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Neue Juristische Wochenschrift NJW 2013, 2334 - Leitner & Partner

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N_JW_3_2_/2_0_1_::._3 _________---------- Michalke, Akteneinsichtsrecht des Strafverteidigers<br />

Kanzlei & Mandat<br />

Kanzlei & Mandat<br />

Rechtsanwalt Reinhart Michalke*<br />

Das Akteneinsichtsrecht des Strafverteidigers- Aktuelle Fragestellungen<br />

Das Akteneinsichtsrecht gehört zu den fundamentalen Rechten<br />

einer effektiven Verteidigung im Strafverfahren. Akteneinsicht<br />

versetzt den Verteidiger überhaupt erst in die Lage,<br />

sein Mandat sachgerecht zu führen und weitere Verfahrensrechte<br />

wahrzunehmen. So sehr indes der Informationsgewinn<br />

durch die Akteneinsicht für die Verteidigung von Bedeutung<br />

ist, so sehr kann der Verlust der Informationshoheit aus Sicht<br />

der Strafverfolgungsbehörden den Ermittlungserfolg gefährden.<br />

Das Akteneinsichtsrecht ist daher immer wieder Gegenstand<br />

von Kontroversen in Rechtsprechung und Literatur.<br />

Einige ausgewählte Fragestellungen zu dem Thema sollen an<br />

dieser Stelle konzentriert dargestellt werden.<br />

I. Wer- Rechtliches Gehör, Fair-trial-Grundsatz und<br />

Akteneinsicht<br />

Das Akteneinsichtsrecht ist eine besondere Ausprägung des<br />

verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruchs auf rechtliches<br />

Gehör (Art. 103 I GG). Es wird ferner aus dem Recht<br />

auf ein rechtsstaatliches und faires Strafverfahren (Art. 20 III<br />

i. V. mit Art. 2 I GG) bzw. dem Fair-trial-Prinzip aus Art. 6 I<br />

EMRK hergeleitet<br />

Die genannten Verfahrensrechte stehen grundsätzlich dem<br />

Betroffenen des Verfahrens zu. Dieser soll nicht nur Objekt<br />

des Verfahrens sein, sondern muss dessen Ergebnis durch<br />

aktive Teilnahme mitgestalten können (BVerfG, NStZ 2007,<br />

274). Nach dem Wortlaut von§ 147 StPO steht das Akteileinsichtsrecht<br />

indes nicht dem Beschuldigten, sondern dessen<br />

Verteidiger zu. Obwohl das Recht auf Akteneinsicht der Subjektstellung<br />

des Beschuldigten folgt, kann dieser das Recht<br />

nicht selbst ausüben, sondern benötigt hierfür grundsätzlich<br />

einen Verteidiger. Dem Beschuldigten, der keinen Verteidiger<br />

hat, sind nach § 14 7 VII StPO lediglich Auskünfte und Abschriften<br />

aus den Akten zu erteilen, soweit dies für erforderlich<br />

gehalten wird. Im Einzelfall wird dem Beschuldigten ein<br />

Akteneinsichtsrecht zugebilligt, wenn er sich ohne Akteneinsicht<br />

einerseits nicht verteidigen kann, andererseits die Beiordnung<br />

eines Verteidigers wegen des nur geringfügigen Vorwurfs<br />

ausscheidet (vgl. zuletzt etwa KG, NStZ-RR <strong>2013</strong>,<br />

116; OLG Köln, StV 2012, 719 = BeckRS 2012, 23865;<br />

Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl. [2012], § 147 Rdnr. 4 m. w.<br />

Nachw.).<br />

Diese Grundsätze gelten auch über § 46 I OWiG im Bußgeldverfahren.<br />

Nach § 49 I OWiG kann ferner auch dem Betroffenen Einsicht in die<br />

Akten unter Aufsicht gewährt werden. Besonderheiten bei elektronischen<br />

Dokumenten werden dort ausdrücklich in § 110 d II OWiG<br />

geregelt.<br />

Der Begriff des Verteidigers ist an dieser Stelle weit auszulegen.<br />

Auch zur Prüfung der Frage, ob der Rechtsanwalt ein<br />

Mandat übernehmen will- während des so genannten Anbahnungsverhältnisses<br />

-ist Akteneinsicht zu gewähren (Meyer-Goßner,<br />

§ 147 Rdnr. 9 m. w. Nachw.). Auch die Vorlage<br />

einer schriftlichen Vollmacht ist grundsätzlich nicht erforderlich.<br />

Die Beauftragung eines Wahlverteidigers ist formlos<br />

möglich (BVer{G, N]W 2012, 141 [142] m. w. Nachw.). Die<br />

Anzeige des Verteidigers genügt regelmäßig als Nachweis der<br />

Beauftragung. Die Vorlage einer Vollmachtsurkunde kann<br />

nur verlangt werden, wenn Zweifel an der Bevollmächtigung<br />

bestehen.<br />

II. Wann- Akteneinsicht zur richtigen Zeit<br />

Nach der gesetzlichen Konzeption kann dem Verteidiger die<br />

Einsicht in die Akten oder einzelne Aktenteile versagt werden,<br />

wenn der Abschluss der Ermittlungen noch nicht in den<br />

Akten vermerkt ist und die Akteneinsicht den Untersuchungszweck<br />

gefährden kann (§ 147 II 1 StPO). Befindet sich der<br />

Beschuldigte in Untersuchungshaft oder ist diese im Fall der<br />

vorläufigen Festnahme beantragt, sind gern. § 147 II 2 StPO<br />

dem Verteidiger die für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit<br />

der Freiheitsentziehung wesentlichen Informationen in geeigneter<br />

Weise zugänglich zu machen. "In der Regel" ist Akteneinsicht<br />

zu gewähren. Das Einsichtsrecht in Protokolle über<br />

Vernehmungen des eigenen Mandanten, über richterliche Untersuchungshandlungen<br />

und Sachverständigengutachten besteht<br />

unbeschränkt.<br />

In der Praxis wird Akteneinsicht häufig tnit Hinweis auf<br />

§ 14 7 II StPO und eine Gefährdung des Untersuchungszwecks<br />

versagt. Dies muss jedoch eindeutig die Ausnahme, es<br />

darf nicht die Regel sein. Die Garantie aus Art. 103 I GG<br />

besagt, dass bei Zwangsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren<br />

Entscheidungen gegen den Beschuldigten jedenfalls in der<br />

Beschwerdeinstanz nur auf der Grundlage solcher Tatsachen<br />

und Beweismittel getroffen werden darf, die ihm durch Akteneinsicht<br />

bekannt gegeben sind (vgl. BVerfG, NStZ 2007,<br />

274 - Durchsuchung; <strong>NJW</strong> 2006, 1048 [1049] - Arrest;<br />

NStZ-RR 2008, 16 [17] - Telefonüberwachung; zu einem<br />

Fall der Telefonüberwachung s. auch BGH, NStZ-RR 2010,<br />

281 [282]). Mithin wird gefordert, einer Beschwerde schon<br />

dann stattgeben zu müssen, wenn die beantragte Akteneinsicht<br />

nicht gewährt worden ist (so etwa Börner, NStZ 2010,<br />

417).<br />

Die Frage stellt sich insbesondere bei Untersuchungshaft. Es<br />

entspricht gefestigter Rechtsprechung des EGMR, dass dem<br />

Verteidiger Akteneinsicht zu gewähren ist, wenn ein gegen<br />

den Beschuldigten ergangener Haftbefehl bereits vollzogen<br />

wird, soweit die Unterlagen für die wirksame Anfechtung der<br />

Freiheitsentziehung seines Mandanten wesentlich sind<br />

(EGMR, N]W 2000, 2883; NStZ 2009, 164, EuGRZ 2009,<br />

472 = BeckRS 2009, 71147). Im Lichte dieser Rechtsprechung<br />

muss die Regelung von § 14 7 II 2 StPO gesehen werden.<br />

Die erforderliche Unterrichtung kann nur durch die<br />

Gewährung von Akteneinsicht erfolgen (EGMR, StV 2008,<br />

475 [482] = BeckRS 2008, 06503; vgl. auch Deckers, StraFo<br />

2009, 441 [444]; Michalke, N]W 2010, 17 [18]).<br />

Dieser Gedanke trägt bei allen Zwangsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren.<br />

Die Staatsanwaltschaft muss dann abwägen:<br />

Solange sie ihre Ermittlungen nicht offenlegen will, muss<br />

sie auf solche Maßnahmen verzichten, von denen der Betroffene<br />

Kenntnis erlangt, die schwerwiegend in ein Grundrecht<br />

* Der Autor, auch Fachanwalt für Strafrecht, ist <strong>Partner</strong> der Kanzlei<br />

LEITNER & PARTNER Rechtsanwälte Wirtschaftsstrafrecht in München.


Michalke, Akteneinsichtsrecht des Strafverteidigers-----------<br />

<strong>NJW</strong> 32/<strong>2013</strong> 2335<br />

Kanzlei & Mandat ----------------<br />

eingreifen und daher im gerichtlichen Verfahren überprüft<br />

werden. Das BVerfG hat jedoch auch dargestellt, dass das<br />

Geheimhaltungsinteresse der Strafverfolgungsbehörden ein<br />

Grund sein kann, eine Entscheidung im Beschwerdeverfahren<br />

zu verzögern (BVerfG, NStZ 2007, 274). Nicht akzeptabel<br />

wird es hingegen sein, dass die Ermittlungsbehörden vorerst<br />

die erlangten Beweismittel auswerten und bis zum Abschluss<br />

ihrer Ermittlungen mit der Gewährung von Akteneinsicht<br />

zuwarten. Bei einer derartigen Verzögerung des Beschwerdeverfahrens<br />

wird über eine Untätigkeitsbeschwerde nachzudenken<br />

sein (vgl. Börner, NStZ 2010,417 [423 f.]) .<br />

Drängen die Ermittlungsbehörden nach dem Vollzug von<br />

Zwangsmaßnahmen darauf, ihre Ermittlungen auch weiterhin<br />

im Geheimen führen zu können, ist dies verstärkt für die<br />

Zeit vor Vollzug der Maßnahme zu erwarten. Die Frage<br />

etwa, ob ein Recht auf Akteneinsicht besteht, wenn gegen<br />

den Mandanten ein Haftbefehl beantragt oder erlassen, aber<br />

gerade noch nicht vollstreckt ist, ist hoch umstritten. In einer<br />

älteren Entscheidung lehnte das BVerfG ein Akteneinsichtsrecht<br />

ab (BVerfG, NStZ-RR 1998, 108; s. auch OLG München,<br />

NStZ-RR 2012, 317 L = BeckRS 2012, 14142). Es gibt<br />

aber gewichtige Stimmen, die ein Recht auf Akteneinsicht<br />

bejahen (Beulke/Witzigmann, NStZ 2011, 254 (257]; OLG<br />

Köln, StV 1998, 269 = BeckRS 1998, 02821; LG Aschaffenburg,<br />

StV 1997, 644; Lüderssen/]ahn, in: Löwe/Rosenberg,<br />

StPO, 26. Aufl. (2006ff.], § 147 Rdnr. 77), steht doch außer<br />

Zweifel, dass bereits der bloße Erlass eines Haftbefehls den<br />

Betroffenen beschwert. Andersherum verliert der Beschuldigte<br />

seinen Anspruch auf ein faires Verfahren und eine effektive<br />

Verteidigung nicht dadurch, dass er sich dem Verfahren nicht<br />

stellt (EGMR, <strong>NJW</strong> 1999, 2353 [2354]; Beulke/Witzigmann,<br />

NStZ 2011, 254 [258]). Mit anderen Worten: Es kann<br />

grundsätzlich von dem Betroffenen nicht erwartet werden,<br />

dass er sich zunächst inhaftieren lässt, bevor ihm die gegen<br />

ihn gerichteten Vorwürfe bekannt gemacht werden. Es bedarf<br />

vielmehr einer Abwägung im Einzelfall: Die Informationsund<br />

Verteidigungsinteressen des Betroffenen müssen mit dem<br />

Geheimhaltungsinteresse der Strafverfolgungsbehörden abgewogen<br />

werden. Ausgangspunkt der Überlegung muss die<br />

Frage sein, ob durch die Akteneinsicht der Erfolg der konkreten<br />

Zwangsmaßnahme gefährdet wäre.<br />

111. Was- Umfang des Akteneinsichtsrechts<br />

Nach§ 147 I StPO ist der Verteidiger befugt, die Akten, die<br />

dem Gericht vorliegen oder diesem im Falle der Erhebung der<br />

Anklage vorzulegen wären, einzusehen und Beweisstücke zu<br />

besichtigen. Der eingangs beschriebenen Bedeutung der Akten<br />

für alle Beteiligten folgt der Grundsatz der Aktenvollständigkeit<br />

und -wahrheit. Die Akten müssen verlässlich aufzeigen,<br />

welche Ermittlungshandlungen mit welchem Ergebnis<br />

vorgenommen worden sind (Wohlers/Schlegel, NStZ 2010,<br />

486 [487]; Erb, in: Löwe/Rosenberg, § 163 Rdnr. 78; Meyer-Goßner,<br />

§ 163 Rdnr. 18).<br />

Die Rechtsprechung folgt dabei dem formellen Aktenbegriff Zur Ermittlungsakte<br />

gehören danach die von der Staatsanwaltschaft als entscheidungserheblich<br />

dem Gericht zu präsentierenden Unterlagen, die durch<br />

die Identität der Tat und des Täters konkretisiert werden (BGH, StV<br />

2010, 228 [229] = BeckRS 2009, 20293; BVerfGE 63, 45 = <strong>NJW</strong> 1983,<br />

1043). Das Problem ist, dass die Ermittlungsbehörden dazu neigen,<br />

insoweit die Begriffe "Beschuldigte" und "Täter" synonym zu verwenden.<br />

Erkenntnisse zu anderen potenziellen Tätern können aus der Ermittlungsakte<br />

herausgehalten werden. Die besseren Argumente sprechen<br />

daher wohl für den materiellen Aktenbegriff. Dieser umfasst Unterlagen,<br />

die tatbezogene Ermittlungen zur Überprüfung eines Gegenstands, eines<br />

Sachverhalts oder einer Person enthalten, die nicht zu den Beschuldigten<br />

gehört- so genannte Spurenakten (Wohlers/Schlegel, NStZ 2010, 486<br />

[490]). Wenn das Akteneinsichtsrecht eine vollständige Information<br />

über die im Ermittlungsverfahren zusammengetragenen Informationen<br />

gewähren soll, kann es nicht den Strafverfolgungsorganen obliegen,<br />

allein zu entscheiden, welche dieser Informationen verfahrens- und vor<br />

allem verteidigungsrelevant sind und welche nicht.<br />

Losgelöst von dieser Differenzierung besteht Einigkeit insoweit,<br />

dass Unterlagen, welchen eine allein innerdienstliche<br />

Bedeutung für die Behörden zukommt, nicht vom Aktenbegriff<br />

umfasst sind. Dies können etwa polizeiliche Arbeitsvermerke<br />

unter Bewertung der bisherigen Ermittlungsergebnisse<br />

oder sonstige rein interne polizeiliche Hilfs- oder Arbeitsmittel<br />

nebst entsprechenden Dateien sein. Keine Akten in<br />

diesem Sinne sind etwa auch die Handakten des Staatsanwalts,<br />

Notizen von Mitgliedern des Gerichts während der<br />

Hauptverhandlung oder die so genannten Senatshefte (BGH,<br />

StV 2010, 228 [229] = BeckRS 2009, 20293). In dieser Entscheidung<br />

hatte der BGH Anlass, darauf hinzuweisen, dass<br />

polizeiliche Auswertungen gewonnenen Beweismaterials, wie<br />

etwa Übersetzungen aufgezeichneter Telefonate, als solche<br />

selbst verfahrensrelevant und Aktenbestandteil sind. Hier<br />

verläuft die Grenze von reinen Bewertungen, die an eine derartige<br />

Auswertung anknüpfen können und rein polizeiinterne<br />

Arbeitsmittel sind. Das Akteneinsichtsrecht gewährt indes<br />

keinen Anspruch auf Herstellung bislang nicht existenter<br />

Unterlagen. Sind also etwa derartige Übersetzungen (noch)<br />

nicht vorhanden, schafft das Akteneinsichtsrecht keine<br />

Pflicht, sie anzufertigen.<br />

Über § 14 7 I StPO ist der Verteidiger auch berechtigt, Beweismittel<br />

zu besichtigen. Kopien von Beweismitteln, etwa<br />

Schriftstücke oder elektronisch gespeicherte Bild- oder Audiodateien,<br />

sind nach allgemeiner Meinung keine Beweisstücke,<br />

sondern Aktenbestandteil (OLG Stuttgart, <strong>NJW</strong> 2003,<br />

767; a. A. OLG Karlsruhe, <strong>NJW</strong> 2012,2742 m. ablehnender<br />

Anm. Meyer-Mews) . Dem Verteidiger ist daher im Rahmen<br />

seines Akteneinsichtsrechts regelmäßig eine Kopie der Dateien<br />

zur Verfügung zu stellen.<br />

IV. Wo- Geschäftsstelle, Mitnahme und<br />

Versendung<br />

Das Akteneinsichtsrecht nach § 14 7 StPO nimmt der Verteidiger<br />

nach dem Verständnis des (historischen) Gesetzgebers<br />

vor Ort bei der aktenführenden Stelle wahr. Nur auf<br />

Antrag sollen dem Verteidiger die Akten nach § 14 7 IV StPO<br />

mit Ausnahme der Beweisstücke zur Einsichtnahme mitgegeben<br />

werden, soweit nicht wichtige Gründe entgegenstehen.<br />

In den meisten Fällen der alltäglichen Praxis braucht der<br />

Rechtsanwalt freilich nicht persönlich auf der Geschäftsstelle<br />

erscheinen. Während der ortsansässigen Kanzlei regelmäßig<br />

mitgeteilt wird, wo die Akten abgeholt werden können, werden<br />

dem auswärtigen Verteidiger die Akten zumeistperPost<br />

oder mit einem Kurierdienst übersandt. Völlig unproblematisch<br />

ist auch dieser Aspekt des Akteneinsichtsrechts nicht.<br />

Das BVerfG hat es zuletzt noch offengelassen, ob und gegebenenfalls<br />

unter welchen Voraussetzungen ein Verteidiger<br />

einen Anspruch auf Überlassung oder Übersendung der Akten<br />

hat (BVerfG, <strong>NJW</strong> 2012, 141 (142]). Es hat aber verdeutlicht,<br />

dass ein Verteidiger jedenfalls den Anspruch darauf<br />

hat, dass über seinen Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht<br />

und über deren Durchführung willkürfrei entschieden<br />

wird.<br />

V. Weitergabe- Mitteilung der Erkenntnisse an den<br />

Mandanten<br />

Der Verteidiger ist berechtigt und in der Regel verpflichtet,<br />

seinem Mandanten zu Verteidigungszwecken mitzuteilen,


2336 <strong>NJW</strong> 32/<strong>2013</strong><br />

Buchbesprechungen<br />

was er aus den Akten erfahren hat (zuletzt etwa OLG Frankfurt<br />

a. M., <strong>NJW</strong> <strong>2013</strong>, 1107 m. zutreffender Anm. König) .<br />

Ein Verbot der Weitergabe von Informationen für den Verteidiger<br />

soll indes dann anzunehmen sein, wenn eine Gefährdung<br />

des Untersuchungszwecks droht (Meyer-Goßner, § 14 7<br />

Rdnr. 21 m. w. Nachw.). Dies sei dann der Fall, wenn sich<br />

aus den Ermittlungsakten eine bevorstehende Durchsuchung<br />

der Wohnung des Beschuldigten oder ein staatsanwaltschaftlieber<br />

Antrag auf Erlass eines Haftbefehls ergebe. Nicht ausreichend<br />

ist sicher die jeder Gewährung von Akteneinsicht<br />

innewohnende theoretische Möglichkeit, der Beschuldigte<br />

könne die Information zur Verdunkelung des Sachverhalts<br />

nutzen (vgl. auch Donath!Mehle, <strong>NJW</strong> 2009, 1399).<br />

Die erwähnte Entscheidung des OLG Frankfurt a. M. verweist<br />

auf mögliche Strafbarkeitendes Verteidigers- hier nach<br />

§ 184 b StGB - und verkürzt so dessen Befugnis, seine Berechtigung<br />

und Verpflichtung zur Weitergabe der durch die<br />

Akteneinsicht erlangten Kenntnisse durch Aushändigung einer<br />

Aktenkopie umzusetzen, wie es in der Praxis regelmäßig<br />

geschieht (OLG Frankfurt a. M., <strong>NJW</strong> <strong>2013</strong>, 1107 m. ablehnender<br />

Anm. König) .<br />

VI. Fazit<br />

1. Das Akteneinsichtsrecht steht dem Verteidiger zu. Der<br />

Begriff des Verteidigers ist weit auszulegen. Die Vorlage<br />

einer schriftlichen Vollmacht ist grundsätzlich nicht erforderlich.<br />

2. Im Ermittlungsverfahren kann dem Verteidiger die Einsicht<br />

in die Akten versagt werden, wenn sie den Untersuchungszweck<br />

gefährden kann. Nachteilige Entscheidungen dürfen<br />

jedenfalls in der Beschwerdeinstanz nur auf der Grundlage<br />

solcher Tatsachen und Beweismittel getroffen werden, die<br />

durch Akteneinsicht bekannt gegeben sind.<br />

3. Der Verteidiger hat einen Anspruch darauf, dass über<br />

seinen Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht durch Überlassung<br />

oder Übersendung der Akten willkürfrei entschieden<br />

wird.<br />

4. Der Verteidiger ist berechtigt und in der Regel verpflichtet,<br />

seinem Mandanten zu Verteidigungszwecken mitzuteilen,<br />

was er aus den Akten erfahren hat.<br />

•<br />

Buchbesprechungen<br />

Urheberrechtsgesetz. Urheberrechtswahrnehmungsgesetz,<br />

Kunsturhebergesetz. Kommentar. Von Thomas Dreier und<br />

Gernot Schulze. 4. Auflage.- München, Beck <strong>2013</strong>. XX, 2156<br />

S., geb. Euro 149,-. ISBN: 978-3-406-62747-7.<br />

Nun ist er endlich da: Der neue "Dreier/Schulze". Die Neuauflage<br />

erscheint dieses Mal fünf Jahre nach der 3. Auflage und<br />

nicht mehr wie bisher im kaum noch zu bewältigenden Zwei­<br />

Jahres-Turnus. Neu im Bearbeiterkreis ist Louisa Specht, die das<br />

KUG mitkommentiert. Das Seitenwachstum haben die Autoren<br />

dankenswerterweise auf maßvolle 150 Seiten begrenzt und dabei<br />

vor allem die Mühe auf sich genommen, den gesamten Text<br />

kritisch um ältere, entbehrliche Fundstellen zu kürzen. Der Kommentar<br />

orientiert sich vorrangig und entsprechend den Bedürfnissen<br />

der Praxis an der Rechtsprechung. Ehrfurcht gebührt den<br />

Autoren angesichts der Gründlichkeit, mit der sie nicht nur die<br />

Rechtsprechung der vergangeneu Jahre, sondern auch die wissenschaftliche<br />

Literatur (auch die Flut der urheberrechtliehen<br />

Dissertationen) ausgewertet und mit Augenmaß in den Kommentar<br />

übernommen haben. Zu berücksichtigen waren neben<br />

der aktuellen Rechtsprechung seit 2008 unter anderem das 6.<br />

UrhG ÄndG, das FGG-RG, die Richtlinie über verwaiste Werke.<br />

Vereinzelt konnten auch Entwicklungen nach dem offiziellen<br />

Redaktionsschluss im Dezember 2012 noch verarbeitet werden,<br />

so z. B. eine erste Kommentierung des neuen Leistungsschutzrechts<br />

für Presseverleger ( §§ 87 f-87 h UrhG) oder Metall aUf<br />

Metall II (BGH, WRP <strong>2013</strong>, 804).<br />

Grundlegend überarbeitet sind die Ausführungen zur Frage der<br />

Angemessenheit der Vergütung, zur Ausgestaltung des Auskunftsanspruchs<br />

sowie zur Störerhaftung der Internetdienstleister,<br />

die nach der neuen Ansicht des BGH auch auf unter Verletzung<br />

des Hausrechts angefertigte Fotos durch Dritte angewandt<br />

wird (vgl. BGH, GRUR <strong>2013</strong>, 623 -Preußische Gärten<br />

und Parkanlagen II), und insbesondere den Prüfungspflichten<br />

des mittelbaren Störers (§ 97 Rdnrn. 33 ff.). Zu begrüßen ist die<br />

notwendige, durchgängige Einbeziehung des EU-Rechts mit seinem<br />

zunehmenden Einfluss auf das Urheberrecht in den Kommentierungen,<br />

wie etwa das Verhältnis vom Urheberrecht zum<br />

EU-Kartellrecht. Zu Recht kritisiert Dreier, dass die praktischen<br />

Auswirkungen der Rechtewahrnehmung auf der Basis des digitalen<br />

Rechtemanagements (Creative Commons Lizenzen) nur<br />

kaum geklärt sind (Einl. Rdnr. 25). Erwähnung findet demnach<br />

auch die zunehmende Harmonisierung des urheberrechtliehen<br />

Werkbegriffs (vgl. § 2 Rdnr. 22). Für den Schu,tz von Computerprogrammen,<br />

Lichtbildwerken und Datenbanken verlangt der<br />

Gemeinschaftsgesetzgeber nur eine "eigene geistige Schöpfung" .<br />

Ob diese geringen Schutzanforderungen für alle Werkarten gelten<br />

sollen oder für bestimmte Werkarten eine höhere Individualität<br />

gefordert werden kann, ist bislang nicht abschließend geklärt.<br />

Wie bereits in der Vorauflage berücksichtigt der "Dreier/Schulze"<br />

die zunehmende Forderung der Internetgemeinde nach freiem<br />

Zugang zu Wissen. <strong>Neue</strong> Geschäftsmodelle, unter anderem<br />

Open Access Publishing, Open Source, Creative Commons und<br />

Science Commons werden kurz vorgestellt. Im Rahmen des<br />

Open Access Publishing greift Dreier zusätzlich die Forderung<br />

nach einem Zweitveröffentlichungsrecht des Urhebers auf (Einl.<br />

Rdnr. 25). Ob neue Formen des Internetrundfunks, z. B. das<br />

Webcasting und Simulcasting, der öffentlichen Zugänglichmachung<br />

gern. § 19 a UrhG oder dem Senderecht gern. § 20 UrhG<br />

unterfallen, wird überzeugend dargestellt (vgl. § 19 a UrhG<br />

Rdnr. 10).<br />

Der Kommentar hat drei wesentliche Vorteile: Er ist bemerkenswert<br />

aktuell, er ist handlich, und er überzeugt abermals durch<br />

präzise Knappheit, wissenschaftliche Tiefe und sprachliche Eleganz.<br />

Für die tägliche urheberrechtliche Arbeit ist er eine echte<br />

Bereicherung.<br />

Rechtsanwalt Dr. Lucas Elmenhorst, M. A. und<br />

Rechtsanwalt Dr. Pascal Decker, Berlin

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