im Laufe des 20. Jahrhunderts vier große
Forschungsströmungen hervorgebracht (1994: 289-291):
1. Zu Beginn des Jahrhunderts wurde die Ungleichheit zwischen den ehemaligen Sklaven
und den Weißen durch biologische Unterschiede erklärt. Zu den Hauptvertretern dieser
Richtung zählt der Begründer der Soziologie der Schwarzen in Brasilien, Raimundo
Nina Rodrigues 168 .
2. Die Bedeutung der Kultur war die Grundlage der zweiten Strömung. Demnach leitet
sich die Verschiedenheit von den Unterschieden zwischen Weißen, Schwarzen und
Indianern ab. Die Kulturwissenschaftler, allen voran Gilberto Freyre 169 , vertraten die
Ansicht, daß die Verschiedenheit der Brasilianer kulturell bedingt und deshalb
unüberbrückbar sei.
3. Florestan Fernandes und die sogenannte ”Escola Paulista” (die soziologische Schule
der Universität von São Paulo) prägten die Vorstellung von der Aufteilung der
Gesellschaft in verschiedene Klassen als Erklärung für die sozialen Ungleichheiten.
168 Rodrigues, Raimundo Nina 1976 - Os Africanos no Brasil. São Paulo. (4. Aufl.)
169 Freyre, Gilberto 1943 - Casa Grande e Senzala. São Paulo.
89

Die während der Sklaverei geschaffenen Unterschiede verwandelten sich demnach in
soziologische Unterscheidungen.
4. Die vierte Richtung, zu der neben anderen Manuela Carneiro da Cunha 170 gehört,
erklärt die Unterschiede mit einer konstruierten Identität, die durch das miteinander
wie gegeneinander Agieren der Gesellschaftsgruppen entsteht.
Bei der Klassifizierung der Personen gilt die Hautfarbe als Grundlage des Denkens.
Während der Schwarze bis zur Abolition 1888 einfach als Sklave und damit als 'anders'
galt, wurde er in den Jahren danach vom 'Anderen' zum 'Gleichen' und daraufhin durch die
Klassifizierungssysteme wieder unterschieden (Maggie 1994: 312). Das Anliegen, aus
dem 'Schwarzen' ein 'nationales Element' zu formen, eröffnete den Weg zu einer
kulturalistischen Sichtweise (Hofbauer 1995: 199). Laut Gilberto Freyre ist die
brasilianische Gesellschaft aus drei Rassen hervorgegangen: der weißen, der schwarzen
und der indianischen (zit. in Maggie 1994: 291) 171 . Freyre begründete den Mythos, daß es
in Brasilien keine Rassenvorurteile gebe und Menschen unterschiedlicher Herkunft
friedlich zusammenleben. Er würdigte die Beiträge der drei Kulturgruppen:
Gewohnheiten wie das Tabakrauchen und die Körperhygiene der Indianer, die
kulinarischen Künste und die Ausgelassenheit der Afrikaner 172 und das Wirtschaftssystem
und die religiösen Strukturen der Portugiesen (zit. in Hofbauer 1995: 92). Aus dieser
Vorstellung heraus entstand die Ansicht von Brasilien als einer 'rassischen Demokratie',
ja sogar als größter 'Rassendemokratie' der Welt, dessen Bevölkerung ”ein Volk ohne
Schranken, ohne Vorurteile” darstelle (Maggie 1994: 292). Clóvis Moura drückt dies
folgendermaßen aus:
”[...] estabeleceu-se uma ponte ideológica entre a miscigenação (que é um
fato biológico) e a democratização (que é um fato sociopolítico) tentando-se,
com isto, identificar como semelhantes dois processos inteiramente
independentes” (1988: 61).
Moura spricht von einem 'unsichtbaren Ghetto' (”gueto invisível”), das von den oberen
Klassen geschaffen wurde und in dem die schwarze Bevölkerung allmählich dezimiert
wird (1983: 12, 1988: 13).
170 Vgl. Cunha (1986)
171 Zur 'Fabel von den drei Rassen' (”fábula das três raças”) siehe auch: Da Matta, Roberto 1987 -
Relativizando: uma introdução à antropologia social. Rio de Janeiro.
172 Im Zuge einer Politik, deren Integrationismus versuchte, den Wert der afro-brasilianischen Kultur
hervorzuheben, legte sich der Schwerpunkt ausschließlich auf den kulturellen Bereich. Autoren wie
Turner (1985: 73), Hofbauer (1995: 98) oder Luiza Bairros (zit. in Gerischer 1996: 17) weisen
darauf hin, daß bis heute die schwarze Kultur nur durch die Musik, Küche oder Religion repräsentiert
wird und auch Karrierechancen am ehesten in den Bereichen Sport, Kunst (Theater, Musik) oder
Mode bestehen.
90

Die evolutionistische Denkweise der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts und der
Wunsch nach einem 'zivilisierten' Brasilien hatte die Ansicht zur Folge, daß die
brasilianische Bevölkerung 'verweißlicht' werden müsse. Die Rassenmischung hätte nicht
nur den Vorteil, daß die Bewohner des Landes sich allmählich angleichen, sondern daß
sie dadurch als Ganzes auch 'weißer' würden (ebd. 1988: 13). Der weiße Europäer
wurde von den oberen Gesellschaftsschichten als Idealtypus angesehen, und den nicht-
weißen Schichten wurde dieses Ideal aufgezwungen - die Afrikaner galten dagegen als
biologisch, psychologisch und kulturell minderwertig. So meint auch Delacampagne:
”[...]in einem System von Klassen ist die herrschende daran interessiert, der
beherrschten Klasse ihre eigene Ideologie aufzuzwingen[...]. Wie jede
Ideologie kann der Rassismus dazu dienen, die Wirklichkeit des
Klassenkampfes zu verschleiern, und das vielleicht wegen der Einfachheit
ihrer Parolen besser als jede andere” (Poliakov u.a. 1979: 153).
Für die Schwarzen war die Assimilierung an die weißen Schichten und die Akkulturation
mit der Hoffnung auf eine Verbesserung ihres sozialen Status verbunden. Mit dem
Versuch der Schwarzen, die Stellung der Weißen zu erreichen und der negativ besetzten
Identität des Schwarz-Seins zu entfliehen, und dem Bestreben der Weißen, ihr Ideal zu
realisieren, setzte sich die ideologia do branqueamento durch, die Ideologie von der
'Weiß-Werdung' (Moura 1983: 22). Die damit verbundene 'Desafrikanisierung' hatte nicht
nur die Befreiung der Straßen von afrikanischen Bräuchen zur Folge - eine zivilisierte
Gesellschaft mußte fortschrittlich und modern sein (Albuquerque 1996: 106; siehe auch
Fry 1988 / Kapitel III.4.2.1) -, sondern ebenso eine veränderte Selbstklassifizierung der
Schwarzen. Wer als 'schwarz' galt wurde automatisch mit den dem Begriff anhängenden
Stereotypen 173 in Verbindung gebracht. Daher wurde diese Selbstbezeichnung vermieden
und alternative Begriffe verwendet. Bis heute ist es nicht ungewöhnlich, daß die eigene
Hautfarbe umschrieben wird. In einer Fallstudie Lívio Sansones wurden 36 verschiedene
Bezeichnungen benutzt (1996: 171). Hofbauer nennt ein Umfrageergebnis mit 136
verschiedenen Ausdrücken, unter anderem: ”pele amarela queimada, branca queimada,
queimada de praia, morena bem chegada, puxada para branco, miscigenação mista, roxa,
turva, verde” 174 (Hofbauer 1995: 211). Bei der Volkszählung von 1980 ergaben sich 136
verschiedene Hautfarbenbezeichnungen (Moura 1988: 63), und bei Marvin Harris sind es
nicht weniger als 492 Termini (zit. in ebd.: 101). Diese Zahlen machen den Versuch
173 ungebildet, böse, ungehobelt, aufdringlich und arm (Sansone 1992: 165)
174 Hofbauer übersetzt diese Begriffe folgendermaßen: ”gelblich oder weiß gebrannt, strandbraun,
kräftig braun, ins Weiße gehend, gemischte Mischung, rötlich, trüb, grün” (1995: 15), weist jedoch
darauf hin, daß sie eigentlich nicht zufriedenstellend in eine andere Sprache zu übersetzen seien
(ebd.: 211).
91

deutlich, sich mit Begriffen an das weiße Ideal anzunähern. Tatsächlich jedoch herrscht
zwischen den einzelnen Bevölkerungsgruppen eine ausgeprägte Distanz, sowohl auf
sozialer wie auch auf individueller Ebene. Die Ambivalenz der Vorstellung von der
Rassendemokratie einerseits und der realen Trennung der Klassen andererseits bezeichnet
Hasenbalg als ”Dilema Brasileira” (1993: 151). Für Moura bedeutet dies,
”que a nossa realidade étnica, [...], não iguala pela miscigenação, mas, pelo
contrário, diferencia, hierarquiza e inferioriza socialmente de tal maneira que
esses não-brancos procuram criar uma realidade simbólica onde se refugiam”
(1988: 63).
Offiziell, das heißt bei Volkszählungen und statistischen Erhebungen, wird zwischen
pretos, pardos, brancos, amarelos und indígenas (Schwarzen, Mischlingen, Weißen,
Gelben und Indianern) unterschieden, womit die soziale Ungleichheit bezeichnet wird 175 .
Auf kultureller und politischer Ebene hat sich jedoch die Bezeichnung negro für 'schwarz'
durchgesetzt 176 . Während in den USA der Begriff negro eine negative Konnotation
aufweist und von den politischen Bewegungen der Terminus black benutzt wird, um
gesellschaftliche Unterschiede darzustellen, ist es in Brasilien umgekehrt. Preto hat hier
eine eher negative und aggressive Bedeutung 177 , wogegen negro respektvoll verwendet
wird und damit Afrika, die Herkunft und die kulturelle Ebene angesprochen werden
(Maggie 1994: 314). Die Hautfarbe mag preto sein, doch die Identität ist negro. Laut
Maggie wird diese Bezeichnung jedoch erst 'erworben':
”Niemand ist negro, während alle als Schwarze (pretos), Weiße oder Braune
(pardos) geboren werden. [...] ”Negro werden” bedeutet, sich auf seine
Herkunft zu beziehen, aufgrund dieser Herkunft eine Identität zu konstruieren
und die Unterschiede durch die kulturelle Differenz und die Sklaverei zu
erklären” (1994: 315).
Wie die Begriffe verwendet werden, ist jedoch sowohl von der Situation und dem
Zeitpunkt als auch vom sozialen Umfeld und der Generation abhängig (Sansone 1996:
175-181). So ist auch die ethnische Identität einer Person nicht festgelegt, sondern
entsteht aus einem Kontext heraus, der sich im Prozeß der Sozialisation und der damit
verbundenen Veränderung der Umgebung ergibt und wandeln kann. Im Falle der
brasilianischen negros orientieren diese sich dabei an den afrikanischen Traditionen.
175
Die Zahlen von 1996 (veröffentlicht in A Tarde, Lazer&Informação, 8.11.1998, Seite 4) ergaben
folgende Aufteilung (jeweils für die Region Salvador und den Bundesstaat Bahia): brancos
607.650/3.574.522, negros (hier nicht pretos!) 481.141/1.433.805, pardos 1.689.608/7.756.744,
amarelos 8.283/28.616, indígenas 5.522/67.717, ohne Angabe 1.061/4.649, insgesamt
2.793.265/12.866.053.
176
Ebenso ist im allgemeinen Sprachgebrauch eher von moreno (braun) als von pardo (dunkel/-häutig)
die Rede.
177
Der 'typische' preto ist männlich, sehr dunkelhäutig, ohne kaukasische Züge (traços caucasóides), in
Shorts, Sandalen und ohne Hemd, spricht viel zu laut und grammatikalisch falsch (Sansone 1992:
92

Doch diese werden nicht einfach wiederbelebt und neu entdeckt, sondern neu definiert
und in einen neuen Kontext gestellt, um sich in der Gesellschaft Status, Ansehen und
Würde zu sichern und die eigene Identität zu schaffen. Sansone spricht dabei von dem
Prozeß einer ”reinvenção das tradições” (Neuerfindung von Traditionen) 178 , verbunden
mit
”[...] um desejo de utilizar símbolos do passado para participar melhor do
presente e para se modernizar sem perder a própria especificidade e, em
alguns casos, a individualidade” (1992: 145).
Die Ethnizität wird von den negros als Sprache benutzt, um die eigene Kultur sichtbar zu
machen und in die Gesellschaft zu integrieren (Cunha 1986: 99). Vielfach wird die
schwarze Kultur und die schwarze Bevölkerung als Diaspora 179 angesehen, in der sich die
kulturellen Traditionen halten und bewahren. Hier erhalten sie eine neue Funktion,
zusätzlich zu der alten, und bilden so eine Kontrast- oder Kontra-Kultur. Kulturelle
Differenzen werden zu Formen des Protestes gegen die übrige Gesellschaft; die Ethnizität
wird zu einer Art politischer Organisation, zu einem politischen Ausdruck (ebd. 1986:
99,107).
1.4 Von ‚branqueamento‘ zu ‚negritude‘
Die schwarzen Kulturen (culturas negras) weisen nach Sansone drei allgemeine
Charakteristika auf: ihre Elemente und ('Überlebens-') Strategien halten sich an den
unteren Schichten fest, sie haben eine Geschichte unabhängig von den Weißen (als
Sklaven, Arme und sozial Aufsteigende), und die auf ihre physischen Aspekte bezogenen
Diskriminierungen liefern die Basis für den Aufbau einer schwarzen Identität (1992:
147). Diese schwarze Identität resultiert aus den Rassenbeziehungen und impliziert eine
Umkehrung der auf sie angewandten Stigmata in etwas Positives. Die ethnische Identität
beruft sich auf ein 'Wir'-Gefühl angesichts anderer Gruppen und wird durch deren
Negation bestärkt (Bacelar 1989: 32). Das 'Wir'-Gefühl ist jedoch von sozialen
Strömungen abhängig und damit im Laufe der Zeit und von einer Generation zur anderen
veränderbar. Laut Bacelar besteht ein permanentes kollektives Bewußtsein, das sich
jedoch auf unterschiedlichste Weise ausdrücken kann. Während eine der erfolgreichen
165).
178
Zur 'Neuerfindung von Traditionen' siehe auch: Hobsbawm, Eric und Terence Ranger (Eds.) 1983 -
The invention of tradition. Cambridge.
179
Vgl. Cunha (1986: 99), Rodrigues in Revista do CD (Mai 1991: 20), A Tarde, Caderno 2
(20.2.1990), Ilê Aiyê (1989: 42), Risério (1995: 104).
93

Methoden die Assimilierung war, stellen die politischen Gruppierungen eine andere dar
(1989: 41). Das Bewußtsein der eigenen marginalen Position liefert die Motivation, seine
Identität von einer sozial inferioren Stellung zu einer superioren zu ändern. Entscheidend
dabei ist die herrschende Ideologie. Bacelar stellt die Zusammenhänge folgendermaßen
dar:
”Entendemos a ideologia como um conjunto de idéias ou formas de
linguagem, enquanto a identidade constitui-se na assunção destas idéias pelo
grupo ou indivíduo” (1989: 54).
Während in Brasilien zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus der Ideologie der
Rassengleichheit die ideologia do branqueamento geboren wurde, ergab sich in den 70er
Jahren eine neue Strömung: die der negritude 180 , des 'Schwarz-Seins'.
Der französische Begriff 'Négritude' entstand 1938 im Zusammenhang mit der Forderung
nach kultureller und politischer Eigenständigkeit, vor allem der französischsprachigen
Länder Afrikas. Er bezeichnet ”die Rückbesinnung der Schwarzen in Afrika und Amerika
auf die eigene afrikanische Kultur” (Duchâteau 1988: 339). Zu den bedeutendsten
Vertretern und Begriffsgebern dieser Ideologie zählen der Dichter Aimé Césaire 181 aus
Martinique, der Politiker und Lyriker Léopold Sédar Senghor 182 aus Senegal und der
Dichter Léon-Gontran Damas aus Französisch-Guayana. Césaires 'Négritude'-Begriff
beinhaltet weniger den Stolz auf die eigene Hautfarbe, sondern eher den Wunsch, zu
Afrika zu gehören, und wird somit verstanden als ”a return to one's native roots” (Bastide
1971: 217, 220). Die Theorie des Dichters unterscheidet sich somit von der
brasilianischen negritude, die nach Bastide ”a justification for Negroes as such, whether
from the viewpoint of colour or race” darstellt (1971: 222).
In Brasilien ist die negritude entstanden aus den politischen und sozialen Veränderungen
der vorangegangenen Jahrzehnte. In den 50er Jahren ließ eine extreme Landflucht die
Bevölkerung der Städte um etwa 15.000 Einwohner jährlich ansteigen, da die wachsende
Industrie auf bessere Arbeit hoffen ließ (Bacelar 1989: 74). Eine ausreichende Bildung
galt bis in die 70er Jahre als Garant für einen sozialen Aufstieg und eine verbesserte
Stellung. Die tatsächlichen schlechten Bedingungen und Diskriminierungen auf dem
Arbeitsmarkt 183 zeigten aber bald, daß die branqueamento-Ideologie so nicht
180
Waly Salomão nennt diese Strömung 'blackitude baiana' (zit. in Risério 1981: 23).
181
Césaire war der erste Schriftsteller, der den Begriff der 'Négritude' prägte. Vgl.: Césaire, Aimé 1939
- Cahiers d'un retour au pays natal. Paris. (Deutschsprachige Ausgabe: Zurück ins Land der Geburt,
1947).
182
Vgl.: Senghor, Léopold Sédar 1964 - Liberté 1, Négritude et humanisme. Paris. (Deutschsprachige
Ausgabe: Négritude und Humanismus, 1964).
183
Zur Situation auf dem Arbeitsmarkt siehe Agier, Michel (1994). Vgl. auch Sansone (1993).
94

funktionierte.
Desweiteren erlangten 1975 mehrere afrikanische Länder ihre Unabhängigkeit von
Portugal 184 und waren damit Staaten, die ganz von Schwarzen regiert wurden. Dies
widerlegte einen entscheidenden Aspekt der branqueamento-Ideologie: je näher das
Land an der afrikanischen Herkunft orientiert ist, desto weniger ist es zivilisiert
(Skidmore 1985: 14).
In Rio bestand durch den dortigen Sitz der afrikanischen Botschaften eine gewisse stetige
Verbindung zu Afrika (Turner 1985: 77). Hier und in São Paulo machten sich in den 70er
Jahren die Einflüsse des nordamerikanischen Black Consciousness Movement bemerkbar
- es entstand eine Bewegung, die sich 'Black Soul' oder auch 'Black Rio' nannte. Diese
galt weniger als politischer Ausdruck, sondern verkörperte sich in der Änderung der
Mode, der Musik und der Tänze. Die afro-brasilianische Bevölkerung erkannte die Stärke
des kollektiven Bewußtseins und setzte nun nicht mehr auf Assimilierung, sondern auf
Abgrenzung, vor allem durch die Betonung physischer Unterscheidungsmerkmale. Die
schwarzen Jugendlichen der Arbeiterklasse trugen nun Afro-Frisuren und afrikanische
Kleidung, hörten Funk und Soul-Musik, übernahmen ritualisierte Gruß-Gesten und
entwickelten Interesse an Persönlichkeiten wie Martin Luther King, Malcolm X und
Frantz Fanon 185 (Mitchell 1985: 108). Diese Suche nach neuen Ausdrucksformen wurde
von der weißen Bevölkerung vielfach als 'US-Abklatsch' und 'rassistische separatistische
Tendenz' kritisiert. Die Schwarzen wurden beschuldigt, die Samba und andere
'authentische' afro-brasilianische Kulturformen gegen nordamerikanische auszutauschen
(Turner 1985: 79). Tatsächlich entstand auf der einen Seite innerhalb der schwarzen
Bevölkerung eine bewußte Abgrenzung von der populär gewordenen traditionellen
Kultur:
”More traditional manifestations, such as samba clubs, are being abandoned
because Afro-Brazilians see them as having been corrupted by the
commercial and cultural dominance of whites” (Mitchell 1985: 109).
Auf der anderen Seite machte sich ein Wiederaufleben und eine Revitalisierung afro-
brasilianischer Kulturphänomene, wie eine verstärkte Präsenz der einst verbotenen
Afoxés in Salvador, bemerkbar (Turner 1985: 91). Die vermehrte Kritik an der
184 Moçambique, Angola, Kapverdische Inseln, São Tomé und Príncipe
185 Der schwarze Bürgerrechtler und Baptistenpfarrer King (1929-1968) trat für die friedliche
Rassenintegration und den gewaltlosen Widerstand gegen Diskriminierung ein. 1964 erhielt er dafür
den Friedensnobelpreis. Malcolm X, eigentlich Malcolm Little (1925-1965) kämpfte als schwarzer
Bürgerrechtler in der Organisation der Black Muslims. Seinen Nachnamen ersetzte er durch ein X
als Symbol für den unbekannten Namen seiner afrikanischen Vorfahren. Der afro-amerikanische
Schriftsteller Fanon (1925-1961) verfocht die Notwendigkeit gewaltsamer Revolutionen zur
95

eurozentristischen Sichtweise schuf den Platz für eine Aufwertung von Afrika und der
Tendenz der 'Rückkehr zu den Wurzeln' (”retorno às raízes”) (Hasenbalg 1993: 149).
Nicht mehr das europäische Bild wurde zum Ideal, sondern das afrikanische, das sich
auch in den neu gegründeten Blocos afro verdeutlichte. Die rein schwarzen Bewegungen,
wie im Falle von Ilê Aiyê, wurden damit begründet, daß ”só um negro pode entender
inteiramente coisas de negro” (Risério 1995: 99).
Moura unterscheidet zwei Formen der negritude: 1. die der schwarzen Elite, die das
Konzept von europäischen Bewegungen, besonders aus Frankreich, übernahm. Aus dieser
Ideologie heraus entstanden politische Organisationen wie die 'Frente Negra Brasileira'
(FNB) und der 'Movimento Negro Unificado' (MNU) (siehe Kapitel V.1.5); und 2. die
negritude der Arbeiterklasse, die sich in Protesten der schwarzen kulturellen Gruppen
(Samba-Schulen, Blocos afro, Afoxés), der 'ethnischen Gruppen', ausdrückte (Moura
1983: 102-105). Letztere bedeutet eine Uminterpretation der afro-brasilianischen Kultur
zu einer Ideologie und Politik und damit die Konstruktion der Identität des Schwarz-Seins
in Brasilien.
Inzwischen sucht auch die weiße Industriegesellschaft in der afro-brasilianischen Kultur
eine Art 'Lebensausgleich' zu dem Leben in der Stadt. Mit der Herausstellung der
negritude in der Version der dominierenden Schichten bekommt die Ideologie laut
Bacelar eine Kehrseite: in der Konstruktion der baianidade wird die 'fremde', also die
afrikanische Kultur inkorporiert und dadurch die 'Rassendemokratie' erneut
hervorgehoben. Das 'Andere', das 'Exotische' wird in das Bild Bahias aufgenommen und
darin erfolgreich vermarktet und läßt damit die schwarze Kultur zu einem Produkt der
kulturellen Industrie werden (Bacelar 1989: 94/95). Sansone meint zudem, daß durch
diese Vermarktung die Stereotypen bezüglich der Schwarzen, als ein 'ausgelassenes Volk'
und als Menschen, die 'natürlicher' als die Weißen sind 186 , bestärkt werden (1992: 168).
Doch genauso lassen die 'Neuentdeckung' der afrikanischen Traditionen einerseits und die
materiellen Möglichkeiten andererseits den Afro-Brasilianern die Wahl, negro zu werden
oder nicht (ebd. 1992: 169). Der Terminus baianidade stellt für Sansone das
Schlüsselwort einer bestimmten Art von schwarzer Identität dar - als Resultat des
Versuchs, negro, jung und modern zu sein und sowohl die kulturellen Traditionen als auch
die modernen Strömungen zu vereinen 187 (1996: 179).
Beseitigung des Kolonialismus. Er prägte Ausdrücke wie 'Black Power' und 'Black America'.
186 ”como povo do lazer e como gente que é mais 'natural' do que os brancos” (Sansone 1992: 168).
187 ”fruto da própria tentativa de ser negro, jovem e moderno, podendo e devendo ser consumidor de
bens culturais e de moda”
96

1.5 Die brasilianische Schwarzenbewegung - 'o movimento da consciência negra'
Die schwarze Bevölkerung Brasiliens fand schon früh Möglichkeiten, sich zu
organisieren - sei es in den quilombos, den religiösen Bruderschaften oder später den
Karnevalsvereinigungen. Die Anfänge der brasilianischen Schwarzenbewegung liegen in
den ersten Bestrebungen der afrikanischen Bevölkerung in Brasilien nach Freiheit und
Gerechtigkeit - in den Revolten der Sklaven und der abolitionistischen Bewegung des 19.
Jahrhunderts. Hofbauer nennt als ”ideengeschichtlichen Vorläufer” der schwarzen
Gruppierungen des 20. Jahrhunderts die 'Caifazes', eine abolitionistische Gruppe Ende
des 19. Jahrhunderts, die sich für die sofortige Freilassung der Sklaven, die bessere
Integrierung von Ex-Sklaven und sogar Reparationszahlungen für die afro-brasilianische
Bevölkerung einsetzte (1995: 198/199). Zu Beginn des folgenden Jahrhunderts entstand
eine schwarze Presse (”imprensa negra”) 188 , vor allem, um über die Aktivitäten der
sozialen und kulturellen Gemeinschaften des schwarzen Bevölkerungsanteils zu berichten,
was die weiße Presse nicht tat (Moura 1983: 52). Doch ebenso behandelten sie
Rassenfragen, Ideologien und Ideen aus dem schwarzen Umfeld und galten als Sprachrohr
des Protestes gegen Rassenvorurteile und die Marginalisierung der Schwarzen. Ebenfalls
durch eine Zeitschrift, die ”A Voz da Raça” (1933-37) drückte sich die 'Frente Negra
Brasileira', kurz FNB, aus. Diese am 16.9.1931 in São Paulo gegründete Organisation gilt
mit etwa 70.000 Anhängern 189 als größte und einflußreichste schwarze Gruppierung ihrer
Zeit (Moura 1983: 56). Ihr gelang es, ”schwarze Kräfte” nach dem Modell ”europäischer
politischer Organisationsstrukturen” zu einen (Hofbauer 1995: 200). Mit ihrem militanten
Vorgehen stieß die FNB zunächst überwiegend auf Unverständnis und wurde beschuldigt,
eine ”discriminação ao contrário” (umgekehrte Diskriminierung) zu betreiben (Moura
1983: 57). Doch durch ihre Anlehnung an die branqueamento-Ideologie 190 und eine
Philosophie, die sich auf eine geförderte Bildung bezog 191 , gewann sie mit der Zeit nicht
188 1915 erschien in São Paulo die erste von Dunkelhäutigen für Dunkelhäutige herausgegebene Zeitung
mit dem Namen ”Menelick” , die bis 1963 bestand (Moura 1988: 204). Menelick II. (gest. 1913)
war Herrscher von Äthiopien. Zudem wurden die Schwarzen in São Paulo von den italienischen
Einwanderern 'Menelick' genannt (Hofbauer 1995: 265).
189 bei einer Gesamtbevölkerung von 40 Millionen Menschen (Hofbauer 1995: 265)
190 ”Ohne das weiße Gesellschaftsmodell zu hinterfragen oder zu kritisieren, setzten die Führungskräfte
der Schwarzen Bewegung der 30er Jahre auf Assimilierung” (Hofbauer 1995: 201).
191 Aus Artikel 3 der FNB-Statuten: ”Die 'Frente Negra Brasileira' zielt als soziale Kraft auf die
Ausbildung von moralischen, intellektuellen, künstlerischen, technischen, beruflichen und
97

nur das Vertrauen der Bevölkerung, sondern auch das der Autoritäten. Ihr Einfluß dehnte
sich in andere Bundesstaaten wie Rio de Janeiro, Pernambuco, Bahia und Rio Grande do
Sul aus, wo Untergruppen der FNB gegründet wurden. Angesichts ihres Erfolges
transformierte die Frente Negra 1936 zu einer politischen Partei. Ein Jahr später jedoch
unterband die Diktatur des ”Estado Novo” 192 jegliches offene politische Engagement, die
Zeitschrift der Partei wurde eingestellt, und 1938 löste die Organisation sich endgültig
auf (ebd.).
Eine weitere schwarze Gruppierung war die am 28.12.1954 gegründete 'Associação
Cultural do Negro' (ACN), deren Schwerpunktarbeit im Bereich der Kultur, des Sports,
der Bildung, des Feminismus und der Erholung lagen (Moura 1983: 58). Ebenfalls als
Schwarzenbewegung sieht Moura die escolas de samba. Abgesehen von ihrer
karnevalistischen Arbeit sind sie Treffpunkte der Schwarzen, die das Gruppengefühl und
das ethnische Bewußtsein stärken (1983: 60) 193 . Während diese und andere kulturelle
Gruppen in erster Linie als Treffpunkte der Afro-Brasilianer dienten und darin die
afrikanischen Traditionen bewahrt wurden, organisierten sich in den kommenden
Jahrzehnten 194 immer mehr Gruppen des Protestes. Mit der 'Abertura Democrática' 195
('Demokratische Öffnung') nach der Präsidentschaft Ernesto Geisels (1974-79) ließ der
Druck der Militärherrschaft nach, viele politische Gefangene wurden befreit, die
Pressefreiheit neu eingeführt, und politische Führer kehrten aus dem Exil zurück (Mitchell
1985: 95). Die neue politische Strömung schaffte ein gesundes Klima für das wach
werdende rassische Bewußtsein und ließ die aufkommenden schwarzen Bewegungen laut
werden. Beeinflußt wurden diese durch jene der USA und die Unabhängigkeitskämpfe
ehemaliger Kolonien in Afrika.
Nach dem Tod des schwarzen Arbeiters Robson Silveira da Cruz aufgrund von
Mißhandlungen durch die Polizei und weiteren rassistischen Ereignissen in Folge 196
physischen Fähigkeiten: Beistand, Schutz, soziale, juridische und arbeitsrechtliche Verteidigung der
schwarzen Menschen” (zit. in Hofbauer 1995: 266).
192 Das diktatorische Regierungssystem des ”Estado Novo” auf ständisch-korporativer Grundlage wurde
von dem damaligen Ministerpräsidenten (1932-68) Antônio de Oliveira Salazar geschaffen und von
Getúlio Vargas (Präsident von 1930 bis '45 und 1950-54) mit Aufhebung der neu ausgearbeiteten
Verfassung gestärkt.
193 ”pontos de reuniões dos negros que, além de bailes, vão ativar o seu espírito associativo e avivar a
sua consciência étnica”
194 1964 wurde durch einen Staatsstreich die Militärherrschaft in Brasilien eingeleitet (die bis 1985
andauerte), wodurch sämtliche politischen Aktivitäten erschwert wurden. Trotzdem entstanden,
besonders in Rio und São Paulo, immer wieder neue schwarze Gruppen (Hofbauer 1995: 203).
195 Mitchell (1985) hat sich ausführlich mit der Entstehung, den Ideen und der Kritik an der 'Abertura
Democrática' befaßt.
196 Im Mai 1978 wurden vier schwarze Athleten aus der Jugend-Volleyball-Mannschft des 'Clube Regata
98

wurde am 18.6.1978 in São Paulo eine öffentliche Protestveranstaltung 197 organisiert,
gegen die Rassendiskriminierung in einem Land, in dem die Militärdiktatur noch immer
die Existenz der Rassendemokratie propagierte. Im Verlauf der Veranstaltung schlossen
sich mehrere kleine Gruppen zu einer der wichtigsten schwarzen Bewegungen der letzten
Jahre zusammen: dem 'Movimento Negro Unificado Contra a Discriminação Racial'
('Geeinte Schwarze Bewegung gegen Rassendiskriminierung'), der sich seit dem ersten
Nationalkongreß im Dezember 1979 vereinfacht 'Movimento Negro Unificado' (MNU)
nennt (Moura 1983: 72/73). Der MNU definiert sich selbst als
”[...] a political movement of revindication, without any distinction of race,
sex, education, or political or religious belief, and without seeking profit” (in
Gonzalez 1985: 126).
Als organisatorische Basiseinheiten dienen dem MNU sogenannte 'Centros de Luta' (CL),
bestehend aus einem Minimum von fünf Personen, die die Statuten und Prinzipien der
Organisation akzeptieren und weitertragen. Die weitgehend autonomen CLs sollten sich in
allen Bereichen befinden, wo Schwarze sich aufhalten: unter anderem in Schulen,
Fabriken, Candomblés, Samba-Schulen, Afoxés und anderen Karnevalseinheiten,
Stadtvierteln und Armenvierteln (Moura 1983: 73/74, Gonzalez 1985: 125). 1979 griff
der MNU die Idee der 'Palmares'-Gruppe aus Porto Alegre auf, die traditionellen
schwarzen Feiern vom 13. Mai auf den 20. November zu verlegen. Dieses Datum - der
Todestag Zumbis, des letzten Führers von Palmares - wurde zum 'Dia Nacional da
Consciência Negra' (Nationaler Tag des Schwarzen Bewußtseins) proklamiert. Viele
Schwarze lehnen bis heute den Nationalfeiertag als 'Tag der Abschaffung der Sklaverei',
als 'Tag der Befreiung' ab, ”weil an diesem Tag ein Gesetz unterzeichnet wurde, das bloß
am Papier stehen blieb und die Unterdrückung verhehlt, der der Schwarze bis heute
ausgesetzt ist” 198 . Heute versammeln die Protestmärsche dieses Tages über 2500
Personen, darunter Vertreter verschiedener kultureller Gruppen und
Karnevalseinheiten 199 , und auch die katholische Kirche ehrt Zumbi jährlich mit einer
Tietê' ausgeschlossen; im Stadtteil Lapa wurde der schwarze Arbeiter Nilton Lourenço durch einen
Polizisten ermordet (Moura 1983: 72).
197 An der Veranstaltung nahmen mehr als 3000 Schwarze teil, und unter den Rednern befanden sich
unter anderem Clóvis Moura, Mílton Barbosa, Eduardo de Oliveira und Abdias do Nascimento
(Moura 1983: 73).
198 aus dem Dokument der 2. Nationalversammlung des MNU, zit. in Hofbauer 1995: 205.
199 In der Zeitung A Tarde vom 21.11.1998 (S.3) wurde die Abwesenheit von Vertretern gerade der
großen Blocos afro und Afoxés (Ilê Aiyê, Muzenza, Ara Ketu, Filhos de Gandhy) bei den
Protestmärschen heftig kritisiert und als ”um ato de não-engajamento em movimentos dessa
natureza” bezeichnet. Doch Ilê Aiyê nennen den 20. November als einen ihrer festen Termine
innerhalb eines Jahres (A Tarde 8.11.1998, Lazer & Informação, S.4), und die Filhos de Gandhy
nahmen zumindest an der Messe auf dem Largo do Pelourinho teil (A Tarde 21.11.1998, S.3).
99

Messe im 'afro-brasilianischen Stil', die neben dem Bischof, weiteren Kirchenvertretern
und Aktivisten der Schwarzenbewegung auch Mitglieder der traditionellen
Bruderschaften vereint (A Tarde 21.11.1998).
Palmares und der quilombo an sich gilt als effiziente Widerstandsform gegen ein politisch
repressives System. Einer der Mitbegründer des MNU, Abdias do Nascimento, der
bereits in den 40er Jahren das 'Teatro Experimental do Negro' (TEN) gegründet hatte und
Aktivist der FNB war, prägte den Begriff des quilombismo. Dahinter steht die
Vorstellung, daß schwarze Vereinigungen ”als von der dominierenden Gesellschaft
legalisierte 'quilombos'” angesehen werden können, als ”internationale Alternative für
die Organisierung der afro-amerikanischen Massen der gesamten Neuen Welt” (Hofbauer
1995: 207,268) 200 .
In Bahia wurde 1974 die Gründung des ersten Bloco afro, Ilê Aiyê, zum entscheidenden
Moment der neuen schwarzen Bewegungen. Sie standen in dem Bewußtsein, außer
Karneval auch Politik zu betreiben (Silva 1988: 279). Ihre Mitgliederzahl von 800-1000
Personen im Karneval 1977 zeugte von der Bestärkung, die die Gruppe durch die
Bevölkerung erhielt und ließ die anfängliche Angst, als Kommunisten angesehen und
politisch unterdrückt zu werden, verschwinden (ebd. 1988: 278,281). (Siehe auch Kapitel
IV.2.2.1). Mit Gründung der Blocos afro entstand innerhalb der afro-baianischen
Bevölkerung das Bewußtsein der Notwendigkeit, eine politische Protestbewegung in
Opposition zu den Vertretern des 'Rassenparadieses' zu organisieren.
Der Unterschied der Bewegungen in São Paulo und in Bahia bestand darin, daß in São
Paulo die Schwarzen sich auf einer politischen Ebene Ausdruck verschafften, während in
Salvador kulturelle Ausdrucksformen benutzt wurden, um dadurch die politische Ebene zu
erreichen. Unter den radikalen Anhängern der Bewegung São Paulos befanden sich
vielfach Personen aus universitären und politischen Kreisen, dagegen bildeten in Bahia
überwiegend Künstler - Musiker, Tänzer, Bildhauer, Theaterleute - die Schwarze
Bewegung, mit dem gemeinsamen Hintergrund des täglichen Diskriminiert-Werdens (ebd.
1988: 282/283).
Die 'Bewegung des schwarzen Bewußtseins' (o movimento da consciência negra), wie
die neue Schwarzenbewegung auch genannt wird, ist heute mit über 600 Organisationen 201
so stark wie nie zuvor - und doch distanzieren sich etwa 90% der schwarzen Bevölkerung
200 Zum quilombismo siehe: Nascimento, Abdias do 1980 - O quilombismo. Petrópolis, Vozes.
201 (Burdick 1992: 23). Der Autor teilt die Organisationen in folgende Kategorien ein: universitäre,
staatlich gesponsorte, die der katholischen Kirche, politische geformte und informelle Gruppen
schwarzer Aktivisten (ebd.).
100

von deren Konzepten und Ideologien (Burdick 1992: 25). Der Grund ist die Zugehörigkeit
vieler Aktivisten zu einer sozialen Minderheit - der intellektuellen schwarzen Elite. Für
Moa do Catendê vom Afoxé Badauê haben die Mitglieder des MNU keinen klaren
Standpunkt, sondern 'philosophieren nur vor sich hin' auf eine Weise, die die Mehrheit
der Schwarzen nicht versteht (in Risério 1981: 76). Auch Macalé von Ilê Aiyê meint:
”Eles deviam falar uma linguagem popular, uma coisa clara, pra todo mundo
entender. Mas não. O problema é que eles só gostam das coisas 'científicas'.
É uma minoria, uma coisa mais de universitário, e o que eles gostam mesmo é
de ensinar” (zit. in Risério 1981: 80).
Die brasilianische Schwarzenbewegung hat sich in zwei Lager aufgespalten: die der
kulturalistischen und die der politischen Seite. Dies ist nach Hasenbalg mit ein Grund,
warum die heutige Bewegung weniger erfolgreich in bezug auf die Mobilisierung der
Bevölkerung ist als die Bewegung der 30er Jahre (1993: 149).
2. Der Karneval heute / Professionalisierung des Karnevals
2.1 Afoxés - die Candomblés der Straße
Die Afoxés drücken ihre Protesthaltung gegen die herrschende Politik durch die Religion
aus. Die Candomblés gelten als Bewahrer der afrikanischen Traditionen, in bezug auf die
Sprache, das Essen und die Geschichte mythischer Personen (durch die lendas), und
somit einer verlorenen afrikanischen Identität. Die Religion war eine Möglichkeit,
grundlegende Phänomene der afrikanischen Kultur lebendig zu erhalten, auch wenn dabei
verschiedene afrikanische Kulturen vermischt und europäische sowie indigene Elemente
integriert wurden (Bacelar 1989: 86/87). Der Candomblé gilt in Brasilien als
”[...] uma espécie de pacífico e sagrado quilombo, centro de resistência
cultural e de identidade étnica e social dos negros, a impedir sua
desafricanização total” (Risério 1981: 83).
Juana Elbein (zit. in Risério 1981: 83) bezeichnet die terreiros, die Kultstätten des
Candomblé, als ”communitas” nach Victor Turner, also als einen Bereich, in dem die
Solidarität der Gruppe eine Person dazu befähigt, an den gegebenen Strukturen Kritik zu
üben und kulturell kreativ zu sein (Ivanov 1993: 222).
Guerreiro weist darauf hin, daß gerade die neueren Afoxés, wie Badauê, Ojú Obá oder
Olori, nicht mehr unbedingt einen direkten Bezug zu den Candomblés haben und eher als
schwarze Organisationen des kulturellen Widerstandes zu sehen seien (1994: 102).
101

Dieser Standpunkt wird auch von den Filhos de Gandhy vertreten. Für Tio Souza,
verantwortlich für die Öffentlichkeitsarbeit des Afoxé, ist die 'Bewegung des schwarzen
Bewußtseins' von größter Wichtigkeit, da die Schwarzen täglich für ihre Ideale kämpfen.
Die schwarzen Bewegungen bilden eine Möglichkeit, dem Ideal ihrer Bürgerrechte
Ausdruck zu verleihen 202 . Die Präsidentin der Filhas d'Oxum, Rosângela Guimarães,
distanziert sich jedoch von dieser Richtung, da ihrer Ansicht nach nicht die Hautfarbe
eines Menschen, sondern der Mensch als Individuum im Vordergrund stehen sollte:
”Acho que a melhor coisa prá igualar os homens é não se falar em cores”. Das Problem
sei nicht die Rassendiskriminierung, sondern die schlechten sozialen Verhältnisse: ”Na
realidade as pessoas não discriminam o negro, discriminam a falta de poder financeira
do mundo”. Die Schwarzenbewegung wird ihrer Ansicht nach nur dazu genutzt,
kommerzielle Gewinne durch Veranstaltungen wie dem 'Dia da Consciência Negra' zu
machen, während die Traditionen in Vergessenheit geraten 203 . Doch gerade in den letzten
Jahrzehnten hat eine Wiederbelebung dieser afrikanischen Traditionen stattgefunden.
Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren diese durch verschiedene
Wissenschaftler 204 ausführlich dokumentiert worden, und mit Hilfe dieser Werke
bemühten die Kultanhänger sich nun im Zuge der Reafrikanisierungsbewegungen um eine
'Renovierung' der afro-brasilianischen Religionen. Je mehr sie sich an die afrikanischen
Wurzeln anglichen, je 'reiner' sie waren, desto eher wurden sie von der weißen
Bevölkerung akzeptiert (Bacelar 1989: 87). Die Kulte werden heute vielfach als
exotisches Produkt und Symbol der kulturellen Vielfalt Bahias vermarktet, sei es in Form
der Afoxés oder anderer Touristenattraktionen wie den afro-brasilianischen Festen
'Lavagem do Bonfim' und 'Festa de Iemanjá'.
2.2 Blocos afro als schwarze Bewegung
Die Mitglieder von Ilê Aiyê grenzen sich durch ihre Unabhängigkeit von den politischen
Parteien von der militanten und politisch orientierten Bewegung des MNU ab (Risério
1981: 84). Obwohl beide Gruppierungen in einer gewissen Verbindung stehen und die
gleichen Ziele verfolgen, werfen sie sich gegenseitige Uneffizienz in ihren
Vorgehensweisen vor. Während der MNU angeblich nur redet und nichts bewirkt, werden
202 Interview mit Tio Souza, 10.2.1999.
203 Interview mit Rosângela Guimarães, 6.2.1999.
102

Ilê Aiyê auf der anderen Seite als 'ein Haufen Schwarzer' (”uma porção de negão burro”),
die nur etwas vom Karneval-Feiern verstehen, bezeichnet (ebd. 1981: 84-86).
Als in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts die negritude-Bewegung mit dem
Schwerpunkt der Bewußt-Machung der eigenen ethnischen Herkunft entstand, waren die
Blocos afro die ersten, die dieses Bewußtsein öffentlich ausdrückten. Zunächst als
rassistische Gruppen beschimpft gelang es den Blocos afro, mit Hilfe von Intellektuellen
und Künstlern zumindest ihr sozio-kulturelles Umfeld zu ändern. Sie haben bewirkt, daß
im heutigen Bahia die negromestizische Kultur nicht dominant, dafür aber hegemonisch
ist 205 , und somit eine neue kulturelle Grundlage geschaffen.
In einem Lied von Edson Carvalho der Gruppe Ilê Aiyê ('Negros de Luz') wird der bloco
als quilombo bezeichnet (”o quilombo dos negros de luz”), dessen Anhänger Palmares
von neuem erstehen lassen (Silva 1995: 114). Gemeint ist damit die Notwendigkeit eines
neuen Widerstandes und einer erneuten Abolition.
Ilê Aiyê beklagen die Ausnutzung vieler blocos durch die politischen Parteien, indem sie
Hilfe bei der Finanzierung der Ausrüstung, der Instrumente und der Quartiere nur gegen
Unterstützung bei den Wahlen und in der Öffentlichkeit zusichern. Zudem kritisieren sie
die kolonialistisch anmutende und rassistische Vermarktung des 'exotischen Schwarzen'
(Ilê Aiyê 1989: 37). Doch auch die Blocos afro selbst bestärken einige negative Seiten.
So entzieht die unterschiedliche Ausrichtung einzelner blocos die Glaubwürdigkeit der
Bewegung insgesamt; die meisten Gruppen tauschen sich nicht untereinander aus oder
konkurrieren miteinander in bezug auf Anerkennung und den Stellenwert in der
Gesellschaft. Außerdem dominiert in einigen Karnevalsgruppen die Zahl hellhäutiger
Personen, die die schwarze Kultur als Aushängeschild benutzen, andererseits aber die
Schwarzen zum Beispiel bezüglich der Direktion der blocos weiter diskriminieren (ebd.
1989: 41). Doch auf der anderen Seite hat es die schwarze Bevölkerung geschafft, sich zu
organisieren und den Wert der afro-brasilianischen Kultur herauszustellen. Die blocos
thematisieren Afrika und afro-brasilianische Motive und werden zu 'lebenden
Bibliotheken' (”bibliotecas vivas”), die gerade der jüngeren Generation Kenntnisse über
ihre eigene Geschichte und Kultur näherbringen (ebd. 1989: 40).
Die Blocos afro bilden die sozio-politische Ebene des Karnevals, auf der sie die Musik
und ihre äußere Erscheinung, vor allem aber ihre Popularität dazu benutzen, die eigene
204 Arthur Ramos, Raimundo Nina Rodrigues, Manoel Querino
205 ”[...] na Bahia de hoje, a cultura negromestiça não é dominante, mas é, certamente, hegemônica”
(Risério 1995: 106).
103

schwarze Identität zu definieren und zu repräsentieren. Diese Popularität ist es jedoch
auch, die die Blocos afro zu Instrumenten politischer Projekte werden läßt. Durch sie und
ihre Vermarktung wird das Bild von Salvador als der 'Hauptstadt des Vergnügens'
('Capital do Prazer') (Risério 1981: 120) vermittelt.
2.3 Karneval als Kontra-Kultur?
Während in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts auf der einen Seite
kontrakulturelle Bewegungen wie die Hippie-, Friedens-, Frauen- oder die
Homosexuellenbewegung der universitären weißen Schichten entstanden, kämpfte auf der
anderen Seite die schwarze Bevölkerung der unteren Schichten für rassische
Gleichberechtigung, mehr Bildung und Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt. Vor
allem der Karneval galt dabei als ethnischer Ausdruck der afro-brasilianischen
Jugendlichen in Bahia. Der Integrationismus der frühen Schwarzenbewegung des 20.
Jahrhunderts, der die sozio-rassischen Unterschiede innerhalb der Bevölkerung
verringern wollte, hatte das gleiche Ziel wie einige Jahrzehnte später der Karneval und
die 'Bewegung des schwarzen Bewußtseins': die Akzeptanz des Schwarzen. Die neue
Bewegung setzte jedoch auf die Akzeptanz des Schwarzen als Einzelperson, als
individuell verschiedener Mensch (Risério 1995: 105/106).
Der Karneval des späten 20. Jahrhunderts zeichnet sich laut Sansone durch die Werte
einer neuen Generation aus. Für die schwarzen Jugendlichen basiert die cultura negra
weniger auf traditionellen Strukturen als auf den Symbolen einer neuen Identität - der
eigenen Hautfarbe, dem Karneval als Raum, in dem die Schwarzen eine Machtposition
einnehmen, und der internationalen Orientierung, sei es bezüglich der Musik oder der
Mode. Die neue Generation möchte sowohl negro als auch modern sein und benutzt die
afrikanischen Traditionen als Ausdruck ihrer negritude (Sansone 1993: 90/91).
Im Falle der schwarzen Karnevalsgruppen kann von einer 'Revitalisierungsbewegung' 206
gesprochen werden, als Reaktion auf die herrschende, von Weißen dominierte
Gesellschaftsordnung. Nach Gabriele Weiss wird hierbei
”das traditionelle Glaubenssystem [...] wiederbelebt als Ausdruck der
bewußten Rückkehr zu den Ursprüngen, um die alten Traditionalismen wieder
206 Definition nach Weiss: ”Revitalisierungsbewegungen, religiöse und politisch determinierte
Strömungen, denen der Wunsch zu einer Innovation der herrschenden Lebensbedingungen zugrunde
liegt” (1988a: 403).
104

aufleben zu lassen und so die totale Ablehnung der Fremdherrschaft zu
dokumentieren. Es werden bestimmte Kulturelemente aus Vergangenheit und
Gegenwart ausgewählt, denen symbolischer Wert für ein neues Bewußtsein
der Zusammengehörigkeit verliehen wird” (1988a: 403).
Der Karneval wird somit zu einer 'nativistische Bewegung' 207 , bei der die eigene Religion
und Kultur als zentrale Phänomene angesehen werden, ”ungeachtet der Übernahme von
Elementen aus jener Religion und Kultur, gegen die man protestiert” (Thiel 1984: 219).
Die eigenen Werte werden dabei demonstrativ hervorgekehrt und das kollektive
Bewußtsein zur Geltung gebracht (ebd. 1984: 220).
Vor allem die afro-brasilianischen Kulturphänomene werden heute als Hauptmerkmale
des baianischen Karnevals hervorgehoben. Während der Entrudo und der 'Carnaval
Veneziano' nach europäischen Vorbildern entstanden und gefeiert wurden, hat sich heute
ein Karneval etabliert, der durch afrikanisch determinierte Phänomene geprägt ist. Durch
sie wird jedoch laut Simson ein Symbol 'par Excellence' für den Mythos von der
brasilianischen Rassendemokratie geschaffen (1981: 51). Die Autorin kritisiert vor
allem, daß die Kreationen der Unterklassen nach Geschmack der oberen Schichten
transformiert werden. Zunächst durch die Weißen verboten und verfolgt, setzten sich die
afrikanischen Traditionen mit so großem Erfolg durch, daß sie inzwischen von eben
diesen dominanten weißen Schichten als 'typisch baianisch' kommerzialisiert werden und
so ein Teil des brasilianischen Nationalbildes geworden sind (1981: 53).
Die heutige Schwarzenbewegung in Salvador scheint laut Risério zu einer Art Mode
geworden zu sein. Bereits die 'black soul'-Bewegung, die später zur Ideologie der
negritude transformierte, kam als Modeerscheinung aus den USA nach Brasilien. Erst die
weitere Auseinandersetzung mit dieser Bewegung ließ die Musikrichtung des Soul zum
ijexá und black zu negro werden und daraus die Blocos afro entstehen (1995: 94). Durch
die zunehmende Popularisierung der afro-brasilianischen Musik und dem damit
verbundenen Streben nach Erfolg ist eine Rivalität entstanden, die sich besonders in den
Inhalten bemerkbar macht. Der Karneval verliert den Charakter der Auseinandersetzung
zwischen Weißen und Schwarzen und wird zu einem 'Fest der Verbrüderung der Klassen
und Rassen' (Oliveira 1979: 82). Der Hauptakzent liegt dabei auf dem neuen Bild Bahias,
der baianidade oder auch brasilidade - der 'brasilianischen Sinnlichkeit' in Form der
morena (der Mulattin) in Verbindung mit den musikalischen Formulierungen der ”axé
music” (Moura 1996: 182). Die Blocos afro streben nach Professionalität, die ihnen als
207 ”[...], unter diesem Begriff werden jene Bewegungen eingeordnet, in denen ausgewählte Aspekte der
bodenständigen Kultur bewußt wiederbelebt werden” (Weiss 1988b: 336).
105

Schwarzen eine Aufstiegsmöglichkeit bietet. Die großen blocos bringen jedes Jahr eine
Schallplatte mit Liedern heraus, deren Themen nicht mehr nur an der Ethnizität orientiert
sind. Zudem werden von Autoren und Kennern der brasilianischen Musik wie Moura
(1996: 186) Bedenken bezüglich der technischen Qualität der Arbeiten geäußert. Viele
kleinere blocos werden von den Schallplattenfirmen gefördert und gelangen schnell zu
einem hohen Bekanntheitsgrad - ein Erfolg, der aufgrund der großen Konkurrenz meist
jedoch nur kurzlebig ist und schnell in Vergessenheit gerät. Die zunehmend organisierten
Ereignisse rund um den Karneval in vielen Stadtvierteln und die am Tourismus orientierte
Organisation des Karnevals nähert diesen an die Festlichkeiten in Rio an. Risério spricht
von der Gefahr einer ”carioquização”, bei der die Blocos afro und Afoxés sich in eine
gewöhnliches Karnevals-Schema einordnen lassen, einem gestaltlosen Publikum ein
übertriebenes Spektakel präsentieren und damit ihre ursprüngliche Aussage und
Protesthaltung verlieren (1981: 126). Doch ohne Zweifel haben die afro-brasilianischen
Gruppen des Karnevals in Salvador die Kultur und das soziale Leben der Stadt
unwiderruflich geprägt.
”Os blocos e afoxés foram e estão sendo o grande veículo de conscientização
cultural, social e política dos negros em Salvador, nos últimos cinqüenta
anos” (Ilê Aiyê 1989: 40).
VI. Zusammenfassung und Schluß
Durch den portugiesischen Sklavenhandel kamen mehrere Millionen Afrikaner nach
Brasilien. Die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und die damit verbundene
regionale Verschiebung der Zielhäfen hatte zur Folge, daß während der ersten Periode
der Sklaverei vor allem Afrikaner aus dem sudanesischen Raum nach Bahia gelangten.
Die Einteilung in nações zur charakteristischen Klassifizierung durch die Portugiesen bot
den Schwarzen die Möglichkeit, sich selbst zu identifizieren und somit Teile ihrer
Traditionen zu bewahren. In religiösen Bruderschaften, die aufgrund der oberflächlichen
Missionsarbeit sowohl katholische Phänomene als auch solche afrikanischer Religiosität
in sich vereinten, fanden sich ebenfalls mehrheitlich Afrikaner einer Kulturregion. Sie
stellten einen sozio-kulturellen Freiraum und eine legale Organisationsform für die
Schwarzen dar. Unter der Schirmherrschaft der Kirche verbanden sich katholische
Glaubensvorstellungen mit denen der Afrikaner. Je nach ethnischer Dominanz gingen
106

daraus verschiedene synkretistische Kulte hervor. In Bahia war dies der Candomblé mit
Glaubensvorstellungen der Yoruba aus Nigeria. Abgesehen von einigen
Neuinterpretationen finden sich vielfache Übereinstimmungen der Yoruba-Religion mit
den Vorstellungen des Candomblé. So hat sich auch der Götterpantheon in vereinfachter
Weise erhalten und mit den Liedern für die Gottheiten auch deren Eigenschaften, die
Sprache und die Rhythmen. Einflüsse anderer Ethnien finden sich hier zum Beispiel in der
Instrumentalisierung im Candomblé. Aber nicht nur die afrikanische Religion hat sich in
Bahia niedergeschlagen, sondern ebenso die Küche, die Kunst oder auch die Musik
Afrikas. Doch auch in diesen Bereichen kommen die afrikanischen Vorbilder größtenteils
aus der Religion. Diese wurde das erste Mal durch katholische Heiligenprozessionen auf
die Straßen getragen. Während die weiße Bevölkerung bis Anfang des 20. Jahrhunderts
Karneval nach europäischen Vorbildern (dem portugiesischen Entrudo und dem
venezianischen Karneval) feierte, fanden die Schwarzen in der Vermischung der
kirchlichen Prozessionen mit ihren überlieferten Bräuchen eine Möglichkeit, ihre
traditionelle Kultur und Religiosität auf die Straße und somit in die Öffentlichkeit zu
tragen. Aufgrund der fehlenden Akzeptanz durch die Weißen bildete die schwarze
Bevölkerung eigene Karnevalsgruppen in Form von cordões, ranchos und Sambagruppen.
Während die weiße Bevölkerung sich in geschlossene Clubs zurückzog, wurde die Straße
zum Karnevalsszenarium der Schwarzen. Zunächst in Karnevalsclubs, später durch die
Afoxés, blocos de índio und Blocos afro, begannen sie, sich gegen die ihnen aufgedrückte
'Ideologie der Weiß-Werdung', die für sie mit der Hoffnung auf eine verbesserte soziale
Stellung verbunden war, zu wehren und ein Selbstbewußtsein bezüglich ihrer afro-
brasilianischen Identität zu entwickeln. Der baianische Karneval des 20. Jahrhunderts
bekam erst durch die Einführung des trio elétricos eine eigene, von den europäischen und
anderen brasilianischen Festen verschiedene Form. Inzwischen gehört er zu den größten
brasilianischen Veranstaltungen und ist zu einer wichtigen Einnahmequelle für die
Regierung geworden, vor allem durch den noch immer zunehmenden Tourismus. Die afro-
brasilianische Kultur wurde auf dieser Ebene zu einem gut zu vermarktenden Faktor und
daher zu einem wichtigen Bestandteil in dem Aufbau eines international attraktiven
Images Bahias.
Doch der Karneval des späten 20. Jahrhunderts ist durch die afro-brasilianischen
Karnevalsgruppen ebenfalls zum Szenarium der Protestbewegung der Schwarzen und
einem öffentlichen Ausdruck ihrer eigenen ethnischen Identität geworden. Die Afoxés
sehen in dem Karneval die Möglichkeit, ihre Traditionen zu erhalten, sie an die
107

Öffentlichkeit zu tragen und dadurch neu zu verbreiten. Die Reafrikanisierungsbewegung
bestärkt sie in ihrer Kultur, und deren Ausdruck im Karneval führt nach jahrzehntelanger
Repression zu einem neuen Selbstbewußtsein im Umgang mit den afrikanischen
Traditionen. Die Blocos afro deuten diese Traditionen in einem neuen Kontext und nutzen
die während des Karnevals und durch ihre zunehmende Popularität auf sie gerichtete
Aufmerksamkeit, um auf die noch immer herrschenden Mißstände innerhalb der
schwarzen Bevölkerung hinzuweisen. Ihre Musik dient dabei als primäres Medium, um
ihre Ideologien international zu verbreiten. Sie haben es geschafft, daß ihre
gesellschaftliche Position einen sozialen Wandel zumindest in Ansätzen erfahren hat.
Doch noch immer sind die Schwarzen rassischen Diskriminierungen ausgesetzt und wird
der nationale Mythos von der 'Rassendemokratie' aufrechterhalten. Das neue Ideal der
brasilidade, das in gewisser Weise dem der 'Rassendemokratie' entspricht, wurde in den
Karneval übernommen und die neuen afro-brasilianischen Ausdrucksweisen als Teil der
baianischen Kultur in das Bild Brasiliens inkorporiert. Während sich die Blocos afro
durch ihre Kostüme und ihre Musik bewußt von den Weißen abgegrenzt haben und um
ihretwillen akzeptiert werden wollten, hat sich um sie herum eine Struktur aufgebaut, in
der sie ein Teil von ihr geworden sind und der sie sich angepaßt haben. Die
Schwerpunkte in bezug auf die afro-brasilianische Identität haben zwei Richtungen
angenommen: während die Afoxés ihren religiösen Schwerpunkt von einer afro-
brasilianischen in eine neo-afrikanische Richtung gewendet haben, tendiert der sozio-
politische Schwerpunkt der Blocos afro im Zuge der aktuellen Veränderungen von afro-
brasilianisch zu einer brasilianischen oder nationalen Richtung.
VII. Glossar
(y.) = yoruba , (p.) = portugiesisch , (j.) = jeje , (b.) = bantu , (f.) = französisch
abadá - Gewand mit dem Aufdruck des bloco
afikodê (y.) - Bezeichnung für denjenigen, der die Opfer für Oxossi durchführt
Afoxé (y.) - Wortkreation aus dem Yoruba: 'a fala que faz' - 'ein Ausdruck, der etwas
bewirkt'; Bezeichnung für die Karnevalsgruppen, die sich am Candomblé
orientieren
agdavis (y.) - dünne Holzstöcke, mit denen die atabaques geschlagen werden
108

agogô (y.) - Doppelglocke aus Metall; wird im Candomblé und von den Afoxés gespielt
ajuntó (y.?) - Bezeichnung für den zweiten Orixá, nach dem dono de cabeça
ala (p.) - ”Flügel”; Abteilung einer Karnevalsgruppe
alabê (y.) - Cheftrommler der atabaques im Candomblé
amasi (y.) - Reinigung des Hauses mit Blättern verschiedener Orixás und Duftwassern
atabaques (p.) - im Candomblé und von den Afoxés verwendete Faßtrommeln in
verschiedenen Größen (rum, rumpi, lê)
axé (y.) - fundamentale Kraft, die den Orixás und auch verschiedenen Bereichen der
Natur (Tieren, Pflanzen, der Erde, die die Vorfahren symbolisiert) inhärent ist;
das von den Vorfahren übernommene Wissen und somit ein Synonym für
Tradition; Grußwort
axé music - Musikrichtung, die durch die Übernahme des Samba-Reggaes in das
Repertoire der blocos de trio geprägt wurde; heute bestimmende Musikrichtung
im Karneval von Salvador
axogum (y.) - Titel desjenigen, der die matança durchführt
ayabá (y.) - ”alte Frau”, Bezeichnung der weiblichen Orixás; auch iabá
babalaô (y.) - ”Vater (Herr) des Geheimnisses”, oberster Priester eines Kultes,
Priester des ifá-Kultes
babalorisha (y.) - (yoruba-Schreibweise), siehe babalorixá
babalorixá (y.) - (portugiesische Schreibweise), ”Vater im Kult der Orixás”, Kultleiter;
auch pai-de-santo
babalôtim (y.) - ”Vater der 'cachaça'”; Puppe, die früher von den Afoxés mitgeführt
wurde; Repräsentant eines Orixás oder königliche Insignie
Bahiatursa - offizielle Tourismusbehörde für Bahia
baianidade (p.) - neue/s Bild/Einstellung Bahias, das die schwarze Identität in sich
vereint; wird zur Vermarktung der afro-brasilianischen Kultur verwendet
banda (p.) - Musikabteilung der Karnevalsgruppen (Perkussion, manchmal Bläser)
bateria (p.) - Trommelgruppe der Blocos afro
batucada (p.) - Sambagruppe von Schwarzen, bestimmend im 'Kleinen Karneval'
batuque (p.) - alte Bezeichnung der batucadas; an die Candomblés angelehnte
Sambagruppen; auch Bezeichnung für die Musik der Gruppe
Bloco afro - an Afrika und afro-brasilianischen Werten orientierte Karnevalsgruppe
bloco carnavalesco (p.) - Karnevalsgruppe
bloco de índio (p.) - Karnevalsgruppe, die sich an Motiven der nordamerikanischen
Indianer orientiert
caboclo (p.) - Geist eines verstorbenen indianischen Vorfahren; Gottheit der
brasilianisch-indianischen Kultur
caixa (p.) - wörtl. ”Kiste”; zweifellige Rahmentrommel in einer bateria, mit der ein
Klangteppich erzeugt wird
calunga (b.) - ”Gott, Herr, großer Chef”; Puppe, die beim Maracatu mitgeführt wird;
Repräsentant eines Gottes
Candomblé (b./y.?) - afro-brasilianische Religion; überwiegt in Bahia
cântico (p.) - Lied
109

Capoeira (p./tupi) - eine Art 'Kampftanz', wurde von den afrikanischen Sklaven als
Selbstverteidigung angewandt; Herkunft Angola; wird seit den 30er Jahren des
20. Jahrhunderts in 'Capoeira de Angola' und 'Capoeira Regional' unterteilt
cargo (p.) - Aufgabe im Candomblé
carnaval da participação (p.) - ”Karneval der Teilnahme”, Bezeichnung für den
Karneval in Salvador
charanga (p.) - Musikgruppe der Afoxés mit Instrumenten aus dem Candomblé
circuito (p.) - festgelegte Strecke für die Umzüge im Karneval von Salvador
clube carnavalesco (p.) - ”Karnevalsclub”, Karnevalsgruppe
confraria (p.) - religiöse Bruderschaft; auch irmandade
congada (p./b.?) - Krönungszeremonie mit Umzug, entstanden aus den reisados und
Congos; Vorläufer der Maracatus; auch folguedo
Congo (p./b.?) - Königsumzug der Schwarzen aus dem Kongo-Angola-Raum zur Wahl
eines Königs
corda (p.) - Absperrung in Form eines Seils um die Karnevalsgruppe
cordão (p.) - durch ein Seil (corda) geschützte Karnevalsgruppe, vor allem im 'Kleinen
Karneval'
dono de cabeça (p.) - ”Herr des Kopfes”, Bezeichnung für den Orixá, zu dem durch die
feitura eine direkte Verbindung hergestellt wird
dono do terreiro (p.) - ”Herr des terreiro”, Orixá des Gründers eines terreiros
ebomin (y.) - ”ältere Schwester, älterer Bruder”; Bezeichnung für eine/n filha-/filho-desanto
nach der obrigação de 7 anos
egun (y.) - Geist eines verstorbenen Vorfahren, den Orixás untergeordnet
Emtursa - Empresa de Turismo de Salvador; Behörde, verantwortlich für die
Organisation des Karnevals in Salvador
Entrudo (p.) - von 'entrada' (Anfang, Beginn); portugiesische Karnevalsform aus dem
16./17. Jahrhundert zur Einleitung der Fastenzeit, bei dem sich die
Leutegegenseitig mit schmutzigem Wasser naßspritzten und mit Mehl, Dreck
oder Asche bewarfen; auch im Brasilien bis Mitte des 19. Jahrhunderts
escola de samba (p.) - Samba-Schule; Karnevalsgruppe, die in Rio de Janeiro dominiert
escravo de ganho (p.) - Schwarzer der schon vor der Sklavenbefreiung in eigener
Verantwortung für seinen Herren Geld verdiente
FCCB - Federação dos Clubes Carnavalescos da Bahia (Verband der Karnevalsgruppen
von Bahia)
feitura (p.) - ”Anfertigung, Schöpfung”, emischer Begriff für Initiation
filha- / filho-de-santo (p.) - ”Tochter/Sohn im Kult der Orixás”, im Candomblé
Initiierte/r; umfaßt die beiden Termini iaô und ebomin
folguedo (p.) - Zeremonie zur Wahl eines 'Vorstehers' (Königs) der Bruderschaften
frevo (p.) - schnelle Instrumentalmusik des Nordostens, vor allem Recifes; prägte die
Musik der trios elétricos
gêge-nagô (y./j.) - Mischform der Dahomey-Kultur mit der Yoruba-Kultur
iabá (y.) - ”alte Frau”, Bezeichnung der weiblichen Orixás; auch ayabá
ialorixá (y.) - (portugiesische Schreibweise) ”Mutter im Kult der Orixás”, Kultleiterin;
110

auch mãe-de-santo
iaô (y.) - Bezeichnung für eine filha-de-santo während der ersten sieben Jahre nach der
feitura
ideologia do branqueamento (p.) - ”Ideologie der 'Weiß-Werdung'”; Bestreben, seine
soziale Stellung durch die Annäherung an das weiße Ideal zu verbessern
ifá-Orakel (y.) - siehe jogo de búzios
ijexá (y.) - spezieller Rhythmus Oxums; dominierender Rhythmus in der Musik der
Afoxés
ilú (y.) - zweifellige Trommeln des Xangô-Kultes in Recife (Dreierensemble: melé,
melé ancó, inhã); werden vereinzelt noch von den Afoxés gespielt; spezieller
Rhythmus für Iansã
irmandade (p.) - Bruderschaft, auch confraria
iyalorisha (y.) - (yoruba-Schreibweise), siehe ialorixá
jeje-nagô (y./j.) - siehe gêge-nagô
jogo de búzios (p.) - ”Schneckenspiel”, Divination mit Kauri-Schnecken
lavagem (p.) - ”Waschung”; zum Beispiel 'lavagem do Bonfim': rituelle Reinigung der
Stufen der Bonfim-Kirche durch Candomblé-Anhängerinnen als Reverenz-
Erweisung für Oxalá
lê (j.) - Name der kleinsten atabaque
lendas / histórias de odu (p./y.) - (odu = ”Schicksal”), Geschichten, die vom Leben und
den Charakteristika der Orixás berichten
limões de cheiro (p.) - mit Duftwasser gefüllte Wachskugeln, wurden als
Wurfgeschosse beim Entrudo verwendet
lorogun (y.) - Ritual zur Vertreibung der Orixás
Macumba - afro-brasilianische Religion; überwiegt in Rio de Janeiro
mãe-de-santo (p.) - ”Mutter im Kult der Orixás”, Kultleiterin; auch ialorixá
Maracatu (tupi) - ”schönes Instrument, schöner Tanz”, Karnevalsform in Recife,
enstanden aus den congadas; Umzug mit Königsgefolge
matança (p.) - ”Opferung, Tötung”, Opferritual für die Orixás
Micareta (f.) - Ableitung von 'micarême' (dritter Donnerstag der Fastenzeit); Feier in
karnevalistischer Form zur Beendigung der Fastenzeit; heute 'Nach-Karneval'
der trios elétricos in mehreren brasilianischen Bundesstaaten
MNU - Movimento Negro Unificado (Geeinte Schwarze Bewegung)
movimento negro (p.) - Schwarzenbewegung in Brasilien
movimento da consciência negra (p.) - ”Bewegung des schwarzen Bewußtseins”,
Gegenbewegung zur ideologia do branqueamento
nação (p.) - ”Nation”, Begriff zur regionalen Zuordung der aus verschiedenen Gebieten
Afrikas kommenden Sklaven (oft aber nicht identisch mit der ethnischen
Gruppierung)
nagô (j.) - Begriff der Jeje zur Bezeichnung der Yoruba
negritude (f.) - Ideologie der Rückbesinnung der Schwarzen auf die eigene afrikanische
Kultur
negro (p.) - ”schwarz”; Selbstbezeichnung der Schwarzen Brasiliens, die afrobrasilianische
Identität bestärkend
111

oberoi (y.) - Bezeichnung der männlichen Orixás
obrigação de 7 anos (p.) - rituelle Verpflichtung sieben Jahre nach der feitura, mit der
die iaô eine ebomin wird
ogã (y.) - Titel eines männlichen terreiro-Mitglieds; er kann verschiedene Aufgaben
erfüllen, wie Trommler oder agogô-Spieler
olosaim / babalosaim (y.) - Person, in dessen Aufgabenbereich das Wissen um die
Anwendung von Kräutern und Pflanzen lag; existiert heute in Brasilien nicht
mehr
Orisha (y.) - (yoruba-Schreibweise), Gottheit der Yoruba
Orixá (y.) - (portugiesische Schreibweise), afro-brasilianische Gottheit
osé (y.) - rituelle Reinigung eines Hauses
padê (y.) - ”Treffen”, Opferung für Exu vor einem öffentlichen Fest
pai-de-santo (p.) - ”Vater im Kult der Orixás”, Kultleiter; auch babalorixá
pastoris (p.) - portugiesische Feste des 16. Jahrhunderts, bei denen Schafhirten mit
ihren Herden und fremde Könige, die Christus in Bethlehem ehren wollten,
repräsentiert wurden; in Brasilien Prozessionen mit sakralen und profanen
Elemente
preto (p.) - ”schwarz”; Bezeichnung der Hautfarbe, besonders in Statistiken; eher
negative Konnotation
qualidades (p.) - ”Qualitäten”, bestimmter Untertyp eines Orixá
quilombo (b.) - Siedlung entflohener Sklaven
rainha do carnaval (p.) - ”Karnevalskönigin”
rancho (p.) - ”Bande, Trupp”; Gruppen/Umzüge, enstanden aus den pastoris, die durch
den sudanesischen Totemismus geprägt waren
repinique/repique (p.) - zweifellige, zylindrische Trommel; Soloinstrument einer
bateria
Rei Momo (p.) - ”König Momo”; übernimmt den symbolischen Schlüssel der Stadt und
eröffnet damit offiziell den Karneval
reisados (p.) - aufwendig kostümierte Gruppen, die das Fest der Heiligen drei Könige
am 6. Januar feiern
roça (p.) - ”Stück Land”, Begriff zur Bezeichnung der Anlage eines Candomblé
rum (j.) - Name der größten atabaque
rumpi (j.) - Name der mittleren atabaque
samba (b.) - Tanz und Musikform aus dem zentralafrikanischen Raum, die in Brasilien
weiterentwickelt wurden
sambódromo (p.) - Karnevalsstadion in Rio de Janeiro
surdo (p.) - ”dumpf, taub”; große zylindrische, zweifellige Baßtrommel; ihr dumpfer
Klang und Rhythmus charakterisieren die Musik der Blocos afro
Sutursa - Superintendência de Turismo da Cidade do Salvador; Tourismusbehörde in
Salvador
terno (p.) - ”Trupp, Grüppchen”; siehe rancho; auch Bezeichnung des Kostüms der
Gruppe
terreiro (p.) - ”Stück Land”, Bezeichnung für eine Candomblé-Kultstätte
timbal/timbau (p.) - lange konische, einfellige Trommel aus verleimten, gebogenen
112

Sperrholzplatten; bestimmendes Instrument der Gruppe Timbalada
trios elétricos (p.) - mit Musikanlagen ausgestattete Lastwagen, auf denen die
Musikgruppen während des Karnevals in Salvador durch die Straßen fahren;
hierdurch wurde der carnaval da participação geprägt
vaquetas (p.) - dünne Holzstöcke, mit denen die repinique gespielt wird
xequeré (y.) - mit einem Perlennetz umspannte Kalebasse, wird im Candomblé und von
den Afoxés gespielt
xirê (y.) - Reihenfolge, in der die Lieder der Orixás gesungen werden; auch
Bezeichnung des ersten Teils eines öffentlichen Festes im Candomblé
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18.01.1999
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Tribuna da Bahia, 25.1.1991
15.8.1991
Veja, 31.3.1993, S.102-105
Interviews:
- mit Edson Vergue de Assis (”Edinho de Gantois”), aktueller Präsident von Korin Efan,
am 5.2.1999
- mit Rosângela Guimarães, Präsidentin des Afoxé Filhas d'Oxum, am 6.2.1999
- mit Tio Souza, Öffentlichkeitsarbeit des Afoxé Filhos de Gandhy, am 10.2.1999
Sonstiges:
− Albenísio Fonseca (Ed.) - Revista Carnaval, o guia da folia, Ano 2, No. 1, Janeiro de
1993
− Pressemitteilung von Vera Lacerda, Präsidentin des Bloco afro Ara Ketu, vom
10.2.1993
− Pressemitteilung des Bloco afro Malê Debalê zum Karneval 1994
− Karnevals-Programm 1999 von Salvador, ”Caramuru, encontre sua Catarina”
− Schriftliche Mitteilung der Emtursa im Dezember 1999 mit statistischen Angaben
123

ezüglich des Karnevals
− Mitteilung der Emtursa per e-mail an mich am 1.12.1999, zur Organisation des
Karnevals
− Programmheft Januar-Juni 2000 des 'Tanzhaus NRW/die Werkstatt e.V.' in Düsseldorf
4. Abbildungsverzeichnis
Karte 1: aus: Mapa Turístico de Salvador da Bahia 1998. Emtursa, Salvador.
Karte 2: aus: Pinto, Tiago de Oliveira (Hg.) 1986 - Brasilien. Einführung in die
Musiktraditionen Brasiliens. Mainz. S. 6.
Karte 3: aus: Iliffe, John 1995 - Africans. The History of a Continent. Cambridge.
S.128.
Karte 4: aus: Verger, Pierre 1981 - Orixás. Deuses Iorubás na África e no Novo
Mundo. Salvador. S. 2/3.
Karte 5: aus: Schaeber, Petra und Alexander Busch 1996 - Brasilien, Bahia.
(DuMont Reise-Taschenbücher). Köln. S. 146.
Abb. 1: aus: Pinto, Tiago de Oliveira 1991: Capoeira, Samba, Candomblé. Afro-
brasilianische Musik im Recôncavo, Bahia. Berlin. S. 176.
Abb. 2: aus: Pinto, Tiago de Oliveira 1991: Capoeira, Samba, Candomblé. Afro-
brasilianische Musik im Recôncavo, Bahia. Berlin. S. 167.
Abb. 3: aus: McGowan, Chris und Ricardo Pessanha 1991 - The Brazilian Sound.
Samba, Bossa Nova und die Klänge Brasiliens. St. Andrä-Wördern. S. 152.
Abb. 4: Foto: Anja Witzens, Karneval 1999, Salvador.
Abb. 5: aus: McGowan, Chris und Ricardo Pessanha 1991 - The Brazilian Sound.
Samba, Bossa Nova und die Klänge Brasiliens. St. Andrä-Wördern. S. 151.
Abb. 6: aus: Stehr, Christopher (Hg.) 1994 - Brasilien. Gesichter eines Landes. Ein
Reise-Handbuch. St. Ottilien. S. 199.
Abb.en 7 und 8: Fotos: Anja Witzens, Karneval 1999, Salvador.
Abb. 9: aus: Moser, Dietz-Rüdiger 1986 - Fastnacht - Fasching - Karneval. Das Fest der
”Verkehrten Welt”. Graz, Wien, Köln. S. 24.
Abb. 10: aus: Félix, Anísio und Moacir Nery 1993: Bahia, Carnaval. Salvador. S.115.
Abb. 11: Foto: Anja Witzens, Karneval 1994, Salvador.
124

Abb.en 12 bis 26: Fotos: Anja Witzens, Karneval 1999, Salvador.
Abb.en 27 und 28: Fotos: Manuela Grötschel, Karneval 1996, Salvador.
Abb. 29: Foto: Anja Witzens, Karneval 1999, Salvador.
Abb. 30: Foto: Manuela Grötschel, Karneval 1999, Salvador.
Abb.en 31 und 32: Fotos: Anja Witzens, Karneval 1999, Salvador.
125

IX. ANHANG
INDICADORES DO CARNAVAL 99

Geração de Empregos Temporários
• Cordeiros: 55.200
• Seguranças: 25.000
• Artistas: 5.240
• Pessoal Operacional: 25.028 (700 pessoas da Emtursa, 12.757 da Polícia Militar, 1.200 da
Polícia Civil, 1.398 do Corpo de Bombeiros, 1.652 das Secretarias Municipal e Estadual
da Saúde e do Departamento de Vigilância da Saúde, 1.300 do Juizado de Menores, 107 da
Codesal, 1.520 da Limpurb, 1.550 da Sesp, 200 da Sucom, 35 da Embasa, 109 da Secom,
40 da Suave, 30 da Prodasal, 700 do Detran, 144 da Telebahia, 300 da SET, 1.097 da STP,
41 da Setrads e 330 da Sumac)
• Montadoras: 280
• Barraqueiros e Ambulantes: 5.870
• Decoração: 115
• Empresas de Iluminação: 110
• Técnicos de Som: 300
• Mídia: 100
• Coelba: 300
TOTAL: 117.543
Geração de Negócios
• 450 Festas entre Outubro e Fevereiro: R$ 20.000.000,00
• Mídia: R$ 5.000.000,00
• Indústria Fonográfica: R$ 140.000.000,00
• Baianas de Acarajé: R$ 6.300.000,00
• Restaurantes, Bares e Lanchonetes: R$ 40.000.000,00
• Cervejas e Refrigerantes: R$ 30.000.000,00
• Passagens Aéreas: R$ 15.000.000,00
• Passagens Terrestres: R$ 9.695.000,00
• Passagens Hidroviárias: R$ 1.800.000,00
• Hospedagem: R$ 11.040.000,00
• Camarotes, Mesas de Pista e Arquibancadas: R$ 1.497.860,00
• Investimentos das Entidades Carnavalescas: R$ 104.400.000,00
• Vendas de Abadás: R$ 86.300.000,00
• Patrocínio Oficial: R$ 1.090.000,00
• Patrocínio/Fazcultura (R$ 1.500.000,00 de renúncia fiscal e R$ 1.100.000,00 de
contrapartida da iniciativa privada): R$ 2.600.000,00
• Prefeitura Municipal de Salvador e Governo do Estado: R$ 6.000.000,00
• Ambulantes e Barraqueiros: R$ 5.400.000,00
• Táxis: R$ 5.200.000,00
• Aluguel de Veículos: R$ 1.050.000,00
• Reciclagem de Latas de Cervejas e Refrigerantes: R$ 240.000,00
TOTAL: R$ 492.612.000,00
Fluxo Turístico e Geração de Receita
• Presença de 800 mil visitantes no período compreendido por cinco dias antes, durante e
cinco dias depois da folia (6 e 20 de fevereiro), sendo 600 mil residentes em localidades

com menos de 150 quil metros de distância de Salvador e o restante, turistas do interior do
Estado (16%), brasileiros (71%) e estrangeiros (13%)
• Ocupação de 85% das UH’s classificadas, sendo de 95% em hotéis de 1 ª categoria
• Geração de Receita Decorrente do Fluxo Turístico: US$ 138.000.000,00
• Geração de Renda Decorrente do Fluxo Turístico/Impacto no PIB: US$ 208.000.000,00 (ou
0,5% do PIB do Estado)
Outros Indicadores
• Localização de estruturas: camarotes (94) em dois níveis, no Largo do Campo Grande (na
rua lateral e na passarela oficial, de frente para o TCA); mesas de pista (86), em frente ao
estacionamento do PSJ e no Largo do Campo Grande (na rua lateral e na passarela oficial,
de costas para o TCA); arquibancadas pagas (2.500 lugares), na passarela oficial em frente
ao TCA; e arquibancadas gratuitas (800 lugares) divididas em quatro módulos (um de
costas para o TCA, dois na rua lateral do Largo do Campo Grande e um sobre a laje do
viaduto do Campo Grande); camarotes (53) em dois níveis, no Largo do Camarão
• Concentração de cerca de 2 milhões de pessoas nas ruas por dia
• Interdição de 25 quilômetros de ruas, avenidas e praças interditadas para a festa, sendo 10
quilômetros de ruas e avenidas apenas para os desfiles
• Cadastramento de 201 entidades carnavalescas (entre blocos de trio, alternativos, afros,
índios e infantis e afoxés) para participar dos desfiles
• Circulação de 10 trios elétricos independentes
• Programação independente, de sábado a terça-feira, em 5 bairros da cidade, incluindo
Itapuã, Liberdade, Ribeira, Periperi e Cajazeiras, além do Palco do Rock na praia de Piatã.
Fontes: ABT - Associação dos Blocos de Trio; Polícia Militar; Polícia Civil; Corpo de
Bombeiros; Secretarias Municipal e Estadual da Saúde; Departamento de Vigilância da Saúde;
Juizado de Menores; Codesal; Limpurb; Secretaria Municipal de Serviços Públicos; Suave;
Prodasal; Detran; Telebahia; SET - Superintendência de Engenharia de Tráfego; STP -
Superintendência de Transportes Públicos; Secretaria de Cultura e Turismo do Estado da
Bahia; Bahiatursa - Gerência de Estudos Econômicos; Setrades; Sumac; Coelba; ABBA -
Associação das Baianas de Acarajé; Varig; Vasp; TAM; Transbrasil; Comab; etc.